Leseprobe
Gliederung
1. Einleitung
2. Die rassenhygienischen Leitideen der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik
3. Der Umgang mit psychisch Kranken und geistig Behinderten im 3. Reich
3.1 Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“
3.2 Euthanasie im Dritten Reich. Das Beispiel der Heil- und Pflegeanstalt Pirna- Sonnenstein
3.3 Das Verhalten der deutschen Bevölkerung zur Euthanasie.
4. Der Umgang mit Homosexuellen im 3. Reich
4.1 Gesetzliche Grundlagen der Verfolgung – Der Paragraph 175
4.2 Die Intensivierung der Verfolgung Homosexueller ab 1936
4.3 Nationalsozialistische Kastrationspraxis - Die Homosexuellenverfolgung im zweiten Weltkrieg
4.4 Rosa Winkel - Homosexuelle in Konzentrationslagern
5. Schlussbetrachtungen
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Zeit des Nationalsozialismus zählt zu den dunkelsten Kapiteln der deutschen Geschichte. Dazu gehört neben dem zweiten Weltkrieg und dem Holokaust auch die in der Aufarbeitung des Dritten Reiches oft vernachlässigte Verfolgung und Ermordung von nationalen Minderheiten, die nicht dem „arischen“ Ideal der Nationalsozialisten entsprachen.
An dieser Stelle ist zu betonen, dass es sich bei den meisten Themen in dieser Arbeit nur um Einblicke handeln kann, da bei weiterer Ausführung der Rahmen dieser Arbeit gesprengt werden würde.
Als Ausgangspunkt der Betrachtung werden zunächst die rassenhygienischen Leitideen der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik und deren Vorläufer dargestellt. Anschließend wird der Umgang mit psychisch Kranken und geistig Behinderten im Dritten Reich geschildert, wobei gesetzliche Grundlagen, das Beispiel der Anstalt Pirna-Sonnenstein und das Verhalten der deutschen Bevölkerung zur Euthanasie genauer thematisiert werden.
Danach wird der Umgang mit Homosexuellen im Dritten Reich nachgezeichnet, wobei die drei Etappen der Verfolgung anhand der gesetzlichen Grundlagen, der Zeit von 1936 bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges und während der Kriegszeit dargestellt werden. Dabei gehe ich genauer auf die nationalsozialistische Kastrationspraxis und dem Alltag von Homosexuellen in Konzentrationslagern ein.
Die Hausarbeit endet schließlich mit meinen Schlussbetrachtungen, in denen ich neben einer kurzen Zusammenfassung die Aufarbeitung der Homosexuellenverfolgung nach dem zweiten Weltkrieg thematisiere.
Die Literaturangaben befinden sich am Ende der Arbeit.
2. Die rassenhygienischen Leitideen der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik
Die entscheidende geistige Grundlage für den Nationalsozialismus war die Rassenideologie. Diese war keine Erfindung der Nationalsozialisten, sondern basierte auf Gedanken, deren wissenschaftliche Wurzeln bis ins achtzehnte Jahrhundert zurückreichen. Geschichtliche Kenntnisse der sogenannten „rassenhygienischen Bewegung“ sind notwendig, um die Durchsetzung dieser Ideen in der deutschen Bevölkerung und Medizin zu verstehen.
