Die Biennale. Vom modernen Spektakel zur globalen Inszenierung

Historische Betrachtung und vergleichende Analyse der Biennalen in Venedig, Havanna und Gwangju


Hausarbeit (Hauptseminar), 2014

30 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Einleitung

Das Ausstellungsformat der Biennale ist das maßgebliche Medium zur Kunstpräsentation- und Rezeption des 20. und 21. Jahrhundert. Ist das Museum als bürgerliche Institution zur Sammlung, Bewahrung und Präsentation visueller Künste eine Erscheinung des 19. Jahrhunderts, erfährt die Biennale ihre Hochphase im 20. Jahrhundert. Seitdem die erste Biennale 1895 in Venedig eröffnete, wurde das Format der regelmäßig stattfindenden Großausstellung international adaptiert und weiterentwickelt. Vor allem seit den 1980er und 90er Jahren kann von einem regelrechten „Boom“ gesprochen werden; mittlerweile werden 140 Biennalen weltweit verzeichnet, allein im Jahr 2014 werden 41 Biennalen stattfinden.1

In der vorliegenden Arbeit wird die Biennale als Institution verstanden, mit einem dynamischen und offenen Profil, einheitlichen Formen und notwendigen Differenzen, die, je nach temporären und räumlichen Strukturen, verschiedene kulturelle, politische, ökonomische und soziale Ziele verfolgt sowie bestimmte gesellschaftliche Funktionen und Wünsche erfüllt. Wie sich diese von der ersten Venedig Biennale im 19. Jahrhundert, über die starke Vermehrung von Biennalen im späten 20. Jahrhundert hin zu einem globalen Netzwerk von Biennalen geändert haben, soll untersucht werden. Die thematischen, strukturellen und kuratorischen Veränderungen werden anhand von der jeweils ersten Ausführung dreier Biennalen deutlich gemacht: Venedig, Havanna und Gwangju werden als Stufen, bzw. Abschnitte jener Entwicklung betrachtet. Die Historie soll jedoch nicht als rein lineare Chronologie dargestellt werden, sondern vielmehr als eine Repetition mit Differenzen, als ein sich immer weiter ausbreitendes Netz mit immer neuen Änderungen begriffen werden.

Die Auswahl der Biennalen erfolgt aus einer von Charlotte Bydler vorgeschlagenen Gruppierung von Biennale-Typen, 2 die hier weiterentwickelt werden soll. Bydler unterteilt zunächst in „kapitalistisch-philanthropische Unternehmen“, 3 die Ende des 19. Jahrhunderts etabliert wurden. Dazu gehören die ersten mehrjährigen Ausstellungen in Sydney, São Paulo und Venedig. Die zweite Gruppe besteht aus denjenigen Biennalen, die nach dem zweiten Weltkrieg ins Leben gerufen wurden und deren Strukturen durch den Kalten Krieg oder als Gegenposition jener Umstände geprägt sind. Hierzu zählen beispielsweise die Documenta sowie die Biennalen in Havanna und Buenos Aires. Die letzte Gruppe wird als Exempel für gegenwärtige Biennale-Formate betrachtet. Orte wie Istanbul und Gwangju stehen für ereignisorientierte, flexible Ausstellungsformen der 1990er und 2000er Jahre.

Die Analyse der jeweiligen Biennalen konzentriert sich weitergehend auf die folgenden drei Punkte: 1) politischer, ökonomischer und sozialer Kontext sowie Gründe für die Einführung der Biennale an ihrem jeweiligen Ort; 2) inhaltliche Konzeption und organisatorische Realisierung der Ausstellung, Auswahl der Künstler und kuratorische Strategien; 3) Rezeption, Reflektion und Evaluation: wie wurde die Biennale zur Zeit ihrer Ausführung wahrgenommen? Wie wird sie im theoretischen Diskurs ausgewertet und eingeordnet? Welche Auswirkungen hatte sie auf folgende Biennalen?

