Die Formen der Paradoxie nach Watzlawick. Grundlagen und Kritik


Dossier / Travail, 2004

17 Pages, Note: 1


Extrait


Inhalt

Vorwort

1. Paradoxien nach Watzlawick
1.1. Einführung in den Paradoxiebegriff
1.2. Formen der Paradoxie
1.2.1. Logisch-mathematische Paradoxien
1.2.2. Paradoxe Definitionen
1.2.3. Pragmatische Paradoxien
1.2.3.1. Paradoxe Handlungsaufforderungen
1.2.3.2. Doppelbindungen (double-bind)

2. Kritik am Paradoxiekonzept Watzlawicks
2.1 Gibt es pragmatische Paradoxien?
2.1.1. Der Barbier
2.1.2. Die Sei-spontan-Paradoxie
2.1.3. Die Doppelbindung
2.2 Persönliche Bewertung

Fazit

Literatur

Vorwort

Ich habe mich in der folgenden Hausarbeit bemüht, die teilweise schwer zugänglichen bzw. verwirrenden Vorstellungen und Ideen Watzlawicks über Paradoxien und Kommunikation zu verdeutlichen und einer angemessenen, kritischen Bewertung zu unterziehen.

Ich beziehe mich dabei im Wesentlichen auf die bekannten Werke „Menschliche Kommunikation“ sowie „Wie wirklich ist die Wirklichkeit“ von Paul Watzlawick selbst als auch auf das Buch „Mythos Watzlawick und die Folgen“ von Bettina Girgensohn – Marchand.

I. Paradoxien nach Watzlawick

1.1. Einführung in den Paradoxiebegriff

Das Wahrig Fremdwörterlexikon übersetzt den Begriff der Paradoxie relativ schlicht als Widersinnigkeit.

Eine deutlich komplexere Erklärung liefert Watzlawick selbst, indem er eine Paradoxie als einen Widerspruch definiert, der sich durch die folgerichtig Deduktion aus widerspruchfreien Prämissen ergibt.

Zu gut Deutsch also ein Widerspruch der einer richtigen Herleitung aus einander nicht ausschliessenden Voraussetzungen folgt.

Watzlawick spricht in diesem Zusammenhang von der theoretischen Unterscheidbarkeit wahrer und falscher Paradoxien.

Eine wahre Paradoxie kann im gewissen Sinne als das Ende der formalisierten Logik betrachtet werden wobei davon ausgegangen werden muss, dass tatsächlich die Bildung eines logischen Schlusses grundsätzlich unmöglich ist.

Eine falsche Paradoxie hingegen resultiert aus bewussten oder unbewussten Trugschlüssen bzw. Denkfehlern. Vereinfacht ausgedrückt wurden Informationen oder Optionen unbeachtet gelassen, die den logischen Schluss zumindest theoretisch ermöglicht hätten.

Hieraus ergibt sich schnell die recht eindeutige Problematik der klaren Differenzierung zwischen richtig und falsch, denn diese kann nur auf der Basis aktuellen Wissen vollzogen werden.

Ein nettes Beispiel zur Verdeutlichung ist hierfür ist die Legende der fluguntauglichen Hummel. :

Lange Zeit galt die Flugfähigkeit der Hummel Physikern und Biologen als kleines Wunder der Natur, da nach den bekannten aerodynamischen Gesetzmässigkeiten ein Objekt mit 1,7g Körpergewicht unmöglich durch nur 1 qcm Flügelfläche flugfähig war.

Bis zu diesem Punkt haben wir also eine augenscheinlich wahre Paradoxie vor uns, denn auf der einen Seite haben wir es mit offenbar gültigen Prämissen (erprobte aerodynamische Gesetze und einem nachweisbaren Verhältnis von Körpergewicht zu Flügelfläche) zu tun und auf der Anderen stellt die Flugtätigkeit der Hummel ein ebenfalls wahres, weil beobachtbares, Ereignis dar.

Das Ganze klappte aber nur bis zu dem Tag, an dem man auf die Idee kam, dass die angewandten Gesetze für Flugobjekte mit starren Flügelflächen entwickelt wurden, was aber auf Insekten nicht zutrifft, da diese bekanntlich weder über Triebwerke noch Propeller verfügen sondern den Flügelschlag zur Fortbewegung nutzen.

