Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Vereinigten Staaten und der Zweite Weltkrieg
2.1 Die New Deal Politik
2.2 Die Vereinigten Staaten während des Zweiten Weltkrieges
3. Die Anfänge des Abstrakten Expressionismus
3.1 Die Entpolitisierung der amerikanischen Künstler
3.2 Der Marshall-Plan
3.3 Der Erfolg des Abstrakten Expressionismus
4. Etablierung der USA als kulturelle Gegenmacht in Europa
4.1 Der Kongress für Kulturelle Freiheit
4.2 Ausstellungsorganisation als Versuch der Etablierung
4.3 Die Ausstellung “Neue Amerikanische Malerei“
4.4 Die Rolle des Museum of Modern Art
4.5 Weitere kulturpolitische Maßnahmen der Vereinigten Staaten
5. Die documenta 2
6. Die Leinwand als Bild der Freiheit
7. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Vor wenigen Wochen, am 22. August 2007, feierte die Berliner Kongresshalle ihren 50.Jahrestag. „Ein zerbrechliches Symbol der Freiheit“[1] titelte die Mitteldeutsche Zeitung, wohl als eine Anspielung auf das Zustandekommen während des Kalten Krieges, als auch auf die tatsächlich „gebrochene“ Konstruktion des Gebäudes im Mai 1980, als ein Teil des Spannbetondachs einstürzte. Auch die FAZ nahm den Freiheitsbezug in ihren Titel auf: „Der Freiheit eine Auster“[2].
Niemand würde diesem Gebäude seine Symbolhaftigkeit absprechen wollen, niemand die Platzierung auf einem eigens aufgeschütteten Hügel als winkenden Gegenentwurf der Freiheit zur Ostberliner Stalinallee in Frage stellen. Allein dem Kalten Krieg ist ihr Zustandekommen geschuldet.
Ziel dieser Arbeit soll es sein, den Weg zur Etablierung des Abstrakten Expressionismus als freiheitlicher Kunst in Europa im Zusammenhang mit dem Kalten Krieg zu untersuchen. Das weder der Kalte Krieg, noch die amerikanische Kulturpolitik allein für die internationale Anerkennung des Abstrakten Expressionismus verantwortlich sein können, steht dabei außer Frage. Max Kozloff war 1973 der erste der in einem Artikel des Artforum die Frage stellte “… what past interests have made it [den Abstrakten Expressionismus] so official … [?]”.[3] Im Folgenden soll nach einem Überblick über den Abstrakten Expressionismus die Zeit um den Zweiten Weltkrieg nähr betrachtet werden. Dabei sollen vor allem die politischen und künstlerischen Zusammenhänge fokussiert werden und Verschränkungen zwischen der Etablierung des Abstrakten Expressionismus, der kommenden hegemonialen Stellung Amerikas in der Welt, dem Eintritt in den Zweiten Weltkrieg und den bipolaren Spannungen zwischen den USA und der UdSSR aufgezeigt werden. Abschließend sollen die kulturpolitischen Maßnahmen analysiert werden, deren sich die USA in den Anfangsjahren des Kalten Krieges bediente und etwaige Auswirkungen auf die Etablierung des Abstrakten Expressionismus und seine Interpretation als freiheitliche Kunst herausgearbeitet werden.
2. Die Vereinigten Staaten und der Zweite Weltkrieg
Spätestens mit der am 19. April 1958 in der „Kunsthalle Basel“ eröffneten Ausstellung „Die neue amerikanische Malerei“ gilt der Abstrakte Expressionismus in Europa als etabliert. Werke von zwölf Vertretern (u.a. Gorky, Kline, de Kooning, Motherwell, Pollock und Rothko) wurden neben anderen amerikanischen Künstlern vom „International Council“ des „Museum of Modern Art“ ausgewählt, und tourten durch acht europäische Städte, um 1959 schließlich in Amerika gezeigt zu werden.[4] Dort erkannten Bereits in den 1940er Jahren Kritiker wie Greenberg und Rosenberg in dem Abstrakten Expressionismus eine amerikanische Avantgarde und bekannte Galleristen wie Peggy Guggenheim, Samuel Kootz und Betty Parson stellten diese aus.[5]
