Konflikttraining „Alles klar!“ - Ein Präventionskurs zur Verhinderung von Jugendgewalt

Ein Trainingskurs für Kinder und Jugendliche im Rahmen des niedrigschwelligen Angebotes in der Jugendarbeit


Fachbuch, 2008

152 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abstract

Abkürzungsverzeichnis

1 Ein paar einleitende Worte zum Anfang
1.1 Warum noch ein neuer Trainingskurs?
1.2 Einzelne Trainingskurse – ein Abriss
1.2.1 Die Rahmenbedingungen von AAT / CT â
1.2.2 Konfrontatives Soziales Training (KST) â
1.2.3 Sozialer Trainingskurs (STK)
1.3 Konflikttrainingskurs „Alles klar!“
1.4 Zum Aufbau dieser Schrift:

2 Zielsetzung des Konflikttrainings
2.1 Empathieerfahrung: Grundlage für den Trainingskurs
2.2 Zielsetzung
2.3 Zielgruppe
2.4 Unterschiedliche Ehrbegriffe
2.4.1 Versuch einer allgemeingültigen Definition
2.4.2 Geschichtliche Betrachtung
2.4.3 Ehre im westlichen Kulturkreis heute
2.4.4 Ehre im muslimischen Kulturkreis
2.4.5 Der Ehrbegriff und das Konflikttraining
2.5 Bildliche Darstellung als zentrales Element
2.5.1 Das Phasenmodell nach Weidenmann
2.5.2 Zwei Arten des Bildverstehens
2.5.3 Zusammenfassung

3 Der Aufbau des Kurses
3.1 Motivationsgespräche
3.2 Einführungsphase
3.3 Verfestigungsphase
3.3.1 Die Modelle – Methoden zu Konfliktlösungen
3.3.1.1 Das ABC-Modell
3.3.1.2 Das BAC-Modell
3.3.2 Rollenspiel und Präsentation
3.3.3 Was ist Gewalt?
3.3.3.1 Ursachen von Gewalt:
3.3.3.2 Jugendgewalt:
3.4 Abschlussphase

4 Die Umsetzung
4.1 „Wir lernen uns kennen“(1. Treffen)
4.2 „Wer bin ich?“ – die Eigenwahrnehmung (2. Treffen)
4.3 Begriffsklärungen: Mut und Respekt (3. Treffen)
4.3.1 Ergebnisse zum Thema „Mut“
4.3.2 Ergebnisse zum Thema „Respekt“
4.4 Erarbeitung einer Gewaltdefinition (4. Treffen)
4.4.1 Ergebnisse zum Thema „Gewalt“
4.4.2 Jugendliche üben Gewalt aus, weil
4.5 Wir sprechen mit Fachleuten (5. Treffen)
4.6 Konfliktanalyse nach dem ABC-Modell (6. Treffen)
4.7 Der Santa-Fu-Besuch (7. Treffen)
4.7.1 Die Vorbereitung der Santa-Fu-Fahrt
4.7.2 Der Santa-Fu-Besuch
4.7.3 Die Nachbereitung
4.8 Der Tag danach und das BAC-Modell (8. Treffen)
4.9 Das Abschlusswochenende (9. Treffen)
4.10 Einzelgespräche
4.11 Nachbereitung und Nachhaltigkeit (10. Treffen)

5 Die Schulung Konfliktfähigkeit
5.1 Angesprochene Handlungsebenen
5.2 Regeln für die Trainer:
5.3 Schritt für Schritt

6 Das Kurstagebuch zum Konflikttraining „Alles klar“
6.1 Ein kleines Vorwort:
6.2 Das persönliche Kurstagebuch

Anhang 1: Information zum KonTAK
Das Betreuer-Team
Flyer Konflikttraining „Alles klar!“
Teilnehmervertrag
Der Teilnehmer-Vertrag
Zertifikat

Anhang 2: Berichterstattung
Präventionspreis 2007 - Internet
Präventionspreis 2007 - Abendblatt
Keine Alternativen zur Prävention - Internetartikel

Anhang 3: Flyer „GhJ e.V.“

Literaturverzeichnis

Monographien

Weitere Quellen

Zeitschriftenartikel

Internetquellen

Abstract

„I would, there were no age between ten and three-and-twenty, or that youth would sleep out the rest: for there is nothing in the between but getting wenches with child, wronging the ancientry, stealing, fighting“[1], so klagt der Schäfer in Shakespeares „Wintermärchen“. 400 Jahre ist diese Klage alt und dennoch scheint sie aktuell Anfang 2008.

So wurde und wird viel diskutiert über das Jugendstrafrecht. Ist es aus­reichend? Welche Instrumente fehlen? Wie können wir der Jugend­gewalt entgegenwirken?

Die Instrumente, die das Jugendstrafrecht bietet, sind m.E. ausreichend. Es gibt Sozialstunden, Wochenendarreste, Dau­erarreste, Teilnahmever­pflichtungen an entsprechenden Kur­sen des Anti-Aggressivitäts-Trainings und des Sozialen Trainingskurses bis hin zu freiheitsentziehenden Maß­nahmen in Form von Unterbringung in Jugendstrafanstalten.

Bisher liegt der Schwerpunkt der meisten vorliegenden Arbei­ten zum Thema Jugendgewalt eindeutig auf der empirischen Analyse von Gewalt­phänomenen, während die Erarbeitung von Präventionsansätzen nach­rangig ist. Das ist ein Problem, obwohl mittlerweile einige gute Präven­tionskurse vorhanden sind.

