Dhikr in klassisch islamischen Quellen und seine Praxis

Geschichte, Entwicklung und Bedeutung des Gottesgedenkens


Hausarbeit (Hauptseminar), 2010

19 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Einführung
1.1 Beschreibung von dikr
1.2 Wortbedeutung des dikr und theologische Definitionen

2. Islamische Quellen über Gottesgedenken
2.1 Dikr im Koran
2.2 Dikr in der Prophetentradition (sunnah)
2.3 Ansichten islamischer Gelehrter über dikr

3. Die Bedeutung des dikr in der islamischen Mystik
3.1 Dikr als süfischePraxis?
3.2 Ablauf des dikr

4. Schlussfolgerung

6. Quellennachweis

Vorwort

Die vorliegende Verschriftlichung ist eine Hauptseminararbeit für die Lehrveranstaltung „Islamische Leittexte und Riten" und beschäftigt sich mit dem Gottesgedenken (dikr) in den klassisch islamischen Quellen. Unter islamischen Quellen werden hier Koran, die überlieferte Prophetentradition (sunnah) und herausragende Werke frühislamischer Gelehrten. Eine dieser Gelehrten, die in dieser Arbeit besprochen werden, ist Abu Hämid ibn Muhammad al- GazälT mit seinem bedeutendsten Werk „Ihyä’ 'ulum ad-dln“ (Wiederbelebung der religiösen Wissenschaften). Die gesamten Quellen sollen dazu dienen, die Frage zu beantworten, woher der Begriff „dikr" stammt, was er als Bedeutung beinhaltet, wie er praktiziert worden ist und heute praktiziert wird. Dabei wird dessen Wertigkeit in der islamischen Praxis, besonders in der islamischen Mystik aufgezeigt und die Ausübungsformen in den verschiedenen mystischen Bruderschaften behandelt.

Die genutzten Übersetzungen der genannten Koranverse sind Zitate aus der Koranübersetzung von Rudi Paret in der 10. Auflage.

1. Einführung

1.1. Eine Beschreibung von dikr

„Rhythmus und Musik machen seit langem einen Teil der Sufi-Verehrung des Göttlichen aus. Dhikr, die Erinnerung an Gott, die im Koran allen Muslimen befohlen wird, ist ein Akt der Andacht, bei dem die Anbetenden sich im Kreis oder in einer anderen streng definierten, nach innen gerichteten Formation anordnen. Zu den Erinnerungshilfen gehören die Wiederholung göttlicher Namen, Gebete und Aphorismen aus dem Hadith und dem Koran. In den Tariguas der Sufi wurden diese Rituale von Musik und Dichtung ergänzt."[1]

Der oben zitierte Zeitungsartikelauszug versucht das Konzept des dikr mit Begriffen wie „Tanz", „Rhythmus'' und „Musik'' zu definieren. Aber woran lassen sich solche Definitionen festmachen? Ist es ein Gebot für alle Muslime oder nur ein Ritus der Sufis? Existiert nur die oben beschriebene Form der Ausübung oder gibt es Unterschiede? Diese Fragen sollen im weiteren Verlauf der Arbeit beantwortet werden. Um sich dieser Aufgabe zu nähern, muss jedoch zuerst die Wortbedeutung von dikr erläutert werden.

1.2. Wortbedeutung von dikr und theologische Definitionen

Wortbedeutung im Wörterbuch von Hans Wehr

Das Wort dikr besteht aus den Radikalen d-k-r und bildet mit der Grundbedeutung als Verb dakara ( ) „jmd. gedenken", „sich erinnern", „von sich sagen" und „meinen". Dikr bedeutet als Nomen „Erinnerung, Gedächtnis, Gedenken, Ruf, Renommee; Nennung, Anführung, Zitierung, Bericht; Erzählung; Anrufung Gottes oder Nennung des Namens Gottes" mit ’adkör ( ) als Plural. Die vielen deutschen Worte als Pendant zum arabischen Wort deuten daraufhin, dass die Anwendung und Bedeutung kontextabhängig sein muss. Denn die Worte „Erinnerung" und „Bericht" liegen vom Sinn her weit voneinander entfernt. Der Kontext gewinnt deshalb mehr an Bedeutung, um das Wort richtig zu verstehen. Er gibt ihm eine Richtung und beeinflusst ebenso die Interpretationsmöglichkeiten in einem Satz. Der für die Arbeit relevante Begriff ist die „Nennung des Namens Gottes" und die „Anrufung Gottes".