Zur nähern Untersuchen wurde also eine Hummel in einen Windkanal verbracht worauf nachgewiesen werden konnte, dass zum Einen tatsächlich andere Gesetze der Aerodynamik anzuwenden waren und zum Anderen auch thermodynamische Faktoren (i.S. von Auftrieb durch Luftverwirbelungen) von der Hummel genutzt werden.

Damit wandelt sich die wahre Paradoxie zu einer ganz offensichtlich Falschen. Ein Prozess, der so oder so ähnlich weder in der Wissenschaft noch im sozialen Alltag eine Seltenheit darstellt.

1.2. Formen der Paradoxie

Watzlawick separiert das Phänomen der Paradoxie in drei, für die menschliche Kommunikation relevante, Klassifizierungen. :

1. logische-mathematische Paradoxien (Antinomien)
2. paradoxe Definitionen (semantische Antinomien)
3. pragmatische Paradoxien (paradoxe Aufforderungen)

Auf diese, recht unterschiedlichen Varianten, möchte ich im Folgenden näher eingehen.

1.2.1. Logisch-mathematische Paradoxien

Bei logisch-mathematischen Paradoxien (auch Antinomien genannt) handelt es sich nach Watzlawick um eine logische Aussage die sowohl kontrainduktorisch als auch beweisbar ist.

Vereinfacht ausgedrückt beschränkt sich diese Aussage auf den Umstand, dass eine Aussage nicht zugleich wahr als auch unwahr sein kann.

Als Beispiel sei hier nur der „Klassiker“ im wahrsten Sinne aufgeführt, wie er auch von Watzlawick zur Verdeutlichung herangezogen wird.:

Die Klasse aller Klassen, die sich nicht selbst als Element enthalten.

Eine Klasse wird hier als eine Gruppierung von Objekten verstanden, die eine bestimmte Eigenschaft teilen und gleichzeitig so deutlich definiert wird, dass ausserhalb dieser Klasse stehende Objekte von ihr klar ausgeschlossen werden.

Beispielsweise hat die Klasse für „Kugelschreiber“ die Eigenschaften Schreibgerät und Mine mit Kugel. Damit fällt der Definition nach alles was zum Schreiben geeignet ist und über eine Mine mit Kugel verfügt in die Klasse „Kugelschreiber“ und alles was nicht schreibt oder keine Mine mit Kugel hat in die automatisch entstehende Klasse der „Nicht-Kugelschreiber“.

Entscheidend ist hierbei, dass ein Objekt nicht in der Lage ist gleichzeitig „Kugelschreiber“ und „Nicht-Kugelschreiber“ zu sein.

1.2.2. Paradoxe Definitionen

Semantische Paradoxien[1] sind das Resultat einer widersprüchlichen Sprache in der die Klassifizierung bzw. Typenlehre ,wie unter den logisch-mathematischen Paradoxien behandelt, versagt und letztendlich zu wiederkehrenden Zirkelschlüssen führt.

Wenn ich beispielsweise sage: „Alle Deutschen lügen.“, stellt sich die Frage ob ich jetzt auch lüge, denn ich bin deutscher Herkunft.

1.2.3. Pragmatische Paradoxien

Die pragmatischen Paradoxien nehmen bei Watzlawick den mit Abstand grössten Raum ein, liefern damit jedoch naturgemäß gleichzeitig den Löwenanteil streitbarer Ideen und Theorien, weshalb ich mich ihnen in dieser Hausarbeit im besonderen Umfang widme.

Vorab sei gesagt, dass Paradoxien in mindestens zweierlei Hinsicht auf weite Teile der Watzlawickschen Theorien Auswirkung haben. Zum Einen sieht Watzlawick Paradoxien, insbesondere die „pragmatischen Paradoxien“, als Auslöser von Konfusion i.S. einer „strukturellen Schwäche“ einer Mitteilung und zum Anderen als eine wichtige Komponente der Doppelbindung

Während Watzlawick direkte Übertragungs- bzw. Übersetzungsfehler bei der Übermittlung von Mitteilungen als Konfusionsquellen betrachtet, bezieht er mit den paradoxen Mitteilungen nun auch direkt die Eigenschaften einer Mitteilungen als eine mögliche Ursache für Konfusion mit ein.

