Leseprobe
Der Ehrbegriff im Roman La vida de Lazarillo de Tormes y de sus fortunas y adversidades
Diese Hausarbeit wird sich mit dem Begriff der Ehre im Schelmenroman La vida de Lazarillo de Tormes y de sus fortunas y adversidades beschäftigen, da dieser dort, und generell in der novela siglodoresca, einen großen Stellenwert einnimmt. Der Roman erschien 1554 in mehreren Ausgaben und war sehr beliebt; der Autor ist jedoch bis heute unbekannt. Der Lazarillo de Tormes gehört zum Genre des Schelmenromans (novela picaresca) und wurde als das erste Buch dieser Gattung definiert. An weiterer Stelle wird der Roman mit Lazarillo abgekürzt werden. In diesem Roman wird ein besonderer Fokus auf die Ehre gerichtet, aber auch auf den vermeintlichen sozialen Aufstieg, womit sich auch diese Hausarbeit auseinander setzen wird.
Der Begriff der Ehre, ist ein stets präsentes Motiv im Lazarillo. Lazarillo und seine Familie sind nicht besonders ehrbar, da sie einem niedrigen Stand angehörten und kein hohes Ansehen in der Gesellschaft hatten. Als Lazarillo, unter anderem, Diener des Blinden wird, kann man auch nicht von sozialer Ehre sprechen und auch später gelingt der soziale Aufstieg Lazarillo nicht. Lazarillo hat sozial gesehen keine Ehre und erlangt diese auch bis zum Ende des Romans nicht. Um den Rahmen dieser Hausarbeit nicht zu sprengen, wird besonders auf seinen dritten Herrn, welcher ein armer hidalgo ist, eingegangen, da er im Lazarillo eine wichtige Rolle spielt und am Besten den Zwang, dem die damalige Gesellschaft ausgesetzt war, Ehre zu erlangen oder Ehre zu wahren, repräsentiert. Der hidalgo macht der Gesellschaft und auch Lazarillo etwas vor um seine Ehre und sein Ansehen zu wahren. Hierauf wird auch in besonderem Maße eingegangen werden, da in dem dritten Traktat des Romans, in dem der hidalgo auftritt, die Bedeutung der Ehre der damaligen Zeit besonders zum Vorschein kommt.
Diese Hausarbeit wird auch auf Lazarillos übrige Herren eingehen und diese werden im Bezug auf Ehre und Hypokrisie kritisch betrachtet werden. Dann wird auf die vermeintliche Synonymie der Termini honor und honra eingegangen und sie wird geklärt werden. Anschließend wird im Fazit zusammengefasst werden, was die Figuren des Romans über die damalige spanische Gesellschaft aussagen und ob der Schlusssatz „[...] estaba en mi prosperidad y en la cumbre de toda buena fortuna.“ (Rico, Lazarillo de Tormes, 160) ernst gemeint sein kann.
1. Siglo de Oro und der Ehrbegriff im damaligen Spanien
Das S iglo de Oro, auch das Goldene Zeitalter genannt, stellt eine besondere Epoche in der spanischen Literaturgeschichte dar, und „[wird] von der Literatur des 16. auf die des 17. Jh.s ausgedehnt [...]“. Diese Epoche beginnt ungefähr 1580 und endet ungefähr 1680. Das Siglo de Oro schließt die Renaissance und den Barock ein und gilt als die Blütezeit Spaniens, die mit dem anschließenden Verfall verbunden ist. Americo Castro definierte das Siglo de Oro als edad conflictiva, ein Begriff, der diese Epoche sicherlich besser beschreibt, da Renaissance und Barock Gegensätze bilden und unterschiedlich orientierte Epochen sind. Einige Repräsentanten des Goldenen Zeitalters waren Calderón, Lope und Tirso. Der Lazarillo de Tormes gehört zu den wichtigsten Romanen des Siglo de Oro (Stenzel, Einführung in die spanische Literaturwissenschaft, 125ff.).
Des Weiteren könnte man als Chronotopos des Romans die Schlachten von Gelves definieren (1510 und 1520) und die Cortes von Toldedo (1525 und 1538). Der Kontext der Epoche geht mit der sozioökonomischen damaligen Situation einher, welche auch im Lazarillo thematisiert werden. Unter der Herrschaft von Carlos dem V, welcher an Schlachten gegen Frankreich beteiligt war, litt das Volk unter einer der schlimmsten Krisen des Jahrhunderts, was dazu führte, dass immer mehr Menschen in die Städte einwanderten und die extreme Hungersnot und Unterernährung des einfachen Volkes verstärkt wurden (Cecilia, Maza, Guía de lectura El Lazarillo de Tormes, 8). In den Vordergrund der damaligen Gesellschaft rückte die Ehre und die Reinheit des Blutes, la limpieza de sangre wie auch das folgende Zitat belegt:
[…], el pais padeció una de las peores crisis del siglo y una migración masiva del campo a la ciudad, que favoreció las situaciones de pobreza extrema y la desnutrición de las clases populares [...]. Se concedió muchísima importancia a la honra y a la limpieza de sangre y hubo enfrentamientos por ello.
