Ganesha als Überwinder didaktischer Hindernisse - Plädoyer für einen ikonographischen Zugang zum Hinduismus


Studienarbeit, 2007

21 Seiten


Leseprobe


Gliederung

1 Vorbermerkungen

2 Argumente für einen ikonographischen Zugang zum Hinduismus im Rückgriff auf Ganesha
2.1 Zum religionswissenschaftlichen Stellenwert nicht-sprachlicher Quellen
2.2 Der Hinduismus als "Orthopraxie" und Religion des "Sehens"
2.3 Ganesha als sachgemäßer und lerngerechter Unterrichtsinhalt

3 Ganeshas im sachanalytischen Aufriß

4 Didaktische Auswertung
4.1 Emotionale Widerstände gegenüber der "Skurillität" der Ganesha-Ikonographie als didaktische Chance
4.2 Zum symbolischen Gehalt hinduistisch interpretierter Ganesha-Ikonographie

5 Didaktische Anschlußmöglichkeiten

Anmerkungen und Literatur

1 Vorbermerkungen

Aus Sicht der Fächer "Ethik", "Normen und Werte" und "Religionskunde" gilt die Religionswissenschaft als "Basisdisziplin"[i]. Umgekehrt ist unter Religionswissenschaftlern längst Konsens, daß die ursprünglich nur auf die Ausbildung des eigenen akademischen Nachwuchses zugeschnittene Fachdidaktik auch in anderen Bildungsbereichen Geltung beanspruchen kann. So fragt heute niemand mehr ernsthaft danach, "ob und inwiefern die religionswissenschaftliche Fachdidaktik für die aus allgemein didaktisch-pädagogischer Sicht eher wichtigeren Ebene des vorschulischen, schulischen und nachschulisch-nichtakademischen Lernens relevant geworden ist bzw. werden könnte"[ii].

Mit einer bloßen "Grundsatzentscheidung" über die außer-universitäre Funktion des Faches ist es selbstverständlich nicht getan, es sei denn man begnügt sich mit der Rolle einer Materiallieferantin und übt sich im blinden Vertrauen auf die Kompetenz und das Verantwortungsbewußtsein der Unterrichtspraktiker. Ihrem Ruf als didaktische "Bezugswissenschaft" wird die Religionswissenschaft nur in dem Maße ernsthaft gerecht, wie sie sich unter ihrem spezifischen Blickwinkel in die Diskussion über die konkrete Vermittlung des bereitgestellten Wissenskontingentes auch außerhalb der Universitäten einzubringen vermag.

Der vorliegende Beitrag schaltet sich in diese Debatte ein. Ausgangspunkt ist die didaktisch relevante Hypothese, daß in bestimmten Fällen ein visueller Zugang dem Verständnis religiöser Sachverhalte zuträglicher ist als ein Studium "heiliger" Schriften. Erinnert sei hier nur an den hohen Stellenwert der Ikonen innerhalb des orthodoxen Christentums[iii] oder an die Tatsache, daß japanische "Kulturtechniken" wie das Ikebana, die Teezeremonie und diverse Kampfsportarten zen-buddhistische Prinzipien reflektieren[iv]. Im vergleichbaren Sinne ist in den nachfolgenden Abschnitten vom Hinduismus die Rede. Seine visuelle Dimension und die daraus erwachsenden didaktischen Möglichkeiten werden exemplarisch an Ganesha, der bekannten elefantenköpfigen Gottheit mit dem Beinamen "der Herr der Hindernisse" veranschaulicht.

Welche Gründe es allgemein für eine visuelle Annäherung an bestimmte religiöse Sachverhalte gibt, warum gerade der Hinduismus als Beispiel gewählt wurde und was in diesem Kontext gerade für die Gottheit Ganesha spricht, ergibt sich aus dem folgenden Gliederungspunkt mit seinen drei Unterabschnitten. Im dritten Paragraphen wird Ganesha sachanalytisch umrissen. In einem weiteren Schritt werden unter zwei zentralen Gesichtspunkten Überlegungen zum Umgang mit dem skizzierten Stoff im Unterricht angestellt. Diese Erörterung kann innerhalb des hier eng abgesteckten formalen Rahmens selbstverständlich nur richtungsweisend sein kann. Deshalb finden sich gegen Hinweise auf didaktische Anschlußmöglichkeiten der ikonographischen Auseinandersetzung mit Ganesha im Kontext einer umfassenderen Unterrichtseinheit. Bei all dem soll exemplarisch das dikaktische Potential deutlich werden, das die Religionswissenschaft mit Blick auf den religionskundlichen Unterricht zu entfalten vermag.