1.2.3.1. Paradoxe Handlungsaufforderungen

Die paradoxe Eigenschaft definiert sich in diesem Zusammenhang aus der Tatsache, das eine Mitteilung zwei miteinander unvereinbare Botschaften enthält.

Als Ursache der Unvereinbarkeit sieht er den Umstand, dass der Inhalt der Botschaft auf sich selbst angewandt wird.

Das einfachste Beispiel für diese Betrachtungsweise führt Watzlawick mit einem Schild auf, das mit dem Text „Ignorieren Sie dieses Zeichen!“ beschriftet ist.

Nach seiner Ansicht läuft dieses zwangsläufig auf einen Zustand der Verwirrung hinaus, da der Verstoß gegen die Aufforderung gleichzeitig mit deren zur Kenntnisnahme erfolgt, was ein „angemessenes“ Verhalten unmöglich macht.

Watzlawick führt an dieser Stelle auch die sog. Sei-Spontan-Paradoxien auf. Hier stossen wir auf das Problem, dass der Sinngehalt der Aufforderung in dem Moment absurd wird in dem ich ihr tatsächlich folge, denn Spontaneität definiert sich vor allem aus dem Fehlen einer bewussten und intentionalen Zielgerichtetheit was mit einem Vorgang der Art „Ich soll spontan sein, also verhalte ich mich auch so“ nicht mehr zu realisieren ist.

Ein besonders strittiges Beispiel aus der Gruppe der paradoxen Handlungsaufforderungen stellt Watzlawicks Geschichte vom Dorfbarbier dar, die nach seiner Ansicht im besonderen Maße zur Erläuterung des Konzeptes geeignet ist.:

Der Barbier eines Dorfes rasiert alle Männer die sich nicht selbst rasieren, was zur erschöpfenden Aufteilung der Dorfbewohner in Selbstrasierer und Nichtselbstrasierer führt.

Nach seiner Auffassung führt nun der Versuch den Barbier selbst einer Gruppe (Selbstrasierer oder Nichtselbstrasierer) zuzuordnen geradewegs in eine Paradoxie mit der Aussage, dass der Barbier vom logischen Standpunkt aus betrachtet nicht existieren kann.

Um die Darstellung noch etwas undurchsichtiger zu gestalten, macht Watzlawick den Barbier zu einem Soldaten der von seinem Vorgesetzten den Befehl erhält, alle Soldaten zu rasieren die sich nicht selbst rasieren und keinen anderen.

Als wesentliche Bestandteile der Situation definiert er:

1. Eine bindende komplementäre Beziehung zwischen Offizier und Befehlsempfänger.
2. Ein unbedingt zu befolgender Befehl der aber nur zu befolgen ist wenn er nicht befolgt wird. (Der Befehl definiert den Barbier als als Selbstrasierer, wenn und nur wenn er sich nicht selbst rasiert, und umgekehrt.)
3. Der Befehlsempfänger kann die Situation weder verlassen noch kritisch kommentieren (metakommunizieren), da dies der Insubordination gleichkommen würde. (Watzlawick 1969; S. 179)

Nach Watzlawicks Meinung befindet sich der Soldat hiermit in einer unhaltbaren Situation, da der Babier logisch gesehen nicht existieren kann und der Befehl bar jeglichen Sinns ist.

Da dieses Beispiel logisch nur schwer nachvollziehbar ist und noch die eine oder andere Frage aufwerfen dürfte, habe ich mich im zweiten Kapitel näher damit befasst.

1.2.3.2. Doppelbindungen (double-bind)

Eine besondere Bedeutung erhält die Doppelbindung nicht zuletzt durch den Umstand, dass sie von Watzlawick als Ursache für ein Verhalten gleich schizophrener[2] Krankheitsbilder gesehen wird und so zumindest teilweise konträr zur bisher dahin gültigen Meinung steht, die in erster Linie Denkstörungen, Ich-Schwächen usw. als deren Auslöser betrachtete und nur sekundär Einflüsse auf und durch das soziale Umfeld mit einbezog.

