Frauenerwerbstätigkeit in Spanien - Was kommt nach den "supermujeres"?


Magisterarbeit, 2007

83 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Frauenerwerbstätigkeit in Spanien im europäischen Vergleich
2.1 Frauenbeschäftigung, Arbeitslosigkeit und ökonomische Inaktivität
2.2 Arbeitszeitregimes
2.3 Frauenerwerbsverlaufskurven
2.4 Zusammenfassung

3. Das ‚ adult worker ’-Modell als Modell für Europa
3.1 Frauenerwerbstätigkeit in der Europäischen Beschäftigungsstrategie
3.2 Die Nachhaltigkeit sozialer Sicherungssysteme
3.3 Beschäftigungswachstum und steigende Geburtenraten
3.4 Vermeidung von Kinder- und Familienarmut
3.5 Zusammenfassung

4. Spaniens Wohlfahrtsstaat und das Verschwinden der ‚supermujeres’
4.1 Bildung
4.1.1 Bildungsgrad und Frauenbeschäftigungsquoten
4.1.2 Eine Frage des Alters
4.1.3 Zusammenfassung
4.2 Die geschlechtsspezifische Segregation des Arbeitsmarktes
4.2.1 Die vierfache Segmentierung des spanischen Arbeitsmarktes
4.2.2 Die sektorale und berufsspezifische Segregation
4.2.3 Zusammenfassung
4.3 Frauenerwerbstätigkeit und Wohlfahrtsstaat
4.3.1 ‚Defamilisierung’ als Schlüssel zur Frauenerwerbstätigkeit
4.3.2 Frauenerwerbstätigkeit aus wohlfahrtsstaatstheoretischer Perspektive
4.3.3 Der spanische Wohlfahrtsstaat: ‚ rudimentär ’ und familistisch
4.3.4 Zusammenfassung
4.4 Vereinbarkeitsproblematiken im spanischen Wohlfahrtsstaat
4.4.1 Kinderbetreuungsmöglichkeiten und flexible Arbeitszeiten
4.4.2 Mutterschafts-, Vaterschafts- und Elternurlaub
4.4.3 Steuern und finanzielle Leistungen
4.4.4 Zusammenfassung
4.5. Kultur und Frauenerwerbstätigkeit
4.5.1 Soziale Normen und Leitbilder
4.5.2 Geschlechterkultur in Spanien
4.5.3 Zusammenfassung

5. Todavía son ‚supermujeres’?

Literaturverzeichnis:

1. Einleitung

Die Erwerbstätigkeit von Frauen ist in den letzten Dekaden nicht nur zunehmend zur sozialen Realität geworden, sondern gilt mittlerweile als strategisches Schlüsselelement für das Gleichgewicht postindustrieller Wohlfahrtsstaaten (Esping-Andersen et al. 2002). So sollen Frauen mit ihrer Erwerbstätigkeit dazu beitragen, soziale Ausgrenzung zu verringern, das wirtschaftliche Wachstum zu steigern und die Gesamtbeschäftigtenzahlen zu erhöhen (EC 2000a). Angesichts dieser wichtigen Funktionen hat die Europäische Union (EU) ihre Mitgliedstaaten aufgefordert, Müttern bis 2010 ein ausreichendes Kinderbetreuungsangebot zur Verfügung zu stellen und auch sonstige Hemmnisse zu beseitigen, die einer höheren Erwerbsbeteiligung von Frauen entgegenstehen (EC 2001). Seitens der EU wird damit seit wenigen Jahren ein Leitbild vertreten, dass Annesley (2007) als ein „Europe-wide‚ adult worker model“ mit schwedischen Charakteristika identifiziert hat.

Tatsächlich lohnt sich beim Thema Frauenerwerbstätigkeit ein Blick nach Skandinavien, wo mit Dänemark, Finnland und Schweden die Länder mit den höchsten Frauenbeschäftigungsquoten vereint sind (Eurostat 2007). In dieser Arbeit allerdings steht ein Land im Fokus, das über das Geographische hinaus besonders weit von Skandinavien entfernt ist: Spanien. Denn Spanien zählt traditionell zu den EU-Mitgliedstaaten mit einer der niedrigsten Frauenbeschäftigungsquoten und ist nach Esping-Andersen (2002) ein „worst case benchmark“ (ebenda: 60), was die Teilhabe von Frauen am Erwerbsleben betrifft. Esping-Andersens’ Verdikt wird dadurch unterstützt, dass erwerbstätige Frauen in Spanien oftmals ‚supermujeres’ sein müssen, wollen sie Familie und Beruf miteinander vereinbaren. Dass ihre Töchter weniger ‚super’, dafür aber mehr ‚individualista’ sein wollen, kündigt jedoch an, dass der Typus der ‚supermujeres’ bald der Vergangenheit angehören wird (Moreno 2004).

Die Frage, die sich daraus ableiten lässt, ist, wer die Nachfolge der ‚supermujeres’ antreten wird. Einen Ansatz zur Beantwortung der Frage, bietet die Auseinandersetzung mit der Situation der spanischen Frauen am Arbeitsmarkt. Denn sollen auch sie in Zukunft als „society’s welfare maximizers“ (Esping-Andersen 2003: 603) fungieren, d.h. sowohl Mütter als auch erwerbstätig sein, wird viel von den institutionellen Rahmenbedingungen abhängig sein. Doch die institutionellen Rahmenbedingungen können nicht außerhalb des kulturellen Kontextes und unter Berücksichtigung historischer Pfadabhängigkeiten betrachtet werden (Pfau-Effinger 1998). Schließlich steht zu erwarten, dass ein schwedisch geprägtes ‚adult worker’-Modell im spanischen Wohlfahrtsstaat auf unterschiedliche Widerstände stößt.