2 Argumente für einen ikonographischen Zugang zum Hinduismus im Rückgriff auf Ganesha

2.1 Zum religionswissenschaftlichen Stellenwert nicht-sprachlicher Quellen

Unter einem denkbar breiten Blickwinkel betrachtet, erscheint eine wie auch immer geartete stärkere Berücksichtigung nicht-sprachlicher religiöser Ausdrucksformen im Unterricht als Reaktion der schulischen Praxis auf langfristige methodologische Entwicklungen innerhalb der "Basisdisziplin". Gemeint ist der von der akademischen Forschung eingeschlagene Weg, in Ergänzung zu schriftlichen Zeugnissen verstärkt andere, auch nicht-sprachliche Materialien in den Blick zu nehmen. Diese Perspektivenerweiterung entspricht der Erkenntnis, daß ein bloßes Textstudium das tatsächliche Spektrum eines Untersuchungsfeldes sowohl "vertikal" als auch "horizont" verengt. Schriftlich fixierte Quellen reflektieren in vielen Fällen vor allem die Konstruktionen und Normen der sich quantitativ in der Minderheit befindlichen geistigen Eliten. Mit Blick auf die religiöse Lebenswelt der "breiten" Masse sind sie weit weniger ergiebig. In diesem Sinne impliziert die von Fritz Stolz kritisierte "Hierachisierung der Darstellungsebenen religiöser Botschaften"[v] zugunsten sprachlicher Quellen der "großen Tradition" eine Geringschätzung "kleiner Traditionen" und ihrer spezifischen Artikulationsformen.

Eine bevorzugte Beschäftigung mit Texten blendet nicht nur die statistische Mehrheit eines Traditionskontinuums aus, sondern wertet auch bestimmte Elemente des von einer Gemeinschaft repräsentierten Gesamtrepertoires religiöser Praktiken und spirtueller Erlebnisformen ab. Diese Schieflage hat etwa Joanna Tokarska-Bakir im Blick, wenn sie vor dem Hintergrund ihrer eigenen Untersuchungen der buddhistischen Lebenswelt tibetischer Laien den Vertretern einer "konventionellen" textbezogenen Forschung die Tendenz zur "Marginalisierung sinnlicher Erfahrung" unterstellt und deren pejorative Rede von einem im Volk verbreiteten "naiven Sensualismus" zurückgeweist.[vi]

2.2 Der Hinduismus als "Orthopraxie" und Religion des "Sehens"

Die schrittweise Hinwendung zu einer intensiveren Beschäftigung mit nicht-sprachlichen Quellen kennzeichnet auch die Geschichte der westlichen Hinduismusforschung. Anfänglich dominierte das Sanskrit-Studium altehrwürdiger Überlieferungen und philosophischer Werke. Dann setzte sich zunehmend die Einsicht durch, daß sich im Rückgriff auf Schriften, die nur einer zahlenmäßig kleinen Elite zugänglich sind, der Hinduismus nur sehr unzulänglich rekonstruieren läßt. Parallel kam verstärkt in den Blick, daß "die grundlegenden theologischen Positionen die gewöhnlichen Menschen in Form von Mythen und in lokalen Sprachen erzählten Geschichten erreichen"[vii]. Das Ergebnis war eine Aufwertung nicht nur von volksnahen mythologischen und poetischen Quellen sondern auch ikonographischer Ausdrucksfomen als "integraler Bestandteil der rituellen Gepflogenheit in den alltäglichen Leben der Gläubigen".[viii]

Die Berücksichtigung der in der Alltagspraxis verwurzelten Relevanz symbolisch-visueller Kodierungsformen religiöser Botschaften erscheint unter zwei Gesichtspunkten als "sachgemäß". Sie deckt sich erstens mit dem Urteil, dem zufolge innerhalb des Hinduismus das Prinzip der "Orthopraxie" höher zu gewichten ist als die Maxime der "Orthodoxie". Danach geht es den Hindus weniger um die "rechte Lehre" und deren gläubigen Nachvollzug, als um korrektes Handeln und Verhalten im Einklang mit den Gesetzen des sich zyklisch erneuerenden Universums bzw. gemäß ritueller Vorschriften, Kastenregeln und biographisch bedingter Normierungen. Zweitens entspricht die Beschäftigung mit der ikonographischen Symbolik der von Diana Eck[ix] vertretenen These, wonach der Hinduismus als eine Religion zu charakterisieren ist, deren Spiritualität sich insbesondere über das Sehen konstituiert[x]. Die Autorin geht in ihrer Abhandlung vom religiös konnotierten Begriff darshan aus, der sich in den diversen Zusammenhängen z.B. im Kontext von Pilgerfahrten oder der Begegnung mit dem Guru, auf das "Sehen" sowohl in seiner aktiven als auch passiven Bedeutung bezieht. Insbesondere wird darshan angesichts einer ikonographisch repräsentierten Gottheit wirksam. Eck schreibt dazu: "Die zentrale Handlung des Hindu-Gottesdienstes aus Sicht des Laien besteht darin, sich in der Gegenwart der Gottheit zu befinden und das Abbild mit den eigenen Augen zu sehen und von der Gottheit gesehen zu werden."[xi] Entsprechend der metatheoretischen Prämissen der Religionswissenschaft, daß man bei der inhaltlichen Rekonstruktion eines religiösen Traditionskontinuums vom "Selbstverständnis" der betreffenden Glaubensgemeinschaft auszugehen hat[xii], fordert Eck mit Blick auf die Erforschung des Hinduismus eine gesteigerte Empathie für die visuell ausgerichtete hinduistische Religiosität. Implikationen einer solchen Grundhaltung für die Didaktik des religionskundlichen Unterrichts lassen sich aus dem Vorwort des Buches von Diana Eck herauslesen, wenn es heißt, daß "Lehrer und Studenten" die sich mit einer so sehr am Visuellen orientierten Kultur wie der Indiens beschäftigen, "ebenfalls zu 'Sehenden' werden müssen."[xiii]