In diesem Kontext zitiert Watzlawick Bateson :

„Der Schizophrene muss in einer Welt leben, in der die Ereignisabläufe solcher Art sind, dass sein ungewöhnliches Kommunikationsverhalten in gewissem Sinn angebracht ist.“ (Watzlawick 1969; S. 195)

Mit anderen Worten enthält diese Aussage die Behauptung, dass ein, in einem gewissen Sinne schizophrenes, Umfeld anzunehmen ist, dass den unkonventionellen Kommunikationsstil des „Kranken“ zumindest teilweise entspricht.

Die Doppelbindung selbst definiert Watzlawick wie folgt.:

1. Zwei oder mehr Menschen stehen zueinander in einer engen Beziehung, die für einen oder auch alle von ihnen einen hohen Grad von physischer und/oder psychischer Lebenswichtigkeit hat.
2. In diesem Kontext wird eine Mitteilung gegeben, die a) etwas aussagt, b) etwas über ihre eigene Aussage aussagt und c) so zusammengesetzt ist, dass diese beiden Aussagen einander negieren oder unvereinbar sind. Wenn also eine Mitteilung eine Handlungsaufforderung ist, so wird sie durch Befolgung missachtet und durch Missachtung befolgt; handelt es sich um eine Ich- oder Du-Definition, so ist die damit definierte Person es nur, wenn sie es nicht ist, und ist es nicht, wenn sie es ist. Die Bedeutung der Mitteilung ist unentscheidbar.
3. Der Empfänger dieser Mitteilung kann der durch sie hergestellten Beziehungsstruktur nicht dadurch entgehen, dass er entweder über sie metakommuniziert (sie kommentiert) oder sich aus der Beziehung zurückzieht ... Diese Situation kann für den Empfänger oft noch weiter durch das mehr oder weniger ausgesprochene Verbot erschwert sein, des Widerspruchs oder der tatsächlichen Zusammenhänge gewahr zu werden. Eine in einer Doppelbindung gefangene Person läuft also Gefahr, für richtige Wahrnehmungen bestraft und darüber hinaus als böswillig oder verrückt bezeichnet zu werden, wenn sie es wagen sollte zu behaupten, dass zwischen ihren tatsächlichen Wahrnehmungen und dem, was sie wahrnehmen sollte, ein wesentlicher Unterschied besteht.(Watzlawick 1969; S. 195/196)

Nach Watzlawicks Ansicht gehören unlogische, doppelbindende Situationen und Beziehungskonstellationen in einem gewissen Umfang zur menschlichen Realität haben aber gewöhnlich nur einen eher kurzfristigen Charakter, auch wenn dies traumatische Auswirkungen nicht ausschliesst.

Eine reelle Gefahr befürchtet er jedoch „... wenn Doppelbindungen zu einer chronischen Erscheinung und damit langsam zu einer gewohnheitsmässigen Erwartung werden. Dies gilt natürlich vor allem für die Kindheit, da Kinder zu dem Schluss neigen, dass ihre eigenen Erlebnisse auch die der anderen sein und daher universale Gültigkeit haben müssen.“ (Watzlawick 1969; S. 197)

Die Doppelbindung kann so zu einem wichtigen Teil einer Beziehungsstruktur werden und langfristig die Linearität der zwischenmenschlichen Kommunikationsverläufe und die Überschaubarkeit von Ursache-Wirkung-Beziehungen zerstören, was durch die Auswirkung auf beide Seiten der Doppelbindung letztendlich die Herleitung der Ursachen pathologischer Beziehungssysteme nahezu unmöglich macht.

Als mögliche Reaktionen auf eine Doppelbindung führt Watzlawick drei Verhaltensweisen auf.

1. Der Betroffene geht davon aus, dass er entweder wichtige, klärende Anhaltspunkte übersehen hat, oder ihm notwendige bzw. hilfreiche Informationen vorenthalten wurden, was letztendlich zu einer Ausdehnung der Erklärungsversuche auf unwahrscheinliche und offensichtlich falsche Lösungen führen kann.
2. Der Betroffene flüchtet sich in eine exakte Befolgung der für ihn absurden Reglements und flüchtet sich in deren mindestens äusserlich uneingeschränkte Akzeptanz.
3. Der Betroffene zieht sich aus zwischenmenschlichen Kontakten zurück, soweit möglich.

