Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Medienwandel- Gesellschaftswandel
2.1 Mediatisierung
2.1.1 Funktions- und Bedeutungswandel von Medien
2.1.2 Medientypologie
2.2 Zum Wandel von Kommunikation
2.3 Medien und soziale Konstruktion
2.3.1 Computerbasierte Vergemeinschaftung/ Vergesellschaftung?
2.3.2 Sozialer Wandel durch Medien?
2.4 Mediendaten (Nutzung, Ausstattung, Dauer)
2.4.1 Nutzungswandel
2.4.2 Mediennutzung nach Alter und Schulabschluss
2.4.3 Digitale Mediennutzung nach Geschlecht
2.4.4 Digitale Mediennutzung nach sozialer Stellung
2.4.5 Medienausstattung nach durchschnittlichem Nettoeinkommen
3 Jugend in modernen Medienwelten
3.1 Theorie: Jugendphase
3.1.1 Jugend als Lebensphase- veränderte Bedingungen
3.1.2 Jugend als Transition und Verbleib
3.1.3 Der integrierende, sozialisationstheoretische Ansatz
3.2 Sozialisationsinstanz Medien
3.2.1 Mediensozialisationsforschung und ihre Erkenntnisse
3.2.2 Identitätsbildung in mediatisierten Lebenswelten
3.2.3 Mögliche Problemfelder Jugendlicher im Umgang mit Medien
3.2.4 Medien als Ressourcen einer konstruktiven Entwicklung
3.3 Medienfunktionen, Mediennutzung Jugendlicher im Jahre 2007
3.3.1 Eckdaten und Soziodemografie der JIM Studie
3.3.2 Medienfunktionen Jugendlicher
3.3.3 Medienausstattung
3.3.4 Medien in der Freizeit
3.3.5 Interessensfelder
3.3.6 Jugendliche im Netz 2007
3.3.7 Auswertung der empirischen Befunde
4 Medienpädagogik heute- und die notwendige (Weiter-) Entwicklung medienpädagogischer Jugendarbeit
4.1 Medienpädagogik heute
4.1.1 Medienpädagogik – Profession und Ausbildung
4.1.2 Zur Notwendigkeit von Medienpädagogik
4.2 Medienkompetenz als pädagogisches Ziel?
4.2.1 Kritik am Konzept der Medienkompetenz
4.3 Medienpädagogische Jugendarbeit
4.3.1 Medienpädagogische Jugendarbeit in der Praxis
4.3.2 Das handlungsorientierte Konzept der aktiven Medienarbeit
4.4 Zur Kritik an medienpädagogischer Jugendarbeit
4.5 Zukunftsgerichtete (Weiter-) Entwicklung medienpädagogischer Jugendarbeit
5 Fazit
6 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
„ Es geht letztlich nicht um einen Techno-Diskurs der Konstruktion neuer Welten, sondern um die schlichte Einsicht, dass so wie die Sprache unser Denken bedingt, die Medien unsere Kommunikationen prägen und unsere Welt modellieren.“ Frank Hartmann
Das Zitat spiegelt den Tenor der grundlegenden Forschungsfragen in dieser Arbeit wider. Ein Aufwachsen in der heutigen Gesellschaft ist kaum mehr ohne den Einbezug von Medien zu denken.
Im Jahre 2009 widmet sich das Amt für Schule, Jugend und Sport der Stadt Ravensburg dem Thema Jugend und Medien. Unter dem Motto „brutal digital“ finden dazu, auf das ganze Jahr verteilt, themenspezifische Veranstaltungen, Workshops und Podiumsdiskussionen statt. In Schulen, Jugendtreffs, Jugendhäusern, Vereinen und sonstigen Arbeitsgruppen sollen themenrelevante Projekte und Aktionen initiiert und durchgeführt werden. In meiner Eigenschaft als zukünftiger städtischer Angestellter der Offenen Kinder- und Jugendarbeit und als Student der Sozialen Arbeit soll die vorliegende Arbeit einen Forschungsbeitrag dazu leisten.
In dieser Arbeit wird untersucht, wie die Lebenswelten heutiger Jugendlicher von Medien geprägt und „modelliert“ werden. Sie setzt sich also mit Realitäten von Heranwachsenden auseinander, welche zunehmend von Medien durchdrungen sind und widmet sich der Frage, welche Auswirkungen dies auf deren Entwicklung und Sozialisation hat. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse dürften hohe gesellschaftliche Relevanz und auch Auswirkungen auf das bisherige Verständnis von jugendbezogener Pädagogik haben. Heutige Jugendarbeit muss sich mit mediatisierten Lebenswelten Jugendlicher auseinandersetzen und steht somit vor der Herausforderung, neue Ansätze zu entwickeln und bisherige anzupassen.
Die vorliegende Arbeit gliedert sich in drei Teile:
Im ersten Teil werden anhand der Mediatisierungstheorie nach KROTZ gesellschaftliche Entwicklungen in Bezug auf einen Wandel von Kommunikation betrachtet und diskutiert.
Anhand empirischer Daten wird dann der derzeitige Grad der Mediatisierung und ein prozesshafter Medienwandel veranschaulicht.
Im zweiten Teil der Arbeit werden zunächst veränderte Bedingungen der Lebensphase Jugend erörtert und subjektorientierte sozialisationstheoretische Ansätze der heutigen Jugendforschung analysiert, um dann medienbedingte Auswirkungen auf die Sozialisation und Identität Heranwachsender näher untersuchen zu können.
Der Kernbereich der Arbeit stellt zunächst relevante Erkenntnisse der Mediensozialisationsforschung vor und widmet sich dann der Frage nach den Umständen und Formen von Identitätsbildung innerhalb mediatisierter Lebenswelten. Dabei spielen sowohl Problemfelder im Umgang mit Medien als auch deren Ressourcen für die Herausbildung von Identität eine Rolle.
Durch die Auswertung der JIM-Studie aus dem Jahre 2007 wird das Medienverhalten der Heranwachsenden auch in Bezug auf mögliche Sozialisations- und Entwicklungsprognosen und somit Schlussfolgerungen für neue medienpädagogische Ansätze untersucht.
Der dritte und letzte Teil dieser Arbeit befasst sich mit dem heutigen Stand der Medienpädagogik, ergründet das pädagogische Konzept der Medienkompetenz und geht dann explizit auf medienpädagogisches Handeln innerhalb der Jugendarbeit ein. Anhand der durch diese Arbeit gewonnenen Erkenntnisse werden Vorschläge, Notwendigkeiten und Forderungen für ein zukunftsgerichtetes Handeln in medienpädagogischer Jugendarbeit formuliert.