In diesem Zusammenhang gibt es zahlreiche islamisch theologische Definitionen von dikr. Eine Auswahl sei im nächsten Abschnitt kurz zusammengefasst.

Theologische Definitionen von dikr

Den meisten theologischen Definitionen des dikr liegen die in Kapitel 2 zitierten Koranverse und überlieferten Prophetentraditionen zu Grunde. Trotz der glaubensgrundsätzlichen Divergenzen der sunnitischen und schiitischen Theologie, ist eine weitestgehende Übereinstimmung in der Definition von dikr festzustellen.

Der schiitische Äyatulläh GawädT ÄmulT definiert dikr folgendermaßen:

„At times, the term 'dhikr' is contrasted to negligence, error, forgetfulness and such, and in these cases, it is used to mean remembrance, recollection and its like. At other times, it is contrasted to obscurity and extinction, in which case it is used to mean that which is renowned, esteemed and distinguished. Dhikr is sometimes used in the infinitive and descriptive sense such as, to remember God' and,to invoke the name of God.' At other times, it is used to define a thing or a person that is the embodiment and personification of the remembrance of God, in which case, it itself becomes a reminder of God."[2]

Demnach ist dikr als das Oppositum zur Unachtsamkeit, Vergessenheit und Unklarheit zu verstehen. Ebenso als „Gottesanruf" und als etwas oder jemand, der oder das den Gottesanruf beinhaltet und dazu führt. Im weiteren Verlauf seiner Beschreibung wird dikr in zwei Kategorien unterteilt: in das Gottesgedenken im Herzen und mit der Zunge.

Der sunnitische Gelehrte al-GazalT, dessen Werk in einem späteren Abschnitt tiefgründiger analysiert wird, hat eine ähnliche Auffassung von dikr: „dhikr is an endeavor to keep the mind in constant remembrance of God, or a laborious effort to turn one's concerns, preoccupied with wordly things, toward God by remembering him constantly."[3].

Neben dieser primären Auffassung als „Erinnerung Gottes" gibt er diesem Wort einen tieferen Sinn: „dhikr means a kind of spiritual exercise', or meditation on one's own death, the torment in the tomb, the eschatological events like the Last Judgement, God's punishment in Hell (in addition to those on earth), or His gracious gifts, eternal joy in Paradise, and the like." 3.

Das Wort kann also auch als eine „spirituelle Übung" verstanden werden, um über den Tod und das Jenseits, über Gottes Gaben und über das eigene fehlerhafte Handeln nachzudenken. Welchen Sinn und welche Wertigkeit diese Arten von dikr tragen, werden klar, nachdem die Koranverse und Prophetenüberlieferungen genannt werden, in denen dikr empfohlen, beschrieben und erläutert ist.

2. Islamische Quellen über Gottesgedenken

2.1 Dikr im Koran

Der Koran meint mit dikr primär den Akt der „Anrufung Gottes im Gedächtnis", „Ausrufung von Gottes Namen" oder die „Erinnerung Gottes".[4]

Aufforderung zum dikr

Es gibt mehrere Stellen im Koran, wo der Mensch aufgefordert und damit beauftragt wird, Gottes selbst, seiner Gnade, seiner Auszeichnung, seiner Offenbarungen und seiner Wohltaten zu gedenken.[5] Allein in der zweite Sure al-Bagarah gibt es mehrere Verse, die von Gottesgedenken sprechen. So heißt es zum Beispiel: „Ihr Kinder Israels! Gedenket meiner Gnade, die ich euch erwiesen habe, und denket daran, daß ich euch vor den Menschen in aller Welt ausgezeichnet habe."[6]

