Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Ausgangslage
2.1. Gesellschaftliche Befindlichkeit im Deutschland der Weimarer Jahre
2.2. Kulturkritik in Fritz Langs Film Metropolis
2.2.1 Soziale Kritik: Klassenunterschiede und Arbeiterfrage
2.2.3 Technik-Kritik
3. Machtkonzepte in Michel Foucaults Überwachen und Strafen und Elias Canettis Masse und Macht
4. Aspekte der Macht in Metropolis
4.1. Technik, Raum und Macht
4.2. Charisma und Macht
4.3. Masse und Macht
4.4. Vergleich der Machtträger
5. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Und Block an Block zu einem Berg gedrückt,
Von Dampfrohr, Turm und Bahn noch überbrückt,
Von Draht, der Netz an Netze spinnt.
[…]
Das ist das große Labyrinth,
Dadurch das Schicksal Mensch um Menschen spült.
[…]
Im Fahrstuhlschacht, im Bau am Krahn,
Treppauf und ab, durch Straßen über Plätze,
Auf Wagen, Rad und Straßenbahn:
Da schäumt des Menschenstrudels wirre Hetze.[1]
So beschreibt Gerrit Engelke, Expressionist und Arbeiterdichter, im Jahr 1912 das Großstadtleben in seinem Gedicht "Stadt". Es geht um Entindividualisierung und Vermassung, Technisierung, moderne Arbeitsweisen, Verkehr, Beschleunigung - Themen, die in vielen expressionistischen Werken behandelt werden. So auch im "letzten expressionistischen Film",[2] Fritz Langs Metropolis aus dem Jahr 1927.
In Metropolis steht eine Stadt im Mittelpunkt, die durch ihre imposante Architektur und ihren Lichterglanz besticht, die aber ebenso von Zeitdruck, Technologie, Verkehr und Menschenmassen bestimmt ist wie Engelkes "großes Labyrinth". Langs Film setzt sich kritisch mit zeitgenössischen Themen wie der modernen Technik, den Klassenunterschieden oder dem Großstadtleben auseinander. Im Zusammenhang mit diesen Themen treten immer auch Macht-Ohnmacht-Konstellationen zutage. Die Figuren in Metropolis besitzen Macht oder müssen sich ihr unterwerfen.
Die vorliegende Seminararbeit will zunächst auf kulturkritische Elemente in Metropolis eingehen und anschließend die Machtkonstellationen im Film näher untersuchen. Die Kernfrage lautet: Wie äußert sich Macht in Metropolis und wer ist im Besitz von Macht?
Als Grundlage der Analyse werden Machtkonzeptionen aus Elias Canettis Masse und Macht und Michel Foucaults Überwachen und Strafen herangezogen. Mithilfe ihrer Machttheorien sollen die bedeutsamsten Machtträger von Metropolis und die Natur ihrer Macht näher beleuchtet werden. Um den vorgesehenen Umfang zu wahren, konzentriert sich die Arbeit auf diejenigen Machtaspekte des Films, die in Verbindung zu seiner Kulturkritik zu sehen sind, während andere interessante Gesichtspunkte nicht oder nur knapp behandelt werden können. Für die Interpretation wird die restaurierte Filmfassung von Enno Patalas genutzt.[3]
2. Ausgangslage
Metropolis ist ein Produkt seiner Zeit. Der Film greift Motive, Themen und Konflikte der Weimarer Jahre auf und verarbeitet sie zu einem modernen Märchen, einer "Romanze für das Zeitalter der Maschinen", die von Klassenunterschieden, Technisierung, Revolution und Versöhnung erzählt und die Moral enthält, dass der "Mittler zwischen Hirn und Händen" das Herz sein müsse.[4]
2.1. Gesellschaftliche Befindlichkeit im Deutschland der Weimarer
Jahre
Mit dem Ersten Weltkrieg veränderte sich die deutsche Gesellschaft grundlegend. Helmut Lethen beschreibt die Zwischenkriegszeit in seinen Verhaltenslehren der Kälte als ein Zeitalter der Kälte, Härte und Sachlichkeit. Nach dem verlorenen Krieg und den daraus resultierenden politischen und sozialen Umwälzungen erschien vielen Deutschen das Leben sinnlos und leer.[5] Das Kaiserreich war nach Kriegsende durch die Weimarer Republik ersetzt worden, ohne dass das demokratische System das Vertrauen der Bevölkerung fand. Unterschiedliche politische Gesinnungen befanden sich in den 1920er Jahren im Widerstreit und Versuche, rechte oder linke Ideale gewaltsam umzusetzen, waren keine Seltenheit. Die gescheiterten Revolutionen und Massenaufstände der Zeit schlagen sich auch in Metropolis nieder, wenn die Arbeiter gegen ihre Unterjochung durch den Industrieboss Fredersen und die Maschinen aufbegehren.