Welche Divergenzen zwischen Schweden und Spanien bestehen, ist deshalb auch die implizite Begleitfrage im beschreibenden Teil der Arbeit. Dessen erster Abschnitt widmet sich dabei der präzisen Verortung der spanischen Frauenerwerbstätigkeit in den europäischen Kontext unter Berücksichtigung der gängigen ‚gendersensiblen’ Kriterien. Neben den Frauenbeschäftigungsquoten sollen dementsprechend auch das Erwerbsvolumen und die Erwerbskontinuität betrachtet werden. Im zweiten Abschnitt werden alsdann die Argumente und Strategien der EU und der Architekten eines ‚New Welfare State’ (Esping-Andersen 2002) mit Bezug auf die Erwerbstätigkeit von Frauen dargelegt.

Der Hauptteil der Arbeit befasst sich daran anschließend mit den Determinanten weiblicher Erwerbstätigkeit in Spanien. Hierzu werden vier verschiedene Thesen formuliert: Erstens eine Bildungshypothese, als humankapitalistische Komponente; zweitens eine These zur geschlechtsspezifischen Segregation des Arbeitsmarktes; drittens ausgehend von einer vergleichenden Analyse des spanischen Wohlfahrtsstaatsregimes , eine These zur spanischen Familienpolitik im Zusammenhang mit einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf und viertens eine These zur Geschlechterkultur und der Versuch, sie in Beziehung mit den institutionellen Rahmenbedingungen zu setzen. Die Ergebnisse der einzelnen Untersuchungen werden abschließend zu einem Erklärungsansatz verdichtet und lose miteinander verknüpft. Soweit möglich, wird zudem eine vorsichtige Antwort auf die Frage gewagt: Was kommt nach den ‚supermujeres’? a

2. Frauenerwerbstätigkeit in Spanien im europäischen Vergleich

Einen wichtigen Indikator zur Beschreibung und zum Vergleich der Arbeitsmarktpartizipation von Frauen stellt ihr ökonomischer Status dar. Dieser wird in offiziellen Dokumenten meist in Form von absoluten Beschäftigungsquoten oder anhand von Partizipations- oder Aktivitätsraten zum Ausdruck gebracht (OECD 2001, 2002; KOM 2005, 2006; MTA und INE 2006). Erstere messen dabei den Anteil der erwerbstätigen Frauen im Alter von 15 bis 64 Jahren an der Gesamtzahl dieser Altersgruppe, während letztere darüber hinaus den Anteil der als arbeitslos gemeldeten Frauen mit einbeziehen. Anders als bei der Beschreibung der Arbeitsmarktintegration von Männern reicht es indes nicht aus, lediglich zu fragen, ob Frauen am Erwerbsleben partizipieren oder nicht (Rubery et al. 1998; Daly und Rake 2003). Vielmehr gilt es, die strukturellen Besonderheiten weiblicher Beschäftigungsmuster zu berücksichtigen, wie z.B. das Erwerbsvolumen oder die Erwerbskontinuität (Blossfeld und Hakim 1997; Daly 2000; Daly und Rake 2003).

Zur Verortung der Frauenerwerbstätigkeit Spaniens in den europäischen Kontext wird angesichts dessen in drei Schritten vorgegangen: Erstens erfolgt ein Vergleich der absoluten Beschäftigungs- und Arbeitslosenquoten sowie der ökonomischen Inaktivitätsraten von Frauen in den 15 alten Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-15). Zweitens wird anhand der Differenzierung verschiedener Arbeitszeitregimes das Ausmaß weiblicher Arbeitsmarktpartizipation näher dargestellt und mit Hilfe von vollzeitäquivalenten Beschäftigungsquoten präzise bestimmt. Drittens wird die Erwerbskontinuität spanischer Frauen durch die Gegenüberstellung ausgewählter altersabhängiger Erwerbskurven annäherungsweise skizziert. Eine kurze Zusammenfassung bildet den Schluss.

2.1 Frauenbeschäftigung, Arbeitslosigkeit und ökonomische Inaktivität

In Europa ist während der letzten Dekade die Frauenbeschäftigungsquote vor allem in Spanien, Irland und der Niederlande überdurchschnittlich gestiegen (KOM 2006c; Eurostat 2007). Dennoch bleibt die spanische Frauenbeschäftigungsquote weiterhin signifikant hinter dem europäischen Durchschnitt von derzeit 58 Prozent zurück. Im Gegensatz zu 1995 kann Spanien jedoch nicht mehr als isolierter Nachzügler angesehen werden, da es Belgien und Luxemburg nun deutlich näher steht als den Tabellenletzten Griechenland und Italien. Fortschritte lassen sich in Spanien auch hinsichtlich der gender employment gap registrieren, wenngleich der Abstand zwischen den männlichen und weiblichen Beschäftigungsquoten europaweit einer der größten geblieben ist (Eurostat 2007; OECD 2002b, 2006). Parallel zur positiven Entwicklung der Frauenbeschäftigung ist zudem die Arbeitslosenquote spanischer Frauen in beeindruckender Weise gesunken. Auch wenn sie noch immer zu den höchsten der EU-15 zählt, beläuft sie sich doch nur noch auf die Hälfte ihres Wertes von vor zehn Jahren. Wie die Beschäftigung ist allerdings auch die Arbeitslosigkeit in Spanien von starken geschlechtsspezifischen Disparitäten geprägt. So beträgt die Arbeitslosenquote spanischer Männer sieben, die spanischer Frauen hingegen zwölf Prozent. Das entspricht einer Differenz, die sonst nur noch von Griechenland übertroffen wird (Eurostat 2007).

