Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Warum wird Spekulation als schädlich angesehen?
3 Die Tobin Tax von James Tobin
3.1 Sand in das Getriebe internationaler Finanzmärkte
3.2 Übergang von der Tobin Tax zur Finanztransaktionssteuer
4 Die Finanztransaktionssteuer
4.1 Instrumentarium
4.2 Erhoffte Wirkung
4.3 Problematiken
4.3.1 Höhe des Steuersatzes und Art der Bemessungsgrundlage
4.3.2 Breite der Bemessungsgrundlage und Ausweichhandlungen
4.3.3 Bewertungsschwierigkeiten
4.3.4 Marktmikrostruktur und Zusatzlasten der Besteuerung
4.4 Fundamentale Kritik
4.5 Zusammenfassung: Auswirkungen auf das Handelsvolumen, die Marktliquidität und die Preisvolatilität
5 Praktische Erfahrungen
5.1 Schweden
5.2 Chile
5.3 Vereinigtes Königreich
6 Ausblick und alternative Konzepte
7 Fazit
Appendix
Literaturverzeichnis
Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
Tabelle 1: Befragung britischer Devisenhändler
Tabelle 2: Entwicklung des Transaktionsvolumens
Abbildung 1: Wirkungsweise der doppelstöckigen FTS von Spahn
Abbildung 2: Volatilitäts-Volumen-Raum
Abbildung 3: Folgen einer FTS im Volatilitäts-Volumen-Raum
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
Im Zuge der aktuellen Krise wurde das öffentliche Interesse an einer Finanztransaktionssteuer erneut entfacht. Das zugrunde liegende Konzept der Tobin-Steuer ist jedoch nicht neu und geht auf den namensgebenden Ökonom James Tobin zurück. Bei einer Finanztransaktionssteuer handelt es sich im klassischen Fall um eine Wertsteuer auf Finanzmarkttransaktionen, welche mit einem geringen Steuersatz und einer weit gefassten Bemessungsgrundlage agiert. Die Begründung für Eingriffe in das Marktgeschehen war damals wie heute dieselbe: Die Finanzmärkte üben einen negativen externen Effekt auf die Realwirtschaft aus. Während Tobin mit seiner Steuer jedoch lediglich die Devisenmärkte im Auge hatte, bezieht sich die Finanztransaktionssteuern auch auf andere Märkte, wie den Aktienmarkt, den Anleihenmarkt und den Markt für Finanzderivate.
Diese Arbeit versucht die Intuitionen, Effekte und Gefahren von Finanztransaktionssteuern herauszuarbeiten und wiegt dabei Argumente für und gegen solche Steuern ab. Dafür wird eingehend das Konzept der Tobin-Steuer erläutert und dieses dann auf eine allgemeine Finanztransaktionssteuer übertragen. Nachdem die Vor- und Nachteile sowie die grundlegende Kritik an diesem Konzept vorgestellt wurde, werden ausgewählt Praxisbeispiele vorgestellt.
Da das zugrunde liegende Konzept von Tobin sehr simpel und einleuchtend scheint, ist die Tobin- Steuer bzw. die Finanztransaktionssteuer immer wieder Bestandteil populistischer Argumentationen. Das scheinbar von der Realwirtschaft abgekoppelte und unaufhaltsame Wachstum des Handelsvolumens gibt den Befürwortern der Steuer zusätzlich Rückenwind. Umso wichtiger ist es, die eigene Meinung auf eine abgewogene Argumentation aufzubauen und sich auch den Gefahren und negativen Auswirkungen einer Finanztransaktionssteuer bewusst zu sein.
Im Laufe der Arbeit wird deutlich werden, dass sich einige Annahmen der Befürworter nicht verallgemeinem lassen. So sind viele Punkte in der Theorie nachwievor nicht eindeutig bewiesen. Gerade wegen der nicht vorhandenen theoretischen Evidenz ist es sehr wichtig, die Wirkungsweise der Steuer vollkommen zu durchschauen, um unterschiedliche Folgen auf unterschiedlichen Märkten antizipieren zu können.
