Glücklich durch Schönheit?

Das Verhältnis von Schönheit und Glück an der Figur Helenas in Goethes Faust


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

23 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Goethes Schönheitsbild

3. Arten von Schönheit
3.1 Gretchen und Helena
3.2 Darstellungsformen der Schönheit
3.2.1 Realisierte/konkrete Schönheit Gretchens
3.2.2 Helenas potenzielle Schönheit
3.3.3 Visuelle Schönheitsattribute
3.4 Mephistos Schönheitskompetenz

4. Phantasmagorische Helena
4.1 Fiktionsebene des Helena-Aktes
4.2 Schönheit und Macht
4.3 Negative Schönheitskonsequenzen
4.4 Selbstwahrnehmung Helenas
4.5 Hässlichkeit

5. Vers 9940

6. Schlussbetrachtung: Glück und Schönheit in Koexistenz

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Das Erstreben von Glück bildet die Antriebsfeder in Faust I und II. Ziel des Teufels ist es, Faust dazu zu bringen, den Augenblick höchsten Glücks bzw. der höchsten Glückseeligkeit zu erreichen und darin zu verweilen. In vielen Szenen des Dramas ist Faust bestrebt, die höchste Schönheit und darin den glücklichsten Augenblick zu erreichen. Die vorliegende Arbeit hinterfragt das Verhältnis von Schönheit zu Glück anhand der Handlungen um die Figuren Gretchen und insbesondere Helena. Letztgenannte, das „schönste Bild von einem Weibe“ (Vgl. V 2436),[1] ist ja gewissermaßen die Verkörperung der absoluten Schönheit.

In der Faust-Helena Forschung finden sich unterschiedliche Ausführungen zu Helenas Schönheit und deren Wirkung. Iris Rogge[2] betont ihre Künstlichkeit als eine Spiegelung früherer Bilder in der Antike. Für Joachim Müller[3] ist die Sichtweise des 3. Aktes eher eine Traumphase ohne Handlungseinfluss. Wolfgang Schadewaldt[4] bewertet die Figuren Gretchen und Helena anhand von Goethes Schönheitsauffassung hinsichtlich ihrer Lebendigkeit. Karl Eibl[5] und Gernot Böhme[6] hinterfragen die Schicksalsbestimmung Helenas und ihr Unglück als Konsequenz der Schönheit. Bei Thomas Zabka[7] und Jochen Schmidt[8] ist die Begegnung mit der Antike ein die Handlung antreibendes Element, um Faust Heilung von moderner Unruhe hin zu idealer Ruhe zu bringen. Hans Schlaffer[9] sieht Helena nicht als schöne Figur sondern lediglich als allegorischen Verweis auf Schönheit und befasst sich mit ihrem Selbstbild.

Die explizite Koppelung von Glück und Schönheit versucht keiner der Autoren, weshalb diese Sichtweise in der vorliegenden Arbeit ins Zentrum rücken soll. Um sich dem Verhältnis von Schönheit und Glück in Goethes Faust zu nähern, findet zunächst der Schönheitsbegriff Goethes Betrachtung. Aufbauend darauf werden die Arten der Schönheit, deren unterschiedliche Darstellungsformen und Mephistos Schönheitskompetenz hinterfragt. Die anschließende Beschäftigung mit dem Helenaakt erfolgt unter Berücksichtigung der Realitätsebene, Aspekten zu Macht und Unglück in Verbindung mit Schönheit und Hässlichkeit sowie Helenas Selbstwahrnehmung. Insbesondere der in Vers 9940 betonten Unmöglichkeit der Koexistenz von Glück und Schönheit sowie den sich für den Helenaakt ergebenden Konsequenzen widmen sich die Schlusskapitel.

2. Goethes Schönheitsbild

Das Schönheitsbild Goethes ist entscheidend für die Interpretation der Helena-Wirkung. Schadewaldt fasst dies anhand verschiedener Äußerungen Goethes aus seinen Schriften und Briefen zusammen. Insbesondere die Schilderung eines Polygnot-Gemäldes drückt Goethes Schönheitsbild aus:

[…] Von Jugend auf ein Gegenstand der Verehrung und der Begierde erregt sie die heftigsten Leidenschaften einer heroischen Welt, legt ihren Freiern eine ewige Dienstbarkeit auf, wird geraubt, geheiratet, entführt und wieder erworben. Sie entzückt, indem sie Verderben bringt, das Alter wie die Jugend, entwaffnet den rachegierigen Gemahlen; und vorher das Ziel eines verderblichen Krieges, erscheint sie nunmehr als der schönste Zweck des Sieges, und erst, über Haufen von Toten und Gefangenen erhaben, thront sie auf dem Gipfel ihrer Wirkung. Alles ist vergeben und vergessen; denn sie ist wieder da. Der Lebendige sieht die Lebendige wieder und erfreut sich in ihr des höchsten irdischen Gutes, des Anblick einer vollkommenen Gestalt.“[10]

