Kinder mit Mutismus. Therapie und Förderung


Texte Universitaire, 2005

33 Pages, Note: 2,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Psychotherapien
2.1. Verhaltenstherapie
2.2. Psychoanalytisch orientierte Therapie

3. Familientherapie

4. Spieltherapie

5. Pharmakotherapeutische Behandlung

6. Sprachheilpädagogische und logopädische Intervention

7. Therapie nach dem Diathese-Stress-Modell

8. Wirksamkeit der Therapien / Prognosen

9. Literaturverzeichnis (inklusive weiterführender Literatur)

A. Anhang

A.1. E-Mail von U. Petermann

1. Einleitung

Warum ist eine Therapie bei Mutismus so wichtig? Viele Kinder leiden unter ihrem Schweigen und ihnen entgehen wichtige soziale Erfahrungen. Der Mutismus belastet das Lernen und die schulische Laufbahn erheblich. Auch dürfen die durch den Mutismus stark eingeschränkten Zukunftsaussichten Betroffener nicht aus dem Blick geraten, denn nicht jedes Kind überwindet seinen Mutismus vor Berufsbeginn selbstständig. Kinder haben i.d.R. einen natürlichen Kommunikationsdrang. Sie möchten ihre Gefühle mitteilen. Daran gilt es anzuknüpfen und dahin sollen sie zurückgeführt werden (vgl. BAHR 1996, 47 u. HARTMANN 1997, 21f).

Die breit gefächerte Symptomatik macht deutlich, dass das Ziel der Therapie sich nicht darin erschöpfen kann, das mutistische Kind zum Sprechen zu bewegen. Es sollte sowohl die kognitive, als auch die emotionale, psychomotorische und soziale Entwicklung gefördert werden. So kann die Therapie ebenfalls auf den Abbau der Angst und der sozialen Zurückgezogenheit, auf Sprachentwicklungsförderung, Selbstwerterhöhung und Förderung der Selbstständigkeit, auf das Wecken der Sprechfreude, auf die Aufarbeitung von traumatischen Erlebnissen und Leistungsdefiziten und auf die Besserung der innerfamiliären Beziehungen ausgerichtet sein (vgl. BAHR 1996, 43f). Grundsätzlich gilt, dass der Patient in seiner Ganzheit gesehen werden sollte. Die Therapie hat folglich drei Ansatzpunkte: die primäre und sekundäre Symptomatik des Kindes sowie das Verhalten der Bezugspersonen (vgl. HARTMANN 1997, 116 u. 124). Die Therapie sollte aber nicht nur symptomorientiert, sondern auch ursachenorientiert erfolgen. Weiterhin müssen den Mutismus aufrechterhaltende Faktoren unbedingt berücksichtigt werden (vgl. DOBSLAFF 2005, 83f).

Vor allem bei der Förderung der Selbstständigkeit ist die Einbeziehung der Familie, vor allem der Mutter, sinnvoll. Sie kann dem Kind im Alltag größere Eigenverantwortlichkeit übertragen, indem sie das Kind einkaufen schickt, es sich alleine anziehen lässt und es nicht zur Schule begleitet, um nur wenige Beispiele zu nennen. Nicht selten wird ihr das sehr schwer fallen, da sie sich damit auch mehr von ihrem Kind lösen und ihre Fürsorge aufgeben muss (vgl. BROICH 1981, 183). Es erweist sich als sinnvoll, gemeinsam mit dem Kind eine Liste hierarchisch geordneter Ziele festzulegen. Ich möchte hier ein Beispiel für eine solche Liste geben, um eine bessere Vorstellung von dieser zu ermöglichen: mit einem Schulfreund reden, bei Oma etwas sagen, mit Oma telefonieren, Papa im Büro anrufen, den Therapeuten antworten, alleine etwas einkaufen ... (vgl. BAHR 2004, 58f). Wichtig ist mir hier die Anmerkung, dass das erste Ziel keinesfalls immer das Sprechen betreffen muss, sondern auch (je nach Symptomatik) das erste Aufnehmen eines Blickkontakts, Nicken oder beispielsweise die (nonverbale) Beteiligung an allen Aktivitäten der Klasse sein kann. Auch ist es erforderlich, einmal gesteckte Ziele immer wieder zu überdenken und gegebenenfalls zu ändern.

Eine weitere Möglichkeit, gemeinsam aufgestellte Ziele zu erreichen, ist ein Vertrag. Einzelne Aufgaben und Verhaltensweisen werden festgehalten, ebenso die Kontrollmöglichkeiten dafür und die Belohnung für erfüllte Aufgaben. Ein Beispiel für einen solchen Vertrag stellt Abb. 2 dar.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Beispiel für einen therapeutischen Vertrag

(Quelle: HA RT M A N N 1997, 161)

Neben den in den folgenden Kapiteln dargestellten Methoden möchte ich noch auf Tiertherapien wie z.B. heilpädagogisches Voltigieren, auf ein Trainingsprogramm für sozial unsichere Kinder und auf musiktherapeutische Maßnahmen sowie auf das Vorgehen von T.L. HAYDEN als weitere Interventionsmaßnahmen hinweisen.

PETERMANN & PETERMANN legen ein ausgearbeitetes Trainingsprogramm für sozial unsichere Kinder vor. Als typische Verhaltensweisen sozial unsicherer Kinder nennen sie u.a. Selbstzentriertheit, verkrampfte und starre Körperhaltung, soziale Isolation und das Festhalten an „Sicherheitssignalen” (z.B. enge Bindung an die Mutter). Diese Eigenschaften ähneln denen mutistischer Kinder sehr und stimmen teilweise überein. Auch ähneln einige Fallbeschreibungen von Kindern, die erfolgreich mit dem Trainingsprogramm gefördert wurden, denen von Mutisten (vgl. PE- TERMANN & PETERMANN 1992, 66). Deshalb dürfte dieses Training für Kinder mit Mutismus empfehlenswert sein. U. PETERMANN schrieb dazu (aus einer E- Mail vom 7. April 2005 (A.1)): „Hin und wieder habe ich Kinder im Training mit sozial unsicheren Kindern behandelt, welche teilweise, das heißt personen- und situationsabhängig geschwiegen bzw. gesprochen haben. Das Training hat dann deutlich länger gedauert, da Sie die einzelnen Trainingssitzungen in kleinere Termineinheiten zergliedern müssen und auf der Handlungsebene (z.B. malen, Pantomime, Bewegungsspiele, Hantieren mit Musikinstrumenten und Lauten) das Trainingsvorgehen immer wieder auflockern müssen und in kleinsten Schritten die Kinder zum Sprechen bewegen müssen. Der Erfolg war unter der Voraussetzung, dass auch die Eltern gut mitarbeiteten, möglich, auch wenn sich diese Kinder nie zu äußerst gesprächigen Menschen unbedingt entwickelt haben. Bei totalem Mutismus vermute ich jedoch, dass das Trainingsprogramm wenig bis gar keinen Effekt aufweisen wird bzw. mit weiteren psychotherapeutischen Verfahren sehr gut systematisch kombiniert angewandt werden muss.” Sicherlich ist dieses Training sinnvoll für Kinder mit sozial unsicherem Verhalten, welches als Frühsymptom eines Mutismus gelten kann. Es erscheint mir wichtig auch präventiv bei schüchternen, gehemmten und kommunikativ unsicheren Kindern einzugreifen, wozu dieses Trainingsprogramm als sehr geeignet erscheint.

Ein Beispiel für musiktherapeutische Maßnahmen bietet MÜLLER-GOLDER. Sie erreichte in ihrer Therapie, dass ein Kind bei instrumentaler Begleitung Tierstimmen und andere Geräusche imitierte. Gleichzeitig sollte das Kind für akustische Reaktionen, vehementes Reagieren und Schimpfen desensibilisiert werden. Auf einem Klavier versuchten Therapeutin und Kind Tasten zu drücken ohne dabei Töne zu erzeugen. Gelang es ihnen nicht, so erzeugten das Kind und ein Elternteil laute Geräusche durch das Schlagen auf Trommeln, Tamburins usw. Das Kind erfuhr dadurch, dass vehemente Reaktionen nicht beängstigend sein müssen (1988; zit. n. HARTMANN 1997, 130).

Abschließend möchte ich anhand eines Beispiels aufzeigen, wie HAYDEN versucht schweigenden Kindern erste Worte in ihrer Gegenwart zu entlocken. HAYDEN berichtet:

„Voraussetzung [...] war, dass jemand auf das Kind zuging, der ihm unbekannt war, eine deutliche Gesprächserwartung spüren ließ und dem Kind unausweichlichen Anlass bot, zu sprechen. Ich, als neue Lehrerin, war geradezu in idealer Position, um Jadie zum Sprechen zu bringen, aber ich musste es sofort schaffen, ehe zwischen uns eine Beziehung entstanden war, die ihr Schweigen miteinschloss. Ich wusste, wenn ich den ’unausweichlichen Anlass’ schaffen wollte, musste ich hartnäckig sein, [...] an meiner Frage festhalten und durfte mich keinesfalls von der Mauer ihres Schweigens abschrecken lassen. ’Wer ist auf dem Bild?’ Schweigen. ’Sag mir, wer das ist.’ Schweigen. ’Wie heißt die Person?’ Immer noch schwieg sie. Ich sah, wie ihre Muskeln sich spannten. Ihre Hände begannen zu zittern. ’Wer ist das?’ fragte ich wieder und stellte meine Frage mit plötzlicher Eindringlichkeit. Nicht ungeduldig, nicht einmal lauter, nur eindringlicher. Und so, dass Jadie nicht ausweichen konnte. Ich tippte einmal kurz und hart mit dem Ende des Bleistifts, den ich hielt, auf das Bild. ’Ein Mädchen’, flüsterte sie. ’Wie bitte?’

’ Ein Mädchen’, murmelte sie mit rauher Stimme. ’Aha. Und wie heißt sie?’ Schweigen. ’Wie nennst du sie?’ ’Tashee.’ Immer noch das rauhe Flüstern. ’Tashee? Das ist ein interessanter Name. Ist sie eine Freundin von dir?’ Jadie nickte. ’Und was tut Tashee auf dem Bild?’ ’Sie steht vor dem Haus ihrer Oma.’ ’Ah, das ist also das Haus ihrer Oma. Es ist hübsch [...] Und wie alt ist Tashee?’ ’Sechs.’ ’Also genauso alt wie du?’

’Nein ich bin acht. Ich war sieben, aber ich hab gerade zu Weihnachten Geburtstag gehabt.’ [...] Jadie berührte die Figur auf dem Blatt mit dem Finger [...] ’Ich hätte ihre Haare schwarz machen sollen.”’

(1991, 24f)

Durch ihr beharrliches Nachfragen und dadurch, dass sie dem Kind die Erwartungshaltung entgegenbringt, dass es sprechen kann und wird, erzielte sie hier erste Äußerungen des Kindes: anfangs nur flüsternd und kurz antwortend, dann länger. Am Ende äußert Jadie sich von selbst, ohne dass HAYDEN nachfragen muss. Diese Methode kann m. E. auch Gefahren bergen. Hätte Jadie nicht zu sprechen begonnen, so wäre es anschließend vermutlich schwerer gewesen eine vertrauensvolle Beziehung zu Jadie aufzubauen. In einem anderen Beispiel, legt HAYDEN einem Jungen ein Buch zum Vorlesen vor und fordert ihn immer wieder auf, mit dem Lesen zu beginnen (vgl. 1988, 17). HAYDEN ermutigt ihre Patienten und Schüler mit Mutismus jeweils damit, dass schon viele andere Kinder vor ihnen ihre Angst überwunden und zu reden begonnen haben und vermittelt Verständnis für die Angst vor dem Sprechen (vgl. ebd., 19).

Eines der ältesten Behandlungskonzepte ist das im Jahre 1944 vorgestellte Behandlungskonzept von SPIELER. Er gliedert seine Therapie in neun Punkte, die an dieser Stelle genannt werden sollen, da viele dieser Punkte auch heute noch Relevanz haben, in den heutigen Therapieformen Verwendung finden und somit einen kleinen „Vorgeschmack” auf die in diesem Kapitel vorgestellten Therapieansätze bieten:

1. „Das Schweigen sollte vom Therapeuten nicht direkt angegangen werden, sondern indirekt durch die Einwirkung der von ihm gestalteten Umgebung.
2. Hilfreich ist meistens ein Milieuwechsel.
3. Es sind rhythmisch gestaltete motorische Übungen vorzunehmen.
4. Zeichnenlassen ist zu empfehlen.
5. Beim Singen und Chorsprechen sollte der Mutist ganz selbstverständlich dabeisein (sic).
6. Die Erziehung sollte ermutigend sein (Mutproben, Nestwärme usw.).
7. Ein Anfangserfolg kann gelegentlich durch Tricks (Bsp.: konstante Falschbenennung von Dingen) erfolgen.
8. Neben einem Erzieher- und Lehrerwechsel ist auch an einen Heimwechsel zu denken.
9. Schließlich kann mit aufbauenden Sprachübungen begonnen werden, wobei der Weg über das Mitsprechen und nachahmende Sprechen zum Lesen, Antworten, Sätze bilden, Mitteilungen übermitteln, zum freien Grüßen und Danken und endlich zum spontanen Sprechen führt. Dabei ist auf eine sukzessive Erweiterung des Personenkreises zu achten.”

(vgl. HARTMANN 1997, 117)

Der von SPIELER empfohlene Milieuwechsel dient dazu, dem Kind einerseits eine Umgebung zu schaffen, in der von ihm nicht erwartet wird, dass es schweigt, sodass das Kind vom Erwartungsdruck befreit ist, von Neuem beginnen kann und nicht mit überschwänglicher Freude und Aufmerksamkeit rechnen muss, wenn es spricht. Die Umwelt hat sich noch nicht mit dem Schweigen arrangiert, sodass das Kind wiederum eine höhere Motivation hat, es zu brechen. Auch kann man das Kind u.a. durch eine stationäre Aufnahme dem schützenden Elternhaus, dem Ort, an dem es den Mutismus kompensieren kann, für eine Weile entziehen. Gleichzeitig entfernt man das Kind somit evtl. von einem schweigenden oder gehemmten Vorbild. Einige Autoren sind der Überzeugung, dass es den Kindern am leichtesten fällt unter Gleichaltrigen mit dem Sprechen zu beginnen (aufgrund des spielerischen und gleichberechtigten Umgangs und des fehlenden Drucks, der häufig von Erwachsenen, vor allem von Therapeuten ausgeübt wird) und vor allem in Situationen, in denen sie sich unbeobachtet fühlen (vgl. ebd., 118f).

Die Therapien können von unterschiedlichsten Berufsgruppen (Psychiater, Psychologen, Logopäden, Sprachheilpädagogen) in unterschiedlichen Orten durchgeführt werden. So kommt die Schule bzw. der Kindergarten als Therapieort in Frage, aber auch eine Klinik, das Elternhaus oder andere Orte. Ziel sollte jedoch immer der Transfer in den Ort sein, wo der Mutismus auftritt, d.h. meist vor allem in den Klassenraum. Für einen Beginn der Therapie im Elternhaus spricht, dass mutistische Kinder es dort häufig gewohnt sind, zu sprechen und sich dort sicher fühlen. Es ist zu erwarten, dass sie zu Hause eher fähig sind mit Fremden und Personen, in deren Gegenwart normalerweise geschwiegen wird, zu sprechen (vgl. BAHR 1996, 50-53). Bei ängstlichen Kindern ist es fraglich, ob ein stationärer Aufenthalt, der sie von den einzigen Vertrauenspersonen trennt, nicht eher der Aufrechterhaltung des Mutismus dient (vgl. HARTMANN & LANGE 2004, 12). Beantragt werden können die Therapien nicht nur bei Krankenkassen, sondern auch beim Schulamt.

Bevor ich auf einzelne Therapieformen eingehe, möchte ich kurz auf allgemeingültige Prinzipien bei der Förderung, auf das Überwinden der letzen Hürde und das Reagieren auf erste Äußerungen eingehen. In der Förderung sollten die Bedürfnisse des Kindes berücksichtigt werden und nur so viel von ihm gefordert werden, wie es zu leisten fähig ist, ohne es dabei zu unterfordern oder einem Fortschritt im Wege zu stehen. BAHR nennt unter anderem das Bedürfnis des schweigenden Kindes nach Sicherheit, Anerkennung und Lob, sowie Kontakt. Aber auch danach, spielen und schweigen zu dürfen. Diese resultieren nach BAHR aus dem Streben des Kindes nach Versorgung, Liebe, Zugehörigkeit und Wachstum (vgl. 2004, 64).

