Zeitliche Repräsentation der Anderen bei Voltaire, Herder und Sahlins


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

14 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Voltaire und Herder
2.1 Naturmenschen bei Voltaire
2.2 Kinder bei Herder
2.3 Zwischenfazit

3 Sahlins
3.1 Struktur und Geschichte bei Sahlins
3.2 Zwischenfazit

4 Zeitgenössische Kritiken
4.1 Geschichtliche Position
4.2 Repräsentativität der Repräsentation

5 Fazit

6 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

In dieser Hausarbeit möchte ich näher untersuchen wie die zeitliche Repräsentation der Anderen bei Voltaire, Herder und Sahlins aussieht und wie sie jeweils erfolgt. Hintergrund dieses Ansatzes ist für mich dabei, dass in der Ethnologie „die Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden [also den Anderen] in jeder Epoche und in jeder Kultur immer wieder neu und immer wieder anders getroffen“ wird (Gottowik 1997: 136, Zusatz von C.J.). Zudem mangelt es der Ethnologie dabei häufig „an einem positiven Begriff für die Benennung ihres Gegenstandes“, denn Begriffe wie „Heiden“, „Primitive“, „Naturvölker“ oder „Länder der Dritten Welt“ drücken aus, dass dem Fremden in Bezug auf das Eigene etwas abgesprochen wird (Gottowik 1997: 136- 137). In Bezug auf die Zeitlichkeit der Anderen kommt hier vor allem hinzu, dass in der Geschichte der Ethnologie gewissermaßen eine temporale Grenze konstruiert wurde, durch die eine Ungleichzeitigkeit geschaffen wurde, beziehungsweise eine Gleichzeitigkeit obsolet wurde (Fabian 1983). Zu fragen ob und inwiefern dies nun bei Voltaire, Herder und Sahlins der Fall ist, ist also Ziel dieser Hausarbeit, wobei aber nicht deren jeweilige Theorien an sich kritisiert werden sollen.

Hinzu kommt, dass Zeit umgangssprachlich sicherlich häufig als allgemeine Tages- und Lebenseinteilung verstanden wird, also als eine physikalische Größe. Es soll hier aber auch geschaut werden, ob mit Zeit auch andere Konzepte verbunden sind.

Hierzu stelle ich im 1. Arbeitsschritt die Zeitlichkeit der Anderen bei Voltaire und Herder vor und darauf selbige von Sahlins. Im 3. Arbeitsschritt konfrontiere ich die 3 Repräsentationen mit zeitgenössischen Kritiken. Abschließend folgt das Fazit.

Die Reihenfolge der 3 Theoretiker macht übrigens nicht nur chronologisch Sinn, sondern auch in ihrer jeweiligen Betonung des Relativismus, was sich noch zeigen wird. Weiterhin sei hier noch angemerkt, dass ich den Begriff „Andere“ benutze, da er mir im Gegensatz zu den obengenannten Begriffen wie „Heiden“ etc. am wertneutralsten erscheint und der eher gängige Begriff „indigen“ beziehungsweise „indigene Völker“ auf Voltaires und Herders Lebzeiten nicht zutrifft, da er schließlich auf Minderheiten im angestammten Lebensraum rekurriert. Zudem spricht auch Fabian in seinem Hauptwerk (Fabian 1983) von „Anderen“ („the Other“).

2 Voltaire und Herder

In diesem Abschnitt gehe ich auf die zeitliche Repräsentation der Anderen bei Voltaire und Herder ein. Ich fasse sie hier nicht nur zusammen, weil sich ihre Lebzeiten teilweise überschnitten haben und ihre Repräsentationen Ähnlichkeiten aufweisen, sondern vor allem weil mein Zwischenfazit zu beiden ebenfalls ähnlich ist und insofern eine getrennte Ausführung zu Wiederholungen führen würde. Zunächst gehe ich aber auf die beiden Philosophen einzeln ein, wobei ich jeweils mit einer kurzen Gesamtskizzierung beginne und diese dann näher erläutern werde.

2.1 Naturmenschen bei Voltaire

Voltaires zeitliche Repräsentation der Anderen ist dadurch gekennzeichnet, dass er sie als „Naturmenschen“ und „Wilde“ den zivilisierten Menschen gegenüberstellt. Zwischen diesen beiden besteht eine zeitliche Differenz, aber keine Dichotomie, im Gegenteil, jeder Mensch hat die Veranlagungen zu Geselligkeit, Mitleid und Gerechtigkeit und ist ein vernunftbegabtes Wesen mit der Fähigkeit zur „Perfektibilität“. Das ist auch das allgemeine Kennzeichen der „nature humaine“ (Henn 1988: 93). Diese Auffassung vom Menschen, also „die psychische Einheit und die physische Mannigfaltigkeit (...) gründen für Voltaire allein in Gott“ (Kohl 1986: 157). Seine theologische Auffassung ermöglicht es ihm also allen Menschen die gleichen Möglichkeiten zuzusprechen.

