Das Motiv des Weißen Kaninchens in der Fernsehserie "LOST"

"Oh weh, oh weh! Ich werde zu spät kommen!"


Dossier / Travail, 2012

13 Pages, Note: 1,0


Extrait


Gliederung

1. LOST als Beispiel für eine poststrukturalistische Serie

2. Das Weiße Kaninchen im Wunderland - eine Figurencharakterisierung

3. White Rabbit - Anspielung oder Adaption?
3.1. Zitatcharakter des Weißen Kaninchens
3.2. Adaption des Weißen Kaninchens

4. “Whenever there is a book, there is a purpose“

5. Literaturliste

1. LOST als Beispiel für eine poststrukturalistische Serie

Die kanadische Litaraturtheoretikerin und -kritikerin Linda Hutcheon vertritt in ihrem Werk A Theory of Adaptation die Meinung:

“[S]tories are born of other stories.”

Sie greift damit unter anderem auf die poststrukturalistischen Theorien von Julia Kristeva und Roland Barthes zurück, die in ihren Aufsätzen die Existenz eines unendlichen Textes postulieren und damit die Einheit und Originalität eines literarischen Kunstwerkes negieren. Jeder sprachliche Ausdruck charakterisiert sich somit als ein Verweis auf einen ihm vorausgehenden Text und macht ihn dadurch zu einer Anreicherung aus „echoes“, „citations“ und „references“. Geht damit auch noch ein Gattungs- oder Medienwechsel einher, lässt sich bereits auf der Grundlage ihrer Basisdefinition von Adaption sprechen. (Fußnote: Adaption = Anpassung eines literarischen Werkes an die Erfordernisse einer anderen Gattung oder eines Mediums, für das es in der authentischen Form nicht gedacht war; von Wilpert, Gero: Sachwörterbuch der Literatur, S.6) Die aktuelle Adaptionsforschung verfeinert der Begriff insofern, dass man erst dann von Adaption sprechen kann, wenn die „extensive Bezugnahme auf eine Textvorlage [signalisiert]“ wird und sie die Inhalte an die neue Form anpasst.

Vorgänge wie dieser finden ihre beispielhafte Entsprechung in der 2010 abgeschlossenen, US-amerikanischen Fernsehserie LOST. Abgesehen von der konzeptuellen Verknüpfung verschiedener Handlungsstränge und ihrem hohen Grad an Selbstreferentialität, weist die Serie in nahezu jeder Episode intertextuelle oder - medielle Bezüge auf und ist mit Anspielungen und Zitaten aus Politik, Film, Wissenschaft, aktueller Popkultur oder Literatur gespickt.

Ein besonderes Augenmerk der Serie liegt auf der Einarbeitung literarischer Texte in den Storyverlauf. Das interaktive Online-Kompendium Lostpedia nennt über neunzig, hauptsächlich der englischsprachigen Kultur entnommene Titel, die in LOST eine Rolle spielen, darunter unter anderem Klassiker wie John Steinbecks Of Mice and Men, Unterhaltungsliteratur wie Stephen Kings The Stand oder Kinderbücher wie Lewis Carrolls Alice ’ s Adventures in Wonderland.

Diese Arbeit beschäftigt sich mit den literarischen Verweisen auf das Weiße Kaninchen aus Alice ’ s Adventures in Wonderland. Da sich in mehreren LOST Episoden Zitate des Wunderland-Charakters finden lassen - wie etwa in White Rabbit, The Man Behind the Curtain, Something Nice Back Home oder Lighthouse - konzentriert sich die Untersuchung im Hauptteil auf die Folge White Rabbit. Analysiert wird der Umgang mit dem Motiv des Weißen Kaninchens entlang der Frage, inwiefern seine Einpassung in das LOST Universum als eine Adaption zu behandeln ist und welche Auswirkungen es auf das Rezeptionsverhalten des Zuschauers hat. Im Folgenden werden zunächst die Eigenschaften des Weißen Kaninchens in Carrolls Original betrachtet, um dann auf dieser Basis die Episode White Rabbit nach Entsprechungen und Abweichungen hin zu prüfen. Die Ergebnisse werden anschließend im Fazit einander gegenübergestellt und zusammengefasst.

2. Das Weiße Kaninchen im Wunderland - eine Figurencharakterisierung

Im stark assoziativen Handlungsaufbau von Alice ’ s Adventures in Wonderland trifft die Protagonistin insgesamt fünf Mal auf das Weiße Kaninchen: Bei ihrer ersten Begegnung folgt sie ihm in den Kaninchenbau; bei ihrer zweiten erfährt sie sein dringendes, ängstliches Bedürfnis zur Herzogin zu gehen; bei der dritten hält das Kaninchen Alice für seine Dienerin Mary Ann und befiehlt ihr seine Sachen zu holen; bei ihrer vierten führt sie mit ihm im Garten der Herzkönigin zum ersten Mal ein zaghaftes Gespräch und bei der fünften Begegnung im Gerichtssaal entpuppt das Weiße Kaninchen sich als Herold, der den Herzkönig durch die geregelten Verfahrensprozesse einer gerichtlichen Verhandlung leitet.