BROICH beschäftigt sich in einem Beitrag damit, wie seiner Erfahrung nach die „letzte Hürde” zur Überwindung des Schweigens genommen werden kann. Der Therapeut wartet dazu einen Zeitpunkt ab, in dem das Kind reden könnte aber blockiert ist, und fordert von dem Kind die Sprechleistung, bis dieses sie erbringt. Dabei muss er dem Kind vermitteln, dass er es ihm zutraut. Häufig würde dies unter Tränen geschehen, doch seien dies Tränen der Wut; der Wut darüber, dass es etwas sagen möchte, aber nicht kann. Ab diesem Zeitpunkt seien große Fortschritte zu beobachten (vgl. 1981, 182).

In HAYDENS biographischem Bericht über das achtjährige mutistische Mädchen Jadie geht sie auch auf den Umgang mit Betroffenen, die wieder zu reden beginnen, ein:

„Das Beste wäre es, sprach ich zu meinen Fingernägeln, wenn man Jadie so behandelte, als hätte sie immer gesprochen. Nur keinen Wirbel. Nur keine Lobeshymnen. Viele dieser Kinder, erklärte ich, schienen meiner Erfahrung nach in der Stummheit zu verharren, weil sie mehr als alles andere die Aufmerksamkeit fürchteten, die sie erregen würden, wenn sie plötzlich wieder sprachen, es koste sie daher große Anstrengung, den Mut zum Sprechen aufzubringen, es dennoch zu versuchen. Andere schienen zu glauben, sie hätten eine Niederlage erlitten und das Gesicht verloren, wenn sie überredet werden konnten, wieder zu sprechen. Es sei deshalb wichtig, kein Aufheben zu machen. Nicht der Akt des Sprechens verdiene schließlich Aufmerksamkeit; wichtig sei das, was die Menschen sagten.”

(1991, 26)

2. Psychotherapien

Zu Beginn dieses Kapitels möchte ich ein Trainingsprogramm von DOBSLAFF vorstellen. Er empfiehlt eine interdisziplinär ausgerichtete Drei-Säulen-Therapie (vgl. Kap. 8.5) und nennt folgende Ziele und Aufgaben einer Psychotherapie (vgl. 2005, 126-130):

- Aufbrechen der Sprechblockierung (erst nachdem das Kind zu sprechen beginnt, sollte der Mutismus thematisiert werden!)

- durch Vertrauensaufbau, gemeinsames Spiel etc.;
- kognitiv-emotionale Verarbeitung der auslösenden traumatischen Erlebnisse
- durch psychoanalytische Verfahren (vgl. 8.1.2);
- Neutralisierung der Konfliktpunkte in der Schule, die das mutistische Verhalten aufrechterhalten und stabilisieren
- z.B. durch vom Psychologen betreute Konfliktlösungsgespräche zwischen Lehrer und Schüler;
- Beeinflussung der negativen Sprecherfahrung, Senkung der Vorab-Angst
- z.B. durch Desensibilisierungsmethoden und
- In-sensu-Verfahren Dabei wird die Angstsituation in der Vorstellung nacherlebt. Jüngere Schüler brauchen jedoch auch die Konfrontation in realen Situationen.

Bei DOBSLAFF kamen folgende Desensibilisierungsmethoden zum Einsatz: Systematische Desensibilisierung, kognitive systematische Desensibilisierung und Imaginationsverfahren.

Systematische Desensibilisierung: Zunächst muss der Schüler sein Verhalten als „Folge konstanter Eigenschaften [...] sehen und nicht als Folge situativer Umstände” (ebd., 130), damit eine Generalisierung möglich ist. Der Schüler wird fiktiv also in seiner Vorstellung mit Angstauslösern konfrontiert, indem diese ihm durch möglichst bildhafte Schilderungen evtl. unterstützt durch Fotos vom Klassenraum, durch Gegenstände und Tonaufzeichnungen vor Augen geführt werden. Dazu muss er lernen, aufkommende innere Anspannungen wahrzunehmen und Entspannungstechniken gerade für den so genannten Ansatzrohrbereich erlernen (z.B. Lungenfeger: seufzende hörbare Ausatmung, Phantasiereisen, Atemübungen, Massagen, Lachen, Schrei-Übungen). Die Angstsituationen werden dem Schüler so lange dargeboten, bis er dabei keine gesteigerte Angst mehr empfindet. Für jüngere Kinder reicht die alleinige Vorstellung an das Angstobjekt oder die Angstsituation nicht aus. Bei ihnen empfiehlt es sich besonders, sich nach und nach den belastenden Situationen anzunähern, z.B. den Klassenraum aufzusuchen oder einen Lehrer an der Therapie teilnehmen zu lassen (vgl. ebd. 130-134).

