Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Theorie
2.1 Gesundheit – Eine Begriffsdefinition aus salutogenetischer Perspektive
2.1.1 Das Gesundheits-Krankheits-Kontinuum
2.1.2 Stressoren und Spannungsbewältigung
2.1.3 Generalisierte Widerstandsressourcen als Schutzfaktoren
2.2 Die psychische Gesundheit – eine Begriffsklärung
2.3 Die psychische und physische Gesundheit im Kindesalter
2.3.1 Die KIGGS Studie
2.3.2 Die BELLA Studie
2.3.3 Die COPSY Studie
2.4 Bindung als Schutzfaktor
2.4.1 Die Grundlagen der Bindungstheorie
2.4.2 Klassifikation der verschiedenen Bindungsmuster
2.4.3 Der Einfluss von Bindung auf Gesundheit
2.5 Kohärenzgefühl als Schutzfaktor
2.5.1 Entwicklung des Kohärenzgefühls
2.5.2 Kohärenzgefühl und Gesundheit
2.5.3 Kohärenzgefühl und Bindung
2.6 Emotionsregulation als Schutzfaktor
2.6.1 Entwicklung der Emotionsregulation
2.6.2 Emotionsregulation und Gesundheit
2.6.3 Emotionsregulation und Bindung
2.6.4 Emotionsregulation und Kohärenzgefühl
2.7 Euthymes Erleben und Verhalten als Schutzfaktor
2.7.1 Entwicklung des euthymen Erleben und Verhalten
2.7.2 Euthymes Erleben und Verhalten und Gesundheit
2.7.3 Euthymes Erleben und Verhalten und Bindung
2.7.4 Euthymes Erleben und Verhalten und Emotionsregulation
2.7.5 Euthymes Erleben und Verhalten und Kohärenzgefühl
2.8 Darstellung des Gesamtmodells
2.9 Fragestellungen und Hypothesen
3. Methode
3.1 Beschreibung der Untersuchungsstichprobe
3.2 Untersuchungsdesign und Ablauf
3.3 Untersuchungsinstrumente
3.3.1 Der Bochumer Bindungstest
3.3.2 KIDSCREEN-27 - Fragebogen zur Gesundheitsbezogenen Lebensqualität
3.3.3 Fragebogen zum euthymen Erleben und Verhalten von Kindern
3.3.4 Fragebogen zur Erhebung der Emotionsregulation bei Kindern und Jugendlichen
3.3.5 Dortmunder Kinder-SOC
3.4 Datenanalyse
3.4.1 Datenaufbereitung
3.4.2 Reliabilitäten
3.4.3 Statistische Analyseverfahren
4. Ergebnisse
4.1 Deskriptive Angaben zu den Konstrukten
4.2 Schutzfaktoren abhängig vom Alter und Geschlecht
4.2.1 Bindungsqualität abhängig vom Alter und Geschlecht
4.2.2 Kohärenzgefühl abhängig vom Alter und Geschlecht
4.2.3 Euthymes Erleben und Verhalten abhängig vom Alter und Geschlecht
4.2.4 Emotionsregulation abhängig vom Alter und Geschlecht
4.3 Gesundheit abhängig vom Alter und Geschlecht
4.4 Zusammenhänge zwischen den einzelnen Konstrukten
4.4.1 Hypothese 1: Zusammenhang Bindung und Kohärenzgefühl
4.4.2 Hypothese 2: Zusammenhang Bindung und euthymes Erleben
4.4.3 Hypothese 3: Zusammenhang Bindung und Emotionsregulation
4.4.4 Hypothese 4: Zusammenhang Bindung und Gesundheit
4.4.5 Hypothese 5: Zusammenhang Kohärenzgefühl und euthymes Erleben und Verhalten
4.4.6 Hypothese 6: Zusammenhang Kohärenzgefühl und Emotionsregulation
4.4.7 Hypothese 7: Zusammenhang Kohärenzgefühl und Gesundheit
4.4.8 Hypothese 8: Zusammenhang euthymes Erleben und Verhalten und Gesundheit
4.4.9 Hypothese 9: Zusammenhang euthymes Erleben und Verhalten und Emotionsregulation
4.4.10 Hypothese 10: Zusammenhang Emotionsregulation und Gesundheit
4.5 Hypothese 11: Mediationsanalysen
5. Diskussion
5.1 Darstellung und Interpretation der empirischen Befunde
5.1.1 Schutzfaktoren abhängig vom Alter und Geschlecht
5.1.2 Zusammenfassende Diskussion der Zusammenhänge zwischen den Schutzfaktoren
5.1.3 Zusammenfassende Diskussion der Mediationsanalysen
5.2 Kritische Reflexion
5.3 Implikationen für die Praxis
5.4 Ausblick
5.5 Abschließendes Fazit
6. Literaturverzeichnis
Danksagung
An dieser Stelle möchte ich mich bei all denjenigen bedanken, die mich während der Anfertigung dieser Masterarbeit so großartig unterstützt haben.
Zunächst gebührt mein Dank Frau Prof. Dr. Anke Lengning, die mich bereits durch ihre Vorlesungen für die Entwicklungspsychologie begeistern konnte und mich im Rahmen dieser Masterarbeit mit großem Engagement begleitet hat und mir dabei stets freundlich, motivierend und fachlich kompetent zur Seite stand. Zudem danke ich der Hochschule Döpfer, für die Kostenübernahme der Fragebögen.
Ein riesengroßes Dankeschön gilt all den Kindern, die mit so viel Geduld und Sorgfalt an meiner Befragung teilgenommen haben, sowie den Eltern, Lehrern/innen und Schulleitungen.
Abschließend möchte ich mich bei meinen Freunden und meiner Familie für die emotionale Unterstützung und die vielen motivierenden Worte bedanken. Ein besonderer Dank gilt dabei meiner lieben Großmutter, die mir immer zur Seite stand!
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1. Schutzfaktorenmodell
Abbildung 2. Voraussetzungen für das Vorliegen einer Mediation nach Baron & Kenny (1986)
Abbildung 3. Statistische Grundlagen des Model Template 6
Abbildung 4. Mediationsmodell 1
Abbildung 5. Mediationsmodell 2
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Häufigkeiten getrennt nach Geschlecht und Alter
Tabelle 2: Befragungsdesign
Tabelle 3: Interne Konsistenzen
Tabelle 4: Korrelation Bindung und Kohärenzgefühl
Tabelle 5: Korrelation Bindung und euthymes Erleben und Verhalten
Tabelle 6: Korrelation Bindung und Emotionsregulation
Tabelle 7: Korrelation Bindung und Gesundheit
Tabelle 8: Korrelation Kohärenzgefühl und euthymes Erleben und Verhalten
Tabelle 9: Korrelation Kohärenzgefühl und Emotionsregulation
Tabelle 10: Korrelation Kohärenzgefühl und Gesundheit
Tabelle 11: Korrelation euthymes Erleben und Verhalten und Gesundheit
Tabelle 12: Korrelation euthymes Erleben und Verhalten und Emotionsregulation
Tabelle 13: Korrelation Emotionsregulation und Gesundheit
Zusammenfassung
Die vorliegende Forschungsarbeit beschäftigt sich mit Schutzfaktoren für die psychische und physische Gesundheit von Kindern. Dabei wurden die Bindungsdimensionen, das Kohärenzgefühl, das euthyme Erleben und Verhalten sowie die Emotionsregulationsfähigkeiten betrachtet und in Zusammenhang zueinander sowie zum psychischen und physischen Wohlbefinden betrachtet. Insgesamt konnten 95 Grundschulkinder der dritten und vierten Klassenstufe befragt werden. Dazu wurde der Bochumer Bindungstest (Höner, 2000; Trudewind & Steckel 2009), die Dortmunder Kinder-SOC Skala (DoK-SOC Skala; Lengning, A., Mohn, K., & Franke, A., 2009) der Fragebogen zum euthymen Erleben und Verhalten in der Kinderversion (Lengning, 2021) sowie der Fragebogen zur Erhebung der Emotionsregulation bei Kindern und Jugendlichen (FEEL.KJ; Grob & Smolenski, 2009) verwendet. Die Ergebnisse zeigen, dass die angenommenen Schutzfaktoren einen Zusammenhang untereinander, sowie zum psychischen und physischen Wohlbefinden aufweisen. Zudem geht die Wahrnehmung bindungsthematischer Situationen, aus einer vornehmlich sicheren Bindungsperspektive mit einem stärker ausgeprägten Kohärenzgefühl einher und übt dadurch einen positiven Einfluss auf das euthyme Erleben und Verhalten aus, was sich wiederum protektiv auf das psychische und physische Wohlbefinden auswirkt.
1. Einleitung
Die Kindheit wurde von Joseph von Eichendorff (1788-1857) als „das noch gesunde und unzerknitterte, vom kleinlichen Treiben der Welt noch unberührte Gefühl, der ursprünglichen Freiheit“ beschrieben. Im Zuge aktueller Geschehnisse und der gesellschaftlichen Entwicklung wird jedoch deutlich, dass dieser prägende Lebensabschnitt der Kindheit mittlerweile auch von zunehmenden Anforderungen und Belastungen geprägt ist. Der UNICEF Bericht zur Situation der Kinder in der Welt 2021 zeigt beispielsweise, dass weltweit schätzungsweise jeder siebte junge Mensch im Alter zwischen zehn und neunzehn Jahren mit einer diagnostizierten psychischen Beeinträchtigung oder Störung lebt (United Nations Children’s Fund, 2021). Die schulischen Anforderungen werden deutlich komplexer, die Erwartungen steigen und der Leistungsdruck nimmt zu (Hurrelmann, 2002; Schulte-Markwort, 2016). Auch die COVID-19 Pandemie hat das Leben von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien seit März 2020 erheblich beeinträchtigt und ihren Alltag beeinflusst. Immer mehr Kinder fühlen sich psychisch belastet und erleben mehr Stress (Ravens-Sieberer, 2021). Über langfristige Folgen der COVID-19 Pandemie, insbesondere hinsichtlich der psychischen und physischen Gesundheit, lässt sich bislang nur spekulieren.
Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen jedoch, dass gesundheitliche Beeinträchtigungen im Kindes- und Jugendalter, insbesondere psychische Belastungen, oftmals auch mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen im Erwachsenenalter einhergehen (Schlack et al., 2021, Kessler et al., 2005). Unter diesem Aspekt gewinnen die Themen Gesundheit, Prävention und Gesundheitsförderung auch für die Public Health an Bedeutung und die psychische Gesundheit rückt zunehmend in den Fokus der Aufmerksamkeit.
Viele Forschungsarbeiten, die sich auf die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen beziehen, sind dabei durch eine pathogenetische Sichtweise geprägt und betrachten vornehmlich Krankheitsursachen und Risikofaktoren. Demnach erhöhen ein niedriger sozioökonomischer Status (Paschke et al., 2021; Vogel et al., 2021) sowie eine geringe Bildung der Eltern (Ravens-Sieberer et al., 2021) das Risiko für psychische Belastungen bei Kindern und Jugendlichen. Aus diesen Erkenntnissen lassen sich präventive Maßnahmen ableiten, die an den Krankheitsursachen oder Risikofaktoren ansetzen und diesen entgegenwirken. Im Gegensatz dazu betrachtet die salutogenetische Sichtweise, die beispielsweise in der Gesundheitsförderung Anwendung findet, Faktoren und Bedingungen, die zur Gesundheitsentstehung und -aufrechterhaltung beitragen, um diese entsprechend zu fördern (Antonovsky, 1979).
Geprägt wurde die salutogenetische Sichtweise von Aaron Antonovsky (1979), der dazu das Modell der Salutogenese aufstellte. In diesem konzentriert er sich auf Faktoren und Bedingungen, die zur Gesundheitsentstehung und -aufrechterhaltung beitragen. Einen entscheidenden Einfluss darauf üben sogenannte generalisierte Widerstandsressourcen aus, die sich z.B. durch materiellen Wohlstand, eine hohe Intelligenz oder ein hohes Kohärenzgefühl äußern können (Franke, 2012). Das Kohärenzgefühl nimmt dabei eine übergeordnete Steuerungsfunktion ein und beschreibt die Fähigkeit eines Individuums, aus den zur Verfügung stehenden und erlernten Bewältigungsstrategien, die für die spezifische Anforderungssituation am besten geeignete auszuwählen (Antonovsky, 1987).
Damit sich ein möglichst hohes Kohärenzgefühl entwickeln kann, sollte man Konsistenz, Partizipation und ein Gleichgewicht zwischen Beanspruchung und Bewältigung durch seine Umwelt erfahren (vgl. Felbinger 2010; Bengel et al. 2001; Krause & Lorenz, 2009) und dazu bedarf es unterstützende und verlässliche Beziehungen, um dem Kind eben solche Erfahrungen zu ermöglichen (Antonovsky, 1987). In diesem Kontext liefert die Bindungstheorie von Bowlby (1969) die theoretische Grundlage, um die Beziehungsqualität, die sich daraus ergebenden Bindungsrepräsentation, und die Auswirkungen auf weitere Faktoren, einzuordnen. Die Bindungsqualität beeinflusst wiederum die Emotionsregulationsfähigkeiten bzw. die Verwendung entsprechender (Bewältigungs-)Strategien im Umgang mit negativen, aber auch positiven Emotionen (Zimmermann, 2002, 2007, Lengning & Lüpschen, 2019). Dabei können funktionale Emotionsregulationsstrategien als Schutzfaktor zur Aufrechterhaltung und Verbesserung des subjektiven Wohlbefindens von Kindern und Jugendlichen angesehen werden (Grob & Smolenski, 2009). Als weitere Ressource, zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Gesundheit, postuliert Franke (2012) das euthyme Erleben und Verhalten, also die „Fähigkeit zu genießen und sich etwas Gutes zu tun“ (Franke, 2012, S.169).
Die hohe Relevanz von Schutzfaktoren für die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen wurde bereits mehrfach belegt (KiGGS/BELLA Studie, Ravens-Sieberer, 2007; AWO_ISS-Studie, Holz, 2010) und statistisch überprüft (Schumacher et al., 2005). Es zeigt sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen dem kindlichen Entwicklungsverlauf und der Anzahl vorhandener Schutzfaktoren (Geene et al., 2013). Das Ziel dieser Forschungsarbeit besteht darin, weitere Schutzfaktoren und deren Wirkzusammenhänge zu untersuchen. Die Ergebnisse könnten als Ansatzpunkte für gesundheitsförderliche Maßnahmen dienen.
2. Theorie
Um verschiedene Faktoren und ihre Wirkzusammenhänge zu analysieren, die sich protektiv auf die Gesundheit und das Wohlbefinden von Kindern auswirken, ist es notwendig, den Begriff der Gesundheit sowie der Schutzfaktoren zu definieren und genauer einzugrenzen. Die verschiedenen Konstrukte, die als potenzielle Schutzfaktoren einen positiven Einfluss auf das Wohlbefinden von Kindern haben können, gilt es zu eruieren und in einem gemeinsamen Modell zu integrieren.
2.1 Gesundheit – Eine Begriffsdefinition aus salutogenetischer Perspektive
In der wissenschaftlichen Forschung dominierte lange Zeit die pathogenetische Perspektive, die sich mit der Entstehung und Entwicklung von Krankheiten beschäftigt und insbesondere Krankheitsursachen und mögliche Risikofaktoren betrachtet (Faltermaier, 2017; Hurrelmann, 2010).
Dabei wird von einem dichotomen Gesundheitsverständnis ausgegangen, wonach ein Mensch entweder vollkommen gesund oder vollkommen krank ist. Gesundheit wird dabei als Homöostase betrachtet, die durch gewisse Faktoren gestört werden kann, was zu einem Krankheitszustand, also einem Ungleichgewicht führt (vgl. Antonovsky, 1979). Um den Zustand von Gesundheit zu erhalten bzw. wiederherzustellen gilt es, diese Faktoren durch Krankheitsprävention gänzlich zu vermeiden oder das Ungleichgewicht durch medizinische Behandlungen auszugleichen (vgl. Antonovsky, 1979; Hurrelmann, 2010). Die Weltgesundheitsorganisation definiert Gesundheit jedoch als „Zustand völligen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen “ (WHO, 1946). Demnach handelt es sich um einen absoluten und statischen Zustand, der zwar oft als realitätsferne Utopie kritisiert wird, nach der nur wenige Menschen wirklich gesund wären, da es kaum möglich ist, einen solchen Zustand zu erreichen (Huber et al., 2016), jedoch lässt sich aus dieser Definition bereits ableiten, dass Gesundheit nicht bloß durch die Beseitigung pathogener Faktoren erzielt wird. Auch der Medizinsoziologe Aaron Antonovsky (1979) erkannte die Notwendigkeit, die pathogene Sichtweise zu erweitern und leitete mit dem Modell der Salutogenese einen Perspektivwechsel in den Gesundheitswissenschaften ein. Antonovsky (1979) betrachtet Gesundheit nicht als statischen Zustand, sondern vielmehr als Prozess und er fokussiert sich konträr zur pathogenetischen Sichtweise, vornehmlich auf die Entstehung und den Erhalt von Gesundheit (Lorenz, 2005). Die salutogenetische Sichtweise identifiziert und stärkt Schutzfaktoren sowie Ressourcen, ganz im Sinne der Gesundheitsförderung (Antonovsky, 1997; Hurrelmann, 2010) Auch gesellschaftspolitisch ist die salutogenetische Sichtweise im Rahmen der Gesundheitsförderung durch die Ottawa-Charta der WHO (1986) verankert (Helmes et al., 2007). So fordert beispielsweise der 13. Kinder- und Jugendbericht mit dem Titel "Mehr Chancen für gesundes Aufwachsen - Gesundheitsbezogene Prävention und Gesundheitsförderung in der Kinder- und Jugendhilfe" (2009) den salutogenetischen Blick als Fachstandard in der Kinder- und Jugendhilfe.