Anhand dieses Koranverses wird deutlich, dass das Gottesgedenken ein Ritus schon aus der vorislamischen Zeit war und Gott die Menschen damit beauftragt haben soll. Denn mit „Kinder Israels" sind nicht das arabische Volk und die Muslime zu Lebzeiten des Propheten angesprochen. Es ist aus dem Vers zu lesen, dass das Gottesgedenken auch die Funktion des Dankes übernimmt, für die Gnade und Gaben, die Gott den Menschen gegeben hat. In einem anderen Vers der gleichen Sure lautet es: „Und (damals) als wir eure Verpflichtungen entgegennahmen und den Berg (Sinai) über euch emporhoben (indem wir euch aufforderten:) ,Haltet fest (in eurem Besitz), was wir euch (als Offenbarungsschrift) gegeben haben, und gedenket dessen, was es enthält!' Vielleicht würdet ihr gottesfürchtig sein. "[7]

Der Mensch soll nicht nur Gottes gedenken, sondern ebenso der Offenbarungsschrift und deren Inhalt. In welchem Ausmaße dieses Gedenken erfolgen soll wird in dem folgenden Vers erklärt: „Und wenn ihr eure Riten vollzogen habt, dann gedenket Gottes, wie ihr (bisher) eurer Väter gedachtet, oder noch inniger! Und unter den Menschen gibt es welche, die sagen: ,Herr, gib uns im Diesseits (Gutes)', während sie am Jenseits keinen Anteil haben. "[8]

Khoury bekräftigt in seinem Korankommentar, dass dieser Koranvers auf die Sitte der Altaraber Bezug nimmt, die nach Beendigung der Wallfahrt die Großtaten ihrer Väter öffentlich gelobt haben sollen.[9] Hasan al-Basrf bekräftigt, dass es bei den Arabern vor dem Islam üblich war, auf die Väter zu schwören und dass der Vers auf diese Gewohnheit Bezug nimmt.[10] Als Grundlage aller Aufforderung zum Gottesgedenken gilt Vers 152 der zweiten Sure, in dem Gott die Menschen dazu aufruft, ihrer in gleicher Weise zu gedenken: „So gedenket meiner, damit (auch) ich euer gedenke, und seid mir dankbar und nicht undankbar!"[11]

Der für seineeFrömmigkeit bekannte NisäbürT versteht dikr in diesem Vers als eine reflexive Tätigkeit des Muslims, wo Gott dem Gedenkenden antwortet. In seinem Korankommentar schreibt er, dass dikr in folgender Art und Weise praktiziert werden soll. Gottes ist mit Gehorsam zu gedenken, damit er den Menschen erhört. Seiner ist in dieser Welt zu gedenken, damit er der Menschen im Jenseits gedenkt. Außerdem ist seines an Plätzen der Abgeschiedenheit zu gedenken, damit er der Menschen in der Öffentlichkeit gedenkt. Gottes ist in guten Zeiten zu gedenken, damit er den Menschen in schlimmen Zeiten hilft. Das Gedenken erfolgt in Aufrichtigkeit, damit Gott den Menschen Seelenheil verleiht.[12]

Trotz der vielen Koranverse gibt es im Koran keine Stelle für eine explizite Beschreibung der äußeren Form, wie Gottes gedacht werden soll.[13] Die folgenden Stellen im Koran erlauben die Ausübung des dikr in einer beliebigen Körperhaltung, obwohl einige Korankommentatoren behaupten, dass es sich dabei um das rituelle Pflichtgebet (saläh) handelt. [14] „(Leute) die im Stehen, Sitzen oder Liegen Gottes gedenken und über die Erschaffung von Himmel und Erde nachsinnen [...]"[15] ; „ Wenn ihr nun das Gebet (im abgekürzten Verfahren) vollzogen habt, dann gedenket Gottes im Stehen, Sitzen oder Liegen! [...]"[16]