Beeinflusst von Thomas R. Malthus (1766-1834) formulierte Charles Darwin in seinem Werk „On the origin of species“ 1859 seine Selektionsthese: „Da mehr Individuen erzeugt werden als möglicherweise überleben können, muß es in jedem Fall einen Kampf ums Dasein geben, entweder ein Individuum gegen ein anderes derselben Art oder gegen Individuen anderer Arten oder gegen die äußeren Lebensbedingungen.“[1]
Francis Galton, ein Vetter Darwins, führte 1883 den Terminus „Eugenik“[2] ein, wonach der Staat die geistige Elite zu früher Heirat und zur Zeugung möglichst vieler Kinder animieren solle, „um so die Zahl der hervorragenden Individuen von Generation zu Generation zu vermehren.“[3] Galton kam als erster zu der Folgerung, dass zwischen Begabung und sozialem Rang eine Korrelation bestehe und daher die am meisten befähigten Individuen die wenigsten Nachkommen hätten. Um die Jahrhundertwende wurde der Selektionsbegriff aus der Theorie Darwins herausgelöst und auf gesellschaftliche Verhältnisse übertragen. Dieser Sozialdarwinismus wurde in Deutschland insbesondere durch Ernst Haeckel verbreitet.[4]
Graf Joseph Arthur Comte de Gobineau fasste die bis dahin kursierenden Rassentheorien in literarischer Form zusammen und war wohl Ausgangspunkt für die zunehmende Anhängerschaft dieses Gedankengutes um die Jahrhundertwende. Er sah die Unterschiedlichkeit und Ungleichwertigkeit der Rassen als Triebkraft jeder gesellschaftlichen Entwicklung.[5] Für Gobineau waren Arier die Grundrasse der Weißen. Diese letzten arischen Rassenkerne seien, so Gobineau, aber nur noch in England und Norddeutschland zu finden, denn durch Rassenmischung mit Semiten, Slawen und Finnen sind die alten Kulturvölker untergegangen.[6]
Diese Idee wurde von Ludwig Schemann, einem aktiven Propagandisten und Antisemiten weitergetragen. Er hatte durch seine Bekanntschaft mit Richard Wagner Zugang zum Bayreuther Kreis und erzielte eine enorme Breitenwirkung.[7]
Der Arzt Alfred Ploetz führte 1895 den Begriff der Rassenhygiene in Deutschland ein, und gründete zwanzig Jahre später die „Gesellschaft für Rassenhygiene“.[8]
Zu Beginn der Weimarer Republik besaß die Rassenhygiene - Eugenik – wenig institutionellen Rückhalt in der Wissenschaft. Dies änderte sich 1927 durch die Gründung des Kaiser-Wilhelm-Instituts in Berlin, welches sich aus den Bereichen Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik zusammensetzte. Nach eigenen Zielsetzungen erstrebte man ein rein wissenschaftliches Erforschen von menschlichen Rassen und Rassenunterschieden, ohne sich von politischen oder anderen Strömungen beeinflussen zu lassen. Mit dem Institut begann jedoch die Entwicklung der wissenschaftlichen Kontrolle der politischen und praktischen Zielsetzungen der Rassenhygiene. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 erfolgte schließlich die ungezwungene Hinwendung des Instituts zur praktischen Eugenik.[9]
Nach der Etablierung der nationalsozialistischen Macht stellte der „Reichsärzteführer“ Wagner auf dem Reichsparteitag der NSDAP 1934 die gesundheitspolitischen Zielstellungen des Staates vor. Dabei wies er der Rassenhygiene drei besondere Aufgaben zu: „Erstens sei es notwendig, die zahlenmäßige Vermehrung der eigenen arischen Rasse zu fördern, deren Zukunft durch Geburtenrückgang und zunehmende Kinderlosigkeit der Familien gefährdet sei. Zweitens müßten die Auslesevorgänge in eine neue Richtung gelenkt werden, da die bisherige Sozialpolitik die rasche Vermehrung der Zahl erb- und anlagebedingter Erkrankungen begünstigt habe und es nun darauf ankomme, >>Erbuntüchtige von der Fortpflanzung auszuschalten<<. Drittens sei der Vermischung der arischen Rasse mit Trägern artfremden Blutes entgegenzuwirken, da die >>Überfremdung des Deutschtums<< durch die Juden katastrophale Dimensionen angenommen habe.“[10]
Die Umsetzung dieser Aufgaben der Rassenhygiene dominierte in den folgenden Jahren die Gesundheitspolitik des Dritten Reiches. Im Folgenden soll nun exemplarisch die Umsetzung der zweiten Forderung Wagners betrachtet werden, „Erbuntüchtige von der Fortpflanzung auszuschalten“[11].