Anzumerken ist hier, dass die historische und wissenschaftliche Aufarbeitung und somit der Forschungsstand der jeweiligen Biennalen sehr unterschiedlich fortgeschritten ist. Während die Venedig Biennale in vielerlei Schriften behandelt wird, ist die Gwangju Biennale, als vergleichsweise junges Phänomen, noch wenig besprochen.

Die gewonnenen Erkenntnisse über Konzeption, Ausführung und Rezeption werden anschließend zusammengefasst und verglichen. Es wird herausgearbeitet, welche Phänomene und Merkmale mit und durch Biennalen aufgekommen sind.

1. Biennale: Überlegungen zur Historie, Kultur und Krtitik einer Institution

Spätestens seit der starken globalen Verbreitung von Biennalen weltweit ab den 1990er Jahren muss die Biennale nicht nur als Phänomen, sondern als Institution der Kunst, die, genau wie Museen, Kunsthallen, Kunstvereine, etc. eine „konkrete Organisation von Menschen, Gebäuden, Dingen und Bedeutungen“ 4 darstellt, gesehen werden. Nur dass der Begriff „Biennale“ im Vergleich zu den anderen soeben aufgeführten Institutionen sehr vage bestimmt ist. Genau genommen wird der Terminus für jegliche zwei- oder mehrjährig stattfindende Kunstausstellung verwendet, auch wenn in den meisten Fällen jene großformatigen Schauen zeitgenössischer Kunst gemeint sind, die bestimmte Charakteristika besitzen und gewisse Ziele verfolgen, 5 sowie jene, die in dieser Arbeit besprochen werden. Maria Hlavajova stellt diesbezüglich fest, dass die „Identität einer Biennale notwendigerweise immer unstabil, immer in Bewegung“ 6 bleiben muss und sie daher auch nicht mehr als die „Summe ihrer Editionen“ 7 sein kann. Wenngleich ihr Charakter flüchtig ist, entsteht allein durch die Häufigkeit der weltweiten Biennalen eine Möglichkeit des Vergleichs 8 und der Festschreibung gewisser Ähnlichkeiten und Differenzen. Daher ist auch die Beschäftigung mit einer bestimmten Biennale nur in Anbetracht ihres ort- und zeitspezifischen Kontexts sowie ihrer sozialen und politischen Umstände sinnvoll.

Paul O’Neill beschreibt Biennalen als „temporary spaces of mediation“ 9 und als „interfaces“ zwischen Kunst und einem immer größer, mobiler, globaler werdenden Publikum. Wobei die Großausstellung mitnichten ein reines Fachpublikum anspricht. Im Gegenteil ist oft zu beobachten, dass auch die lokale Öffentlichkeit involviert wird und Nichtspezialisten die Biennalen mit Interesse verfolgen. Dies kann durchaus auch kritisiert werden.

Als „Mega-Exhibition“ beschreibt Okwui Enwezor 10 die Biennale, als Großevent und Spektakel. Dies impliziert auch eine, in jedem Fall bestehende, Verbindung der Biennale zum Tourismus, zur Eventkultur und zur Zerstreuung: Denn jene großformatigen Ausstellungen und das ausladende Rahmenprogramm verhindern eine ganzheitliche, eingehende Rezeption prinzipiell.

Zudem ist eine Biennale, wie auch in der anschließenden Analyse deutlich wird, meist Teil einer politischen, ökonomischen oder sozialen Agenda. Als solcher fungiert die Biennale als Generator von symbolischem Kapital im Bourdieu’schen Sinne. 11 Dies bedeutet, dass eine Stadt sich mit der Einführung einer Biennale vor allem auf „symbolischer“ Ebene, also z.B. durch Kultur, Bildung und ein positives Image, bereichert. Ebenso kann die Biennale von Nutzen sein um politische Konflikte zu lösen oder sie kann zumindest, wie Caroline A. Jones es ausdrückt, „conduct politics by other means“12, Politik mit anderen Mitteln betreiben. Auch dies ist ein Aspekt, der im folgenden zur Sprache kommt.