Schadewaldt nennt zwei Zustände der Griechen zur Klassifizierung von Schönheit: Kallos sei das in sich ruhende Ideal. Im Gegensatz dazu sei Charis die „Erfreudenheit“, Lebendigkeit, Anmut. Entgegen der herrschenden Vorstellung (u.a. Schillers) sieht Goethe Anmut als „die Integrierung des Schönen“[11]. Die Gegensätzlichkeit zwischen Kallos und Charis ist in Goethes Schönheitsbild aufgehoben.[12] In der Kunstschaffung entwickelt sich aus dem Interesse des Künstlers zum Objekt zunächst der Wunsch zur Nachahmung. Im Weiteren wird der Nachahmung ein individueller Charakter verliehen und schließlich kann das Kunstwerk die höchste Stufe, das Göttliche, erreichen. Schönheit setzt an diesem Punkt ein und mildert das Überhöhte ab, um es dem Betrachter näher zu bringen, damit dieser nun eine Zuneigung dafür entwickeln kann.[13] Schönes treibt somit zu Produktivität an und weckt das Bestreben, selbst Schönes kreieren zu wollen.[14] Der vollkommenen, kallischen Schönheit wohnt also gleichzeitig ein vitales Prinzip inne. Diese Entelechie aus höchster Tätigkeit und Vollkommenheit wird dann als areté[15] bezeichnet und treibt zu höchstem Tatendrang an.[16] Kunst wird lebendig, wenn sie die Natur so identisch wie möglich abbildet.[17] Der schöne Mensch als höchstes Element in dieser Kunstauffassung bildet den absoluten Schaffensmotor.[18]

Bereits die klassische Walpurgisnacht zeigt die Entstehung des Schönen als potenziertes Leben, das als Steigerung aus der Natur hervorgeht: „Chiron. Was! … Frauenschönheit will nichts heißen, / ist gar zu oft ein starres Bild; / Nur solch ein Wesen kann ich preisen, / Das froh und lebenslustig quillt. / Die Schöne bleibt sich selber selig; / Die Anmut macht unwiderstehlich, / Wie Helena, da ich sie trug.“ (V7399ff.) In der Tat ist Faust nach der Begegnung mit der Schönsten noch einmal so produktiv wie nie zuvor im Stück und er stürzt sich in das Landgewinnungsprojekt. Rein virtuelle/potenzielle Schönheit wäre jedoch machtlos, notwendig ist die Gegenwart von Schönheit[19] – Helena ruft nicht umsonst mit Begeisterung aus: „Da bin ich! da!“ (V9412). Erst durch das Erleben der leibhaftigen Helena kann Faust die Schlüsse für seine Welt ziehen: „Ich lernte diese Welt verachten / Nun bin ich erst sie zu erobern werth.[20]

3. Arten von Schönheit

3.1 Gretchen und Helena

Jeweils eine schöne Protagonistin steht im Mittelpunkt des Geschehens eines jeden Teils des Dramas. Faust I wird in der zweiten Hälfte von der Gretchen-Handlung dominiert, in Faust II ist Helena die Hauptfigur der Akte 2 und 3. Jede der Frauen ist vor allem durch ihr Aussehen und ihre Wirkung auf Faust (oder die Männer im Allgemeinen) definiert. Bei der ersten Begegnung mit Gretchen befindet er über sie: „Beim Himmel, dieses Kind ist schön! / So etwas hab’ ich nie gesehn.“ (V 2609f.) Helenas Schönheit wird erstmals in der Hexenküche in Form einer nebulösen Spiegelung präsentiert: „Faust. Das schönste Bild von einem Weibe! / Ist’s möglich, ist das Weib so schön? / Muss ich an diesem hingestreckten Leibe / Den Inbegriff von allen Himmeln sehn? / So etwas findet sich auf Erden?“ (V 2436ff.). In Faust wird daraufhin ein Begehren ausgelöst, welches ihn über die nächsten Jahre zum Streben nach diesem Ideal antreibt[21]. Der erste Versuch einer Realisation der Spiegelung ist der Zaubertrank, der für ihn nun jede Frau wie Helena erscheinen lassen soll (V2603). Die Wirkung des Trankes setzt sogleich bei Gretchen ein (V2609). Als das Schicksal seinen Lauf genommen hat und sie dem Tode geweiht ist, klagt sie: „Schön war ich auch, und das war mein Verderben.“ (V4434).

