Das Spiccato. Eine violinspezifische Untersuchung in organologischem und didaktischem Kontext


Diplomarbeit, 2006

61 Seiten, Note: 1,1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung

1. Etymologie des Wortes Spiccato – Ursprung und Begriffsdefinition

2. Organologische Betrachtung springender Stricharten auf verschiedenen Bögen von 1500 bis heute

3. Körperwahrnehmung als Voraussetzung für springende Stricharten
3.1 Körperhaltung und -bewegung
3.2 Bogenhaltung
3.3 Bogenführung

4. Methodik springender Stricharten
4.1 Spiccato
4.2 Sautillé
4.3 Übungsmaterial, Etüden (Auswahl)

Zusammenfassung und Ausblick

Abbildungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Vorwort

Die vorliegende Arbeit entstand aus einer Idee heraus, die auf Streichinstrumenten angewandte Strichart Spiccato wissenschaftlich zu beleuchten. Bislang gibt es zu dieser sehr speziellen Thematik leider nur wenig fundiertes wissenschaftliches Material, meiner Meinung nach zu Unrecht, da das Spiccato eine äußerst interessante, komplexe und in ihrem Klangergebnis höchst vielseitige Strichart ist, die heute eine absolut notwendige bogentechnische Basis ist, auf die nicht verzichtet werden kann.

Mein besonderes Interesse galt der Thematik des Spiccatos im Bezug auf verschiedene Bogentypen der Musikgeschichte. Mir war es möglich, das Spiccato selbst auf zahlreichen Bögen ab der Barockzeit auszuprobieren. Das Spielen der früheren Bögen war äußerst spannend, lehrreich und überraschend im Klangergebnis.

Die methodischen Gesichtspunkte habe ich mit Anregungen, sowohl aus der vorhandenen Fachliteratur, als auch aus dem Didaktikunterricht der Hochschule und dem Hospitationspraktikum an der Musikschule Leverkusen entwickelt und an eigenen Schülern erprobt und erarbeitet. Hierbei kam es mir vor allem darauf an, dass die Ideen und Anregungen praxisorientiert und für jeden Violinpädagogen leicht umsetzbar sind.

Mein Dank gilt dem Musikpädagogen Christian Friedrich, der mir zahlreiche Violinbögen, angefangen vom typischen Barockbogen, zur Verfügung stellte und mir mit zahlreichen Anregungen zur barocken Spielweise und Notation jeder Zeit zur Seite stand.

Des Weiteren danke ich meiner Familie, besonders meinem Vater, für viele „wort“ - spezifische Anregungen und Hilfestellungen.

Mein ganz besonderer Dank gilt allen, die meine Arbeit zur Korrektur gelesen und sich die nötige Zeit dafür genommen haben.

Leverkusen, im Oktober 2006 Rebecca Martin

Einleitung

Ein wesentlicher Bestandteil einer guten Violinausbildung ist das Erlernen der gesamten Bogentechnik. Der Begriff Bogentechnik umfasst alle denkbaren Möglichkeiten, den Bogen auf der Violine zu streichen und ist die Lehre der rechtsarmigen Bewegungsabläufe beim Violinspiel.

Neben der Bogentechnik ist die Technik der linken Hand die zweite entscheidende Komponente, die zum Violinspiel benötigt wird.

In der Fachliteratur findet man nur wenig umfassendes, fundiertes Material zur Bogentechnik, besonders zum Spiccato. In vielen Büchern über das Violinspiel, oder konkret über die Bogenführung, stehen nur sehr kurze Artikel über das Spiccato, in denen meistens die Strichart Spiccato nur unzulänglich dargestellt wird. Teilweise wird oft die Strichart bedauerlicherweise nur erwähnt. In einigen Fachartikeln wird ab und an ergänzend erklärt, was das Wort Spiccato bedeutet.

Schaut man sich verschiedene Violinschulen für den Anfängerunterricht heutiger Zeit an, wird man ebenfalls nicht viel mehr Material entdecken. Man wird feststellen, dass sich annähernd jede Schule primär mit der Technik der linken Hand befasst. Bogentechnik scheint im Anfängerunterricht keine bedeutende Rolle zu spielen. Die meisten Schulen begnügen sich damit, dass der Schüler einen einigermaßen „kratzfreien“ Détachéstrich lernt und ergänzend ein, zwei andere Stricharten.

Ist aber denn nicht die eigentliche Kunst des Violinspiels die Kunst der Bogenführung?

Die Töne werden mittels Bogen erzeugt, der Bogen ist verantwortlich für die Klang- und Farbenvielfalt eines Geigers.

