Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Konzeption
3. Begriffsbestimmungen
3.1 Die Institution Krankenhaus
3.2 Krankenhausbehandlung
3.3 Klinische Sozialarbeit
4. Die Entwicklung der Krankenhaussozialarbeit
4.1 Gesellschaftliche Hintergründe
4.2 Die Entstehung der Krankenhausfürsorge
4.3 Die Entwicklungen bis
4.4 Der Sozialdienst im Nationalsozialismus
4.5 Neugründung der DVSK
4.6 Der Sozialdienst im Krankenhaus in der DDR
4.7 Weitere Entwicklungen in der BRD
5. Rechtliche Grundlagen der Sozialarbeit im Krankenhaus
5.1 Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V)
5.2 Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX)
5.3 Gesetzliche Pflegeversicherung (SGB XI)
5.3.1 Zum Begriff der Pflegebedürftigkeit
5.3.2 Die drei Pflegestufen
5.4 Zur ambulanten Pflege
5.5 Stationäre Leistungen
6. Das gegenwärtige Arbeitsfeld der Krankenhaussozialarbeit
6.1 Beratungsund Unterstützungsfunktion
6.2 Psychosoziale Hintergründe der Patienten
6.3 Interne Kooperationspartner
6.4 Externe Kooperationspartner
6.5 Zur Position der Sozialarbeit im System Krankenhaus
6.6 Praxisfall
7. Finanzielle Rahmenbedingungen
7.1 Zur Krankenhausfinanzierung in der BRD bis 2003/
7.2 Die Einführung der DRGs
7.3 Soziale Arbeit unter DRG-Bedingungen
8. Mögliche Perspektiven der Krankenhaussozialarbeit
9. Schlussbetrachtung und persönliches Fazit
10. Literaturund Quellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Krankenhäuser von 1960 bis 2004
Abb. 2: Der Patient im Netzwerk des Gesundheitswesens
Abb. 3: Beratungsleistungen der Sozialen Arbeit im Krankenhaus
Abb. 4: Verweildauer 1960 bis 2004
1. Einleitung
Es kann jeden unvorbereitet treffen – ein Arztbesuch, eine Diagnose und die Einweisung in ein Krankenhaus. Damit verbunden ist oftmals ein tiefer Einschnitt in die Lebenssituation eines Menschen. Häufig ergeben sich daraus Veränderungen im Alltagsleben und viele Fragen stellen sich dem Patienten: Warum ausgerechnet ich? Welche Heilungschance hat meine Krankheit? Wie reagiert mein soziales Umfeld? Wo beantrage ich materielle Hilfen? Kann ich mich künftig noch alleine versorgen? Wer hilft mir bei der Durchsetzung von finanziellen Ansprüchen? Der Patient hat in dieser schwierigen Situation einen Ansprechpartner, der ihm bei Fragen und Problemen hilfreich zur Seite steht: Den Sozialarbeiter im Krankenhaus.
Die vorliegende Arbeit widmet sich dem Tätigkeitsfeld von Sozialarbeit im Krankenhaus. Es handelt sich hierbei um ein Teilgebiet der Sozialen Arbeit im Gesundheitswesen. Häufig wird der Sozialdienst innerhalb der komplexen Einrichtung eines Krankenhauses nur am Rande wahrgenommen. So sehen sich Mitarbeiter dieser Berufsgruppe nicht selten als eine Art „Einzelkämpfer“ im System einer medizinisch und pflegerisch dominierten Institution.
Die persönliche Motivation bei der Auswahl dieses Themas liegt in meinem bisherigen beruflichen Werdegang begründet. Durch die Ausbildung zur examinierten Krankenschwester habe ich die Institution Krankenhaus mit ihren internen Strukturen kennen gelernt. Dabei standen meist die pflegerischen Tätigkeiten im Vordergrund, so dass auf die persönlichen Belange der Patienten kaum eingegangen werden konnte und für Gespräche nur selten Zeit blieb. Im Rahmen des Unterrichts erhielt ich allerdings auch einige Einblicke in das Tätigkeitsfeld eines Sozialarbeiters. Von meinem damaligen Standpunkt als Krankenschwester aus betrachtet, konnte ich feststellen, wie die Sozialarbeit und der ärztlich-pflegerische Bereich sich bedingend gegenüber standen. Mein Interesse an diesem Arbeitsfeld wurde geweckt und ich wollte erfahren, wie Patienten bei der Verarbeitung ihrer Erkrankungen unter Berücksichtigung ihrer sozialen Hintergründe unterstützt werden können. Ein Studium der Sozialen Arbeit erschien mir als der richtige Weg, dieses Wissen zu erlangen. Während des Studiums absolvierte ich Praktika in einem Akutkrankenhaus sowie einer Klinik für psychosomatische Rehabilitation. An beiden Einsatzorten konnte ich mein
„theoretisches“ Wissen anwenden und neben der Beratungsfunktion auch Einblicke in gesetzliche sowie rechtliche Voraussetzungen gewinnen. Im weiteren Verlauf des Studiums legte ich meine Schwerpunkte auf die Soziale Arbeit mit Erwachsenen sowie den Bereich der Rehabilitation. Während dieser Zeit entwickelten sich auch meine Grundgedanken zu dieser Diplomarbeit.
2. Konzeption
Mit dieser Arbeit versuche ich aufzuzeigen, dass die Sozialarbeit einen integralen Bestandteil eines Krankenhauses bildet. Weiterhin möchte ich darstellen, dass die ökonomisch motivierte Verkürzung der Verweildauer dazu beiträgt, Patienten früher zu entlassen. Für den Sozialdienst bedeuten dies eine stärkere Arbeitsbelastung und eine Verschiebung der Tätigkeiten hin zum Entlassungsmanagement.
