Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung
2. Problemstellung: Warum haben Eltern Schwierigkeiten bei der Erziehung ihrer Kinder?
2.1. Ein Überblick
2.2. Zusammenfassung
3. Historischer Abriss über die Angebote der Elternerziehung in Deutschland
3.1. Anfänge der Elternerziehung und die Weiterentwicklung der einzelnen Angebote
3.2. Aktueller Überblick
3.3. Zusammenfassung
4. Elternkurs „Starke Elter n – Sta rke Kinder“
4.1. Hintergründe und Inhalte
4.1.1. Geschichte
4.1.2. Ziele
4.1.3. Theoriebasis
4.1.4. Inhaltliches und Methoden
4.1.5. Anwendung und Kursangebot
4.1.6. Schulung der Kursleitung
4.2. Vorstellung der Tätigkeit des Deutschen Kinderschutzbundes bezüglich des Elternkurses „Starke Eltern – Starke Kinder“ in Hamburg
4.3. Zusammenfassung und erste Erkenntnisse
5. Evaluationsstudien zu dem Elternkurs „Starke Eltern – Starke Kinder“
5.1. Evaluationsstudie des Deutschen Kinderschutzbundes in Hamburg
5.1.1. Überblick und Auswertung der Daten über die Teilnahme am Elternkurs und Bezug zu der Familiensituation in Hamburg
5.2. Evaluationsstudie der Fachhochschule Köln als Ergänzung zu den Daten aus Hamburg
5.2.1. Überblick der Daten über die Teilnahme am Elternkurs
5.2.2. Auswertung der Daten
5.3. Kurzer Überblick über die Ergebnisse einer Studie der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen
5.4. Zusammenfassung
6. Schlussbetrachtung und Fazit
6.1. Empfehlungen zur Verbesserung des Elternkurskonzeptes
6.2. Motivation der Eltern für die Teilnahme an einem Elternkurs
6.3. Nach welchen Kriterien sollte ein Elternkurs ausgewählt werden?
6.4. Der „Elternführerschein“, ein aktuelles Pro und Contra
6.5. Fazit
7. Literaturverzeichnis
Diagrammverzeichnis
Diagramm 1: Geschlecht der Teilnehmer
Diagramm 2: Alter der Teilnehmer
Diagramm 3: Altersspezifische Geburtenziffern bei Frauen in Hamburg (2004)
Diagramm 4: Familienstand
Diagramm 5: Alter der Kind(er)
Diagramm 6: Frage 1: Vermittlung von neuen Kenntnissen über Kommunikation
Diagramm 7: Frage 2: Praktische Fähigkeiten zur Handhabung von Konfliktsituationen
Diagramm 8: Frage 3: Der Kurs half mir, besser zu verstehen, was wichtig in der Erziehung und in den Beziehungen ist
Diagramm 9: Frage 4: Der Kurs ermutigte mich auch für die Zukunft zum Austausch mit anderen Eltern
Diagramm 10: Frage 5: Der Kurs gab mir Selbstvertrauen als Elternteil
Diagramm 11: Frage: 6: Während des Kurses behandelten wir praktische Alltagsbeispiele
Diagramm 12: Frage 7: Die Fachkenntnisse der Kursleitung waren meiner Meinung nach
Diagramm 13: Frage 8: Die Art der Kursleitung, die Inhalte zu vermitteln, fand ich
Diagramm 14: Frage 9: Während des Kurses übten wir die theoretischen Inhalte
Diagramm 15: Frage 10: Die Dauer des Kurses insgesamt fand ich
Diagramm 16: Geschlecht der Teilnehmer
Diagramm 17: Alter der Teilnehmer
Diagramm 18: Familienstand 75
Diagramm 19: Alter der Kind(er)
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Ziele und Methoden des Elternkurses
Tabelle 2: Kinder in Haushalten in Hamburg (2003)
Tabelle 3: Haushalte mit allein Erziehenden in Hamburg (2003)
Tabelle 4: Acht Dimensionen elterlichen Erziehungsverhaltens
1. Einführung
„Abends in die Elternschule. Deutschlands Väter und Mütter sind überfordert. Genervt von ihren Kindern, suchen sie in Scharen Rat in Elternkursen und Erziehungsseminaren.“[1]
Mit diesen Worten fing ein Bericht in einer Zeitschrift an, der mich - eine Nichtmutter - und mit Sicherheit auch ganz viele andere auf Anhieb interessiert hat. In diesem Bericht wurde ein Abend in einem Elternkurs im westfälischen Hagen beschrieben, bei dem Eltern etwas über die Erziehung ihrer Kinder dazulernen wollten. Auf zehn Seiten wurde über Elternschulen, verschiedene Kursangebote, die „Super Nanny“ im Fernsehen, Erziehungsprobleme, die Unsicherheiten der Eltern, den Nachwuchsmangel, Erziehungsziele und unterschiedliche Meinungen zu diesen Themen berichtet. Das alles war sehr fesselnd, ließ aber viele Fragen unbeantwortet. An diesem Punkt entstand daher die Idee, meine Diplomarbeit über die Fortbildung der Eltern bezüglich der Kindererziehung zu schreiben.
Die Kritik für die Verantwortung an der Bildungs- und Erziehungskrise der Kinder wird den Eltern, Lehrern, Politikern, Erziehern und auch den Medien gegeben, aber es wird nicht nur nach Ursachen gesucht, sondern nach Möglichkeiten und Lösungen, die dazu führen sollten, aus der Krise herauszukommen.[2] Die Erziehungswissenschaftlerin Tschöpe-Scheffler schreibt in ihrem Buch „Elternkurse auf dem Prüfstand – Wie Erziehung wieder Freude macht“, es „setzen die einen auf die Verbesserung der Elementarpädagogik, die anderen plädieren für Ganztagsschulen oder für eine stärkere Vernetzung zwischen Eltern, Lehrern und Sozialpädagogen. Ein breiter Konsens besteht darin, dass die Familie in ihrem Erziehungsauftrag stärker unterstützt werden sollte, sei es materiell, durch qualifizierte Erziehungsangebote für Kinder oder durch präventive Maßnahmen zur Stärkung der elterlichen Erziehungsfähigkeiten.“[3]
Die Suche nach Eltern, die „perfekte Erzieher“ sind, könnte endlos sein. Denn mit Sicherheit sind alle Eltern mehr oder weniger unsicher in den Erziehungsmaßnahmen ihren Kindern gegenüber. Da ihnen oft vertraute Bezugspersonen als Vorbilder (wie zum Beispiel die eigenen Eltern oder Geschwister mit eigenen Kindern) fehlen und sie sich aufgrund der heutigen Schnelllebigkeit nicht anhand von Erziehungsmethoden aus ihrer Kindheit orientieren können, möchten viele von ihnen von professionellen Stellen Bestätigung, Hilfe und Unterstützung bekommen und sind bereit, ihre Freizeit und eventuelle Kosten dafür zu investieren.