Ein weiterer Koranvers, wo die Aufforderung zum Gottgedenken wiederholt wird, bestärkt die Aussage, dass diese Art von Praxis einen hohen Stellenwert haben muss: „Ihr Gläubigen! Gedenket unablässig (w. viel) Gottes.". [17] Desweiteren definiert der folgende Vers weitere Charakteristika des dikr, wie die Ausübung in Demut und Furcht zugleich und in einer leisen Art und Weise: „ Und gedenke für dich persönlich deines Herrn in Demut und Furcht, und ohne es laut vernehmbar zu äußern, morgens und abends! [...]".[18]

Wichtigkeit des dikr

Neben den Aufforderungen im Koran, Gottes zu gedenken, gibt es einige Verse, die Gottesgedenkende von den anderen Menschen unterscheiden. So grenzt Vers 142 der vierten Sure Muslime, die Gottes viel gedenken von denjenigen ab, die seiner wenig oder gar nicht gedenken: [19] „Die Heuchler möchten Gott betrügen, während (in Wirklichkeit) er sie betrügt. Und wenn sie sich zum Gebet aufstellen, tun sie es nachlässig, wobei sie von den Leuten gesehen werden wollen. Ihre Gedanken sind kaum einmal auf Gott eingestellt (w. und sie gedenken Gott wenig)."[20]

Außerdem sind Gottesgedenkende für selig erklärt[21], deren Herzen durch das Gottgedenken Ruhe finden: „Diejenigen, die glauben, und deren Herz im Gedenken Gottes Ruhe findet - im Gedenken Gottes findet ja das Herz Ruhe-," [22]

[...]


[1] El Hassan bin Talal, Allianz der Kulturen, S. 1

[2] Äyatulläh GawädT ÄmulT. Dhikr and the Wisdom behind it, S.1-2

[3] Al-GazälT, Muhammad, lhyd‘ulüm ad-din, Kitäb al-adhkär wa'l-da‘awät, S. xxii

[4] EQ, Vol. 4, S. 230

[5] Nakamura, Invocations and Supplications, S. xxi

[6] Sure al-Baqarah 2:47

[7] Sure al-Baqarah 2:63

[8] Sure al-Baqarah 2:200

[9] Khoury; Der Koran; Bd. 2; S. 309

[10] Ayoub, The Qur'an and its Interpreters, Vol. 1, S. 208

[11] Sure al-Baqarah 2:152

[12] Ayoub, The Qur'an and ist Interpreters, Vol. 1, S. 176

[13] Nakamura, S. xxi

14 Khoury; Der Koran; Bd. 4; S. 319

15 Sure Äľlmrän 3:191

16 Sure al-Nisa 4:103

17 Sure al-Ahzäb 33:41

18 Sure al-A‘räf 7:205

19 vgl. Sure al-Ahzäb 33:21; 33:35 vgl. Sure al-Gum‘ a 62:10

20 Sure al-Nisa 4:142

21 EQ, Vol. 4, S. 229

22 Sure al-Racd 13:28

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Dhikr in klassisch islamischen Quellen und seine Praxis
Untertitel
Geschichte, Entwicklung und Bedeutung des Gottesgedenkens
Hochschule
Universität zu Köln  (Orientalisches Seminar)
Veranstaltung
Islamische Leittexte und Riten
Note
2,0
Autor
Jahr
2010
Seiten
19
Katalognummer
V159827
ISBN (eBook)
9783640727148
ISBN (Buch)
9783640727865
Dateigröße
546 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Dhikr, Dikr, Gottesgedenken, Islam, Theologie, Koran, Hadith, Prophetenüberlieferung, gazali, nisaburi, erzurumi, tirmidi, bayhaki, ibn maja, Muhammad, Allah, Quran, sufismus, Rumi
Arbeit zitieren
Bilal Erkin (Autor:in), 2010, Dhikr in klassisch islamischen Quellen und seine Praxis, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/159827

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