Anmerkung
Die vorliegende Arbeit wurde nach den Regeln der neuen Rechtschreibung verfasst.
Direkte Zitate werden dabei in der alten Schreibform belassen.
Aus Gründen der Lesbarkeit bedient sich die vorliegende Arbeit meist männlicher Substantive, schließt die weibliche Form der Begriffe jedoch selbstverständlich mit ein.
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Gesellschaftliche Metaprozesse
Abbildung 2: Mediennutzung zwischen 1964 und 2005
Tabelle 5: Internetnutzer in Deutschland 1997 bis 2008
Abbildung 3: Strukturierung von Lebensphasen zu vier historischen Zeitpunkten
Abbildung 4: Idealtypische Darstellung der Entwicklungsaufgaben in drei Lebensphasen
Abbildung 5: Vier Moratorien Jugendlicher
Abbildung 6: Wertewandel bleibt stabil
Abbildung 7: Medienzugang im Sozialisationsprozess
Abbildung 8: Mediennutzung im Sozialisationsprozess
Abbildung 9: Muster von konvergenzbezogener Medienaneignung im Vergleich
Abbildung 11: Funktionen verschiedener Medien- 2007/ 2005
Abbildung 12: Gerätebesitz Jugendlicher 2007
Abbildung 13: Medienbeschäftigung in der Freizeit 2007
Abbildung 14: Themeninteressen 2007
Abbildung 15: Internet-Nutzungsfrequenz 2007/ 2006
Abbildung 16: Internet-Aktivitäten 2007
Abbildung 17: Verteilung Internet-Nutzung auf Kommunikation/ Spiele/ Informationssuche
Abbildung 18: Aussagen zum Internet 2007/ 1998
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Beispiel technischer Kategorisierung von Medien
Tabelle 2: Mediennutzung in der BRD 1997 bis 2007, in Minuten/Tag (Mo-So)
Tabelle 3: Mediennutzung nach Alter und Schulabschluss, 2004 (Bücher, Zeitschriften, CD, DVD etc.)
Tabelle 4: Mediennutzung nach Alter und Schulabschluss, 2004 (Computer, Internet)
Tabelle 6: Internetnutzung nach Alter und Interesse, 2007
Tabelle 7: Digitale Mediennutzung nach Geschlecht
Tabelle 8: Zeitbudget für audiovisuelle Medien in Min./Tag- Fokus Männer, Frauen
Tabelle 9: Digitale Mediennutzung nach sozialer Stellung
Tabelle 10: Medienausstattung nach durchschnittlichem Nettoeinkommen
Tabelle 11: Vertrauenspersonen (1975 und 1985)
Tabelle 12: Jugendquotient BRD (1970- 2050)
Tabelle 13: Sozialisationsforschung und ihr Bezug auf Mediensozialisation
Tabelle 14: Mediensozialisation zwischen 1971 und 2002: Konstanten und Wandel
Tabelle 15: Berufsfelder der Befragten 1. und 2. Erhebung
Tabelle 16: Schwerpunkt der medienpädagogischen Tätigkeit
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2 Medienwandel- Gesellschaftswandel
Sie sind überall. Sie bilden eine zweite Realität und behaupten, sie seien die wahre. Sie gelten als die vierte Macht westlicher, demokratischer Gesellschaftssysteme. Sie schaffen Öffentlichkeit, Kultur, sie bilden und erziehen, bilden Meinungen, kritisieren, manipulieren, schockieren, konstruieren Wirklichkeit, sie sind ein Wirtschaftsfaktor und Kommunikationsträger. Sie sind schnell und überwinden weite Distanzen; es gibt sie in Massen und für Massen; sie sind öffentlich und privat; sie produzieren und reproduzieren; sie stiften Identität und fördern Individualität. Sie lassen uns lachen und weinen. Sie finden für uns Partner und sogar Kinder. Sie begleiten uns von der Geburt bis zum Tod. Sie sind die Medien.
Kaum eine andere technologische Entwicklung beeinflusst in neuerer Zeit den Menschen mehr als die der Medien. Seit der Erfindung des Buchdrucks (1445) können
Informationen leicht und schnell vervielfältigt werden. Der Zugang zu und die
Verbreitung von Informationen gestaltete ganze Epochen unserer Geschichte mit und verändert bis heute soziale Wirklichkeiten. Medien rufen neue Wissenschaften hervor, lassen neue Berufsgruppen entstehen, verändern Kultur und Politik, verstärken und vermitteln Kommunikation. Sprich: sie sind Mittler zwischen Individuen bzw. Individuen und Öffentlichkeit. Sie vermitteln, verstärken und verdoppeln Wirklichkeiten und dienen zur Wahrnehmung von Realität.
„...Individuen haben für ihren Alltag beispielsweise einen erhöhten Informationsbedarf, nicht nur, weil die traditionellen Verhältnisse, die man mit nebenbei gesammeltem, etwa traditionellem Vorwissen bewältigen konnte, seltener werden, sondern auch, weil man heute weniger solches überlieferte Vorwissen akkumulieren kann und obendrein dessen Gültigkeit auf dem Rückgang ist“ (KROTZ 2007: 29). Diese Aufgabe(n) nehmen zunehmend Medien ein (ebd.). Andersherum sind Prozesse wie Globalisierung oder Individualisierung erst durch die Verbreitung mediatisierter Kommunikation, neben der globalen Expansion des Verkehrs etc., möglich geworden (ebd.). Das folgende erste große Kapitel zeigt anhand des Prozesses Mediatisierung Entwicklungen auf, die sich in unterschiedlichsten Ebenen einer Gesellschaft im Wandel finden lassen und Wirkung zeigen.
2.1 Mediatisierung
Wie schon aus der Einführung hervorgegangen, versteckt sich hinter dem allgemein gebräuchlichen Begriff Medien ein komplexes System differenter technischer und zunehmend digitaler Kommunikations- und Informationsarten, die sich immer tiefer in die Lebenswelt der Individuen moderner Gesellschaften integrieren bzw. von Ihnen integriert werden.
Die hier vorgestellte und in die Arbeit inkludierte Theorie vom Prozess der Mediatisierung beruht auf den Forschungen von KROTZ, der anhand von empirischen Fallstudien und der Zusammenfassung von Teiltheorien den derzeitigen medialen Wandel, im Hinblick auf den Wandel von Alltag, Identität, Kultur und Gesellschaft, aufzeigt und den Sammelbegriff Mediatisierung (statt Medialisierung) dafür verwendet.