Da „der Bogen das wunderbare Zauberstäbchen, welches aus dem

leblosen Instrument […] erst die Welt der Töne hervorzulocken

vermag, durch welches Herz und Gemüth der Hörer bewegt und gerührt werden […],“[1] ist, ist es unbedingt notwendig sich auch den Anforderungen der Bogentechnik zu stellen und zu versuchen ihnen nicht nur praktisch, sondern auch theoretisch gerecht zu werden.

Das Spiccato ist in der Bogentechnik ein sehr zentraler Teil, da es

1. häufig Verwendung findet und
2. sehr komplexe Bewegungsabläufe beinhaltet.

Neben dem Détaché und dem Legato findet das Spiccato in der gesamten Violinliteratur der Klassik bis Moderne seinen berechtigten Platz, ist somit eine der wichtigsten Stricharten auf der Violine.

Das Wort Spiccato durchläuft von seiner Entstehung bis heute eine interessante Veränderung und wird mit der Weiterentwicklung des Violinbogens immer bedeutsamer.

Überhaupt ist es sehr interessant zu sehen, wie und warum sich Stricharten entwickelt haben. Dies wird im 2. Kapitel der Arbeit, neben Erläuterungen zur Entwicklung des Violinbogens, ausführlich dargelegt. Die Ausführungen dieses Kapitels sind in der Thematik bewusst weit gefasst, um den wichtigen Zusammenhang zwischen der Entwicklung des Violinbogens und springender Stricharten deutlich hervorzuheben.

Der didaktische Aspekt wird im 3. und 4. Kapitel aufgezeigt. Sowohl Körperbewusstsein, als auch ökonomische Körperbewegungen gehören zum Erlernen des Spiccatos dazu, da das Geigenspiel immer die Ganzheitlichkeit des Körpers und der Sinne erfordert. Darüber hinaus nimmt die Frage nach der Natürlichkeit in den Bewegungsabläufen beim Violinspiel einen wichtigen Stellenwert ein, der ausführlich erörtert wird. Diese Aspekte der Körper- und Bewegungsschulung sollten gerade heute einen wesentlichen Teil des Instrumentalunterrichts bilden, um der ganzheitlichen Schulung gerecht zu werden.

Über konkrete Übungen und gezielte Anregungen für Violinpädagogen, die das Spiccato lehren wollen, gibt es Fachliteratur von Sheila Nelson, Simon Fischer und Paul Rolland. Sie geben in ihren Werken einige wertvolle Tipps, die hier teilweise verwendet, weiter ausgeführt und in neue Kontexte gestellt werden.

Die Arbeit insgesamt zeigt, wie wichtig und umfassend ein scheinbar kleines Mosaiksteinchen der gesamten Bogentechnik sein kann, wenn man es tiefgründig und fundiert aus verschiedenen Richtungen beleuchtet. Gerade weil das Spiccato in der Praxis eine sehr zentrale und bedeutsame Strichart ist, hat es in der Theorie bislang zu Unrecht nur wenig Beachtung erhalten.

1. Etymologie des Wortes Spiccato – Ursprung und Begriffsdefinition

Das Wort Spiccato ist italienisch und stammt von dem Verb ‚spiccare’ – ‚trennen’ ab. Grammatikalisch hat es die Form eines Partizip Perfekts (Endung: -ato) und kann daher mit ‚getrennt’ übersetzt werden. Etymologisch setzt sich Spiccato aus dem Buchstaben ‚s’- und ‚piccare’ zusammen, wobei das Wort ‚piccare’ der lateinische Infinitiv Präsens ist und soviel wie ‚(auf)picken, pflücken’ bedeutet. Der Buchstabe ‚s’ wurde dem ‚piccare’ im Laufe der Entwicklung vorangestellt.

Die Bedeutung des Wortes Spiccato hat sich im Laufe der Zeit gewandelt, zusammenhängend mit den technischen Entwicklungen des Bogens, der differenzierten Erkenntnis über das Geigenspiel allgemein und über verschiedene Bewegungsabläufe des Bogens und des ausführenden Arms.

Das Wort Spiccato taucht bereits im 17. Jahrhundert in verschiedenen Musiklexika auf und bedeutet zunächst allgemein, dass einzelne Töne getrennt voneinander gespielt werden sollen. „Wo höhere Grade der Trennung, als das non-legato des normalen Bogenstrichs des 17. Jahrhunderts angestrebt wurde, wurden sie entweder durch solche Ausdrücke wie staccato oder spiccato (die scheinbar damals gleichbedeutend waren) oder durch besondere Zeichen angezeigt, von denen ein Punkt (.) oder senkrechter Strich (|) oberhalb oder unterhalb der Note die häufigsten waren.“[2] Wie aus diesem Zitat deutlich wird, machte man keine Unterscheidung zwischen Staccato, früher auch Stoccato genannt, und Spiccato; die beiden Begriffe waren somit gleichbedeutend.

