Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die skeptizistische Position zum Leib-Seele-Problem
3. Thomas Metzingers Herangehensweise an das Leib-Seele-Problem
4. McGinn und Metzinger – vergleichende Analyse und theoretischer Hintergrund
5. Zusammenfassung
6.Quellen
„Etwas geschieht, wenn einem bestimmten Gehirnzustand ein bestimmtes Bewusstsein korrespondiert. Eine wirkliche Einsicht in dessen Wesen wäre die wissenschaftliche Leistung, vor der alle vergangenen wissenschaftlichen Leistung verblassen würden.“
William James (1899)
1. Einleitung
Das Leib-Seele-Problem ist eines der ältesten Probleme der Philosophie und lässt sich, trotz erheblicher Fortschritte innerhalb der Neurowissenschaften und Philosophie noch immer nicht endgültig beantworten. Wirklich systematisch näherte sich erst Rene Descartes (1596-1650) dieser Frage, wenngleich Plato bereits in der Antike Überlegungen zum Zusammenhang zwischen Körper und Geist anstellte. Seiner Ansicht bestehe alle Materie aus Atomen, kleinen unteilbaren Partikeln. Jedoch gebe es auch Seelenatome, aus denen sich der Geist zusammensetze. Mit dieser Unterteilung legte er im Prinzip den Grundstein für die cartesianische Intuition, dass Materie und Geist grundverschieden seien und nicht aufeinander reduzierbar. Auch die neuere Philosophie befasst sich nach wie vor mit dem Problem, wie aus Materie Geist - aus Gehirnprozessen Bewusstsein entstehen kann.[1] Gerade in den letzten Jahrzehnten hat die Forschung zum Bewusstsein (Theory of Mind) stark zugenommen, es hat sich ein interdisziplinärer Diskurs herausgebildet, in dem vor allem neurobiologische Veröffentlichungen stark an Relevanz gewonnen haben. Jedoch gibt es nach wie vor keine endgültige Lösung des Leib-Seele-Problems. Dass diese Frage von großem Interesse ist, verdeutlicht noch einmal der bereits über hundert Jahre alte Ausspruch von William James.
Was in dieser Arbeit geleistet werden soll, ist eine Analyse der Sichtweise auf das Leib-Seele-Problem, wie sie vom Philosophen Thomas Metzinger vorgestellt wurde – im Abgleich zur skeptizistischen Position. Diese Position ist, wie an späterer Stelle begründet, die grundsätzlichste Position die man gegenüber diesem Problem einnehmen kann. Jedoch gerät diese Sichtweise schnell an ihre forschungslogischen Grenzen, wenngleich der skeptizisitische Standpunkt durch seine Einfachheit und Klarheit besticht. Metzingers Sichtweise auf das Leib-Seele-Problem hat viele argumentative Paralellen zum Skeptizismus McGinns, jedoch gelangt er zu fundamental anderen Schlussfolgerungen. Unter der Zusammenarbeit mit vielen Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Disziplinen ist ein sehr genauer Begriffs- und Fragenapparat entstanden, der forschungslogisch der Herangehensweise McGinns gegenübersteht. Selbstverständlich hat jeder theoretische Ansatz gewisse ontologische und epistemologische Grundannahmen. Diese sollen im letzten Abschnitt herausgearbeitet und - im Abgleich mit McGinn - einer kritischen Betrachtung unterzogen werden.
2. Die Skeptizistische Position zum Leib-Seele-Problem
Der Skeptizismus erscheint als die grundsätzlichste philosophische Perspektive überhaupt. Der Zweifel an der Wahrnehmung, am Erkenntnisprozess und am Wissen ist die grundsätzlichste Form des Infragestellens. Auch wenn die Debatte über das Leib-Seele-Problem gerade in den vergangenen 60 Jahren eine starke Präzisierung im Hinblick auf genaue Fragestellungen und Begriffskonzepte erfahren hat, bleibt die grundsätzliche Frage, wie aus Materie Geist entstehen kann, unbeantwortet. Die Frage, die sich für den Skeptiker stellt ist, inwieweit diese Frage überhaupt beantwortet werden kann. Ist der menschliche Verstand aufgrund dessen, dass er an eine bestimmte Form von Problemen angepasst ist, die mit seiner natürlichen Umwelt zusammenhängen, einfach nicht in der Lage Probleme zu lösen, die darüber hinausgehen? Das Begreifen der Unendlichkeit ist für den menschlichen Verstand genau so unmöglich wie das Verstehen fünf- oder sechsdimensionaler Räume. Zwar ist der Mensch in der Lage, Modelle zu bilden und Erkärungen zu finden, jedoch bleiben diese Modelle lediglich im abstrakten Bereich der Theorie. Es ist dem Menschen unmöglich diese Zusammenhänge zu begreifen. Diese Sichtweise versteht sich als grundlegende Alternative zu allen anderen philosophischen Ansätzen zum Leib-Seele-Problem. Der Philosoph Colin McGinn hat die skeptizistische Position gegenüber dem Leib-Seele-Problem besonders stark gemacht. Im folgenden soll seine Perspektive genauer herausgearbeitet werden.