„Der Rundblick über verschiedene wissenschaftliche Modelle hat deutlich gemacht, dass keine der Theorien diesem komplexen und wechselseitigen Prozess zwischen Medien und Individuum gerecht wird. Die etablierte Medienwissenschaft liefert uns zwar Modelle einer medialisierten Gesellschaft,
doch erwähnt sie das Subjekt nur als Randerscheinung; die Kommunikationstheorien präsentieren uns umgekehrt zwar ein autonomes, wenn auch von den Medien beeinflusstes Individuum, doch kaum Hinweise zur Medialisierung“ (MARSCHIK 2003: 13).
KROTZ bietet dagegen mit seiner Mediatisierungstheorie ein neu vereinendes, ein auf Meta-Ebene basierendes empirisch-theoretisches, prozessartiges Bezugsmuster, welches der wissenschaftlichen Schwierigkeit einer „... kaum mehr auflösbaren Verwobenheit von Mensch, Medium und Kommunikation“ (ebd.) gerecht werden kann.
Mediatisierung umfasst nach KROTZ folgende zwölf Grundannahmen, die hier verkürzt zusammengefasst wurden:
1. Kommunikation ist grundlegend und unverzichtbar; sie ist ein Basisbegriff jeder Wissenschaft vom Menschen.
2. Medien sind mit Kommunikation untrennbar verbunden, sie dienen der Modifizierung von Kommunikation. Die sich in Bezug auf Medien wandelnden Kommunikationsformen sind ihrerseits die Basis für die kulturellen und sozialen Veränderungen, die Mediatisierung theoretisch fassen will.
3. Da es notwendig ist, eine Theorie der Bedeutung von Kommunikation und Medien für Mensch, Kultur und Gesellschaft als Prozess zu konzeptualisieren wird Mediatisierung als Prozessbegriff gesetzt und nicht als Struktur- oder Systembegriff.
4. Mediatisierung ist als „Metaprozess“ zu verstehen, da er den Begriff „Prozess“ aus theoretischer Sicht notwendigerweise erweitert. Denn die Konsequenzen aus Mediatisierung sind nicht getrennt zu untersuchende Folgen und dürfen nicht auf einzelne Ursachen reduziert werden. (Reziprozität)
5. Mediatisierung als Metaprozess und dessen Konsequenzen berühren den Menschen als Individuum in Alltag, Identität und Beziehungen, aber auch Kultur und Gesellschaft und sind ein Konstrukt, unter dem die Vielfalt dieser Phänomene zusammenfassend erklärt werden kann.
6. Mediatisierung geht davon aus, dass Medien nicht so sehr über ihre Inhalte auf die Menschen wirken, sondern als Kommunikationspotenziale die menschliche Kommunikation strukturell und inhaltsübergreifend beeinflussen.
7. Mediatisierung geht nicht von einem technizitischen Grundkonzept aus, wie es z.B. INNIS oder MCLUHAN taten, sondern von der wechselseitig aufeinander bezogenen Kommunikation der Menschen als Form sozialen Handelns. Außerdem kann nicht von einem substitutiven Wandel der Medien ausgegangen werden, d.h. neue Medien sorgen nicht für ein Verschwinden der alten, sondern für eine zunehmende Komplexität der Medienumgebungen der Menschen und für eine Ausdifferenzierung mendienvermittelter Kommunikation.
8. Durch die entstehenden unterschiedlichen Kommunikationsumgebungen können anhand von neuen Beziehungsnetzen wesentliche Strukturen zukünftiger Gesellschaftsformen (Netzwerkgesellschaft) beschrieben werden.
9. Die Entwicklung und Ausdifferenzierung von Medien und Kommunikation hat bisher zu drei Arten von Kommunikation geführt:
- mediatisierte interpersonale Kommunikation
- interaktive Kommunikation
- Produktion und Rezeption von standardisierten und allgemein adressierten Kommunikaten (früher Massenkommunikation)
10. Empirische Untersuchungen können und müssen an mikro-, meso- und makrosozialen Fragestellungen ansetzen- sowie am Wandel von Kultur und Gesellschaft insgesamt.
11. Die heutige Medienentwicklung ist eng an die dynamische Entwicklung der Digitalisierung gebunden. Sie verläuft auf drei relevanten Ebenen:
- Es entsteht ein umfassendes und komplexes Netzwerk aus Internet, Handy, Fernsehen, Radio etc.
- Die Welt wird interaktiv belebt durch „intelligente Bausteine“ in immer mehr Artefakten, sowie durch eine parallele Realitätsebene im Netz, über die u.a. Kommunikation stattfindet.
- Die Welt wird in dieses Netz hinein abgebildet, arrangiert und inszeniert.
12. Die Folgen sind beträchtlich und immer noch nicht überschaubar.
Hervorzuheben sind hierbei zwei Essenzen, die KROTZ immer wieder betont:
- Mediatisierung kann als Metaprozess beschrieben werden.
- Medien wirken; jedoch nicht so sehr durch sich selbst, sondern durch die Art und
Weise, wie Menschen diese in ihre individuelle Lebenswelt, Kultur und Gesellschaft einbetten.
In den folgenden Abhandlungen wird nun explizit auf die grundlegendsten Entwicklungen und möglichen Wirkungszusammenhänge in Bezug auf eine sich verändernde Medientechnik, Mediennutzung und Bedeutung von Medien für das kulturelle, soziale und individuelle Leben in der heutigen Gesellschaft eingegangen.
Als theoretischer Überbau dient dazu das Konzept der Mediatisierung nach KROTZ, da dieses, quasi komplementär zu den Cultural Studies nach WILLIAMS, HOGGART oder THOMPSON, keine systematisch wissenschaftliche Einheit herausbildet, sondern einen theoretisch- empirischen Untersuchungsrahmen absteckt.
Damit ist Mediatisierung als ähnlich multikomplexer Metaprozess in das Prozessquadrat von Globalisierung, Kommerzialisierung und Individualisierung einzuordnen und steht in der Tradition der Agenda-Setting-Theorie[1].
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Gesellschaftliche Metaprozesse
(unabhängig voneinander, jedoch wechselseitig wirksam)
Eigene Darstellung: Quelle: (KROTZ 2008)
2.1.1 Funktions- und Bedeutungswandel von Medien
Der Meta-Prozess Mediatisierung kann auch anhand einer sich verändernden Funktion und des damit einhergehenden Bedeutungswandels von Medien aufgezeigt werden. Medien erfüllen heutzutage nicht nur Funktionen wie Unterhaltung oder die der Kommunikation, sondern sind zunehmend ein Bestandteil unseres Alltags z.B. als Quelle für Informationen oder als vernetzendes Medium (privat und beruflich) (KROTZ 2007: 11). Da immer mehr Bestandteile des alltäglichen Lebens durch oder mittels Medien geprägt sind, verändert sich deren gesellschaftliche Funktion und gewinnen an Bedeutung (ebd.). Disziplinen wie die der Medienwissenschaft, als Geistes-Kultur oder Sozialwissenschaft, oder der Kommunikationswissenschaft erforschen die daraus resultierenden Chancen und Probleme (ebd.).