„Staccato oder Stoccato [ital.] ist mit spiccato fast einerlei, daß nemlich die Bogen-Striche kurz, ohne Ziehen, und wohl von einander abgesondert werden müssen.“[3]

Im Dictionnaire de musique von 1703 ist zu finden:

„Staccato oder Stoccato bedeutet fast[4] dasselbe wie Spiccato. Das bedeutet, daß alle Streichinstrumente solche Striche trocken, ohne zu schleppen, und gut abgesetzt voneinander ausführen sollen - ungefähr was wir im Französischen Picque oder Pointé nennen.“[5] Brossard gibt an, dass die Töne nicht nur getrennt von einander, sondern auch „trocken“ und „ohne zu schleppen“ zu spielen seien. Vermutlich ist mit „trocken“ gemeint, dass die Töne mit wenig Bogengeschwindigkeit und scharf abgetrennt gespielt werden sollen, sodass ein etwas rauher, stumpfer Klang entsteht. Die Bezeichnung „ohne zu schleppen“ ist sehr interessant. Es stellt sich die Frage, ob Brossard wirklich gemeint haben könnte, dass explizit diese Strichart im Gegensatz zu anderen Stricharten „ohne zu schleppen“ gespielt werden solle, oder dies eher als ein Aufzeigen einer möglichen Gefahr gilt. Vielleicht hat Brossard die Erfahrung gemacht, dass viele Geiger dazu neigen im Spiccato zu schleppen und wollte dem so entgegenwirken.

Über eine genaue Ausführung des Spiccatos wird in den damaligen Musiklexika nichts Konkretes geschrieben. Es geht aus keiner Schrift deutlich hervor, ob der Bogen beim Spiccato auf der Saite bleibt, oder diese verlässt. Lediglich in der Violinschule von Leopold Mozart findet man eine klare Spielanweisung: „In geschwinden Stücken wird der Geigenbogen bei jedem Puncte aufgehoben; folglich jede Note von der anderen abgesondert und springend vorgetragen.“[6]

Seit dem 17. Jahrhundert wird in den Noten das Spiccato üblicherweise mit Punkten über oder unter den Noten gekennzeichnet. Johann Gottfried Walther (1684-1748) beschreibt die Punkte wie folgt:

„Punctus percutiens heißt der, welcher so wohl in Sing – als Klangstückchen über oder unter den Noten gesetzt wird, anzuzeigen, daß selbige abgestoßen werden sollen.“[7] Walther benutzt das Wort „abgestoßen“ für die Ausführung der Notierung mit Punkten. Die Töne sollen von einander abgestoßen werden und getrennt ausgeführt werden.

Johann Joachim Quantz (1697-1773) äußert sich im 18. Jahrhundert über die getrennte Spielweise bereits differenzierter, indem er die Spielart nur auf schnelle Sechzehntelpassagen bezieht.

„Die Sechzehntel im Allegretto sowie im Allegro erfordern insbesonderheit einen ganz kurzen Bogenstrich, und muß derselbe nicht mit dem ganzen Arm, sondern nur mit der Hand gemacht, auch mehr tockiret als gezogen werden…“[8] Der Bogen soll damit eher auf die Saite geschlagen, als auf der Saite gestrichen werden. Im Musikalischen Lexikon von Heinrich Christoph Koch aus dem Jahr 1802 heißt es über das Spiccato:

„Deutlich, oder von einander gehörig abgesondert, soll einen runden Vortrag anzeigen, bey welchem die Töne nicht verwischt klingen oder in einander fließen.“[9] Diese Definition ist bereits fortgeschrittener und detaillierter als diejenigen des 17. Jahrhunderts, dennoch kann man hieraus nicht klar entnehmen, wie die Strichart auszuführen ist. Die Bezeichnung „runder Vortrag“ ist ziemlich weitläufig und kann nicht klar gefasst werden. Man kann auf viele verschiede Arten einen runden Vortrag hervorbringen, was aber in keiner Weise etwas mit der Spielart des Spiccatos zu tun haben muss. Die Bezeichnung, dass „die Töne nicht verwischt klingen oder in einander fließen“ ist auch kein primäres Merkmal des Spiccatos. Jede andere Strichart kann ebenfalls so gespielt werden, dass „die Töne nicht verwischt klingen oder in einander fließen.“ Die einzige eindeutige Aussage ist die, dass die Töne deutlich voneinander „abgesondert“ gespielt werden sollen. Wie dies jedoch ausgeführt werden soll, geht hier nicht hervor.