Trotz dieses unverhältnismäßig hohen Risikos der Arbeitslosigkeit, ist die Zahl ökonomisch inaktiver Frauen in Spanien stetig gesunken. Denn blieb Mitte der 1990er Jahre noch über die Hälfte der spanischen Frauen dem Erwerbsleben fern, sind es heute bereits weniger als 42 Prozent. Da sich aber in allen Ländern die ökonomische Inaktivität von Frauen verringert hat, behält Spanien seine Position im unteren Abschnitt des Rankings bei und liegt damit auch fortan lediglich vor Luxemburg, Griechenland und Italien. Spitzenreiter in diesem Bereich sind erwartungsgemäß Dänemark und Schweden, wo gerade einmal jede vierte erwerbsfähige Frau nicht am Erwerbsleben partizipiert.

Tabelle 1: Beschäftigungsquoten, Arbeitslosenquoten und ökonomische Inaktivitäts-raten von Frauen in den EU-15 für 2005 (1995).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eurostat (2007) Dataset.

Insgesamt ist bei den Frauenbeschäftigungsquoten der EU-15 eine sehr starke Varianz erkennbar, die es dennoch ermöglicht, verschiedene Cluster zu identifizieren (vgl. Daly 2000; Daly und Rake 2003). Demnach bilden die skandinavischen Länder und ferner Großbritannien und Österreich ein Cluster mit hohen Frauenbeschäftigungsquoten (ab 65 %), zu welchem im Zuge ihres „Beschäftigungswunders“ (Delsen 2000) auch die Niederlande gestoßen sind. Als Gegenpol fügen sich die südeuropäischen Länder (ohne Portugal), Belgien und Luxemburg zu einem Cluster mit niedrigen Frauenbeschäftigungsquoten (bis 54%) zusammen, zu dem bis vor kurzem auch Irland zu rechnen war. Letzteres konnte jedoch im Laufe der letzten Jahre zu einem Cluster mit mittleren (55-64%) Frauenbeschäftigungsquoten aufschließen, das des Weiteren noch Portugal, Deutschland und Frankreich umfasst.

Insgesamt betrachtet haben sich die Schwankungsbreiten bei den Frauenbeschäftigungsquoten im letzten Jahrzehnt zunehmend verringert. Die größten Abstände bestehen dabei nach wie vor zwischen den skandinavischen und den südeuropäischen Ländern, mit der größten Differenz (27 %) zwischen Dänemark und Italien. Obwohl derart große länderspezifische Varianzen fortbestehen ist dennoch ein leichter Konvergenztrend erkennbar, da das Frauenbeschäftigungswachstum in den Ländern mit niedrigen Ausgangsniveaus im letzten Jahrzehnt weitaus stärker ausgefallen ist als in den Ländern, die schon zuvor ein hohes Niveau gekennzeichnet hat.

Wie einleitend angemerkt, wird die Aussagekraft absoluter Beschäftigungsquoten jedoch in Frage gestellt und betont, das „[T]he intensity of women’s involvement in the labour market must be examined in its own right” (Daly und Rake 2003: 80). Beeinflusst wird die Intensität der Erwerbspartizipation von Frauen dabei insbesondere durch den hohen Verbreitungsgrad von Teilzeiterwerbstätigkeit unter den weiblichen Beschäftigten. Ein Umstand, durch den das zeitliche Volumen von erwerbstätigen Frauen in Teilen erheblich komprimiert wird. Indem ein Blick auf die verschiedenen europäischen Arbeitszeitregimes geworfen wird, wird diesem Einwand Rechnung getragen die Dichotomie von ‚Voll- und Teilzeitländern’ herausgestellt.

2.2 Arbeitszeitregimes

Ein Blick auf die europäische Beschäftigungsentwicklung verdeutlicht, dass teilzeiterwerbstätige Frauen zur Triebfeder des europäischen Beschäftigungs-wachstums geworden sind. Denn nicht nur, dass allein im Zeitraum von 2000 bis 2005 58 Prozent aller neu geschaffenen Arbeitsplätze, Teilzeitarbeitsplätze waren, es entfielen 75 Prozent von ihnen auf eine Frau (KOM 2006c: 40). Die Relevanz von Teilzeiterwerbsarbeit für die Arbeitsmarktpartizipation Frauen, bestätigt auch die weibliche Teilzeitquote, wonach bereits jede dritte erwerbstätige Frau in der EU in Teilzeit beschäftigt ist (Eurostat 2007), in der Mehrzahl Mütter mit jüngeren Kindern (Eurostat 2005b).