3. Der Umgang mit psychisch Kranken und geistig Behinderten im 3. Reich
3.1 Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“
Unmittelbar nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten begann die Umsetzung des eugenisch-rassenhygienischen Konzeptes. Am 14.07.1933 wurde das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ verkündet, und trat ab 01.01.1934 in Kraft. Als Grundlage galt ein Gesetz zur freiwilligen Sterilisierung, welches bereits 1932 vom Preußischen Landesgesundheitsrat beraten und befürwortet wurde.[12]
Die entscheidenden Festlegungen des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ lagen in den Paragraphen 1 und 12:
„§1: (1) Wer erbkrank ist, kann durch chirurgischen Eingriff unfruchtbar gemacht (sterilisiert) werden, wenn nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, daß seine Nachkommen an schweren körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden. (2) Erbkrank im Sinne dieses Gesetzes ist, wer an einer der folgenden Krankheiten leidet: 1. angeborenem Schwachsinn, 2. Schizophrenie, 3. Zirkulärem Irresein, 4. Erblicher Fallsucht (Epilepsie), 5. Erblichem Veitstanz, 6. Erblicher Blindheit, 7. Erblicher Taubheit, 8. Schwerer körperlicher Missbildung. (3) Ferner kann unfruchtbar gemacht werden, wer an schwerem Alkoholismus leidet.“
„§12: (1) Hat das Gericht die Unfruchtbarmachung endgültig beschlossen, so ist sie auch gegen den Willen des Unfruchtbarzumachenden auszuführen…“[13]
Dieses Gesetz wurde mit der Einsparung von Fürsorgekosten für die Anstaltsbetreuung gerechtfertigt, da Patienten nach der Sterilisation entlassen werden konnten. Die Fürsorgekosten wurden vom „Reichsärzteführer“ mit 1,2 Milliarden Reichsmark angegeben, was jedoch auf pauschalisierten Hochrechnungen basierte und nicht der Realität entsprach.[14] Für die propagandistische Rechtfertigung der Sterilisationspraxis war das „Rassenpolitische Amt der NSDAP“ verantwortlich. Die vom Gesetz Betroffenen wurden als „Erbkranke“ oder „Volksschädlinge“ abgewertet. Die Grundlagen dieses Denkens wurden bereits in der Schule vermittelt, wo seit 1933 „Rassenkunde“ als Pflichtfach die Gefahren der „Rassenschande“ und die oben erwähnten Fürsorgekosten thematisierte.[15] In den Jahren 1935 und 1936 wurde das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses erweitert. Die Änderung vom 26. Juni 1935 ließ eine Schwangerschaftsunterbrechung aus eugenischer Indikation, bei Zustimmung der Frau, bis zum Ende des sechsten Schwangerschaftsmonates zu. Mit der Ergänzung vom 4. Februar 1936 wurde Röntgenbestrahlung als Sterilisationsmethode zugelassen.[16]
Im Zeitraum von 1933 bis 1939 war die Zwangssterilisierung der dominierende Bereich der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik. Bei Kriegsbeginn wurden etwa 60.000 Sterilisierungen pro Jahr durchgeführt. Insgesamt sind zwischen 290.000 und 300.000 Zwangssterilisierungen erfolgt.[17]
3.2 Euthanasie im Dritten Reich. Das Beispiel der Heil- und Pflegeanstalt Pirna- Sonnenstein
Mit dem Kriegsbeginn kam es zu einem starken Rückgang der Sterilisierungen, da Ärzte und Krankenpfleger zunehmend zum Militärdienst einberufen wurden. Daher fehlte nicht nur Personal für die „erbbiologischen Abteilungen“, sondern auch Pflegekräfte für psychisch Kranke und geistige Behinderte Patienten, was zu einer deutlichen Verschlechterung der medizinischen Betreuung von Anstaltspatienten führte.[19] Kurz nach Kriegsbeginn wurden therapeutische Aktivitäten in der Folge nur noch in Ausnahmefällen weitergeführt.[18]
