Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Zwischen Mittelalter und Zukunft: Fritz Langs Monumentalfilme
2.1 „Die Nibelungen“ (1924)
2.2 „Metropolis“ (1927)
3. Vom Atelier in die Wirklichkeit
3.1 „M“ (1931)
3.2 Die nationalsozialistische Machtübernahme und Langs Auswanderung in die USA
4. Schlussbetrachtung
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Ziel dieser Untersuchung einiger der bedeutendsten Werke Fritz Langs ist es, einen ro- ten Faden im politischen Bewusstsein des Wiener Regisseurs aufzuzeigen. Als erstes Werk wird der 1924 uraufgeführte monumentale Film „Die Nibelungen“ analysiert, in dem eine deutliche nationalistisch ausgerichtete Stellungnahme des Autors nachzuweisen ist, indem er die Werte der Nibelungen verherrlicht. Danach führt die Analyse zu dem anderen Meilenstein des Werkes Fritz Langs „Metropolis“, wo auch ähnliche und gleichzeitig auch unterschiedli- che Merkmale zu erkennen sind. Abschließend wird Langs erster Tonfilm „M“ untersucht, der 1931 uraufgeführt wurde und als vorletzter gedrehter Film vor der Auswanderung in die Ver- einigten Staaten vom Regisseur gedrehter Film gilt, wo die wichtigsten und bedeutungsvolls- ten Veränderungen sowohl in der kinematografischen Technik des Filmemachers als auch in dessen Denkweise festgestellt werden können.
Am Anfang jedes den Filmwerken gewidmeten Unterkapitels wird eine kurze Zusammenfassung der Grundinformationen über Länge, Uraufführungsdatum, Drehbuch, usw., sowie die besonderen Merkmale des Films angeboten.
Danach beginnt die genaue Analyse bzw. der Kern der Arbeit, wo die These der Untersuchung gezeigt und verteidigt wird. Der letzte Teil der Analyse ist eine kurze Schlussbetrachtung, in der die Gesamtergebnisse kurz wiederholt und zusammengefasst werden.
Als Quellen für diese Untersuchung dienten einige der bedeutsamsten Texte der Se- kundärliteratur über Fritz Lang und seine Filme. Die älteren Texte sind von Siegfried Kracauer (1979) und Lotte Eisner (1977). Kracauer skizziert eine klare Verbindung zwischen Langs „Die Nibelungen“ und „Metropolis“ und den nationalsozialistischen Ideen. Eisner ver- sucht hingegen Lang zu verteidigen, indem sie behauptet, die Zusammenhänge mit der natio- nalsozialistischen Ideologie seien zufällig bzw. nicht gewollt und falsch interpretiert gewesen. Die neuere Kritik, von Michael Töteberg (1985) an, bietet eine andere These an, in der es heißt, es gebe einige Elemente in Langs Werk, die problematischer und „dunkler“ seien, und andere, die der Diktatur vorwegnehmend nicht seien. Die aktuelleren Untersuchungen haben versucht zu beweisen, dass der Filmemacher zwar einigen nationalistischen Werten und Ideen (vor allem im Nibelungenfilm) nah gewesen sei, aber dass diese Idee nicht diejenigen der na- tionalsozialistischen Bewegung gewesen sei - auch weil diese Partei im zweiten Teil der Zwanziger Jahre bis zur Wirtschaftskrise sehr geringe Wahlergebnisse gesammelt habe - und dass diese These willkürlich und etwas unangemessen sei. In den Arbeiten von Klaus von See (2003), Cornelia Herberichs & Christian Kiening (2006), Lothar van Laak (2007) und Rainer Schelkle (2009) ist zu verstehen, dass diese Ideen stattdessen dem damaligen Zeitgeist ent- sprächen, d.h., einer Mischung aus Stolz und Revanchelust aufgrund der Niederlage im Ersten Weltkrieg und des folgenden Versailler Friedensvertrags. Sehr wichtig ist die Untersuchung von Irmgard Gephart (2003), in der eine ausführliche und detaillierte Analyse der Abwei- chungen zwischen dem Nibelungenepos und Langs Verfilmung durchgeführt wird, die die Intention des Regisseurs (und der Drehbuchautorin Thea von Harbou) verständlicher macht, indem gezeigt wird, was verändert wurde. Peter Krüger (1991) dreht Kracauers These um und zeigt, auf welche Weise die Nationalsozialisten den Nibelungenstoff und somit auch Langs „Die Nibelungen“ ausgenutzt hätten. Einer ähnlichen Ansicht ist auch Heinz-B. Heller (2003), der sich auf die Darstellung Langs der Hunnen als „Untermenschen“ und die Wiederverwen- dung dieses Bezugs von den Nationalsozialisten nach der Invasion der Sowjetunion im Zwei- ten Weltkrieg bezieht. Als nicht mehr aktuell wird die These von Kracauer von Thomas Elsa- esser (2000) und Sascha Keilholz (2009) im Bezug auf „Metropolis“ betrachtet, weil der Schlussteil des Films keine Unterwerfung der Arbeitermasse zum Industriellen anbiete, son- dern eine Veränderung zwischen den beiden passiere und danach nichts mehr wie früher sei. Für den Bezug auf die Nationalsozialisten in „M“ ist Philipp Ostrowicz’ Untersuchung (2009) bedeutungsvoll, in welcher die Sprache des Schränkers analysiert und mit der von Goebbels verglichen wird. Für die allgemeinen Informationen über die Bildstreifen ist die Untersuchung von Reinhold Keiner (1991) sehr wichtig, sowie die herausgegebene Version des Nibelungen- liedes von Ursula Schulze (2011), die von Thea von Harbou geschriebenen Drehbücher für „Die Nibelungen“ (1924) und „Metropolis“ (1984, von Herbert W. Franke herausgegeben) ebenso wie das Protokoll von „M“ von Enno Patalas (1963).