So wird dieser Tage viel über Prävention geredet. Ein wichti­ges Präven­tionsangebot wird dabei immer wieder vergessen, weil diesem scheinbar kein ernstzunehmender Rang zugebil­ligt wird: die Jugendeinrichtungen.

Soziales Lernen in Jugendeinrichtungen ist ein wichtiges Prä­ventions­mittel. Soziale Bindungen zu stärken, den Gruppen­zusammenhang zu fördern und somit positiv zu beeinflussen ist Prävention. Inhaltlich geht es dabei um die Kommunikation untereinander, um den Umgang mit Kon­flikten, der Entschei­dungsfindung in Gruppen und Formen der Koopera­tion. Wenn, wie in der Vergangenheit geschehen, die Betreuerstellen in Jugendeinrichtungen zusammengestrichen, die Notwendigkeit, Jugend­lichen Gespräche zu ermöglichen, reduziert werden, wie sollen dann die Themen „Wie gehe ich mit eigenen Frus­trationen um? Wie nehme ich meine Interessen wahr, ohne andere zu verletzen? Wie nehme ich Ge­fühle von anderen wahr?“ behandelt werden?

Nun gut.

Dies ist nicht Thema dieses Buches.

Ich möchte ein neues Konzept im Bereich der Präventionsar­beit vorstel­len, den Konflikttrainingskurs „Alles klar!“ (Kon­TAK). Bei diesem Trai­ningsprogramm geht es um den Aufbau und die Stärkung der kommuni­kativen Grundkenntnisse.

Kommunikative Grundfertigkeiten sind wichtig, um Konflikte zu vermei­den. Sie sind auch wichtig, um Konflikte anders auszu­tragen als mit Aggression, Gewalt oder Rückzug. Konflikt- und Kommunikationsfähig­keit, Teamarbeit und eigenverantwort­liches Handeln sind Erfahrungen, die das Leben prägen. Die Vermittlung von sozialen Fertigkeiten und Fä­higkeiten (soziale Kompetenz) hilft den jungen Menschen, in Schule, Ausbildung und später in der Berufswelt bestehen zu können.

Diese Grundfertigkeiten zu erweitern ist Ziel des Konflikttrai­ningskurses „Alles klar“, der in Schleswig-Holstein zur Zeit als Angebot besteht. In Ko­operation mit Schule, Jugendrichtern, Jugendamt, dem Hamburger Ver­ein ‚Gefangene helfen Ju­gendlichen’ und der Polizei Elmshorn wird die­ses Projekt seit Oktober 2006 in unregelmäßigen Abständen durch­geführt.

Hamburg, März 2008

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Ein paar einleitende Worte zum Anfang

1.1 Warum noch ein neuer Trainingskurs?

Diese Frage mag sich dem Leser zu recht stellen, zumal das Ange­bot auf dem Markt sehr groß ist.

Ich möchte versuchen zu erklären, was den Ausschlag zur Erstel­lung eines neuen Konzeptes gegeben hat. Dazu muss ich ein­tauchen in mein Arbeitsfeld. Als Diplom-Sozialarbeiterin leite ich seit 6 Jahren ein Kinder- und Jugendhaus, das sich in einem soge­nannten Brenn­punkt befindet. Kurse wie Anti-Ag­gressivitätstraining (AAT), Cool­ness-Training (CT), Konfronta­tives Soziales Training (KST) und Sozialer Trainingskurs (STK) sind unseren Jugendlichen nicht unbe­kannt und sind auch sinnvoll.

Viele „meiner“ Jugendlichen erfüllen nicht die Kriterien, um Teilneh­mer in einem dieser Kurse werden zu können. Ent­wicklungsdefizite, geringe Frustrationstoleranz, geringe soziale Kompetenz, Intoleranz und man­gelnder sprachlicher Ausdruck führen zu Aggressivität, die, Unberührbar­keit, Macht, Überle­genheit und vermeintlichen Respekt verschaffen soll. Um diese Defizite aufzuarbeiten, ist der Konflikt­trainingskurs (KonTAK) „Alles klar!“ im Bereich des niedrigschwelli­gen An­gebotes für die Jugend­hilfe entstanden.

1.2 Einzelne Trainingskurse – ein Abriss

Wie unterscheiden sich die einzelnen o.g. Trainingskurse von­einan­der und was ist anders am KonTAK? Mit einer Kurzvor­stellung der Trainings­kurse möchte ich die Unterschiede deutlich machen. In den Literatur­hinweisen finden Sie gezielte Hinweise auf Publikationen, in denen vertiefende Informatio­nen über die hier angesprochen Trai­ningskurse vorhanden sind.

1.2.1 Die Rahmenbedingungen von AAT / CT â

Das AAT ist primär bei der Justiz angesiedelt, das CT bei der Ju­gendhilfe und der Schule. Beide Trainingskurse sind beim Marken- und Patentamt geschützt. Die Trainerlizenz kann am Institut für So­zialarbeit und Sozial­pädagogik (ISS) in Frank­furt/M im Rahmen ei­ner berufsbegleitenden Zusatzausbildung erworben werden.

Beim AAT und CT handelt es sich um eine delikt- und defizit­spezifi­sche Behandlungsmaßnahme für gewaltbereite Mehr­fachtäter.