Von gänzlich anderer Schönheit ist Helena. Sie ist in der Tat schön, jedoch irreal. Aus diesem Grund fühlt auch sie sich unwohl: „Bewundert viel und viel gescholten Helena“ (V8488). Ihr Weg im Drama verläuft ebenso tragisch wie der Gretchens. Trotz eines machterfüllten Lebens als Königsgattin verliert sie zuletzt ihren Sohn, steigt wieder in den Hades hinab und lässt Faust zurück. Beide „schönen“ Figuren sind sich der mit ihrer Schönheit einhergehenden Problematik bewusst - Gretchen am Ende; Helena von Beginn an.

Gretchen und Helena stehen jede für eine andere Art von Schönheit. Gretchen verkörpert die individuell realisierte, Helena die potenziell erreichbare Schönheit. Gretchen stellt die Subjektivität dar, Helena die Objektivität. Gretchen ist somit die fleischgewordene Schönheit der Situation, Helena stellt in ihrer allgemeingültigen Form für jeden Betrachter nur im Moment des höchsten Augenblicks die Verkörperung der Schönheit dar. Dann steht ihre Schönheit jedoch weit über der von Gretchen.[22] Das potenziell erreichbare Bild der Helena in der Hexenküche führt für Faust dazu, dass er nun einen utopischen Maßstab hat, an dem er die Schönheit aller Frauen messen kann. Daraus resultiert jedoch eine zweite Konsequenz, die Mephisto ganz und gar nicht gelegen ist: Faust entwickelt ein anhaltendes Streben nach dieser Utopie. Dies soll zunächst durch den eingeflössten Trank gebrochen bzw. abgemildert werden. Eibl bezeichnet die Beziehung zu Gretchen als Leidenschaft und spricht von Dumpfheit, wohingegen Fausts Liebe bei Helena mit Bewusstsein auf die Schönheit gerichtet sei.[23]

[...]


[1] Alle Primärzitate werden, sofern nicht anders vermerkt, nach der HA gesetzt.

[2] Vgl. Rogge 2000.

[3] Vgl. Müller 1982.

[4] Vgl. Schadewaldt 1956.

[5] Vgl. Eibl 2000.

[6] Vgl. Böhme 2005.

[7] Vgl. Zabka 1993.

[8] Vgl. Schmidt 1999a.

[9] Vgl. Schlaffer 1998.

[10] Goethe, Johann Wolfgang von: „Verherrlichung der Helena“/ „Polygnots Gemälde“, W.A. I, S. 48.; zitiert nach Schadewaldt 1956, S. 2.

[11] Schadewaldt 1956, S. 8.

[12] Vgl. Schadewaldt 1956, S.10.

[13] Vgl. Schadewaldt S. 9.

[14] Vgl. Rogge 2000, S.334.

[15] Schadewaldt 1956, S.10.

[16] Vgl. Ebd. S. 10.

[17] Vgl. Ebd. S. 15.

[18] Vgl. Ebd.

[19] Vgl. Ebd. S. 26.

[20] Paralimpomena. FA, S. 571; vgl. Ebd. S.27.

[21] „[…] durch das Frauenbild des Spiegels wird zukünftig Fausts Schönheitsbegriff auf das Weib’ festgelegt – Ansatz für Mephistos Strategie der Sinnlichkeit, aber auch für das ewig Weibliche, das uns hinanzieht.“ Gaier 1999a, S.307.

[22] Vgl. Müller 1982, S.203.

[23] „Die Stelle der Erotik war bereits mit Gretchen besetzt. Im Vergleich zu den älteren Faustbeschreibungen steht Gretchen statt Helena, übertrifft sie sogar weit an Bedeutung. Eine zweite ‚leidenschaftliche’ Liebesgeschichte wäre nur Wiederholung der ersten gewesen. […] Erst mit der Differenz Leidenschaft/Schönheit (Dumpfheit/Bewusstsein) kommt ein entscheidend neues Moment hinzu […]“ Eibl 2000, S.233f.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Glücklich durch Schönheit?
Untertitel
Das Verhältnis von Schönheit und Glück an der Figur Helenas in Goethes Faust
Hochschule
Universität Trier
Note
2
Autor
Jahr
2009
Seiten
23
Katalognummer
V133909
ISBN (eBook)
9783640416110
ISBN (Buch)
9783640412402
Dateigröße
512 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Faust, Goethe, Helena, Schönheit, Glück, Faust 2
Arbeit zitieren
Friedhelm Lorig (Autor:in), 2009, Glücklich durch Schönheit?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/133909

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