2.1.1 Das Gesundheits-Krankheits-Kontinuum
Konträr zum Gesundheitsverständnis der WHO (1946) und der pathogenetischen Sichtweise, betrachtet Antonovsky (1997) Gesundheit und Krankheit nicht als absolute Zustände, die sich gegenseitig ausschließen. Vielmehr geht er von einem dynamischen Prozess der Entstehung und Erhaltung von Gesundheit und einem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum aus. Dieses Kontinuum wird durch den positiven Pol der Gesundheit (health-ease) und den negativen Pol der Krankheit (dis-ease) begrenzt und das Individuum bewegt sich in eine der beiden Richtungen (Franke, 2012). Dabei geht Antonovsky (1989) davon aus, dass man die absoluten Zustände, also völlige Gesundheit oder völlige Krankheit nicht erreichen kann: „Wir sind alle terminale Fälle, aber solange wir einen Atemzug Leben in uns haben, sind wir alle bis zu einem gewissen Grad gesund.“ ( Antonovsky, 1989, S.53). Anstatt zu fragen, ob jemand gesund oder krank ist, fokussiert der salutogenetische Ansatz darauf, wie weit entfernt bzw. wie nah sich ein Individuum jeweils zu den Endpunkten Gesundheit und Krankheit befindet (vgl. Bengel et al., 2001; Franke, 2012). Dabei nehmen sogenannte Stressoren, die Art der Spannungsbewältigung sowie die Verfügbarkeit und Nutzung von Widerstandsressourcen Einfluss auf die Gesundheitsentstehung und -aufrechterhaltung (Antonovsky, 1989).
2.1.2 Stressoren und Spannungsbewältigung
Das Konzept der Salutogenese besagt, dass Stressoren permanent auf das Individuum einwirken und allgegenwärtig sind (Antonovsky, 1997). Es lässt sich differenzieren zwischen physikalischen, biochemischen und psychosozialen Stressoren, wobei letztere in Industrienationen zunehmen und dadurch von zentraler Bedeutung sind (Bengel et al., 2001). In Anlehnung an Lazarus (1996) vertritt auch Antonovsky (1997) die Ansicht, dass ein Stressor nicht grundsätzlich negativ betrachtet werden kann, sondern vielmehr einen Stimulus darstellt, der einen Zustand der Anpassung auslöst. Ein Stressor kann dabei eine, von außen oder innen verursachte Anforderung an den Organismus darstellen und diese Anforderung verursacht ein Ungleichgewicht. Dadurch wird eine Handlung erforderlich, um den Organismus wieder in ein Gleichgewicht zu bringen. Aufgrund des Ungleichgewichts entsteht ein Spannungszustand, dessen Bewältigung die Verschiebung auf dem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum beeinflusst (Antonovsky, 1997). Gelingt es einer Person nicht, diesen Spannungszustand zu reduzieren, führt dies zu negativem Stress, der den Gesundheitszustand beeinträchtigen kann (Bengel et al., 2001). Sofern es jedoch gelingt, den Spannungszustand adäquat zu lösen, kann dies eine gesunderhaltende- und fördernde Wirkung haben und die Person nähert sich dem positiven Pol des Gesundheits-Krankheits-Kontinuums (Antonovsky, 1997, Franke, 2012).
Die Bewältigung des Spannungszustandes, der durch das Vorhandensein eines Stressors auftreten kann, entscheidet also darüber, in welche Richtung sich ein Individuum auf dem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum bewegt (Franke, 2012).
2.1.3 Generalisierte Widerstandsressourcen als Schutzfaktoren
Für eine gelungene Spannungsbewältigung sind laut Antonovsky (1997) generalisierte Widerstandressourcen (Generalized Resistance Resources bzw. GRRs) von zentraler Bedeutung. Diese „wirken als Potential, das aktiviert werden kann, wenn es für die Bewältigung eines Spannungszustandes erforderlich ist“. (Bengel, 2001, S.34). Ähnlich wie auch die Stressoren, kategorisiert Antonovsky (1979) die Widerstandsressourcen in individuelle Faktoren, interpersonale Beziehungen und Bindungen sowie sozio-kulturelle Faktoren. Zu den individuellen Ressourcen zählen beispielsweise Intelligenz, Wissen, Ich-Stärke und Problemlösefähigkeiten und als kulturelle und soziale Ressource wird die Einbindung in ein soziales Netzwerk sowie das Vorhandensein intakter Sozialstrukturen und ökonomischer sowie politischer Sicherheit angenommen (vgl. Antonovsky, 1979).
Die generalisierten Widerstandsressourcen ermöglichen einen konstruktiven Umgang mit Stressoren, indem sie dabei helfen, Spannungszustände zu bewältigen, damit ein Stressor keine gesundheitsschädigende Wirkung entfalten kann und sind somit als Schutzfaktoren zu verstehen (Antonovsky, 1979).
Die aktuelle Gesundheitsforschung zeigt beispielsweise durch die Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KIGGS-Studie), dass sich individuelle Schutzfaktoren wie Selbstwirksamkeit, Optimismus und Kohärenzsinn sowie familiäre und soziale Ressourcen protektiv auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen auswirken (Hölling & Schlack, 2008). Je mehr Schutzfaktoren vorhanden sind, desto weniger psychische Auffälligkeiten bestehen bei den Kindern (Klasen et. al., 2014; Wille et. al., 2008; Ravens-Sieberer et al., 2007). Zudem können vorhandene Schutzfaktoren negative Einflüsse auf die psychische Gesundheit abmildern (Klasen et. al., 2014).
2.2 Die psychische Gesundheit – eine Begriffsklärung
Aus der Gesundheitsdefinition der Weltgesundheitsorganisation von 1946 lässt sich zwar der Begriff des „geistigen Wohlbefindens“ (WHO,1946) auf die psychische Gesundheit beziehen, jedoch wird dieser Aspekt zunächst nicht weiter erläutert. Da sich jedoch in den letzten Jahren wesentliche Veränderungen im Gesundheitswesen vollzogen haben und beispielsweise durch Fortschritte im medizinischen Bereich besser auf körperliche Erkrankungen, wie Infektionskrankheiten reagiert werden kann (Robert Koch-Institut, 2016), wird die Aufmerksamkeit verstärkt auf chronische Erkrankungen und insbesondere auf psychische Störungen, wie beispielsweise Depressionen, Angststörungen oder Entwicklungsstörungen, gerichtet (Robert Koch-Institut, 2016). Diese Verschiebung, weg von den primär körperlichen Erkrankungen, hin zu den Störungen der psychischen und funktionellen Entwicklung, wird auch als „neue Morbidität“ bezeichnet und ist sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern und Jugendlichen zu beobachten (Schlack, 2006). Aufgrund der zunehmenden thematischen Relevanz und des Wandels im Gesundheitssystem wurde von der Weltgesundheitsorganisation eine weitere Begriffsdefinition aufgestellt, die sich explizit auf die psychische Gesundheit bezieht und diese als einen „ Zustand des Wohlbefindens, in dem eine Person ihre Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen, produktiv arbeiten und einen Beitrag zu ihrer Gemeinschaft leisten kann“, versteht (WHO, 2019). Dabei interagieren individuelle Merkmale, soziale Verhältnisse sowie Umweltfaktoren in einer dynamischen Wechselwirkung miteinander, wodurch ein protektiver, als auch bedrohlicher Einfluss auf die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden entstehen kann (WHO, 2019).
2.3 Die psychische und physische Gesundheit im Kindesalter
Es ist unumstritten, dass physische und psychische Erkrankungen sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen auftreten und die Folgen in allen Altersstufen zu Beeinträchtigungen führen. Kinder und Jugendliche werden jedoch als besonders vulnerable Bevölkerungsgruppe betrachtet und daher erscheinen Schutzfaktoren und Ressourcen in dieser Altersstufe umso relevanter (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, 2022). Die Redewendung „An Kindern merkt man, wie schnell die Zeit vergeht“ veranschaulicht, dass Kinder und Jugendliche sich deutlich schneller entwickeln als Erwachsene. Dies ist auf die verschiedenen Entwicklungsphasen zurückzuführen, die während der Kindheit und Jugend durchlaufen werden und die mit entsprechenden Entwicklungsaufgaben verbunden sind, die es zu bewältigen gilt (Havighurst, 1948). Es ist davon auszugehen, dass die Bewältigung einer Entwicklungsaufgabe die Basis für nachfolgende Aufgaben bildet und dass eine unzureichende Bewältigung zu Entwicklungsstörungen und psychischen Auffälligkeiten führen kann (vgl. Becker-Stoll, 2006). Zudem ist davon auszugehen, dass die Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen stärker durch psychische als durch körperliche Erkrankungen eingeschränkt wird (Schlack et al., 2008) und wie bereits eingangs erwähnt, hat dies wiederum Auswirkungen auf die Lebenszufriedenheit und Lebensqualität im Erwachsenenalter (Schlack et al., 2021). Um möglichst allen Kindern ihr Recht auf das höchst erreichbare Maß an psychischer und physischer Gesundheit, nach Artikel 24 der UN-Kinderrechtskonvention (1989) zu erfüllen und eine frühzeitige Prävention sowie Intervention zu gewährleisten, hat sich in den letzten Jahrzehnten die Studienqualität und somit die Verlässlichkeit der Ergebnisse zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen deutlich verbessert (vgl. Polanczyk et al., 2015). Anhand großer prospektiver Kohortenstudien wird die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen im Längsschnitt, multiperspektivisch und nach internationalen diagnostischen Kriterien untersucht (Verhulst & Tiemeier, 2015). Einen aktuellen Überblick über die gesundheitliche Lage von Kindern und Jugendlichen in Deutschland liefern die KIGGS-Studie, die BELLA Befragung sowie die COPSY Studie.