Wie bereits angemerkt, entsprechen diese Reaktionen auf die Unentscheidbarkeit einer Doppelbindung laut Watzlawick den klinischen Bildern der Schizophrenie besonders der Paranoia[3], der Hebephrenie[4] und der Katatonie[5].

II. Kritik am Paradoxiekonzept Watzlawicks

2.1 Gibt es pragmatische Paradoxien?

Ich habe mich für die Behandlung dieses Abschnittes vornehmlich mit dem Kapitel „Paradoxe Kommunikation“ aus Bettina Girgensohn – Marchands Buch „Mythos Watzlawick“ beschäftigt, dass mir sehr aufschlussreich erscheint und damit hervorragend dazu geeignet ist einerseits Watzlawicks Vorstellungen von Paradoxien besser zu verstehen, aber andererseits auch klar und nachvollziehbar dabei hilft, die reichlich vorhandenen Schwachstellen zu entdecken und zu verstehen.

2.1.1. Der Barbier

Eines der Hauptprobleme Watzlawicks scheint seine gelegentliche Unfähigkeit zu sein den eigenen Definitionen klar zu folgen. Wie ich bereits unter 1.1. geschrieben habe, definiert Watzlawick selbst eine Paradoxie als ...einen Widerspruch, der sich durch die folgerichtig Deduktion aus widerspruchfreien Prämissen ergibt.

Scheinbar ohne sich darüber bewusst zu sein, hebelt er damit aber auch gleichzeitig sein Beispiel des Barbiers aus, der den Befehl erhält alle Soldaten zu rasieren die sich nicht selbst rasieren und nur die.

Laut Watzlawick findet sich der bedauernswerte Barbier nun in einer „unhaltbaren“ Position wieder, da er sich nicht sicher sein kann, was für ihn gilt und aufgrund der Gefahr der Insubordination verdächtigt zu werden von der Möglichkeit der Vergewisserung ausgeschlossen ist.

Wie er selbst sagt, funktioniert diese Paradoxie eigentlich nur durch die Annahme einer Position, die eben diese Möglichkeit der Vergewisserung bzw. die des direkten Rückzugs aus der Situation, ausschliesst.

Von einem rein logischen Standpunkt aus betrachtet ist dieser Befehl wirklich unsinnig, jedoch stellt sich die Frage der tatsächlichen Realitätsnähe denn im Alltag würde der Barbier wohl kaum auf die Idee kommen, dass dieser Befehl auch direkt auf seinen eigenen Bartwuchs anzuwenden ist.

Dazu Girgensohn – Marchands:

Wenn man einer Altenpflegerin sagt: “Baden Sie alle , die sich nicht selbst baden“, wird sie auch nicht auf die Idee kommen, sie selbst sei Objekt dieser Aufforderung.

Davon abgesehen kann ich mir kaum vorstellen, dass bereits die Bitte um Präzisierung als Insubordination aufgefasst werden würde.

Was in meinen Augen jedoch schwerer wiegt ist der Umstand, dass es sich genaugenommen um keine Paradoxie sondern lediglich um einen widersprüchlichen Befehl unter Strafandrohung handelt denn, „ Der Befehl definiert den Barbier als Selbstrasierer, wenn und nur wenn er sich nicht selbst rasiert, und umgekehrt.“ (Watzlawick 1969; S. 179)

Das steht im direkten Widerspruch zu Watzlawicks Paradoxiedefinition, die grundsätzlich von widerspruchfreien Prämissen ausgeht.

2.1.2. Die Sei-spontan-Paradoxie

Wie auch bei der Geschichte vom Barbier scheint bei den Sei-spontan-Paradoxien Watzlawick Schwierigkeiten zu haben, realitätsnahe Kontexte mit einzubeziehen und schafft so Paradoxe die eigentlich keine sind.

Die Widersprüchlichkeit einer Aufforderung zur Spontanität ergibt sich nur dann, wenn ich alle umgebenden Variablen wie z.B. Zusammenhang oder Ausdrucksweise vollständig ignoriere und auf fast erbsenzählerische Weise diesen Satz auf eine rein technisch-logische Ebene herunterbreche was aber im Alltag so gut wie nie vorkommen dürfte.