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren die USA im Bereich der bildenden Kunst kaum international hervorgetreten. Dies sollte sich erst ändern, als Amerika nach dem Zweiten Weltkrieg zur westlichen Hegemonialmacht aufstieg. Zuvor fühlte es sich immer noch als junges Land, aufstrebend und ehrgeizig zwar, jedoch auch provinziell und selbstbezogen. Es hatte mehrere Ansätze gegeben, auch in den USA eine an Europa orientierte moderne Kunst zu etablieren, doch erst nach 1945 bildete sich eine junge Künstlergeneration heraus, die selbstbewusst eine originär amerikanische Moderne begründen sollte.[6] Zuvor war jedoch bereits die europäische Moderne vom amerikanischen Publikum eifrig rezipiert worden. Das berühmteste Ereignis in dieser Hinsicht, das die moderne Malerei Europas auf einen Schlag in den USA bekannt machte, war sicherlich die Armory Show von 1913. Auch wenn die europäischen Modernen nur einen Teil der Ausstellung ausmachten, war ihre öffentliche Wirkung jedoch beträchtlich. Der vielleicht meistbeachtete europäische Künstler war Marcel Duchamp, und er wurde in der Folgezeit zu einer wichtigen kulturellen Persönlichkeit in New York, wo er ab 1915 dauerhaft leben sollte. Verkörpert in der Person Duchamps hatte die Armory Show vielleicht ihre nachdrücklichste Wirkung auf das amerikanische Kunstgeschehen, während ansonsten ihre Möglichkeiten auch durch den ersten Weltkrieg unterbrochen wurden.[7]
In den 20-er Jahren formierte sich eine kleine amerikanische Avantgarde, deren Zentrum Alfred Stieglitz‘ New Yorker Galerie „291“ bildete. Dazu gehörten z.B. Stuart Davis, Marsden Hartley oder Charles Sheeler. Internationale Beachtung blieb ihnen jedoch verwehrt, und auch die auch die amerikanischen Sammler konzentrierten sich auf die europäische Moderne.
2.1 Die New Deal Politik
Für viele sowjetische Künstler, wie auch für viele Künstler aus linken Kreisen, war das sowjetische Modell der „staatlich organisierten“ Arbeit in den 1930er Jahren ein Ideal – gut bezahlt, an eine große Öffentlichkeit gerichtet und ohne Druck durch Marktzwänge.[8]
Im Januar 1928 unternahm Alfred Barr, Gründungsdirektor des Mitte 1929 entstehenden Museum of Modern Art in New York, eine Russlandreise auf der er auch die staatliche Tretyakov-Gallerie in Moskau besuchte – ein damals obligatorischer Besuch, für einen in russischer Gegenwartskunst interessierten Besucher.
In seinem Russland-Tagebuch äußert er sich über das Fehlen von Bildern der Sowjet-Zeit (ab 1922) und schreibt über das Museum „… [its] a barren waste of nineteenth-century story pictures, portraits, and allegories …“.[9]
Nur einen Monat später wird die Galerie im Rahmen des ersten Fünf-Jahres-Plans Stalins umgestaltet. Die Werke des frühen 20.Jahrhunderts werden durch konforme Themen ersetzt. Dieser Umgestaltungswille erfasste nicht nur Moskau, sondern das ganze Land, und wurde lange mit dem Niedergang der russischen Avantgarde im Zusammenhang gebracht.[10]
Drei Jahre nach dem Besuchs Barrs, im Jahre 1931, wurde in der Tretyakov-Gallerie die Ausstellung ‚ Kunst der kapitalistischen Ära ’ gezeigt, kuratiert von Aleksei Fyodorov-Davydov, der wenige Monate zuvor zum Leiter der Abteilung für Moderne Russische Kunst ernannte wurde. Seine Ausstellung umfasste eine Auswahl an herausragenden russischen Avantgarde-Gemälden und Skulpturen von Künstlern wie Kandinsky, Rodtschenko und Malewitsch, die er als „… bourgeois art in the blind-alley of formalism and self-negation …“ charakterisierte. Auch Künstler die sich von der Abstraktion abgewendet hatten und wieder figurativ malten, wurden in der Ausstellung als kapitalistisch angeprangert. Neben einem Bild Malewitschs (Haymaking, 1928) stand beispielsweise „… the attempt to objectify the artistic method is unrealisable, as bourgeois art is transparently individualistic …”.[11] Dieser Wandel wird als Strategiewechsel vom “class consumer” hin zum “mass viewer“ verstanden.[12]
Neben der Museumspolitik wurden auch Künstler in ihrem Schaffen eingeschränkt. 1932 wurde mit Beschluss des Zentralkomitees der KPdSU ein einheitlicher sowjetischer Künstlerverband gegründet, der den kulturellen Führungsanspruch der Kommunistischen Partei durchsetzte und die Aufgabe der sozialistischen Künste festlegte: „… die wahrheitsgetreue, historisch konkrete Darstellung der Wirklichkeit in ihrer revolutionären Entwicklung …“[13].