Funktionswandel
Betrachtet man den Funktionswandel von Medien ganzheitlich, so kommt man nicht daran vorbei, sich mit dem Begriff der Funktion auseinanderzusetzen. Funktion, (lat. functio= Tätigkeit, Verrichtung), ein vieldeutiger und vielseitiger Begriff, wird in der Mathematik, der Physik und vor allem auch in der Soziologie verwendet, um z.B. einerseits, wie DURKHEIM in der Funktion eine „... Leistung, einen Beitrag, eine erkennbare Konsequenz eines sozialen Elements für Aufbau, Errichtung, Erhaltung oder Veränderung eines bestimmten Zustandes des gesellschaftlichen Systems“ (DURKHEIM:
1984, ZIT.N. BANGO 2008: 1) zu sehen, oder wie andererseits die konstruktivistische Systemtheorie eine Funktion als „... die Leistung eines Systems oder eines Systemmerkmals, die von Elementen des Systems oder von Elementen anderer Systeme verwertet wird oder die zur Erhaltung anderer Systemmerkmale des Systems oder zu Systemmerkmalen anderer Systeme beiträgt“ (BANGO 2008: 2) beschreibt . Das heißt: eine Ursache kann mehrere Wirkungen haben- mehrere Ursachen können mehrere Wirkungen haben. Auf den Wandel der Funktion von Medien bezogen bedeutet dies: je mehr Funktionen Medien einnehmen, desto mehr und desto differenzierter sind ihre (Aus-)Wirkungen (ebd.).
Allem Wandel gehen jedoch Ursachen voraus. Im Bereich der Medien und deren veränderter Funktion bzw. neu hinzugekommenen Funktionen, spielt der technische Fortschritt eine evidente Rolle. Unter dem Sammelbegriff Digitalisierung, werden sämtliche Umwandlungsprozesse von analogen Daten bzw. Informationen ins Digitale (mittels des Binärcodes) und deren Übermittlung, Transformierung und Speicherung verstanden (KROTZ 2007: 30-31). Durch die enorme Verbreitung von Prozessoren, Computern, Servern, Datenkabeln, Satelliten und Funknetzen entstand in den letzen zwei Jahrzehnten, einhergehend mit sinkender „technischer“ Kosten, eine neue computergestützte Infrastruktur, welche es heutzutage ermöglicht neue Inhalte und neue Darstellungsformen durch die individuelle Bearbeitung digitaler Daten, schnell und relativ unkompliziert, zu kreieren und sofort global zu übermitteln (ebd.).
Mit dem Computer und den Computernetzen sind im Zuge der Medienrevolution nach den Individualmedien (z.B Gesten, Sprache, Schrift)[2] und den Massenmedien (z.B. Druck, Rundfunk, Fernsehen) immersive Interaktionsmedien entstanden. Verkürzt gesagt, kann man jetzt nicht nur mit den Medien leben, sondern in den Medien. (THIEDECKE 2005:1)
Jedoch darf der technische Fortschritt in Form von Digitalisierung und dem Ausbau des Internet s nicht allein für einen Wandel der Funktion von Medien verantwortlich gemacht werden. Nach KROTZ sind nicht die Medien der aktive Teil, sondern die Menschen in ihrem Umgang mit eben diesen. „Sie konstituieren diese Veränderungen, insofern sie immer mehr Medien für immer neue Aktionen und Prozesse in ihren Alltag einbeziehen“ (KROTZ 2007: 33). MEYROWITZ spricht im selben Kontext davon, dass Medien „...shapers of a new social environment themselves“ (MEYROWITZ 1994: 51) sind. Technik steht mehr oder weniger im Dialog mit dem Benutzer, denn technische Entwicklungen können sich nur anhand eines gesellschaftlichen Bedarfs durchsetzen; dies gilt insbesondere für die Kommunikations- und Medientechnik. Der bisherige Konsument und Rezipient wird zunehmend zum Mitgestalter seines medialen Auftritts und seines sozial-medialen Umfelds. Beispiele hierfür gibt es genügend, z.B. das Online-Videoportal Youtube, welches mit dem Slogan „Broadcast Yourself“ wirbt, oder die umfangreiche und sich ständig aktualisierende Online-Enzyklopädie Wikipedia, die von quasi jedem Online-User ergänzt werden kann und wiederum Artikel anderer rezensieren und diskutieren lassen kann (O´REILLY, 2005: 1). Die interaktiven, kollaborativen oder sozial vernetzenden (Social Networking) Elemente werden seit einiger Zeit unter dem Stichwort Web 2.0[3] etikettiert und beweisen durch ihren großen Zuspruch die veränderte Funktion des Mediums Internet (SCHNEIDER 2007: 6). Ein weiteres Beispiel ist das Mobiltelefon, welches von Ingenieuren ursprünglich zum mobilen Telefonieren entwickelt wurde. Im Jahre 2008 ist das Mobiltelefon ein Multifunktionsgerät und ein ständiger Begleiter (BOUNIN 2007: 6). Mobiltelefone können inzwischen Textnachrichten und Videobotschaften versenden, hochauflösende Fotos aufnehmen und dienen als Kalender, Adressbuch oder MP3-Player (ebd.). Medien werden also immer multi-medialer und vereinen immer mehr Funktionen bisheriger, eigenständiger Medien (ENQUETE-KOMMISSION "MULTIMEDIA IN BADEN WÜRTTEMBERG" 1995: 30). Die sogenannte Medienkonvergenz beschreibt die Entwicklung einer technischen und inhaltlichen Zusammenfügung bzw. Annäherung, wie es einerseits z.B. das Internetradio und das Livestreaming (Internetfernsehen) zeigen, andererseits kann der gleiche Inhalt nun durch verschiedene Medientypen- man spricht hier auch von einem Medienensemble-vermittelt werden (SCHORB 2008: 4).
Bedeutungswandel von Medien
Bereits ein kurzer, grober Vergleich der Mediennutzungsdaten von vor 10 Jahren und heute, lässt wohl keine Zweifel mehr offen, dass Medien an großer Bedeutung gewonnen haben, sowohl für die Gesellschaft als auch für das Individuum, in zeitlicher, sozialer und auch ökonomischer Hinsicht.
Medienrealität und Alltag verschwimmen dabei zunehmend. Dazu haben vor allem Medien- und Kommunikationswissenschaftler grundlegende Forschungen betrieben und einen Zusammenhang zwischen Medienrealität und deren Wirkung auf die Konstruktion von Wirklichkeit bewiesen[4].