Folgende Charakteristika sind prägend für das AAT/CTâ (vgl. Weid­ner/Kilb 2006):

1. Das AAT ist im Bereich tertiärer Prävention, bei der Be­wäh­rungs- und Jugendgerichtshilfe, beim § 10 Ju­gend-ge­richtsge­setz[2] und im Strafvollzug anzusiedeln. Be­handlung unter Zwang wird als sekun­däre Ein­stiegsmotiva­tion akzeptiert. Diese soll durch Motivation und eine span­nende Trainings­gestaltung beim Pro­banden inner­halb von ca. 4 Wochen in eine primäre Teilnahmemotivation ge­wan­delt werden.
2. Das CT wird im Bereich der sekundären Prävention ange­wandt und setzt in Schule, Streetwork und Ju­gendhilfe auf freiwillige Teil­nahme.
3. Die Zielgruppe umfasst Menschen, die sich gerne und häu­fig schla­gen und Spaß an Gewalt zeigen, z.B. Hoo­ligans, Skin-Heads, schul- und stadtbekannte „Schlä­ger“. Sie müssen kog­nitiv und sprachlich dem Programm folgen können.
4. Die Gruppenleitung besteht i.d.R. aus zwei geisteswis­sen­schaft­lichen Hochschulabsolventen, davon einem mit qua­lifi­zierter AAT/CT-Zusatzausbildung incl. Selbst­erfahrung auf dem „heißen Stuhl“.
5. Der Trainingseinstieg betont die Motivationsarbeit durch Täter­gespräche und erlebnispädagogisches „Locken“, so­wie eine span­nende, konfrontative Ge­sprächsführung. Der zeit­liche Rahmen beträgt bei einer Gruppe von fünf Teil­nehmern ca. 60 Stunden.
6. Die Trainingsinhalte umfassen folgende Eckpfeiler: Ein­zel­inter­views, Analyse der Aggressivitätsauslöser und Ge­waltrechtfer­tigungen, Tatkonfrontation und Pro­voka­tions­tests auf dem heißen Stuhl, Opferbriefe, -filme, -auf­sätze zur Ein­massierung des Opfer­leids, Distanzierungsbrief an die gewalt­verherrlichende Cli­que.
7. Die Schlusssequenzen der Konfrontationssitzungen gilt es be­son­ders zu beachten: eine Nachbereitung mit den Ele­menten Ent­spannung und Reflexion ist unver­zichtbar.
8. AAT/CT folgen einem optimistischen Menschenbild: den Tä­ter mö­gen bei gleichzeitiger Ablehnung seiner Gewalt­bereit­schaft. (zitiert nach: Weidner/Kilb 2006: 23)

1.2.2 Konfrontatives Soziales Training (KST) â

Das Konfrontative Soziale Training (KST) ist eine deliktüber­grei­fende Be­handlungs­maß­nahme für deviante[3] Jugendliche, sowohl für verhal­tensauf­fällige Ersttäter als auch für wiederholt straffällige De­linquenten[4]. Es handelt sich hierbei nicht um ein spezifisches Anti-Gewalt-Training, sondern um eine Bearbei­tung von allgemein devi­anten Verhaltens­weisen von straffällig gewordenen Jugendlichen innerhalb einer Gruppe.

Rechtliche Grundlage für eine Teilnahme am KST ist eine Weisung nach § 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 JGG oder nach § 23 JGG[5].

Das KST ist geeignet für junge Menschen, bei denen eine Be­arbei­tung der defizitären Lebenslagen und Verhaltensweisen in einer Gruppe sinn­voll erscheint. Dabei spielt es weder eine Rolle, welchen Geschlechts sie sind noch ob sie ihre Strafta­ten alleine oder in der Gruppe begangen haben.

Die Zielgruppe umfasst:

- Jugendliche mit fehlendem Unrechtsbewusstsein
- Jugendliche, die in defizitären Familienzusammenhän­gen auf­wach­sen
- Jugendliche mit fehlender Zukunftsperspektive
- Jugendliche, die Probleme in lebenspraktischen Be­reichen ha­ben

Unabdingbar für ein erfolgreiches Training ist, wie bei allen Trai­nings­programmen, ein optimistisches Menschenbild, wel­ches von Respekt vor der Persönlichkeit der Teilnehmer bei gleichzeitiger massiver Ablehnung ihres abweichenden Ver­haltens gekennzeich­net ist.

Ein zentrales Mittel im Konfrontativen Sozialen Training ist der Ein­satz der „Konfrontativen Feedback-Runde“. Die „Konfron­tative Feed­back-Runde“ im Konfrontativen Sozialen Training verfolgt fol­gende Ziele :

- Herausfinden der Tatmotivation
- Bewusstmachung der eigenen Verantwortung bezüg­lich der Ta­ten
- Konfrontation mit Handlungsalternativen zu abweichen­den Ver­hal­tensweisen
- Bewusstmachung der eigenen Verantwortung in Bezug auf die eigene Lebenssituation
- Verstärkung der vorhandenen Positivmerkmale der Teil­neh­mer

Der Konfrontative Soziale Trainingskurs erstreckt sich über die Dauer von 24 Sitzungen, die einmal pro Woche stattfinden und auf mindestens 3 Stunden angesetzt sind. Das Kurs­programm gliedert sich in 4 Phasen, wobei die Länge der einzelnen Pha­sen abhängig ist von der Zusammen­setzung der Gruppe und der individuellen Be­findlichkeit der Teilnehmer. Für jede Phase wurde ein spezielles An­gebot entwickelt, welches abge­arbeitet werden muss.

1.2.3 Sozialer Trainingskurs (STK)

Der STK richtet sich an der Lebenswelt der Jugendlichen aus. In Schule, Beruf, Elternhaus, aber auch im Freundeskreis werden Ju­gendliche täg­lich mit ihrem Umfeld konfrontiert und kommen dabei immer wieder an ihre Grenzen. Bei vielen Ju­gendlichen führt dies zu einer Überforderung; sie werden straffällig und kommen mit der Jus­tiz in Kontakt.