Im Gegensatz zu der Marktunabhängigkeit und Staatsabhängigkeit waren die amerikanischen Verhältnisse geprägt von der Gönnerhaftigkeit (patronage) der „industrial millionaires“, die, ohne Tradition ihrer eigenen Gönnerhaftigkeit, eher „… in archaeology [interessiert waren], an interest that issued in a museum culture essentially inimical to modern art…“.[14] Die wirtschaftliche Depression setzte dieser private patronage vorerst ein Ende. Stattdessen initiierte die Regierung die Federal Art Projects um der vermeintlich kulturellen Erosion Amerikas Einhalt zu gebieten und dieses nicht in ein dark age verfallen zu lassen.[15]
Die u. a. hierfür eingerichtete Behörde war die Works Progress Administration (WPA). Sie wurde 1935 unter Franklin D. Roosevelt gegründet und bestand bis zum Kriegseintritt der USA 1942. In dieser Zeit ergingen im Rahmen des Federal Art Projects öffentliche Aufträge an rund 5000 Künstler, die überall im Lande Schulen, Postämter, Bahnhöfe, Flughäfen und andere öffentliche Bauten mit großen Wandgemälden ausstatteten.[16]
Häufig setzten sich diese Gemälde mit Amerika-spezifischen Themen auseinander, allerdings gab es auch Aufträge an abstrakte Maler, wobei gegenständliche Kunst klar bevorzugt wurde. Dies entsprach auch der Linie der meisten Künstler, die überwiegend links orientiert, eine figurative Kunst vertraten, und Vorbildern wie Riviera folgend, volksnah und modern zugleich sein wollten.
Neben diesen sozialen Realisten beherrschten die regionalistischen Maler der American Scene wie Thomas Hart Benton oder Grant Wood die amerikanische Kunst der 30-er Jahre. Sie machten den Provinzialismus, die Besinnung auf uramerikanische Themen zu ihrem Programm.
Während das 1929 gegründete Museum of Modern Art zunächst fast ausschließlich Europäische Avantgarde-Kunst sammelte, unterstützte das Metropolitan Museum die regionalistische Malerei. Im Ausland jedoch erfuhr die amerikanische Malerei, ganz anders als die Literatur, der Film und die Architektur nur wenig Beachtung. Eine Ausstellung amerikanischer Kunst im Sommer 1938 im Pariser Jeu de Paume wurde mit äußerst negativer Kritik bedacht.[17]
„Kino und Architektur galten als wirklich repr äsentativ für diese moderne, sicherlich beklemmende und brutale, aber unendlich faszinierende Zivilisation. Für die Franzosen war das alles, was Amerika sein konnte. Die Bemühungen um die Malerei seien zwar anerkennenswert, k önnten aber nicht wirklich ernst genommen werden. [...] Malerei sei im Herzen der Kultur verankert und erfordere eine Verfeinerung, die sich nur in jahrhundertelanger Arbeit, Analyse und Übung entwickele.“[18]
Die Niederschlagung der republikanischen Truppen in Spanien und schließlich die Besatzung Paris durch die Deutschen schuf in den USA erstmals das Bewusstsein für eine zukünftige Stellung als Hegemon in der Welt. Die Linke bekam damit einen schweren Schlag versetzt, siegte doch jeweils der Faschismus über die demokratischen Bestrebungen. Nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour am 7.Dezember 1941 hielten sich die USA nicht mehr sich aus dem Kriegsgeschehen, das mittlerweile ganze Europa erfasst hatte, heraus.
2.2 Die Vereinigten Staaten während des Zweiten Weltkrieges
Mit Beginn des Krieges kamen immer mehr europäische Künstler und Intellektuelle als Emigranten in die USA. So z.B. Albers, Moholy-Nagy, Leger, Mondrian, Dali, Ernst oder Breton. Sie brachten eine Kultur mit, die amerikanische Künstler immer schon bewundert hatten, ohne sie sich gänzlich anzueignen. Insbesondere die Kunstszene New Yorks nahm den Emigrantenstrom gleichzeitig als Chance wie als Gefahr wahr. Als Chance, da man auf einen starken und befruchtenden Einfluss durch die europäische Kultur hoffte - man verglich die Emigranten mit den großen Völkerwanderungen der Geschichte und betonte, welchen Einfluss Flüchtlinge aus Byzanz nach der Eroberung durch die Türken in Italien ausgeübt hatten. Gleichzeitig stellten sie natürlich auch eine Konkurrenz für amerikanische Künstler dar.[19]
Die New Yorker Künstler wollten das Erbe von Paris als Hauptstadt der Moderne antreten. Schon zuvor gehörten die New Yorker Künstler zu den bestinformierten der Welt, da viele bedeutende Werke der europäischen Moderne, wie das frühe abstrakte Werk Kandinskys, in New Yorker Sammlungen zu sehen waren.