Bei der Fragestellung handelt es sich um ein viel und ausgiebig diskutiertes Themengebiet mit einer großen Auswahl sehr lesenswerter Literatur. Viele der Diskussionen können im Rahmen dieser Arbeit leider nur angeschnitten werden. Für weiterreichende sowie detailliertere Argumentationen zu einzelnen Aspekten sind deshalb die jeweils angegebenen Quellen zu empfehlen.
Administrative Fragen bezüglich der Verwaltung und Verteilung des Steueraufkommens sowie juristische und politische Problematiken sind nicht Teil dieser Arbeit, wenngleich diese Punkte in der Diskussion eine ausgesprochen wichtige Rolle spielen.
2 Warum wird Spekulation als schädlich angesehen?
Um die Frage zu beantworten, ob eine Tobin-Steuer - beziehungsweise Finanztransaktionssteuer (engl. Securities Transaction Tax) - Spekulationen auf den Finanzmärkten einschränken kann, ist wichtig, dass der Begriff „Spekulation“ richtig abgegrenzt wird. Dabei muss zwischen verschiedenen Aktivitäten, die auf den Finanzmärkten zu beobachten sind, unterschieden werden. Letzten Endes interessiert uns vor allem die Art von Spekulation, die einen negativen externen Effekt auf die Realwirtschaft ausübt. Diese Art von schadhafter Spekulation soll schließlich unterbunden oder der externe Effekt internalisiert werden.
Dabei hilft es wenig, wenn das schlichte Transaktionsvolumen dieser schadhaften Spekulationen reduziert wird, der externe Effekt aber in selber Höhe - oder sogar verstärkt - vorliegt. Es geht also vorrangig darum den Schaden, den bestimmte Arten von Spekulationen auslösen, abzuwenden.
Der Begriff Spekulation wird vor allem im Zusammenhang mit Transaktionen gewählt, die in keiner Verbindungen zu realen Geschäften stehen, eher von kurzfristiger Natur sind, die Handelsposition also nur relativ kurz aufrecht gehalten wird, und bei denen die Kauf- oder Verkaufsentscheidung aufgrund von Chartanalysen und Charttechnik gefallen ist und nicht aufgrund von den zugrundeliegenden Fundamentaldaten.[1] Dass nicht immer alle Punkte erfüllt sein müssen, werden wir weiter unten sehen. Die folgenden Ausführungen gelten dabei sowohl für Devisenmärkte als auch für Wertpapiermärkte, Rohstoffmärkte und vielen mehr.
Die Folge schadhafter spekulativen Transaktionen ist, dass der Preis eines Finanztitels teilweise stark von seinem „richtigen“ Wert abweicht. Unter seinem „richtigen“ Wert ist der Preis zu verstehen, der sich unter perfekten Marktbedingungen aufgrund der Fundamentaldaten des Titels ergeben würde. Fundamentaldaten sind beispielsweise der diskontierte zukünftige Zahlungsströme, Nennwert, der Verschuldungsgrad bzw. die Eigenkapitalquote, das Kurs-Gewinn-Verhältnis, die Risikostruktur sowie die (Rest-)Laufzeit aber auch schwer quantifizierbare Eigenschaften wie besondere marktbeeinflussende Ereignisse[2] oder Erwartungsanpassungen aufgrund von Änderungen in den Fundamentaldaten.
Für viele Marktteilnehmer ist es zu teuer und aufwendig alle erforderlichen Informationen über die Fundamentaldaten zu beschaffen und auszuwerten. Sie können diesen „richtigen“ Wert daraufhin nicht korrekt bestimmen und stützen ihre Entscheidung deshalb auf das Verhalten anderer Marktteilnehmer oder auf aufgeschnappte Marktgerüchte und ihre unvollständigen Informationen.
Das Handeln aufgrund von solchen Gerüchten und mangelhaften Informationen wird noise trading genannt. Dieser - zu Deutsch - „Lärm“ überschallt dabei oftmals die Aussagen der Fundamentaldaten. Eine „richtige“ Preisbildung kann so nicht erfolgen.
Im Gegensatz zu einer Sportwette, bei dem der Ausgang des Spiels von dem Tippverhalten der Sportfans nicht beeinflusst wird, können Marktakteure den Ausgang ihres Spiels durchaus selbst mit beeinflussen. Sind nämlich viele noise trader auf einem Markt, so entsteht ein Anstoß zu einem Trend, dem sich wiederum viele andere Marktakteure aufgrund ihrerseits mangelnder Informationen anschließen. Dieses Herdenverhalten, das sogenannte herding, wird zumeist durch Charttechniken ausgelöst und verstärkt den anfänglichen Trend, welcher an sich in manchen Fällen nur auf noise basierte.