Der Soziale Trainingskurs orientiert sich an Inhalten des Cool­ness -Trai­ning® von Reiner Gall und der konfrontativen Päda­gogik; er ba­siert auf der Grundlage:

Akzeptanz + Konfrontation = soziale Entwicklung

Ziel: den Jugendlichen soll die Integration in die Gesellschaft und ein Le­ben ohne Kriminalität ermöglicht werden. D.h.: Er­lernen von Re­geln und Normen und deren Einhalten, vor­schauendes Handeln einüben, Re­flexionsfähigkeit verbessern, Übernahme von Verant­wortung, Stärkung des Selbstbewusst­seins, Aufdecken von Recht­fertigungsverhalten für kriminelle Handlungen, Konfliktlösungsstrate­gien erlernen etc. Auch hier: nicht die Person wird abgelehnt, son­dern ihr Handeln und Verhalten

Rahmenbedingungen:

- Der STK richtet sich an delinquent gewordene Jugend­liche und junge Erwachsene ab 14 Jahren, die über den § 10 Ziffer 6 Ju­gendgerichtsgesetz vom Ju­gendrichter dem Sozi­alen Trainings­kurs zugewiesen werden. Der STK soll eine Alterna­tive zu Arbeitsaufla­gen, Geldstrafen und dem Ju­gendarrest sein
- Zur Zielgruppe gehören sowohl Erst- als auch Wieder­holungs­täter. Der Kurs ist vorgesehen für junge Men­schen, deren Kriminalität im unteren oder mittleren Be­reich liegt und die Entwicklungsdefizite und/oder Schwierig­keiten im sozialen Umfeld haben
- Der STK wird von zwei Diplom-Sozialpädagogen durch­ge­führt, wo­von einer eine Zusatzqualifikation zum Coolnesstrai­ner© absol­viert hat
- Die maximale Teilnehmerzahl beträgt 10 Teilnehmer
- 10 mehrstündige (ca. 3 Stunden) Treffen müssen stattfin­den. Zusätz­lich wird ein Intensivtreffen durch­geführt

Der STK wird als Mischform aus handlungs-, erlebnis-, the­men- und frei­zeitorientiertem Arbeitsansatz durchgeführt. Im Sozialen Trai­ningskurs werden Themen wie Familie, Schule, Freizeit, Partner­schaft, Gewalt, Al­kohol/Drogen usw. aufge­griffen.

Angewandte Methoden sind Interaktionsspiele, Körper- und Wahr­neh­mungsübungen, Videoarbeit, Rollenspiele und Ge­spräche.

1.3 Konflikttrainingskurs „Alles klar!“

Ich möchte noch einmal auf die Fragestellung „1.1 Warum noch ein neuer Trainingskurs?“ zu sprechen kommen.

Wir setzen mit unserem Training früher an als das Anti-Ag­gressivi­tätstrai­ning (AAT), das Coolness-Training, das Kon­frontative Soziale Training (KST) und der Soziale Trainingskurs (STK). Wir möchten Jugendliche soweit stärken, dass eine Weisung des Gerichtes nicht mehr nötig sein wird.

Wir setzen später an als die Präventionskurse für Grundschü­ler und bauen hier auf die eigene Einsicht, sich diesem Kurs zu stellen.

Wir sehen uns als Ergänzung zu den bereits existierenden Hand­lungs­konzepten.

Der Trainingskurs richtet sich an Kinder und Jugendliche, die Defi­zite im verbalen Ausdruck haben. Er richtet sich an Kinder und Ju­gend­liche, die nur geringe Konfliktlösungsstrategien aufbauen können. Er richtet sich an Kinder und Jugendliche, denen konzent­riertes Zuhö­ren enorm schwer fällt. Dieses Klientel wird durch die skizzierten Trainingskurse nicht abge­deckt, ist aber dennoch vor­handen.

Ziel des Trainings ist die Erweiterung der vorhandenen Kom­munika­tion.

Kommunikative Grundfertigkeiten sind wichtig, um Konflikte zu ver­mei­den. Sie sind auch wichtig, um Konflikte anders auszu­tragen als mit Ag­gression, Gewalt oder Rückzug. Konflikt- und Kommunika­tionsfähigkeit, Teamarbeit und eigenverantwort­liches Handeln sind Erfahrungen, die das Leben prägen. Die Vermittlung von sozialen Fertigkeiten und Fähigkeiten (soziale Kompetenz) hilft den jungen Menschen, um in Schule, Ausbil­dung und später in der Berufswelt bestehen zu können.

Dabei richtet sich der Konflikttrainingskurs „Alles klar!“ an der Le­benswelt der Jugendlichen aus, denn gerade hier kommen diese immer wieder an ihre Grenzen. In Schule, im Elternhaus wie auch im Freundeskreis sind Jugendliche mit ihrem Umfeld täglich kon­fron­tiert.

Eine Weisung nach § 10 JGG gibt es bei uns nicht. Die Teil­nehmer kom­men freiwillig, werden durch Eltern direkt ange­meldet oder sind von Schulen benannt. Eine Zusammenarbeit mit Jugendamt, Schule, Eltern­haus, Polizei und Jugendrichter ist unerlässlich und ge­wünscht.