„Um bedeutende Kunst hervorzubringen, ist es unerl ässlich, die große Kunst der vorhergehenden Epoche – oder Epochen – verarbeitet zu haben. [...] Ein großer Vorteil, den die amerikanischen Abstrakten Expressionisten anfangs hatten, bestand darin, dass sie Klee und Miro bereits verarbeitet hatten, und das schon zehn Jahre, bevor diese Meister in Paris einen ernstzunehmenden Einfluss gewannen. [...] So konnte eine Generation von amerikanischen Künstlern ihre Laufbahn ganz auf der H öhe der Zeit und mit einer keineswegs provinziellen k ünstlerischen Bildung beginnen. Vielleicht geschah dies überhaupt zum ersten Mal.“[20]
Mit der Schließung der europäischen Grenzen und der Rückkehr von amerikanischen Sammlern, Kunstliebhabern und in Europa lebenden Amerikanern entstand ein potentielles Publikum für moderne Kunst, und in den Jahren 1941-43 bildete sich erstmals eine von Paris unabhängige New Yorker Kunstszene heraus. Peggy Guggenheim, die damalige Frau von Max Ernst, die vor dem 2. Weltkrieg in Paris gelebt hatte, gründet ihre Galerie „Art Of This Century“ 1942 in New York. Dort stellte sie sowohl abstrakte als auch surrealistische europäische Künstler aus, daneben aber bald auch Amerikaner: Robert Motherwell, William Baziotes, Mark Rothko, Clyfford Still, Adolph Gottlieb und Jackson Pollock, der schnell zum Star der Galerie wurde. 1947 kehrte Guggenheim, wie auch die meisten europäischen Surrealisten, nach Paris zurück, und sie trug dazu bei, besonders Pollock jenseits des Atlantiks bekannt zu machen.
[...]
[1] Mitteldeutsche Zeitung, 20.08.2007, S.22
[2] FAZ, 20.08.2007, S.33
[3] Kotzloff, Max: American painting during the cold war, erschienen in: Frascina, Francis (Hrsg.): Pollock and After – The critical debate, London, New York, 2000, S.130
[4] Vgl. Cockcroft, Eva: Abstract Expressionism, Weapon of the Cold War, erschienen in: Frascina, Francis (Hrsg.): Pollock an After – The critical debate, London, New York, 2000, S.148ff.
[5] Vgl. Guilbaut, Serge: Wie New York die Idee der modernen Kunst gestohlen hat – Abstrakter Expressionismus, Freiheit und Kalter Krieg, Dresden, Basel, 1997, S.87ff.
[6] Vgl. Rosenthal, Norman: Amerikanische Kunst: Eine Sicht aus Europa, in: Christos M. Joachimides,
Norman Rosenthal (Hrsg.), Amerikanische Kunst im 20. Jahrhundert: Malerei und Plastik 1913-1993,
München, 1993, S. 13
[7] Vgl. ebd., S.17
[8] Vgl. Kiaer, Christina: Was Socialist Realism Forced Labour? The Case of Aleksandr Deineka in the 1930s, erschienen in: Oxford Art Journal, 28/3, 2005, S.324
[9] Barr, Alfred H.: ‘Russian Diary, 1927–28’, Eintrag vom 14.Januar 1928, erschienen in: October (MIT Press), Ausgabe 7, Winter 1978, S. 30
[10] Vgl. Jolles, Adam: Stalins Talking Museum, erschienen in: Oxford Art Journal, 28/3, 2005,S.431
[11] Zitiert nach Jolles (2005): a.a.O., S.432
[12] Vgl. Jolles (2005): a.a.O., S.432ff.
[13] Zitiert nach Rosenthal (1993): a.a.O., S.15
[14] Hemingway, Andrew: Cultural Democracy by Default – The Politics of the New Deal Arts Programm, erschienen in: Oxford Art Journal, 30/2, 2007, S.277f.
[15] Vgl. ebd., S.278
[16] Vgl. Raeithel, Gerd: Geschichte der Nordamerikanischen Kultur (Band 3). Vom New Deal bis zur
Gegenwart 1930-1988, Stuttgart 1989, S. 74
[17] Vgl., Guilbaut (1997): a.a.O., S. 65
[18] Guilbaut (1997): a.a.O., S.66
[19] Vgl. Guilbaut (1997): a.a.O., S.87f.
[20] Greenberg, Clement: Amerikanische Malerei, erschienen in: Lüdeking, Karlheinz (Hrsg.): Die Essenz der Moderne - Ausgewählte Essays und Kritiken, Dresden, 1997a, S. 197