Da es aber zu diesem Thema diverse Ratgeber, eine Vielzahl von Elternkursen, institutionelle und Online-Beratungsstellen, Erziehungsfragenchats im Internet und andere Angebote der Familienhilfe gibt, beschloss ich, meine Diplomarbeit auf einen bestimmten Bereich zu beziehen: einen speziellen Elternkurs.
Allgemein gesehen seien Elternkurse dazu da, so Tschöpe-Scheffler, die Eltern darin zu unterstützen, ihre Erziehungskompetenz zu stärken, damit sie Erziehungsfehler und -schwächen erkennen und verbessern, aber auch positive Erziehungsaspekte bewusst erleben und wiederholt anwenden könnten.[4]
In Elternkursen sollten die Eltern auch lernen, in Konfliktsituationen gewaltfreie Lösungen zu finden und Handlungsmöglichkeiten erarbeiten zu können, die ihnen im Alltag weiterhelfen. Wichtig sei vor allem zu wissen, dass sich die Elternkurse eventuell nur auf einige Bereiche der Erziehung konzentrieren. Dabei könnte es sich um die Wahrnehmung und den Umgang mit Problemen handeln, es könnte der Schwerpunkt auf den Ausbau des Selbstwertgefühls und der Selbstkontrolle gelegt werden, die Selbsterkenntnis und Selbstreflexion der Eltern könnte im Vordergrund stehen oder es könnten alle diese Themen zusammen behandelt werden.[5]
Der spezielle Elternkurs, um den es in meiner Arbeit geht, trägt den Namen „Starke Eltern – Starke Kinder“[6] und wird als ein Erziehungskonzept des Deutschen Kinderschutzbundes angeboten. Durchgeführt wird dieses Projekt mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.[7]
Das Konzept basiert auf einer gewaltfreien Erziehung. Eltern, die an diesem Elternkurs teilnehmen, sollen in ihrem Selbstvertrauen als Erzieher gestärkt werden und lernen, wie konfliktfreie Gespräche innerhalb der Familie geführt werden können. Die Werte in der Familie sollen verdeutlicht werden und die Fähigkeiten zum Verhandeln, zum Grenzen Setzen und zum Zuhören sollen erweitert werden. Ziel des Kurses ist, das Selbstvertrauen der Eltern zu stärken, damit sie zukünftig mehr Freude und weniger Stress mit ihren Kindern haben.[8]
Das jedenfalls verspricht eine Informationsbroschüre des Deutschen Kinderschutzbundes. Aber können Tipps wie: „Wenn Sie ganz wütend sind – hauen Sie auf den Tisch, dass es knallt. Ihr Dreijähriger lässt seine Brüllerei und Sie haben wieder seine Aufmerksamkeit!“[9] wirklich zu einem besseren Miteinander verhelfen? Ist der Elternkurs in der Lage, die Einstellungen und das Verhalten der Eltern in Erziehungssituationen nachhaltig zu verbessern?
Es zeigt sich, dass die meisten Eltern, die diesen Kurs besucht haben, zufrieden waren und er ihnen geholfen hat. Auf welche Weise, mit welchen Mitteln und Inhalten es zu dieser positiven Anschauung kommt, welche Anforderungen Eltern an den Elternkurs haben und ob alle ihre Erwartungen nach dem Ende der Kursdauer erfüllt werden, wie der Kurs den Eltern hilft und wie sich die Veränderungen/Verbesserungen auf das Familienleben auswirken, das soll hier untersucht werden. Dabei soll aber ebenfalls untersucht werden, ob der Elternkurs aus erziehungswissenschaftlicher Sicht vertretbar und empfehlenswert ist.
Das Angebot des Elternkurses ist vorhanden, aber wie wichtig ist er den Eltern und erfüllt er das, was er verspricht?
In meiner Diplomarbeit gehe ich zunächst in Kapitel 2 auf die Problemstellung ein, warum Eltern überhaupt Schwierigkeiten bei der Erziehung ihrer Kinder haben. Es werden dabei wesentliche Punkte aufgezählt, die erklären, woher diese kommen und um welche Probleme es sich überhaupt handelt.
Hatten Eltern schon immer Probleme mit der Erziehung ihrer Kinder und welche Möglichkeiten der Elternerziehung wurden angeboten? Um diesen Fragen nachzugehen, gebe ich in Kapitel 3 einen historischen Abriss über die Angebote der Elternerziehung in Deutschland bis hin zu einem aktuellen Überblick. Dabei soll gezeigt werden, wie es dazu kam, dass die heutigen Elternkurse existieren.
Danach folgt in Kapitel 4 eine detaillierte Übersicht über den Elternkurs „Starke Eltern – Starke Kinder“. Neben den Hintergründen des Kurses sollen die genauen Inhalte und Methoden aufgezeigt werden. Aus dieser Darstellung soll hervorgehen, was den Eltern in dem Kurs vermittelt wird und auf welche Weise dieses geschieht, so dass sie nach Beendigung des Kurses zufrieden sind. Abgerundet wird dieses Kapitel mit der Vorstellung der Tätigkeiten des Deutschen Kinderschutzbundes bezüglich des Elternkurses in Hamburg und ersten Erkenntnissen bezüglich der Wirksamkeit des Kurses für Eltern und aus erziehungswissenschaftlicher Sicht.
Um die These zu der Zufriedenheit der Eltern zu verdeutlichen, untersuche ich in Kapitel 5 bestehende Evaluationsstudien zu dem Elternkurs. Es werden unterschiedliche Punkte, wie die familiären Hintergründe und inhaltliche Themen, dargestellt und ausgewertet.
In der Schlussbetrachtung in Kapitel 6 werden mehrere Aspekte aufgegriffen, um das Thema abzurunden. Unter anderen wird dabei das aktuell diskutierte Thema „Erziehungsführerschein“ erklärt und nach Pro und Contra analysiert. Abschließend wird ein kurzes Fazit zu meiner Untersuchung gezogen.
2. Problemstellung: Warum haben Eltern Schwierigkeiten bei der Erziehung ihrer Kinder?
In diesem Kapitel soll anhand von aktueller Literatur kurz angeschnitten werden, warum Eltern Probleme bei der Erziehung ihrer Kinder haben und um welche Probleme es sich dabei handelt.[10] Laut den aufgeführten Autoren begannen die heutigen Erziehungsschwierigkeiten zum Ende der 1960er Jahre, daher beziehe ich die Untersuchung auf diesen Zeitraum. Es soll dabei als Bezug zu dem Titel der Arbeit geklärt werden, warum Eltern die Erziehungsschwierigkeiten nicht alleine meistern können, sondern professionelle Hilfe in Elternkursen suchen. Natürlich gilt es nicht für alle Eltern, denn einige kommen zwar nicht „perfekt“, aber doch relativ gut mit ihren Kindern zurecht.