Wir bauen auf Freiwilligkeit als ersten Schritt zur Veränderung. D.h. wir wollen Jugendliche motivieren, am Kurs teilzunehmen. Ob nun Neugier oder Abenteuerlust die Triebfeder zur Teil­nahme sein wird, ist unerheb­lich. Die Idee, ein für Jugendliche freiwilliges Konflikttrai­ning in Form eines täglich stattfindenden Kurses durchzuführen, ba­siert auf der Erfahrung, dass Bin­dungsarbeit und damit einhergehend Empathie eine Ver­trauensbasis entstehen lässt, die genutzt werden kann, soziale Kom­petenzen zu vermitteln.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Photo: KT-Gruppe vom Oktober 07 vor Santa-Fu

1.4 Zum Aufbau dieser Schrift:

Das Kapitel 2 befasst sich mit der Wichtigkeit von Empathie und Empa­thieerfahrung, stellt die Zielsetzung, die Zielgruppe und eine kurze Ab­laufskizze dar.

Das Folgekapitel widmet sich der Theorie, auf die nicht ver­zichtet werden kann. Dabei habe ich weitestgehend auf Fach­vokabular ver­zichtet, um die Flüssigkeit des Textes zu erhalten.

Die Praxis, exemplarisch dargestellt an einem stattgefundenen Trai­nings­kurs, findet sich in Kapitel 4 ebenso wieder.

Das 6. Kapitel ist dem Kurstagebuch gewidmet.

Alle Photos von Jugendlichen sind zum Schutz der Persön­lichkeits­rechte der Teilnehmer unkenntlich gemacht. Photos ohne Quellen­angabe sind Bilder, die von der Autorin selbst gemacht worden sind.

2 Zielsetzung des Konflikttrainings

2.1 Empathieerfahrung: Grundlage für den Trainingskurs

Das Konflikttraining wird, wie die bereits genannten Trai­ningspro­gramme auch, getragen von einem optimistischen Menschenbild. Den Menschen zu mögen, mit seinem Handeln aber nicht einver­standen zu sein, sind keine Widersprüche. Dieses zu vermitteln ist Aufgabe des Trainers.

Die Empathieerfahrung hat im Trainingskurs eine zentrale Be­deu­tung. Das Gefühl, nicht gemocht zu werden, kann neben Rückzugs- und Fluchttendenzen auch gesteigerte Aggressivi­tät und Gewaltakte bedin­gen: „Wenn andere Angst vor mir haben, akzeptieren sie mich mehr. Sie mögen mich, weil ich stark bin“. Sprüche wie diese hören wir oft in unse­rer Arbeit mit Jugendlichen. Empathie wird auf diese Art und Weise ein­gefordert; sie wird erzwungen und, das ist die Zwickmühle, die Jugend­lichen wissen, dass diese Empathie nicht authentisch ist. Gerade deswe­gen müssen sie sich und der Gruppe immer wieder beweisen, wie „cool“ sie sind. Dieser Druck führt zu einer schnelleren und höheren Er­regung, die erhebliche Ein­schrän­kungen der kognitiven Fähigkeiten be­wirken. Dadurch vermindern sich die Problemlösungskompetenz und die Kom­munikationsfähig­keit. Im Konfliktfall wird dann, wenn über­haupt, ein­seitig und ein­dimensional gedacht. Oft kommt nur noch eine Lösung in Be­tracht.

Dieses eindimensionale Denken trägt sich nicht nur in die Gruppe Gleich­altriger. Da Kritik gleichgesetzt wird mit Ableh­nung, werden weitere Grup­pen wie Schule, Jugendhäuser, z.T. auch das Eltern­haus durch die Jugendlichen unter dieser Prämisse bewertet. Die Folgen sind „Einbil­dungen“ wie „meine Eltern mögen mich nicht“, „der Lehrer mag mich nicht“ und die „Sozialarbeiter mögen mich auch nicht“. Empathie wird nicht mehr zugelassen.

2.2 Zielsetzung

Diesem eindimensionalen Denken und den reduzierten Kon­flikt­lösungs­strategien entgegenzuwirken ist Ziel des Konflikt­trainings. Die Jugend­lichen sollen die Erfahrung machen, dass sie gemocht werden, ihr Han­deln aber kritisch hinterfragt oder gänzlich abgelehnt wird, ohne dass sie diese Kritik mit „Lie­besentzug“ gleichsetzen.

Damit die Jugendlichen diese Empathieerfahrung machen und sich auf Bindungsarbeit einlassen können, findet dieser Kurs in einer zeitlich dichten Abfolge statt: täglich 2 Stunden, 8 Tage in Folge, das Wochen­ende ausgenommen. Der Ab­schluss wird mit einem gemein­samen Wochenende „gekrönt“.

Neben der Empathieerfahrung sind die Ziele des Konflikttrai­nings u.a.:

- Stärkung von Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl
- Stärkung der sozialen Kompetenz
- Zivilcourage
- Grenzsetzungen erkennen und annehmen sowie eigene Gren­zen setzen
- Stärkung der Eigenmotivation
- Erhöhung der Frustrationstoleranz
- Erkennen von Veränderungswünschen
- Bewusstmachung positiver und negativer Handlungsfol­gen
- Entwicklung von Handlungsalternativen
- Teamfähigkeit

Während des Kurses wird von den Jugendlichen ein Photo-Tage­buch geführt. Die aufgenommen Situationen dienen der Unterstüt­zung und Verstärkung des Erlernten.

2.3 Zielgruppe

Das Konflikttraining richtet sich an Kinder und Jugendliche ab 8 Jah­ren, vorrangig an Schüler von Förder- und Hauptschulen, bei denen erkenn­bar ist, dass Probleme im Bereich der Kon­fliktlösungsmög­lichkeit vorhan­den sind.

