Diesseits von Babel - Eine Betrachtung von Theorie und Praxis Sozialer Arbeit


Seminararbeit, 2010

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Theorie und Praxis Sozialer Arbeit
1.1. Wozu eine Theorie der Sozialen Arbeit?
1.2. Theorie und/oder/versus Praxis?

2. Lebensweltorientierte Soziale Arbeit
2.1. Lebenswelt- und Alltagsorientierung
2.2. Theoretische Hintergründe
2.3. Grundansatz, Konsequenzen und Strukturmaximen

3. Praxisbezug

4. Fazit

5. Quellenverzeichnis

Einleitung

Um es vorweg zunehmen: der Titel der Arbeit „Diesseits von Babel?“ wird in Anleh- nung und höchster Wertschätzung gegenüber den Autoren Miller, Duncan und Hubb- le sowie ihrem Werk „Jenseits von Babel - Wege zu einer gemeinsamen Sprache in der Psychotherapie“1verwendet. Miller et al. stellen hier mit Bezug auf empirische Untersuchungen dar, dass Therapieergebnisse unabhängig vom Therapieansatz und trotz unterschiedlicher, eben babylonisch verwirrend erscheinender, Fachsprachen unzähliger und sich abgrenzender Psychotherapiemodelle, zu fünfundachtzig Pro- zent auf die gleichen Wirkfaktoren zurück zu führen sind.2Dementsprechend fordern sie engagiert eine Annäherung der Fachdiskussion und eine Besinnung auf die wirk- lich wirksamen Gemeinsamkeiten.3

Dass verschiedene theoretische Modelle der Sozialen Arbeit existieren, war mir be- reits vor dem Verfassen der vorliegenden Arbeit klar. Als ich mich für das Thema entschied, dachte ich die Aufgabe absolvieren zu können, indem ich einfach eine Theorie darstelle.

Erst bei der Recherche zum Thema wurde mir deutlich, wie viele Theorien existieren, wie umstritten sie teilweise diskutiert werden und wie unterschiedlich das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis konstruiert wird. Ebenso war mir nicht bewusst, dass sich für Praktiker die Frage nach der Notwendigkeit einer eigenen Theorie Sozialer Arbeit stellen könnte. Auf Grund einer entsprechenden Zusatzqualifikation bestand mein eigener theoretischer Referenzpunkt als Handlungsgrundlage in der Umsetzung verschiedener sozialarbeiterischer Methoden im personenzentrierten Konzept nach Rogers. Wenn dieses in praxi bisher funktionierte, erscheint eine weitere Auseinandersetzung mit Theorien Sozialer Arbeit eher überflüssig.

Ob diese Haltung auch aus anderen Perspektiven heraus ausreichend erscheint, oder ob Soziale Arbeit eine eigenständige Theorie benötigt und wenn ja, welche Bedeutung diese für die Praxis hat, soll in der folgenden Arbeit erörtert werden. Im Anschluss an diese Fragstellungen wird die Theorie des lebensweltorientierten Ansatzes mit Bezug auf ein Fallbeispiel dargestellt, bevor Im Fazit eine Zusammenfassung und Reflexion der Ergebnisse erfolgt.

1. Theorie und Praxis Sozialer Arbeit

Bei der Betrachtung der Theorie(n) Sozialer Arbeit scheint es angezeigt, als erstes den allgemein bekannten und landläufig genutzten Begriff „Theorie“ in seiner seman- tischen Bedeutung zu klären. Die Bundeszentrale politischer Bildung bezeichnet Theorie als „das systematische, nach bestimmten Prinzipien geordnete Beobachten und Erklären der Realität. Theorie schafft Erkenntnisse, die als Instrument zur Ord- nung und Bewältigung des Alltags (Praxis) eingesetzt werden können.“4

Bezogen auf die Soziale Arbeit müsste demnach Theorie die Realität sozialarbeiteri- scher Praxis mit allen Beteiligten, Handlungen und Interaktionen etc. gleichsam be- obachten und (Un-) Wirksamkeit erklären, als auch Wissen, Konzepte und Methoden bereitstellen, welche prognostisch geeignet erscheinen, in der Praxis zielführend wirksam zu sein. Anders ausgedrückt, sollte die Theorie die Grundlage für die Praxis beschreiben und deren Handlungsergebnisse empirisch erheben, evaluieren und reflektieren, um die so gewonnenen Erkenntnisse in die weitere Theoriebildung ein- zubinden.