Dazu ein weiteres Zitat von Girgensohn – Marchands:

Man kann sich vorstellen, dass sie (die Aufforderung zur Spontanität) einen Hinweis („hier kannst du dich freier verhalten“), einen Wunsch („wärest du nicht immer so überlegt“), eine Aufforderung („lösen sie sich von der vorgegebenen Rolle“) bedeutet, und darauf wird man verschieden reagieren.

2.1.3. Die Doppelbindung

Girgensohn-Marchand weist ausdrücklich auf den Umstand hin, dass es sich bei der Doppelbindung um ein empirisch kaum zu fassendes Phänomen handelt, dass häufig mehr oder minder stark an den Haaren herbeigezogen wird und sich einer klaren Identifikation, auch Watzlawick, praktisch vollständig entzieht.

Als eine Demonstration für Doppelbindung verwendet Watzlawick (1969; S. 199) das Beispiel einer Mutter, deren schizophrener Sohn die Wohnungseinrichtung mit einem Kleinkalibergewehr demolierte. Auf die Frage, wie sie mit dieser Situation umgegangen sei antwortete diese.: „Ich sagte ihm zum hundertsten Male, dass er nicht in der Wohnung spielen soll.“

Natürlich handelt sich hierbei um eine ziemlich unkonkrete Aussage die dem Sohn keine Informationen darüber liefert, ob der Schusswaffengebrauch grundsätzlich verboten ist oder nur ausserhalb der Wohnung stattfinden soll, was also eine angemessene, der Mutter akzeptable Verhaltensweise wäre.

Andererseits stellt sich jedoch die Frage, wo hier eine Doppelbindung vorliegt. Zwar liegt zwischen Mutter und Kind, zumal wenn das Kind allein nicht lebensfähig ist, ein enges Abhängigkeitsverhältnis vor, aber weder stehen die Aussage und die Aussage über die Aussage in einem paradoxen Verhältnis noch sehe ich eine Unmöglichkeit der Metakommunikation vorliegen. Letzteres allerdings unter Vorbehalt, da es natürlich möglich sein kann, dass der Sohn durch seine Erkrankung zur Metakommunikation unfähig ist.

Nach Girgensohn-Marchand ist in Familien Schizophrener im Allgemeinen weniger von paradoxen Handlungsaufforderungen auszugehen, als von einer eher unklaren und unakkuraten Kommunikationsweise auf allen Ebenen (auch i.S. von Inkongruenzen) die zu einer Vielzahl von verdeckten und nur schwer zu durchschauenden Widersprüchlichkeiten führt aus denen nur schwer sinnvolle Handlungs- bzw. Verhaltensweisen abzuleiten sind.

Sie weist darauf hin, dass es sicherlich familiäre Strukturen geben kann, die seelischen Erkrankungen zu Ausbruch verhelfen (i.S. eines Fluchtverhaltens) gibt aber auch zu bedenken, dass im Allgemeinen kaum von einer wirklichen Watzlawickschen Doppelbindung gesprochen werden kann und des weiteren bisher kein belegbarer Bezug zwischen Doppelbindung und Schizophrenien hergestellt werden konnte.

Kurz gesagt ist die Doppelbindung im Sinne Watzlawicks ein eher undurchschaubares, kaum zu fassendes Konzept das auch durch ihn so unspezifisch dargestellt wird, dass eine empirische Fassbarkeit geschweige denn eine medizinisch verwertbare, einheitliche Definition unmöglich erscheint.

2.2. Persönliche Bewertung

Ich bin der festen Überzeugung, dass eine Theorie bzw. in diesem Fall ein Theoriegebäude weitestgehend durch sinnvolle und zugängliche Beispiele mit Realitätsbezug ihren vollen Wert erhält.

Spätestens durch Girgensohn-Marchands Buch ist mir klar geworden, dass Watzlawick regelmässig eigene Aussagen unbeachtet lässt um auf den ersten Blick mehr oder minder klar erscheinende, untermauernde Beispiele zu konstruieren die aber bei genauerer Betrachtung gerne von absolut unverständlich bis eindeutig fehlerhaft reichen.

Was mich besonders geärgert hat und wofür ich im Übrigen nicht mal Girgensohn-Marchand brauchte war die häufige Ausserachtlassung von kontextuellen und persönlichen Bedeutungszuschreibungen durch die Kommunikationspartner.