Es richtet sich an die Zielgruppe der „Benachteiligten“, also an Schulver­sager, Schulverweigerer, Migranten mit unzu­reichenden Sprachkennt­nissen, Jugendliche mit abweichen­dem Sozialverhalten. Es richtet sich auch an deviante und delinquente Jugendliche, die noch nicht strafrecht­lich zu be­langen sind.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Photo: KT-Gruppe, Januar 2007

Und es richtet sich an Kinder und Jugendliche, die Schwierig­keiten ha­ben, sich zu konzentrieren. Während die meisten Programme über das gesprochene und geschriebene Wort Bewusstseinsveränderun­gen her­beiführen, greifen wir auf bildliche Darstellungen zurück. Wir arbeiten in zeitlich kurzen Phasen, die für unsere Zielgruppe über­schaubar bleiben, ha­ben kurze Aktivphasen eingebaut (Kickerspiel, Tobezeit, etc) und er­arbeiten uns damit nicht nur einen intensiveren Grup­penzusammenhalt, sondern lernen auch, schnell umzuschal­ten zwischen Lern- und Spiel­si­tuationen, d.h. stoppen zu können und weiterzuarbeiten.

Für die Dauer des Kurses verlängern wir langsam die Phasen der Kon­zentration.

Wichtig ist, die Trennung in verschiedene Jahrgänge anzu­streben, um altersspezifische Konflikte und Lösungsstrategien zum Thema machen zu können. Auch die Trennung von weib­lichen und männ­lichen Jugendlichen ist nötig, da neben den Unsicherheiten gegen­über dem anderen Ge­schlecht unter­schiedliche Konflikte zu bearbeiten sind.

2.4 Unterschiedliche Ehrbegriffe

Der Ehrbegriff ist für das Konflikttraining von zentraler Bedeu­tung, gerade vor dem Hintergrund, dass Jugendliche aus dem muslimi­schen Kultur­kreis teilnehmen.

Was ist das, die Ehre?

Was ist gemeint, wenn Jugendliche sagen: „Wenn jemand Huren­sohn zu mir sagt, schlage ich zu, weil er meine Mutter beleidigt und ich ihre Ehre verteidige“ (A.B., 17 Jahre, Januar 2007)

Für das Konflikttraining bleibt es unerlässlich, sich mit dem Ehrbegriff auseinander zusetzen, um o.g. Aussage zu verste­hen und den Ju­gend­lichen für andere Sichtweisen zu öffnen.

„Wenn jemand mich provozieren will und Hurensohn zu mir sagt, dann gebe ich ihm recht, wenn ich zuschlage ... Wenn ich aber nicht reagiere, zeigt das doch, dass meine Mutter keine Hure ist ... Ich fühle mich nicht angesprochen“ (A.Y., 16 Jahre, Januar 2007)

2.4.1 Versuch einer allgemeingültigen Definition

Arthur Schopenhauer:

„Die Ehre ist, objektiv, die Meinung anderer von unserem Wert und, sub­jektiv, unsere Furcht vor dieser Meinung.“

Die Definition im Duden-Bedeutungswörterbuch liest sich wie folgt:

„1. äußeres Ansehen, Geachtetsein durch andere [und dessen Aus­druck in einer besonderen Auszeichnung], Anerkennung ...
2. innerer Wert, persönliche Würde ...“

Ehre ist laut Brockhaus-Lexikon „auf der Selbstachtung beru­hende, daher unverzichtbar erlebte Achtung, die der Mensch von seinen Mitmenschen beansprucht. Als innere auf dem Bewusstsein der eigenen Unbeschol­tenheit begründete Hal­tung, die sich auch durch äußere Missachtung und Verun­glimpfung nicht angefochten fühlt, kann „Ehre“ zu einem rein sitt­lichen Begriff werden. Meist überwiegt jedoch die äußer­liche Seite; die Ehre haftet nicht so sehr am persön­lichen Wert des Menschen als an sei­ner Stellung in der Gesellschaft. (Der große Brockhaus Lexikon, Bd. 3, S. 43)

Und jetzt bin ich wieder bei der ursprünglichen Frage: was ist Ehre?

Es gibt viele Vorstellungen von Ehre, einige individuell, andere gesell­schaftlich getragen. Für mich persönlich ist Ehre ein Prozess und keine Sache, die wir einfach besitzen können, weil sie uns kultu­rell zugewiesen wurde. Niemand hat Ehre einfach so. Universitäts­grade, Titel, Prestige, Rang, Klasse, diese Kriterien sind unerheblich für die Ehre; sie kann daran nicht gemessen werden.

Jeder hat sich seine eigene Ehre zu erarbeiten durch z.B. das sorg­fältige Abwägen von Konsequenzen seines Handelns. Sie hat mit Werten zu tun und vertieft deren Bedeutung. Sie muss erarbeitet werden und dies hat viel mit persönlicher Motivation, Begründungen und Kontext zu tun. Des­halb gibt es keine, für alle gültige, Definition von Ehre.

Dennoch ist es nötig, sich das Konzept der Ehre in den unter­schied­lichen Kulturkreisen einmal genauer zu betrachten.

2.4.2 Geschichtliche Betrachtung

„Der Ehrenkodex ist ein Überbleibsel aus der Gesinnung der Feu­dalzeit, d.h. aus der Epoche eines fehlenden oder schwach ent­wickelten Feudal­staates“, führt Prof. Dr. Erçin Kürşat aus (Kürşat 2002). „Der Ehrenkodex ist ein Relikt des Kriegerkodexes, der Selbstverteidigungsinstitutionen, Selbst­hilfe und Selbstjustiz aber auch Gewalt und Übergriffe gegen den Schwächeren rechtfertigen, wo das staatliche Gewaltmo­nopol nicht greift“. (ebd.)