Eine genauere Betrachtung des aktuellen Diskurses zur Theorie der Sozialen Arbeit offenbart, dass dieses offensichtlich nicht so einfach ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Im Gegenteil; es werden nicht nur verschiedene, sich teilweise ergänzende, aber auch gegensätzliche Theorien diskutiert, es herrscht auch Uneinigkeit über das Verhältnis von Praxis und Theorie bzw. darüber, was eigentlich Praxis oder Theorie ist. Bevor jedoch der Blick auf die Vielfalt dieser unterschiedlichen Standpunkte ge- richtet wird, soll einleitend die Frage nach dem „Wozu?“ einer Theorie der Sozialen Arbeit erörtert werden.

1.1. Wozu eine Theorie der Sozialen Arbeit?

Soziale Arbeit bezieht sich auf unterschiedlichste Theorien verschiedenster Diszipli- nen, wie etwa der Psychologie und Pädagogik oder der Gesellschafts- und Rechts- wissenschaften, um nur einige zu nennen.5Im Hinblick auf die damit verbundene Interdisziplinarität, oder wie Kleve fordert der zu schaffenden Transdisziplinarität,6sowie der fast unüberschaubaren Vielfalt potentieller Tätigkeitsfelder und Aufgaben- bereiche, läuft die Soziale Arbeit dabei Gefahr, insbesondere von außen ausschließ- lich als eklektisches Sammelbecken unterschiedlichster Theorien, Ansätze und Methoden, ohne eigene disziplinäre und professionelle Identität betrachtet und verstan den zu werden.

Die Soziale Arbeit steckt in dem Dilemma, implizit gleichzeitig für alles Mögliche zu- ständig zu sein, aber andererseits in keinem Gebiet und bei kaum einer Problemlage eine explizite und spezialisierte Monopolstellung, Spezialisierung oder auch nur Au- tonomie zu besitzen.7Darüber hinaus agiert Soziale Arbeit im Alltagskontext ihrer Klientel, bezieht sich oft auf alltägliche Problemstellungen und zielt dabei auch noch vorrangig auf die Initiierung von Selbsthilfepotentialen ab.8Insgesamt stellt sich die Soziale Arbeit damit nicht besonders prestigeträchtig dar und provoziert die Frage nach ihrer Legitimation als eigenständiges disziplinäres Forschungs- und professio- nelles Handlungsfeld.

Andererseits scheint keine andere Disziplin resp. Profession in der Lage oder gewillt, sich den Aufträgen sowie Anliegen von Auftraggebern und Klientel Sozialer Arbeit anzunehmen. Um Handlungsfähigkeit herzustellen bzw. zu erhalten scheint es also dringend angezeigt, die eigene Identität und damit auch die Legitimation Sozialer Arbeit immer wieder vor dem historischen Hintergrund sich verändernder soziokultureller Bedingungen zu reproduzieren und zu aktualisieren. Es erscheint notwendig in diese Betrachtungen die Fragen nach dem eigentlichen Gegenstand Sozialer Arbeit als Profession, den beteiligten Akteuren, gesellschaftlichen und persönlichen Handlungsanlässen und Handlungsstrategien sowie ihrer wissenschaftlichen Grundlagen und praktischen Methoden einzubeziehen.9Herwig-Lempp führt zum Begriff „Profession“ in der Sozialen Arbeit aus, dass dieser klären sollte:

- „dass es sich um eine Tätigkeit handelt, die bestimmte Kenntnisse und Fähigkei ten verlangt,

- dass damit Anerkennung für die Qualität der geleisteten Arbeit ausgedrückt bzw. dass ein bestimmter Qualitätsstandard erwartet werden kann und

- dass jemand durch die Tätigkeit seinen Lebensunterhalt verdient.“10

Als weitere Kennzeichen von Professionalität führt Herwig-Lempp „die Ausbildung, die Methoden und Werkzeuge der Profession, die fachliche Reflexion, die Organisa- tion, das Geld, die Kundenorientierung, die Auftragsklärung, die Qualität der Arbeit,

die Grenzen der Zuständigkeit“11an. Damit wird noch einmal die Notwendigkeit für eine originäre Theorie der Sozialen Arbeit aus der Perspektive des Bedarfs einer aktuellen, der Auftragslage und Bedingungen gerecht werdenden theoretischen Verortung und Grundlage des praktischen Handelns betont.

Die Fremdwahrnehmung des Charakters Sozialer Arbeit und damit ihrer Seriosität sowie Wertigkeit, scheint eng verbunden mit der Einschätzung und Beachtung sozialer Problemlagen durch andere Disziplinen und Professionen, die Gesellschaft, Auftraggeber, Klientel etc.

Während die Soziale Arbeit also eine Theorie benötigt, um Identität zu bilden, benötigt sie diese Identität, um Handlungswirksamkeit, auch im Sinn einer gesellschaftlichen Anerkennung und der Möglichkeit sozialpolitischer Mitgestaltung, zu begründen. Das diese Fremdwahrnehmung oft eher diffuser Art ist und Raum für Interpretationen sowie Attributionen aus der jeweiligen Betrachtungsperspektive lässt, wird bei einem kurzen und exemplarischen Blick auf ein divergent erscheinendes Selbstverständnis innerhalb des eigenen Theoriediskurses verständlich.

Wie oben dargestellt sieht Herwig-Lempp den Charakter der eigenständigen Profes- sion auch darin begründet, dass Soziale Arbeit Auftraggeber besitzt, welche sich de- ren besonderer Fähigkeiten und Kenntnisse bedienen und dass die Qualität der ge- leisteten Arbeit, auch hinsichtlich der Entlohnung der Fachkräfte, Anerkennung fin- det.

Callo sieht dagegen die Soziale Arbeit „durch ihren altruistischen Ansatz theoretisch wie praktisch herausgefordert, Konzepte zur Unterstützung von Menschen mit Be- nachteiligungen zu formulieren und umzusetzen.“12Diese Aussage lässt sich durch- aus so interpretieren, dass Soziale Arbeit keine expliziten Auftraggeber benötigt, sondern vielmehr aus sich selbst und einem moralischen Anspruch heraus zum Hel- fen verpflichtet sei. Wird „altruistisch“ dazu passend mit ‚selbstlos, ohne eigenen Nut- zen handelnd’ übersetzt, zeigt sich ein eklatanter Widerspruch zu Herwig-Lempps Verständnis von Profession. Aus dieser Perspektive heraus wäre dem Anspruch auf Anerkennung einer altruistischen Leistung ein unlösbares Paradoxon immanent. Da- rüber hinaus stellt „Selbst-losigkeit“ keine gute Basis für die Begründung einer eige- nen Identität dar, welche auch von außen wahrgenommen und akzeptiert werden will. Es bleibt zu vermuten, dass Callo unter „altruistisch“ vielmehr ein Handeln im Sinne des Gemeinwohls verstanden wissen will. Dennoch beinhaltet die Wahl des Begriffes die Gefahr, dass Soziale Arbeit, ohne diese notwendig erscheinende Erklä- rung, weniger als Profession mit theoretischem Hintergrund, sondern als moralische Verpflichtung ohne eigenen Gestaltungsanspruch verstanden wird. Kleve geht noch einen Schritt weiter und bezeichnet Soziale Arbeit als Profession, welche über keine speziellen Eigenschaften verfügt.13Wenngleich er hiermit in einem postmodernen Verständnis Entwicklungsmöglichkeiten eröffnen will, scheint doch auch diese Darstellung ohne thematische Vertiefung wenig geeignet, Identität zu entwickeln und zu repräsentieren.