Im Sommer des Jahres 1939 wurden Reichsleiter Philipp Bouhler und Hitlers Begleitarzt Karl Brand von Hitler mit der „Aktion Gnadentod“ beauftragt. Im Oktober unterschrieb Hitler dann einen Privatbriefbogen, der auf den 1. September (Kriegsbeginn) zurückdatiert wurde, und wie folgt lautete: „Reichsleiter Bouhler und Dr. med. Brandt sind unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, daß nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann“.[20]
Aus außenpolitischen Gründen lehnte Hitler ein Euthanasie Gesetz ab, sicherte mit dieser Euthanasie-Ermächtigung den Beteiligten jedoch das Prinzip der freiwilligen Teilnahme und Straffreiheit zu.[21]
Um Verbindungen zur Reichskanzlei zu verbergen, wurden verschiedene Scheinorganisationen gegründet, deren zentrale Dienststelle in der Berliner Tiergartenstraße 4 ihren Sitz einnahm. Diese Adresse der „Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten“ lieferte zugleich die Tarnbezeichnung für den Massenmord - „Aktion T-4“.[22]
Alle psychiatrischen Anstalten mussten nunmehr Informationen über Krankheiten und Arbeitsfähigkeit ihrer Patienten mittels Erfassungsbögen nach Berlin melden, wo je drei Begutachter und ein Oberbegutachter über Leben und Tod der Patienten entschieden, ohne diese je persönlich gesehen zu haben. Die Basis ihrer Selektion bildeten die Kriterien des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Zum entscheidenden Kriterium für die Lebenserwartung eines Patienten wurde seine Arbeitsfähigkeit. Die Ermordung der als „lebensunwertes Leben“ eingestuften Menschen erfolgte mittels Kohlenmonoxid in den Vergasungsanstalten Grafeneck, Brandenburg, Hadamar, Bernburg/Saale, Sonnenstein, und Hartheim.[23]
Allein in der „Vergasungsanstalt zur Vernichtung lebensunwerten Lebens“ Pirna-Sonnenstein wurden zwischen Ende Juni 1940 bis August 1941 etwa 15.000 Menschen umgebracht. In dieser Zeit besaß die Anstalt etwa 100 Angestellte, von denen weder in Anstaltsberichten noch in Akten des sächsischen Innenministeriums Hinweise auf Protest oder Einsprüche zu finden sind.[24] Haupteinzugsgebiet von Sonnenstein war der Raum Sachsen, Thüringen, Franken und Schlesien. Vor der Vergasung auf Sonnenstein wurden die Patienten gemäß Verfahrensvorschriften in die sächsischen Zwischenanstalten Arnsdorf, Großschweidnitz, Zschadraß und Waldheim gebracht. Der Höhepunkt des Mordens auf Sonnenstein wurde im Juli 1941 mit 2.537 in diesem Monat getöteten Menschen erreicht. Im Sommer 1941 wurden im Rahmen der „Aktion 14 f 13“[25] auch tausende Häftlinge aus Konzentrationslagern wie zum Beispiel Sachsenhausen, Buchenwald oder Auschwitz nach Sonnenstein deportiert und dort ermordet.[26]
[...]
[1] Darwin, Charles zitiert von Ritter 1992, S.173.
[2] Eugenik: „Erbhygiene zur Verhütung erbschädigender Einflüsse“. Zitiert nach: Duden 2001, S.126.
[3] Ritter 1992, S.174.
[4] Vgl. : Thomann 1985, S.32-34.
[5] Vgl. : Thomann 1985, S. 25.
[6] Vgl. : Ritter 1992, S. 176.
[7] Vgl. : Ritter 1985, S.176.
[8] Vgl. : Thomann 1985, S. 32.
[9] Vgl. : Ritter 1985, S.177-178.
[10] Thom 1989, S. 65.
[11] Thom 1989, S.65.
[12] Vgl. : Ritter 1992, S.178-179.
[13] Thom 1989, S.72.
[14] Vgl. : Thom 1989, S.72-73.
[15] Vgl. : Tiedemann 1996, S.157-158.
[16] Vgl. : Thom 1989, S.75.
[17] Vgl. : Ritter 1992, S.179.
[18] Der Begriff Euthanasie stammt aus dem Griechischen und bezeichnet ursprünglich die Sterbebegleitung durch schmerzlindernde Narkotika. Vgl. : Duden 2001, S.127.
[19] Vgl. : Thom 1991, S.207-212.
[20] Klee 1992, S.151.
[21] Vgl. : Klee 1992, S.150.
[22] Vgl. : Klee 1992, S.150-152.
[23] Vgl. : Klee 1992, S.151-152.
[24] Vgl. : Thom 1991, S.211.
[25] „Der Name leitete sich aus dem Aktenzeichen der Tötungsaktion her: 14 stand für Todesfälle im KZ und 13 für die Todesart - Vergasung.“ Zitiert nach: http://www.dhm.de/lemo/html/wk2/holocaust/euthanasie/.
[26] Vgl. : Goldenbogen 1999, S.727.