In dem Begriff „ere“ (Mittelhochdeutsch) und „era“ (Althoch­deutsch) stecken die Bedeutungen Ansehen, Anerkennung und Erfolg. Zu den Verpflichtungen des Lehnsmannes und der Feudalherrscher gehör­ten Achtung, Schutz, Ansehen und Be­sitz, die sie zu verteidigen hatten.

„Männliche Ehre hat stets mit Demonstration, Kampf und Wettbe­werb, vor allem mit der Reputation und dem Ruhm eines Mannes zu tun, der fähig ist, seinen Besitz und seine Frauen gegen Übergriffe anderer Män­ner zu schützen“. (Kürşat 2002) “Für Frauen baut es auf Keuschheit, sexueller Reinheit, Zurückgezogenheit, Gehorsamkeit und Unter-legenheit der Frau gegenüber dem Mann auf.” (ebd.)

Die Grundzüge des Ehrenkodexes, die Zuschreibung der männlichen und weiblichen Ehreigenschaften findet man quer durch die Geschichte und Regionen. Sie sind erstaunlich ähnlich. Verändert haben sie sich durch die Befriedung der Gesellschaften, einhergehend mit einer Veränderung des Normen- und Wertesystems. In Europa wurde die Solidarhaftung durch Zunahme der Individualisierung immer geringer. Wurde die Ehre einer Frau oder des Mannes selbst beleidigt, forderte man den „Ehrbeschmut­zer“ zu einem Duell. Selbst dieses ist bereits individualisiertes Han­deln, denn die Gruppe als Gemeinschaft war nicht mehr zum Handeln ver­pflichtet; es war eine Privatangelegenheit des Mannes.

Durch die Emanzipierung der Frau veränderte sich das Werte- und Normensystem weiter. Die mit der Ehre verhafteten Eigenschaften für Männer und Frauen verloren im Laufe der Zeit ihre Wertigkeit.[6]

2.4.3 Ehre im westlichen Kulturkreis heute

Eine Definition von Ehre ist nicht einfach, berücksichtigt man unsere wechselvolle Geschichte und damit einhergehend Ver­änderungen im so­zialen, historischen und philosophischen Kontext. Wer sich inten­siver mit diesem Thema beschäftigen möchte, sei auf die Publikation von Knut Amelung (s. Litera­turverzeichnis) verwiesen. An dieser Stelle kann ich nur einen kleinen Abriss zum Begriff „Ehre“ erstellen.

Den Ehrbegriff als normativen Begriff findet man im Strafge­setzbuch 14. Abschnitt „Beleidigungen“. Unter § 187 StGB „Verleumdungen“ liest man „Wer ... in Beziehungen auf einen anderen eine unwahre Tatsache be­hauptet oder verbreitet, welche denselbigen zu machen oder in der öffentlichen Mei­nung herzuwürdigen oder dessen Kredit zu gefährden geeig­net ist, wird mit Freiheitsstrafe bestraft“. Dies ist zwar keine Erklä­rung für den Begriff Ehre, aber dem Menschen wird aus der Ehre heraus ein Anspruch auf Achtung der Person (in­ne­ren Ehre) zugesprochen.

Nach Amelung kann zwischen innerer und äußerer Ehre un­terschie­den werden. Die innere Ehre baut auch den Wert der Person selbst auf, auf dessen Selbstachtung. Die äußere Ehre korrespondiert mit den Erwar­tungen Dritter. (vgl. Amelung 2002: 23ff).

Diese äußere Ehre (Element personaler Entfaltung) kann durch den Trä­ger selber durch eigenes ehrverletzendes Ver­halten wie auch durch Dritte (siehe StGB) berührt werden. Die innere Ehre kann von außen nicht an­getastet werden, sondern wird nur durch die Hand­lungen des Trägers selber berührt. (vgl. Amelung 2002: 58).

Das heißt:

Die Ehre (innere) ist abhängig vom Verhalten des Trägers. Er kann sie nur durch seine eigenen Handlungen (unehrenhaftes Verhalten) verlieren. Und dies macht den Unterschied zum muslimischen Kul­turkreis aus. In westlichen Kulturen ist die Ehre individualisiert und wird nur vom „Ehrträ­ger“, nicht aber von Verwandten oder Gemein­schaften bestimmt. Sie ist eine persönliche Eigenschaft.

2.4.4 Ehre im muslimischen Kulturkreis

Ebenso wie es viele unterschiedliche christliche Kulturen gibt, gibt es un­terschiedliche muslimische Kulturen.

Während in den westlichen Kulturen eine Individualisierung der Ehre stattgefunden hat, ist dies im muslimischen Kultur­kreis nicht zu fin­den. Ehre ist hier „ein Verhalten, das den Zwecken der Gruppe dient. ... Durch die persönliche Pflicht zur Bewahrung der Ehre werden gesellschaftliche und individuelle Interessen miteinander verbunden“. (Erçin Kürşat 2002). Das Gefühl der Zugehörigkeit zu Gruppen und Gemeinschaften ist we­sentlich stärker ausgeprägt als in den Län­dern, die zum westlichen Kul­turkreis zählen.