Im ersten Teil der Arbeit wird zunächst in das Handlungsfeld der Krankenhaussozialarbeit eingeführt, indem die wichtigsten Begriffe einer Erklärung unterzogen werden. Diese Anmerkungen stehen am Anfang, weil sie – z.B. in dem Abschnitt über die Krankenhausbehandlung – das „Fundament“ der nachfolgenden Informationen über den Sozialdienst im Krankenhaus bilden. Im Anschluss wird dieses spezielle Gebiet der Sozialarbeit einer geschichtlichen Betrachtung unterzogen, um etwas über die „Wurzeln“ dieses Tätigkeitsfeldes zu erfahren. Die Entwicklungen der Krankenhausfürsorge spielen in Bezug auf das Berufsverständnis der Sozialarbeiter im Krankenhaus eine bedeutende Rolle. Die rechtlichen Rahmenbedingungen werden im fünften Kapitel dieser Arbeit behandelt. Die Sozialgesetzbücher bilden Legitimation und Handlungsgrundlage für die Krankenhaussozialarbeit. Für die Tätigkeit in dieser Funktion sind die gesetzlichen Grundlagen essenziell und somit ein wichtiger, wenn auch etwas „sperriger“ Teil dieser Diplomarbeit. Daran anschließend wird in Kapitel sechs das heutige Arbeitsfeld eines Sozialarbeiters im Krankenhaus vorgestellt. Besonders interessant ist dabei die Funktion der Sozialarbeit als Schnittstelle zwischen internen und externen Kooperationspartnern. Weiterhin liegt das Augenmerk auf den individuellen Problemlagen der Klienten, die ganz unterschiedliche Anforderungen stellen. Dieser Teil der Arbeit schließt mit einem Beispiel aus der Praxis ab, um die sozialarbeiterischen Tätigkeiten einmal anschaulich darzustellen.
Da sich in den letzten Jahrzehnten im Bereich der Krankenhausfinanzierung ein erheblicher Wandel vollzogen hat, ist es von Bedeutung, diesen aufzuzeigen. Zunächst werden in Kapitel sieben die Finanzierungsgrundlagen bis ins Jahr 2004 vorgestellt. Anschließend informiere ich über die derzeitigen Umbrüche, die im Krankenhauswesen für tiefgreifende Veränderungen sorgen, und von denen auch die Sozialarbeit tangiert wird. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit wird auf mögliche Perspektiven der Sozialarbeit im Krankenhaus eingegangen. Dabei gilt es darauf hinzuweisen, dass genaue Vorhersagen nur schwer getroffen werden können und vieles auf Spekulationen beruht. Den Abschluss meiner Arbeit bilden Schlussbetrachtung und ein persönliches Fazit.
3. Begriffsbestimmungen
3.1 Die Institution Krankenhaus
Krankenhäuser werden nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) § 2 Abs. 1 definiert als Einrichtungen, die Krankheiten, Leiden oder körperliche Schäden diagnostizieren, behandeln, lindern oder heilen, wobei auch Entbindungen zu den Leistungen zählen. In § 107 SGB V wird dies noch näher konkretisiert. Demnach muss ein Krankenhaus fachlich-medizinisch unter ständiger ärztlicher Leitung stehen und „über ausreichende, ihrem Versorgungsauftrag entsprechende diagnostische und therapeutische
Möglichkeiten verfügen und nach wissenschaftlich anerkannten Methoden arbeiten“. Der Aufenthalt von Patienten im Krankenhaus umfasst auch deren Unterbringung und Verpflegung. Krankenhäuser lassen sich nach ihrer betrieblichen Funktion unterscheiden, wobei Allgemeinkrankenhäuser durch die Akutversorgung und eine kurze Verweildauer gekennzeichnet sind. Diese Krankenhäuser sind im Gegensatz zu Fachkliniken nicht auf einen bestimmten Fachbereich hin ausgerichtet. Sonderkrankenhäuser wiederum, zählen zu den Einrichtungen, die sich auf das Behandeln bestimmter Krankheiten (z.B. Suchterkrankungen oder chronische Erkrankungen) spezialisiert haben. Sie sind meistens durch eine längere Verweildauer ihrer Patienten charakterisiert (vgl. Schell 1995, S. 138).
Bund, Länder und Kommunen fungieren als Träger im Bereich des öffentlichen Krankenhauswesens. Freigemeinnützige Krankenhäuser unterliegen einer religiösen, kirchlichen, humanitären oder sozialen Trägerschaft. Private Krankenhäuser hingegen besitzen eine Privatperson als Träger, deren Betriebsführung aus hauptsächlich erwerbswirtschaftlichen Gründen erfolgt (vgl. ebd. S. 147). Die folgende Statistik gibt einen Überblick über die Entwicklung des Bestandes von Krankenhäusern der letzten Jahrzehnte.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1) ab 1990: Krankenhäuser mit ausschließlich psychiatrischen und neurologischen Betten und reine Tagesoder Nachtkliniken.
2) ab 1990 erfolgt in der Statistik eine Aufteilung nach Trägern nur für allgemeine Krankenhäuser.