Vor diesem Hintergrund scheint es nicht verwunderlich, dass in dieser Zeit eine Art Führersehnsucht entstand; die Menschen wünschten sich jemanden, der sie aus ihrer Lage befreite und ihnen wieder Hoffnung auf eine bessere Zukunft gab.[6] "Das desorientierte Subjekt", schreibt Lethen, "bedurfte der 'äußeren Stimme', die ihm sagte, wo es langging."[7] Auch dieser Wunsch nach einer Führerfigur spiegelt sich in Fritz Langs Film wieder. Das Mädchen Maria wird von den Arbeitern als Prophetin verehrt, die ihnen eine bessere Zukunft verheißt.
Doch die Weimarer Jahre waren nicht nur geprägt von Nachkriegselend und politischer Unsicherheit. Ab 1924 erholte sich die deutsche Wirtschaft, es ging wieder bergauf. Das Schlagwort der "Goldenen Zwanziger" ruft Assoziationen wie Charleston, Jazz und Bubikopf hervor. Die Menschen vergnügten sich im Nachtleben der Städte, "exotische" Musikstile wurden populär, die (Damen-)Mode wurde durch gekürzte Rocklängen, tiefe Dekolletés und Bubikopf revolutioniert. Modellhaft für diese Zeit sind die Gemälde von Otto Dix, wie sein "Großstadt"-Triptychon (1927/28).[8] Dessen Mittelteil stellt das Innere eines Nachtclub dar: Eine Jazzband spielt, Paare tanzen, die Frauen tragen kurze Haarschnitte, viel Schmuck und extravagante Kleider.
Dass die 1920er Jahre aber nicht nur "golden" glänzten, zeigt Dix recht deutlich auf den beiden Seitenflügeln seines Triptychons. Auf dem linken Flügel gehen Prostituierte ihrem Gewerbe nach. Im Vordergrund stützt sich ein Kriegsversehrter auf seine Krücken, doch er bittet vergeblich um Aufmerksamkeit. Der rechte Flügel zeigt eine Straßenszene: Pelzgeschmückte Damen gehen an hochaufgetürmten Gebäuden vorbei; ein weiterer Kriegsinvalide hockt seitlich auf dem Boden, doch er geht im Treiben der Großstadt gänzlich unter. Dix prangert auf seinem Gemälde die Dekadenz der 1920er Jahre an. Die Menschen auf seinem Triptychon amüsieren sich, doch ihre Gesichter verweisen auf die Leere und Oberflächlichkeit hinter den großstädtischen Vergnügungen. Auch auf die sexuelle Freizügigkeit der Großstadtmenschen spielen Dix' Figuren an - nicht nur die Prostituieren stellen ihre Reize offen zur Schau. Wer wie die gebrochenen Kriegsheimkehrer nicht in diese dekadent-glitzernde Großstadtwelt passt, wird an den Rand gedrängt und ignoriert.
Dix' Darstellungen des Großstadtlebens der 1920er Jahre lassen sich gut mit Lethens Beschreibungen des kalten, sinnentleerten sozialen Klimas der Weimarer Zeit in Verbindung setzen. Die von der Front zurückgekehrten Soldaten waren durch ihre Kriegserlebnisse stark geprägt worden, viele litten an Kriegsneurosen.[9] Sie fanden sich jedoch häufig, wie auf Dix Gemälde, als Außenseiter der Gesellschaft wieder, denn sie verkörperten die Verluste und die Beschämung der vergangenen Jahre. "Wer diesem sozialen Klima der Beschämung entgehen und sich unterscheiden wollte, musste Attitüden der 'Kälte' einsetzen und sich eine Verhaltenslehre zulegen", schreibt Lethen.[10] Die Personen auf Dix Bild haben sich solche "Attitüden der Kälte" zugelegt. Sie wollen die Invaliden, die an den traumatischen Krieg und die deutsche Niederlage erinnern, nicht sehen. Das Nachtleben, die Mode, die moderne Städtearchitektur bringen die gewünschte Ablenkung. All das findet sich auch in Metropolis wieder - ein verrucht-glamouröser Nachtclub, grandiose Architektur nach dem Vorbild Manhattans, eine lichterfunkelnde, nie zum Stillstand kommende Stadt.
Die Stadt und der Stadtmensch waren bereits vor dem Krieg beliebte Sujets der Expressionisten gewesen und in den 1920er Jahren setzte sich die Stadtdarstellung in Malerei und Literatur fort. Dabei wurden vor allem die Schattenseiten der modernen Großstädte thematisiert. Während Gerrit Engelkes oben zitiertes Gedicht die Unpersönlichkeit und Technisierung der modernen Stadt beschreibt, zeichnet Georg Heyms berühmtes Gedicht vom "Gott der Stadt" ein wesentlich dämonischeres Bild: Der schreckliche Gott hockt inmitten der Städte, die "um ihn her" knien, ihm huldigen und von ihm mit Feuersbrunst bestraft werden, wenn ihn der Zorn überkommt.[11] In ähnlicher Weise zeigte der Maler Heinrich Kley riesenhafte Dämonen in Industriedarstellungen wie "Die Kruppschen Teufel" oder "Der gebändigte Vulkan" (beide 1911), wobei aber hier die Ungeheuer nicht als Bedrohung angesehen werden, sondern als besänftigte Naturkräfte und Allegorien der Schwerindustrie.[12] Nichtsdestotrotz ließ sich Fritz Lang, der Kley während seines Kunststudiums in München kennengelernt hatte, von diesen Industrie- und Technologie-Dämonen inspirieren, um die "Herzmaschine" von Metropolis vor Freders Augen in einen menschenverschlingenden Moloch zu verwandeln.[13] Bei Lang ist die Technik also keineswegs gebändigt, sondern stellt eine Bedrohung für die Arbeiter dar.
Die Situation der Arbeiter steht in Metropolis im Mittelpunkt. Die Szenen, die die Arbeiter beim Schichtwechsel, beim Schuften an den Maschinen oder bei der Rückkehr in ihre triste, unterirdische Wohnsiedlung zeigen, können als soziale Kritik verstanden werden. In den Jahren der Weimarer Republik mischte sich der Stolz auf den technischen Fortschritt mit Unbehagen über die Lage der Arbeiter und die Klassenunterschiede in der Gesellschaft. Vielen Kritikern ging Langs Behandlung der sozialen Frage jedoch nicht weit genug. Andere befürchteten eine Anheizung der sozialen Spannungen durch den Film.[14] Das Motto des Films "Mittler zwischen Hirn und Händen muss das Herz sein" stieß dagegen vielen Zeitgenossen als zu kitschig auf.
2.2. Kulturkritik in Fritz Langs Film Metropolis
Neben seinen zeitgenössischen Bezügen weist Metropolis zahlreiche kulturkritische Elemente auf. Im Folgenden sollen die Gesellschafts-, die Großstadt- und die Technik-Kritik des Films untersucht werden.
2.2.1 Soziale Kritik: Klassenunterschiede und Arbeiterfrage
Dem Filmzuschauer wird gleich zu Beginn die soziale Ordnung der Stadt Metropolis präsentiert. Es handelt sich um eine Zweiklassengesellschaft, die aus Bürgern und Arbeitern besteht. Verdeutlicht wird dies durch verschiedene Gegenüberstellungen:
Den deutlichsten Gegensatz macht die vertikale Raumordnung aus. Während die Bürger "oben" leben, arbeiten und sich vergnügen, hausen die Arbeiter "tief unter der Erde". Wie die Maschinen, die die Stadt mit Energie versorgen, sind die Hände, die die Stadt erbaut haben und nun durch ihren Dienst an den Maschinen am Leben erhalten, in eine unterirdische Welt verbannt. Sie sind unsichtbar für die Bewohner der Oberstadt, die sich lieber zerstreuen als sich mit der Not der Arbeiter auseinanderzusetzen.
[...]
[1] Gerrit Engelke. „Stadt“ (1912) <www.kerber-net.de/literatur/deutsch/lyrik/expression/stadt_engelke_int.htm>. (28. 03. 2012).
[2] Vgl. Enno Patalas: "Der Fall Metropolis". DVD-Extras. In: Metropolis (1926). Fritz Lang (Regie). DVD, 118 Min., Wiesbaden: Friedrich-Murnau-Stiftung, 2003.
[3] Metropolis (1926). Fritz Lang (Regie). DVD, 118 Min., Wiesbaden: Friedrich-Murnau-Stiftung, 2003.
[4] Thomas Elsaesser. Metropolis. Der Filmklassiker von Fritz Lang. Hamburg/ Wien, 2000, S. 77.
[5] Vgl. Lethen, Helmut. Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen. Frankfurt/M., ²1994, S. 25.
[6] Vgl. Eva Horn. „Die doppelte Maria. Weibliche Führerschaft in Fritz Langs Metropolis.“ Stefan Krammer, Marion Löffler (Hrsg). Staat in Unordnung? Geschlechterperspektiven auf Deutschland und Österreich zwischen den Weltkriegen. Wien, 2011, S. 32.
[7] Lethen, S. 64.
[8] Otto Dix. "Großstadt (Triptychon)" (1927/28). <http://daco-verlag.de/catalog/popup_image.php?pID=462>. (29.02.2012).
[9] Vgl. Anton Kaes. Shell Shock Cinema: Weimar Culture and the Wounds of War. Princeton, 2009, S. 3.
[10] Lethen, S. 26.
[11] Georg Heym. „Der Gott der Stadt“ (1911). http://gutenberg.spiegel.de/buch/2980/30. (28.03.2012).
[12] Daniel Kothenschulte. Die Zukunftsruine. Metropolis 2010 - Fritz Langs restaurierter Klassiker. Berlin, 2010, Abbildungen (o.S.).
[13] Vgl. Ebd., S. 24.
[14] Vgl. Elsaesser, S. 62-63.