2.1. Ein Überblick
Die Abnahme der Vorbilder
Nahezu alle Eltern sind bei der Erziehung - speziell ihres ersten Kindes - sehr unsicher. Dabei kann es sich als hilfreich erweisen, andere Eltern im Umgang mit ihren Kindern zu beobachten, und so für die eigene Kindererziehung zu lernen. Auch das Wickeln, Füttern und Umsorgen eines Kindes während einer Nebentätigkeit als Babysitter in der Jugend kann dazu beitragen. Früher lebten die Menschen vermehrt in Großfamilien, in denen mehrere Generationen unter einem Dach lebten. Das ermöglichte es den Jüngeren, sich von den Älteren mit Kindern (eigene Eltern mit Geschwistern oder auch andere Verwandte, wie Tanten mit Kindern) den Umgang mit diesen abzuschauen und ihn sich dann auch durch eigene Praxis anzueignen, wobei die Erwachsenen als Hilfestellung dabei gewesen sind. So wurde die Erziehung der eigenen Kinder später nicht mehr so schwer und von so vielen Unsicherheiten geprägt. Durch dieses vielfältige Angebot konnten sich die angehenden Eltern das für ihre Kinder am meisten gewünschte Erziehungsverhalten erlernen. Und auch nach der Geburt des eigenen Kindes gab es in einer Großfamilie Hilfestellung, Anleitung, Unterstützung und auch Babysitter vor Ort.[11]
In der heutigen Zeit leben Großeltern und Eltern meistens, aus Gründen der jeweiligen Selbständigkeit, nicht mehr unter einem Dach in Form einer Großfamilie zusammen. Manchmal kommt es aber vor, dass die örtliche Distanz nicht besonders groß ist, was ein großer Vorteil für Familien mit Kindern ist, die die Großeltern (oder speziell die Großmütter) als Babysitter und Bezugspersonen für die betreuungsbedürftigen Kinder beanspruchen können. So können weiterhin Fragen, die bei der Kindererziehung auftauchen, an die Großeltern gestellt werden, von denen eine bestimmte Kenntnis vorausgesetzt wird, schließlich haben sie selbst bereits Kinder großgezogen.[12]
Viele Eltern dagegen haben heute nicht so eine große Auswahl an Vorbildern, gerade wenn die Großeltern nicht im selben Haus und besonders dann, wenn diese nicht in der Nähe wohnen. Sie suchen sich Unterstützung in Mütter- Zentren oder Eltern- Kind- Zentren, um dort das nötige Wissen zur Kindeserziehung zu erlernen. Die Kursleiterinnen können den Eltern Beispiele aufzeigen, aber die Durchführung müssen die Eltern dann selbständig zu Hause üben. Während der Kurse kann nur auf bestimmte Lebenssituationen der Erziehung, und zwar relativ theoretisch (mit Beispielen aus der Praxis), eingegangen werden. Die Gefühle, die bei dem Erziehen entstehen, bleiben weitgehend unberücksichtigt. So werden Eltern damit konfrontiert, sich ständig Gedanken machen zu müssen und somit ihren eigenen, für ihre Familie „richtigen“ Erziehungsstil zu finden.[13] „In Kursen oder Gesprächen kann durch Information und Erfahrung die Sicherheit entstehen, daß jede Mutter und jeder Vater aufgrund der biologischen Geschichte intuitiv über alles notwendige Wissen verfügt, im rechten Moment für das Kind das Richtige zu tun. Die Eltern können in der Gruppe exemplarisch erleben, dass sie tatsächlich richtig, das heißt angemessen handeln und im Zusammenleben mit dem Kind persönlich sicher werden.“[14]
Auf diese Weise können Eltern in ihrer Erziehungsunsicherheit gestärkt und die Kursleiterinnen als Vorbilder angesehen werden.
Die negativen Nebenerscheinungen von 1968
Die Autorin Gaschke geht in ihrem Buch „Die Erziehungskatastrophe. Kinder brauchen starke Eltern“ auf ein anderes Problem ein, welches zu den Erziehungsproblemen geführt haben soll. Sie beschreibt im ersten Kapitel die Spätschäden von Achtundsechzig. Es wären damals Debatten geführt worden um idealistische Hoffnungen und Ziele, die sexuelle Freiheit und das Aus eines bestimmten Spießermiefs.[15] Was im Laufe der Zeit davon übriggeblieben sei, seien spezielle Nebenerscheinungen, wie die negative Einstellung gegen „gewachsene Strukturen und Traditionen jeder Art, die in der neuen Unübersichtlichkeit Orientierung und Identität hätten stiften können; die Verunglimpfung der zivilisierenden Umgangsformen; die Relativierung aller Tabus [...]; die Entwertung von Liebesbeziehungen zu Konsumgütern. In der heutigen Erziehungspraxis sind diese Haltungen kein bewußtes Programm, sondern bewußtlose Ablagerungen [...].“[16]
Gemeint ist damit eine unbewusste innere Einstellung der Erziehenden, die oben aufgezählten, negativen Aspekte in die Erziehung ihrer Kinder einfließen zu lassen. Als Beispiel gibt die Autorin das Problem der damals aufwachsenden Schüler mit der Rechtschreibung an. Ihre Eltern hätten die geltenden Regeln problemlos gelernt, aber für die Kinder hätten die Erwachsenen nach Achtundsechziger- Manier eine Rechtschreibreform durchgeführt, damit die Kinder wieder „richtig“ schreiben könnten. Die bis dahin gültigen Regeln wurden so umgeschrieben, dass weniger Fehler hätten gemacht werden könnten.[17] „Was sich bei uns beobachten läßt [!], was aus einigen Zahlen amtlicher Statistiken, mehr noch aus den besorgten Berichten von Lehrern, Erziehern und Kinderärzten spricht, sind Hinweise auf eine Art von seelischer Verwahrlosung, von Abstumpfung, Grobheit und Unempfindlichkeit. Und zwar sowohl bei einer wachsenden Zahl von Kindern, die heute erzogen werden, als auch bei den Eltern, die sie erziehen. Oder nicht erziehen, weil sie dies nicht mehr für ihre persönliche, sondern für eine Aufgabe des Staates halten.“[18]
Die Verhältnisse in den 70er und 80er Jahren
In den 70er und 80er Jahren sieht die Autorin Yvonne Schütze ein besonderes Verhältnis der Eltern zu ihren Kindern. Sie schreibt, die Kinder müssten in der Nachkriegszeit einerseits den Eltern - oder zum Teil nur den allein gebliebenen Müttern - in vielen Bereichen des Haushalts helfen, damit eine Verbesserung der Lebenssituation und damit der Wiederaufstieg erfolgen könnte. Andererseits sollte das Verinnerlichen der Hoffnungen der Eltern dazu führen, dass die Kinder und Jugendlichen den Ehrgeiz und die Selbständigkeit entwickelten, gute schulische Leistungen zu erzielen, um damit einen angesehenen Studien- oder Ausbildungsplatz zu bekommen und somit die Stellung der gesamten Familie in Konkurrenz zu anderen zu verbessern. Dieses würde besonders in den 1970er und 80er Jahren deutlich, nachdem es wieder zunehmend Arbeitsstellenknappheit gab.[19]