In einem Konversations-Lexikon von 1878 wird das Spiccato ungewöhnlicher Weise als eine Bezeichnung, die beim Gesang eine wesentliche Rolle spielt, definiert. Auf die besondere Spieltechnik auf Streichinstrumenten wird in keinem Wort hingewiesen:

„Vortragsbezeichnung = deutlich, vornehmlich, jeder Ton abgesondert; beim Gesange versteht man darunter auch die Forderung der deutlichen Aussprache des Textes (voce spiccato), so dass jede einzelne Silbe und der ihr zugehörige Ton deutlich herauskommt.“[10]

Erst um 1900 wurde das Spiccato als eine wesentliche Spieltechnik auf Streichinstrumenten anerkannt, was dazu geführt hat, dass sich auch der Begriff wandelte und eine gewichtigere enzyklopädische Bedeutung erlangte. Der Begriff wurde interessanter und musste genauer und detaillierter in Musiklexika und Lehrwerken definiert werden. So heißt es 1907 bei Hans Sitt:

„Der geworfene Bogenstrich ist die erste von den springenden Stricharten; derselbe wird etwas unterhalb der Mitte des Bogens mit dem Arm ausgeführt, indem man den Bogen nach jedem Strich von der Stelle abhebt und dann wieder zurückfallen lässt. Unter den springenden Stricharten ist er die Einzige, welche im langsamen Zeitmass Verwendung finden kann.“[11] Hans Sitt beschreibt Anfang des 20. Jahrhunderts sehr genau, was er unter Spiccato versteht und gibt Hinweise zur Ausführung. Das Spiccato ist nach Sitt ein aktiv geworfener Strich aus dem Arm, der an der Saite beginnt und diese durch ein Abheben des Bogens verlässt. Die aktive Bewegung des Arms, durch die der Bogen geworfen wird, wird auch im Musiklexikon in 3 Bänden herausgegeben von Hugo Riemann 1967 erwähnt:

„[…] geworfene Strichart, bei der jeder einzelne Ton mit einem neuen Bogenstrich hervorgebracht wird. In schnellerem Tempo geht das Sp. in den Springbogen (franz. Sautillé) über. Als Aufführungsbestimmung in der alten Musik (Corelli, Vivaldi, u.a.) bedeutet Sp. lediglich, daß die Töne getrennt […], non legato zu spielen sind.“[12]

Hier wird bereits auf die ältere Bedeutung des Wortes Spiccato verwiesen, die in der Zeit der Barockmusik ihre Gültigkeit findet; dadurch wird der Wandel des Begriffs betont.

Im Zusammenhang mit dem Spiccato wird hier bereits das Sautillé erwähnt, eine Strichart des 20. Jahrhunderts, die sich aus Möglichkeiten entwickelte, die neue Bogenformen und - typen mit sich brachten.

Die Definition von Spiccato, wie sie im Musiklexikon herausgegeben von Riemann 1967 zu finden ist, kann heute als allgemein gültig aufgefasst werden. So findet man sie beispielsweise auch im Musiklexikon in 4 Bänden herausgegeben 2005 von Hassler wieder:

„Spiccato (it. = abgesetzt; Abk.: spicc.), Bz. für eine geworfene Strichart auf wechselndem Bogenstrich. Der Bogen wird dabei zwischen den einzelnen Tönen von der Saite gehoben. Im schnellen Tempo geht das S. in den Springbogen (Sautillé) über. Als Vortragsanweisung wird es – wie der Springbogen – durch Punkte über den Noten angegeben. In Kompositionen des 17. und 18. Jh. wurde S. lediglich als Gegensatz zu legato – also als Anweisung zum deutlichen Trennen der Töne – gebraucht, nicht jedoch als Strichart-Vorschrift.“[13]

Folglich wird heute das Spiccato als ein Wurfbogenstrich gedeutet, bei dem der Bogen durch eine aktive Bewegung aus Finger, Hand und Arm auf die Saite geworfen wird und von jener durch einen Impuls aus dem Handgelenk und den Fingern der rechten Hand zurückprallt. „Die Höhe des Rückpralls von der Saite ist hauptsächlich vom Spieltempo abhängig.“[14] Ab einem bestimmten Tempo kann das Spiccato nicht mehr ausgeführt werden und geht ins Sautillé über. Der wesentliche Unterschied des Spiccatos zum Sautillé besteht darin, dass das Spiccato aktiv, das Sautillé auf Grund des schnellen Tempos passiv ausgeführt wird. In der Violinschule „Wie und Warum“ von Hugo Seling wird dieser Unterschied wie folgt definiert:

„Im geworfenen Strich [Spiccato] ist der Spieler aktiv, der Bogen passiv; ich werfe den Bogen. Im springenden Strich [Sautillé] ist der Spieler gewissermaßen passiv (nur noch wachend tätig), der Bogen insofern aktiv, als er in Folge seiner Eigenschwingungen in der Gegend des Schwerpunktes von selbst springen muß, wenn er nicht durch Zwang an der Saite festgehalten wird…Im langsamen Tempo muss der Bogen geworfen werden, im raschen springt er selbsttätig.“[15] Das Springen des Bogens im Sautillé ist als ein Federn auf der Saite zu verstehen, da der Bogen beim Sautillé die Saite nicht aktiv verlässt.

Die Definition, wie sie heute in Musiklexika vorzufinden ist, unterscheidet sich von seinen Vorgängern hauptsächlich in der detaillierten Darlegung dieses Striches, welche durch fortschreitende Erkenntnis bedingt ist.

Es kann davon ausgegangen werden, dass das Spiccato im 17. Jahrhundert ähnlich ausgeführt wurde wie heute, auch wenn es keine eindeutigen Hinweise darauf gibt, ist doch der Grundtenor der frühen Definitionen, nämlich die Ausführung von getrennten, abgesonderten und punktähnlichen Strichen mit heutigen Definitionen weitgehend kongruent.

2. Organologische Betrachtung springender Stricharten auf verschiedenen Bögen von 1500 bis heute

Die Entstehungszeit der Violine und des Violinbogens kann nicht eindeutig festgelegt werden, wahrscheinlich stammen die ersten Violinen aus der Zeit der Spätrenaissance (15. – 16. Jahrhundert). Man vermutet, dass der Entstehungsort Oberitalien gewesen sei, sicher ist, dass die ältesten erhaltenen Violinen aus Cremona und Brescia stammen.

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Abbildung 1

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Abbildung 2

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Abbildung 3

Die Violine verdrängte mit ihrem Aufkommen ihre Vorgänger Fiedel und Rebec fast völlig, wobei der Bogen beibehalten und vorerst kaum verändert wurde. Die Kenntnis über Bögen dieser Zeit und früher kann man nur über ikonographische Zeichnungen und Darstellungen erlangen, da kaum etwas schriftlich festgehalten wurde. Man findet auf Abbildungen des 12.- 15. Jahrhunderts viele verschiedene Bogenformen und –typen, wobei allen Bögen die konvexe Biegung der Bogenstange gemein war. Viele Bilder zeigen stark gekrümmte Bögen, die durch ihre Halbkreisform bedingt zum Teil in der Mitte gehalten wurden (Abb. 1 und 2). Parallel dazu gab es sehr flache, kaum gewölbte Bögen, bei denen der Bezug sehr dicht an der Stange lag (Abb. 3). Bei einigen Bögen ragte die Stange weit über den Bezug heraus. Auch die Länge der frühen Bögen war nicht einheitlich. Einige waren nur 20-30 cm lang, andere hatten eine Gesamtlänge von 120 cm, fast doppelt so lang wie eine Violine der damaligen Zeit.

Die vielen verschiedenen Varianten von Bögen zeigen, dass in der Entstehungszeit des Violinbogens vieles ausprobiert wurde und man experimentiert hat. Viele Bogenmodelle wurden später auch wieder verworfen, da sie Mängel hatten und zum Gebrauch nicht sonderlich geeignet waren. Parallel zur Entwicklung in Italien wurde auch in Frankreich, Deutschland und Österreich mit Bogenformen experimentiert. Der Klang auf verschiedenen Bögen des 16. Jahrhunderts muss sehr vielseitig gewesen sein.

Der Klang, der mit einem 120 cm langen Bogen erzeugt wurde, war wahrscheinlich sehr hauchig und dünn. Der Bogen war am Frosch deutlich schwerer als an der Spitze, das hatte zur Folge, dass der Klang im Abstrich abnahm und der Ton stark an Lautstärke verlor. Außerdem war es wegen der enormen Länge sehr schwierig den ganzen Bogen zu benutzen. Man musste den Arm sehr weit ausstrecken, um überhaupt mit vollem Bogen zu spielen. Deshalb spielte man üblicherweise meist nur in der Bogenmitte.