McGinn vertritt die Position, dass es in letzter Konsequenz unmöglich ist, die genauen Prozesse benennen zu können, die für Bewusstsein verantwortlich sind. Die Gehirnprozesse sind auf bestimmte Art mit dem Bewusstsein verknüpft – jedoch können wir aufgrund der Weise, wie wir zu Theorien und Begriffen gelangen, diesen Zusammenhang nicht durchschauen.[2] Wir sind zwar hervorragend in der Lage mit unserer Umwelt zu interagieren, jedoch sind wir nicht in der Lage alle Eigenschaften unserer Umwelt zu erfassen. Das Bild im Bewusstsein stellt immer eine Abstraktion der vielfältigen Realität dar, der wir ausgeliefert sind.[3]
Der Verstand muss in seiner Perzeption der Umwelt zwar nicht unbedingt dem empiristischen Prinzip entsprechen und exakt die Realität wahrnehmen können, jedoch muss er irgendwelchen Prinzipien entsprechen.[4] Wir sind nicht in der Lage exakte Wellenlängen wahrzunehmen, jedoch können wir Farben wahrnehmen und diese klar von anderen Farben unterscheiden. Wir nehmen nicht die Realität wahr, sondern greifen statt dessen auf ein umcodiertes „Bild“ (physikalische Wellenlänge → Farbe) zu. Es wirken Abstraktionsprinzipien – wir nehmen nicht die Realität wahr sondern ein Abbild dieser Realität. Dessen ist sich der Wahrnehmende nicht bewusst (In der Wissenschaftstheorie spricht man vom naiven Realismus). Aufgrund dieser abstrahierenden und damit beschränkten Wahrnehmung, kann die Realität Eigenschaften besitzen, die für uns niemals wahrnehmbar sein können.[5] Dabei sind unsere Abstraktionsprinzipien andere als z. B. die einer Fledermaus, wir können niemals unsere Umgebung mithilfe eines echolotischen Sinnes wahrnehmen.[6] Wir haben folglich begrenzten Zugang zur Realität, zugleich aber auch begrenzten Zugang zu anderen Formen der Wahrnehmung oder des Bewusstseins. McGinn sowie Metzinger beziehen sich in dieser Hinsicht auf Nagel, der die grundsätzliche Erkennbarkeit von Bewusstseinszuständen durch ein anderes Bewusstsein für unmöglich hält. Wir können vielleicht erkennen, „wie es für uns ist, ein x zu sein, jedoch nicht, wie es für x ist, ein x zu sein.[7] “
Nach McGinn existieren zwei Herangehensweisen an das Leib-Seele-Problem. Entweder man nähert sich ihm über das eigene Bewusstsein, sprich durch Introspektion, oder aber man nähert sich ihm über die Hirnforschung, indem man versucht, die genauen Abläufe im physiologischen Organismus zu betrachten.
Das Problem der Introspektion ist, dass man zwar Bewusstseinszustände erfassen kann, jedoch nicht ihren Zusammenhang zu den Abläufen im Gehirn.[8] Wenn ich mir meine Wahrnehmung und meine Gedanken vergegenwärtige, so bin ich mir dieser bewusst, jedoch kann ich niemals durch Introspektion diese auf einen Prozess im Gehirn zurückführen. Wir haben zwar Daten, können diese jedoch aufgrund der Beschränktheit des kognitiven Kanals der Introspektion nicht mit neuronalen Prozessen korrelieren.[9]
Das Problem der Hirnforschung ist ein anderes. Zwar laufen im Gehirn einige Prozesse ab die scheinbar in bestimmter Weise mit Bewusstseinsprozessen korreliert werden können. Jedoch stellt erstens diese Korrelation keine wirkliche Erklärung dar, zweitens kann man an diesem Punkt nicht wahrnehmen, was dieses Gehirn nun gerade wahr nimmt.
Das Problem, welches sich nach McGinn aufwirft, ist das die Neurowissenschaft eine Datenform produziert, die keinerlei Information über das Bewusstsein enthält, sondern lediglich Daten zu den Abläufen im Gehirn. Die Form der Daten hat damit Auswirkungen auf die Form der erklärenden Theorie. Eine Theorie, die das Bewusstsein erklärt, müsse gleichzeitig direkten Bezug auf das Bewusstsein nehmen, so McGinn.[10] Betrachtet man nun die gegebenen kognitiven Fähigkeiten, die benutzt wurden, fällt auf, dass dies zwei qualitativ unterscheidbare Kanäle waren, die Fähigkeit der Introspektion und die Fähigkeit der äußeren Wahrnehmung. Wir sind nicht in der Lage, durch lediglich einen Kanal die psychophysische Verbindung zu erklären.[11]
Colin McGinn betrachtet das Bewusstsein als kognitiv geschlossenes System, welches aufgrund seiner Geschlossenheit nicht in der Lage ist, gewisse Erkenntnisse zu erlangen. Da der Mensch mit seinem Sinnesapparat an räumliche Umstände angepasst ist, erscheint es als unmöglich, neurologische Prozesse als Bewusstseinsprozesse zu identifizieren. Prinzipiell bedarf es dieser Veranschaulichung, um nicht das Problem der Emergenz als quasi-methaphysische Erklärung zu akzeptieren.[12]
McGinn trifft eine wichtige Unterscheidung in Bezug auf die grundsätzliche Lösbarkeit von Problemen. Ein Problem kann absolut geschlossen sein oder relativ geschlossen sein. Ein Problem ist relativ geschlossen, wenn es für die betrachtete Spezies nicht möglich ist, es zu lösen, es allerdings höherstufigen Lebewesen möglich ist. Ein Otter kann keine einfachen mathematischen Berechnungen durchführen, für den Menschen ist das jedoch kein Problem. Die absolute Geschlossenheit eines Problems ergibt sich, wenn jedoch kein kognitives System in der Lage ist, das betrachtete Problem zu lösen. Solange ein kognitives System an die kognitiven Fähigkeiten der Introspektion und der Wahrnehmung gebunden ist, kann es das Leib-Seele-Problem nicht lösen, egal wie fähig dieses kognitive System ansonsten ist. Das Leib-Seele-Problem ist für McGinn folglich absolut geschlossen.[13]
[...]
[1] Für eine hervorragende Zusammenfassung, siehe Thomas Metzinger (Hg.): Grundkurs Philosophie des Geistes, mentis, Paderborn. Insbesondere Band 2 zum Leib-Seele-Problem sei empfohlen, indem er ein Abriss der wesentlichen theoretischen Strömungen zum Leib-Seele-Problem erörtert.
[2] Ebd. S. 466
[3] Ebd. S. 484
[4] McGinn, Colin: Können wir das Leib-Seele-Problem lösen? In: Metzinger, Thomas (Hg.) 2007: Grundkurs Philosophie des Geistes, Band 2: Das Leib-Seele-Problem, mentis Verlag GmbH, Paderborn S.469
[5] Nagel, Thomas: The view from nowhere, oxford university press, 1986, Kap VI
[6] Nagel,Thomas: How it is like to be a bat?, The Philosophical Review, Volume 83, No. 4 (October 1974), S. 439
[7] Metzinger, Thomas 1990: Kriterien für eine Theorie zur Lösung des Leib-Seele-Problems, Erkenntnis, Volume 32, No. 1 (January 1990), S. 130
[8] McGinn, Colin: Können wir das Leib-Seele-Problem lösen? In: Metzinger, Thomas (Hg.) 2007: Grundkurs Philosophie des Geistes, Band 2: Das Leib-Seele-Problem, mentis Verlag GmbH, Paderborn S.472
[9] Im Abschnitt zu Metzinger wird darauf ausführlicher Eingegangen, der hier auf den „naiven Realismus“ verweist und das Argument der Evolutionstheorie. Wir nehmen die Welt als real wahr, wir nehmen die Kaffeetasse nicht als Repräsentation einer Kaffeetasse wahr. Metzinger verwendet den Begriff der Transparenz.
[10] Ebd. S.477
[11] Ebd. S.479
[12] McGinn, Colin: Können wir das Leib-Seele-Problem lösen? In: Metzinger, Thomas (Hg.) 2007: Grundkurs Philosophie des Geistes, Band 2: Das Leib-Seele-Problem, mentis Verlag GmbH, Paderborn S. 479
ñ[13] Noam Chomsky vertritt mit Nachdruck die These der kognitiven Begrenztheit in Chomsky, Noam 1975: Reflections on Language, Pantheon Books; Er unterscheidet zwischen „Problem“ und „Rätsel“. Mathematische Aufgaben sind in diesem Sinne „Probleme“, während das Leib-Seele-Problem ein „Rätsel“ darstellt.