„So ist es heute nicht mehr möglich, von der Perspektive eines „medienlosen“ Alltags auszugehen, der frei von den Einflüssen der Medien ist und von ihnen lediglich kolonisiert zu werden droht. Der konkretistische Schein der Ursprünglichkeit[5]- wo der eigene „Augenschein“ verlässlicher scheint als die medienvermittelte Information- erweist sich sehr schnell als Trugschluss, greift man doch auch im alltäglichen Leben immer wieder auf medial vermittelte Erfahrungen und Beurteilungskriterien zurück (...)“ (MOSER 2006: 71-72).
Als eindringliches Beispiel beschreibt MOSER den 11. September als „mediales Ereignis“(MOSER 2006: 24). Die Wirklichkeit der Medien ist nach Ihm nicht nur sekundäre oder abgeleitete Wirklichkeit, sondern immer mehr gilt als „real“ was auf dem Fernsehschirm erscheint (ebd.).
„Die Ereignisse vom 11. September 2001 machen deutlich, dass plötzlich das Medium als Zentrum der Realität erscheint. Die „wirkliche“ Welt scheint nach dem Muster der Fernsehdramaturgie, der Katastrophenfilme und Videogames zu funktionieren. Es scheint nicht mehr zu gelten, dass Medien die Welt nur abbilden, vielmehr hatte sich die Welt der Fiktionen der Realität bemächtigt.“ (ebd.). MOSER stellt ganz offen die Frage „ob Realität nicht grundsätzlich immer mehr nach Mustern, die wir tagtäglich in den Medien vorgeführt erhalten, erlebt wird. Prägen unseren Alltag nicht zunehmend Seh-und Hörmuster, die aus den Medien stammen, und interpretieren wir damit die Realität nicht immer öfters nach den Mustern der Fernsehinszenierung?“ (MOSER 2006: 23).
Es ist festzustellen, dass der Gebrauch von Medienangeboten ebenso wie der Inhalt von Gesprächen über diese, zugenommen hat und weiterhin zunimmt. In Kapitel 2.3 wird dies verdeutlicht. Außerdem entstehen neue Rezeptionssituationen durch „placed based media“ (MACALLISTER 1996, Z.N. KROTZ 2007: 34).
Fernsehen, Radio und öffentlicher Internetzugang lassen sich zunehmend im halb-öffentlichen bis öffentlichen Raum finden und erreichen nun auch Zielgruppen an Skiliften, in Kneipen, Arztpraxen, Bussen und Zügen oder in Fitness-Clubs und Schaufenstern (KROTZ 2007: 34-35). Dabei gewinnen Medien bei der Einbettung der Menschen in Konsum und Meinungsbildung, im Hinblick auf das politische System und dessen Handeln, an Bedeutung (ebd.).
2.1.2 Medientypologie
Im Folgenden soll hier der Versuch gemacht werden, darzustellen wie Medien bisher kategorisiert wurden und welche Veränderungen diesbezüglich relevant geworden sind. Eine Frage drängt sich dabei besonders auf: Lassen sich Medien, im Hinblick auf ihre sich spezialisierende Allgegenwärtigkeit, noch kategorisierend fassen?
Im Zuge des Medienwandels, primär gekennzeichnet durch den Prozess der Digitalisierung[6], kann davon ausgegangen werden, dass einerseits immer mehr Medien für immer mehr Zwecke zur Verfügung stehen andererseits, sich diese in Form von Anwendungen (Applikationen) und Formaten oder Protokollen sei es Online oder Offline zunehmend bündeln. Dabei wird der Computer für viele Menschen, neben dem Fernseher, zum Leitmedium. Im Hinblick auf eine sich spezifizierende und individualisierende Mediennutzung stellt sich die Frage, ob der Begriff der „Massenmedien(-nutzung)“ im Rahmen einer Medientypologisierung noch angebracht ist.
Beispiele grundsätzlicher Kategorisierungen von Medien hier nach LUHMANN[7], der den Medienbegriff systemtheoretisch verwendet, Medien als Bestandteil (sozialer) Systeme sieht, die der „...Umformung unwahrscheinlicher Kommunikation in wahrscheinliche Kommunikation dienen (...)“ (LUHMANN 1981: 28) und in drei große Bestimmungsfelder ordnet:
1. Grundmedium Sprache
„Das Medium, das das Verstehen von Kommunikation über das vorausliegende Wahrnehmen hinaus steigert, ist die Sprache. Sie benutzt symbolische Generalisierungen, um Wahrnehmungen zu ersetzen, zu vertreten, zu aggregieren und die damit anfallenden Probleme des übereinstimmenden Verstehens zu lösen“ (Luhmann 1981: 28) .
2. Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien
„... erfassen die wichtigsten zivilisatorischen Bereiche des Gesellschaftssystems und für die neuzeitliche Gesellschaft ihre primären Subsysteme. Man erkennt daran, wie sehr eine Steigerung der Kommunikationschancen im Evolutionsprozeß systembildend gewirkt und zur Ausdifferenzierung von besonderen Systemen für Wirtschaft, Politik, Religion, Wissenschaft usw. geführt hat“ (a.a.O: 28-29) .
3. Verbreitungsmedien
„Verbreitungsmedien können sich der Schrift, aber auch anderer Formen der Fixierung von Informationen bedienen. Sie haben eine kaum überschätzbare selektive Auswirkung auf die Kultur, weil sie das Gedächtnis immens erweitern, aber auch durch ihre Selektivität einschränken, was für anschließende Kommunikation zur Verfügung steht“ (ebd.).
Diese können sein: Rauchzeichen, Buschtrommeln, Wandmalerei, Briefpost, Telegraphie, Radio, Fernsehen, Internet etc.
Ein weiteres Beispiel der vielfältigen Möglichkeiten, Medien zu typologisieren, soll hier von den Medienhistorikern HALBACH und FAßLER (HALBACH/FAßLER 1998: 35) vorgestellt werden, welche zwischen Medien unterscheiden, die
a) als Vermittlung einer unerfahrbaren, göttlichen und religiös gefassten ‘Außenwelt’ nach ‘Innen’ dienen,
b) als Vermittlung zwischen ‘Wirklichkeit’ und ‘Schein’, Wahrheit und Trug gelten,
c) als kulturell abhängiger Teil sozialer Selbstbeschreibung benutzt werden und
d) als autonome Systeme der scheinhaften Realitätserzeugung auftreten; darunter fallen die so genannten Massenmedien wie Zeitung, Film, Radio und Fernsehen.