Abb. 1: Krankenhäuser von 1960 bis 2004,
Quelle: DKGEV 2007, bearbeitet: Silja Brünger
3.2 Krankenhausbehandlung
Das System der Sozialversicherungen beruht auf dem Grundprinzip des Solidargedankens. Damit soll erreicht werden, dass sich Mitglieder einer Solidargemeinschaft im Krankheitsfall gegenseitig unterstützen (vgl. Oberloskamp / Witterstätter 2004, S. 220). Nach § 1 SGB V kommt der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) als Solidargemeinschaft somit die Aufgabe zu, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten bzw. wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu verbessern. Demnach besteht ein Anspruch auf eine Behandlung im Krankenhaus, die voll-, teil-, vorund nachstationär sowie ambulant erbracht werden kann. Eine vollstationäre Aufnahme ist dann erforderlich, wenn das Ziel der Behandlung nicht durch eine teil-, vorund nachstationäre oder ambulante Behandlung erreicht werden kann. „Als vollstationär gilt eine Krankenhausbehandlung, wenn der Patient stationär aufgenommen wurde und ihm während der Behandlung Unterkunft und Verpflegung gewährt wird und die Behandlung sich mindestens über einen Tag erstreckt“ (Simon 2005, S. 198).
Die Krankenhausbehandlung enthält alle Leistungen, die notwendig sind, um eine medizinische Versorgung nach Art und Schwere der Krankheiten zu gewährleisten. Zu den Leistungen zählen neben der ärztlichen und pflegerischen Behandlung auch die Versorgung mit Arznei-, Heilund Hilfsmitteln sowie Unterkunft und Verpflegung der Patienten. Die Überweisung in ein Krankenhaus erfolgt in der Regel durch einen niedergelassenen Vertragsarzt. In Notfällen kann ein Krankenhaus ohne Einweisung aufgesucht werden (vgl. Hajen / Paetow / Schumacher 2006, S. 166).
3.3 Klinische Sozialarbeit
Unter dem Begriff der Klinischen Sozialarbeit wird eine gesundheitsspezifische Fachsozialarbeit verstanden. Das Wort „Klinik“ leitet sich vom Griechischen kliné ab und kann mit Lager oder Bett übersetzt werden. Klinik bezieht sich von der ursprünglichen Bedeutung des Wortes also auf die direkte Arbeit mit Kranken. „Grundsätzlich ist Klinische Sozialarbeit also zuständig für Menschen, die aufgrund ihrer Erkrankung psychisch und sozial leiden oder umgekehrt aufgrund ihrer sozialen Leiden an Leib oder Seele erkranken“ (Geißler-Piltz / Mühlum / Pauls 2005, S. 14). Pauls sieht in der klinischen Sozialarbeit eine „Teildisziplin der Sozialen Arbeit, die sich mit psycho-sozialen Störungen und den sozialen Aspekten psychischer und somatischer Störungen/Krankheiten und Behinderungen unter Berücksichtigung der Lebenslage der Betroffenen befasst“ (2004, S. 22). Der klinische Sozialarbeiter muss sich mit den komplexen Problemen seiner Klienten professionell auseinandersetzen, fallbezogen handeln und behandeln. Durch seine Kompetenz erreicht er gemeinsam mit dem Klienten und dessen Bezugspersonen sowie seinem sozialen Netzwerk die nötigen Veränderungen der psychosozialen Lebenslage und Lebensweise. Wendt sieht in der Klinischen Sozialarbeit eine Arbeit, die „[…] sich vor allem für soziale Aspekte, die Lebensführung im Alltag und die Krisenund Konfliktbewältigung […] zuständig sieht“ (2002, S. 558).
Wichtige institutionelle Arbeitsfelder der Klinischen Sozialarbeit sind u.a. die Kinderund Jugendhilfe, Beratungsstellen (z.B. Erziehungs-, Familienoder Schwangerschaftskonfliktberatung), heilpädagogische Einrichtungen, Einrichtungen zur ambulanten und stationären Suchtbehandlung sowie Fachund Akutkrankenhäuser (vgl. Geißler-Piltz 2005, S. 13).
Wenn die Klinische Sozialarbeit in den beiden letztgenannten Institutionen auftritt, wird sie in der Regel als Krankenhaussozialarbeit bezeichnet. Deshalb stellt sich der Begriff der Klinischen Sozialarbeit oftmals als problematisch dar, denn er wird sehr leicht mit Sozialarbeit im Krankenhaus assoziiert bzw. gleichgesetzt. Stattdessen handelt es sich um einen Oberbegriff für beratende und behandelnde Sozialarbeit, die im ambulanten oder stationären Behandlungsrahmen erfolgen kann. Im Folgenden widmet sich diese Arbeit der Sozialarbeit im Krankenhaus, die in ihrer Anfangszeit mit dem Begriff der Krankenhausfürsorge beschrieben wurde.
4. Die Entwicklung der Krankenhaussozialarbeit
4.1 Gesellschaftliche Hintergründe
Um die Anfänge der Krankenhaussozialarbeit nachvollziehen zu können, ist zunächst ein Blick auf die gesellschaftliche Situation vor ca. 200 Jahren nötig. Eine ganze Reihe von Entwicklungen liefen Mitte des 19ten Jahrhunderts parallel und traten in Wechselwirkung: Die Bevölkerung wuchs. Aus kleinen Handwerksbetrieben wurden Produktionsstätten, die viele Arbeiter beschäftigten. Die Leibeigenschaft wurde im Jahr 1807 in Preußen aufgehoben (vgl. Hug 1977, S. 158). Die Menschen wurden mobiler, ihr Lebensraum war nicht mehr ausschließlich auf ihr Dorf beschränkt. Die ersten Eisenbahnlinien entstanden und darüber hinaus machte die Entwicklung der Technik generell sprunghafte Fortschritte. Die Menschen siedelten sich, vom Land kommend, in den Städten an, aus denen so Ballungszentren wurden.