Es ist ebenfalls wichtig zu erwähnen, dass es sich bei den von den Filmen verwende- ten Kopien um die aktuellsten restaurierten Fassungen handelt, die auf dem Markt zu finden sind. Die Fassung von „D[en] Nibelungen“ wurde durch die Wiesbadener Friedrich-Wilhelm- Murnau-Stiftung restauriert und durch die damalige Technik des Einfärbens der Viragierung in der originellen warmen Farbe erneut wiedergegeben. Diese Fassung wurde 2010 aufge- strahlt, und dann als DVD veröffentlicht. In dieser Kopie konnten auch zum ersten Mal feh- lende Aufnahmen wieder eingefügt werden, die vermutlich zu der Premierenfassung gehörten.
2010 wurde eine neue sensationelle restaurierte Fassung von „Metropolis“ angefertigt, die der ursprünglichen Länge sehr nah ist und die angeblich auch der Premierenfassung ent- sprechen sollte. Auch diese neue Restaurierung wurde von der Wiesbadener Murnau-Stiftung durchgeführt.
Die restaurierte Version von „M“, in der viele der ununterbrochenen Sequenzen danke ei- nes französischen Duplikatnegativs wieder eingefügt werden konnten, wurde 2011 vervollständigt. Dadurch hat der Film die Länge von 107 Minuten erreicht, die laut der Zensurkarte nicht der 111-Minuten-Länge der Premierenfassung entspricht. Bei dieser Version weiß man jedoch nicht, ob sie überhaupt uraufgeführt wurde.
2. Zwischen Mittelalter und Zukunft: Fritz Langs Monumentalfilme
In diesem ersten Teil der Untersuchung werden die zwei sogenannten Monumentalfilme analysiert, die von Fritz Lang zwischen den Jahren 1922, als er mit den Dreharbeiten zum Nibelungenfilm anfing, und 1927, als „Metropolis“ seine Premiere feierte, gedreht wurden. Es handelt sich um die zwei berühmtesten Bildstreifen überhaupt, die noch heute überall in der Welt mit dem Werk des Wiener Regisseurs assoziiert werden und als Symbol des Kinos der „Goldenen Zwanziger“ betrachtet werden. Darüber hinaus handelt es sich um die zwei bedeutendsten Filmwerke, die er mit der Berliner Produktionsfirma Universum Film Aktiengesellschaft, besser bekannt mit der Verkürzung Ufa, drehte.
Chronologisch nach der Erstaufführung geordnet, wird zuerst die mittelalterliche Welt der „Nibelungen“ mit dem Blutbad der Burgunden analysiert. Danach wird das in der Zukunft spielende Szenario von „Metropolis“ mit seinem fraglichen und umstrittenen Schluss betrach- tet.
2.1 „Die Nibelungen“ (1924)
Der Film „Die Nibelungen“ hat eine Gesamtlänge von 293 Minuten und besteht aus zwei Teilen, die als „Siegfrieds Tod“ und „Kriemhilds Rache“ betitelt sind.1 Es handelt sich um den ersten Monumentalfilm von Fritz Lang, der nicht nur zu den Meilensteinen der deut- schen, sondern auch der weltlichen Filmgeschichte gezählt werden kann, obwohl er wegen der politischen Zusammenhänge in den Jahren vor und während der Diktatur sehr umstritten ist.2 „Die Nibelungen“, dessen Drehbuch von der damaligen Ehefrau des Regisseurs Thea von Harbou geschrieben wurde, feierte seine Premiere am 14. Februar (für den ersten Teil) und am 26. April 1924 (für den zweiten Teil) 1924 im Ufa-Palast am Zoo in Berlin.