Teilweise, wie zum Beispiel im Fall der Peso-Krise in Mexiko im Jahr 1994, entsteht ein solches Herdenverhalten ohne dass im Nachhinein ein signifikanter Auslöser für die spekulativen Kapitalbewegungen gefunden werden kann. Aufgrund der Trivialität ihrer Auslöser wird die Peso-Krise deshalb auch „Tequilla-Krise“ genannt wird.[3]
Nach Davidson (1997) kann bereits ein winziges Anzeichen von Schwäche innerhalb der Fundamentaldaten im Laufe von „Nanosekunden“ rasante Preisentwicklungen auslösen. Minimale Neubewertungen werden aufgrund von dem beschriebenen „Lemming-gleichem“ Verhalten der Akteure um ein vielfaches verstärkt, bis zu dem Punkt, in dem sich diese Entwicklungen sogar selbst rechtfertigen, indem sie - wie in Mexiko - ohne wirkliche Begründungen tatsächlich Krisen auslösen. In solchen Fällen kann von einer „selbsterfüllenden Prophezeiung“[4] gesprochen werden.
Dieses Verhalten wird noch dadurch beschleunigt, dass nun jeder Marktteilnehmer versucht, das Verhalten seiner Mitstreiter so früh wie möglich zu antizipieren, um möglichst stark von eintretenden Kursveränderungen zu profitieren. Keynes nennt in seiner The General Theory of Employment, Interest and Money von 1936 dieses Verhalten, bei dem die eigene Entscheidung ausschließlich von dem antizipierten Verhalten der Konkurrenten abhängig gemacht wird, einen Beauty-Contest.[5]
Auf diese Art und Weise reagieren die Märkte sehr sensibel auf kleinste Informationshäppchen. Während die dadurch erhöhte Volatilität, in Form von Schwankungen um einen Wert, per se schon negative Auswirkungen auf die Realwirtschaft ausübt, so ist der gravierende Aspekt jedoch die Falschausrichtung der Preise in Folge von spekulativen Kapitalbewegungen, bei denen der Preis signifikant von seinem fundamentalen Wert abweicht.[6] Anstatt für eine effektive Allokation von Ressourcen zu sorgen, verzerren die Märkte so die Ressourcenverteilung was bis hin zu Wirtschafts- und Finanzkrisen führen kann. Die These „market-always-knows-best“ kann somit, auch mit Blick auf die Peso-Krise, kaum noch gehalten werden.[7]
Auch Summers & Summers (1989) teilen die Ansicht, dass die Finanzmärkte ihren sozialen Funktionen in Form von Risikoallokation, Ressourcenverteilung und Informationsbereitstellung nicht mehr auf eine effiziente Art und Weise nachkommen. Stattdessen sorgt die „exzessive Spekulation“ an den Märkten für erhöhte Volatilität, wodurch die Märkte zusätzlich Risiko kreieren anstatt es zu beseitigen (Schwankungen um einen Wert), für verzerrte Allokationen von Investitionsentscheidungen und für einen geringeren Informationswert der Preise (Falschausrichtung der Preise). Anstatt für Stabilität zu sorgen, hätten die Finanzmärkte dadurch eine destabilisierende Wirkung auf die Realwirtschaft.
Desweiteren scheint, so die Autoren, die Markteffizienzhypothese nicht mehr zu gelten. Die Markteffizienzhypothese besagt, dass alle Marktteilnehmer, die auf einen Wert spekulieren der nicht dem Fundamentalwert entspricht, ihr Geld verlieren müssten und dadurch von dem Markt verdrängt werden. Ursache für die Außerkraftsetzung der Hypothese scheint unter anderem zu sein, dass es Sinn machen kann, auf einen Fortbestand einer spekulativen Blase zu wetten.