Natürlich blieben auch Medizin und Krankenpflege von den rasanten Entwicklungen nicht unberührt. Durch Fortschritte in der Behandlung von Patienten konnte manche Krankheit erstmals erfolgreich therapiert werden. Menschen starben nicht mehr so leicht an Krankheiten, da sie nun mit modernen Medikamenten behandelt werden konnten. Durch verbesserte hygienische Bedingungen war es zudem möglich geworden, gesundheitliche Risiken zu mindern (vgl. Ansen / Gödecker-Geenen / Nau 2004, S. 18). In der Folge dieser Entwicklungen veränderte sich auch das Bild von Krankheit. „Krankheit war nicht mehr nur Schicksal“ (Reinicke 1998, S. 21).
Mit den gestiegenen Bevölkerungszahlen entstanden Kliniken, die für die Aufnahme vieler Menschen ausgelegt waren. Diese Entwicklung hatte im Mittelalter mit Siechenhäusern begonnen und zu Hospitälern in unterschiedlicher Trägerschaft geführt. In den Krankenhäusern der zweiten Hälfte des 19ten Jahrhunderts bemerkte man, dass materielle und soziale Hilfestellungen als Ergänzung zur medizinischen Behandlung oftmals notwendig gewesen wären. Vorrangig ging es um den Erhalt und die Wiedererlangung der Arbeitskraft. Aber mit der Herausbildung der Arbeiterbewegung fand ein Umdenken statt: Die damit verbundenen Forderungen, die Menschen nicht als beliebig verfügbare Waren zu betrachten, sondern als schützenswerte Individuen, hatte auch gesetzliche Veränderungen zur Folge: „Die Deutsche Sozialversicherung entstand als erste umfassende Gesetzgebung der Welt zur Sicherung der Arbeitnehmer“ (Mehs / Glatzel 1978, S. 14). Mit der Einführung der GKV im Jahre 1883 durch Bismarck wurde der Grundstein für das Sozialversicherungssystem in Deutschland gelegt – ausschlaggebend dafür waren die Forderungen der Arbeiterbewegung und die aufkommende Sozialdemokratie. Von den Kranken waren es die als besonders schützenswert geltenden Patientengruppen, an denen die ersten professionellen Maßnahmen der Krankenhausfürsorge geleistet wurden. Hauptsächlich Säuglinge, Kleinund Schulkinder, Schwangere, Menschen mit Behinderungen und Wöchnerinnen wurden von der Krankenhausfürsorge unterstützt. Es wurde versucht, die individuellen Lebensgewohnheiten zu verbessern und zunehmend auch hygienische sowie sanitäre Probleme zu beheben (vgl. Ansen u.a. 2004, S. 117).
4.2 Die Entstehung der Krankenhausfürsorge
Die Krankenhaussozialarbeit bzw. -fürsorge ist auf einen einzelnen Mann zurückzuführen – das behauptet zumindest Reinhold Rörig in einem Beitrag, den er 1976 für die Deutsche Vereinigung für den Sozialdienst im Krankenhaus (DVSK) schrieb:
„Der amerikanische Internist, Prof. Dr. Cabot von der Harvard-Universität in Amerika, hat bereits 1895 in der Sorge um den Patienten erkannt, daß der Patient durch seinen Krankenhausaufenthalt von der Außenwelt weitgehend abgeschlossen und verängstigt ist und hierdurch Schaden erleidet, wenn keiner ihm in dieser seelisch-körperlichen Belastungsphase Hilfeleistung gewährt“ (Rörig 1977, S. 59 f.).
Davon, dass Prof. Dr. Cabot der erste war, der dies erkannte, kann man wohl kaum ausgehen, aber mit ihm begann offensichtlich die systematische Arbeit. Cabot sah in der Hilfestellung während gesundheitlicher Ausnahmesituationen eine der Hauptaufgaben für Sozialarbeit im Krankenhaus. Es ging ihm um den Patienten und darum, ihn für die unerlässlichen Maßnahmen der Diagnostik und Therapie zu motivieren sowie seine möglicherweise unbewusste Abwehrhaltung gegen eine Genesung aufzuheben (vgl. Rörig 1977, S. 60). Auch andernorts erkannten Ärzte gegen Ende des 19ten Jahrhunderts, dass die psychische Verfassung im Genesungsprozess noch zu wenig beachtet wurde. Daraufhin wurden ehrenamtliche Hilfskräfte eingesetzt, die den seelischen Hintergrund zu erkennen versuchten und daran arbeiteten, Abhilfe bei den Problemen der Patienten zu schaffen. Natürlich handelte es sich dabei am Anfang noch nicht um einen eigenständigen, abgegrenzten und definierten Arbeitsbereich. „Außer dem Arzt und der Pflegekraft hatte noch keine andere Berufsgruppe zur Jahrhundertwende ungehinderten Zutritt zum Patienten“ (ebd. S. 60).
Es sollte bis nach der Jahrhundertwende dauern, dass die Krankenhausfürsorgerin als Berufsbezeichnung gebräuchlich wurde. Für eine lange Zeit war die Tätigkeit der Fürsorge im Krankenhaus ein Bereich, der fast ausschließlich von Frauen geleistet wurde – dieser Umstand ist auffällig. Frauen waren aber nicht nur die Personen, die mit den Patienten arbeiteten, sondern auch die „treibenden Kräfte“ hinter der Installation von Krankenhausfürsorgerinnen in den Institutionen. Es war Minna Cauer, die 1893 in Berlin die „Mädchenund Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit“ gründete. Neben ihr war Lina Basch eine Vorreiterin der Krankenhausfürsorge in Deutschland (vgl. Reinicke 2001, S. 329).