Etwa zur gleichen Zeit seien den Kindern vorher nicht so gesehene Werte zugeschrieben worden. Die Kinder seien damals als Lebenserfüllung, persönliche Glückserwartung und Verlängerung der eigenen Existenz angesehen worden.[20] Und auch die Väter bekämen eine andere Rolle in der Familie zugeschrieben. Sie gälten nun nicht mehr als Ernährer und Beschützer der Mütter und Kinder, sondern übernähmen auch Tätigkeiten, die zuvor nur den Müttern zugeschrieben worden wären.[21]
Diese Veränderung - so Schütz weiter - habe dazu geführt, dass beide Elternteile im gleichen Verhältnis angefangen haben, sich um das Kind zu kümmern. Das Kind wäre zur zentralen Person in der Familie geworden und die Eltern bauten einerseits eine starke Bindung zu ihm auf, andererseits mussten sie es zur Selbständigkeit und zum freien Willen erziehen, damit es sich individuell entwickeln konnte. So sei ein Konflikt der Eltern entstanden, die dazu genötigt worden wären, die feste Bindung an ihr Kind zu lösen.[22]
Änderung der Familienformen
Die Autorin Schütze beschreibt noch ein anderes Problem. Es wäre der Rückgang der Normalfamilien, die aus einer Mutter, einem Vater und einem oder mehreren Kindern bestehen. Immer mehr Familien würden zerfallen und es würden sich immer mehr Familienformen bilden (zum Beispiel die Einelternfamilie oder die Mutter- oder Vaterfamilie), die sich von der Normalfamilie unterscheiden würden.[23]
Gleichzeitig würde den Kindern in den Familien immer mehr zugestanden werden, wie „wechselseitiges Vertrauen und Zuneigung, demokratische Umgangsformen und ausgeglichene Machtverhältnisse“.[24]
Dass diese Entwicklung die Erziehungsprobleme der Eltern verstärkt hat, kann gut nachvollzogen werden, weil durch die „neuen“ - von früher den Familien nicht bekannten - Familienformen auch neue Probleme dazugekommen sind. In den 70er und 80er Jahren waren Familienformen wie Alleinerziehende, Geschiedene oder Neuverheiratete mit Kindern unüblicher als heute, wo zum Beispiel Scheidungen häufiger auftreten. Gerade aufgrund dieser Veränderungen kann es öfter zu einem Besuch eines Elternzentrums gekommen sein, um dort Unterstützung und Erfahrungsaustausch zu erfahren.
Veränderungen in der Lebensführung
Nicht nur die Möglichkeit, in einer bestimmten Familienform leben zu können, sondern auch andere Lebensumstände haben sich im Laufe der Zeit verändert.
Sigrid Tschöpe-Scheffler fasst die Schwierigkeiten der heutigen Zeit zusammen, als Begründung, warum die Erziehung schwieriger geworden sei. Sie schreibt, dass die Eltern nicht nur in der Erziehung ihrer Kinder orientierungslos und unsicher wären, sondern dass diese Tatsache sich auf das gesamte Leben bezieht. Eltern und Kinder müssten sich an die Schnelllebigkeit, Mobilitäts- und Flexibilitätsansprüche der sie umgebenden Welt anpassen, was schon schwierig genug sei. Durch fehlende sichere Bezugs- und Vergleichsmöglichkeiten zu ihrer Kindheit müssten Eltern sich an neuen Lebensstilen orientieren, was einerseits positiv sei, weil es neue individuelle Möglichkeiten eröffnet, andererseits aber auch wieder zu Orientierungslosigkeit und Angst führen könne.[25] „[G]esellschaftliche Strukturveränderungen und erhöhter Druck in der Berufswelt, Angst um den Arbeitsplatz und Unsicherheiten bezüglich der Lebensgrundlagen“[26] sowie die Bedrohung von Armut würden nahezu alle Eltern beschäftigen.
Aktuelle Wörterbuchdefinition von „Erziehung“ und die damit verbundenen Probleme
An dieser Stelle soll definiert werden, was unter Erziehung aus heutiger Sicht überhaupt verstanden wird. Das dtv- Wörterbuch Pädagogik gibt die folgende Definition:
„Erziehung (engl. education). Handlungen von Eltern, Lehrern, Ausbildern u.a. [!] Erziehern bzw. Pädagogen, die in der bewussten Absicht erfolgen, durch den Einsatz bestimmter Erziehungsmittel und Erziehungsmaßnahmen Kenntnisse und Fähigkeiten, Einstellungen und Wertorientierungen, Handlungswillen und Handlungsfähigkeit, also die individuelle Mündigkeit der Kinder oder Jugendlichen und ihre Kompetenz zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben möglichst dauerhaft zu verbessern. […]
Welche konkreten Ziele der Erziehung als richtig bzw. wertvoll anzusehen sind und das erzieherische Handeln leiten, lässt sich nur aus dem Zusammenspiel
a) der Werte und Normen der Erzieher bzw. der sie umgebenden Kultur,
b) des pädagogischen Taktes der Erzieher im Umgang mit den zu Erziehenden und
c) der persönlichen Anerkennung und aktiven Aneignung der Erziehungsangebote durch die jungen Menschen selbst verstehen und als gültig erweisen.“[27]
Diese Definition trifft den Kern der Sache, verweist aber gleichzeitig auf die Probleme, die unmittelbar bei dem Versuch der Erziehung auftreten. Sie entstehen demnach dadurch, dass die Erzieher eigene Vorstellungen und Überzeugungen in die Erziehung mit einbeziehen, dabei ihre pädagogischen Fähigkeiten (oder eben nicht vorhandene Fähigkeiten) anwenden und somit die Erziehung in spezielle Bahnen leiten. Wenn ein Kind von mehreren Personen erzogen wird, die versuchen, ihm unterschiedliche Werte, Normen, Vorstellungen und Überzeugungen beizubringen, kann es zu einer Desillusionierung und Verwirrung des Kindes kommen. Es könnte dann nicht mehr unterscheiden, welche Erziehungsangebote anerkennungs- und aneignungswürdig sind (siehe c.) und würde sich eventuell an denen, welche ihm am einfachsten erscheinen, orientieren. Dieses Verhalten könnten die Erzieher nicht nachvollziehen und es würde unausweichlich zu Meinungsverschiedenheiten zwischen diesen und dem Kind, aber auch unter den Erziehern selber kommen. Bezug nehmend auf die in diesem Kapitel bereits beschriebenen Ursachen für Erziehungsprobleme der Eltern und Erzieher sind diese auch in solchen - eben beschriebenen - Fällen vorprogrammiert.
Probleme bei der Erziehung
Mehrere Ursachen für Erziehungsschwierigkeiten wurden bisher aufgeführt. Aber was genau sind die Probleme, die Eltern innerhalb der Familie mit ihren Kindern haben?