Bei dem Versuch einer Typologisierung von Medien erschwert die begriffliche Variable Medien deren Bestimmung ungemein, denn wie sollen Medien kategorisiert werden können, wenn von eigenen Begriffsbedeutungen ausgegangen wird?
Gerade die systemtheoretische Soziologie, deren Anhänger ebenfalls in der Medienwissenschaft zu finden sind, spannt den Begriffsbogen weit. KÜBLER etwa unterscheidet neben der systemischen Definition von Medien, z.B. zwischen universalem, elementarem, technologischem, kommunikations- und organisationssoziologischem oder dem kommunikativ-funktionalem Medienbegriff (KÜBLER 2003: 17-24). Solche eher akademisch diskutierten Unterscheidungen sollen und können hier nicht weiter ausgeführt werden, da sie für das komplexe Thema des Prozesses von Mediatisierung und dessen Auswirkung auf Medienaneignung und-umgang einen zu deterministischen Charakter hätten.
KÜBLER behauptet jedoch, dass weiterhin pragmatisch Unterscheidungen möglich sind. Und zwar zwischen:
– Den klassischen, öffentlichen, professionell produzierten Massenmedien, die sich nach wie vor einseitig an ein breites, nicht eindeutig identifiziertes, “disperses” Publikum wenden und auch als so genannte Verteil- und Programm-Medien bezeichnet werden
– Und den individuell, online, also ausschließlich digital nutzbaren, interaktiven Medien, über die sowohl einzelne Partner, also im Dialog, miteinander kommunizieren (z. B. EMail, News- und Chat Groups), als sich auch über Server und Datenbanken spezielle Dienstleistungen (z. B. Online-Banking, Online-Shopping) und Informationen abrufen lassen.
– Gewissermaßen zwischen diesen beiden Typen sind sämtliche Speichermedien anzusiedeln, die ursprünglich analog funktionierten, heute aber digitale mediale Konversionen ermöglichen, so dass alle Produkte der klassischen Massenmedien fotoelektronisch verfügbar sind: also vornehmlich CD, CD-ROM, CD-Video und DVD (ebd.).
Tabelle 1: Beispiel technischer Kategorisierung von Medien
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
DÜRSCHEID/SIEGERT 2007: 2)
Tabelle 1 verdeutlicht die Unterscheidung nach technischen Kriterien und dem Diffusionscharakter, also der Art und Weise der Verbreitung. Tertiärmedien z.B. benötigen einen Sender und einen Empfänger, welche jeweils über ein technisches Gerät verfügen. Quartärmedien sind eine relativ neue Gattung und bedeuten, dass jeder Sender und Empfänger mittels eines Computers, der wiederum verschiedene Medien verknüpft, auf der Basis eines Netzwerks (Diffusionscharakter) kommuniziert.
Des Weiteren wären hier unzählige Unterscheidungen u.a. nach weiteren technischen Merkmalen wie etwa nach Distributionskanälen und Offline- oder Onlinemedien möglich. Ebenfalls, eher kontextorientierte Kategorisierungen können z.B. Unterscheidungen nach menschlicher Sinneswahrnehmung (visuelle, auditive oder audio-visuelle Medien) oder nach Raum (öffentliche- oder private Medien) und Zeit sein.
Kategorisierungen, Ein- und Unterordnungen, werden im Rahmen der Digitalisierung und der Verbreitung von rechenstarken, multi-medialen bzw. intermedialen Informations- und Kommunikationstechniken zunehmend komplexer. Unterstützt und sichtbar wird dies durch die enorme Effizienzsteigerung auf dem Gebiet der Mikroelektronentechnik oder anderer Technologieparameter, wie die Steigerung an Kommunikationsbandbreite und Speicherkapazität (LANGHEINRICH/MATTERN 2003: 8). Dadurch entstehen immer wieder neue Formen und Spezifika von Medien, die letztlich alle auf einem Grundsatz basieren-dem der Digitalität[8].
Zusammenfassung
Die Typologisierung von Medien kann nur mit einem jeweiligen Rekurs zum „Sinnkontext“ geschehen. Daher können Medien zwar nach unterschiedlichsten
wissenschaftlichen Termini kategorisiert werden, die exakte Differenzierung und Einordnung wird jedoch im Laufe der digitalisierenden Technologien schwieriger. Dies drückt sich insbesondere im folgenden Zitat von MIERAU aus:
“Die Medien des letzten Jahrhunderts sind dabei, in einem universalen digitalen Medium aufzugehen. Die Zuordnung einer Technologie zu einem Sinnesspektrum, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts dominiert und den Begriff des technischen Mediums ausmacht, verliert sich spätestens in dem Moment, in dem alle Signale als digitale übermittelt und gespeichert werden. Im Grunde gibt es damit nur noch ein Medium, das universelle digitale Medium des Computers. Damit treten die Unterschiede zwischen einzelnen Medien in den
Hintergrund, und die Datenströme differenzieren sich durch die Formate, Protokolle und Schnittstellen der digitalen Technologie” (MIERAU 2007).
Er beschreibt damit, dass alles in einem universellen digitalen Medium gebündelt würde und somit nur noch Unterscheidungen in der Art und Weise der „Digitalität“ getroffen werden könnten. Die damit verbundene Schwierigkeit einer allgemeingültigen Differenzierung von zunehmend digitalen Medien verdeutlicht folgendes Zitat: „Das digitale Medium ek-sistiert nur in seiner vielgestaltigen Metaphorizität“ (THOLEN 2002: 54 Z.N. SCHRÖTER: 2008). D.h. dass durch die Digitalisierung der Medien, diese durch nur wenig Aufwand weiterentwickelt werden können und somit neue Arten entstehen. Digitale Medien können programmiert und „neu geschrieben“- somit stetig verändert und angepasst werden.
Es ist also festzustellen, dass Medienwissenschaftler je nach Argumentationskette und Theorie Medien unterschiedlich kategorisieren. Wenn nun im Folgenden von den Medien geschrieben wird, so beinhaltet dieser Überbegriff immer die Summe aller hier aufgezeigten, möglichen, kategorisierten Merkmale, welche in einem diskursiven Kontext zu sehen sind. Die Beschreibung neue Medien[9] verdeutlicht den Wandel zur digitalen Informationsverarbeitung, also der auf digital basierender Kommunikations- und Medientechnologie.
2.2 Zum Wandel von Kommunikation
Im Rahmen der Auseinandersetzung mit Kommunikation in dieser Arbeit soll der Kommunikationsbegriff grundsätzlich nicht nur auf Medien und deren Nutzer bezogen werden, also Medienkommunikation als Kommunikation mit, mittels Medien, sondern auch über Medien verstanden werden. Dies ist insofern wichtig, da Medienkommunikation als stetige Modifikation von Kommunikation im Prozess der Mediatisierung stattfindet- sich dieser wiederum auf Mikro-, Meso- und Makro-Ebene unserer Gesellschaft konstituiert und konstatiert.