Das führt letztendlich dazu, dass Watzlawick scheinbar von einem Menschen ausgeht, der sich grundsätzlich maschinenartig auf eine Art „technische oder mathematische Logik“ von Aussagen und Verhalten konzentriert und zur Bewertung von Mitteilungen lediglich ein universelles, aber dennoch nur auf die formale Logik reduziertes, Programm zur Verfügung hat, dass unabhängig von den dynamischen Variablen der umgebenden Situation und der individuellen Persönlichkeit über Paradoxie oder Klarheit entscheidet.

Manchmal erscheint es mir, als hätte Watzlawick zur Belegung seiner Theorien ein Konzept genutzt das darauf basiert, alle Informationen die dazu führen könnten das eine Situation nur als „widersprüchlich“ oder „unklar“ beschrieben werden würde wegzustreichen, um künstlich unauflösliche Paradoxien zu erschaffen.

Ein solches Vorgehen ist bei Lichte betrachtet nicht einfach nur eine Abkehr von wichtigen wissenschaftlichen Prinzipien sondern schon fast deren Umkehr. Anders gesagt: Wenn ich nach einer Antwort suche gehe ich normalerweise so vor, dass ich alle unmöglichen Antworten suche und ihr Nichtzutreffen belege. In dem was verbleibt muss dann zwangsläufig die Wahrheit stecken. Watzlawick streicht die möglichen Antworten und sagt, die Frage ist nicht zu lösen ergo muss eine Paradoxie vorliegen.

Was mir besonders wichtig erscheint ist, dass ich persönlich der Ansicht bin, dass die Paradoxie grundsätzlich ein Begriff ist, der fast zwangsläufig zeitlich begrenzter Natur ist.

Nehme ich nochmals mein Beispiel der „Fluguntauglichen Hummel“ dann wird klar, dass die Widerspruchsfreiheit der Prämissen nur solange real feststellbar ist, solange mir Informationen fehlen bzw. ich die vorhandenen Informationen falsch zusammenführe.

So oder so ähnlich dürfte es auch im sozialen Alltag verlaufen. Eine Situation oder Beziehung wird nur bis zu dem Zeitpunkt einen widersprüchlichen bzw. verwirrenden, unklaren Charakter annehmen können, solange mir „Daten“ fehlen oder ich nicht befähigt bin diese korrekt zusammenzuführen.

Das aber aus diesen Widersprüchlichkeiten regelmässig Paradoxien entstehen halte ich, ebenso wie Girgensohn-Marchand, angesichts der mit einem kommunikativen Vorgang übermittelten Zusatzinformationen, der kontextuellen Bezüge und nicht zuletzt der hohen Dynamik und Anpassungsfähigkeit des Menschen für nahezu ausgeschlossen.

Bemerkenswert ist hierbei auch, dass Watzlawick es schafft, recht irreale Beziehungskonstellationen zu verwenden, die Metakommunikation auf die eine oder andere Art ausschliessen und so eigentlich ein Umfeld schafft, in dem in gewisser Weise die mathematische Paradoxie greift und das Konzept der pragmatischen Paradoxien von hinten herum ad absurdum führt.

Ich glaube im Übrigen, dass das Hauptproblem nicht die tatsächliche Paradoxie darstellt, sondern die Zustände von Antwort- und Alternativlosigkeit die sich manche Menschen selbst kreieren wenn sie danach streben alles bis ins letzte zu ergründen und sich so verzetteln, den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen. Und das ist mehr eine Frage der Fähigkeit bzw. des Mutes Entscheidungen zu treffen als von der tatsächlichen Unmöglichkeit einer Problemlösung.

Fazit

Das Wesentlich zu meiner Haltung zum Thema „Paradoxien“ habe ich bereits gesagt. Rückblickend kann ich recht überrascht feststellen, dass dieses Thema weit interessanter und zugänglicher ist, als es mir bei meiner ersten Bearbeitung im Rahmen des letzten Referates erschien, was aber nicht bedeuten soll, dass ich es nun als besonders leicht wahrnehme.