Dazu findet sich im Internet eine Aufstellung u. a. auf der Seite des Online-Familienhandbuchs.[28] Es werden verschiedene Bereiche angegeben. Darunter befinden sich: allgemeine Probleme (z.B. Unordnung im Kinderzimmer, Geschwisterrivalität, Petzen), trotzige Kinder, Lügen bei Kindern, Aggressionen, Schlafprobleme, Verhaltensauffälligkeiten (z.B. Stottern, Schüchternheit), Problem der Aufmerksamkeit, Ängste und Süchte der Kinder. In einem Buch der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung e.V. wird diese Liste ergänzt durch Schwierigkeiten bei Scheidungskindern, Wutanfällen und Problemen von Einzelkindern.[29]
Welche Probleme die Eltern mit ihren Kindern zu Hause haben, die sich von einem Besuch eines Elternkurses Hilfe versprechen, wird in Kapitel 5 genauer erläutert.
2.2. Zusammenfassung
Die Ursachen für die Schwierigkeiten der Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder werden zum einen in der Abnahme der Vorbilder durch die Änderung der Form des Zusammenlebens und den Auswirkungen der 1968er mit der negativen Ansicht der bis dahin geltenden Strukturen und Orientierungen gesehen. Zum anderen werden die Veränderungen der Verhältnisse zwischen Eltern und ihren Kindern in den 1970er und 1980er Jahren u. a. mit der Änderung der bis dahin geltenden Werte als Ursachen angesehen, zusammen mit den Veränderungen der Familienformen von der Normalfamilie weg bis hin zu vielen individuellen Formen und den allgemeinen Änderungen der Lebensführung, die der modernen, schnelllebigen Welt angepasst werden musste.
Was die Erziehungsschwierigkeiten direkt angeht, so werden diese bereits in der Definition von Erziehung angesprochen, und es zeigt sich, dass eine lange Liste von Problemen existiert. Einige von ihnen können sicherlich durch den Besuch eines Elternkurses verringert bzw. ganz aus der Familienwelt geschaffen werden. Für andere wäre eventuell eine andere Art von Hilfe (zum Beispiel von speziellen Ärzten oder Psychologen) zutreffender.
3. Historischer Abriss über die Angebote der Elternerziehung in Deutschland
Die Erziehung der Kinder übernehmen an erster Stelle - nach wie vor - immer noch die Eltern. Aber nicht immer wissen sie automatisch und instinktiv, wie die „perfekte“ Erziehung aussehen soll. Schon früh entstand deshalb der Wunsch der Eltern, bei pädagogischen Aufgaben eine Hilfestellung zu bekommen. Sie wollten auf die Erziehungsaufgabe vorbereitet werden und einen Ansprechpartner bei Erziehungsproblemen haben.
Dieses Kapitel gibt einen historischen Überblick über die Angebote der Elternerziehung in Deutschland. Da die ersten Mütterberatungsstellen im Jahre 1905[30] und die erste Elternberatungsstelle 1906[31] entstanden sind, beschränke ich mich hierbei auf die Zeit ab dem Anfang des 20. Jahrhunderts bis heute. Es soll aufgezeigt werden, in welchem Maße die Elternerziehung gefordert und durchgesetzt wurde, in welchen Institutionen die Angebote der Elternerziehung durchgeführt wurden, wie die Verbreitung stattgefunden hat und wie die Situation heute aussieht.
Hauptsächlich beschäftige ich mich dabei mit dem Buch „Die Elternschule Entwicklung und Stand im Rahmen der institutionalisierten Elternerziehung in Westdeutschland und Westberlin“ von Rosemarie Nave- Herz[32]. Es handelt sich hierbei um die veröffentlichte Dissertation der Autorin aus dem Jahre 1964.
3.1. Anfänge der Elternerziehung und die Weiterentwicklung der einzelnen Angebote
Nachdem in Deutschland im Jahre 1830 das erste Kinderkrankenhaus gegründet wurde, wurde sehr verstärkt auf dem Gebiet der Kinderpflege und Behandlung von Kinderkrankheiten geforscht.[33] Es stellte sich heraus, dass viele Krankheiten und auch der Tod vieler Kinder von den Eltern - speziell den Müttern- verursacht wurden. Als Gründe für die hohe Säuglingssterblichkeit wurden „die schlechte Ernährung, […], die hohe Belastung der Arbeiterin, die schlechten Wohnverhältnisse und die mangelhaften Kenntnisse in Hygiene, Pflege und Erziehung vieler Mütter“[34] gesehen. So forderten immer mehr Fachärzte, dass den Müttern vorsorglich die Erkenntnisse über die richtige Kinderpflege beigebracht werden sollten, damit sich diese zukünftig besser um ihre Kinder kümmern könnten.[35]
Mütterberatungsstellen
Die ersten Mütterberatungsstellen wurden 1905 in Berlin und München gegründet, nur fünf Jahre später gab es ca. 200 solcher Stellen, in denen nicht nur Beratungen stattgefunden haben, sondern teilweise auch die Säuglingspflege unterrichtet wurde.[36]
Die zunehmende Zahl der Mütterberatungsstellen entstand dadurch, dass die Bevölkerung diese akzeptiert und in Anspruch genommen hat. Es wurde immer stärker deutlich, dass die Mutterrolle nicht selbstverständlich und von der Natur vorgegeben war, sondern erlernt werden musste. Nicht nur das körperliche und gesundheitliche Wohl der Kinder jeden Alters, sondern auch die Erziehung der Kinder gewann immer mehr an Bedeutung. Da zur gleichen Zeit zunehmend auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendpsychologie geforscht wurde, Beobachtungen und Untersuchungen gemacht und aufgeschrieben wurden und dementsprechend viel Literatur über Kindererziehung für Eltern herausgegeben wurde, wuchs die Neugier der Eltern und damit das Interesse, über diese Forschungsneuheiten informiert zu werden.[37]
Seit dem Jahre 1935 wurde die Institution der Mütterberatungsstellen offiziell an die Gesundheitsämter übergeben, die verpflichtet wurden, Beratungen in ihren Bereichen anzubieten. Das Einwohnermeldeamt lieferte dem Gesundheitsamt die neuesten Geburtslisten. Anhand dieser wurden die Mütter von Säuglingen angeschrieben, mit der Aufforderung, sich mit ihrem Kind an einem vorgegebenen Tag in eine bestimmte Stelle der Mütterberatung zu melden. Dort sollte das Kind untersucht werden, eventuelle Krankheiten und Missstände sollten aufgedeckt und die Mütter entsprechend beraten werden, zum Thema Pflege, Kleidung, Ernährung und Wohlbefinden des Kindes. Wenn das Angebot von einer Mutter nicht angenommen wurde, suchte ein Mitarbeiter des Gesundheitsamtes diese zu Hause auf und erklärte ihr, warum diese Arztuntersuchung für sie und das Kind wichtig wäre. Dieses Angebot richtete sich hauptsächlich an Mütter, seltener an die Großmütter und sehr selten an Väter.[38]
Erziehungsberatungsstellen
Die erste Erziehungsberatungsstelle als Institution zur Beratung der Eltern in Erziehungsfragen entstand im Jahre 1906 und war „Fürstenheims Poliklinik für Kinderforschung und Erziehungsberatung in Berlin“[39].
Auch dort wurde festgestellt, dass die Eltern (nicht nur die Mütter, sondern auch die Väter) bei der Erziehung ihrer Kinder Hilfe benötigten und sie, durch das Aufklären, die Problemerkennung und den fachlichen Rat, unterstützt werden sollten. In dem Buch „Sozialpädagogik“ von 1929 gibt der Autor Bruno Klopfer[40] folgende Gründe an: „Fand sich früher für die Erziehungssorgen der Eltern in der Regel ein gelegentlicher Erziehungsberater im Lehrer, Seelsorger, Hausarzt oder einem anderen Freund der Familie, der den nötigen Überblick hatte oder zu haben glaubte, so verfügt heute kaum noch der mit der sozialen Arbeit völlig vertraute Berufserzieher über die psychologischen und technischen Erfahrungen, um jede pädagogische Situation zu übersehen und jeden möglichen Ausweg zu finden.“[41]
Es sollten also nicht nur berufliche Erzieher an der wissenschaftlichen Herangehensweise der Erziehung teilnehmen, sondern die direkten Erzieher, also die Eltern.
Der Autor Wolfgang Bäuerle schreibt dazu, dass die Eltern, Kinder und Jugendlichen, die die Erziehungsberatungsstellen aufgesucht haben, zum großen Teil „seelisch so gestört, fehlentwickelt oder fixiert [seien, dass es für eine erfolgreiche Beratung bereits zu spät war und] die Erziehungsberatungen immer mehr zu Zentren ambulanter pädagogischer, psychologischer und psychiatrischer Therapie geworden [seien]“[42]. Tatsächlich gäbe es, laut Klopfer, zwei verschiedene Arten von Beratungsstellen. Die einen wären heilpädagogisch ausgerichtet und wären „Bestandteil der modernen Psychopathenfürsorge und der gesamten psychiatrischen Sozialarbeit“[43]. Die anderen Beratungsstellen hätten alle normalpädagogischen Erziehungsangelegenheiten betroffen.[44]
Viele Erziehungsberatungsstellen hatten Verbindungen zu Universitäten, wo zum Beispiel viersemestrige Kurse für interessierte Lehrende am Institut für Psychologie, Forschung und Psychotherapie (München, ab 1922) abgehalten wurden.[45]
Am 1. April 1924 wurde das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz ins Leben gerufen, woraufhin Jugendämter geschaffen wurden, die sich nicht nur um das leibliche Wohl der Jugendlichen kümmern sollten, sondern auch als Anlaufstelle für die elterliche Erziehung dienen und diese mit der Form der Beratung unterstützen sollten.[46] Auf diese Weise wurden immer mehr Erziehungsberatungsstellen eröffnet, aber auch in den folgenden 40 Jahren konnte kein umfangreiches und vor allem ausreichendes Netz geschaffen werden.[47]
Nun folgen einige Zahlen zu den Elternberatungsstellen. Im Jahre 1928 gab es 42 Stellen[48], 1957 waren es 177 Hauptstellen und 36 Nebenstellen[49]. Diese waren in ihrer Arbeit und Finanzierung verschiedenen Institutionen zugeordnet. So waren 126 der 177 Elternberatungsstellen städtische oder staatliche Einrichtungen und gehörten jeweils entweder zu dem Jugendamt, dem Gesundheitsamt, dem Sozialdezernat, den Universitäten oder Kliniken. 17 der 177 Stellen wurden von katholischen Verbänden gegründet, 8 von evangelischen Verbänden, 10 von freien Wohlfahrtsverbänden und 16 von gemeinnützigen Vereinen.[50]
Bis 1953 wurden 157 Stellen gegründet, und bis 1962 stieg die Zahl hoch auf 324 Elternberatungsstellen an.[51]
Eltern mussten sich einerseits nach unterschiedlichen Öffnungszeiten der Beratungsstellen richten. Eine andere Schwierigkeit war, dass in Kleinstädten und ländlichen Regionen zu dieser Zeit kaum Elternberatungsstellen zu finden waren. Geleitet wurden die Erziehungsberatungsstellen (geordnet nach dem am meisten vertretenen Berufsstand zuerst) von Psychologen, Ärzten, Psychotherapeuten, (Sozial-) Pädagogen, Psychagogen und Juristen. Diese wurden unterstützt von Fürsorgern, Kindergärtnerinnen und sonstigen Berufsgruppen. Im Jahre 1957 waren es somit 716 Personen, die entweder haupt- oder nebenamtlich in Erziehungsberatungsstellen gearbeitet haben.[52]
Der Anteil der Eltern, die aus eigenem Interesse zur Beratung in eine Erziehungsberatungsstelle gekommen sind, lässt sich schwer bestimmen, weil die Zahlen, wie Nave- Herz bereits in ihrem Buch erwähnt, sehr unterschiedlich sind. Fest steht, dass viele Eltern nicht von selbst hingegangen sind, sondern auf ein Drängen verschiedener Institutionen hin, wie u. a. dem Jugendamt, dem Gesundheitsamt, der Kliniken und der kirchlichen Verbände.[53]
Beraten wurden zu 70% bzw. 80% Eltern mit Kindern zwischen 6 und 14 Jahren.[54] In immer mehr Erziehungsberatungsstellen wurde im Team gearbeitet. Das Gespräch, die Beratung und die Möglichkeit der Verweisung an Spezialleinrichtungen setzten sich als Behandlungsform durch.[55]
Der Autor des Beitrags über Erziehungsberatung im Pädagogischen Lexikon von 1968 schreibt, dass „[…] Eltern und Erzieher [leider] hauptsächlich dann eine EBstelle [!] auf[suchen], wenn das Verhalten des Kindes ihr soziales Ansehen in irgendeiner Weise schädigt (Stehlen, Lügen, Leistungsabfall usw.), Mehrarbeit verursacht […] oder wenn ein solcher Schritt bereits vom Jugendamt oder vom Jugendgericht nahegelegt wurde […]. Nur selten kann die Beratung im Anfangsstadium einer Fehlentwicklung eingreifen und erreicht fast nie das weitaus mehr gefährdete, aus Angst übergefügige, kontaktscheue oder von dem Wert der eigenen Leistung überzeugte, altkluge, aber nicht akut auffällige Kind.“[56]
Nach der Einführung der Erziehungsberatungsstellen im Jahre 1906 wurden im nächsten Schritt Lehrgänge zu bestimmten Themen der Erziehung von Jugendämtern angeboten. Diese Lehrgänge oder auch Kurse waren nicht nur an Mütter und Väter, sondern an alle Erzieher adressiert. Eine Durchführung solcher Kurse war nicht vorgeschrieben und wurde lediglich aus Interesse des jeweiligen Jugendamtleiters angeboten.
Ab dem Jahr 1954 wurden Elternkurse nicht nur von Jugendämtern, sondern auch Gesundheits- und Sozialämtern, oft zusammen mit anderen Organisationen wie Schulen, dem Schulamt oder den Kindergärten durchgeführt.[57]
Mütterschulen
Mit einer Mutterschule folgte eine weitere Institution speziell für die Verbesserung der erzieherischen Fähigkeiten der Mütter. Ein wichtiger Schritt in der Geschichte der Mütterschulen war im Oktober 1916 die Aufforderung der Regierung, dass alle geeigneten Stellen des Landes Unterricht für Mütter anbieten sollten.[58] Im Jahre 1917 wurde die erste Mütterschule Deutschlands in Stuttgart von einer Kindergärtnerin gegründet.[59]
Zunächst wurde weiterhin die Säuglings- und Kinderpflege unterrichtet, wenig später kamen Erziehungs- und Bastelkurse hinzu, Informationen über Frauenhygiene, die Schwangerschaft und die Geburt. Ab 1917 wurden ebenfalls hauswirtschaftliche Kenntnisse wie das Kochen, Nähen und Flicken vermittelt.[60]
Im Jahre 1929 gab es 15 Mütterschulen, die von überkonfessionellen Wohlfahrtsverbänden, evangelischen Verbänden oder Stadtverwaltungen gegründet und geleitet wurden[61]. Väter waren dabei selten vertreten, sie kamen nur zu speziellen Erziehungs- oder Spielzeugkursen.[62]
Die Regierung des nationalsozialistischen Reiches erkannte ebenfalls den Nutzen der Mütterschulen. So wurde die Organisation „Mütterdienst im deutschen Frauenwerk“ gegründet, die ab Juli 1935 die Verantwortung für alle Mütterschulkurse bekommen hat. Alle bestehenden Mütterschulen wurden somit von dieser Organisation übernommen und durch finanzielle Unterstützung entstanden weitere Mütterschulen, die zwar selbständig, aber auch stark politisch beeinflusst waren. Aus diesem Grund wurden alle Mütterschulen aufgelöst, nachdem das nationalsozialistische Reich im Jahre 1945 zusammengebrochen war.[63]
Ab dem Jahr 1946 wurden in den Folgejahren die Mütterschulen wieder kontinuierlich neu gegründet von den gleichen Verbänden, wie im Jahre 1929 (ab 1954 auch von den katholischen Kirchenverbänden), und so stieg die Zahl in Deutschland auf 96 Mütterschulen im Jahr 1961. Die Mütterschulen kooperierten miteinander, tauschten ihre Erfahrungen aus und führten Fortbildungen durch.[64]
Zum Ende der 1960er Jahre wurden den Mütterschulen weitere Aufgaben zugeteilt, die sich nicht mehr nur auf die Mütterbildung konzentrieren, sondern die ganze Familie ansprechen sollten. Es wurden Kurse, Vorträge und Unterstützungsangebote - zum Beispiel für Großeltern als Erzieher, für Pflege- und Adoptiveltern, Alleinerziehende, Arbeitslose, Bewohner sozialer Brennpunkte und Eltern-Kind-Gruppen - eingerichtet. Damit änderte sich der Name dieser Institutionen in „Familienbildungsstätten“.[65]
Von solchen Familienbildungsstätten konnten in Deutschland im Jahre 1979 ca. 260 gezählt werden. Sie entstanden in der Trägerschaft von katholischen (105 Einrichtungen) und evangelischen (84 Einrichtungen) Bundesarbeitsgemeinschaften, der Arbeitsgemeinschaft von Einrichtungen für Familienbildung e. V. (48 Einrichtungen) und einigen privaten Trägern (26 Einrichtungen). Die Angebote und Größe der Einrichtungen hingen von der Ausbildung des Leiters und der Mitarbeiterinnen, vom Einzugsgebiet und der Größe der Stadt bzw. des Ortes, in der sich die Familienbildungsstätte befand, ab.[66]
In den 1980er Jahren wurden kaum neue Familienbildungsstätten gegründet. Die Trägerschaft war weiterhin sehr unterschiedlich und beeinflusste die Angebote der Einrichtungen, unter anderen mit kirchlichen oder karitativen Vorgaben, was das Angebot sehr unübersichtlich machte. Hinzu kam, dass es in den meisten Bundesländern keine genauen gesetzlichen Vorgaben für die Institutionen der Familienbildung gab.[67]
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[1] Thimm, Katja (2005): Abends in die Elternschule. In: Der Spiegel. Die Erziehung der Eltern. Nr. 29/18.07.2005, S. 124
[2] Vgl. Tschöpe- Scheffler, Sigrid (2003): Elternkurse auf dem Prüfstand. Wie Erziehung wieder Freude macht. Opladen: Leske + Budrich Verlag, S. 19-20
[3] Tschöpe- Scheffler (2003), S. 20
[4] Vgl. Tschöpe- Scheffler (2003), S. 111
[5] Vgl. Tschöpe- Scheffler (2003), S. 114-117
[6] Starke Eltern - Starke Kinder®: Die Kurse unter diesem Namen sind als Marke eingetragen und dem Deutschen Kinderschutzbund gehören alle Rechte an diesem Titel, dem Logo und den dazugehörenden Materialien. Aus Gründen der Vereinfachung werde ich das „®“ im weiteren Textverlauf auslassen, es sei denn es handelt sich um Zitate.
[7] Da überwiegend Frauen an dem Elternkurs teilnehmen und diesen leiten, wird im Folgenden von Teilnehmerinnen, Kursleiterinnen und Multiplikatorinnen gesprochen. Männer sollen sich aber keineswegs ausgeschlossen fühlen!
[8] Vgl. Deutscher Kinderschutzbund (b): Wege in eine gewaltfreie Erziehung. Informationsbroschüre zu dem Elternkurs „Starke Eltern – Starke Kinder“. Hannover: Eigenverlag, S. 1-3
[9] Deutscher Kinderschutzbund (b), S. 4
[10] Es handelt sich hier nur um einen kurzen Überblick. Die einzelnen Punkte sollen nur erwähnt werden, weil sie für den Zusammenhang von Bedeutung sind. Das Ausarbeiten dieser Themen würde aber den Rahmen dieser Arbeit sprengen.
[11] Vgl. Sieß, Heidrun (1999): Starke Eltern- Starke Kinder. Olten / Freiburg: Walter Verlag, S. 9-13,
vgl. Ecarius, Jutta (2002): Familienerziehung im historischen Wandel. Eine qualitative Studie über Erziehung und Erziehungserfahrungen von drei Generationen. Opladen: Leske + Budrich, S. 213-217,
vgl. Petzold, Matthias (1999): Entwicklung und Erziehung in der Familie. Baltmannsweiler: Schneider Verlag, Seite 5-7
und vgl. Nave-Herz, Rosemarie (1964): Die Elternschule. Entwicklung und Stand im Rahmen der institutionalisierten Elternerziehung in Westdeutschland und Westberlin. Berlin: Hermann Luchterhand Verlag, Seite 129-131
[12] Vgl. Petzold (1999), S. 64-65
[13] Vgl. Sieß (1999), S. 9-13
[14] Sieß (1999), S. 13
[15] Vgl. Gaschke, Susanne (2001): Die Erziehungskatastrophe. Kinder brauchen starke Eltern. Stuttgart / München: Deutsche Verlagsanstalt, S. 22
[16] Gaschke (2001), S 22
[17] Vgl. Gaschke (2001), S. 21-23
[18] Gaschke (2001), S. 10
[19] Vgl. Schütze, Yvonne (2002): Zur Veränderung im Eltern- Kind- Verhältnis seit der Nachkriegszeit. In: Nave- Herz, Rosemarie (Hrsg.): Kontinuität und Wandel der Familie in Deutschland. Eine zeitgeschichtliche Analyse. Stuttgart: Lucius uns Lucius Verlagsgesellschaft, S. 76-77
[20] Vgl. Münz, R. (1982): Kinder als Last, Kinder als Lust? In: Mathes, Joachim (Hg.): Krise der Arbeitsgesellschaft? Verhandlungen des 21. Deutschen Soziologentages, Bamberg. Frankfurt a. M.: Campus Verlag, S. 241
[21] Vgl. Schütze (2002), S. 76-77
[22] Vgl. Schütze (2002), S. 77-78
[23] Vgl. Schütze (2002), S. 83
[24] Schütze (2002), S. 87
[25] Vgl Tschöpe-Scheffler Sigrid (2005): Konzepte der Elternbildung – eine kritische Übersicht. Opladen: Barbara Budrich Verlag, S. 10
[26] Tschöpe-Scheffler (2005), S. 10
[27] Schaub, Horst / Zenke, Karl G. (2004): dtv- Wörterbuch Pädagogik. Digitale Bibliothek Band 65. Berlin: Directmedia Publishing GmbH, S. 750-752
[28] Vgl. Schnabel, Michael (2006): Häufige Probleme.
In:URL:http://www.familienhandbuch.de/cmain/f_Aktuelles/a_Haeufige_Probleme.html vom 04.09.2006, zuletzt aufgerufen am 12.12.2006
[29] Vgl. Buckel, Sabine, u. a. (2003): Online-Beratung. Hilfe im Internet für Jugendliche und Eltern. Fürth: Bundeskonferenz für Erziehungsberatung e.V., S. 117-118
[30] Vgl. Nave-Herz, Rosemarie (1964), S. 20-21. Nach:. Peiper, Albrecht (1955): Chronik der Kinderheilkunde. 2. Aufl. Leipzig: Thieme, S. 173-174
und vgl. Lenzen, Dieter (Hrsg) (1989): Pädagogische Grundbegriffe. Rowohlts Enzyklopädie. Band 1. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt- Taschenbuch- Verlag, S. 385-386
[31] Vgl. Rudert- Stein (1959): Erziehungsberatung. In: Lersch, Ph. (Hrsg): Handbuch der Psychologie. 10. Band. Göttingen: Verlag für Psychologie, S. 505
[32] Vgl. Nave- Herz (1964)
[33] Vgl. Nave- Herz (1964), S. 20-21. Nach: Peiper (1955), S. 173-174 und vgl. Lenzen (1989), S. 385-386
[34] Schymroch, Hildegard (1989): Von der Mütterschule zur Familienbildungsstätte. Entstehung und Entwicklung in Deutschland. Freiburg im Breisgau: Lambertus-Verlag, S. 18-19
[35] Vgl. Nave- Herz (1964), S. 20-21. Nach: Peiper (1955), S. 173-174 und vgl. Lenzen (1989), S. 385-386
[36] Vgl. Nave- Herz (1964), S. 20-21. Nach: Peiper (1955), S. 173-174 und vgl. Lenzen (1989), S. 385-386
[37] Vgl. Nave- Herz (1964), S. 22-23
[38] Vgl. Nave- Herz (1964), S. 29
[39] Rudert-Stein (1959), S. 505
[40] Vgl. Klopfer, Bruno (1929): Erziehungsberatungsstellen. In: Nohl, Hermann / Pallat, Ludwig: Sozialpädagogik. Langensalza: Beltz Verlag
[41] Klopfer, Bruno (1929), S. 176
[42] Bäuerle, Wolfgang (1972): Theorie der Elternbildung. Band 4. Sozialpädagogische Reihe. 2. Aufl. Weinheim / Basel: Beltz Verlag, S. 57
[43] Klopfer, Bruno (1929), S. 175
[44] Vgl. Klopfer, Bruno (1929), S. 175
[45] Vgl. Gentges, I. (1967): Elternerziehung. In: Rombach, Heinrich: Lexikon der Pädagogik. 1. Band. 5. Aufl. Freiburg / Basel / Wien: Harder Verlag, S. 889
[46] Vgl. Nave- Herz (1964), S. 29. Nach: Möllers, Bernhard J. (Hrsg.) (1923): Gesundheitswesen und Wohlfahrtspflege im Deutschen Reiche. Berlin: Urban & Schwarzenberg, S. 660
[47] Vgl. Nave- Herz (1964), S. 29. Nach: Bornemann, E. (1958): Erziehungsberatung - eine Hilfe für die Eltern. In: Unsere Jugend. 10 Jg. München: Steinebach, S. 287
[48] Vgl. Nave- Herz (1964), S. 29. Nach: Bornemann (1958), S. 287
[49] Vgl. Nave- Herz (1964), S. 30
[50] Vgl. Nave- Herz (1964), S. 30
[51] Vgl. Duhm, E. (1970): Erziehungsberatung. In: Rombach, Heinrich: Lexikon der Pädagogik. 1 Band. Neue Ausgabe. Freiburg / Basel / Wien: Harder Verlag, S. 398
[52] Vgl. Nave- Herz (1964), S. 30-31
[53] Vgl. Nave- Herz (1964), S. 32
[54] Vgl. Nave- Herz (1964), S. 32. Nach: Neupert, S. (1960): Arbeits- und Erfahrungsbericht der Erziehungsberatungsstelle für Kinder und Jugendliche. In: Praxis der Kinderpsychologie und -psychiatrie. Göttingen: Verlag für Medizinische Psychologie, S. 102
[55] Vgl. Nave- Herz (1964), S. 32
[56] Winter, I. (1968): Erziehungsberatung. In: Groothoff, Hans-Hermann / Stallmann, Martin: Pädagogisches Lexikon. Stuttgart / Berlin: Kreuz-Verlag, S. 259-260
[57] Vgl. Nave- Herz (1964), S. 68-69
[58] Vgl. Nave- Herz (1964), S. 38. Nach: Lampert L. (1947): Überblick über die geschichtliche Entwicklung der Mütterschulung. Elberfeld: unveröffentlichtes Manuskript, S. 1
[59] Vgl. Schymroch (1989), S. 11
[60] Vgl. Nave- Herz (1964), S. 39-41
[61] H. Schymroch zählt in ihrem Buch 24 Mütterschulen im Jahr 1929 auf. Vgl. Schymroch (1989), S. 42
[62] Vgl. Nave- Herz (1964), S. 42-43
[63] Vgl. Nave- Herz (1964), S. 44-45
[64] Vgl. Nave- Herz (1964), S. 45-47
[65] Vgl. Schymroch (1989), S. 80-85
[66] Vgl. Schymroch (1989), S. 84
[67] Vgl. Schymroch (1989), S. 93-94