Was sich hier aus heutiger Sicht befremdlich anhören kann, ist aus der historischen Perspektive des französischen Aufklärers als eine „partielle Aufwertung des Fremden“ (Henn 1988: 98) zu bewerten, denn beispielweise wurde noch im 16. Jahrhundert am spanischen Königshof eine wissenschaftliche Untersuchungskommission eingesetzt, die klären sollte, ob es sich bei den Menschen in den von Columbus, Vespucci u.a. „entdeckten Ländern“ wirklich um Menschen handele, da diese nicht in das Weltbild passten (Kohl 1988: 229). Diese Frage stellte sich für Voltaire offensichtlich so nicht mehr, indem er den „Wilden“ die Möglichkeit der Vernunft zusprach und „eine Menschenart“ (Henn 1988: 94) denkt.

Trotz dieser Aufwertung ist die wertende zeitliche Repräsentation der Begriffe „Naturmensch“ und „Wilder“ dennoch im Vordergrund, denn sein zeitgenössisches Europa hob der Franzose „als unvergleichlich zivilisierter und aufgeklärter“ (Henn 1988: 97) sowohl gegenüber allen Vorzeiten wie auch allen übrigen Weltteilen ab, wobei ihm das Fremde, also die „Naturmenschen“ und „Wilden“, als Vergleichskriterium dient. An dieser Stelle ist sein Geschichtsverständnis entscheidend, denn er verbindet Geschichte und Zivilisation und kann deshalb beispielsweise seinem zeitgenössischem Amerika die Aufgeklärtheit absprechen (Henn 1988: 97). So kann er von „Naturmenschen“ sprechen, die sich in einem eher unentwickeltem Zustand befinden. Dies wird dadurch unterstützt, „dass der Gebrauch der Verstandeskraft bei den einzelnen Völkern in unterschiedlichem Maße vorangeschritten sei“, wodurch er Rangskalen entwickelt, in die er Völkergruppen und Gesellschaften einordnen kann (Kohl 1986: 163).

In Voltaires Werk gibt es noch einen gewissermaßen zweiten „Wilden“, nämlich den fiktiven oder „edlen Wilden“. Aber auch dieser ist letztendlich eine Art Mittel zum Zweck, denn er dient in seiner Zufrieden- und Naturverbundenheit dem „streitsüchtigen, habgierigen und verbildeten“ Europäern als Spiegel und Denkanstoß (Henn 1988: 101). Dies wirkt zunächst wie eine Aufwertung. Aber vor dem Hintergrund Voltaires Bewertung des zeitgenössischen Europa (s.o.) und der Tatsache dass dieses literarische Bild die Realität der Nicht-Europäer nicht revidiert (Henn 1988: 101), ist es aber nicht als solche zu sehen. Hinzu kommt, dass der „edle Wilde“ im Roman „L´ingenu“ das Ziel hat sich zu zivilisieren und sich die zeitgenössische Philosophie aneignet (Kohl 1986: 172).

Methodisch kennzeichnete Voltaire durchaus ein gewisses Verständnis von der Problematik des Ethno- beziehungsweise Eurozentrismus zu haben, denn es war ihm wichtig andere Hochkulturen „nicht weniger unvoreingenommen“ als die europäischen Nationen zu betrachten (Kohl 1986: 154). Hieran lässt sich aber kritisieren, dass er sich dabei an seinem Kulturverständnis orientierte, indem er beispielsweise China und Indien durch großes monarchisches Staatswesen, nationale Gesetze etc. in die Zivilisation einordnete, die Völker Afrikas und Amerikas aber aufgrund des „Mangel an Bekanntem“ außen vor lies (Henn 1988: 99).

2.2 Kinder bei Herder

Die zeitliche Repräsentation der Anderen bei Herder ist dadurch gekennzeichnet, dass er sie als „kindhaft“ in Bezug auf Bildung und Humanität den Europäern gegenüberstellt, die als reif und erwachsen zu betrachten sind. Wo bei Voltaire an dieser Stelle (also an der formalen Gegenüberstellung von Europäern und Nicht-Europäern) zumindest keine Dichotomie bestand, geht Herder noch einen Schritt weiter und billigt jeder Epoche und Kultur auf einer relativistischen Ebene einen eigenen Wert (Henn 1988: 103) und „historische Individualität“ (Berg 1990: 59) zu. Dies steht einer Wertung von Nicht-Europäern zu Europäern wiederum gegenüber.

Wie Voltaire kennzeichnete auch Herder in methodischer Hinsicht ein vorsichtiger Umgang mit Ethno- beziehungsweise Eurozentrismen, denn es war ihm wesentlich, Zeiten und Völker „nach ihrer je besonderen Eigenart zu verstehen [und] nachzufühlen“ (Henn 1988: 106, Zusatz von C.J.). Auf diesem Wege wollte er dem jeder Kultur immanenten kulturspezifischen geistigen Horizont und einem sich daraus als willkürlich ergebenden Vergleich entgehen (Berg 1990: 59-60).

[...]

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Zeitliche Repräsentation der Anderen bei Voltaire, Herder und Sahlins
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Note
2
Autor
Jahr
2005
Seiten
14
Katalognummer
V115671
ISBN (eBook)
9783640170692
Dateigröße
368 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Zeitliche, Repräsentation, Anderen, Voltaire, Herder, Sahlins
Arbeit zitieren
Christian Johannsmann (Autor:in), 2005, Zeitliche Repräsentation der Anderen bei Voltaire, Herder und Sahlins, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/115671

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