2.3.1 Die KIGGS Studie
Die Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS) wird durch das Robert Koch-Institut als kombinierte Quer- und Längsschnitterhebung durchgeführt und liefert repräsentative Gesundheitsdaten von Kindern und Jugendlichen zu verschiedenen Zeitpunkten. Die Kinder und Jugendlichen werden bis in das Erwachsenenalter begleitet und wiederholt befragt, so dass sowohl Gesundheits- als auch Entwicklungstrends analysiert werden können. Nach Durchführung der Basiserhebung (2003-2006), die als Untersuchungs- und Befragungssurvey mit ca. 17.600 Kindern und Jugendlichen im Alter von 0-17 Jahren stattfand, folgten die KIGGS Welle 1 als reiner Befragungssurvey (2009-2012), sowie die KiGGS Welle 2 (2014-2017), die erneut als kombinierter Untersuchungs- und Befragungssurvey stattfand. Zum Zeitpunkt der zweiten Befragungswelle zeigte sich bei 16,9% der befragten Kinder und Jugendlichen eine psychische Auffälligkeit (Klipker et al. 2018). Der sozioökonomische Status konnte dabei als Risikofaktor identifiziert werden, da Kinder und Jugendliche, die in Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status aufwuchsen, signifikant häufiger von psychischen Auffälligkeiten betroffen waren (Klipker, et al., 2018).
Die Ergebnisse zeigen geschlechtsspezifische Unterschiede im Verlauf psychischer Auffälligkeiten, sodass bei Jungen der Übergang vom Vorschulalter (3-5 Jahre) ins späte Grundschulalter (9-11 Jahre) und bei Mädchen der Übergang vom späten Grundschulalter (9-11 Jahre) ins späte Jugendalter (15-17 Jahre) als besonders sensible Phase für die Entstehung von psychischen Auffälligkeiten angesehen werden kann (Baumgarten et al., 2018).
2.3.2 Die BELLA Studie
Die Befragung zum seelischen Wohlbefinden und Verhalten (BELLA-Studie) ist eine kombinierte Querschnitt- und Längsschnittstudie, zur psychischen Gesundheit und gesundheitsbezogenen Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen im Alter von 7-17 Jahren in Deutschland. Es handelt sich um ein Zusatzmodul der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KIGGS-Studie), die im Rahmen der Bundesgesundheitsberichterstattung am Robert Koch-Institut von der Forschungssektion „Child Public Health“ am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf durchgeführt wird. Nach Durchführung der Basiserhebung (2003 – 2006) folgte die BELLA Welle 1 (2004-2007) sowie die BELLA Welle 2 (2005-2008) in Form von Fragebögen und Telefoninterviews. Parallel zur KiGGS Welle 1 (2009-2012) wurde die BELLA Welle 3 durchgeführt und zusätzlich zur KIGGS Welle 2 (2014-2017) fand die BELLA Welle 4, erstmals als Onlinebefragung, statt.
Die Ergebnisse der BELLA-Studie zeigen, dass insgesamt 17,2% der befragten Kinder und Jugendlichen psychisch belastet sind (Klasen et. al., 2017). Aus der 11-Jahres Follow-up-Studie lässt sich zudem ein Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Status der Familie im Kindesalter und der allgemeinen Gesundheit im Erwachsenenalter erkennen, wobei ein niedriger sozioökonomischer Status als Risikofaktor gilt (Otto et. al., 2020). Als protektive Faktoren für die psychische Gesundheit werden Selbstwirksamkeit, ein positives Familienklima sowie soziale Unterstützung benannt (Wille et. al., 2008).
2.3.3 Die COPSY Studie
In dieser Längsschnittstudie werden die Auswirkungen der Corona Pandemie im Hinblick auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland untersucht, um daraus Präventions- und Interventionsansätze ableiten zu können. Konzipiert wurde die COPSY Studie in Anlehnung an die BELLA-Studie und die dabei bereits erhobenen Daten lassen sich als Referenzwerte hinzuziehen. Die Studie gliedert sich in die COPSY Welle 1 (Mai 2020– Juni 2020), die COPSY Welle 2 (Dezember 2020 – Januar 2021) sowie die COPSY Welle 3 (September-Oktober 2021).
Die Ergebnisse der drei Befragungswellen zeigen, dass die subjektiv empfundene Belastung der Kinder im Laufe der Pandemie zunächst deutlich anstieg. Während in der ersten Befragungswelle 70,6% der Kinder eine Belastung durch die Corona Pandemie angaben, waren es in der zweiten Befragungswelle schon 82,9%. Die COPSY Welle 3 zeigt eine Belastung der Kinder durch die Corona Pandemie von 81,9% (Ravens-Sieberer et al., 2022). Während vor der Corona-Pandemie nur 15,3 % aller Kinder und Jugendlichen über eine eingeschränkte Lebensqualität berichteten, waren es in der ersten Erhebungswelle 40,2 %, in der zweiten Erhebungswelle 47,7 % und in der dritten Erhebungswelle 35,1 %. Die Prävalenz für psychische Auffälligkeiten stieg von 17,6% vor der Pandemie auf 30,4% während der Pandemie (Ravens-Sieberer et. al., 2021). Insgesamt zeigten die Kinder und Jugendlichen während der Pandemie häufiger depressive Symptome und psychosomatische Beschwerden wie z.B. Niedergeschlagenheit oder Kopf- und Bauchschmerzen. Auch die Ängstlichkeit hat deutlich zugenommen. Sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche, die nicht über ausreichend (Widerstands-)Ressourcen verfügen, zeigten im Laufe der Pandemie eine höhere Belastung, eine geminderte Lebensqualität sowie eine Zunahme der psychischen Probleme. Diese Kinder zeichnen sich u.a. durch weniger Kontrollüberzeugung und Selbstwirksamkeitserwartung aus. Hinsichtlich der körperlichen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zeigen die COPSY-Studien, dass ein Bewegungsmangel erkennbar wird und der Medienkonsum zunahm. Als wertvolle Ressourcen im Umgang mit den Belastungen der Corona Pandemie wird ein positives Familienklima mit stabilen Beziehungen postuliert (Ravens-Sieberer et al., 2021).
Betrachtet man die aktuelle Studienlage, so zeigt sich eine ohnehin schon hohe psychische Belastung bei Kindern und Jugendlichen, die sich durch die COVID-19-Pandemie nahezu verdoppelt hat (Ravens-Sieberer, 2021). Viele Kinder sind dabei nicht nur gestresst und in ihrer Lebensqualität eingeschränkt, sondern leiden an ernsthaften psychischen Folgen (Bujard et al. 2021). Umso wichtiger erscheint es demnach, sich mit der Gesundheit und dem Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen auseinanderzusetzen und die Forschung auf protektive Faktoren auszurichten, die dazu beitragen, dass ein positiver Umgang mit belastenden Situationen und Herausforderungen gelingt. Im Hinblick auf die dargestellten Studien für Kinder und Jugendliche zeigt sich, dass zwar mittlerweile auch Schutzfaktoren und Ressourcen betrachtet werden, jedoch stehen die Risikofaktoren weiterhin deutlich im Vordergrund und protektive Faktoren sowie deren Wirkzusammenhänge finden im Vergleich nur wenig Beachtung.
Die #stayhealthy-Studie von Lengning et al. (2020) greift eben diese salutogenetische Sichtweise auf und untersucht Faktoren, die sich bei Erwachsenen förderlich auf die psychische Gesundheit, während der COVID-19 Pandemie auswirken können. Aus den ersten Ergebnissen der #stayhealthy-Studie geht hervor, dass eine sichere Bindung sowie ein ausgeprägtes Kohärenzgefühl eine schützende Wirkung in Bezug auf die psychische Gesundheit ausüben können und darüber hinaus auch Einfluss auf euthymes Erleben und Verhalten nehmen (vgl. Lengning et al., 2020).
Das Schutzfaktorenmodell der #stayhealthy-Studie von Lengning et al. (2020) wird in der vorliegenden Forschungsarbeit auf Kinder und Jugendliche übertragen und in Zusammenhang zur psychischen und körperlichen Gesundheit betrachtet. Dazu werden im Folgenden zunächst die einzelnen Konstrukte sowie die entsprechenden Zusammenhänge zwischen diesen vorgestellt.
2.4 Bindung als Schutzfaktor
Bereits 1945 legten die Hospitalismus Studien von René Spitz den Verdacht nahe, dass die Befriedigung physischer Grundbedürfnisse für eine gesunde Entwicklung von Kindern nicht ausreicht. Als mindestens genauso wichtig für die psychische und physische Gesundheit von Kindern gilt seither die Befriedigung der psychischen Grundbedürfnisse, zu denen neben Autonomie und Kompetenzerleben auch Bindung gehört (Deci & Ryan, 1995). Auch Antonovsky (1979) benennt interpersonale Beziehungen und Bindungen als generalisierte Widerstandsressourcen, die zur adäquaten Spannungsbewältigung beitragen und somit die Entstehung und Aufrechterhaltung von Gesundheit begünstigen können (vgl. Antonovsky, 1979).
Nach Lengning & Lüpschen (2019, S.11) versteht man unter Bindung „eine enge emotionale, länger andauernde Beziehung zu bestimmten Menschen, die nach Möglichkeit sowohl Schutz bieten als auch unterstützend wirken, z.B. wenn ein Kind verunsichert oder traurig ist und sie dem Kind helfen, seine Emotionen zu regulieren“. Die Bindungstheorie, die auf John Bowlby (1969) und Mary Ainsworth (1978) zurückzuführen ist, gilt mittlerweile als eine der zentralen Schlüsselkonzepte, um zu beschreiben, „warum Menschen dazu tendieren, sich auf enge emotionale Beziehungen einzulassen und inwieweit die psychische Gesundheit einer Person beeinflusst wird, wenn diese Beziehungen beeinträchtigt, unterbrochen bzw. beendet werden“ (Lengning & Lüpschen, 2019, S.9). Dabei werden im Rahmen der Bindungstheorie zwei Verhaltenssysteme genannt, mit denen das Kind von Geburt an ausgestattet ist (Ainsworth & Bowlby, 1991). Zum einen das Bindungsverhaltenssystem, das darauf abzielt, die Nähe zur Bindungsperson aufrecht zu erhalten oder wieder herzustellen, um dort Sicherheit und Schutz zu finden und komplementär dazu das Explorationsverhaltenssystem, wodurch der kindliche Erkundungs- und Erforschungsdrang gestillt werden soll (Bowlby, 1987).