„Die Geschichte der Menschheit kann ... als Entwicklung gesehen werden, in deren Verlauf immer neue Kommunikationsmedien entwickelt wurden und die
auf unterschiedliche Weise Verwendung fanden und finden. In der Konsequenz-
weil Medien sich nicht substituieren und ablösen, sondern es zu einem Ausdifferenzierungsprozess kommt, entwickeln sich immer komplexere mediale
Kommunikationsformen und Kommunikation findet immer häufiger, länger, in immer mehr Lebensbereichen und bezogen auf immer mehr Themen in Bezug auf Medien statt.“ (KROTZ 2007: 38).
Gerade durch den „Effekt“ einer zunehmenden Kommunikation über Medien und ein damit einher gehender Wandel von Kommunikation, gerät die bisher auf Massenmedien und Massenkommunikation orientierte Kommunikationswissenschaft in Zugzwang[10] (KROTZ 2004: 5).
In der Theorie der Mediatisierung nach KROTZ wird das bisherige Kommunikationsverständnis, kompatibel und komplementär zu dem der Cultural Studies, vertieft und weiterentwickelt (KROTZ 2007: 51). Demnach muss die Kommunikationswissenschaft, die ja ein Teil der Sozialwissenschaft darstellt, „... alle Bereiche menschlichen Handelns und deren Konsequenzen und alle Medien in den Blick nehmen- die der interpersonalen Kommunikation wie die einer individualisierten Nutzung standardisierter, vorproduzierter Inhalte, und ebenso auch interaktive Kommunikation“ (KROTZ 2007: 49).
Diese drei Kommunikationsformen bilden einen grundlegenden Bestandteil des Meta-Prozesses Mediatisierung, verdeutlichen gleichzeitig eine sich verändernde Kommunikation und können als Messpegel des Grades ihrer mediatisierten Form dienen. Näher zu verstehen ist:
Interaktives Kommunizieren
als ein „... Dialog, ein fortgesetztes, reziprokes Kommunizieren zwischen einem Menschen und einem Computersystem ..., sofern sie sich wechselseitig „zuhören“, sofern beide ihre spezifische Weise zu der weiteren Entwicklung des „Gesprächs“ beitragen und sich auf das beziehen, was sie im bisherigen Verlauf des Gesprächs „gehört“ und „gesagt“ haben“(KROTZ 2007: 125). Somit kann auch von künstlicher Kommunikation gesprochen werden bei der „(...) der Computer als ein eigenständiger, sozialer oder kommunikativer Akteur“(ebd.) auftritt.
Mediatisierte interpersonale Kommunikation
als Erweiterung der menschlichen Kommunikationspotenziale, durch hinzugekommene, konvergente digital-mediale Kommunikationsmöglichkeiten; also als „... Kommunikation zwischen Menschen mittels Medien. Dabei handelt es sich um interpersonale
Kommunikation- ähnlich wie Face-to-Face, aber eben unter anderen Bedingungen“(ebd.). Merkmale dabei sind die eventuelle Asynchronizität wie z.B. beim Brief oder die reduzierten Wahrnehmungskanäle wie sie bei einem Chat oder Mobiltelefongespräch deutlich werden (KROTZ 2007: 91). Dabei fehlt häufig der nonverbale, soziale Aspekt einer Interaktion, was zu Vor- und Nachteilen führen kann. Emotionen werden z.B. beim Chat durch sogenannte Emoticons ausgedrückt und deren Tastenkombinationen müssen evtl. neu erlernt werden. Alter, Aussehen oder Ethnizität können dann nur per Schrift oder Bild „nachträglich“ kommuniziert werden und spielen evtl. eine nachrangige Rolle (GRUBER/HARTEIS/HAWELCKA 2000).
Produktion und Rezeption allgemein adressierter, standardisierter Kommunikation
als begriffliche Weiterentwicklung und Differenzierung von bisheriger „Massenkommunikation“, da heutzutage nicht mehr von Kommunikation der Massen gesprochen werden kann, sondern sich vielmehr in Produktion und Rezeption aufspaltet, weil Inhalte zunehmend über ganz unterschiedliche Medien distribuiert und rezipiert werden. „Im Gegensatz zur (mediatisierten-) interpersonalen Kommunikation ist Kommunikation mit den allgemein, adressierten, standardisierten Kommunikaten ... einseitig“ (KROTZ 2007: 220) und laut HORTON und WOHL in einer Art „Als-Ob-Face-to-Face-Kommunikation“ funktioniert, indem der Zuschauer etwa mit dem Moderator auf dem Bildschirm oder im Radio kommuniziert, als ob er es mit einem Menschen zu tun hätte (HORTON/WOHL 1956: 215, Z.N. KROTZ 2007: 219).
Jedoch kann insgesamt auch davon ausgegangen werden, dass trotz einer möglichen parasozialen Beziehung[11] zu einer Medienfigur, im Prinzip jedem Nutzer sehr wohl bewusst ist, dass es sich hierbei „...um Kommunikation des Rezipienten für sich selbst und nicht mit anderen handelt“ (KROTZ 2007: 228). Dieses Wissen wird in unterschiedlichen Phasen der Rezeption in unterschiedlicher Art aktuell und relevant (ebd).
Alle drei Arten sind somit Abstraktionen bzw. Ableitungen einer Face-to-Face-Kommunikation als Urform, aber auch Form eines symbolisch bezogenen Handelns, und sind Hauptbestandteil einer sich verändernden Kommunikation, die damit andere Erfahrungen bedingt (KROTZ 2007: 218-228). Technische Innovationen und Entwicklungen dienen dabei entweder als Anstoß, als Formgeber oder als Mittel zum Zweck.
2.3 Medien und soziale Konstruktion
Wenn LUHMANN meint, dass sich eine gemeinsame soziale Welt wesentlich über die Möglichkeit anschlussfähiger Kommunikationen erhält und davon ausgegangen werden kann, dass diese, aber auch die Wiedergabe, Weitergabe, Ausformung und Umformung von Wissen und somit auch Öffentlichkeit zunehmend durch technische Medien vermittelt wird, dann muss nun danach gefragt werden, wie sich eine mediale Konstruktion von Wirklichkeit auf die Beschaffenheit und die Konstruktion sozialer Welten auswirkt? Sind Medien treibende Kraft eines Sozialen Wandels? Leben wir bald nur noch in einer digital-virtualisierten Gesellschaft?