Ein 20-30 cm langer Bogen ermöglichte nur sehr kurze Striche, die wahrscheinlich durch die schnellen Bogenwechsel sehr akzentuiert geklungen haben müssen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die kurzen Bögen für Tanzmusik verwendet wurden. Der akzentuierte Charakter der Spielweise auf kurzen Bögen war für das einfache Musizieren der Spielleute der Unterschicht sehr typisch. Man hielt den Bogen im Faustgriff, was bedeutet, dass der Bogen am unteren Ende starr in der Faust gehalten wurde. Diese Haltung förderte das derbe, akzentuierte Spiel und ermöglichte einen kraftvollen Bogenstrich mit starkem Druck. Das Handgelenk war unbeweglich und fest, deshalb war es einem Tanzgeiger auch nicht möglich, elastische Übergänge im Bogenwechsel zu schaffen.

Die Violine wurde nah am Körper in Brusthöhe gehalten und hatte nur wenig Stabilität, da sie nicht wie es heute üblich ist, unter das Kinn geklemmt wurde. Diese Lage der Geige hatte auch Einfluss auf die Kontaktstelle zum Bogen. Zwar hatte der Bogen Kontakt zur Saite, trotzdem war die Gewichtsübertragung auf die Saite nicht optimal, da man durch die Lage des Arms in Brusthöhe nur wenig Eigengewicht nutzen konnte, somit eher über die Saite strich, als in die Saite hineinging. Über die Stelle an der der Bogen die Saite berühren sollte, heißt es: „[…] Nicht zu nah und nicht zu fern vom Steg […].“[16]

Die Violine galt als primitives Instrument, welchem man keinen hohen Stellenwert gab. Sie galt als derbes, verruchtes Instrument der Spielmänner und bereits erwähnten Tanzgeiger.

„[…] Man verwendet [die Violine] normalerweise zum Tanz, und das aus gutem Grund, denn sie ist [einfach] zu stimmen […]. Zudem ist sie [leicht] tragbar, und das ist besonders bei Hochzeiten und Mummenschänzen wichtig.“[17]

Die Tanzmusikstücke wurden meistens auswendig gespielt, da viele Musiker keine Noten lesen konnten.

Neben dem Spielen von Tanzmusik hatte die Violine noch eine andere Funktion; sie verdoppelte häufig Singstimmen in Vokalwerken, um die Sänger tonlich zu unterstützen.

Im Laufe der Zeit wurde die Musik der Violine jedoch von Singstimmen unabhängiger und es entstanden in der Mitte des 16. Jahrhunderts die ersten Kompositionen für Violine solo. Die frühesten Stücke, die für Violine komponiert wurden, waren zwei Tänze für Violine von 1582. Die Komponisten Giovanni Gabrieli (1557-1613) und Claudio Monteverdi (1567-1643) schrieben auch Werke für Violine solo und schufen damit den Anfang einer großen Entwicklung der eigenständigen Violinmusik. Diese Frühwerke waren erste Versuche aus der Violine, die bis dahin ein Konsortiumsinstrument war, ein eigenständiges Soloinstrument zu machen. Die Stücke waren zu Beginn recht simpel und einfältig, wurden jedoch mit der Zeit anspruchsvoller und im Tonumfang erweitert. Über die Spieltechniken weiß man leider nur sehr wenig. Es ist bekannt, dass verschiedene Stricharten wie das Détaché[18] und Legato (zwei Noten gebunden) gebräuchlich waren, außerdem gab es die Regel jedes Stück mit Abstrich zu beginnen. „Erste Hinweise auf Bogenstricharten lassen sich in Silvestro Ganassis Gambenschule Regola rubertina (1542) finden: Ganassi bringt verschiedene Hinweise für die Verfeinerung des Vortrags ([…] energische oder lockere Striche, dem Charakter des Stückes angepasst) und fordert den Vortrag langer Noten mit ganzem Arm sowie kurzer Noten mit dem Handgelenk.“[19]

Ganassi kannte auch die Spieltechnik mehrere Noten abgesetzt, jedoch immer an der Saite, auf einen Bogen zu spielen.[20]

Man verwandte das Pizzicato, welches die Nachahmung eines Lauteneffektes darstellte und spielte hauptsächlich in der 1. und 3. Lage. Über schnelle Noten weiß man, dass sie an der Spitze gespielt wurden. „Die getrennten Noten werden in dem oberen Teil des Bogens gespielt.“[21]

Der konvexe Bogen artikulierte in der oberen Hälfte wesentlich genauer als ein heutiger konkaver Bogen. Durch die Eigenelastizität der gewölbten Bogenstange klang eine schnelle Passage im Détaché in der oberen Hälfte wie ein Spiccato heute in der unteren Bogenhälfte.