Einen klaren Hinweis darauf, dass Marktpreise von etwas anderem bestimmt werden als von den Fundamentaldaten sehen Summers & Summers darin, dass sich die Volatilität an der Börse zwischen einem Dienstag und einem Donnerstag mehr als halbiert hat, wenn die Börse am Mittwoch geschlossen hatte.[8] Die Schlussfolgerung daraus hieße, dass die Marktaktivität an Sich für Volatilität sorgt - nicht Änderungen der Fundamentaldaten. Dieses Handeln, welches also auf etwas anderem als den Fundamentaldaten basiert, sei wiederum das besagte noise trading.
Als Nachweis für den Einfluss der noise trader auf Finanzmärkte und die scheinbar daraus resultierende Willkür der Preisentwicklung kann die Tatsache gesehen werden, dass kein empirisches Modell dazu in der Lage ist Wechselkursveränderungen auf Basis von Kaufkraftparitäten akkurat voraus zu sagen. Das Modell, dessen Vorhersage am ehesten Zutrifft, ist ein einfacher Random Walk.[9]
Summers & Summers unterscheiden des Weiteren zwischen zwei unterschiedlichen Arten von Spekulation. Dies ist für die Beurteilung von schadhafter Spekulation von hoher Bedeutung, denn nur eine Art erhöht die Volatilität.
Die erste Art, das value investing, hat eine negative, also vermindernde, Auswirkung auf die Volatilität. Diese Spekulation wird von Händlern durchgeführt, welche aufgrund von guter Informationsausstattung und einer zutreffenden Analyse erkannt haben, dass ein Preis ungleich seinem Fundamentalwert ist. Die Händler folgen nun der Börsenregel „buy low, sell high“ und bewirken, vorausgesetzt diese Strategie wird von ausreichend vielen Marktteilnehmern durchgeführt, dass sich der Preis zurück zu seinem relativ stabilem Fundamentalwert bewegt. Sobald der Preis um seinen Fundamentalwert schwankt, führt diese Strategie also dazu, dass die Abweichung reduziert wird.
Die andere Art der Spekulation sei das besagte noise trading und herding, um welche es im Kern dieser Arbeit geht. Diese Strategie hat, wie weiter oben bereits dargestellt, einen positiven, also einen erhöhenden Effekt auf die Volatilität. Händler dieser Gattung folgen einer anderen Börsenregel, nämlich „the trend is your friend“. Sie versuchen Trends in Kursentwicklungen möglichst früh zu erkennen um möglichst lange von der Trendfortführung zu profitieren, ehe sich dieser umkehrt. Da Fundamentaldaten im Kalkül dieser Händler keine Rolle spielen, hat ihr Verhalten zur Folge, dass sich der Preis vom Fundamentalwert entfernen kann. Sie liefern also einen Teil des Nährbodens für das value investing.
Was den Zeithorizont betrifft, so wird es beim value investing eine Frage von Monaten oder Jahren sein, bis sich die Strategie auszahlt. Der Zeithorizont von noise tradern ist deutlich kleiner, denn sie müssen es schaffen von dem Trend abzuspringen bevor dieser zu Ende geht - die Blase also platzt - um ihre Gewinne zu realisieren bevor sich der Preis wieder dem Fundamentalwert annähert.[10]
Es ist also wichtig zu erkennen, dass nicht jede Art von Spekulation unbedingt schädlich für den Markt ist. So gibt es durchaus einige Akteure und Strategien, die man zu Recht als Spekulanten bzw. Spekulation bezeichnen kann, welche jedoch für den Markt wichtige Funktionen ausüben.
Beide Arten sind allerdings davon gekennzeichnet, dass die jeweilige Handelsposition so lange offen gehalten wird, bis sich der gewünschte Gewinn eingestellt hat. Gerade sogenannte HedgeFonds verstärken dabei oftmals den Wirkungsgrad ihrer Spekulation durch den Einsatz bestimmter Hebelprodukte. Das Ergebnis jedweder Spekulation kann dabei selbstverständlich in beide Richtungen ausgehen.[11] Gerade was das Spekulieren von Hedge-Fonds mit starker Hebelwirkung betrifft, so sind der „Quasi-Zusammenbruch“ des Hedge-Fonds LTCM 1998 sowie die erfolgreiche Spekulation George Soros‘ gegen das britische Pfund 1992 zwei Beispiele für die extremen Folgen hochriskanter Spekulationen und deren hohe Kosten für die Gesellschaft im Falle einer erfolgslosen (LTCM), aber auch im Falle einer erfolgreichen Spekulation (Soros).[12]
Ziel regulatorischer Maßnahmen wie der Finanztransaktionssteuer (FTS) ist es, den Markt in seiner sozialen Funktion zu stärken. Nach Summers & Summers also vor allem die Informationsfunktion sowie die effiziente Ressourcen- und Risikoallokation. Es sollte demnach versucht werden noise aus dem Markt zu nehmen, um so das noise trading zu reduzieren, damit die Marktpreise stärker an den Fundamentaldaten orientiert sind.