Kognitive systematische Desensibilisierung: Ziel ist hierbei das Denken des Schülers (seine Einstellungen und Haltungen) zu beeinflussen. Der Schüler muss dazu fähig sein, seine Ängste verbalisieren zu können (hier zeigt sich der begrenzt mögliche Einsatz bei jüngeren Schülern) und muss verstehen, dass der Grund für sein „Versagen” seine Vorab-Angst ist. Im Gespräch soll er dann erkennen, dass seine Angst in keinem Verhältnis zur realen „Bedrohung” steht. Auch hier wird der Schüler (in entspanntem Zustand) mit Angstsituationen konfrontiert (vgl. ebd., 134-137). Zur Abschwächung der Ängste werden Formeln verwendet wie z.B.:

- „Ich bin entspannt und atme ruhig! [...]
- Ich kann laut und deutlich reden! [...]
- Ich habe keine Angst, denn ich kann überall in der Schule reden! [...]
- Ich habe schon oft erlebt, dass ich angstfrei reden kann!”

(ebd., 137)

Die Sätze werden gemeinsam formuliert und können auf einem „Erinnerungszettel” für den Schüler notiert werden, damit sie ihm auch im Unterricht zur Verfügung stehen. Eine weitere Möglichkeit für kognitiv systematische Desensibilisierung stellt das Vorlesen oder Erzählen von fiktiven Kurzgeschichten, die Angstsituationen z.B. einen Vortrag vor der Klasse) schildern, dar. Der Schüler sollte sich mit der Hauptfigur identifizieren können und die Geschichte sollte Negativerinnerungen wachrufen. Der Schüler soll dann erzählen, wie sich die Hauptfigur fühlt, was sie denkt und an welchen Stellen die Hauptfigur anders hätte reagieren können. Damit bietet man dem Schüler die Möglichkeit sein eigenes Verhalten und seine Gefühle ins Bewusstsein zu rufen und zu reflektieren sowie über Lösungsstrategien nachzudenken. Sollte der Schüler Anzeichen von Verspannung und Angst zeigen, so sollen spannungslösende Übungen durchgeführt werden (vgl. ebd., 138-141).

Imaginationsverfahren: Hierbei wird dem Kind ein sprech-kommunikativer Erfolg suggeriert, zunächst durch den Therapeuten, später durch Selbstsuggestion. Der Therapeut schildert dazu dem Schüler eine Situation, in der dieser im Normalfall schweigen würde. Dabei ist sicher zu stellen, dass der Schüler relativ entspannt bleibt. In den Ausführungen des Therapeuten wird geschildert, wie der Mutist diese Situation erfolgreich meistert. Damit soll eine positive Grundeinstellung zu bisherigen Angstsituationen bewirkt werden. Es sollten allerdings nur Situationen geschildert werden, die der Schüler auch erfolgreich bewältigen kann (vgl. ebd., 141ff).

Im weiteren Verlauf wird bei den Psychotherapien zwischen verhaltenstherapeutischen Maßnahmen und psychoanalytisch orientierten Therapien unterschieden.

[...]

Fin de l'extrait de 33 pages

Résumé des informations

Titre
Kinder mit Mutismus. Therapie und Förderung
Université
Justus-Liebig-University Giessen
Note
2,0
Auteur
Année
2005
Pages
33
N° de catalogue
V276647
ISBN (ebook)
9783656696599
ISBN (Livre)
9783656715894
Taille d'un fichier
1045 KB
Langue
allemand
Mots clés
kinder, mutismus, therapie, förderung
Citation du texte
Melanie Buß (Auteur), 2005, Kinder mit Mutismus. Therapie und Förderung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/276647

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