Ziel des Regisseurs und der Drehbuchautorin ist offensichtlich. Das alte edle Nationalepos der Nibelungen zu benutzen und dem eine neue Gestalt mittels des neuen Massenmediums zu geben. Sie schufen aber keine einfache Adaptation des Nibelungenstoffs, sondern eine Synthese von unterschiedlichen Quellen. Die national bedeutende Absicht wird schon in der Widmung „Dem deutschen Volke zu eigen“ deutlich, die beide Teile des Films sowie das Drehbuch (jedoch mit den Worten „Dir und Deutschland“, d.h. zu Fritz Lang und Deutschland gewidmet) eröffnet.3 Außerdem bestätigte Thea von Harbou die Notwendigkeit der „nationalen Bedeutung“ in unterschiedlichen Interviews, die sie damals gab, wie zum Beispiel in diesem in der „Süddeutsche[n] Filmzeitung“ am 18. April 1924:
Und vielleicht ist eine stumme Beredsamkeit dazu berufen, als ein Sendbote von deutschen Wesen, deutscher Arbeit, Geduld und Kunst einer jener Apostel zu werden, zu denen ihr Meister sprach: Gehet hin in alle Welt und lehret alle Völker.4
Dazu passt auch, dass das Paar am Tag der Premiere einen goldenen Kranz am Grab Friedrich des Großen niederlegte, der in der kollektiven Vorstellung der damaligen Zeit der Heimatvater war.5 Lang und von Harbou hatten die Intention, dem deutschen Volk mit dem neuen Medium Kino dabei zu helfen, die Traumata des verlorenen Ersten Weltkriegs zu überwinden und ein neues „Selbstwertgefühl“ in der Bevölkerung „zu befördern.“6 So sprach von Harbou emphatisch in einem Interview in „D[er] Woche“ am 9. Februar 1924 von „Ho- helied der bedingungslosen Treue“:
Wichtiger als diese Spezialitäten der Sage, die die Literaturforscher interessieren, aber nicht die Allgemeinheit, erschien es mir, die unaussprechliche Herrlichkeit der Welt um Kriemhild dem deutschen Volke in einer Form zu offenbaren, die ebenso seiner Sehn- sucht nach dem Wunder entspricht, wie seiner Überarbeitung und Müdigkeit. Denn die- se große, müde überarbeitete Volk ist voller Sehnsucht, die es einst zu gefährlichen Weltwanderern werden ließ, die es heute in Ketten legt und doch ewig wach ist. [...] Diesem deutschen Volke der Nibelungen-Film zum Sänger, zum erzählenden Dichter seiner selbst werden. Es soll, ruhig schauend, sich beschenken lassen, empfangend erle- nämlich schon von Anfang an als Held dargestellt, indem die Geschichte am Hof Worms beginnt. Vgl. Schelkle, S. 40. ben und damit neu gewinnen, was ihm, dem Volke als Ganzes, nur noch blasse Erinnerung ist: das Hohelied von bedingungsloser Treue.7
Ihr Buch gilt im Gegensatz zur Verfilmung tatsächlich als viel nationalistischer, wie man an dem folgenden Beispiel an einem starken Hinweis auf den Rhein und auf die burgun- dische Heimat in Volkers Lied aus dem letzten Teil des „Nibelungenbuch[s]“ erkennen kann:
Einer der Burgunden breitete die Arme. Seine Stimme, jung noch, krank vor Heimweh, rief in Volkers Sang:
„Ach, Freunde! Freunde! Wären wir am kühlen grünen Rhein!“
Mächtig hob sich Volker da vom Thronsitz. Mächtig sang er, seine Stimme schwang sich wie ein starker Adler aus dem Feuer:
„Heimat! Rhein! Du ewige Ewigkeit! Heimat! Rhein! O, heilige Ewigkeit! Sterben! Tod! Die Hölle! Aber Heimat - du! Aus der Hölle steigst du, Ewiges! Heiligstes! - Heimat!“8
Diese neue Bearbeitung des alten Epos, in dem die Treue, der Mut, die Loyalität und die Reinheit der alten Germanen verherrlicht werden9, sollte für die größte Mehrheit der Bevölkerung verständlich werden und nicht mehr nur ein Werk für die Elite sein, wie schon das „Nibelungenlied“ und die „Edda“. Das hatte bereits Richard Wagner mit seiner Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ im 19. Jahrhundert versucht. So erklärte Lang im Programmheft zum Film „Worauf es beim Nibelungen-Film ankam“:
Es mußte mir also darauf ankommen, in einer Form, die das Heilig-Geistige nicht banalisierte, mit den Nibelungen einen Film zu schaffen, der dem Volke gehören sollte und nicht, wie die «Edda» oder das mittelhochdeutsche Heldenlied, einer im Verhältnis ganz geringen Anzahl bevorzugter und kultivierter Gehirne.10
Aus diesem Grund bediente sich Lang keiner mittelalterlichen Kostüme, blieb der dem Mittealter entsprechenden Dekoration der Gebäude nicht treu (es sind sogar Jugendstildekora- tionen im Burgunder Hof zu erkennen) und drehte keine Außenaufnahmen in oder bei mittel- alterlichen Kirchen, Burgen, usw. (er verzichtet beispielsweise auf den Schauplatz des vor- handenen Wormser Doms), sondern ließ eine Welt aus Kulissen im Atelier von Neu- Babelsberg bei Berlin von seinem Architekten Erich Kettelhut aufbauen. Dadurch scheint die Geschichte nicht an einen genauen historischen Kontext gebunden und kann infolgedessen in die gegenwärtige Zeit versetzt werden.11 Lang und von Harbou bewirkten auch einige wichti- ge Abweichungen, welche, obwohl sie dem erzählerischen Faden und dem Rahmen des klassischen Epos an einigen Stellen mehr und an anderen Stellen weniger folgen, an Bedeutung gewinnen. Das ist offensichtlich schon in den ersten Szenen des Films zu erkennen. Siegfried wird am Anfang als Schmiedelehrling bei Mime und erst danach mittels eines einzigen Zwischentitels als der Sohn des Königs von Xanten dargestellt, während er im „Nibelungenlied“ als Königssohn eingeführt wird:
Damals wuchs in Niederland der Sohn eines sehr edlen Königs heran, dessen Eltern Siegmund und Sieglinde hießen, in einer mächtigen, weithin bekannten Stadt am Niederrhein: die war Xanten genannt.
Siegfried hieß der vorzügliche, kampfgewandte junge Mann. Er suchte viele reiche in mutiger Neugier auf. Um seine Kraft zu erproben, ritt er in viele Länder. Und wie viele ritterlich geübte Gefährten sollte er später im Burgundenland kennenlernen!12
Diese vermutlich von Wagners Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“13 inspirierte Repräsentation Siegfrieds wurde oft und gerne nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg gebraucht, weil die Kraft des Helden, der selbst sein Schwert schmiedet (I. Teil, 00:03:43), als Symbol der Wiederauferstehung Deutschlands aus den von den Alliierten durch den Versailler Friedensvertrag auferlegten strengen Bedingungen gelte.14 Bedeutsam sind die an der Figur von Hagen Tronje ausgeführten Veränderungen, vor allem im Bezug auf den letzten Teil, indem er sich als Opfer darbringt (II. Teil, 1:51:34) und die Treue der Nibelungen hervorhebt. Dies fehlt im „Nibelungenbuch“ grundsätzlich.15
Schon immer ist infrage gestellt worden, ob es sich in diesem Film um Vorfahren der nationalsozialistischen Ideologie handelt, oder nur um eine Verherrlichung von national be- deutenden bzw. nationalistischen Werten, die dem damaligen Zeitgeist gehören.16 Siegfried Kracauer war der erste, der sagte: „Fritz Lang erklärte diesen Film zu einem nationalen Do- kument, welches geeignet sei, für die deutsche Kultur in der ganzen Welt zu werben. Seine [d.i. Fritz Langs] ganze Erklärung liest sich wie eine Vorwegnahme Goebbelsscher Propa- ganda.“17 Wie später noch genauer erläutert wird, ist Kracauers These ist von einigen Kriti- kern verkannt worden. Aber einige Züge des Films lassen die Frage offen.