Die Töne waren bedingt durch die Leichtigkeit des Bogens[22] in der oberen Hälfte sehr artikuliert. Der Bogen blieb trotz des Spiccato-Klangs immer an der Saite. Man findet keine Angaben darüber, dass im 16. Jahrhundert springende Stricharten aus einer aktiven Arm- und Handgelenksbewegung bekannt waren. Ganassi erklärt, dass der Bogen die Saite nie verlassen solle. Dies wäre auch nicht möglich gewesen, da der starre Faustgriff die Elastizität der Stange, die für springende Stricharten notwendig ist, völlig verhinderte.

Mit der Weiterentwicklung des Bogens löste man sich vom primitiven Faustgriff und hielt den Bogen in der so genannten Fingerhaltung, bei der der Daumen gegenüber den anderen vier Fingern, die über der Stange liegen, an den Haaren oder später unterhalb der Stange liegt und so eine Gewichtsbalance ermöglicht.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4

Die Fingerhaltung entwickelte sich mit dem Aufkommen des Frosches, der als Abspreizvorrichtung die Behaarung von der Bogenstange separierte. Der ursprüngliche Frosch war zunächst nur eine Weiterführung der Stange, die die Behaarung von der eigentlichen Bogenstange trennte (Abb. 4).

Die Spannung wurde mit dem Daumen reguliert, es entwickelte sich erst später eine gleich bleibende Spannung, ermöglicht durch einen Steckfrosch, später mit dem uns heute bekannten Schraubmechanismus.

Die erste Form der Fingerhaltung war der so genannte ‚Untergriff’. Diese Bogenhaltung stammt ursprünglich aus Frankreich, wird deshalb auch oft als ‚französische Bogenhaltung’ oder ‚französischer Bogengriff’ bezeichnet. Der Bogen wurde in diesem Griff hauptsächlich mit dem Zeigefinger und Daumen gehalten, wobei der Daumen unter die Behaarung griff und so die Spannung der Haare regulieren konnte (Abb. 5). Die anderen Finger lagen über der Stange und sorgten so für Stabilität und Sicherheit im Griff. „Zeigefinger bis kleiner Finger liegen auf der Stange, der Daumen fasst den Bogen unmittelbar neben dem Frosch unten an den Haaren.“[23]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5

Mit dieser Bogenhaltung wurden ursprünglich alle Streichinstrumente gespielt, die im Schoß gehalten wurden und bei denen der Wirbelkasten nach oben zeigte. Diese Bogenhaltung bot deutlich mehr Freiheit in der Bogenführung als der Faustgriff, war aber immer noch sehr starr, da der Bogen sehr in der Hand eingespannt war. Er musste jeder Zeit gehalten werden und konnte nie sich selber überlassen werden, da der Bogen sonst aus der Hand entgleiten oder die Spannung nicht mehr reguliert werden konnte.

Die Eigenelastizität des Bogens wurde durch das sehr kräftige Halten völlig unterdrückt und verhindert, sodass es unmöglich war, dass der Bogen auf Grund seiner natürlichen Elastizität springt und die Saite verlässt. Der Bogen wurde vielmehr immer dicht an der Saite geführt und niemals abgehoben. Die untergriffige Haltung erlaubte es nicht den ganzen Bogen auszunutzen, es wurde in dieser Haltung nur bis kurz unterhalb der Mitte gestrichen; am Frosch wurde nicht gespielt. Typisch für die untergriffige Bogenhaltung war ein starkes Einknicken des Handgelenks, welches zur Folge hatte, dass der Arm sehr tief hing. Das Eigengewicht des hängenden Arms rief eine naturgemäß starke Differenzierung zwischen Auf- und Abstrich hervor, der Abstrich war demnach viel akzentuierter als der Aufstrich an der leichten Spitze. Insgesamt war der Ton in untergriffiger Bogenhaltung sehr klar und konturiert, jedoch wenig weich und rund.

Der Untergriff wurde erst etwa im 18. Jahrhundert völlig vom so genannten ‚Obergriff’, der aus Italien stammt, abgelöst. In Frankreich, den Niederlanden, Böhmen und im süddeutschen Raum spielte man noch bis weit ins 18. Jahrhundert im Untergriff, teilweise auch parallel zur obergriffigen Haltung. Besonders Geiger, die viel Wert auf die Traditionen legten, spielten lange Zeit weiter im Untergriff, obwohl die Bogenführung weit weniger vielseitig und variabel war, als in der obergriffigen Haltung.

[...]