„Neben den Hoffnungen der Patienten auf Heilung oder Besserung ihrer Leiden bemerkten die Helferinnen bei ihren Besuchen auch Sorgen und Ängste, zum Beispiel um die zurückgelassenen Familien. Oft waren es materielle Probleme, wie die Bezahlung der Behandlungskosten, medizinischer Hilfsmittel, Begleichung der weiterhin anfallenden Haushaltskosten und Mietzahlungen, die Sorgen bereiteten. Aber auch psychosoziale Fragestellungen belasteten manchen Kranken“ (ebd. S. 329).
Ab etwa 1896 nahm Lina Basch nach Reinicke in der Charité die Arbeit auf.
„Später betreute sie auch Patienten im Krankenhaus Moabit. 1903 umfasste ihr Mitarbeiterkreis bereits 25 Frauen“ (ebd. S. 329).
„Die Tätigkeit umfaßte Unterhaltungsabende und auch gelegentliche soziale Fürsorge für den einzelnen Patienten. Eine wirklich organisierte soziale Fürsorge für Krankenhausinsassen ist erst im Jahre 1913 festzustellen. [...] Von 1915 an richteten Jahr für Jahr weitere Krankenanstalten die soziale Krankenhausfürsorge ein. Die von Frau Basch begonnene, ehrenamtliche Tätigkeit ging auf ein Komitee von 13 Mitgliedern unter der Leitung von Alice Salomon über. 1918 wurden die ehrenamtlich tätigen Kräfte in den städtischen Krankenhäusern durch städtische Fürsorgerinnen, die aus der Schwesternschaft des betreffenden Hauses ausgewählt wurden, ersetzt” (Rörig 1977, S. 62 f.).
Man kann annehmen, dass sich zwischen 1910 und 1920 allgemein die Erkenntnis durchsetzte, dass es sinnvoll sei, einen sozialen Dienst durch in der Wohlfahrtspflege erfahrene Frauen zuzulassen. Die Aufgabe dieser Damen war der Besuch der Patienten im Rahmen einer „sozialen Visite“. Die Tätigkeit der Krankenhausfürsorgerinnen wurde in der Gründungsphase als etwas definiert, das Arzt und Pflegerin im Krankenhausalltag nicht zu leisten im Stande wären (vgl. Reinicke 2001, S. 330). Als der Sozialdienst im Krankenhaus entstand, begannen die Einrichtungen ein eigenes Profil zu entwickeln. Unterstützt wurde diese Entwicklung durch die Tatsache, dass mit der Übernahme der Krankenhauskosten durch die GKV, die 1883 durch Reichskanzler Bismarck eingeführt wurde, der wirtschaftliche Fortbestand der Krankenhäuser gesichert war.
In den Krankenhäusern herrschten in jener Zeit noch strenge Regeln: Sie wurden hierarchisch geführt. Patienten durften nur zu fest vorgeschriebenen Zeiten Besuch empfangen. In Krankenhäusern der heutigen Zeit werden soziale Bezüge durch umfangreiche Besuchszeiten unterstützt und gefördert. Ein Krankenhaus in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts kann man sich dagegen eher als eine geschlossene „Krankenanstalt“ vorstellen, in die kaum Einflüsse von außen drangen (vgl. Reinicke 1998, S. 25).
4.3 Die Entwicklungen bis 1933
Stützpunkte der Krankenhausfürsorge waren in den Anfangsjahren Berlin, Breslau, Dresden, Frankfurt am Main, Stettin und Wuppertal-Elberfeld. In Berlin hatten Hedwig Landsberg (1879 - 1967) und Anni Tüllmann (1875 - 1958) 1918 den „Verein Soziale Krankenhausfürsorge außerhalb der Charité e.V.“ (Verein SKF) gegründet (vgl. Reinicke 1998, S. 33 ff.). Landsberg und Tüllmann entwickelten recht bald Richtlinien, die in ihren Grundzügen noch heute gültig sind:
„Aufgabe der sozialen Krankenhausfürsorge ist, in Zusammenarbeit mit den übrigen Organen der öffentlichen und privaten Wohlfahrtspflege dem Patienten des Krankenhauses und der angeschlossenen Polikliniken und der Ambulatorien in allen Nöten mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Die Tätigkeit der Fürsorge ist eine vermittelnde. Sie muss bestrebt sein, die jeweils zuständigen Einrichtungen der öffentlichen und privaten Wohlfahrtspflege für ihre Schützlinge zu interessieren. Aufgaben der sozialen Krankenhausfürsorge sind:
A: Die Fürsorge für den Kranken selbst
1. Beratung in gesundheitsfürsorgerischer, wirtschaftlicher und sozialer Beziehung, Erledigung von Schriftverkehr, insbesondere mit Behörden, Organen der öffentlichen und privaten Wohlfahrtspflege und Versicherungsträgern. Insbesondere ist der Kranke bei der Geltendmachung seiner berechtigten Ansprüche den Krankenkassen usw. gegenüber sachkundig zu beraten.
2. Die Vermittlung der Beschaffung von Behandlungsunkosten, Vermittlung von Heilstätten-, Erholungsund Kuraufenthalten betr. Unterbringung von Tuberkulösen in Heilstätten usw., Überleitung in andere Anstalten, insbesondere in Hospitäler.
3. Vermittlung der Vorsorge für die erste Zeit nach der Entlassung: Unterkunft, Unterstützung durch Geld oder Naturalien, Hilfe in der Wirtschaftsführung, Pflege des Kranken im Hause (z.B. Beschaffung von Krankenkost, kleinen Hilfsmitteln, Pflegepersonal), Überleitung in Einrichtungen der offenen Gesundheitsfürsorge und Wohlfahrtspflege.