Was an dieser Stelle bleibt ist zu bemerken, dass das Wesen der Sozialen Arbeit, ihr Selbstverständnis, ihre Identität, die Handlungswirksamkeit und Methodenauswahl nicht ausschließlich über Theorie zu reproduzieren ist. Gerade im gesellschaftlichen, öffentlichen Bewusstsein sowie in der Beziehung zwischen Individuen kommt dieses der Praxis zu, welche sich günstigstenfalls reflektierend auf theoretische Erkenntnisse bezieht. Letztendlich entscheidet sich hier auch ein Stück weit, ob die interdisziplinären theoretischen Bezüge in Ansatz, Intervention und Methodik eklektisch im Sinn einer unreflektierten Auswahl oder aber multimodal in sinnstiftender Verbindung verwirklicht werden. Anders ausgedrückt entscheidet sich in der Praxis, welchen konkreten Nutzen das theoretische Wissen besitzt.14Es scheint also lohnenswert, einen Blick auf das Verhältnis von Theorie und Praxis zu werfen.

1.2. Theorie und/oder/versus Praxis?

In der Theoriediskussion der Sozialen Arbeit wird oftmals zwischen Theorie als wissenschaftlicher Disziplin und Praxis als Profession unterschieden.15Die Grenze und Beziehung zwischen Theorie und Praxis erscheint hierbei im aktuellen Diskurs umstritten und letztendlich unklar.

Während bspw. Herwig-Lempp der Überzeugung ist, dass bereits eine Interpretation von Situationen mit folgender Handlungsauswahl auf Grund einer prognostischen Antizipation der Folgen des Handelns eine Theorie bzw. einen theoretischen Ansatz darstellt,16geht May noch einen Schritt weiter, indem er aus dieser Perspektive her- aus der Praxis die Funktion einer Theorieproduktion für die Praxis selbst zu-schreibt.17

[...]


1Vgl. Miller, Duncan, Hubble, 2000, o.A.

2Vgl. a.a.O., S. 16

3Vgl. a.a.O., passim

4Schubert/Klein, 2006, o.A.

5Vgl. exemplarisch Callo, 2005, S. 23

6Vgl. Kleve, 2003, S. 13

7Vgl. Galuske, 2009, S. 39

8Vgl. a.a.O., S. 40 f

9Vgl. Herwig-Lempp, 2009, S. 189

10A.a.O., S. 192

11A.a.O., S. 193

12Callo, 2005, S. IV

13Vgl. Herwig-Lempp, 2009, S. 189

14Vgl. Birgmeier, 2009, S. 30

15Vgl. exemplarisch Kleve, 2003, S. 6 f

16Vgl. Herwig-Lempp, 2009, S. 189

17Vgl. May, 2009, S. 22

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Diesseits von Babel - Eine Betrachtung von Theorie und Praxis Sozialer Arbeit
Hochschule
Hochschule Fulda
Note
1,0
Autor
Jahr
2010
Seiten
19
Katalognummer
V192206
ISBN (eBook)
9783656170891
ISBN (Buch)
9783656171737
Dateigröße
443 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Theorie Sozialer Arbeit, Praxis Sozialer Arbeit, Theorie und Praxis Sozialer Arbeit, Lebensweltorientierung, Disziplin und Profession Sozialer Arbeit, Handlungstheorie Sozialer Arbeit, Praxistheorie
Arbeit zitieren
Torsten Wendt (Autor:in), 2010, Diesseits von Babel - Eine Betrachtung von Theorie und Praxis Sozialer Arbeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/192206

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