Este ambiente y intolerancia y de orgullo hacia los origenes del individuo cultivó una aspiración enfermiza por pertenecer a la nobleza y por ser identificado como «cristiano viejo». Estas coordenadas ideológicas respecto a la honra y a las apariencias, […] encuentran su correspondencia en la sociedad retratada en el Lazarillo. (Cecilia, Maza, Guía de lectura El Lazarillo de Tormes, 8).
Der Ehrbegriff spielte zu dieser Zeit ebenfalls eine große Rolle in der spanischen Literaturgeschichte und war in etlichen Werken präsent. Es war schwer, noch einmal eine Epoche zu identifizieren, die sich so stark auf ein spezifisches Thema fokussierte „Sería difícil identificar otra manifestación o género literario que se concentrara en un solo tema con la misma intensidad. Sin llegar a los extremos de la Comedia, la honra juega también un papel decisivo en la ficción picaresca.“ (Del Ama, Honra y opinión pública en la novela picaresca española). Des Weiteren fungiert der Ehrbegriff nicht nur als ein literarisches Thema, sondern stellte zu dieser Zeit ein gesellschaftliches Problem dar und repräsentierte die Wertvorstellung der damaligen spanischen Gesellschaft. Castro definierte dieses Phänomen der Ehre als eine rigide Hierarchie, die man auf die pureza de sangre zurückführen konnte, also dass jemand reinen Blutes war und echter Christ, also ein cristiano viejo „Américo Castro (1972b) describe tal sistema como una rígida jerarquía de castas que podía reducirse, en última instancia, a la nobleza familiar - o pureza de sangre, como era expresión corriente en la época.“ (Del Ama, Honra y opinión pública en la novela picaresca española) .
Die Ehre im damaligen Spanien setzte sich aus mehreren Komponenten zusammen. Eine Frau zum Beispiel war ehrbar, wenn sie zum Zeitpunkt der Ehe noch Jungfrau war und auch während der Ehe ihrem Mann nicht treu blieb. Umgekehrt, verlor ein Mann seine Ehre, wenn eine Frau seines Hauses, unabhängig davon ob Ehefrau, Mutter, Schwester oder Tochter, die Ehre durch ihre Taten beschmutzte und somit sich selbst und ihren Mann unehrbar machte. Ein bekannter Roman, der dies thematisiert ist Calderóns Drama El médico de su honra. Außerdem war man ehrbar, wenn man cristiano viejo, Spanier und reinen Blutes, auch limpieza- oder pureza de sangre genannt, war. Des Weiteren, besaß ein Mann viel Ehre, wenn er sich durch besondere Heldentaten auszeichnete oder durch einen besonders hohen Stand in der Gesellschaft:
Frecuentemente el honor-excelencia consiste en la sangre, o en el linaje, términos que pueden designar tanto la nobleza como la limpieza. Otra excelencia es la que confiere el nuevo linaje de tener y que se ve subrayada por asociaciones de honra y honor con dinero, hacienda, interés, provecho o riquezas. También la excelencia del individuo se relaciona con el poder que posee, y mando, autoridad, dignidad, preeminencia indican una forma superior del honor inmanente (Chauchadis, honor y honra o cómo se comete un error en lexicología, 81). Der Lazarillo stellt die damalige spanische Gesellschaft authentisch, wenn auch satirisch, dar, was näher am Beispiel des escudero belegt werden soll.
2. Ehre im Lazarillo de Tormes
Der Ehrbegriff lässt sich im Lazarillo stets wieder finden. Besonders auffällig wird das Konzept der Ehre im dritten Traktat des Romans, in dem Lazarillo seinem dritten Herrn, einem escudero, begegnet. Ein escudero, wird unter anderem, nach dem diccionario de la Real Academica Española, als jemand definiert, der nobel und vornehm ist und als jemand, der mit einer angesehenen Familie verwandt ist oder aus einem angesehenen Hause kommt, und auch als solcher behandelt wird „m. Hombre que por su sangre es noble y distinguido. ; m. Hombre que está emparentado con una familia o casa ilustre, y reconocido y tratado como tal.“( http://www.rae.es ). Der escudero im Lazarillo war ein hidalgo, also ein verarmter Ritter, abstammend aus einem verarmten Adel.