Um die protektiven Funktionen von Bindung zu verstehen, werden im Folgenden die Grundzüge der Bindungstheorie dargestellt und die Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden aufgezeigt.
2.4.1 Die Grundlagen der Bindungstheorie
Die Begriffsdefinitionen von Bindung und der Bindungstheorie weisen bereits darauf hin, dass Beziehungen schützende Funktionen erfüllen können, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.
Zunächst sind zahlreiche Interaktionen notwendig, damit eine Beziehung zwischen dem Kind und der Hauptbindungsperson, also der Person, die sich primär um das Kind kümmert, entsteht (Bowlby, 2015). Zur Entstehung und Aufrechterhaltung dieser Interaktionen trägt das Bindungsverhaltenssystem bei, dass sich aus dem angeborenen Bindungsverhalten des Kindes sowie dem Fürsorgesystem der Bezugsperson zusammensetzt (Bowlby, 1987, 2006; Ainsworth, 2011). Gegebenheiten, die für das Kind eine Bedrohung darstellen und negative Emotionen hervorrufen, wie beispielsweise Krankheit, Angst oder Schmerz aktivieren das Bindungssystem des Kindes und lösen dadurch Bindungsverhalten aus, dass sich z.B. durch Weinen oder Anklammern äußern kann (Weiss, 1991). Auf diese Weise sucht das Kind die Nähe der Bindungsperson, um dort Sicherheit und Schutz zu finden (Bowlby, 2015). Das Verhalten des Kindes zielt darauf ab, das Fürsorgesystem der Bezugsperson zu aktivieren und dabei gilt im Rahmen der Bindungstheorie die Feinfühligkeit der Bezugsperson, also die Fähigkeit, kindliche Signale wahrzunehmen, diese richtig zu interpretieren und angemessen sowie prompt darauf zu reagieren, als maßgeblicher Einflussfaktor auf die Bindungsqualität (Ainsworth, 2011).
Im Laufe der Zeit sammelt das Kind Bindungs- und Beziehungserfahrungen, die als Grundlage für sogenannte internale Arbeitsmodelle agieren (Bowlby, 1969; Bretherton & Munholland, 2008). Diese „ beinhalten internalisierte, mentale Repräsentationen vom eigenen Selbst, der Umwelt und den Bezugspersonen. Sie dienen der Simulation der Realität, der Bewertung von Situationen und daraus folgend der Verhaltenssteuerung in bindungsrelevanten Situationen “ (Lengning & Lüpschen, 2019, S. 40). Erlebt ein Kind beispielsweise immer wieder, dass auf gezeigtes Bindungsverhalten fürsorglich reagiert wird, wird es auch in Zukunft Unterstützung durch andere Personen erwarten und diese als prinzipiell verfügbar wahrnehmen (Bowlby, 1988). Außerdem wird sich das Kind selbst auch als liebenswertes und wertvolles Individuum wahrnehmen, das Hilfe verdient, wenn diese benötigt wird (Bowlby, 1988).
Es ist durchaus möglich, dass das Kind sich an mehrere Personen bindet und dadurch unterschiedliche Beziehungs- und Bindungserfahrungen macht. Die Bezugspersonen sind dabei hierarchisch geordnet, wobei die Hauptbindungsperson meist diejenige ist, die sich am meisten um das Kind kümmert und dadurch die Funktion der sicheren Basis übernimmt (Bowlby, 2011).
Eine solche sichere Basis gilt als Grundvoraussetzung, damit das Kind seinem Bedürfnis nach Exploration nachgehen kann und so die Umwelt erkundet und Lernerfahrungen macht (Bowlby, 2011). Dabei besteht ein komplementärer Zusammenhang zwischen dem Bindungsverhaltenssystem und dem Explorationsverhaltenssystem, sodass das Explorationsverhaltenssystem nur dann aktiviert werden kann, wenn das Bindungsverhaltenssystem deaktiviert ist und sich das Kind sicher und geborgen fühlt (Bowlby, 2011; Brisch, 2009). Ainsworth & Wittig (1969) entwickelten eine Laborbeobachtungsmethode, die heutzutage als „Fremde Situation“ bekannt ist, um die Beziehung zwischen den beiden Verhaltenssystemen Bindung und Exploration zu erfassen (Bretherton, 2015).
Dabei wurde die Reaktion des Kindes auf die wiederholte Trennung und Wiedervereinigung mit der Mutter untersucht, sodass dadurch Aussagen über die Ausprägung der Bindungssicherheit und Bindungsqualität eines Kindes getroffen werden konnten (Ainsworth et al., 1978). Darauf basierend werden heute vier unterschiedliche Bindungsmuster identifiziert, die im Folgenden dargestellt werden.
2.4.2 Klassifikation der verschiedenen Bindungsmuster
Im Rahmen der Bindungsforschung konnten Unterschiede hinsichtlich der Bindungssicherheit und Bindungsqualität bei Kindern festgestellt werden, die sich auf das Verhalten der Bezugsperson, aber auch auf Eigenschaften des Kindes zurückführen lassen (Ainsworth et al., 1979; Grossmann et al., 1989; Spangler, 2009). Demnach können Kinder ein unsicher-vermeidendes (A), ein sicheres (B), ein unsicher-ambivalentes (C) oder ein desorganisiertes (D) Bindungsmuster entwickeln, wobei sich Unterschiede hinsichtlich der Bindungsrepräsentation, der Beziehungsstrategien, des Selbstkonzepts und des Umgangs mit Emotionen sowie mit Körperkontakt zeigen (Ainsworth et al., 1987; Main & Solomon, 1990; vgl. Lengning, 2004). Im Folgenden werden die verschiedenen Bindungsmuster dargestellt, wobei nur auf das unsicher-vermeidende, das sichere sowie das unsicher-ambivalente Bindungsmuster eingegangen wird. Das desorganisierte Bindungsmuster wird nicht genauer dargestellt, da es für die vorliegende Forschungsarbeit nicht relevant ist.
Das unsicher-vermeidende Bindungsmuster (A)
Kinder mit einem unsicher-vermeidendem Bindungsmuster zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Nähe und den Kontakt zur Bindungsperson weitestgehend vermeiden und durch deren Abwesenheit weder verängstigt noch gestresst wirken (vgl. Lengning, 2004). Sie zeigen nach außen kaum Bindungsverhalten und versuchen meist, sich durch (eher oberflächliche) Exploration von negativen Befindlichkeiten abzulenken (Ainsworth et al., 1972). Studien konnten zeigen, dass sie jedoch durchaus eine innerliche Anspannung erleben und deutliche körperliche Stressreaktionen, wie beispielsweise erhöhte Kortisol Werte aufweisen (Spangler & Schieche, 1998). Das Verhalten unsicher-vermeidend gebundener Kinder lässt sich dadurch erklären, dass die Bindungspersonen sich meist ablehnend und wenig feinfühlig gegenüber den Bedürfnissen und Signalen des Kindes verhalten haben (vgl. Ainsworth et al., 1972; Fremmer-Bombik, 2015). Aufgrund dieser Beziehungserfahrungen haben Kinder mit einem unsicher-vermeidendem Bindungsmuster ihre Bindungsperson als ablehnend und nicht-unterstützend repräsentiert und erwarten auch zukünftig keine Hilfe, sondern vielmehr erneute Zurückweisung (vgl. Lengning & Lüpschen, 2019). Um diese schmerzhaften Erfahrungen zukünftig zu vermeiden, zeigen sich unsicher-vermeidend gebundene Personen in Beziehungen eher vermeidend oder brechen die Beziehung ab und sie suchen wenig oder keine Unterstützung bei den Eltern oder weiteren Bezugspersonen (Fremmer-Bombik, 2015). Sie entwickeln eine vermeidend-perfekte Selbsteinschätzung wodurch eigene Schwächen verdrängt oder geleugnet werden (vgl. Lengning, 2004) sowie auch die eigenen Emotionen (Bowlby, 1983; Fremmer-Bombik, 2015). Unsicher-vermeidend gebundene Kinder entwickeln zudem eine ablehnende Haltung zu Körperkontakt (Ainsworth et al., 1978, Lengning, 2004).