[1] Rühlmann, Julius: Geschichte der Bogeninstrumente, Walluf bei Wiesbaden 1974, S. 141

[2] Boyden, David: Die Geschichte des Violinspiels von seinen Anfängen bis 1761, Mainz 1971, S. 297

[3] Walther, Johann Gottfried: Musikalisches Lexikon der musikalischen Bibliothek von 1732, Faksimile-Nachdruck, Kassel³ 1967, S. 575

[4] Obwohl sowohl Johann Gottfried Walter als auch Sebastien de Brossard betonen, dass das Spiccato fast das gleiche wie Staccato sei, findet man bei keinem Verfasser Angaben darüber, was den kleinen Unterschied zwischen Spiccato und Staccato ausmacht.

[5] Brossard, Sebastien de: Dictionnaire de musique, Paris 1703, zitiert nach: Boyden, David: Die Geschichte des Violinspiels von seinen Anfängen bis 1761, Mainz 1971, S. 464

[6] Mozart, Leopold: Versuch einer gründlichen Violinschule, Faksimile-Reprint der 1. Auflage, Kassel 1756, S. 39

[7] Walther, Johann Gottfried: Musicalisches Lexicon, Leipzig 1732, Faksimile-Nachdruck, Kassel 1953, zitiert nach: Boyden, David: Die Geschichte des Violinspiels von seinen Anfängen bis 1761, Mainz 1971, S. 464

[8] Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiére zu spielen, Berlin 1752, Reprint Kassel 1992, XVII Hauptstück, II, Abschnitt 26§, zitiert nach Boyden, David: Die Geschichte des Violinspiels von seinen Anfängen bis 1761, Mainz 1971, S. 460

[9] Koch, Heinrich Christoph: Musikalisches Lexikon, Faksimile-Reprint der Ausgabe Frankfurt/Main 1802, Sp. 1422

[10] Mendel, Hermann (Hrsg.): Musikalisches Conversations-Lexikon, Band 9, Artikel: Spiccato, Berlin 1878, S. 33

[11] Sitt, Hans: Technische Studien für Violine op. 92, Teil II Heft VI, Leipzig 1907, S. 3

Anmerkung: Unter springenden Stricharten auf der Violine zählt man Spiccato, Sautillé, fliegendes Staccato, Saltando, Ricochet und gesprungene Arpeggios.

[12] Riemann, Hugo (Hrsg.): Musiklexikon in 3 Bänden, Sachteil, Artikel: Spiccato, Mainz 1967, S. 895

[13] Hassler, Harald (Hrsg.): Musiklexikon in 4 Bänden, Bd. 4, Artikel: Spiccato, 2. aktualisierte Auflage, Stuttgart 2005, S. 365

[14] Märkl, Josef: Violintechnik intensiv, Bd. 2, Mainz 1999, S. 31

[15] Seling, Hugo: Wie und Warum – die neue Geigenschule, Lehrerheft, erweiterte Ausgabe, Leipzig 1952, S. 43

[16] Geiser, Brigitte: Studien zur Frühgeschichte der Violine, Bern, Stuttgart 1974, S. 120

[17] Fer, Jambe de: Epistome musical, Lyon 1556, S. 63; zitiert nach: Mozart, Leopold: Versuch einer gründlichen Violinschule, Faks.-Reprint der 1. Auflage 1756, Kassel 1995, Vorwort S. X

[18] Georgius Agricola (1494-1555) definiert 1545: Détaché = pro Note ein Strich; vgl. Boyden, David: Die Geschichte des Violinspiels von seinen Anfängen bis 1761, Mainz 1971

[19] Drees, Stefan (Hrsg.): Lexikon der Violine, Laaber 2004, S. 121

[20] heute: Portato-Strich

[21] Gulli, Franco: Moderne Violintechnik im Dienste de Interpretation – 2. Teil: Die Bogenführung, in: Üben & Musizieren, 2/1997, S. 43

[22] Der Bogen war wegen des Fehlens eines Kopfes an der Spitze so leicht. Ein Bogenkopf entwickelte sich erst im 17. Jahrhundert.

[23] Ronez, Marianne: Die Violintechnik von ihren Anfängen bis zum Hochbarock, in: Österreichische Musikzeitschrift, 2/1994, S. 118

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Details

Titel
Das Spiccato. Eine violinspezifische Untersuchung in organologischem und didaktischem Kontext
Hochschule
Robert Schumann Hochschule Düsseldorf
Note
1,1
Autor
Jahr
2006
Seiten
61
Katalognummer
V86345
ISBN (eBook)
9783638887984
ISBN (Buch)
9783638891318
Dateigröße
1622 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Spiccato, Eine, Untersuchung, Kontext
Arbeit zitieren
Rebecca Martin (Autor:in), 2006, Das Spiccato. Eine violinspezifische Untersuchung in organologischem und didaktischem Kontext, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86345

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