Anhand von zwei Unterkapiteln soll, im Hinblick auf eine spätere Auseinandersetzung mit den Lebenswelten Jugendlicher, diesen Fragen nachgegangen werden.
2.3.1 Computerbasierte Vergemeinschaftung/ Vergesellschaftung?
„Die von soziologischen Klassikern ausgehenden systemtheoretischen, netzwerkanalytischen, informationswissenschaftlichen oder auch techniksoziologischen Annäherungen an den Themenkomplex der „Online-Vergesellschaftung“ eröffnen ein breites Spektrum an Fragestellungen.“ (JÄCKEL 2005: 7).
Doch was ist damit im Kern gemeint? Steuern wir auf eine Teilung zwischen realer und virtueller Gesellschaft zu?
THIEDEKE fasst die aktuellen Entwicklungen wie folgt zusammen:
„Der neue computerbasierte Medientyp der Interaktionsmedien erlaubt, neben der Vermittlung von Infomationen und den Anschluss von Kommunikationen, telepräsente und telematische Interaktionen. Nutzer dieser Medien sind nicht nur Medienrezipienten, sondern –produzenten, die mit ihren medialen Kommunikationen die mediale Interaktionsumwelt verändern. Den hierbei
entstehenden Sinnhorizont des Cyberspace ist virtualisiert. Er konkretisiert sich in vermöglichten Erlebnis- und Handlungserwartungen der Vergesellschaftung. Das Entstehen dieser Erwartungen ist weder technik- noch sozialdeterministisch bedingt, sondern durch komplexe, soziotechnische Umweltbedingungen konditioniert“ (THIEDEKE 2005: 335).
Dabei kann laut BARKHOFF die aktive Bildung von Netzwerken heutzutage als eine strukturbildende „Kulturtechnik der Moderne“ interpretiert werden (BARKHOFF/BÖHME/RIOU 2004: 7). Im Hinblick auf Prozesse wie Globalisierung, Individualisierung, Mediatiserung und deren wechselseitigen Wirkung erscheint dies , z.B. anhand sich verstärkender Tendenzen zur multilokalen Familie, zu ausbildungsbedingter Ortsflexibilität und zur beruflichen Mobilität im flexiblen Kapitalismus, logisch und bildet eine der Grundvoraussetzungen für computerbasierte Netzwerkgemeinschaften. Vorab und sehr verkürzt ist festzustellen, dass, mit Bezug auf KARDOFF und dessen Forschungen, „...Verbindungen zwischen der realen Welt und der virtuellen Welt des Internets keineswegs auf völlig getrennten Bahnen verlaufen: vielmehr scheint es einen Steigerungseffekt der realen Interaktion durch die Nutzung des Netzwerks und umgekehrt zu geben“ (VON KARDORFF 2006: 78).
Im gleichen Sinne lässt sich sagen, dass „online communications have become- and probably always were- immament parts of the real world“ (WELLMANN/HOGAN 2004: 4 Z.N. VON KARDOFF 2006: 79). Außerdem kann laut THIEDEKE nicht davon die Rede sein, „dass virtualisierte Vergesellschaftung aktuelle Vergesellschaftung ersetzt“ (THIEDEKE 2005: 341). Er geht dabei eher von einer Koexistenz beider Formen aus (ebd.).
Trotz allem ergeben sich aufgrund von neuen, virtuellen Kommuniaktionsplattformen[12], die nach eigenen Regeln funktionieren, eigene Normen ausbilden und subkulturelle Sinnprovinzen bilden, veränderte Kommunikationsbedingungen, die wiederum Auswirkungen auf reale, soziale Interaktionen haben (VON KARDORFF 2006: 82). So können sich dadurch z.B. bisherige Wissensmonopole von Ärzten verschieben, die es immer mehr mit präzise informierten Patienten, welche sich vorher evtl. in Foren über Symptome und Therapieformen erkundigten, zu tun haben (ebd). VON KARDORFF behauptet ausserdem, dass soziale Unterstützung, im Übrigen auch in professioneller Hinsicht, durch virtuelle Netzwerke grundsätzlich möglich und bereits vorhanden ist (a.a.O.: 84).
[...]
[1] Die Agenda-Setting-Theorie wird als wichtigste Perspektive der neueren Wirkungsforschung betrachtet. Sie thematisiert mittel- bis langfristige kognitive Effekte der Massenkommunikation. Ausgangspunkt ist die Prämisse, dass vor jeder Meinungs- oder Einstellungsbeeinflussung durch Medien die Funktion der Thematisierung steht (BONFADELLI 2004: 235-282).
[2] Siehe hierzu Kapitel 2.1.2 Medientypologie- Konvergente Medien
[3] vgl. (O´Rilley 2005: 1)
[4] vgl. (MERTEN/SCHMIDT/WEICHSENBERG 1994)
[5] Von seitens der Kritik des Konstruktivismus „...ist dieser Alltag nicht einfach natürlich gegebene Lebenswelt, sondern strukturierter Alltag wie es z.B. die Diskussionen um den radikalen Konstruktivismus deutlicht gemacht haben: Im Sinne der Autopoiese ist auch der Alltag selbst-erzeugter Alltag (vgl. Varela 1975, S. 119 ff). Als lebendes System beinhaltet er von Anfang an Kognition und damit Beobachtung“ (MOSER 2006: 72).
[6] vgl. (Pasch 2003)
[7] vgl. (Luhmann 1981: 25-33)
[8] vgl. (Brosziewski 2003)
[9] Im Bundestag hat sich am 16.3.2006 ein Unterausschuss für Neue Medien konstituiert. vgl. (http://www.bundestag.de/ausschuesse/a22/a22_nm/index.html)
[10] vgl. (Krotz 2007: 47), (Höflich/Jäckel 2005: 70)
[11] „Parasoziale Beziehungen sind einseitige, nicht-reziproke, scheinbar zwischenmenschliche Beziehungen, welche Rezipienten zu Medienpersonen, insbesondere im Fernsehen, zueinander aufbauen können. Solche Beziehungen entstehen infolge wiederholter oder regelmä ß iger „Begegnungen“ (sog. Parasozialer Interaktionen), bei der die Medienpersonen die Zuschauer adressieren und diese wiederum kognitiv (dt. erkenntnismä ß ig), emotional oder sogar konativ (dt. zielgerichtet) reagieren“ (VISSCHER/VORDERER 1998: 453–470).
[12] Eigene Beispiele: Kooperationsbeziehungen im Internet, Erfahrungsaustausch in Chats und Foren, Lebenshilfe und Therapie im Netz, Partnersuche- und vermittlung im Internet, Jobsuche und Jobkontaktbörsen im Internet, Schüler-, Studenten-, Ex-Klassenkameraden, Musiker- und Künstlerportale etc.