Das sichere Bindungsmuster (B)
Sicher gebundene Kinder suchen aktiv den Kontakt und die Nähe zur Bindungsperson und können Stress und Verunsicherung durch deren Abwesenheit erleben (Bowlby, 1988). Explorationsverhalten wird gezeigt, wenn die Bezugsperson als sichere Basis verfügbar ist (vgl. Lengning, 2004). Erlebt das Kind Angst, Stress oder eine negative Befindlichkeit und fühlt sich unsicher, wird das Bindungsverhalten vom Kind offen gezeigt und die Bindungsperson reagiert verfügbar und helfend, sensitiv, liebevoll und zuverlässig (Bowlby, 1988; Fremmer-Bombik, 2015). Durch Erfüllung der Bindungsbedürfnisse repräsentiert das Kind seine Bezugsperson als verfügbar, helfend, sensitiv und liebevoll (Bowlby, 1988). Aufgrund dieser Erfahrungen zeigen sicher-gebundene Kinder ihr Bedürfnis nach Bindung offen und suchen bei Belastungen die Unterstützung bei den Eltern oder weiteren Bezugspersonen (Grossmann & Grossmann, 1991). Zudem verfügen sie über ein positives Selbstkonzept mit einer hohen Selbstachtung, einer offenen und flexiblen Selbsteinschätzung sowie einem positiven Selbstwertgefühl (Cassidy, 1988; Lengning, 2004). Sicher gebundene Kinder haben einen guten Zugang zu den eigenen Emotionen (Fremmer-Bombik, 2015, Lengning, 2004) und kommunizieren diese offen (Grossmann & Grossmann, 1991). Sie suchen aktiv nach Körperkontakt (Ainsworth et al., 1978, Lengning, 2004).
Das unsicher-ambivalente Bindungsmuster (C)
Kinder mit einem unsicher-ambivalenten Bindungsmuster zeigen verstärktes Bindungsverhalten, um dadurch die Aufmerksamkeit der Bezugsperson zu erlangen (Bowlby, 1988; Cassidy & Berlin, 1994). Die angewendeten Strategien sind dabei nicht immer eindeutig, sodass die Kinder beispielsweise die Nähe zur Bezugsperson aktiv suchen, sich dieser aber auch umgehend widersetzen und sich abwenden (Sroufe et al., 1983; Bretherton et al., 1990). Auch eine gewisse Passivität oder Wut gegenüber der Bezugsperson kann sich zeigen (vgl. Lengning, 2004). Das Explorationsverhalten ist stark eingeschränkt, da das Bindungssystem dauerhaft aktiviert ist und das Kind sich darauf konzentriert, die Bindung zu der Bezugsperson aufrecht zu erhalten (Bowlby, 1988). Dies lässt sich darauf zurückführen, dass sich die Bezugsperson in manchen Situationen unterstützend und Schutz bietend verhält, in anderen jedoch nicht (Bowlby, 1988). Dadurch wird die Bindungsperson als unvorhersehbar, unberechenbar und inkonsistent erlebt und die Kinder versuchen, sich einer permanenten Nähe und Verfügbarkeit der Bezugsperson zu vergewissern (Bowlby, 1999). Negative Befindlichkeiten und Emotionen können jedoch auch bei Anwesenheit der Bezugspersonen nicht adäquat reguliert bzw. reduziert werden (Bowlby, 1988). Als Folge haben unsicher-ambivalent gebundene Kinder ein geringes Selbstvertrauen (Ainsworth et al., 1978; Lengning, 2004), ein negativ geprägtes Selbstbild sowie eine negative Selbsteinschätzung (Lengning, 2004). Emotionen können nur schlecht integriert werden (Fremmer-Bombik, 2015) und negative Gefühle werden meist nicht nach außen gezeigt oder verleugnet (Grossmann, 2015). Die Haltung zu Körperkontakt ist ambivalent, sodass einerseits kontaktsuchendes, aber auch abweisendes Verhalten beobachtet werden kann (Ainsworth et al., 1978; Lengning 2004).
2.4.3 Der Einfluss von Bindung auf Gesundheit
Bowlby (2021) geht davon aus, dass Probleme in der Eltern-Kind Interaktion mit starken Ängsten, einer erhöhten Frustration und Konflikten sowie Schamgefühlen einhergehen können. Auch die wissenschaftliche Forschung ist sich einig, dass der Bindungsstil die psychische und körperliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen beeinflusst, dass ein unsicherer Bindungsstil mit einem erhöhten Risiko für psychische Störungen einhergeht und dass ein sicherer Bindungsstil als Schutzfaktor für die kindliche Entwicklung gilt (vgl. Zemp & Bodenmann, 2017; Werner & Smith, 2001). Die protektive Funktion des Bindungsstils lässt sich dabei über Mediatoren erklären, die Aussagen über mögliche Erklärungsmechanismen liefern. Dazu zählen die Bindungs- und Beziehungserfahrungen, die im internalen Arbeitsmodell organisiert werden und Repräsentationen des Selbst, der Umwelt und der Bezugspersonen enthalten (vgl. Zemp & Bodenmann, 2017).
Eine sichere Bindung steht dabei im Zusammenhang mit einem erhöhten Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl, Fähigkeiten der Emotionsregulation und einer ausgeprägten Sozialkompetenz (Sroufe, 2005). Zudem verfügen sicher gebundene Kinder über adäquate Problemlösestrategien (Zimmermann et al., 2001). All dies sind Faktoren, die eine angemessene Bewältigung verschiedener Entwicklungsaufgaben begünstigen und dadurch zur Aufrechterhaltung oder Entstehung von Gesundheit beitragen können. Klemenz (2009) beschreibt eine sichere Bindung als Metaressource, die „zur Entwicklung bzw. Stärkung von Problembewältigungsressourcen, Beziehungsressourcen, Ressourcen zur flexiblen Adaption sowie weiteren personalen Ressourcen führt und die Selbstentwicklungsmöglichkeiten einer Person dadurch erheblich und kontinuierlich erweitert“ (Klemenz, 2009, S.105). Eine unsichere Bindung dagegen ist nicht direkt pathogen, sondern vielmehr eine Anpassungsleistung an die entsprechenden Interaktionserfahrungen (Lengning & Lüpschen, 2019). Kommen jedoch weitere Risikofaktoren hinzu, erhöhen unsichere Bindungsmuster das Risiko für psychische Störungen (Schleiffer, 2008). Dabei gilt Bindungsunsicherheit als Prädiktor für externalisierende Störungen, beispielsweise physische Aggression und Gewalt (Fearon et al., 2010; Brisch et al., 2018) sowie internalisierende Störungen (Bodenmann, 2016).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Bindungs- und Beziehungserfahrungen einen entscheidenden Einfluss auf zukünftige Denk- und Verhaltensmuster sowie auf den Umgang mit belastenden Situationen und Herausforderungen ausüben (Ainsworth et al., 1978). Reagieren die Bindungspersonen immer in der gleichen Art und Weise, indem sie beispielsweise den kindlichen Bedürfnissen konstant feinfühlig begegnen, führt dies dazu, dass die Kinder auch zukünftige Ereignisse adäquat einordnen und einschätzen können. Sie verstehen jegliche Situationen und können darauf reagieren (Krause, 2018). Im Laufe der Zeit macht das Kind auch erste Selbstwirksamkeitserfahrungen, da es den eigenen Einfluss auf die Umwelt erkennt, indem durch gezeigtes Bindungsverhalten (z.B. Weinen) das Fürsorgesystem der Bindungsperson angeregt wird und auf die eigene Aktion eine Reaktion erfolgt, die einen positiven Effekt (z.B. Spannungsregulation) hat (vgl. Haug-Schnabel & Bensel, 2017). Dies wirkt sich auch positiv auf den Selbstwert aus, denn durch eine prompte und angemessene Reaktion durch die Bezugsperson, erlebt sich das Kind als wichtig und wertvoll (vgl. Krause, 2018). All diese Komponenten sind an der Ausbildung des Kohärenzgefühls beteiligt, dass im Folgenden dargestellt wird.
2.5 Kohärenzgefühl als Schutzfaktor
Das Kohärenzgefühl ist das Kernstück im salutogenetischen Modell von Antonovsky (1997) und wird als globale Orientierung dargestellt, die zum Ausdruck bringt, in welchem Ausmaß man ein generalisiertes, überdauerndes und dynamisches Gefühl von Vertrautheit gegenüber der Umwelt und sich selbst aufbringt (vgl. Antonovsky, 1993). Das Kohärenzgefühl setzt sich aus drei Komponenten zusammen, die sich im Laufe der Kindheit, Jugend und dem frühen Erwachsenenalter herausbilden: Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit (Antonovsky, 1997).
Als Verstehbarkeit bzw. „Sense of Comprehensibility“ bezeichnet Antonovsky (1997) die kognitive Fähigkeit einer Person, sowohl bekannte als auch unbekannte Ereignisse, Eindrücke, Situationen und Herausforderungen als strukturiert, geordnet und vorhersehbar wahrzunehmen und zu verarbeiten. „ Man kann einen Stressor nicht in Angriff nehmen, ehe man nicht das Gefühl hat, eine kognitive Landkarte vom Ausmaß und der Art des Problems zu haben.“ (Antonovsky, 1991, S. 127). Eine Person mit einem hohen Ausmaß an Verstehbarkeit kann Ereignisse auch dann einordnen und verarbeiten, wenn diese unvorhersehbar oder überraschend auftreten (vgl. Antonovsky 1997). Damit sich diese kognitive Fähigkeit entwickeln kann, sollten Kinder ein hohes Maß an Kontinuität und Beständigkeit erfahren, indem sie beispielsweise lernen, dass Dinge sich wiederholen, Abläufe ähnlich verlaufen und Beziehungen langfristig sind. Diese konsistenten und verlässlichen Erfahrungen vermitteln dem Kind Sicherheit, denn Situationen können eingeordnet und eingeschätzt werden und das Kind kann davon ausgehen, dass zukünftige Situationen ähnlich verlaufen (vgl. Krause, 2018).