Zum Verständnis und zur Vertiefung des Themas wird an dieser Stelle noch einmal ein Überblick auf die Geschichte dieser Jahre verschafft. Deutschland erlitt eine schwere Nie- derlage im Ersten Weltkrieg. Der Versailler Friedensvertrag zwang schwerwiegende Bedin- gungen auf, darunter auch die Auflösung des Heers, sodass Deutschland militärisch gesehen unschädlich gemacht werden konnte. Aus diesem Grund war das gemeine Gefühl der Mehr- heit der deutschen Bevölkerung eine Mischung aus Groll, Wut und Revanchelust gegen die Alliierten. Anhang dieser Begebenheiten kann man verstehen, warum der Film heutzutage nicht mehr als nationalsozialistisch angesehen wird. Es scheint zum Beispiel so, als ob Kracauer vergäße, dass die Burgunden eine Elite und kein Massenvolk (siehe Massenbewe- gung) seien, wie sich hingegen die Nationalsozialisten vorstellten. Diese These ist in von Sees Untersuchung zu lesen.18
Ein merkwürdiger und auffallender Zug des Filmwerkes ist das Ornamentale. Alles gilt als Kulisse, auch die Menschen, die vor allem in „Siegfrieds Tod“ ein Teil der Monumentalstruktur sind. Beispielhaft sind u.a. die Aufnahmen mit den Wächtern im Thronsaal in Worms, wo sie wie Statuen bzw. Säulen aussehen (I. Teil, 00:09:38) und die mit den Soldaten, die im Wasser bis zum Hals stehen, um einen Steg für Brunhild zu bauen (I. Teil, 1:08:40). Laut Kracauer ist das Ornamentale ein vorwegnehmendes Element des nationalsozialistischen Regimes, indem die Menschen Choreografie werden.19
In seiner These ist der Zusammenhang zwischen „D[en Nibelungen“] und Leni Rie- fenstahls für den 1934 NSDAP-Parteitag gedrehtem Film „Triumph des Willens“ trotzdem noch daran erkennbar, wie sich die Regisseurin und die Architekten der Veranstaltung für die Gestaltung der Räume und der Menschenkulisse auf „Die Nibelungen“ inspirieren ließen.20
Einer ähnlichen Ansicht ist Peter Krüger, wobei er betont, auf welche Weise sich die Nationalsozialisten vom Nibelungenfilm bzw. vom Nibelungenstoff inspirieren ließen. Er un- terstreicht einen interessanten Zusammenhang zwischen der Todbereitschaft bis zum bitteren Ende der Nibelungen und dem Kampf um Stalingrad im Zweiten Weltkrieg, indem er die Re- de Görings vom 30. Januar 1943 zum zehnten Jahrestag der Machtergreifung zitiert.21 Göring habe nämlich den Kampf der Nibelungen und Heldentod statt Kapitulation als Vorbilder und Mittel für einen neuen siegreichen Anfang gesehen.
[...]
1 Die vollständigen Informationen über die 2010 durch die Friedrich- Wilhelm. Murnau-Stiftung von Wiesbaden durchgeführte Restaurierung erhält man auf deren Webseite http://www.dienibelungen2410.de/restaurierung.html
2 Der erste Teil des Films wurde in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur neu geschnitten. In dieser überbearbeiteten Fassung wurden solche Aufnahmen ausgelassen, wo Siegfried etwas naiv und schwach aussehen konnte. In der 1933 von der Reichskammer bearbeiteten Version wird Siegfried
3 Von Harbou (1924), S. 5.
4 Van Laak, S. 269.
5 Vgl. Müller, S. 428 und Herberichs; Kiening, S. 193f.
6 Herberichs; Kiening, S. 192.
7 Ebd., S. 193.
8 Von Harbou (1924), S. 259. Dieser Teil wird im Film durch den Zwischentitel „Ihr kennt die deutsche Seele nicht, Herr Etzel!“ (II. Teil, 01:41:19) ersetzt. Vgl. van Laak, S.279
9 Vgl. Keiner, S. 87.
10 Gehler; Kasten, S. 170. Vgl. auch Töteberg, S. 42. und von See, S. 115f.
11 Vgl. Von See, S. 130.
12 Schulze, S. 11.
13 Obwohl Lang den Komponisten Wagner nicht mochte, scheint der Einfluss der wagnerschen Musik auf den von Gottfried Huppertz für den Film komponierten Soundtrack eindeutig zu sein. Vgl. Müller, S. 429.
14 Vgl. Gephart, S. 99f.
15 Im Zusammenhang mit Langs Veränderungen an der Figur von Hagen Tronje s. a. ebd., S.110-115. Für die dementsprechende Szene im „Nibelungenbuch“ vgl. die letzten drei Aventurien in: Schulze. S. 609-687.
16 Vgl. Heller, S. 497.
17 Kracauer, S. 100.
18 Vgl. Von See, S. 118.
19 Vgl. Kracauer, S.103. S. a. Heller, S. 505 und Schelkle, S. 30.
20 Vgl. Kracauer, S. 103 und Töteberg, S. 48f.
21 Vgl. Krüger, S. 152-161.