Welchen Stellenwert Fundamentaldaten im Gegensatz zu noise und herding für die Preisentwicklungen bestimmter Zeithorizonte haben, wird aus erster Hand bei einer Befragung unter britischen Devisenhändlern aus dem Jahr 1998 deutlich. Den Händler wurde gesagt: „select the single most important factor that determines exchange rate movements in each of the three horizons listed.“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Befragung britischer Devisenhändler[13]
Aus der Befragung lässt sich eindeutig die Erkenntnis ziehen, die das Unterscheiden in value investing und noise trading schon suggeriert hat: Fundamentaldaten spielen bei kurzfristigen Preisentwicklungen so gut wie keine Rolle. Hier bilden sich die Preise allein durch die beschriebenen Vorgänge des noise trading (hier „Over-Reaction to news“ und „Speculative forces“) sowie des herding (hier „Bandwagon effects“ und „Technical Trading“). Langfristig kann der Preisbildungsprozess durch das value investing also durchaus zu effizienten Preisen führen, während dies für die kurze Frist aufgrund des hohen Anteils an noise und herding jedoch nicht gesagt werden kann.[14] Vor allem die Dominanz von „Speculative forces“ und des „Technical Tradings“ in der mittleren Frist ist besorgniserregend, da sich hier der Schaden für die Volkswirtschaft bereits eingestellt haben kann, ehe sich die Preise wieder an ihren Fundamentaldaten orientieren.
Die dargestellten Beobachtungen lassen es fraglich erscheinen, ob man nach wie vor von funktionierenden und effizienten Finanzmärkten, welche eine wichtige Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum sind, sprechen kann. Der Verdacht des Marktversagens liegt nahe. Zu diesem Entschluss kommt auch James Tobin in seinem Proposal for Internatinal Monetary Reform aus dem Jahre 1978. Laut Tobin (1978) scheinen die Finanzmärkte oberflächlich extrem effizient zu agieren. Hinweise dafür seien niedrige Transaktionskosten, schnelle Kommunikation, rasche weltweite Preisbildung und die Verfügbarkeit vielseitiger Anlagestrategien. Es liegt auf der Hand, dass sich diese Art der Effizienz im Laufe der Jahrzehnte seit der Veröffentlichung des Vorschlags noch um ein vielfaches gesteigert hat. In einem tieferen ökonomischen Sinn sei diese Effizienz allerdings sehr zweifelhaft.
Viele prominente Ökonomen, wie Stiglitz (1989), Davidson (1997), Summers & Summers (1989) und natürlich Tobin (1978), halten es deswegen für sinnvoll regulatorische Maßnahmen auf den Finanzmärkten einzuführen, da der gesellschaftliche Nutzen solcher Maßnahmen deren Kosten übersteige. Jedoch herrscht zwischen den Ökonomen über die Art der Regulation und deren Folgen keine Einigkeit.
3 Die Tobin Tax von James Tobin
Die ersten konkreten Vorschläge für regulatorische Maßnahmen auf Finanzmärkten, genauer gesagt auf Devisenmärkten, kamen von James Tobin, aufbauend auf Milton Keynes‘ The General Theory of Employment, Interest and Money.[15] Bereits erwähnt wurde sein Vorschlag für eine Reform des Internationalen Geldsystems. Einige Jahre zuvor, 1974, formulierte Tobin schon einmal derartige Vorschläge im Rahmen seiner Janeway Lectures an der Princeton University[16]. Diese Vorstöße blieben, zu Tobins Bedauern, zunächst relativ unbeachtet. Öffentliches Interesse kam erst im Zuge von Währungskrisen auf und erlosch ebenso schnell wieder, wenn die Krise aus den Schlagzeilen verschwunden war.[17]
Historisch fielen Tobins ersten Äußerungen in den Zeitraum nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems 1973 und der daraus folgenden Einführung flexibler Wechselkurse. Zuvor bestand ein anpassungsfähiges Fixkursregime mit dem US-Dollar als Leitwährung, welcher wiederum mit einem festen Goldstandart hinterlegt war.
In seinem Appell von 1978 führt Tobin aus, dass einige Jahre nach der Umstellung auf flexible Wechselkurse erste Bedenken wach würden. So könnten nationale Volkswirtschaften kaum noch auf die massiv wachsenden internationalen Kapitalbewegungen reagieren, ohne dabei große Opfer ihrer nationalen Politik in Sachen Beschäftigung, Produktion und Inflation hinnehmen zu müssen. Eine autonome Wirtschafts- und Finanzpolitik sei vor dem Hintergrund dieser Risiken stark eingeschränkt. Besonders Spekulationen auf die Wechselkurse hätten ernsthafte und ökonomisch leidvolle Konsequenzen auf die Realwirtschaft.
Ursächlich für diese begrenzte Handlungsfähigkeit ist ein „Trilemma“, auch „Magisches Dreieck“ genannt. Das Trilemma besagt, dass es für eine Volkswirtschaft mittels Politikmaßnahmen nur möglich sei, maximal zwei der drei Ziele - Offenheit der internationalen Kapitalmärkte, monetäre Autonomie und stabile nominale Wechselkurse - gleichzeitig zu erreichen.[18] Die Umstellung auf flexible Wechselkurse hat für die Offenheit der internationalen Kapitalmärkte gesorgt. Will eine Volkswirtschaft nun die Autonomie ihrer Finanzpolitik nicht aufgeben, muss sie akzeptieren, dass der Wechselkurs in wirtschaftlich unvorteilhafte Regionen gerät. Auf der anderen Seite ist eine autonome Finanzpolitik nicht möglich, wenn der Wechselkurs auf einem bestimmten Niveau gehalten werden soll.[19] Um diesem Trilemma zu entgehen gäbe es laut Tobin zwei Wege:
Der Erste sei eine weltweit einheitliche Währung. Somit würde sich die Wechselkursproblematik lösen. Dies sei allerdings in vorhersehbarer Zukunft nicht denkbar, deswegen bliebe nur der zweite Weg. Dieser sei es, die Finanzmärkte in ihrer Macht zu schwächen, also die Offenheit der internationalen Kapitalmärkte zu reduzieren. Sein Vorschlag ist: „to throw sand in the wheels of our excessively efficient international money markets“.[20]
Das Ziel sei dabei ausdrücklich nicht, die Verbindungen zwischen Volkswirtschaften gänzlich zu kappen. Lediglich die „exzessive Effizienz der Finanzmärkte“ sollte beschnitten werden. So würden die starken Schwankungen, also die Volatilität der Wechselkurse, reduziert werden. Dies wäre gewährleistet, wenn sich die Wechselkurse wieder mehr an ihren Fundamentaldaten orientieren würden. Eine zweite Konsequenz dieser Maßnahme wäre, dass so die Wirksamkeit makroökonomischer Politikmaßnahmen erhöht werden würde.[21]
Steueraufkommen zu generieren war dabei nicht Tobins Motivation.[22] Im Idealfall würde die Steuer sogar gar kein Aufkommen generieren, da das Aufkommen, wie bei jeder Lenkungszwecknorm, mit dem Grad der Zielerreichung abnimmt.[23]
3.1 Sand in das Getriebe internationaler Finanzmärkte
Tobin (1978) schlägt vor, eine weltweit gültige Steuer auf Devisentransaktionen zu erheben, welche dort von den jeweiligen nationalen Regierungen eingezogen wird, wo die Transaktion stattgefunden hat, unabhängig davon, welche Währungen involviert waren. Die Steuer sollte einen Steuersatz von maximal 1% haben, so dass Regierungen nach wie vor Konsequenzen schlechter Politikmaßnahmen zu befürchten hätten. Die Einführung dieser Ad-Valorem-Steuer, also einer Steuer proportional zur Größe der Transaktion, würde eine Erhöhung der Transaktionskosten bedeuten, somit den Markt in seiner Effizienz beschneiden und gleichzeitig Akteure stärker belasten, die sich auf kurzfristige Investitionshorizonte spezialisiert haben - ein Anzeichen, wie in Kapitel 2 dargestellt, für Spekulation und einer Orientierung eher an noise als an den Fundamentaldaten.
Auf diese Weise würde kurzfristiges, nicht an Fundamentaldaten orientiertes noise trading stärker aus dem Markt gedrängt werden als langfristiges value investing, um Summers Notation hier fortzuführen. Die Wechselkursvolatilität würde aufgrund des gesunkenen Volumens reduziert werden und die internationalen Finanzmärkte würden stabiler werden. Eine Steuer von 1% würde beispielsweise einen Händler, der jeden Tag einen sogenannten round trip, also den Kauf und Verkauf einer Devise, durchführt, mit 730% seines eingesetzten Kapitals pro Jahr belasten. Ein Händler, der die Devise dagegen zu Jahresanfang gekauft hat und dann ein Jahr hält, würde nur mit 2% p.a. belastet.[24]
Idealerweise würde die Steuer zudem nur solche Transaktionen treffen, die in keinem direkten Zusammenhang mit realwirtschaftlichen Geschäften, wie z.B. Finanzierung von Importen und Exporten oder Direktinvestitionen, stehen. Transaktionen diesbezüglich zu unterscheiden würde allerdings, auch wegen möglichen Täuschungsversuchen, einen massiven Kontrollaufwand mit sich bringen. Deswegen akzeptiert Tobin eine Besteuerung aller Devisentransaktion.[25]
Zusammengefasst lautet Tobins Kalkül also wie folgt: Die Steuer soll Spekulationen unterbinden, indem sie kurzfristige Devisentransaktionen überproportional verteuert. Das Volumen destabilisierender Kapitalbewegungen wird somit reduziert, was zu einer höheren Stabilität der Wechselkurse führt.[26]
Aufgrund dieser simplen und ebenso überzeugenden Logik erfreut sich der Vorschlag Tobins bis heute vieler Anhänger. Allerdings lassen sich viele Implikationen des Modells nicht verallgemeinern. So kommt es, dass sich eine nicht mindergroße Gruppe von Kritikern der Tobin-Steuer gebildet hat. Vor allem der Effekt der Reduzierung des Handelsvolumens auf die Volatilität der Kurse wird kontrovers diskutiert. So wurde herausgearbeitet, dass der Effekt einer Transaktionssteuer eng mit der Liquiditätssituation des Marktes zusammenzuhängen scheint. Auf inhärente Problematiken sowie fundamentale Kritik an der Steuer wird im vierten Kapitel eingegangen.
3.2 Übergang von der Tobin Tax zur Finanztransaktionssteuer
Tobin hatte bei seinem Vorschlag lediglich die Devisenmärkte und deren Volatilität im Auge. Weiterführende Diskussionen übertragen Tobins Vorschlag wiederum auf andere Märkte. Dies ist problemlos möglich, denn ein Wechselkurs stellt nichts anderes dar, als den Preis einer Währung notiert in einer anderen Währung. Der Tausch ,Devise gegen Devise‘ zu einem bestimmten Kurs ist im Prinzip das gleiche wie der Tausch ,Vermögenswert gegen Geld‘ zu einem bestimmten Preis.
Tobin schlug 1978 noch einen Steuersatz von 1% pro Transaktion vor. Mittlerweile herrscht in der Literatur zumindest dahingehen Einigkeit, als dass ein möglicher Steuersatz geringer als 0,5% sein sollte.[27] Auch Tobin selbst empfiehlt mittlerweile einen deutlich geringeren Steuersatz von 0,1- 0,25%.[28]
Desweiteren ist zu bemerken, dass seit Tobins ersten Überlegungen bereits einige Jahrzehnte vergangen sind. Keynes‘ Kritik ist sogar noch deutlich älter. Wie bereits erwähnt führen viele Ökonomen, wie auch Tobin selbst, die exzessiven Spekulationen auf den Finanzmärkten unter anderem auf sehr niedrige Transaktionskosten zurück. Dies würde dazu führe, dass das Handelsvolumen um ein vielfaches höher sei, als für die Realwirtschaft eigentlich erforderlich.
Es ist offensichtlich, dass sich die Transaktionskosten, besonders mit der fortschreitenden Globalisierung und dem technischen Fortschritt der 80er und 90er Jahre, noch drastischer verringert haben. Gleichzeitig steigt das weltweite Handelsvolumen mit rasanter Geschwindigkeit. Folgende Statistik aus der Dreijahresstatistik der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich über das tägliche Volumen von Devisentransaktionen macht dies deutlich:
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Tabelle 2: Entwicklung des Transaktionsvolumens[29]
Vor dem Hintergrund diesen Anstiegs erhalten die Ausführungen von Keynes (1936), Tobin (1974 bzw. 1978) sowie Summers & Summers (1989) und Stiglitz (1989) neuen Nachdruck.
Es ist jedoch erneut darauf hinzuweisen, dass das große Volumen per se nicht als schädlich zu bewerten ist. Außerdem bedeutet dies nicht sofort, dass sich die Finanzmärkte von der Realwirtschaft abgekoppelt haben müssen.[30] Ein großer Teil des Volumens wird durch das sogenannte Hot- Potato-Trading verursacht, welches wiederum der Risikoallokation dient.[31] Hierauf wird später noch eingegangen.
[...]
[1] Vgl. Haberer (2006), S. 132.
[2] Hierzu gehören zum Beispiel erhöhte Marktunsicherheiten aufgrund von politischen Ereignissen.
[3] Vgl. Kaul, Grunberg & Haq (1996), S. 4.
[4] Felsenheimer (2001), S. 40.
[5] Vgl. Davidson (1997).
[6] Vgl. Buch, Heinrich & Pierdzioch (1998).
[7] Vgl. Tobin (1996), S. xii.
[8] Dies war 1968 eine Zeit lang der Fall, als das rasant wachsenden Handelsvolumen für Engpässe sorgte.
[9] Vgl. Palley (2003). Siehe dazu auch Summers & Summers (1989) für eine Übersicht von Kausalitäten der Marktbewegungen im S&P-Index in den 50 Tagen nach dem zweiten Weltkrieg.
[10] Vgl. Summers & Summers (1989).
[11] Vgl. Spahn (2002), S. 40f.
[12] Dazu ausführlich: Krugman, Obstfeld & Melitz (2012), S. 801ff.
[13] Jetin (2003). Anteil der Angabe in Prozent der Befragten. Ähnliche Umfrageergebnisse zitiert Haberer (2006), S. 29f.
[14] Vgl. auch Felsenheimer (2001), S. 39f.
[15] Vgl. Palley (2003).
[16] Tobin, James (1974). The new economics one decade older. The Eliot Janeway Lectures on Historical Economics in Honour of Joseph Schumpeter. Princeton: Princeton University Press, S. 88-92.
[17] Vgl. Tobin (1996).
[18] Vgl. Eichengreen, Tobin & Wyplosz (1995). Für eine tiefgründigere Analys monetärer Autonomie siehe Haberer (2006), S. 41ff
[19] Siehe dazu das Mundell-Fleming-Modell offener Volkswirtschaften.
[20] Tobin (1978).
[21] Vgl. ebenda.
[22] Vgl. derselbe (1996), S. xvi.
[23] Vgl. Hemmelgarn (2011), S. 46.
[24] Bei Kauf und Verkauf fallen jeweils 1% an, insgesamt also 2% pro round trip.
[25] Vgl. Spahn (2002), S. 3.
[26] Vgl. derselbe (1996).
[27] Vgl. Haberer (2006), S. 17.
[28] Vgl. Tobin (1996), S. xvii.
[29] Bank for International Settlements (2010), (1995). Die kursiven Werte ab 1995 dienen lediglich der groben Veranschaulichung, da es hier zu leichten Unstimmigkeiten bei der Umrechnung in US-$ kommt.
[30] Vgl. Honohan & Yoder (2010) und Spahn (2002), S. 39f.
[31] Vgl. Spahn (2002), S. 10f, sowie ausführlicher Haberer (2006), S. 19ff.