2. Analyse: Die Biennale vom modernen Spektakel zur golablen Inszenierung

2.1 Die Feier der Moderne: Venedig - 1895

2.1.1 Gründung

Venedig befand sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Folge von politischer Okkupation durch Frankreich in einem schlechten ökonomischen und sozialen Zustand.13

Erst im weiteren Verlauf des Jahrhunderts konnte die Stadt ökonomische Gewinne durch Tourismus und wachsende Industrie erzielen. Denn trotz seines Verfalls blieb Venedig beliebtes Reiseziel für Künstler und Kulturinteressierte und gehörte „wie selbstverständlich zum Bildungsprogramm der adligen und bürgerlichen Eliten Europas.“ 14 Das Potential der Stadt erkannte nicht zuletzt eine Gruppe junger Intellektueller, die 1872 die „Scuola veneta d’arte applicata alle industrie“, eine Schule für angewandte Kunst und Industrie, eröffnete.15 1887 fand dann die „Esposizione nazionale di pittura e sculptura“ in Venedig statt, eine nationale Ausstellung für Malerei und Skulptur, die seit der staatlichen Vereinigung Italiens 1870 in verschiedenen Städten abgehalten wurde. 16 Vor diesem Hintergrund ist die Entstehung der Biennale zu betrachten. Ihrem Gründungsymythos zufolge kam die Idee im berühmten Café Florian auf, einem Treffpunkt für Künstler und Literaten. Die mangelnde Präsenz venezianischer Künstler auf dem europäischen Kunstmarkt war demnach Beweggrund für die Einführung einer Ausstellung, die, und dies war neu, alle zwei Jahre am selben Ort stattfinden sollte. 17

Am 19. April 1893 wurde daraufhin durch einen Beschluss des Stadtrates die Biennale in Venedig ins Leben gerufen. 18

Die drei Gründer, der Poet und Bürgermeister von Venedig Riccardo Selvatico sowie der Politiker Antonio Fradeletto und der Philosoph Giovanni Bordiga, schlugen das Konzept einer Institution vor, die von Nutzen und Vorteil für die Öffentlichkeit sein sollte und darüber hinaus als Erinnerung an die Silberhochzeit des Königpaars von Savoia (welche im Jahr 1894 gefeiert wurde) fortbestehen werde. Noch 1894 wurde die Schau mit nationalen Werken geplant, bis der Stadtrat am 30. März beschloss, die Ausstellung international auszurichten. 19

Es ist anzumerken, dass die Biennale in Venedig im Gegensatz zu anderen Kunst- und Weltausstellungen ihrer Zeit als eine „bürgerliche und künstlerische Gründung“ gilt, die „weder staatlich initiiert oder verordnet noch vom Kunsthandel von kommerziellen Veranstaltern organisiert“ 20 war. Trotzdessen bediente die Schau zum einen repräsentative Interessen, indem sie die royalen Herrscher der Nation ehrte und sich als Veranstaltungsort der Welt präsentierte. Zum anderen war sie als zukunftsorientiertes Ereignis geplant, welches auf Dauer einen Kunstmarkt in Venedig etablieren würde und den lokalen Künstlern eine Präsentationsfläche bot. Nach Caroline A. Jones ist die Funktion der Venedig Biennale daher durchaus von politischer Repräsentation und der Stiftung nationaler Identität geprägt:

“Venice, the former republican city state capable of snubbing Rome’s authority for 500 years but humiliatingly conquered by the French at the turn of the nineteenth century, could now demonstrate its importance to the young nation of Italy.[…] As a portal to the world, it could both be a leading component of the nation state […] and assert its time-honored international identity as a cosmopolitan center of the liberal arts and free speech.” 21

Wie sich Venedig also als „Portal zur Welt“ inszenierte, hängt vor allem mit der Auswahl der Künstler und der Präsentation der Werke zusammen und soll im folgenden dargelegt werden.

[...]