Handhabbarkeit bzw. „Sense of Manageability“ bezieht sich auf das Ausmaß, in dem eine Person geeignete personale und soziale Ressourcen wahrnimmt, um interne und externe Anforderungen bewältigen zu können (Antonovsky, 1997). Hier liegt der Fokus auf kognitiv-emotionalen Verarbeitungsmustern und damit sich diese entwickeln können, sollten Belastungen und Bewältigungsressourcen stets in Balance sein, sodass sich das Kind weder unter- noch überfordert fühlt und eine gewisse Ausgeglichenheit erfährt (vgl. Krause, 2018).
Bedeutsamkeit bzw. „Sense of Meaningfulness“ stellt das Ausmaß dar, in dem eine Person ihr Leben als emotional sinnvoll empfindet, sodass es sich lohnt, wenn man sich gewissen Herausforderungen stellt (Antonovsky, 1997). Ein hohes Maß an Bedeutsamkeit trägt dazu bei, dass Anforderungen eher als Herausforderung, anstatt als Belastung und Stress erlebt werden (Bengel, 2001). Damit sich die Komponente der Bedeutsamkeit entwickeln kann, ist es wichtig, dass ein Kind Teilhabe erfährt und dass sein Handeln Resonanz erfährt. Besonders die Qualität, der Reaktion von Bezugspersonen, auf Bedürfnisse und Verhaltensweisen, wird als entscheidend angesehen. Ist diese angemessen, positiv und wertschätzend wird dem Kind vermittelt, dass es Prozesse beeinflussen kann und durch das Erleben von Partizipation, nimmt sich das Kind als wichtig und wertvoll wahr (vgl. Krause, 2018).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene ein hohes Maß an Kohärenz entwickeln, wenn sie die Welt als konsistent und vorhersehbar erleben und wenn sie sich bei Problemen und Herausforderungen gefordert aber nicht überfordert fühlen, sodass diese lösbar erscheinen. Weiterhin wichtig ist, dass sich das Individuum in zwischenmenschlichen Kontakten als bedeutsam und liebenswert wahrnimmt (Bengel, 2001; Krause, 2018).
2.5.1 Entwicklung des Kohärenzgefühls
Laut Antonovsky (1997) beeinflusst primär die Umwelt bzw. die Interaktion mit der Umwelt, in der das Individuum aufwächst, die Ausprägung des Kohärenzgefühls. Dabei spielen die bereits erwähnten generalisierten Widerstandsressourcen eine entscheidende Rolle, denn eine hohe Verfügbarkeit dieser geht mit einem stark ausgeprägten Kohärenzgefühl einher, wohingegen eine geringe Verfügbarkeit der generalisierten Widerstandsressourcen zu einem eher schwach ausgeprägtem Kohärenzgefühl führt (Bengel et al., 2001; Steinbach, 2007). Entsprechende generalisierte Widerstandsressourcen ermöglichen, dass man bestimmte Muster von Lebenserfahrungen macht, aus denen das sogenannte Kohärenzgefühl (sense of coherence) resultiert (Antonovsky, 1997). Im weiteren Verlauf nimmt das Kohärenzgefühl eine Art Steuerungsfunktion für den Einsatz der Widerstandsressourcen ein, sodass diese auch als solche erkannt und genutzt werden und damit eine protektive Funktion erfüllen (Franke, 2012).
Es wird davon ausgegangen, dass das Fundament für die Ausprägung des Kohärenzgefühls bereits im Säuglingsalter bzw. in der frühen Kindheit gelegt wird (Franke, 2012). Anfangs formulierte Antonovsky (1979) die These, dass sich das Kohärenzgefühl bis zum 30. Lebensjahr vollständig ausbildet und dann relativ stabil bleibt. Im Nachhinein ergänzt Antonovsky, (1997) dass diese These nur auf Menschen mit einem stark ausgeprägten Kohärenzgefühl zutrifft und dass sich ein schwach ausgeprägtes Kohärenzgefühl mit zunehmendem Alter weiter verringert, da die Person nicht über ausreichend Widerstandsressourcen verfügt, um das Kohärenzgefühl auf einem stabilen Niveau zu halten. Die Entwicklung des Kohärenzgefühl weist somit einen dispositionalen Charakter auf, da es einerseits basierend auf Lebenserfahrungen, die im Kindes- und Jugendalter gemacht werden, ausgebildet wird. Im Verlauf des Lebens beeinflusst dann die Stärke des Kohärenzgefühls weitere Erfahrungen und die Wahrnehmung dieser und verändert sich dadurch (Dollinger, 2006).
2.5.2 Kohärenzgefühl und Gesundheit
Betrachtet man das Kohärenzgefühl in Zusammenhang mit Gesundheit und Krankheit zeigt sich, dass ein starkes Kohärenzgefühl Krankheit nicht vollkommen ausschließt oder gesundheitsbewusstes Verhalten in allen Lebenssituationen voraussetzt. Vielmehr ist eine Person mit einem hohen Kohärenzgefühl eher dazu befähigt, Ressourcen und Strategien sinnvoll und flexibel einzusetzen, um Situationen zu bewältigen (Bengel et al., 2001; Blättner, 2007). Dabei ist das Kohärenzgefühl an sich nicht als eigenständiger Bewältigungsstil zu verstehen, sondern vielmehr als übergeordnete Steuerungsfunktion zu betrachten, wodurch eine situationsgerechte Auswahl verschiedener Ressourcen ermöglich wird und diese wiederum können sich dann auf den Gesundheitszustand einer Person auswirken. (Antonovsky, 1997; Bengel, 2001).
Bislang überwiegt die Studienlage zum Kohärenzgefühl in der Altersgruppe von Erwachsenen und es ist gut belegt, dass diesbezüglich ein Zusammenhang zum psychischen und physischen Wohlbefinden besteht (Pallant & Lae, 2002; Schumacher et al., 2000; Eriksson & Lindström, 2006). Auch die eigene Einschätzung des Gesundheitszustandes hängt vom Ausprägungsgrad des Kohärenzgefühls ab: Je stärker das Kohärenzgefühl, desto geringer die Anzahl subjektiver Beschwerden und Krankheitssymptome (Erikson & Lindström, 2006). Das Kohärenzgefühl gilt zudem als bedeutsame Ressource, bezogen auf das Ausmaß des psychischen Stresslevels, auf die Höhe der Belastungen durch Stresssymptome sowie auf die allgemeine Lebenszufriedenheit (Lorenz & Petzold, 2016).
Im Hinblick auf Kinder und Jugendliche findet sich ein Zusammenhang zwischen einem starken Kohärenzgefühl und geringen Ausprägungen psychischer Störungen (Bengel, 2001). Eine Studie von Hansson et al., (2004), die sich auf das Kohärenzgefühl von Kindern bezieht, zeigt eine positive Korrelation zwischen dem Kohärenzgefühl und der psychischen Gesundheit. Positive Korrelation zwischen dem Kohärenzgefühl und der gesundheitsbezogenen Lebensqualität von Kindern fanden zudem Bettge & Ravens-Sieberer (2003). Ein negativer Zusammenhang zwischen dem Kohärenzgefühl und psychischen Auffälligkeiten bei Kindern konnte ebenfalls nachgewiesen werden (Bettge & Ravens Sieberer, 2003).
2.5.3 Kohärenzgefühl und Bindung
Wie bereits eingangs erwähnt, stehen positive Bindungs- und Beziehungserfahrungen im Zusammenhang mit den drei Komponenten des Kohärenzgefühls (Abschnitt 2.4.3). Für Erwachsene konnte die #stayhealthy-Studie von Lengning et al. (2020) zeigen, dass sicher gebundene Personen eine höhere Ausprägung auf allen drei Komponenten des Kohärenzgefühls aufweisen, im Vergleich zu unsicher gebundenen Personen. Forschungsarbeiten, die sich auf Kinder und Jugendliche beziehen, zeigen eine positive Korrelation zwischen dem sicheren Bindungsstil und dem Kohärenzgefühl (Al-Yagon, 2011; Al-Yagon, 2003; Al-Yagon & Mikulincer, 2004). Negative Zusammenhänge finden sich zwischen dem Kohärenzgefühl und einem unsicher- ängstlichem bzw. vermeidendem Bindungsstil (Al-Yagon & Mikulincer, 2004). Sowohl die Bindungs- und Beziehungserfahrungen als auch das Kohärenzgefühl beeinflussen zukünftiges Verhalten und den Umgang mit Herausforderungen und belastenden Lebenssituationen (Barnow, 2012, Franke, 2012). Dabei kann eine sichere Bindung, aber auch ein stark ausgeprägtes Kohärenzgefühl als Schutzfaktor fungieren (Al-Yagon et al., 2004). Eng verknüpft mit dem Konstrukt der Bindung ist die Emotionsregulation und die protektive Funktion einer sicheren Bindung lässt sich unter anderem auch durch die Fähigkeiten der Emotionsregulation erklären (Lengning & Lüpschen, 2019).
2.6 Emotionsregulation als Schutzfaktor
Im Abschnitt 2.4.2 wurde bereits dargestellt, dass die verschiedenen Bindungsmuster und die entsprechenden Bindungs- und Beziehungserfahrungen den Umgang mit Emotionen beeinflussen. Im Folgenden wird daher genauer auf die Fähigkeit der Emotionsregulation eingegangen und die protektiven Funktionen werden dargestellt.