B. Für die Familie:
Beratung in gesundheitsfürsorgerischer und wirtschaftlicher Beziehung, Vermittlung der Fürsorge für aussichtslose Kinder oder sonst hilflos zurückgebliebene Angehörige, Vermittlung der Beschaffung des notwendigsten Lebensunterhaltes. Die Krankenhausfürsorgerin ist zu enger Zusammenarbeit mit Ärzten, Schwestern und der Verwaltung des Krankenhauses verpflichtet“ (Mehs 1986, S. 24).[1]
Den beiden Frauen war aber auch daran gelegen, dass die Krankenhausfürsorgerinnen in ganz Deutschland die Möglichkeit bekämen, sich untereinander auszutauschen. Durch ihre Initiative wurde im Jahr 1926 die DVSK gegründet (vgl. Reinicke 1994, S. 28). Man muss darauf hinweisen, dass es in der Gründungsphase zu Befürchtungen einiger Krankenhausbetreiber kam, die in einer aufstrebenden Organisation eine Konkurrenz sahen und für sich selbst mit Mittelkürzungen rechneten (vgl. Reinicke 2001, S. 334).
Deshalb war es für die DVSK wichtig, mit Öffentlichkeitsarbeit auf ihre Sache aufmerksam zu machen und für sie zu werben. In Fachzeitschriften und Tageszeitungen wurden Artikel veröffentlicht. Ärzte, Verwaltungskräfte und Vertreter von Krankenkassen wurden so über die Arbeit der Krankenhausfürsorge informiert. Veranstaltungen wurden besucht, um in Kommunikation zu treten. Dies galt insbesondere auch für Ausbildungsstätten (vgl. Reinicke 2003, S. 86 ff.). Über die Ausbildung der Krankenhausfürsorgerinnen konnte lange keine Einigkeit erzielt werden. Aus den Reihen der Frauen selbst wurde die Ausbildung an einer Wohlfahrtsschule gefordert, um eine standardisierte Wissensvermittlung gewährleisten zu können. Anni Tüllmann beispielsweise besaß gar keine Ausbildung und Hedwig Landsberg erwarb sich ihre Qualifikation erst in einem Nachschulungskurs (vgl. Reinicke 1998, S. 25 f.).
„Unterstützung fanden die Frauen vor allem bei Vertreterinnen und Vertretern der Ausbildungsstätten, ihren Berufsverbänden und maßgeblichen Mitarbeitern der Gesundheitsverwaltung. Vertreter der Jüdischen Wohlfahrtspflege schlossen sich diesen Überlegungen an. Der Deutsche Caritasverband (DCV) und der Centralausschuß für Innere Mission (IM) vertraten in diesen Fragen gegenteilige Positionen. Aus ihrer Sicht reichten unausgebildete Kräfte aus. [...] Widersprüche gegen diese Haltung kamen von Ärzten aus kommunalen Häusern, die die Mitarbeiterinnen des Sozialdienstes in ihrem Wirkungskreis im Krankenhaus erlebten und daraus die Forderung formulierten, dass es nicht nur der gute Wille sei, der vorausgesetzt werden müsse, sondern ‚in erster Linie Wissen und Können‘“ (vgl. ebd. S. 26).
In den von konfessionellen Verbänden geführten Krankenhäusern dagegen war man skeptisch bezüglich der neuen Kräfte. Man vertrat die Meinung, dass die sozialen Aspekte der Arbeit durchaus von Schwestern sowie Ärzten erledigt werden könnten und befürchtete einen Eingriff in die eigene seelsorgerische Betreuung. Zudem bestand die Angst, dass Interna des Krankenhauses nach außen getragen und in der Öffentlichkeit bekannt würden (vgl. ebd. S. 27). Mit dem Aufbau einer Ausbildung für Krankenhausfürsorgerinnen begann sich ein eigenständiger Bereich in einem Krankenhaus zu formieren, den es vorher nicht gab und der zwischen der medizinischen Abteilung und der Verwaltung angesiedelt war. Die Sozialfürsorgerin sah sich als Vermittlerin zwischen den Patienten und dem Krankenhaus, wobei die Interessen aller gewahrt werden sollten. Zusätzlich galt es, zwischen dem Innenund Außenbereich des Krankenhauses Verbindungen herzustellen. Dieses Berufsverständnis eckte allerdings in den Krankenhäusern an, da sich insbesondere die Ärzteschaft in ihren Kompetenzen eingeschränkt fühlte. Größtmögliche Unabhängigkeit beim Einsatz für den Patienten war und ist allerdings eine Grundvoraussetzung für die Soziale Arbeit im Krankenhaus. Eine Erkenntnis, die sich schon in den ersten Jahren bei den in der Krankenhausfürsorge Tätigen durchsetzen konnte (vgl. Reinicke 1998, S. 27).
4.4 Der Sozialdienst im Nationalsozialismus
Mit der Machtübernahme Adolf Hitlers im Jahr 1933 änderte sich der Sozialdienst im Krankenhaus grundlegend. Die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV)[2] übernahm zentrale Aufgaben im Sozialund Gesundheitswesen. Die Deutsche Vereinigung wurde ebenso wie andere Verbände „gleichgeschaltet“. Im April 1935 wurde sie in die NSV eingegliedert mit der Folge, dass nur deutsche und volljährige Mitglieder arischer, also nicht-jüdischer Abstammung zugelassen wurden. Auch der Vorsitz wurde bis 1945 von NSV-Funktionären übernommen (vgl. Reinicke 1994, S. 30). „Wie aus den Quellen ablesbar ist, beteiligten sich viele Sozialarbeiterinnen aktiv an den ‚neuen Aufgaben‘. Die Vorstellung der Nationalsozialisten zur Gesundheitspolitik, Erbgesundheit, Rassenhygiene, Aufartung des Volkes und die Abwendung vom Individualprinzip in der Wohlfahrtspflege wurden von vielen begrüßt“ (Reinicke 2001a, S. 20 f.).