Um im folgenden Punkt eine breite Vergleichsbasis zu haben, wird das Weiße Kaninchen nun entlang der Kriterien Erscheinung, Verhalten, Charakter und Funktion untersucht.

Carroll beschreibt den Phänotyp des Kaninchen als weiß mit rosa Augen und kleidet es mit einer Weste, in deren Tasche sich eine Uhr befindet (Abb .1). Seine Kleidung und Accessoires erweitern oder verändern sich mit jedem Auftritt. Während der zweiten Begegnung mit Alice erscheint das Weiße Kaninchen „splendidly dressed“ mit ein paar weißen Glacéhandschuhe und einem großen Fächer, die ihm bei der dritten Begegnung in seinem Haus bereits wieder fehlen. Im Gerichtssaal impliziert die Illustration von John Tenniel eine Art Amtskleidung (Abb. 2), die im Text selbst nicht erwähnt wird, im Gegensatz zu der Trompete und der Pergamentrolle, welche für das Verfahren unerlässlich sind. Die äußerliche Erscheinung des Weißen Kaninchens basiert demnach hauptsächlich auf seiner Kleidung, die stets fein, aber förmlich gehalten ist. Das Verhalten des Weißen Kaninchens ist geprägt von ständiger Angst und nervöser Unrast, denn es befindet sich immer in Eile. Es fürchtet sich davor zu spät zu kommen und eben diese Furcht treibt es zur Hast an. Als Alice es bei ihrer zweiten Begegnung anspricht, schrickt es zusammen und stürzt davon. Befindet sich das Weiße Kaninchen jedoch in einer Umgebung, die ihm sicher und vertraut ist, wie in seinem Haus oder im Gerichtssaal des Königs, verhält es sich sowohl herrisch als auch selbstbewusst. Charakterlich stechen zwei Seiten besonders hervor, die sich mit der geflügelten Wendung „nach oben buckeln, nach unten treten“ akkurat ausdrücken lassen. Auf der einen Seite ist das Weiße Kaninchen stets darauf bedacht den Befehlen der gesellschaftlich höherstehenden Figuren, wie der Herzogin oder der Herzkönigin, zu entsprechen und setzt sich damit einer selbstverschuldeten, inneren Spannung aus, die in fieberhaften Stress ausartet, wenn es droht zu spät zu kommen. In ihrer Anwesenheit gibt er sich nervös und demütig. Auf der anderen Seite behandelt er die ihm Untergebenen mit strenger Härte, kommandiert sie herum und zeigt ihnen gegenüber mitunter cholerische Charakterzüge (die durchaus mit seiner Neigung zur Unrast zusammen hängen können).

Ebenso wie sein Charakter fächern sich auch seine Funktionen in zwei Richtungen auf. Für die Bewohner des Wunderlandes ist das Weiße Kaninchen entweder ein Bote, ein Überbringer von Informationen im Dienst des Herzkönigs und der -königin oder ein Arbeitgeber wie für die Eidechse Bill und seiner Dienerin Mary Ann. Für Alice hingegen ist es derjenige, der sie unwissentlich in den Kaninchenbau - das heißt: ins Wunderland - geführt und somit ihr Abenteuer initiiert hat. Auch wenn das Weiße Kaninchen dies nicht beabsichtig hat, so erfüllt es gegenüber der Protagonistin eine Führer-Funktion.

[...]

Fin de l'extrait de 13 pages

Résumé des informations

Titre
Das Motiv des Weißen Kaninchens in der Fernsehserie "LOST"
Sous-titre
"Oh weh, oh weh! Ich werde zu spät kommen!"
Université
LMU Munich  (Theaterwissenschaft)
Cours
Adaption: Re-Telling a Story
Note
1,0
Auteur
Année
2012
Pages
13
N° de catalogue
V279885
ISBN (ebook)
9783656737421
ISBN (Livre)
9783656737384
Taille d'un fichier
527 KB
Langue
allemand
Mots clés
Alice im Wunderland, Lost, Weißes Kaninchen, Lewis Carroll, Serie, J.J.Abrahms
Citation du texte
Dany Handschuh (Auteur), 2012, Das Motiv des Weißen Kaninchens in der Fernsehserie "LOST", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/279885

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Titre: Das Motiv des Weißen Kaninchens in der Fernsehserie "LOST"



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