Lazarillo trifft seinen dritten Herrn in Toledo, der gepflegt und gut gekleidet die Straße entlang kommt und Lazarillo anspricht, ob er einen Herrn suche. Daraufhin nimmt er Lazarillo in seinen Dienst auf und der Junge dankt Gott dafür den hidalgo getroffen zu haben „[...] dando gracias a Dios por lo que le oí, y también que me parescía, según su hábito y continente, ser el que yo había menester.“ (Rico, Lazarillo de Tormes, 82). Doch Lazarillo muss bald feststellen, dass er sich vom Schein hat täuschen lassen. Denn sein Herr ist nicht der, für den Lazarillo ihn hält und er besitzt auch nicht sonderlich viel. Während Lazarillo sich an seinem ersten Tag als Bediensteter des hidalgo mit ihm auf dem Markt aufhält, und dieser zu Lazarillos Bedauern nichts einkauft, hofft Lazarillo, dass sein Herr jemand sein muss, der alles schon daheim hat und Einkäufe im Großen erledigt. Der Knabe bemerkt, beim betreten des Hauses, dass der hidalgo kaum Einrichtung besitzt „Todo lo que yo había visto eran paredes, sin ver en ella silleta, ni tajo, ni banco, ni mesa, ni aun tal arcaz como el de marras.“ (Rico, Lazarillo de Tormes, 84).
Trotzdem versucht der hidalgo nach außen hin den Schein zu wahren und somit auch seine Ehre zu wahren, denn seine Ehre ist das einzige, was ihm noch geblieben ist und für ihn von großer Bedeutung. Dies wird an mehreren Stellen des dritten Traktats sichtbar. Der hidalgo versucht Lazarillo zu verheimlichen, dass er ein armer Mann ist, der nichts besitzt und Hunger leiden muss, was an folgender Aussage deutlich wird „ -Pues, aunque de mañana, yo había almorzado, y cuando ansí como algo, hágote saber que hasta la noche me estoy ansí. Por eso, pásate como pudieres, que después cenaremos.“ (Rico, Lazarillo de Tormes, 86). Um nicht zuzugeben, dass er nichts zu Essen hat und sich auch kein Essen leisten kann, gibt er vor satt zu sein und erst am Abend wieder zu speisen, damit er sein Ansehen nicht verliert. Als Lazarillo ihm sagt, dass er beim Essen sehr genügsam ist, ergänzt der hidalgo „¡Porque el hartar es de los puercos y el comer regladamente es de los hombres de bien!“ (Rico, Lazarillo de Tormes, 86); eine Aussage, mit welcher der hidalgo noch einmal versucht zu verheimlichen, dass er nichts zu essen hat und stattdessen behauptet, dass nur Schweine viel essen und dass die anständigen Menschen dabei Maßhalten. An einer anderen Stelle sagt Lazarillo: „Y súbese por la calle arriba con tan gentil semblante y continente, que quien no le conosciera pensara ser muy cercano pariente al Conde de Arcos, o a lo menos camarero que le daba de vestir.“ (Rico, Lazarillo de Tormes, 94). Es wird erneut deutlich, dass der hidalgo nur nach außen hin wohlhabend zu sein scheint, und das ist auch sein Ziel – den Schein zu wahren – eine Sache, die auch den spanischen Ehrbegriff sehr passend reflektiert, nämlich Schein und Sein, honra y honor. Diese Täuschung spricht Lazarillo auch an „¿A quién no engañará aquella buena disposición y razonable capa y sayo?“ (Rico, Lazarillo de Tormes, 96). Im Folgenden kritisiert Lazarillo im Hinblick auf seinen neuen Herrn den übersteigerten Ehrbegriff „[...] cuántos de aquestos debéis Vós tener por el mundo derramados, que padescen por la negra que llaman honra lo que por Vós no sufrirán!“ (Rico, Lazarillo de Tormes, 96) und „[...] mas que abajara un poco su fantasía con lo mucho que subía su necesidad. Mas, según me parece, es regla ya entre ellos usada y guardada. Aunque no haya cornado de trueco, ha de andar el birrete en su lugar.“ (Rico, Lazarillo de Tormes, 108). Lazarillo betont hier, dass sein neuer Herr sicherlich nicht der Einzige ist, der leiden muss, um seine Ehre zu wahren und dass Menschen nicht einmal für Gott so viel Leid auf sich nehmen würden wie es manche für ihre Ehre tun, und um den Schein zu wahren sogar zu Grunde gehen würden, was noch einmal darstellt wie überzogen und wie wichtig die Ehre für viele Menschen der damaligen Zeit war.
[...]