In diesem Zusammenhang kann man von einem Missbrauch des Sozialdienstes im Krankenhaus sprechen. Denn für die Nationalsozialisten war die fürsorgerische und vertrauensvolle Schnittstelle im Krankenhaus durchaus von Bedeutung. „Der Sozialdienst hatte eine wichtige Rolle in der Erbgesundheitspflege“ (Ansen u.a. 2004, S.121). Und in der Betreuung von Patienten war es auch geplant, nicht jedem Kranken die gleiche, also angemessene, Pflege zuteil werden zu lassen (vgl. ebd. S. 121). Aber es kam auch – von den Entscheidern in der Politik wohl eher ungewollt – zu einer weiteren Professionalisierung der Krankenhausfürsorge, wie das folgende Beispiel zeigt: Der Berliner Verein SKF, in dem die örtlichen Krankenhausfürsorgerinnen organisiert waren, sollte der NSV angeschlossen werden. Dazu kam es aber nicht. Denn die Berliner Charité bewirkte, dass die Fürsorgerinnen zu Mitarbeitern des Krankenhauses wurden (vgl. Reinicke 1998, S. 55 f.). Damit wurde ein wichtiger Schritt zu einer weiteren Professionalität eingeleitet.
Der Zweite Weltkrieg erforderte im Aufgabenspektrum des Sozialdienstes eine neue Ausrichtung. Die Sozialarbeiterinnen der Krankenhäuser wurden auch in Lazaretten eingesetzt, nachdem sich Anni Tüllmann lange dafür stark gemacht hatte. Eine weitere Folge des Krieges und der daraus folgenden Vertreibungen waren die Flüchtlinge und Vertriebenen aus Ostdeutschland und Teilen Europas (vgl. Ansen u.a. 2004, S. 121). Die Jahre des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg waren im gesamten Sozialund Gesundheitswesen durch Umbrüche gekennzeichnet, z.B. durch eine neue Finanzierung der Krankenhäuser. Zudem entwickelten sich neue Gesundheitsberufe und führten, „[...] nicht zuletzt auch durch fundamentale Veränderungsprozesse im eigenen Beruf von der Fürsorge alten Stils zur modernen Sozialarbeit“ (Mehs 1986, S. 23).
4.5 Neugründung der DVSK
Unter dem Vorsitz von Anni Tüllmann überstand die DVSK die Zeit des Nationalsozialismus. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Vereinigung von den Alliierten aufgelöst (vgl. Ansen u.a. 2004, S. 123). Hedwig Landsberg, die während des NS-Regimes untertauchen musste, war maßgeblich daran beteiligt, dass es 1949 zur Neugründung der DVSK kam (vgl. Mehs 1998, S. 27). Die zeitlichen Angaben gehen dazu aber auseinander. Reinicke schreibt dazu: „1947 übernahm Hedwig Landsberg, nach Zulassung durch die Alliierten, bis 1967 wieder die Geschäftsführung der DVSK mit Sitz in Heidelberg“ (2001a, S. 21). Das Aufgabenspektrum der Institution glich dem vor 1933: Dazu gehörten die Förderung der Mitglieder in ihrer Berufskompetenz, Öffentlichkeitsarbeit und die sozialpolitische Einflussnahme (vgl. Ansen u.a. 2004, S. 123). Das Berufsbild der Sozialarbeit im Krankenhaus änderte sich insofern, dass zu dieser Zeit Pflege-, Rehabilitationsund Beratungseinrichtungen außerhalb der Krankenhäuser entstanden. Dabei konzentrierten sich die Mitarbeiter des Sozialdienstes auf das Knüpfen von Verbindungen zu den neuen Versorgungs- und Betreuungssystemen. Die Beachtung des sozialen und familiären Umfelds ging in dieser Zeit etwas zurück. Die Medizin schien durch ihre Fortschritte in der Lage zu sein, Krankheiten behandeln und Probleme lösen zu können, und zwar, ohne dass ein Sozialdienst in Anspruch genommen werden müsste. Es spricht für sich, dass erstmals 1975 mit Margret Mehs eine Sozialarbeiterin den Vorsitz der DVSK übernahm, während bis dahin über viele Jahre Vertreter der Medizin und der Verbände den Verein führten (vgl. ebd. S. 122 f).
Aber auch zu diesem Punkt existieren unterschiedliche zeitliche Angaben:
„1979 übernahm erstmalig mit Margret Mehs eine Sozialarbeiterin den Vorsitz [...]“ (Reinicke 2001a, S. 21). „Seit 1973 hat zum ersten Mal eine Sozialarbeiterin im Krankenhaus, Margret Mehs, den Vorsitz inne, der seitdem zugleich geschäftsführender Vorsitz ist“ (König 1977, S. 56). Unabhängig von dem Datum ihres Amtsantritts: Mit Margret Mehs ist die Person benannt, die den Sozialdienst im Krankenhaus in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) für viele Jahre prägte, zuerst als Geschäftsführerin der DVSK, später als deren Vorsitzende.