Besonders die sichere Differenzierung zwischen Widerspruch und Paradoxie hat mir bei etwas komplexeren Sachverhalten noch Schwierigkeiten bereitet. Um hier nochmals mein Hummel-Beispiel zu erwähnen bin ich am Ende der Hausarbeit ins Wanken geraten, ob die Prämissen nun wirklich widerspruchsfrei sind oder nicht. Denn auf der einen Seite kann ich aus ihnen ein Ergebnis (Flugunfähigkeit) ableiten das im Kontrast zur Realität (Flugfähigkeit) steht, aber auf der anderen Seite kann ich auch die Flugtätigkeit und die physikalische Flugunfähigkeit als Prämissen verwenden ... und diese wären dann doch widersprüchlich was einer Paradoxie entgegenstehen würde.

Ich frage mich also auch, ob es nicht auch eine Frage des Blickwinkels ist, was sich als Paradoxie bezeichnen lässt und was nicht.

Das Ganze bleibt also ein für mich verwirrendes und schwer zu strukturierendes Thema vermutlich nicht zuletzt, weil ich mir doch die Frage gestellt habe ob „Paradoxien“ tatsächlich existieren.

Eigentlich tendiere ich eher zu der Ansicht, dass es auf alles eine logische Antwort geben muss und ich aufgrund mangelnder Informationen lediglich nicht in der Lage bin sie zu finden.

So gesehen kommt es dann darauf an, ob ich das Ganze mit der nötigen Ruhe und Geduld angehe und mich nicht auf das Auffinden dieser Antworten versteife sondern auch einmal Unklarheiten hinnehmen kann.

Wie auch schon in meiner persönlichen Bewertung angedeutet denke ich, dass eben die Tendenz alles bis ins Kleinste wissen zu wollen das eigentlich Problem darstellt und das ist was einen Menschen, besonders i.S. der Schizophrenie, krankmachen kann.

Wenn ich in eine „unklare“ soziale Struktur hineingeboren wurde, wie bei den erwähnten Familien der Fall, suche ich vielleicht eher krampfhaft nach Antworten und steuere mich so selbsttätig mehr und mehr in augenscheinlich paradoxe Situationen hinein.

Literatur

Wahrig Fremdwörterlexikon – Onlineausgabe 2003 / www.wissen.de

Waldow, Michael (2003) / Kommunikationsstörungen; Begriff und Systematik

Watzlawick, Paul (1998) / Wie wirklich ist die Wirklichkeit? / München: Piper

Watzlawick, Paul; Beavin, Janet H. ; Don D. Jackson (1996) / Menschliche Kommunikation / Bern: Hans Huber

Arnold; Eysenck; Meilt (1997) / Lexikon der Psychologie / Augsburg: Bechtermünz Verlag

Rahn; Mahnkopf (2000) / Lehrbuch Psychiatrie / Bonn: Psychiatrie Verlag

Girgensohn-Marchand / Der Mythos Watzlawick und die Folgen / Weinheim: Deutscher Studien Verlag

[...]


[1] Semantik: Lehre von der Bedeutung der Wörter und ihren Wandlungen

[2] Der Begriff der Schizophrenie umfasst eine grössere Gruppe schwerwiegender Psychosen, die sich in einer Reihe deutlicher psychologischer Symptome und pathologischer Verhaltensweisen manifestieren. Dazu gehören z.B. Manisch-depressive Erkrankungen, Wahnvorstellungen (bspw. Verfolgungswahn/Paranoia/Paraphrenien).

[3] Paranoia: z.B. Verfolgungs- oder Grössenwahn.

[4] Hebephrenie: Vergl. Demenzia praecox; Verwirrung, Demenz, affektive Labilität.

[5] Katatonie: Form der Schizophrenie bei der motorische Symptome im Vordergrund stehen.

Fin de l'extrait de 17 pages

Résumé des informations

Titre
Die Formen der Paradoxie nach Watzlawick. Grundlagen und Kritik
Université
Neisse University Görlitz
Cours
Kommunikationsstörungen
Note
1
Auteur
Année
2004
Pages
17
N° de catalogue
V108586
ISBN (ebook)
9783640067831
Taille d'un fichier
476 KB
Langue
allemand
Mots clés
Paradoxien, Kommunikationsstörungen
Citation du texte
Burkhard May (Auteur), 2004, Die Formen der Paradoxie nach Watzlawick. Grundlagen und Kritik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/108586

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