Obwohl für alle EU-Mitgliedstaaten gilt, dass Teilzeiterwerbsarbeit, als die am weitesten verbreitete, ‚atypische’ Erwerbsform, zuvorderst von Frauen ausgeübt wird (s. Tabelle 2, linke Spalte), variiert ihr Gewicht in den länderspezifischen Beschäftigungsmustern von Frauen erheblich (vgl. Rosenfeld und Birkelund 1995; Fagan und Rubery 1996; Blossfeld und Hakim 1997; Fagan und O’Reilly 1998). Als erste Vergleichsgröße, dient deshalb der allgemeine Verbreitungsgrad von Teilzeiterwerbsarbeit, in den jeweiligen Ländern (s. Tabelle 2, zweite Spalte von links). Mit 75 Prozent nimmt hier die Niederlande eine absolute Ausnahmestellung ein und unterstreicht mit Nachdruck ihren Ruf als „the only part-time economy in the world“ (Freeman 1998: 2). Abgesehen von diesem beispiellosen Fall, finden sich hohe Teilzeitquoten von Frauen (~ 40 %) in Deutschland, Großbritannien, Belgien und Schweden und mittlere (~ 30 %) in Dänemark, Irland und Frankreich. Am wenigsten Frauen sind in den südeuropäischen Ländern und Finnland teilzeitbeschäftigt, wenn auch mit interessanten Divergenzen. Demnach arbeitet in Spanien und Italien nunmehr jede vierte erwerbstätige Frau in Teilzeit, während in Griechenland nur eine von zehn erwerbstätigen Frauen teilzeitbeschäftigt ist.

Zeigen sich bereits bei den weiblichen Teilzeitquoten erhebliche Schwankungen, gewinnen diese durch die vielfältigen Arbeitszeitarrangements dieser Erwerbsform zusätzlich an Komplexität (vgl. Bielenski, Bosch und Wagner 2002; De Grip, Hoevenberg und Willems 1997; Hakim 1997). Einen Differenzierungsansatz hierfür bietet Hakim (1993; 1997), die zwischen drei quantitativen (und nach ihr auch qualitativen) Kategorien von Teilzeiterwerbsarbeit unterscheidet: reduced hours worked (wöchentliche Arbeitszeit liegt knapp unter der Normalarbeitszeit), half-time jobs (wöchentliche Arbeitszeit von 15-29 Stunden) und marginal jobs (wöchentliche Arbeitszeit von wenigen Stunden).[1]

Die unterschiedlichen Teilzeitkategorien können hierbei als typisch für verschiedene Länder erachtet werden. Demnach arbeiten teilzeiterwerbstätige Frauen in Schweden und Dänemark in der Regel reduced hours worked, auch ‚ good jobs’ genannt. Half-time jobs sind hingegen charakteristisch für die Teilzeiterwerbstätigkeit von Frauen in Deutschland, Großbritannien oder Belgien und marginal jobs vor allem im Zusammenhang mit den Niederlanden bekannt (vgl. Blossfeld und Hakim 1997; O’Reilly und Fagan 1998). Diesen ‚Teilzeitländern’ lassen sich auf der anderen Seite ‚Vollzeitländer’ gegenüberstellen, zu deren Repräsentanten auch Spanien gehört, das unter den EU-15 nach Finnland (86 %) und Portugal (81 %) mit 75 Prozent die dritthöchste Vollzeitquote von abhängig beschäftigten Frauen vorzuweisen hat (Bielenski, Bosch und Wagner 2002).

Diese Dichotomie von ‚Voll- und Teilzeitländern’ wird von der ‚Kopfzählweise’ der absoluten Beschäftigungsquote jedoch vollkommen ignoriert, sodass durch sie das Ausmaß weiblicher Erwerbsintegration allenfalls verzerrt zum Ausdruck kommt. Vergleichende Studien greifen aus diesem Grund auch auf vollzeitäquivalente Beschäftigungsquoten zurück (z.B. Rubery et al. 2001; Daly und Rake 2003), die auf der Umrechnung des Arbeitsvolumens von Teil- in Vollzeitbeschäftigte beruhen.[2] Wie in Tabelle 2 (rechte Spalte) zu sehen, führt die Umrechnung der Frauenbeschäftigungsquoten zu einer nahezu kompletten Umstellung des Länder- Rankings, wobei die skandinavischen Länder trotz interner Platzwechsel geschlossen auf den ersten Plätzen verbleiben und die Niederlande bis auf den vorletzten Rang abrutschen.

Von den Ländern mit niedrigen Frauenbeschäftigungsquoten kann sich Spanien zwar gemeinsam mit Belgien und Griechenland signifikant verbessern, vermag jedoch nicht, das neue Durchschnittsniveau von 47 Prozent zu erreichen. Hier ist zu berücksichtigen, dass sich in Spanien gerade in den 1990er Jahren eine in absoluten Zahlen zwar eher geringe, aber dennoch beachtenswerte Zunahme von Teilzeiterwerbsarbeit vollzogen hat (Beltrán Felip 2000; Gómez, Pons und Martí 2002). Allerdings ist der Einfluss dieser Entwicklung auf das weibliche Erwerbsvolumen nicht zu überschätzen, schließlich ist die vollzeitäquivalente Frauenbeschäftigungsquote in Spanien von 2000 bis 2005 mit 6,4 Prozent bedeutend stärker als im Durchschnitt der EU-15 (+2 %) oder beispielsweise in Irland (+4 %) gestiegen (KOM 2006b)

Zu den weiteren Effekten der Umrechnung der Frauenbeschäftigungsquote in Vollzeitäquivalente zählt, dass sich das Durchschnittsniveau um zehn und die maximale Schwankungsbreite um fünf Prozent verringern. Andererseits vergrößern sich in allen EU-15 die geschlechtsspezifischen Unterschiede und die durchschnittliche gender employment gap steigt um acht auf 23 Prozent (KOM 2006b). Daraus kann geschlossen werden, dass sich hinter den absoluten Beschäftigungsquoten wesentlich traditionellere Zeitallokationsmuster von Frauen und Männern verbergen, als diese zunächst suggerieren. Ein Befund, der wiederkehrend zu der Kritik geführt hat, bei den absoluten Beschäftigungsquoten handele es sich lediglich um statistische Artefakte, die den Beobachter fälschlicherweise zu der Annahme einer wachsenden Geschlechteregalität am Arbeitsmarkt verleiteten (Hakim 1995; Larsen, Taylor-Gooby und Kananen 2004).

Tabelle 2: Teilzeitquoten, weibliche Teilzeitquoten, Arbeitsstunden von Frauen in Teil-

zeit und vollzeitäquivalente Beschäftigungsquoten.[3]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quellen: *Europäische Kommission 2003 (UNECE 2007, Daten für 2004);**Eurostat (2007) Strukturindikatoren; ***Europäische Kommission 2006c, ****Europäische Kommission 2006b. ª Daten für 2004. Darstellung nach Daly/Rake 2003: 77.

Trotz dieser statistischen Verzerrungen kann dennoch eine fortschreitende Erosion des männlichen Ernährer-/weiblichen Hausfrauenmodells in allen zur EU-15 gehörenden Ländern konstatiert werden (vgl. Lewis 1997; Daly 2005). Offen bleibt allerdings, welches partnerschaftliche Erwerbs- und Sorgearbeitsarrangement dem traditionellen Modell letztlich nachfolgen wird (vgl. Lewis 2001; 2004). Denn während sich in einigen Ländern, wie den Niederlanden oder Deutschland, die Etablierung eines Eineinhalb-Verdiener-Modells vollzieht, befindet sich weibliche Teilzeiterwerbsarbeit in Schweden oder Dänemark tendenziell auf dem Rückzug (Gómez, Pons und Martí 2002; Buddelmeyer, Mourre und Ward 2004). In Spanien, Portugal oder Italien wiederum geht der Anstieg der Frauenbeschäftigung in erster Linie mit einem Zuwachs von Vollzeitverdienern in Paar- und auch zunehmend Alleinerziehenden-Haushalten einher (steigende Scheidungsraten).

2.3 Frauenerwerbsverlaufskurven

Dass Frauen diskontinuierlicher am Arbeitsmarkt partizipieren als Männer, wurde mittlerweile umfangreich dokumentiert (z.B. Daly 2000; Blossfeld und Drobnič 2001; OECD 2002b; Eurostat 2005a). Der zentrale Erklärungsfaktor für die geschlechtsspezifischen Erwerbsbiographien ist der Einfluss, den die Präsenz von Kindern auf das Erwerbsverhalten von Frauen und Männern hat. Denn während das Arbeitsangebot von Männern durch die Vaterschaft kaum tangiert wird, sich tendenziell sogar erhöht, geht das weibliche Arbeitsangebot nach der Mutterschaft für kurze und auch längere Zeiträume massiv zurück (Stier und Lewin-Epstein 2001; OECD 2002b; Eurostat 2005c; Paull 2006).[4]

Doch die Erwerbskontinuität von Frauen wird nicht nur durch die Mutterschaft, sondern auch durch andere Faktoren, wie z.B. die Betreuung von kranken oder pflegebedürftigen Angehörigen, determiniert. Dies führt zu periodischen Unterbrechungen in weiblichen (und sehr selten auch männlichen) Erwerbsverläufen, deren Analyse für den Ländervergleich jedoch mangels zuverlässiger Informationen nicht möglich ist (Daly 2000; Daly und Rake 2003). Annäherungsweise kann die Erwerbskontinuität von Frauen aber anhand von altersabhängigen Erwerbsprofilen skizziert werden, wie sie in Abbildung 1 exemplarisch dargestellt sind.

Beispielhaft für eine über den Lebensverlauf weitgehend kontinuierliche Arbeitsmarktpartizipation von Frauen wurde hierbei Schweden ausgewählt, wo die Erwerbsverläufe von Frauen und Männern sich sehr nahe kommen. Die sog. ‚Plateau-Kurve’ (Daly und Rake 2003: 79) findet sich zudem noch in Ländern wie Dänemark (ebenfalls auf hohem Frauenbeschäftigungsniveau), in Deutschland (auf mittlerem Frauenbeschäftigungsniveau) oder Italien (auf niedrigem Frauenbeschäftigungsniveau). Für hohe Erwerbskontinuität steht zudem die ‚rechtsmodale Kurve’, die hier am Beispiel Frankreichs veranschaulicht wird. Der entscheidende Unterschied zwischen beiden Kurven besteht in einer Beschäftigungsspitze der ‚rechtsmodalen Kurve’ zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr, welche eine eindeutige Zunahme der Arbeitsmarktpartizipation von Frauen nach der Familienformation zum Ausdruck bringt (ähnlich: Finnland)[5].

Abbildung 1: Erwerbsprofile von Frauen und Männern über den Lebensverlauf 2005 zwischen 20 und 64 Jahren.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Abbildungen modifiziert übernommen von OECD (2007a), Family Database. Als erwerbstätig gezählt wurden in der Regel auch Frauen im Mutterschafts-, Eltern- oder Erziehungsurlaub.

Von einer längeren Erwerbsunterbrechung nach der Geburt zeugt demgegenüber die ‚M-Kurve’ (OECD 2007), die wie in Großbritannien eine klar ausgeprägte Delle zwischen dem 30. und dem 40. Lebensjahr besitzt (ähnlich: Österreich und Portugal). Einen Mutterschaftseffekt weist auch die Erwerbsverlaufskurve von spanischen Frauen auf, die am ehesten als abfallende ‚M-Kurve’ bezeichnet werden kann. Denn im Gegensatz zu den britischen Frauen, die sich nach einer kindbedingten Abwesenheit oftmals als Teilzeitbeschäftigte in den Arbeitsmarkt re-integrieren, treten Mütter in Spanien häufig ganz aus dem Erwerbsleben aus. So bleiben nur zwischen 60 und 63 Prozent aller zuvor erwerbstätigen spanischen Frauen auch nach der Geburt ihres ersten Kindes erwerbstätig und melden sich weitere ca. zehn Prozent als arbeitslos. Für 20 Prozent hingegen ist die Mutterschaft mit dem permanenten Ausstieg aus dem Erwerbsleben verbunden (Gutiérrez-Domènech 2005: 143).

Obwohl das fast stetige Abfallen der spanischen Frauenerwerbsverlaufskurve eine niedrige Erwerbskontinuität nahe legt, ist davon auszugehen, dass ein relativ stabiler Anteil erwerbsfähiger Frauen weitgehend kontinuierlich am Arbeitsmarkt partizipiert. Dies leitet sich einerseits aus dem hohen Prozentsatz ökonomisch inaktiver Frauen insgesamt sowie andererseits aus der Tatsache ab, dass häufig auch Mütter mit kleinen Kindern als Vollzeiterwerbstätige im Erwerbsleben aktiv sind (Adam 1996; Daly 2000: 501). Eine Beobachtung, die auf eine Polarisierung zwischen den in etwa gleichgroßen Gruppen der ökonomisch aktiven und ökonomisch inaktiven Frauen hindeutet, wie sie sich vergleichbar auch in Italien oder Griechenland feststellen lässt.

2.4 Zusammenfassung

Spanien hat seit den 1990er Jahren einen massenhaften Einstieg von Frauen ins Erwerbsleben erfahren, der von einer deutlichen Reduzierung der Frauenarbeitslosigkeit begleitet wurde. Nicht zuletzt aufgrund des sehr niedrigen Ausgangsniveaus bleibt die spanische Frauenbeschäftigungsquote aber weiterhin signifikant hinter dem europäischen Durchschnitt zurück. Der Abstand verringert sich allerdings unter Berücksichtigung des Erwerbsvolumens, denn für spanische Frauen gilt Vollzeiterwerbstätigkeit als Norm. Auf der anderen Seite bleibt allerdings nahezu die Hälfte der spanischen Frauen dem Arbeitsmarkt fern, was als Hinweis auf eine Polarisierung der Frauen im erwerbsfähigen Alter gedeutet werden kann.

Allgemein hat sich in der letzten Dekade der Trend steigender Frauenbeschäftigungsquoten in den EU-15 fortgesetzt und zu einer leichten Konvergenz geführt, ohne jedoch die bestehenden länder- und geschlechtsspezifischen Varianzen einschneidend zu verringern. So bleiben die skandinavischen Länder trotz wechselnder Indikatoren das ‚Maß aller Dinge’, wohingegen die südeuropäischen Länder (ohne Portugal) und Luxemburg ihren Status als Nachzügler weitestgehend konserviert haben.[6] Diese Gegensätzlichkeit zwischen Nord und Süd ist auch in den folgenden Kapiteln von Relevanz, wenn es um die Darstellung eines Europäischen Sozialmodells geht, das Annesley (2007) als ein „Europe-wide ‚adult worker model’“ mit schwedischen Elementen charakterisiert.

3. Das ‚adult worker’-Modell als Modell für Europa

Die Erhöhung der Frauenbeschäftigungsquote ist innerhalb der letzten Dekade zum Primärziel europäischer Beschäftigungspolitik avanciert (Rubery und Fagan 1998; Rubery, Smith und Fagan 1999). Bestätigung für diese Position erhält die EU von wissenschaftlich-beratender Seite, die einen hohen Grad an Frauenerwerbstätigkeit nachgerade zur sine qua non für den Um- und Neubau postindustrieller Wohlfahrtsstaaten erklärt (Esping-Andersen et al. 2002; Esping-Andersen 2002, 2003). Ein erster Abschnitt dieses Kapitels zeichnet zunächst kursorisch nach, mit welchen Instrumenten die EU dieses Politikziel umsetzen und das Leitbild des ‚ adult worker ’ (Lewis 1997; Lewis und Giullari 2005) oder ‚ citizen worker ’ (Lister 2003; 2004) zur sozialen Realität werden lassen will.

Ein zweiter Abschnitt befasst sich ausführlicher mit den Argumenten insbesondere Esping-Andersens’ (2002, 2003, 2004, 2006), der in der erwerbstätigen Frau und Mutter einen ‚multifunktionalen’ Schlüssel zur Lösung aktueller und zukünftiger sozialer und wirtschaftlicher Probleme europäischer Wohlfahrtsstaaten sieht. Neben der allgemeinen Feststellung, dass die europäischen Wohlfahrtsstaaten vor sehr unterschiedlichen Herausforderungen stehen, wird gezeigt, dass Spanien in verschiedenen Punkten als ‚ worst-case benchmark ’ angesehen werden kann. Den Schluss bildet das Fazit, dass eines der Länder mit dem niedrigsten Ausmaß weiblicher Beschäftigung, den Ausführungen zufolge, mit erhöhter Dringlichkeit auf sie angewiesen ist.

3.1 Frauenerwerbstätigkeit in der Europäischen Beschäftigungsstrategie

Die Regierungen der europäischen Wohlfahrtsstaaten haben sich in der letzten Dekade zunehmend von der Norm des männlichen Ernährers ab- und dem ‚ adult worker ’-Modell als neuer Norm zugewandt (Leitner, Ostner und Schratzentaller 2004). Als treibender Akteur dieses Wandels tritt die EU hervor, welche seit dem Gipfel des Europäischen Rates in Lissabon (2000) für ein Europäisches Sozialmodell mit stetigem Wirtschaftswachstum, weniger sozialer Exklusion und Vollbeschäftigung wirbt (vgl. Behning 2006). Mit der Europäischen Beschäftigungsstrategie (EBS) wurde dabei ein Instrument zum stützenden Pfeiler der neuen wirtschafts- und sozialpolitischen Agenda der EU erklärt, das die Expansion und die Konvergenz der Frauenbeschäftigung in Europa zur expliziten Aufgabe hat.

Noch wenige Jahre zuvor führte das Thema Frauenerwerbstätigkeit auf Ebene der EU allenfalls ein Schattendasein und wurde lediglich im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in Europa erwähnt (EC 1994: Punkt 5). Dies änderte sich zunächst mit der (auf schwedischen Druck hin entstandenen) Integration des Beschäftigungstitels in den Vertrag von Amsterdam (1997) und der Anerkennung des Politikfelds Beschäftigung als eine Angelegenheit von ‚gemeinsamem Interesse’. Ebenfalls 1997 beschloss der Beschäftigungsgipfel von Luxemburg die Aufnahme einer auf europäischer Ebene koordinierten Beschäftigungsstrategie, die bereits drei Jahre später im Kontext der Lissabon-Strategie einen zumindest hohen symbolischen Stellenwert erhielt.[7] Schließlich stellt die EBS, obwohl nur ‚ soft-law ’, seit diesem Zeitpunkt eine Schlüsselkomponente zur Umsetzung des ehrgeizigen Vorhabens dar, die EU bis 2010 „zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen“ (EC 2000: 5).

Hierzu präzisierten und quantifizierten die Staats- und Regierungschefs zudem erstmals (unverbindliche) Einzelzielvorgaben, nach denen die Frauenbeschäftigungsquote im anvisierten Zehnjahreszeitraum im unionsweiten Durchschnitt auf über 60 und die Gesamtbeschäftigungsquote auf ein Niveau von 70 Prozent steigen soll (ebenda: 30).[8] Beide Einzelziele sind hierbei eng miteinander verknüpft, da angesichts geringer Schwankungsbreiten bei den männlichen Beschäftigungsquoten eine hohe Gesamtbeschäftigungsquote in erster Linie durch die verstärkte Mobilisierung weiblicher Arbeitsmarktreserven erreicht werden kann (vgl. Rubery und Fagan 1998; Burniaux, Duval und Jaumotte 2003).

Damit Frauen in Zukunft dann aber auch tatsächlich im verstärkten Maße erwerbstätig sein können, wurden die EU-Mitgliedstaaten in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Barcelona (EC 2002) dazu aufgefordert, „[…] Hemmnisse zu beseitigen, die Frauen von einer Beteiligung am Arbeitsmarkt abhalten, und bestrebt [zu] sein, […] bis 2010 für mindestens 90 % der Kinder zwischen drei Jahren und dem Schulpflichtalter und für mindestens 33 % der Kinder unter drei Jahren Betreuungsplätze zur Verfügung zu stellen“ (ebenda: 12). Zu den weiteren Empfehlungen zur Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern zählen für die EU auch ein besseres Angebot an Teilzeiterwerbsmöglichkeiten und die Einführung oder Reform eines Elternurlaubs, der nach ihrem Berater Kok (2003) „so gestaltet sein muss, dass er nicht dazu führt, dass die Frauen dem Arbeitsmarkt lange fern bleiben“ (38).

Doch nicht nur eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, auch der Abbau von negativen Arbeitsanreizen wird den EU-Mitgliedstaaten nahe gelegt. Demnach sollen diese ihre Steuer- und Sozialversicherungssysteme dahingehend überprüfen, dass letztlich „jedes Mitglied des Haushalts einen Anreiz zur Arbeit hat“ (KOM 2002a: 15). Mit anderen Worten: Volle soziale Rechte nur für jene, die erwerbstätig sind und bedarfsgeprüfte Leistungen für alle, die nicht am Erwerbsleben partizipieren können oder wollen (s. beispielsweise das sog. Hartz-IV-Gesetz in Deutschland).

Damit greift die EU im Prinzip nur einen bestehenden Trend auf, denn faktisch haben die europäischen Wohlfahrtsstaaten, und unter ihnen auch die skandinavischen, während der wirtschaftlichen Krisenzeit in den 1990er Jahren den ‚Kommodifizierungsdruck’ auf die erwerbsfähige Bevölkerung bereits zunehmend erhöht (Ostner 1998; Bonoli 1999). Dass der Druck zur Erwerbsaufnahme infolgedessen insbesondere für Frauen gestiegen ist, zeigt z.B. Stecker (2004) in ihrer vergleichenden Analyse der jüngeren dänischen, niederländischen und britischen Arbeitsmarkt- und Sozialhilfepolitik. Mit dem ‚ New Deal for Lone Parents’ versucht Großbritannien sogar erstmals speziell die Erwerbstätigkeit der bislang eher ‚geschützten’ Gruppe der allein erziehenden Mütter durch aktivierende (Zwangs-)Maßnahmen zu erhöhen (Daly 2004: 141).

3.2 Die Nachhaltigkeit sozialer Sicherungssysteme

Das politische Hauptargument für die Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit findet sich in der demographischen Entwicklung und der dadurch gefährdeten Tragfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme. Bekanntlich erreichen die Geburtenraten seit den 1970er Jahren nicht mehr das notwendige Reproduktionsniveau von 2,1 Kindern, wohingegen die Lebenserwartung der Menschen stetig steigt (ausführlich zum Thema ‚zweiter demographischer Übergang’: Schimany 2003). Als Folge verschieben sich die Altersstrukturen der europäischen Gesellschaften und ein schrumpfender Anteil erwerbsfähiger Personen (normalerweise Personen zwischen 15 und 64 Jahren) muss den Wohlstand für eine wachsende Gruppe älterer Menschen (ab 65 Jahre) erwirtschaften. Ein Wandel, der erfordert, dass ein möglichst großer Anteil der potentiell Erwerbsfähigen auch tatsächlich erwerbstätig ist. Da aber das Arbeitskräftepotenzial der Männer bereits recht stark ausgeschöpft ist, wird eine höhere weibliche Erwerbsbeteiligung zur notwendigen Voraussetzung für „die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen vor allem im Hinblick auf die Renten- und Gesundheitssysteme“ (KOM und EC 2002: 5). Vergleichbar argumentiert auch Esping-Andersen (2002), der in Frauen ein “massive untapped labour reserve” sieht, “that can help narrow future age dependency rates and reduce associated financial pressures“ (ebenda: 94).

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[1] Einen weiteren Differenzierungsansatz geben Bielenski, Bosch und Wagner (2002), die zwischen substantieller Teilzeiterwerbsarbeit (20-34 Stunden/Woche) und marginaler Teilzeiterwerbsarbeit (bis 19 Stunden/Woche) unterscheiden.

[2] Ein simples Beispiel hierfür wäre: In einem Unternehmen arbeiten eine Frau in Vollzeit (40 Stunden/Woche) und zwei Frauen in Teilzeit (je 20 Stunden/Woche). Nach der absoluten Beschäftigungsquote entspricht diese Konstellation drei, nach der vollzeitäquivalenten Beschäftigungsquote aber nur zwei Erwerbsarbeitsplätzen.

[3] Die Differenzierung zwischen einer Voll- und einer Teilzeiterwerbstätigkeit erfolgt nicht immer eindeutig. So gelten in einigen Ländern (z.B. Frankreich) Erwerbstätige dann als teilzeitbeschäftigt, wenn ihre wöchentliche Arbeitszeit weniger als 30 Stunden beträgt, während in anderen Ländern (z.B. Schweden) die Schwelle bei 35 Stunden liegt (Lemaitre, Marianna und Bastelaer 1997). Eurostat unterscheidet angesichts der Definitionsschwierigkeiten deshalb seit kurzem auf Grundlage der spontan gegebenen Antwort der/des Befragten.

[4] Wie Dermott (2006) in einer Studie über den Zusammenhang von männlicher Wochenarbeitszeit und Vaterschaft in Großbritannien zeigt, besteht jedoch kein kausaler Zusammenhang zwischen einer längeren Wochenarbeitszeit und dem Status als Vater oder Nichtvater. Richtig ist aber zweifellos, dass die Beschäftigungsquoten von Vätern mit zwei Kindern unter zwölf Jahren allgemein höher sind, als die von Nichtvätern oder Vätern mit einem Kind (Eurostat 2005c).

[5] Bei der Berechnung der finnischen Kurve wurden allerdings Mütter nicht als erwerbstätig gezählt, die einen längeren Erziehungsurlaub (1-2 Jahre) in Anspruch nehmen (OECD 2007). Dass finnische Frauen nach dem Elternurlaub von einem Jahr noch zwei weitere Jahre nicht erwerbstätig sind, unterscheidet sie zudem deutlich von Müttern in Schweden oder Dänemark (vgl. Salmi, Lammi-Taskula und Karttunen 1999: 3).

[6] Portugal ist eine Ausnahme unter den südeuropäischen Ländern, da die Frauenerwerbstätigkeit hier eine lange Tradition hat. Denn da es zu Kolonialzeiten an Männern im eigenen Land mangelte, wurde die erwerbstätige Frau bereits früh zur Regel (Bettio und Villa 1998).

[7] Mit der Aufnahme des Beschäftigungstitels in den Amsterdamer Vertrag hat kein Kompetenztransfer zugunsten der EU stattgefunden. Die Mitgliedstaaten werden lediglich dazu aufgefordert, im Zuge der Offenen Methode der Koordinierung (OMC) im jährlichen Kreislauf an einem Evaluationsverfahren teilzunehmen, in dessen Rahmen sie Nationale Aktionspläne erstellen. Über die politische Wirkung der OMC auf die EU-Mitgliedstaaten herrscht wenig Einigkeit, wie z.B. die Arbeiten von Scharpf (2002), Zeitlin (2005), Behning (2003) oder Borrás und Jacobsson (2004) zeigen.

[8] Als weiteres Ziel wurde z.B. eine Erhöhung der Beschäftigungsquote von älteren Arbeitnehmern (55+) auf ein Niveau von 50 % bis 2010 beschlossen.

Ende der Leseprobe aus 83 Seiten

Details

Titel
Frauenerwerbstätigkeit in Spanien - Was kommt nach den "supermujeres"?
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
83
Katalognummer
V91432
ISBN (eBook)
9783638046312
ISBN (Buch)
9783638941662
Dateigröße
762 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Frauenerwerbstätigkeit, Spanien
Arbeit zitieren
Magister Artium Vincent Horn (Autor:in), 2007, Frauenerwerbstätigkeit in Spanien - Was kommt nach den "supermujeres"?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91432

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