[...]


[i] Vgl. Körber, S.: Didaktik der Religionswissenschaft, in: Cancik, H. u.a.[Hg.]: Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, Bd.1, Stuttgart 1988, S.195-215, hier S.212.

[ii] Ebd., S.210.

[iii] Vgl. Barth, Hans-Martin: Zur Einführung, in: Ders.; Christoph Elsas [Hg.]: Bild und Bildlosigkeit. Beiträge zum interreligiösen Dialog, Hamburg (Rissen) 1994, S.24-27.

[iv] Auf paradigmatische Weise dokumentiert z.B. in Herrigel, Eugen: Der Zen-Weg. Aufzeichnungen aus dem Nachlaß in Verbindung mit Gusty L.Herrigel, herausgegeben von Hermann Tausend, München 1958. Ders.: Zen in der Kunst des Bogenschießens, Weilheim 1968.

[v] Vgl. Stolz, Fritz: Hierarchien der Darstellungsebenen religiöser Botschaft, in: Hartmut Zinser [Hg.]: Religionswissenschaft – Eine Einführung. Berlin 1988, S.55-72.

[vi] Vgl. Tokarska-Bakir, Joanna: Naive Sensualism, Docta Ignorantia, Tibetan Liberation through the Senses, in: Numen, Vol 47, 2000, pp.69-112.

[vii] Srinivas, M.N.; A.M.Shah: Hinduism, in: International Encyclopedia of the Social Sciences, ed. By. David L.Sills, Vol.IV, New York 1968, pp.358-366, hier S.359. Wie hier werden auch im folgenden alle ursprünglich englischen Zitate vom Autor auf Deutsch wiedergegeben.

[viii] Elgood, Heather: Hinduism and the Religious Arts, London/New York 1998, S.11

[ix] Vgl. Eck, Diana: Darœan. Seeing the Divine Image in India, New York 1996.

[x] Zu dieser Einschätzung finden sich in der Sekundärliteratur sowohl Analogien als auch Alternativen. Als Beispiel für eine analoge Argumentation mit Blick auf den Buddhismus vgl. Vgl. Thelle, Notto: What Do I as a Christian Expect Buddhists to Discover in Jesus?, in: Schmidt-Leukel, Perry et al. [Ed.]: Buddhist Perceptions of Jesus, St.Ottilien 2001, S.142-157, insbesondere S.150 f. Im Sinne einer Gegenthese sei auf den allerings populärwissenschaftlichen Versuch Joachim-Ernst Berendt verwiesen, im Rückgriff auf zahlreiche Hörbeispiele und Zitate aus den östlichen Religionen die "Welt als Klang" zu charakterisieren. Vgl. Berendt, Joachim-Ernst: Nada Brahma. Die Welt ist Klang, Reinbek bei Hamburg 1985; Ders.: Das Dritte Ohr. Von Hören der Welt, Reinbek bei Hamburg 1988.

[xi] Eck, a.a.O. , S.3.

[xii] Vgl. z.B. Tworuschka, Udo: Kann man Religion bewerten?, in: ders.; D.Zilleßen[Hg.]: Thema Weltreligionen, Frankfurt usw. 1977, S.43.

[xiii] Eck, a.a.O., S.1.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Ganesha als Überwinder didaktischer Hindernisse - Plädoyer für einen ikonographischen Zugang zum Hinduismus
Hochschule
Pontifícia Universidade Católica de São Paulo  (Religionswissenschaft)
Veranstaltung
Didaktik des religionskundlichen Unterrichts
Autor
Jahr
2007
Seiten
21
Katalognummer
V87753
ISBN (eBook)
9783638003988
Dateigröße
519 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ganesha, Hindernisse, Plädoyer, Zugang, Hinduismus, Didaktik, Unterrichts
Arbeit zitieren
Prof. Dr Frank Usarski (Autor:in), 2007, Ganesha als Überwinder didaktischer Hindernisse - Plädoyer für einen ikonographischen Zugang zum Hinduismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/87753

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