Heinrich Leopold Wagners "Die Kindermörderin". Motive für den Kindsmord


Seminararbeit, 2003

20 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

I. Geschichtlicher Hintergrund
1. Kindsmord in der Literatur
2. Gesellschaftliche Umstände
3. Kindsmord in der Gesetzgebung

II. Ursachen und Anlass des Kindsmord
1. Zufall oder nicht? – Der Anlass
2. Vergewaltigung oder Verführung
3. Evchens Ehrenparadoxon

Zusammenfassung

Literatur-/Quellenverzeichnis

Einleitung

Ein beliebtes Thema in der literarischen Bewegung des Sturm und Drang war der Kindsmord lediger, junger Mütter aus dem Bürgertum. Sowohl in Goethes „Faust“ als auch in Heinrich Leopold Wagners „Die Kindermörderin“ wird dies thematisiert, im ersteren eher mit nebensächlicher Bedeutung und im zweiten als beherrschender Gegenstand. In dieser Hausarbeit möchte ich zunächst die gesellschaftlichen und juristischen Hintergründe beleuchten, die der Kindsmordthematik zu solcher Popularität in der Literatur verholfen haben, während ich im zweiten Teil die individuellen Gründe des Kindsmord von Wagners Evchen aufzeigen möchte.

I. Geschichtlicher Hintergrund

1.Kindsmord in der Literatur

Obwohl das Trauerspiel „Die Kindermörderin“ von Heinrich Leopold Wagner das einzige Werk aus der Zeit des Sturm und Drang ist, welches dem Thema Kindsmord literaturgeschichtliche Bedeutung verliehen hat, was man an der vielfältigen Rezeption und an der Umarbeitung durch K.G. Lessing und durch Wagner selbst erkennen kann, haben sich viele andere, zum Teil sehr bekannte Autoren des Themas angenommen. Auch wenn Richard von Dülmen behauptete, dass „zur Aufschlüsselung der sozialen Wirklichkeit der Kindsmörderin im 18. Jahrhundert“ (vgl. B 6d: 1991, 104) der „schöne“ literarische Diskurs wenig beigetragen haben soll, so dienten die mannigfaltigen literarischen Arbeiten in verschiedenen Gattungen doch der Provokation der Inhaber politischer Macht und gesellschaftlicher Verantwortung.

Besonders in den 1770er Jahren entstanden viele Werke zum Thema: Wagners 1776 erschienener „Kindermörderin“ folgte im selben Jahr die Lenz’sche Erzählung „Zerbin oder die neuere Philosophie“, Schink veröffentlichte ein Jahr später sein Gedicht „Empfindungen einer unglücklich Verführten bey der Ermordung ihres Kindes“, 1782 wurde das von Stäutlin 1776 geschriebene Gedicht „Seltha, die Kindermörderin“ im Schwäbischen Musen-Almanach vorgelegt und 1777 erschien Buchholzs Erzählung „Bettina“. Sprickmann schrieb 1777 seine Ballade „Ida“ und im nächsten Jahr die Erzählung „Mariens Reden bei ihrer Trauung“, Meißner trat mit seinen beiden 1779 erschienenen Gedichten „Lied einer Gefallenen“ und „Die Mörderin“ genauso wie Bürger mit seiner Ballade „Des Pfarrers Tochter von Taubenhain“ (1782) dem Kreis der Kindsmord-Autoren bei.

1782 brachte Schiller sein Gedicht „Die Kindsmörderin“, eingebettet in eine Reihe Liebesgedicht wie „Laura am Klavier“ oder „Triumph der Liebe“, heraus und stellte damit eindeutig den Zusammenhand mit dem Motiv des sexuellen Begehren her. Wucherer widmete sich in seinem Drama „Julie, oder die gerettete Kinds-Mörderinn“ (1782) dem Thema, in den späten 1770er Jahren entstand auch noch „Das Nuß-Kernen, eine pfälzische Idylle“ von Maler Müller. (vgl. Luserke 1997: 226-228).

Abgesehen von Wagners Drama zählt heute Goethes „Urfaust“, der 1773-1775 entstanden ist, jedoch erst 1887 veröffentlicht wurde, zu den bekannteren Werken, die das Thema Kindsmord in sich aufnehmen. Goethe beschreibt, wie das Mädchen Gretchen von einem sozial wie auch intellektuell überlegenen Liebhaber, nämlich Faust, verführt und dann verlassen wird, wonach sie ein Kind zur Welt bringt und es ermordet, da in der damaligen Gesellschaft keine Akzeptanz für Mütter mit unehelichen Kindern vorhanden war. Das die Gestaltung des Wagner’schen Dramas ähnlich ausfällt, ist kein Zufall, denn offenbar gehen beide Werke auf das selbe historische Ereignis zurück: die Hinrichtung der Dienstmagd Susanna Margaretha Brandt am 14. Januar 1772 in Frankfurt, welcher Goethe offenbar beigewohnt hatte und mit hoher Wahrscheinlichkeit sogar Einsicht in die Akten der Verhöre hatte. Goethe traf Wagner danach in Straßburg, sie wurden Freunde und bald erfuhr Wagner von dessen Absichten bezüglich „Faust“, besonders was die Figur des Gretchens betraf. In „Dichtung und Wahrheit“ (Bd. 1, Seite 647) schreibt Goethe 1812/1813 dann folgendes:

„Er fasste das Sujet auf, und benutzte es für ein Trauerspiel, „Die Kindesmörderin“. Es war das erste Mal, dass mir jemand etwas wegschnappte; es verdross mich, ohne dass ich’s ihm nachgetragen hätte.“

Der junge Goethe war also der Auffassung, von Wagner der Kindsmord-Thematik beraubt worden zu sein, gab ihm dies später auch zu spüren, indem er mit der Macht seines Renommees den Sturm und Drang Kollegen nicht immer gut weg kommen ließ. Dies hat sich offensichtlich auch auf das Ansehen Wagners in der Literaturgeschichte ausgewirkt, er wird oftmals nur als Nebenfigur wahrgenommen und selten genannt.

(vgl. Karthaus 2000: 115-116)

Wenn man „Faust I“ und „Die Kindermörderin“ vergleicht, leuchten die Parallelen ein: In beiden Werken werden die Mütter durch einen Schlaftrunk ausgeschaltet, beide Mütter sterben letztendlich, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Die Rolle des Teufels übernimmt bei Wagner der böswillige Leutnant Hasenpoth, beide Mädchen, Evchen sowie Gretchen, fallen in der Kirche in Ohnmacht. Bemerkenswert ist auch, dass die Namen der beiden Mädchen im Diminuitiv angegeben werden, wahrscheinlich, um sie als unschuldig verführte Opfer zu präsentieren. Beide haben auch das Pech, dass ihre Verehrer, Faust ebenso wie von Gröningseck zu ihrer Rettung zu spät kommen, während die Mädchen ihr Schicksal schon selbst besiegelt haben. (vgl. Karthaus 2000: 119)

Trotz der vielen Parallelen zeigt sich, das Goethe nicht ganz richtig lag, was den bloßen „Diebstahl“ seiner Thematik betrifft. Dies belegt ein anderer Rechtsfall aus Straßburg: Im Oktober 1775 wurde nämlich das 22jährige Mädchen Maria Sophia Leypold, Tochter eines Metzgermeisters aus gutem Hause, des Kindsmords angeklagt und zum Tode verurteilt. Im Januar 1776 wird sie jedoch von Ludwig XVI. begnadigt, bekommt eine lebenslängliche Gefängnisstrafe auferlegt und wird am 14. August 1788 wieder auf freien Fuß gesetzt. Offensichtlich haben dabei mildernde Umstände gewirkt, man nahm an, dass es sich um eine Todgeburt handelte, im Zusammenhang mit verheimlichter Schwangerschaft. Frappierend sind die Ähnlichkeiten mit Wagners „Kindermörderin“: Das Mädchen stammt genau wie Evchen aus einer Metzgerfamilie und wird am Ende von Ludwig XIV. begnadigt – und eben darum will von Gröningseck für Evchen bitten. (Karthaus 2000: 115-116)

2. Gesellschaftliche Umstände

Wenn ein Phänomen wie der Kindsmord in einer literarischen Epoche eine derart große Tragweite besitzt, dann können dahinter nicht nur subjektive Beweggründe stecken, sondern es müssen fast zwangsläufig auch gesellschaftliche Umstände dafür grundlegend sein.

Im 18. Jahrhundert trägt die gesellschaftliche Unterteilung in Adel, Bürgertum und Bauern wohl die Verantwortung für den häufigen Kindsmord, der allerdings fast nur in der bürgerlichen Schicht auftrat. Der Grund dafür ist vor allem die ehrliche Geburt, das gesellschaftliche Gebot, dass ein Kind nur in einer rechtmäßigen Ehe geboren werden sollte, was indirekt auch bedeutet, dass den Frauen im 18. Jahrhundert Geschlechtsverkehr nur innerhalb der Ehe gestattet war. Dieses Gebot galt jedoch nur für das Bürgertum, dass sich auf diese Weise von den sexuell eher freizügigen Adligen abheben und sich gleichzeitig auch sozial wie ökonomische über die ländliche Bevölkerung erheben wollte.

Allein um Mitglied in einer Zunft zu werden, musste die betreffende Person den Nachweis erbringen, innerhalb einer einwandfreien, bürgerlichen Ehe geboren worden zu sein, schon der Verdacht auf eine uneheliche Abstammung konnte jegliche Berufsaussicht von vorne herein vernichten. Noch härter war diese Regelung für die bürgerlichen Frauen und Mädchen: Um eine ehrbare Familie zu gründen, musste die Frau oft ihre Jungfernschaft unter Beweis stellen, was nicht gerade einfach ist.

[...]

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Heinrich Leopold Wagners "Die Kindermörderin". Motive für den Kindsmord
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg  (Deutsches Seminar II)
Veranstaltung
Proseminar Sturm und Drang
Note
1,7
Autor
Jahr
2003
Seiten
20
Katalognummer
V17891
ISBN (eBook)
9783638223447
ISBN (Buch)
9783638937337
Dateigröße
535 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Motive, Kindsmord, Wagners, Kindermörderin, Proseminar, Sturm, Drang
Arbeit zitieren
M.A. Holger Hoppe (Autor:in), 2003, Heinrich Leopold Wagners "Die Kindermörderin". Motive für den Kindsmord, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/17891

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