Den Begriff der Kleinfamilie gibt es in beiden Kulturkreisen. Was aber bei uns als erweiterter Familienkreis angesehen wird, gilt im muslimischen Kulturkreis als Großfamilie. Dazu zählen die Großel­tern, Großtanten und –onkel, Cousins und Großcousins usw. Die Bedeutung der Familie ist ex­trem aus­geprägt. Für die Frauen ist es Lebensaufgabe, in Pflichterfül­lung gegenüber ihrer Familie und ihren Kindern aufzugehen. Dabei hat sie ihre eigenen Interessen zurück­zustellen. Die Kinder haben sich unterzuord­nen, nicht den Familien­interes­sen entgegenzuwirken und ihre Eltern zu unterstützen, sobald sie dazu in der Lage sind. In diesem Familiengefüge hat jedes Mit­glied eine klar zugewiesene Aufgabe. So entsteht ein nach klaren Regeln strukturiertes gesellschaftliches Gefüge, in dem jeder sei­nen Platz zugewiesen bekommen hat; anders als im westlichen Kultur­kreis, wo die gesellschaftliche Rolle weitest­gehend individuell be­stimmt ist.

Der Ehrenkodex schafft die Bindung und Verpflichtung zwi­schen den ein­zelnen Familienmitgliedern und Gruppen bzw. Gleichgesinnten. Je stär­ker der Überlebenskampf einer Gruppe ist, desto stärker ist auch die Bedeutung der Ehre. Und „je schwächer die Wirkung der Zentralmacht auf Überle­benschancen, Sicherheit und Lebensstan­dard der Menschen, desto stärker ist die Bindung an primordiale Gruppen wie Großfami­lien/Sippen, die als wehrhafte Schutzgruppen fungie­ren.“ (Erçin Kürşat 2002).

Die Ehre hat immer einen Bezug zur familiären Gemeinschaft. Der Ver­lust der Ehre eines Mitgliedes der familiären Gemein­schaft zieht immer den Ehrverlust für die gesamte Gemein­schaft nach. „Unter­suchungen in der Türkei haben ergeben, dass Männer bzw. Väter und Brüder von als ehrlos abgestem­pelten Frauen, Töchtern oder Schwestern viel häufiger ange­griffen und in Querelen hineingezogen werden als ehrbare Männer. Denn nach dem Ehrenkanon gelten sie selbst als ehrlos, weil sie die Frauen nicht schützen und überwachen konnten. Frauen mit verletzter Ehre leben mit einem ständigen Ri­siko sexueller Belästigung und Gewalt durch fremde Män­ner.“ (Erçin Kürşat 2002).

Auf die Rolle der Frau und der Rolle des Mannes möchte ich an dieser Stelle nicht genauer eingehen, da es den Rahmen der Arbeit sprengen würde. Im Grunde gelten die gleichen Zuschreibungen, wie unter dem Punkt „geschichtliche Be­trachtung“ schon benannt.

[...]


[1] Ich wollte, es gäbe gar kein Alter zwischen zehn und dreiundzwanzig, oder die jungen Leute verschliefen die ganze Zeit: denn dazwischen ist nichts, als den Dirnen Kinder schaffen, die Alten ärgern, stehlen, balgen.

[2] Der Paragraph 10 des Jugendgerichtsgesetz (JGG) enthält einen Weisungskatalog für straffällig gewordene Jugendliche. § 10 (1) JGG: „Weisungen sind Gebote und Verbote, welche die Lebensführung des Jugendlichen regeln und dadurch seine Erziehung fördern und sichern sollen. Dabei dürfen an die Lebensführung des Jugendlichen keine unzumutbaren Anforderungen gesellt werden...“ Der Richter kann dem Jugendlichen insbesondere auferlegen, „an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen ...“ (§ 10 (1) Nr. 6)

[3] Mit Devianz oder abweichendem Verhalten wird in der Soziologie und in der Sozialen Arbeit die Abweichung von allgemeinen gültigen Normen und Wertvorstellungen bezeichnet. Die Bezeichnung eines Verhaltens als deviant ist immer mit einem Werturteil verbunden.

[4] Delinquent ist eine insbesondere in der Kriminologie verwendete Bezeichnung für einen Straftäter. Der Begriff hebt i.d.R. eher auf soziologische als auf juristische Aspekte der Kriminalität ab. Der Ausdruck ist häufig im Kontext der Jugendkriminalität anzutreffen und hat auch Eingang in die Verwaltungssprache gefunden. Insbesondere für strafunmündige Kinder, die eine strafrechtlich relevante Verfehlung begangen haben, aber nicht im vollen Sinn als „Straftäter“ bezeichnet werden können, bietet sich diese Bezeichnung an. Eine Stigmatisierung und Kriminalisierung der Betroffenen soll so vorgebeugt werden.

[5] Während sich der 2. Abschnitt des JGG Erziehungsmaßregeln enthält (hier ist auch der § 10 JGG eingeordnet), beschäftigt sich der 5. Abschnitt des JGG mit der Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung. Hier ist der § 23 JGG eingeordnet, der Auflagen und Weisungen regelt und in Verbindung mit § 10 JGG die Art der Weisung regelt.

[6] Wer mehr über die geschichtliche Entwicklung der Ehre wissen möchte, dem kann ich den Aufsatz von Prof. Dr. Erçin Kürşat empfehlen.

Ende der Leseprobe aus 152 Seiten

Details

Titel
Konflikttraining „Alles klar!“ - Ein Präventionskurs zur Verhinderung von Jugendgewalt
Untertitel
Ein Trainingskurs für Kinder und Jugendliche im Rahmen des niedrigschwelligen Angebotes in der Jugendarbeit
Autor
Jahr
2008
Seiten
152
Katalognummer
V89932
ISBN (eBook)
9783638030182
ISBN (Buch)
9783638928045
Dateigröße
7566 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Konflikttraining, Trainingskurs, Kinder, Jugendliche, Rahmen, Angebotes, Jugendarbeit
Arbeit zitieren
Ulrike-Anna Kindler (Autor:in), 2008, Konflikttraining „Alles klar!“ - Ein Präventionskurs zur Verhinderung von Jugendgewalt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89932

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