4.6 Der Sozialdienst im Krankenhaus in der DDR
Nach dem sozialistischen Selbstverständnis dürfte es in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) keinen Bedarf an Sozialarbeit geben. Allerdings gab es sehr wohl soziale Probleme in diesem Staat, die sich kaum von denen in der BRD unterschieden. Das galt auch für das Krankenhaus-
wesen (vgl. Reinicke 2001a, S. 24). In den 1970er Jahren setzte sich aber die Meinung durch, dass die Menschen während und nach einem Krankenhausaufenthalt einer sozialen Betreuung bedürften. Eine Rahmenkrankenhausordnung wurde 1979 erlassen, in der auch die soziale und kulturelle Betreuung eine Rolle spielte (vgl. Reinicke 1994, S. 48). Im Sozialistischen Gesundheitsrecht der DDR von 1980 ist dazu folgendes nachzulesen:
„Soziale Anliegen des Patienten können von wesentlicher Bedeutung für den Verlauf und die Ergebnisse der medizinischen Betreuung sein. Zur Beratung und Hilfe in diesen Fragen sind daher in Krankenhäusern Mitarbeiter für soziale Betreuung tätig. Sie geben den Patienten Hilfe und Unterstützung bei der Lösung persönlicher, familiärer, häuslicher, wirtschaftlicher und anderer Probleme. Dazu gehört auch die Veranlassung von Maßnahmen zur Betreuung von Kindern und deren Angehörigen“ (Ministerium für Gesundheitswesen 1980, S. 129).
Die Gesundheitsund Sozialfürsorgerinnen waren während des Krankenhausaufenthaltes für die soziale Betreuung der Patienten zuständig. Zu ihrem Aufgabenbereich zählte u.a. auch die Wiedereingliederung nach der Entlassung in die Familie oder in das Wohnumfeld. Gleichzeitig waren sie dafür zuständig, die Pflege nach dem Krankenhausaufenthalt sicherzustellen. Dies geschah durch Nachbarschaftshilfe, Hauswirtschaftspflege und die Unterstützung der Familie. Zudem kümmerte sich die Gesundheitsund Sozialfürsorge um die Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit des Patienten (vgl. Reinicke 2001a, S. 25). Die berufliche Ausbildung für die Gesundheitsund Sozialfürsorgerinnen fand seit den 1960er Jahren in Weimar statt: Krankenschwestern und andere im Gesundheitsbereich Tätige konnten Kurse über fünf Monate belegen. Einen Entwicklungssprung gab es Mitte der 1980er Jahre mit der Installation eines dreijährigen Direktstudienganges und eines vierjährigen Fernstudiums an der Fachschule für Gesundheitsund Sozialwesen in Potsdam (vgl. ebd. S. 23). Die Gesundheits- und Sozialfürsorgerinnen wurden nach der Wiedervereinigung in der Regel in ihren bisherigen Tätigkeitsgebieten weiter beschäftigt. Durch Kontaktaufnahme zur DVSK bot sich ihnen nun auch die Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch und zur Mitgliedschaft in dieser Organisation. In der DDR gab es keine vergleichbare unabhängige Vereinigung der Krankenhaussozialarbeiter und auch kein Publikationsorgan (vgl. Reinicke 2001a, S. 28 f.).
4.7 Weitere Entwicklungen in der BRD
1970/71 kam es durch den Bundesgesundheitsrat zu einem Votum für die Einrichtung des Sozialdienstes im Krankenhaus. Darin hieß es, dass bei einer ganzheitlichen Hilfe Krankheit in ihren sozialen Hintergründen und in ihren Auswirkungen berücksichtigt werden müsse und auf die Mitarbeit des Sozialdienstes im Krankenhaus nicht mehr verzichtet werden könne. Parallel dazu wurde die Krankenhausfinanzierung neu geregelt. „Praktisch waren alle Krankenhäuser in den roten Zahlen“ (Mehs 1998, S. 28). Die Lage im Gesundheitsbereich war so schwierig, dass das Bundesparlament mit der Bundesregierung ein neues Gesetz verabschiedete, um das Krankenhauswesen finanziell zu stabilisieren. Das duale System mit der Unterteilung in Investitionsund Benutzerkosten, also die Finanzierung durch die Bundesländer und die Krankenkassen, wurde ins Leben gerufen. Im Rahmen der föderalen Struktur wurden Gesetze der einzelnen Bundesländer nötig. In Rheinland-Pfalz wurde 1973 erstmals ein Sozialdienst in einem Landeskrankenhausgesetz (LKG) verankert (vgl. ebd. S. 28).
Durch die Einführung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG) kam es bei Ländern und Gemeinden zu einer Reduzierung, bei den Krankenkassen dagegen zu einer Steigerung des Anteils an der Finanzierung (vgl. Simon 2000, S. 86). Zudem wurde Mitte der 1970er Jahren eine „Kostenexplosion“ in der Krankenhauswirtschaft vorhergesagt (vgl. ebd. S. 92). Verkürzt kann diese Entwicklung mit den Modernisierungen in der Infrastruktur der Krankenhäuser, mit dem Vorhalten eines großen Bettenkontingentes sowie einer zu langen Verweildauer der Patienten erklärt werden (vgl. ebd. S. 93).
Als Ausweg wurde u.a. aufgezeigt, dass Patienten früher in weiterführende Institutionen wie Pflegeheime oder Rehabilitationskliniken verlegt werden könnten.
[...]
[1] Mehs zitiert an dieser Stelle ein Dienstblatt des Magistrats von Berlin vom 22.07.1925 mit dem Titel: „Durchführung der sozialen Krankenhausfürsorge in Groß-Berlin.“
[2] Die NSV war ein lokaler Berliner Verein, der 1931 gegründet und ab 1933 reichsweit für soziale und gesundheitliche Aufgaben zuständig war. Die Wohlfahrtsfahrtsverbände mussten sich der NSV unterordnen (vgl. Hering / Münchmeier 2000, S.173).