Emotionsregulation bezeichnet nach Gross (2002) alle Prozesse, die beeinflussen, ob und wann eine Emotion auftritt, wie stark wir diese wahrnehmen und wie sie sich ausdrückt. Dabei unterscheidet man zwischen der intrapsychischen Emotionsregulation, bei der eine Regulation durch das Individuum selbst stattfindet und der interpsychischen Emotionsregulation, bei der die Emotionen durch externe Personen reguliert wird (Spangler & Zimmermann, 1999). Hinsichtlich ihrer Wirkungsrichtung auf das subjektive Wohlbefinden, lässt sich zwischen adaptiven, also funktionalen und maladaptiven, also dysfunktionalen Emotionsregulationsstrategien unterscheiden (vgl. Grob & Smolenski, 2009). Zu den adaptiven Strategien lässt sich problemorientiertes Handeln, Zerstreuung, Stimmung anheben, Akzeptieren, Vergessen, Umbewerten und kognitives Problemlösen zuordnen. Als maladaptive Strategien zählen Aufgeben, aggressives Verhalten, Rückzug, Selbstabwertung und Perseveration. Mithilfe dieser Unterscheidung in adaptive und maladaptive Strategien lässt sich die Funktion der jeweiligen Strategie als Risiko- oder Schutzfaktor identifizieren und auch in verschiedenen Erhebungsinstrumenten, wie beispielsweise dem Fragebogen zur Erhebung der Emotionsregulation bei Kindern und Jugendlichen (FEEL-KJ; Grob & Smolenski, 2009) findet sich eine solche Einteilung.
2.6.1 Entwicklung der Emotionsregulation
Aus bindungstheoretischer Sicht spielt insbesondere die Beziehung zwischen Kind und Bezugsperson eine entscheidende Rolle, bei der Regulation von Emotionen und Handlungen sowie dem Erlernen von Emotionsregulationsstrategien (vgl. Lengning & Lüpschen, 2019). Bei emotionaler Belastung wird das Bindungssystem aktiviert und es zeigen sich die Effekte der entsprechenden Bindungsorganisation (vgl. Lengning & Lüpschen, 2019). Die Erfahrungen, die ein Kind daraufhin in der Interaktion mit der primären Bezugsperson macht, beeinflussen die Entwicklung der Emotionsregulation und entsprechender Strategien. Dabei lässt sich der Umgang mit den eigenen Emotionen als zentrale Entwicklungsaufgabe im Kindes- und Jugendalter betrachten, mit dem Ziel, von einer vornehmlich interpsychischen zu einer intrapsychischen Regulation zu gelangen (Southam-Gerow & Kendall, 2002; Lengning & Lüpschen, 2019). Dieser Prozess lässt sich nach Holodynski (2012) in fünf Entwicklungsphasen darstellen, die im Folgenden beschrieben werden.
Die erste Entwicklungsphase liegt ca. zwischen dem ersten und dritten Lebensmonat. Während dieser Zeit erleben Säuglinge bereits Emotionen und drücken diese meist eher ohne eine bestimmte Absicht und undifferenziert aus, beispielsweise durch Schreien oder Weinen. Die Regulation der kindlichen Emotionen findet in der ersten Phase zunächst überwiegend durch die Eltern oder andere Bezugspersonen, also interpsychisch, statt, indem auf die kindlichen Emotionsausdrücke reagiert wird (Siegler et al., 2016). Im Laufe des Entwicklungsprozesses gelangt das Kind ungefähr ab dem vierten Lebensmonat in die zweite Entwicklungsphase, in der gewisse Aspekte der interpsychischen Regulation von dem Kind, beispielsweise durch mimische Äußerungen, übernommen und imitiert werden (vgl. Lengning & Lüpschen, 2019). Während der dritten Entwicklungsphase, mit ca. sechs bis neun Monaten, erkennt das Kind, dass die Bezugsperson vorsätzlich handelt und eine gewisse Absicht verfolgt und in der Folge übernimmt das Kind entsprechend gleichwertige Anteile der interpsychischen Regulation (vgl. Lengning & Lüpschen, 2019). Mit ca. 9 Monaten beginnt die vierte Entwicklungsphase und damit entwickelt sich zunehmend die Fähigkeit, eigene Emotionen einzuordnen und zu regulieren. Dies gelingt beispielsweise durch das „social referencing“, bei dem sich das Kind an dem emotionalen Ausdruck der Bezugsperson orientiert und die eigene Gefühlslage daran anpasst (vgl. Lengning & Lüpschen, 2019). Mit Eintritt in die Grundschule beginnt die fünfte Entwicklungsphase und das Kind gewinnt an Selbstständigkeit, was sich auch auf die Fähigkeiten der intrapsychischen Regulation auswirkt, sodass die Unterstützung durch die Bezugsperson zunehmend in den Hintergrund rückt (vgl. Lengning & Lüpschen, 2019).
Ungefähr ab dem Grundschulalter gelingt es Kindern, Emotionen durch kognitive Emotionsregulationsstrategien, wie z.B. Problemlösen zu regulieren (Garnefski et al., 2007; Zimmer-Gembeck & Skinnder, 2010). Charakteristisch für die Emotionsregulation im Grundschulalter ist auch, dass die bisher erlernten Fähigkeiten ausdifferenziert und verfeinert werden und dass die Kinder in Bezug auf die Selbstregulation an Autonomie gewinnen (Fingerle et al., 2017).
Besonders relevant für die Bewältigung der dargestellten Entwicklungsphasen ist die elterliche Feinfühligkeit und Sensitivität, wobei feinfühliges elterliches Verhalten sich förderlich auf die emotionale Entwicklung auswirkt (Thomsen et al., 2017; Ulrich & Petermann, 2017). Auch Befunde aus den Neurowissenschaften und der Entwicklungspsychologie zeigen, dass die anfängliche externe Regulierung der Emotionen im Säuglings- und Kleinkindalter wichtig für die Ausbildung von neuronalen Strukturen ist, die es dem Kind zukünftig ermöglichen, seine negativen Gefühle zunehmend eigenständig zu regulieren (vgl. Grawe, 2004).
2.6.2 Emotionsregulation und Gesundheit
“The movements of expression in the face and body, whatever their origin may have been, are in themselves of much importance for our welfare.” ( Darwin, 1872, S.365). Schon vor ca. 150 Jahren erkannte Darwin, dass ein Zusammenhang zwischen unseren (Gefühls-) Ausdrücken und unserem Wohlbefinden besteht. Mittlerweile belegen zahlreiche Forschungsergebnisse, dass die Art und Weise, wie Kinder und Jugendliche ihre Emotionen regulieren in engem Zusammenhang mit dem Wohlbefinden, der Lebensqualität und der psychischen und physischen Gesundheit steht (Garnefski et al., 2003; Mikulincer & Shaver, 2007). Dabei können sich die verschiedenen Emotionsregulationsstrategien entweder funktional (adaptiv) oder dysfunktional (maladaptiv) auf das subjektive Wohlbefinden und die psychische Gesundheit von Kindern auswirken (Grob & Smolenski, 2009). Zahlreiche Studien belegen einen Zusammenhang zwischen dem Gebrauch adaptiver Emotionsregulationsstrategien und dem Wohlbefinden sowie einer gesunden, psychischen Entwicklung und den sozialen Fähigkeiten (Dollar & Stifter, 2012; Vrzeletti et al., 2016). In einer Meta-Analyse von Aldao et al., (2010) konnte gezeigt werden, dass sich die Strategien in ihrer Funktionalität unterscheiden und dass adaptive Strategien, wie Akzeptanz, Neubewertung und Problemlösen negativ mit psychopathologischen Symptomen assoziiert sind, wohingegen maladaptive Strategien wie Suppression, Vermeidung und Rumination einen positiven Zusammenhang zu psychopathologischen Symptomen aufwiesen. Schäfer et. al. (2017) konnten ebenfalls zeigen, dass bei Kindern und Jugendlichen insbesondere die Strategie des Unterdrückens in einem positiven Zusammenhang zur Psychopathologie steht. Weiterhin zeigt sich, dass Kinder und Jugendliche, die häufiger maladaptive Strategien, wie z.B. Vermeidung und Grübeln, als adaptive Strategien, wie z.B. Akzeptanz und Problemlösen nutzen, eine höhere depressive Symptomatik aufweisen (Schäfer et al., 2017, Ladouceur et al., 2005; Larsen et al., 2013). Die Forschung zeigt, dass eine verringerte Nutzung adaptiver Strategien erst dann problematisch für die psychische Gesundheit wird, wenn zeitgleich mehr maladaptive Strategien, als adaptive Strategien verwendet werden (Aldao & Nolen-Hoeksema, 2012). Weitere Studien konnten zeigen, dass die Psychopathologie von Kindern und Jugendlichen eher durch das Fehlen adaptiver Emotionsregulationsstrategien, als durch die überdurchschnittlich häufige Anwendung maladaptiver Strategien beeinflusst wird (Greuel, 2015). Zudem besteht ein positiver Zusammenhang zwischen der Anzahl verfügbarer Bewältigungsressourcen und der psychischen Gesundheit (Loughheed & Hollenstein, 2012).
2.6.3 Emotionsregulation und Bindung
Im Abschnitt 2.4.2 hat sich durch die Klassifikation der verschiedenen Bindungsmuster bereits angedeutet, dass die Bindungsqualität im engen Zusammenhang zur Emotionsregulation steht und dass sich Personen je nach Bindungsmuster im Umgang mit erlebten Emotionen sowie im Ausdruck dieser unterscheiden.
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