1 Vgl.: http://www.biennialfoundation.org/biennial-map/ [Stand: 06.01.2014].

2 Vgl.: Charlotte Bydler[2007]: The Global Art World, INC.: On the Globalization of Contemporary Art. In: Elena Filipovic u. Marieke van Hal u. Solveig Øvstebø (Hg.): The Biennial Reader. An anthology on large-scale perennial exhibitions of contemporary art, Bergen Kunstall, Hatje Cantz, Ostfildern 2010, S. 388.

3 Bydler 2007: S.388.

4 Maria Hlavajova: How to Biennial? The Biennial in Relation to the Art Institution. In: Elena Filipovic u. Marieke van Hal u. Solveig Øvstebø (Hg.): The Biennial Reader. An anthology on large-scale perennial exhibitions of contemporary art, Bergen Kunstall, Hatje Cantz, Ostfildern 2010, S.297.

5 Vgl.: Rafal Niemojewski: Venice or Havana: A Polemic on the Genesis of the Contemporary Biennial. In: Elena Filipovic u. Marieke van Hal u. Solveig Øvstebø (Hg.): The Biennial Reader. An anthology on large-scale perennial exhibitions of contemporary art, Bergen Kunstall, Hatje Cantz, Ostfildern 2010, S.92.

6 Vgl.: Hlavajova 2010: S.296.

7 Ebd.

8 Vgl.: Paul O’Neill[2007]: The Curatorial Turn: From Practice to Discourse. In: Elena Filipovic

u. Marieke van Hal u. Solveig Øvstebø (Hg.): The Biennial Reader. An anthology on large-scale perennial exhibitions of contemporary art, Bergen Kunstall, Hatje Cantz, Ostfildern 2010, S.245.

9 Ebd.: S.244.

10 Vgl.: Okwui Enwezor: Mega-Exhibitions and the Antinomies of a Transnational Global Form. MJ-Manifesta Journal, Nr.2, Amsterdam 2004.

11 Vgl.: Niemojewski 2010: S.90.

12 Caroline A. Jones: Biennial Culture. A longer history. In: Elena Filipovic u. Marieke van Hal u. Solveig Øvstebø (Hg.): The Biennial Reader. An anthology on large-scale perennial exhibitions of contemporary art, Bergen Kunstall, Hatje Cantz, Ostfildern 2010, S.77.

13 Vgl.: Jan Andreas May: La Biennale die Venezia. Kontinuität und Wandel in der venezianischen Ausstellungspolitik 1895-1948. Studi. Schriftenreihe des deutschen Studienzentrums in Venedig, Akademie Verlag, Berlin 2009, S.23-24.

14 May 2009: S.24.

15 Vgl.: Ebd. S.26.

16 Vgl.: Robert Fleck: Die Biennale von Venedig. Eine Geschichte des 20. Jahrhunderts. Philo Fine Arts Verlag, Hamburg 2012, S.35.

17 Vgl.: Ebd.

18 Vgl.: http://www.labiennale.org/en/art/history/origin.html?back=true [Stand: 06.01.2014].

19 Vgl.: Jones 2010: S.72-73.

20 Fleck 2011: S.36.

21 Jones 2010: S.75-76.

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Die Biennale. Vom modernen Spektakel zur globalen Inszenierung
Untertitel
Historische Betrachtung und vergleichende Analyse der Biennalen in Venedig, Havanna und Gwangju
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Kunstgeschichte)
Veranstaltung
Curators Series
Note
1,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
30
Katalognummer
V275726
ISBN (eBook)
9783656684107
ISBN (Buch)
9783656684053
Dateigröße
695 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
biennale, spektakel, inszenierung, historische, betrachtung, analyse, biennalen, venedig, havanna, gwangju
Arbeit zitieren
Marie Sophie Beckmann (Autor:in), 2014, Die Biennale. Vom modernen Spektakel zur globalen Inszenierung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/275726

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Die Biennale. Vom modernen Spektakel zur globalen Inszenierung



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden