Deutschsprachige MigrantInnen auf Hawaii. Zur Rolle der deutschsprachigen MigrantInnen und deren Probleme während des Ersten und Zweiten Weltkriegs


Master's Thesis, 2014

142 Pages, Grade: 1,00


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Forschungsfragen und Hypothesen

Methodik

Gliederung

1. Transnationale Migration bzw. Arbeits- und Siedlungswanderung im späten 19. und frühem 20.Jahrhundert
1.1. Der Begriff Migration
1.1.1. Fluchtmigration versus Arbeitsmigration
1.2. Transnationale Arbeitsmigration
1.3. Old Immigration
1.4. New Immigration
1.5. Auswanderungspolitik der deutschsprachigen Länder
1.5.1. Auswanderung aus dem Deutschen Reich
1.5.2. Auswanderung aus Österreich-Ungarn

2. Ursachen der Auswanderungsbewegung
2.1. Analyse von Push- und Pullfaktoren
2.1.1. Auswanderungsmotive und Pushfaktoren
2.1.2. Pull-Faktoren
2.1.2.1. Überbevölkerung
2.1.2.2. Wirtschaftliche Gründe
2.1.2.3. Arbeitslosigkeit, Arbeitsmangel und Lohnunterschiede
2.1.2.4. Persönliche und individuelle Motive
2.1.2.5. Warum Hawaii?

3. Migrationstheorie
3.1. Theorien zu Transmigranten und zum Transnationalismus

4. Historischer Überblick über die kulturelle und politische Entwicklung Hawaiis von 1790 bis
4.1. Die Missionierung der Hawaii-Inseln und die regierenden KönigInnen
4.2. Der Sturz der Monarchie
4.3. Die Annexion
4.4. Die Unabhängigkeitsbewegung
4.5. Kontakte zwischen Hawaii und deutschsprachigen Ländern

5. Der Einwanderungsprozess der deutschsprachigen Minderheit nach Hawaii
5.1. Migration und die Finanzierung der Überfahrt
5.1.1. Die Situation in den Auswanderungshäfen
5.1.2. Die Seereise und die Situation an Bord
5.1.3. Die Situation am Landungshafen
5.1.4. Zurückgewiesene

6. Deutschsprachige Bevölkerung als KontraktarbeiterInnen und das Verhalten der Einheimischen ihnen gegenüber
6.1. Anwerbung und das Geschäft mit der Migration
6.1.1. AgentInnen und SubagentInnen
6.1.2. Der (Arbeits-)Vertrag
6.2. Ausstattung der Unterkunft auf Hawaii
6.3. Immigration und Beschäftigungsprobleme auf Hawaii aus der Sicht der deutschsprachigen Bevölkerung
6.4. Das Verhalten der HawaiianerInnen gegenüber der deutschsprachigen Minderheit vor dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg
6.4.1. Die deutschen Intellektuellen auf Hawaii
6.4.1.1. 3 Gruppen
6.5. Die Stellung deutscher Einwanderungsgruppen heute

7. Wirtschaftliche Entwicklung Hawaiis im 19. und 20.Jahrhundert
7.1. The „Big Five”
7.2. Der Zuckerrohranbau auf Hawaii vor den Einwanderungswellen
7.3. Die Entwicklung der Zuckerindustrie auf Hawaii
7.4. Folgen der Auswanderung für die Volkswirtschaft der deutschsprachigen Länder

8. Resümee

Abbildungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Curriculum Vitae

Einleitung

Migration und Völkerwanderung im globalen Zeitalter, weltweite Vertreibung der Menschen sowie die damit verbundene Flucht sind Sozialphänomene, die in unterschiedlichen Abschnitten unserer Zeit zu betrachten sind, da sie einen festen Bestandteil der menschlichen Kulturgeschichte darstellen.[1] Die vorliegende Masterarbeit handelt von internationaler bzw. transnationaler Migrationsbewegung bzw. Arbeitsmigration und die damit verbundene freiwillige Migration im 19. und 20. Jahrhundert. Dabei möchte ich besonders die Arbeitswanderungen aus der deutschen Kolonialzeit in der Südsee sowie die Wanderungen aus der Österreich-Ungarischen Monarchie (k.u.k Monarchie) in der Zeit zwischen 1790 bis 1959 auf der polynesischen Inselgruppe Hawaii näher beleuchten.

Bernhard Lother Hörmann hat 1931 seine Masterarbeit über „Deutsche in Hawaii“ verfasst, worin er die Schicksale deutscher SiedlerInnen und HändlerInnen detailliert geschildert hat. Die ersten deutschsprachigen MigrantInnen in der Südsee waren keineswegs Adelige oder nur MissionarInnen, sondern schlichtweg Händler, die für den Zuckerrohranbau und später Ananasanbau aus Deutschland und anderen Teilen der k.u.k. Monarchie ausgewandert sind. In weiterer Folge wurden deutschsprachige ArbeiterInnen aus der Heimat angeworben und beschäftigt. Wie sich deutschsprachige (Arbeits-) MigrantInnen auf Hawaii zurecht gefunden haben, auf welche Schwierigkeiten sie dabei gestoßen sind und wie sie in besonders schwierigen Zeiten, wie beispielsweise sich die Einheimischen ihnen gegenüber vor und während den Kriegen verhalten haben, sind wichtige Fragen der vorliegenden Masterarbeit. Besonders Deutsche ArbeitsmigrantInnen, die in der Zeit zwischen 1880 und 1890[2] auf die Insel gekommen sind, um auf Zuckerplantagen zu arbeiten, haben einen wichtigen Beitrag nicht nur für die wirtschaftliche Situation im Land geleistet, sondern in vielerlei Hinsicht, auch sozioökonomisch das Land geprägt. Im Gegensatz zu den deutschen AuswanderInnen hat es vergleichsweise nur wenige hunderte österreichisch–ungarische ImmigrantInnen gegeben, die sich auf Hawaii niedergelassen haben. Nicht nur literarische Quellen, sondern auch ExpertInnen vor Ort bekräftigen diese geringe Anzahl der österreichisch-ungarischen Eingewanderten. Trotzdem beschränkt sich die Verbindung zwischen Österreich-Ungarn und Hawaii nicht nur auf die Einwanderung, auch die „Übernahme von diplomatischen Verhaltensregeln [und] eine Reihe von wechselseitigen Besuchen, in deren Folge es zum Ankauf österreichischer Kanonen kam“[3], ist dafür bedeutend. Anhand von schriftlichen Aufzeichnungen über die deutsche Bevölkerung auf Hawaii ist es mir ein Anliegen, auch die Beziehungen zwischen der Monarchie und Hawaii aufzuzeigen. Weiter soll das Leben deutschsprachiger EinwanderInnen, die sich zurzeit auf Hawaii befinden und für immer dort ihre Heimat gefunden haben thematisiert werden.

Die Eingrenzung hinsichtlich des Zeitraumes für diese Masterarbeit umfasst in etwa die Zeit von 1860, als die ersten europäischen ArbeitsmigrantInnen nach Hawaii gekommen sind, wie auch die Dauer der New Immigration, die sich ungefähr in der Zeit von 1880 bis 1914 manifestierte. Ferner wird es auch notwendig sein, die Zeit der Old Immigration, die sich vor 1860 konstatiert hat, zu reflektieren sowie die Zeitspanne vor und während dem Zweiten Weltkrieg bis einschließlich 1959, als Hawaii durch einen Volksentschied zum 50. US-Bundesstaat ernannt wurde.[4]

Abschließend möchte ich an dieser Stelle auf die Begriffe der „deutschsprachigen Minderheit“ bzw. „deutschsprachigen Völker“ eingehen, wie sie im Titel der vorliegenden Arbeit Verwendung finden. Darunter werden sämtliche Bewohner deutscher Abstammung des Heiligen Römischen Reiches sowie seiner Folgestaaten Österreich einerseits und einer großen Zahl von Königreichen, Herzogtümern, Fürstentümern, sakraler und säkularer Richtung, Grafschaften und Freier Städte verstanden. Diese Staaten standen seit 1871 unter dem Einfluss des Königreichs Preußen.[5] Für Schweizer wird in diesen Begriffen auch deutschsprachige Bevölkerung aus der Schweiz mit eingeschlossen, aber auch baltische Länder, da diese Jahrhunderte als Grenzgebiete zwischen Deutschland und Russland bestanden haben.[6]

Forschungsfragen und Hypothesen

Aufgrund der bisher dargestellten Aspekte in Bezug auf die deutschsprachigen EinwanderInnen Hawaiis ergibt sich hinsichtlich der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts, die ja vorwiegend von deren Herkunftsländern angezettelt worden sind, folgende leitende Forschungsfrage:

Auf welche Weise äußerte sich das Verhalten der Einheimischen gegenüber der deutschsprachige MigrantInnen, trotz ihres Einsatzes für die Wirtschaft Hawaiis, in Bezug auf den Ersten und Zweiten Weltkrieg?

Dabei ergeben sich weiter folgende Fragen, die Ansatzpunkte für eine detaillierte Beantwortung der eben genannten Forschungsfrage liefern:

- Welchen Beitrag im politischen, kulturellen sowie sozioökonomischen Ausmaß haben deutschsprachige MigrantInnen für die Entwicklung des Landes im 19. und 20. Jahrhundert auf Hawaii geleistet?
- Welchen Einfluss hat die deutschsprachige Bevölkerung auf Hawaii damals gehabt und welche Faktoren sind bis heute für die hawaiische Bevölkerung aus dieser Zeit geblieben?

Folgende Hypothesen werden zu Grunde gelegt:

Hypothese 1: Je größer das negative Image des Ersten Weltkriegs der deutschsprachigen Länder war, desto mehr wurden sie von der einheimischen Bevölkerung Hawaiis in Bezug auf die Arbeitsplätze diskreditiert.

Hypothese 2: Je mehr deutschsprachige MigrantInnen im Arbeitsprozess integriert waren, desto größer war der ökonomische Output für die hawaiische Wirtschaft.

Methodik

Um die oben genannten Fragen zu beantworten, werden vorwiegend die Methoden der Literaturrecherche sowie der Hermeneutik angewandt. Hermeneutik gilt als Methode der systematischen Interpretation von Ereignissen und Zusammenhängen in den Geisteswissenschaften. Sie ist außerdem die Lehre des Verstehens, von Texten und menschliche Lebensäußerungen. Dabei werden Zusammenhänge aufgedeckt, die sich nicht direkt an empirischen Gegebenheiten zeigen.[7] „Hermeneutik wird überall gebraucht, wo es um systematische, strukturelle oder latente Zusammenhänge geht, die sich nicht unmittelbar in empirischen Gegebenheiten zeigen“.[8]

Zwei ExpertInneninterviews, die im Rahmen eines einmonatigen Forschungsaufenthaltes am East West Center / Honolulu und der University of Hawaii at Manoa durchgeführt wurden, werden die gewonnenen Ergebnisse unterstreichen und näher beschreiben.

Eines der Interviews wurde mit Frau Dr. Irmgard Hörmann (95) und David Hörmann (50), einer Zeitzeugin und Tochter des Einwanderers Pastor Arthur Hörmann sowie ihrem Neffen, die einer deutschen intellektuellen Familie entstammen, geführt. Frau Hörmann hat in Form einer Narration vorwiegend über ihren familiären Hintergrund gesprochen, über die Lebensjahre der Familie auf Hawaii. Sie ist auch, wenn nicht ausführlich, auf die Zustände und das Verhalten deutschsprachigen MigrantInnen gegenüber eingegangen. Ihr Neffe, David Hörmann, der Adoptivsohn ihres Bruders Bernhard Hörmann hat meine Fragen gemeinsam mit seiner Tante beantwortet und detaillierter ausgeführt.

Der zweite Interviewpartner war Prof. Dr. Niklaus Rudolf Schweizer (66), ein Hawaiiexperte, der 1956 als Tourist nach Hawaii kam und im Jahr 1968 als Lehrer an der Punahou Hochschule, wo auch der derzeit amtierende us-amerikanische Präsident Barack Obama studiert hat, lehrte. Schweizer kommt aus der Schweiz und ist derzeit Professor an der Hochschule für Sprachen, Linguistik und Literatur an der University of Hawaii at Manoa. Er hat bereits einige Bücher veröffentlicht[9], in denen er sich speziell mit der Migration der EuropäerInnen im Pazifik bzw. auf Hawaii auseinandersetzt.

Als Datenbasis für die vorliegende Analyse dient Primär- sowie Sekundärliteratur. Da bis dato sehr wenig über die Behandlung deutschsprachiger AuswanderInnen auf Hawaii bekannt ist, weist diese Arbeit einen eher deskriptiven Charakter auf. Nichtsdestotrotz sind Erzählungen der befragten ExpertInnen eine wichtige Stütze bei der Beantwortung der hier gestellten Forschungsfrage.

Die angeführten Methoden werden als eine Kombination angewandt. Inhalt des narrativen Interviews mit Irmgard Hörmann ist in erster Linie ihre Lebensgeschichte bzw. Geschichte ihres Vaters (Dr. Arthur Hörmann), der im 19. Jahrhundert ausgewanderte und nach Honolulu als Lehrer immigrierte, wo er Pastor wurde, darzustellen.

Für die Durchführung des narrativen Interviews mit Irmgard Hörmann war besonders darauf zu achten, dass bei der Anwendung eine für die Fragestellung relevante Erzählung zustande kommt. Dabei sollte die Eingangsfrage so formuliert werden, dass darin der avisierte Erfahrungsbereich als Lebensabschnitt thematisiert wurde. Für unklar gebliebene Passagen wurden im anschließenden narrativen Nachfrageteil durch erneuerte Erzählaufforderung gezielte Fragen aufgegriffen.[10]

Im Zuge des Interviews wurden von Hörmann und Herrn Schweizer auch private Aufnahmen bzw. Fotografien vorgelegt, die in den Forschungsprozess mit einbezogen worden sind. Sie stellen Aufzeichnungen vergangener Ereignisse dar und sollen als Deutung der Wirklichkeit dieser Zeit dienen.[11] Fotografien verkörpern gleichsam die verbreitetste Form der visuellen Soziologie, da sie die Welt vor jeder möglichen Deutung einfangen.[12]

Die angeführten Methoden sind Werkzeuge, mit deren Hilfe gedankliche Konstruktionen über die Wirklichkeit – also wissenschaftliche Erkenntnisse – gemacht werden. Das Endprodukt eines solchen Konstruktionsvorhabens spiegelt sich wieder in Erkenntnissen, Modellen, Klassifikationen, Hypothesen oder Theorien.[13]

Gliederung

Der erste Abschnitt der vorliegenden Arbeit umfasst die Geschichte der Arbeits- und Siedlungswanderung im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Dabei wird der Fokus besonders auf deutschsprachige Gebiete, beispielsweise die Auswanderung aus der k.u.k. Monarchie wie auch aus dem Deutschen Reich gelegt. Damit verbunden sind bedeutende Ursachen der Auswanderung in die USA, speziell Hawaii, die im zweiten Abschnitt genau analysiert werden. Bei einigen Menschen rufen unterschiedliche Faktoren den Wunsch hervor, auszuwandern. Bei vielen hingegen zeigt die Verlockung, in andere Länder abzuwandern, von wirtschaftlichen und sozialen Verbesserungsmöglichkeiten eine nachteilige Entwicklung, die schnell in Enttäuschung oder sogar Desillusionierung oder Ablehnung seitens der Aufnahmegesellschaft umschlagen kann. Wenn damit unerwartete Ereignisse in Verbindung treten, verstärkt sich dieser Druck. Es wird dargelegt, warum ausgerechnet Hawaii Ende des 19. Jahrhunderts für viele Menschen so attraktiv und anziehend war, um ihre Heimat zu verlassen. Kapitel drei ist der Migrationstheorie gewidmet. Es wird versucht, aus theoretischer Perspektive das Phänomen Migration und Transnationalismus näher zu beleuchten.

Im vierten Abschnitt wird ein kurzer historischer Abriss der wichtigsten historischen Ereignisse Hawaiis und damit verbundene kulturelle und politische Entwicklungen des Landes gegeben. Dabei interessiert vor allem, wann die ersten EuropäerInnen das Land entdeckten, die Phase der Missionierung ab 1820 sowie der Sturz der Monarchie, der sich im Jahr 1893 ereignete und von wo an die Regierungsgeschäfte von AmerikanerInnen übernommen wurden. In diesem Abschnitt wird ferner auf die Besuche der österreich-ungarischen BürgerInnen auf den Hawaii-Inseln sowie auf die Darstellung der Eindrücke der HawaiianerInnen während ihrer Besuche in der k.u.k. Monarchie eingegangen.

Im fünften Kapitel wird der genaue Einwanderungsprozess der deutschsprachigen Bevölkerung dargestellt. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen jedoch die KontraktarbeiterInnen und wie man mit ihnen vor und während den beiden Weltkriegen umgegangen ist. Dabei wird gezeigt, wie und von wem diese angeworben wurden und wie die Situation sowohl im Auswanderungs- als auch im Einwanderungsland für deutschsprachige Minderheit in dieser Zeit ausgesehen hat. An dieser Stelle wird sowohl auf die vielen Problematiken der PlantagearbeiterInnen eingegangen, aber auch auf das Leben der „Intellektuellen“ (einer weiteren Gruppe wichtiger deutschsprachiger BürgerInnen), die maßgeblich für die Errichtung deutscher Stätten und Einrichtungen auf Hawaii verantwortlich waren. Abschließend werden im achten Kapitel die wirtschaftliche Entwicklung Hawaiis vor und während der Zeit der Ansiedlung deutscher Minderheitengruppen sowie die Folgen der Auswanderung für deutschsprachige Länder aufgezeigt.

1. Transnationale Migration bzw. Arbeits- und Siedlungswanderung im späten 19. und frühem 20.Jahrhundert

Bevor auf transnationale Migration eingegangen wird, soll wie folgt zunächst der Begriff Migration allgemein geklärt werden.

1.1. Der Begriff Migration

In der Fachliteratur gibt es keine einheitliche Definition des Begriffes „Migration” bzw. „Wanderung”. Migration wird unter anderem als ein „Prozess der räumlichen Versetzung des Lebensmittelpunkts, also einiger bis aller relevanten Lebensbereiche, an einen anderen Ort, der mit der Erfahrung sozialer, politischer und/oder kultureller Grenzziehungen einhergeht”[14] verstanden. Oswald bekräftigt auch, dass der Migrationsprozess keinesfalls nur die Überwindung geografischer Distanz beinhaltet, sondern auch persönliche, psychische, psychosoziale Aspekte mitberücksichtigt, die sich über einen langen Zeitraum hinziehen können.[15] Primär ist dabei zu beachten, dass die Migrationsbewegungen zwanglos oder unfreiwillig erfolgen, denn die Ursachen, die oft zu Migration führen, sind vielseitig und können selten auf einzelne Einflüsse festgelegt werden. Somit ist es in vielen Fällen schwierig, eine Grenze zwischen Flucht und Migration zu ziehen.[16]

Albrecht verwendet den Begriff der „Wanderung“ als einen vagen und mehrdeutigen Ausdruck der Alltagssprache. Demzufolge bedeutet Wanderung „zunächst die Ausführung einer räumlichen Bewegung, die einen vorübergehenden oder permanenten Wechsel des Wohnsitzes bedingt, eine Veränderung der Position also im physischen und im sozialen Raum“.[17] Migration ist demnach wesentlich mehr als ein Ortswechsel, denn (Arbeits-)MigrantInnen können mitunter völlig isoliert oder im Kreise ihnen bekannter ZuwanderInnen im Ausland leben.

Berücksichtigt man all die Begriffsbestimmungen, die „Migration“ zu definieren versuchen, liefert Dieter Nohlens Definition meines Erachtens die treffendste Erklärung für das Phänomen Migration:

„Unter Migration lassen sich alle Flucht- und Wanderungsbewegungen verstehen, die mit einer räumlichen Verlagerung des Lebensschwerpunktes von Menschen einhergehen. Im Hinblick auf Ursprung und Ziel ist die internationale Migration von der Binnenmigration zu unterscheiden, die ihrerseits die Land-Land-Migration, die Land-Stadt-Migration sowie die Migration zwischen und innerhalb von Städten umfasst.“[18]

Migrationsbewegungen hat es zu allen Zeiten gegeben; immer schon haben Menschen aus ökonomischen, sozialen, politischen oder religiösen Gründen ihre Heimat verlassen, um einen höheren Lebensstandard zu erreichen. Es lässt sich eine genaue Identifizierung der Migrationsbewegung einzelner Faktoren nur schwer nachvollziehen, da es sich um eine Vielzahl möglicher kausaler Bedingungsfaktoren handelt, die sich sowohl auf der gesellschaftlich strukturellen als auch auf der persönlich individuellen Ebene abspielen.

Nach William Peterson werden unterschiedliche Formen und Gründe für Migration angeführt:[19]

- Primitive migration wird häufig durch ökologische Bedingungen, meist durch Überbevölkerung oder Nahrungsmittelknappheit ausgelöst und führt dazu, dass Menschen ihren Lebensraum verlassen.
- Free migration erfolgt aus freier und persönlicher Entscheidung mit der Absicht, eigene Lebensumstände und Chancen zu verbessern.
- Forced and impelled migration, kann erzwungen werden oder Personen dazu veranlassen, ihr Land zum Teil freiwillig zu verlassen. Hierbei bleibt ein gewisser eigener Entscheidungsspielraum frei, ob Wanderung erfolgen soll oder nicht.
- Kettenmigration bezeichnet jene Art der Migration, die durch Familienangehörige, Verwandte oder Bekannte, welche bereits im neuen Aufnahmeland leben, ermutigt werden, auszuwandern. Die erste Person, die ausgewandert ist, erkundet die Situation und holt bei Gelegenheit die nächste(n) Person(en) (Familienmitglieder) nach. Durch Briefverkehr oder Erzählungen werden Menschen dazu motiviert, auszuwandern bzw. nachzuwandern.

Migration zählt zu einem internationalen Phänomen, denn laut IOM (International Organization for Migration) halten sich schätzungsweise rund 60 Millionen Menschen (Stand 2011) im Ausland (intern Vertriebene, MigrantInnen, Flüchtlinge) auf.[20] Demnach leben rund 175 Millionen Personen in Ländern, in denen sie nicht geboren wurden. Der Anteil der flüchtigen Frauen bemisst sich auf 49 Prozent.[21] Die Gesamtzahl von internationalen MigrantInnen teilt sich nach Albrecht etwa gleich auf, nämlich in Flüchtlinge, die aufgrund lebensbedrohlicher Bedingungen gezwungen wurden, ihre Wohnsitze zu verlassen, MigrantInnen, die aus freier Entscheidung auswandern (z.B. ArbeitsmigrantInnen), und Binnenflüchtlinge (displaced person), die sich innerhalb gleicher nationalstaatlicher Grenzen befinden und juristisch nicht als Flüchtlinge anerkannt werden.[22]

Wenn von Auswanderung die Rede ist, wird darunter gewöhnlich Wanderung verstanden. Mönckmeier teilt die Wanderung bzw. Auswanderung in zwei Gruppen ein:

- die Binnenwanderung als Bewegung der Menschen innerhalb der Landesgrenzen und
- die Auswanderung als Bewegung der Bevölkerung über die Landesgrenzen hinaus. Dabei wird die „ trockene Auswanderung”, d.h. die Abwanderung in die übrigen kontinentalen und europäischen Länder, von der „überseeischen Auswanderung”, d.h. die Wanderung, die über den europäischen Kontinent hinausgeht, unterschieden.[23]

Obgleich unterschiedliche Wanderungsarten definiert werden, so soll in der vorliegenden Arbeit nur die überseeische Abwanderung genaue behandelt werden. Wanderung bedeutet somit das Verlassen des Heimatlandes zum Zweck der Verbesserung der Lebenslage. Somit wird voraussetzt, dass ins Ausland abgewandert wird, um dort seinen Lebensunterhalt zu verdienen.[24] Die Auswanderung war für deutschsprachige Länder daher von eminenter politischer, sozialer, militärischer aber auch wirtschaftlicher Bedeutung.

1.1.1. Fluchtmigration versus Arbeitsmigration

Wenn in den Medien von Migration die Rede ist, entsteht oft der Eindruck, dass nicht nur Fluchtmigration, sondern auch Arbeitsmigration damit zusammengefasst wird. Auch in der Wissenschaft wird lediglich von Migration gesprochen, da Oswald zufolge einerseits die Flucht eine Form der Migration darstellt und anderseits Flüchtlinge auf längere Sicht in ihrem Aufnahmeland, genauso wie ArbeitsmigrantInnen, mit denselben Schwierigkeiten konfrontiert werden.[25] Dennoch unterscheiden sich diese Begrifflichkeiten deutlich voneinander. Beim Begriff „Flucht” sind wesentliche Ursachen dafür verantwortlich, dass Menschen beispielsweise aufgrund bedrohlicher Lebenssituationen ihre Herkunftsgebiete verlassen müssen. Die Bedrohungen umfassen unterschiedliche Formen der politischen, religiösen und rassistischen Diskriminierung sowie Verfolgung bis hin zu Krieg und Vertreibung. Bei der Arbeitsmigration liegen die Gründe bei den unterschiedlichen Strukturen der Arbeitsmärkte, wirtschaftlichen Aspekten des jeweiligen Landes sowie bei einem weiten Spektrum an persönlichen Motiven, die zu Auswanderung führen. Derartige individuelle Motivlagen werden bei der Fluchtmigration jedoch nicht angenommen. Im Falle von Fluchtbewegungen sind beispielsweise internationale Hilfsorganisationen oder Interventionen seitens der Staaten damit vertraut, den Flüchtigen Hilfe zu gewähren. Flüchtlinge können um Asyl ansuchen, müssen jedoch im Falle politischer Verfolgung nachweisen, dass sie in ihrem Land aufgrund politischer Unruhen oder Kriegen nicht erwünscht sind.[26]

Handelt es sich um Arbeitsmigration, ist der Prozess ein anderer. Zwar sind auch hier staatliche Stellen, wie beispielsweise Regulierungsbehörden oder Vermittlungsagenturen, beteiligt, jedoch wird der Migrationsprozess in derartigen Fällen oft auch inoffiziell abgewickelt, „sei es in Gestalt von Industrieunternehmen, die Infrastrukturleistungen erbringen (wie Unterkünfte oder Transport), sei es in Gestalt der Migranten selbst”.[27]

Die legale Arbeitsmigration wird daher von der „International Labour Organization” (ILO) jährlich erfasst und dokumentiert.[28]

In Bezug auf die Aufnahmesituation von Flüchtlingen, die asylberechtigt sind, kann ein Niederlassungsrecht mit einer gültigen Arbeitsgenehmigung ausgestellt werden. Somit sind sie berechtigt, in einem Land dauerhaft zu bleiben und zu arbeiten. Bei den ArbeitsmigrantInnen ist die Aufnahmesituation durch gesetzlich stark differenzierte Regelungen bestimmt, wodurch „Einwanderungsländer” klar von den „Nichteinwanderungsländern” zu unterscheiden sind. Aus diesem Grund sind ArbeitsmigrantInnen den Eigeninteressen des Staates untergeordnet, welche nach Bedarf herangezogen oder unterbunden werden können. Das bedeutet, dass in konjunkturell guten Zeiten Wanderungswilligen die Einreise leichter gemacht wird, bei schlechter Wirtschaftslage und zunehmenden Beschäftigungsproblemen hingegen Neueintritte ausländischer Arbeitskräfte verhindert werden.

Obgleich Arbeitsmigration und Fluchtmigration große Unterschiede demonstrieren, weisen sie bei einem wichtigen Punkt Gemeinsamkeiten auf, nämlich bei der Zahl der illegalen Einwanderungen bzw. nicht registrierten MigrantInnen, die stetig wächst. Besonders bei illegaler Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte entsteht der Eindruck, dass hier Staaten nur leiser protestieren, weil in vielen Branchen, wie beispielsweise im Gastgewerbe, im Gesundheits- und Pflegewesen oder der Landwirtschaft, auf ausländische Arbeitskräfte nicht verzichtet werden kann, da in diesen Berufssparten InländerInnen aufgrund „beschwerlicher Arbeitsbedingungen” oder geringer Entlohnung oft nicht bereit sind zu arbeiten.[29]

1.2. Transnationale Arbeitsmigration

Wenn von transnationaler Arbeitsmigration gesprochen wird, wird im Alltagsverständnis meist die Zirkulation von Personen, Gütern oder Informationen über nationale Grenzen hinweg gemeint. Demnach müssen sowohl die sozioökonomische, aber auch die geografische Lage der Ein- und Auswanderungsländer, institutionelle Regelung beider Staaten sowie die soziale Umgebung der Menschen berücksichtigt werden. Nur so können Prognosen über Auftreten und Verschwinden von transnationalen Räumen gegeben werden. Die Erschließung und Verdichtung globaler Räume durch Migration ist kein neues Phänomen, sondern hat sich aufgrund globaler Veränderungen, wie beispielsweise Urbanisierung, technische Fortschritte, Kolonialisierung bzw. Entkolonialisierung, Sklaverei, kriegerische Auseinandersetzungen, Überbevölkerung und andere wichtige Umbrüche, herausgebildet.[30]

Die Massenabwanderung aus Europa im Verlauf des 19. Jahrhunderts nahm globale Ausmaße an. „Den Hintergrund bildete ein weitreichendes, regional unterschiedlich ausgeprägtes und im Zeitverlauf verschiedene europäische Regionen erfassendes (und zeitgleich in anderen Regionen bereits wieder abnehmendes) ‚Missverhältnis von Bevölkerungswachstum und Erwerbsangebot’”.[31] Bade fasst die Gründe für diese Massenwanderung als den „Wandel von Agrar- zu Industriegesellschaft, die Entfaltung der atlantischen Ökonomie und der Sog der Neuen“[32] dieser Zeit zusammen. In dieser Zeit wuchs die europäische Bevölkerung von rund 187 Millionen um 1800 über etwa 266 Millionen fünfzig Jahre später und auf 468 Millionen im Jahr 1913.[33] Ein weiterer Grund für die Abwanderung der EuropäerInnen beispielsweise nach Übersee war die erhöhte Nachfrage nach Rohstoffen und Nahrungsmitteln sowie der Investitionsschub durch den Kapitalexport aus Europa, der neue Migrationsziele entstehen ließ, wo hoher Arbeitskräftebedarf herrschte. Mangel entstand meist auf Kontinenten, wie in Amerika, wo Eroberungen durch Kriege oder Epidemien zu einem immensen Rückgang der einheimischen Bevölkerung führte.[34] Viele Krankheiten, die die Eroberer mitgebracht hatten, und gegen die sie selbst immun waren, wirkten für die einheimische Bevölkerung oft tödlich. Besonders auf einigen karibischen und pazifischen Inseln wirkten sich die Epidemien verheerend aus, sodass die einheimische Bevölkerung innerhalb von wenigen Jahrzehnten fast vollkommen ausgestorben war, so auch auf Hawaii.[35]

Ein wesentlicher Grund für den Anstieg der europäischen Überseemigration war neben fehlenden Arbeitskräften in vielen Teilen der Welt ein agrar- und industriewirtschaftlicher Boom in den USA. Besonders in den wirtschaftlichen Zentren der Welt und vor allem in der Phase vor dem Ersten Weltkrieg entstand in einigen Segmenten des Arbeitsmarktes ein hoher Bedarf an Arbeitskräften, der mit dem jeweiligen nationalen Arbeitskräftepotenzial bald nicht mehr gedeckt werden konnte und nur mittels der zwischenstaatlichen Anwerbevereinbarungen zu überwinden war.

Neben den zahlreichen MissionarInnen stellten EuropäerInnen darüber hinaus Kaufleute, PlantabetreiberInnen, PlantagearbeiterInnen sowie Bauern/Bäuerinnen zu Verfügung, die auf den Doppelkontinent gekommen waren, um zu arbeiten.[36]

Die größte Gruppierung war jene der europäischen Vertragsarbeitskräfte bzw. KontraktarbeiterInnen, die zwischen den 1850er und 1900er Jahren in die USA einwanderten. Diese verpflichteten sich freiwillig zwischen drei bis fünf Jahre einem Arbeitgeber, der die Überfahrt, Kosten für die Verpflegung, Unterkunft und ärztliche Behandlung bezahlte sowie ein Stück Land bereitstellen musste.[37] Viele der ArbeitsmigrantInnen sahen dies als eine gute Gelegenheit, aus den ärmlichen Verhältnissen zu Hause auszubrechen und auf lange Sicht eine Verbesserung ihrer Situation zu erzielen. Darüber hinaus nutzten die europäischen Regierungen das System der Verträge dazu, straffällige oder marginalisierte Menschen aus Europa zu entfernen. Das Machtgefälle zwischen Herren und KontraktarbeiterInnen in Übersee war groß. Auch die prekären Lebens- und Arbeitsverhältnisse stellten sich für viele Eingewanderten oft als unerträglich dar, da Übergriffe, Misshandlungen und Missachtungen der Vertragsbestimmungen an der Tagesordnung standen.[38]

Erleichtert wurde die Überseemigration vor allem durch die Einführung von Dampfschiffen.[39] Der größte Anteil der Auswanderung nach Übersee wurde vorwiegend über die großen deutschen Reedereien Norddeutscher Lloyd und Hamburg-America-Line in Bremen und Hamburg sowie mit der Austro-American über Triest ermöglicht.[40] Oltmars Aufzeichnungen zufolge benötigte die Überfahrt eines Seegelschiffes im Jahr 1867 von Europa in die Vereinigten Staaten ungefähr 44 Tage, mit einem Dampfschiff nur noch 14 Tage.[41] Laut den Protokollen des k.u.k. österreich-ungarischen Konsulats in Honolulu betrug die Beförderung der ArbeiterInnen im Jahr 1898 von Bremerhaven nach Honolulu fünf Monate bzw. ca. 140 Tage mit dem Segelschiff.[42]

Einerseits zeigten sich die USA als ein offenes und liberales Land für die neuen ImmigrantInnen, anderseits gab es in den Jahren zwischen 1880 bis 1890 politische Migrationsbarrieren, in denen die Verschärfung der Einwanderungsrichtlinien angestrebt wurde. „Armut, gewisse Krankheiten, aber auch die Herkunft aus bestimmten Weltgegenden bildeten seit den Einwanderungsgesetzen von 1882 und 1891 Argumente, potentielle Einwanderer abzuweisen und sie auf Kosten der Reedereien zurückzuschicken.”[43] Beispielsweise wurde 1882 der „Chinese Exclusion Act” verabschiedet, um die Wellen der Immigranten aus China zu bremsen, die an der Westküste des Landes ankamen.

Auf Ellis Island, eine Insel vor der Küste New Yorks, wurde 1891 eine zentrale us-amerikanische Einwanderungsstation eingerichtet, wo früher die EinwanderInnen registriert und untersucht wurden. Die Insel gilt bis heute als Synonym für die amerikanische Immigration. Sie bildete somit die Hauptschleuse für die Zuwanderung über See. „Eine weitere Durchgangsstation gab es in San Francisco, die 1909 auf das [sic!] vorgelagerte Angel Island verlegt worden war und zum Symbol für das Bestreben wurde, die Zuwanderung von Chinesen äußerst restriktiv zu handhaben.”[44] Zu Spitzenzeiten, wie beispielsweise im Jahr 1907, erreichten über 1,4 Millionen EinwanderInnen Elise Island. Nach dem Ersten Weltkrieg ging das Jahrhundert der europäischen Massenmigration nach Übersee zu Ende. Gründe dafür war zum einen der Krieg, an dem fast alle bedeutenden europäischen Herkunftsländer beteiligt waren, zum anderen eine Quotenregelung, die die Einwanderungsbestimmungen strenger werden ließen. Vor diesem Hintergrund erreichten zwischen 1916 und 1920 durchschnittlich 431.000 Flüchtlinge die USA.[45] Das Einwanderungsgesetz, das mit dem 1. Juli 1921 in Kraft trat, sah eine genaue Quotenregelung vor, wobei jedem Land eine festgelegte Höchstzahl von jährlich zuzulassenden EinwanderInnen zugewiesen wurde. Für die deutschen EinwanderInnen zeichnete sich erstmals eine schwere Einschränkung ab, denn laut dem Gesetz von 1921 lag die Quote deutscher EinwanderInnen in die USA bei 68.051 Personen.[46] Diese wurde acht Jahre später, nach der „National Origin Clause” auf 25.967 Personen herabgesetzt.[47] In der Zwischenkriegszeit stieg die Zahl der Überseemigration erneuert an. Ebenso wie der Erste Weltkrieg wurde auch der zweite globale Konflikt und seine Folgejahre durch Flucht, Vertreibung, Deportation und Zwangsarbeit geprägt.[48]

Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass die Zeit bis zum 18. Jahrhundert, eine Epoche der Aufklärung, sowie die Etablierung relativ immobiler Agrargesellschaften bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts durch Industrialisierung, Urbanisierung und Kriegseinwirkungen neu bestimmt wurde.[49] Im Unterschied zum 19. Jahrhundert, in dem die Arbeitsmigration Massencharakter angenommen hatte, kann das 20. Jahrhundert als die Epoche der „Flucht und Vertreibung” charakterisiert werden.

Die Migrationsbewegung im 19. und 20. Jahrhundert kann somit unterteilt werden in die Zeitspanne der „Old Immigration”, die ab etwa 1880 durch „New Immigration” abgelöst wurde.

1.3. Old Immigration

Old Immigration, auch als die Zeitspanne der Siedlungswanderung bezeichnet, prägte die Zeit von 1790 bis 1870. Diese Auswanderungswelle wurde von MigrantInnen vor allem aus Großbritannien, Deutschland und den Niederlanden zugeordnet. Die spätere Auswanderung ab 1880, vor allem aus Österreich-Ungarn, Italien, Griechenland und den slawischen Ländern, wird der „New Immigration” zugeordnet.[50]

Mit der ersten Volkszählung der USA im Jahr 1790 umfasste die Bevölkerungszahl europäischer Herkunft 3,9 Millionen Menschen, davon stammen rund zehn Prozent aus deutschsprachigen Regionen.[51] Einige Jahrzehnte später, von den 1840er bis zu den 1880er Jahren, wanderten 15 Millionen EuropäerInnen, hauptsächlich aus dem Westen, Norden und Mitte des europäischen Kontinents in die USA ein. Dies war die Hochphase der Einwanderung ‑ davon waren 4 Millionen deutschsprachige MigrantInnen, drei Millionen IrInnen, drei Millionen BritInnen und eine Million Menschen aus Skandinavischen Ländern. Damit wuchs die amerikanische Bevölkerung in dieser Zeit von 17 Millionen auf 63 Millionen an.[52]

1.4. New Immigration

Die Phase verstärkter kolonialer Expansion im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, auch die Zeitspanne der „New Immigration”[53] genannt, skizziert die Übergangsphase von der Siedlungs- zur Industriewanderung, die sich besonders durch „eine Zeit beschleunigter internationaler ökonomischer Vernetzung”[54] auszeichnet, in der das Volumen des Welthandels von 1870 bis 1913 um mehr als das Dreifache anstieg. Es wurde eine starke Nachfrage nach Rohstoffen, Nahrungsmitteln, Halbfertig- und Fertigungsprodukten verzeichnet. Agrarische und industrielle Produktion wuchs stark an, neue Märkte wurden erschlossen und das bereits erwähnte Verkehrs- und Kommunikationsnetzwerk wurde stark ausgebaut. Somit konnten größere Distanzen mit geringeren Kosten in kürzeren Zeitspannen überquert werden und immer mehr Menschen und Waren größere Distanzen überwinden.[55] Die Hochphase der Auswanderung ereignete sich in den anderthalb Jahrzehnten vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, als durchschnittlich über 1,3 Millionen EuropäerInnen auswanderten. Zwischen 1900 und 1910 verzeichnete die US-Auswanderungsbehörde über 2,1 Millionen ZuwanderInnen aus der Habsburgermonarchie und 1,6 Millionen Menschen aus dem russischen Zarenreich.[56]

Unter ihnen waren auch EinwanderInnen aus dem Großherzogtum Oldenburg und Westpreußen.[57]

Besonders einflussreiche deutsche Geschäftsleute, die Mitte des 19. Jahrhunderts nach Hawaii auswanderten und dort ihre Unternehmen gründeten, kamen aus den nördlichen sowie westlichen Teilen Deutschlands. Ein Großteil der ArbeiterInnen waren LandwirtInnen und HandwerkerInnen, die zum Teil aber auch schon Fabrikarbeit verrichtet hatten, vor allem in Dünger- und Zigarrettenfabriken in Verden oder Nienburg, den Kleinstädten in Niedersachsen, oder sie stammen aus Vororten von Hannover.[58]

Wie zuvor erwähnt, kam auch ein größer Teil arbeitswilliger MigrantInnen aus dem damaligen Preußen und anderen Teilen Deutschlands. Sie waren meist ungelernte und wenig gebildete ArbeiterInnen aus den verarmten Regionen.

Jedoch wanderten die Menschen aus Europa nicht nur aus, denn je stärker im 19.Jahrhundert die Beschäftigungsrate in den industriellen Regionen anstieg, desto höher lag die Rückwanderungsquote. Die Öffnung großer neuer Siedlungszonen für europäische LandwirtInnen sowie die Entdeckung von Rohstoffvorkommen führten dazu, dass viele Menschen aus den USA nach Europa zurückkehrten. In der Zeit zwischen 1880 bis 1930 kamen über vier Millionen Menschen zurück. Vorwiegende waren dies AuswanderInnen aus Ost-, Ostmittel- und Südeuropa, wie beispielsweise Serbien oder Bulgarien.[59]

1.5. Auswanderungspolitik der deutschsprachigen Länder

Wenn über die Auswanderungspolitik deutschsprachiger Länder gesprochen wird, werden einerseits die Auswanderung aus Österreich-Ungarn sowie die Gründe und das Ausmaß der Auswanderung aus dem Deutschen Reich unterschieden. Zwischen 1815 und 1860 sind insgesamt fünf Millionen EuropäerInnen in die USA ausgewandert. In den folgenden 30 Jahren kamen zehn Millionen und 15 Millionen weitere MigrantInnen von 1890 bis zum Ersten Weltkrieg.[60] Die bis 1880 Eingewanderten ‑ wie schon erwähnt auch „old immigrants” gennant ‑ kamen zum großen Teil aus den nördlichen und westlichen Teilen Europas; mit den „new immigrants” wurden Menschen überwiegend aus Ost- und Südeuropa in Verbindung gebracht. Wie sich diese Zahlen auf deutschsprachige MigrantInnen aufteilt, wird in den folgenden Kapiteln genauer ausgeführt.

1.5.1. Auswanderung aus dem Deutschen Reich

Bisher sind die Ursachen für die Massenbewegung innerhalb Europas, die durch Zu- und Abwanderung geprägt war, dargestellt worden. Deutsche gingen über die Jahrhunderte als Arbeits-, Siedlungs-, Heirats-, Wohlstand- und KulturwanderInnen in großer Zahl ins Ausland, ebenso wie MigrantInnen nach Deutschland kamen. Hinzu kam, dass vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts millionenfache Zwangswanderungen während und in Folge der beiden Weltkriege ausgelöst wurden.

Der vorliegende Abschnitt beleuchtet daher kurz das Wanderungsgeschehen nach und aus Deutschland sowie die deutsche Migrationspolitik von 1871 bis 1950. Es bedarf auch darauf hinzuweisen, dass sich eine genaue statistische Aufzeichnung überseeischer Auswanderungsbewegung schwierig feststellen lässt, da neben den legalen und daher registrierten Auswanderungen eine heimliche und intransparente, von der Statistik nicht zu fassende, Auswanderung stattgefunden hat. Das bedeutet, dass behördliche Aufzeichnungen an den Orten und Plätzen getätigt wurden, von denen die Auswanderung ausging.[61] Jedoch zeigen bestehende Aufzeichnungen über die Anzahl der Abgewanderten ab 1846, dass hier nicht nur deutschsprachige Personen, sondern auch viele Nichtdeutsche inbegriffen wurden. Diese Protokolle legen ferner jedoch nicht die genaue Anzahl der AuswanderInnen offen, da viele andere Routen wählten oder beispielsweise über holländische, französische oder englische Häfen nach Übersee migrierten.[62] Es wird auch angenommen, dass die Intensität der Auswanderung deutscher BürgerInnen über ausländische Häfen genau so hoch war wie über die einheimischen.[63] In der Phase der „New Immigration”, d.h. von 1871 bis 1910, zeigt die deutsche Reichsstatistik exakt 2.775 857 ausgewanderte Menschen, die über deutsche und fremde Häfen (Rotterdam und Amsterdam, französische und englische Häfen) abwanderten.[64] Es ist weiter feststellbar, dass bis zu 90 Prozent der deutschen Überseewanderung Nordamerika zum Ziel hatte.[65] Wie Hörmann bestätigt auch Bade, dass „in der ersten Auswanderungswelle um die Jahrhundertmitte noch die traditionsreichen südwestdeutschen Ausgangsräume im Vordergrund gestanden hatten, dominierten in der dritten Welle die vorwiegend agrarischen Nordostgebiete des Reiches”.[66] Der Grund für diese Entwicklung war die Krise der Landwirtschaft im preußischen Osten seit Mitte der 1870er Jahre. Der daraus folgende zunehmende Entwicklungsrückstand der ostelbischen Landwirtschaft führte weiterhin dazu, dass im Vergleich noch größere Ungleichheiten zwischen Osten und Westen Deutschlands herrschte.[67] Besonders Mecklenburg verfügte über die dichteste transatlantische Kommunikation im nordostdeutschen Ausgangsraum, welche durch deutsche AuswanderungsagentInnen bzw. ArbeiterimporteurInnen aus Übersee, die mit vorfinanzierten und im Einwanderungsland abzuarbeitenden Auswanderungspassagen ausgestattet waren, unterstützt wurden.[68] Wie genau die Abwicklung der AuswanderungsagentInnen bzw. Anwerbung funktionierte, wird in Kapitel 7.2 detailliert beschrieben.

Hörmann gibt in seinem Buch „The Germans in Hawaii” einen kurzen Überblick über ein deutsches Ehepaar, das am 24. April 1925 mit dem Schiff „Ehrenfels” auf die hawaiianische Insel Kauai auswanderte und vor der Abreise ihre Situation in Deutschland wie folgt schilderte:

“Mr. and Mrs. Kruse were residents of Hanover, Germany, and a little later moved form Hanover to a small place called Brake on the Weser, where they suffered reverses from a freshet and flood when the Weser broke though the dykes near their home, and flooded the countryside. This was one of the deciding factors in their determination to leave Germany and seek a home in the far Hawaiian Islands. In the old country, Kruse followed his trade as a moulder and, with his wife and little family of three children, lived contentedly enough in his home near the historic and beautiful old city of Hanover. As a piece of molten iron had flown into Kruse’s right eye, impairing its sight, he was exempt form military service, a circumstance which was extremly lucky for them, says Kurse, else he and his family would not have been permitted to leave the country at this time. Men were needed to repair the damages caused by the war with France, and every available man was compelled to take a term of military service.”[69]

In dieser Geschichte spiegeln sich viele Gründe (ökonomische Krisen, Naturkatastrophen u.dgl.), wider, die damals Menschen aus ökonomischen aber auch privaten Gründen veranlasst haben, ihre Heimat aus freien Stücken, aber auch unfreiwillig zu verlassen.

1.5.2. Auswanderung aus Österreich-Ungarn

Die Differenzierung deutschsprachiger Länder ist insofern wichtig, da sie einerseits zeigt, dass zu unterschiedlichen Epochen unterschiedliche Anzahlen von Menschen aus unterschiedlichen Regionen nach Übersee größtenteils in die USA einwanderten. Zudem ist nach Horwath und Neyer wesentlich daran, dass in Bezug auf Hawaii vorwiegend ArbeitsmigrantInnen aus dem Deutschen Reich einwanderten und wenige ÖsterreicherInnen einige Jahrzehnte später. Horvath und Neyer schreiben, dass das erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts das „österreichische Jahrzehnt” der US-amerikanischen Einwanderung war.[70] Mit der ersten Periode der europäischen Massenauswanderung (1850-1885) in die USA fehlen für Österreich genaue Zahlen, da zu dieser Zeit keine repräsentative Auswanderungsstatistik seitens der Monarchie geführt wurde und ÖsterreicherInnen daher nicht als eigene nationale Gruppe klassifiziert werden konnten. Darüber hinaus war es Pichler zufolge für die amerikanischen Behörden zu viel Aufwand, die Aus- und EinwanderInnen nach ihrer genauen nationalen Herkunft zu registrieren. Häufig wurden ungenaue Zahlen in die Liste aufgenommen, damit die überladenen Schiffe bei der amerikanischen Behörde nicht auffielen.[71] In dieser ersten Periode kann festgehalten werden, dass bis etwa 1883 Tirol und Böhmen die Hauptauswanderungsgebiete der Monarchie darstellten.[72] Die/Der ÖsterreicherIn hat in der Zeit der Monarchie mehrere Identitäten gehabt, da sich das Gebiet aus vielerlei Völkern zusammensetzte. Der Anteil an der Wanderung aus den Gebieten war unterschiedlich hoch, wobei der größere Anteil vermutlich aus den slawischen Ländern stamm.[73] Die Einwohnerzahl der Monarchie betrug bei der Volkszählung im Jahre 1910 etwa 53 Millionen und setzte sich aus den Gebieten Österreich, Ungarn, Tschechien (ohne das Hultschiner Ländchen), die Slowakei, Slowenien, Kroatien, Bosnien, Herzegowina sowie Teilgebieten von Rumänien, Montenegro, Polen, Italien, Serbien und der Ukraine zusammen.[74] Die Auswanderungspolitik der Monarchie erlaubte zwar die Auswanderung ihrer BürgerInnen, jedoch war sie nicht gern gesehen. Gesetzlich war sie lediglich durch die Wehrpflicht beschränkt.[75] Denn die Auswanderung aus dem österreichischen Teil der Monarchie bzw. wurde „das Prinzip der Freiheit der Auswanderung aller BürgerInnen aus der Monarchie erst am 21. Dezember 1867 im Staatsgrundgesetz verankert. In den meisten Ländern Europas bestand das Recht der Auswanderung schon länger, beispielsweise in Frankreich bereits ab 1789. Der Grund, warum die Auswanderung durch die Wehrpflicht beschränkt wurde, war der, weil junge Männer im Falle von kriegerischen Auseinandersetzungen für die Verteidigung des Landes benötigt wurden und daher die Auswanderung dieser offiziell nicht geduldet war.[76]

Die Migration aus der Monarchie erreichte in den Jahren zwischen 1900 und 1910 ihren Höchststand und setzte damit im Vergleich zu Deutschland deutlich später ein, wo diese Periode in die Zeit der zweiten Massenwanderung Europas (1885-1914) fiel. Die Emigration wuchs immer stärker an, doch nicht auf einmal und regional konzentriert, sondern langsam und kontinuierlich. Vor allem ökonomische Gründe, wie fehlende Arbeitsplätze, der Mangel von Gewerbe und Industrie sowie Armut ließen den Menschen keine Alternative zur Auswanderung. Jedoch gab es auch andere Ursachen als Antrieb zur Massenwanderung, wie die enorme Verbesserung globaler Rahmenbedingungen, die eine Vielzahl der Menschen zur Migration motivierten. In der Monarchie war seit 1867 die Freiheit der Auswanderung mit der Beschränkung durch die Wehrpflicht im Staatsgrundgesetzbuch festgelegt. Weite Reisen nach Übersee wurden durch gut ausgebaute Bahnstrecken und schnellere Dampfschiffe verkürzt und erleichtert. Migration wurde in weiterer Folge für die Bevölkerung als Mittel zur Verbesserung der individuellen Lebenssituation angesehen. Ein weiterer Grund für die Auswanderung, vor allem aus Süd- und Südosteuropa war die im Gegensatz zu den USA weniger entwickelte Industrie.

Die Gesamtwanderung aus Österreich von 1876 bis 1910 betrug 1,8 Millionen Menschen, wobei mehr als 60 Prozent davon die Doppelmonarchie erst ab 1901 verließen.[77] Es kann gemutmaßt werden, dass der Grund, warum der Höhepunkt der österreichischen Auswanderung so spät stattfand, darin lag, dass sich das europäische Auswanderungsfeld einerseits stufenweise von Westen nach Osten verschoben hatte. Darüber hinaus waren die USA für ihre erstarkende Industrie immer noch auf der Suche nach billigen Arbeitskräften, nach dem die erste Phase abgeklungen war. Somit war dies für die USA bereits die vierte Einwanderungswelle, die gegen Jahrhundertende anfing und bis zum Ersten Weltkrieg andauerte. Besonders Kärnten, Oberkrain, Triest und dem Küstenland beklagten einen erhöhten Abgang nach Übersee. Aber auch AuswanderInnen aus Gebieten, wie Galizien, Bukowina oder Dalmatien, stellten eine beachtliche Zahl dar. „Vor allem die ungleiche Bodenverteilung rief bei vielen Bewohnern Galiziens und Bukowina besonders schlechte Lebensbedingungen hervor.”[78] Denn auch die Verdienstmöglichkeiten waren für die BewohnerInnen Galiziens und Bukowina dürftig, da in den landwirtschaftlichen Großbetrieben ausschließlich ArbeiterInnen während der Erntezeit benötigt wurden.[79]

Während sich der nordöstliche Auswanderungsschwerpunkt in Galizien und Bukowina befand, lag der südliche in Dalmatien und Krain. Hier war neben einer langsamen fortschreitenden Industrialisierung, vor allem der karge Boden, der nur schwer kultiviert werden konnte, für die schlechte wirtschaftliche Lage verantwortlich.[80]

Ab der Jahrhundertwende zählte Österreich-Ungarn gemeinsam mit Russland und Italien zu Ländern, aus denen am meisten in die USA eingewandert wurde, denn von 1901 bis 1910 stellte die Habsburgermonarchie das größte Auswanderungskontingent mit 24,39Prozent der Totaleinwanderung in die Vereinigten Staaten.[81]

In Abbildung 1 wird der Anstieg Österreich-Ungarischer MigrantInnen nach Amerika in der Zeit von 1894 bis 1913 im Vergleich zu der relativ niedrigen Zahl der AuswanderInnen aus dem Deutschen Reich dargestellt. Während das Deutsche Reich Mitte des 19. Jahrhunderts fast 30 Prozent aller EinwanderInnen in Amerika ausmachte, so zeigt die Statistik deutlich, dass die Auswanderung ab 1900 im Vergleich zu Österreich-Ungarn nur noch marginal ‑ bei unter 50.000 Ausgewanderten ‑ war.

Fest steht ferner, dass die Auswanderung aus Deutschland früher einsetzte als in der Donaumonarchie und damit bis 1911 mehr Menschen aus dem Deutschen Reich auswanderten, wobei zwei Drittel aller AuswanderInnen im Zeitraum von 1876 bis 1910 Männer waren und Frauen ein Drittel davon ausmachten.

Abbildung 1: Auswanderung österreich-ungarischer MigrantInnen nach Amerika von 1894 bis 1913[82]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Diese hohen Abwanderungszahlen aus der österreichischen Reichshälfte der Monarchie wurden ab 1911 durch ein großes öffentliches Interesse gekennzeichnet, welches sich vor allem medial widerspiegelte.[83] Zwar forderte das Handelsministerium vom Staat eine strengere Kontrolle, konnte jedoch die hohe Anzahl derjeniger, die das Land verlassen wollten, nicht verhindern. Nicht nur der Staat, sondern auch das Militär sorgte sich um die Rekrutenkontigente, da besonders viele junge Männer auswanderten. Auf der anderen Seite waren besonders jene, die aus den Auswanderungsgeschäften Profit schlugen, Befürworter der Auswanderung, beispielsweise zählten besonders Schifffahrtsgesellschaften, Auswanderungsagenturen, Geldwechselinstitute oder WirtInnen, die den Durchreisesenden Unterkünfte boten, zu den großen ProfiteurInnen dieser Zeit.[84]

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges kam es auch zum Ende der Massenwanderung. Die Auswanderung zu Zeiten der „New Immigration” fasst Mönckmeier zusammen als eine „Bewegung des internationalen Arbeitsmarktes” bzw. ein „Hin- und Herfluten von Arbeitskräften aus Gebieten mit sinkender Wirtschaftskonjunktur in solche mit aufsteigender”.[85] Daher lässt sich festhalten, dass ökonomische Gründe, Verarmung und die Angst vor dem Verlust des erreichten Lebensstandards dazu führten, dass die Auswanderung aus den deutschsprachigen Gebieten dieses Ausmaß erreichte und Menschen versuchten, sich in der neuen Welt eine bessere Zukunft zu schaffen.

2. Ursachen der Auswanderungsbewegung

Es gibt viele Gründe, warum Menschen auswandern und nicht auf Dauer an einem Ort sesshaft bleiben – unabhängig von der Region. Die Ursachen und Motive können unterschiedlich sein, wobei unter „Ursache“ objektive Rahmenbedingungen oder Umweltbedingungen und unter „Motiven“ die individuellen Reaktionen auf die Ursachen verstanden werden können.[86] Bevor auf ökonomische Gründe der Wanderung eingegangen wird, soll zunächst eine allgemeine Betrachtung dieses Phänomens dargestellt werden. Albrecht bezieht sich auf Meyer, der von einer Notwendigkeit eines Gefälles ökonomischer und sozialer Art für die Auslösung von Wanderungen ausgeht.[87] Das bedeutet, dass Menschen auswandern, wenn eine Verschlechterung der Lebensbedingungen oder eine Gefährdung der Existenz, die im eigenen Land nicht aufgehoben werden können, den Wunsch zur Auswanderung darstellen.[88] „Der Druck der sich verschlechternden ökonomischen Bedingungen am Ausgangsort auf der einen und der Sog des im wirtschaftlichen Aufschwung befindlichen Ortes auf der anderen Seite müssen zusammenwirken, um eine Wanderungsbewegung auszulösen.“[89] Außerdem werden Menschen unfreiwillig aus ihren Herkunftsländern aufgrund herrschender Bürgerkriege und Diktaturen vertrieben. Unfreiwillige Vertreibung soll in dieser Arbeit jedoch nur am Rande behandelt werden.

Auswanderungsmotive lassen sich nur schwer erfassen, da die Schwierigkeit besteht, dass es sich hier jeweils um individuelle Motive handelt, die erst bei einer größeren Anzahl von Fällen sinnvoll messbar sein können, jedoch Berichterstattungen sowie Auskünfte über die eigenen Motive vonseiten einzelner AuswanderInnen oft fehlen.

Bickelmann zufolge gehen die Motive und Ursachen für die Auswanderung eines Gefälles zwischen den Verhältnissen in der Heimat und denen im Ausland voraus. In der Auswanderungsforschung werden die Kräfte, die von beiden Seiten wirken, unter den Begriffen „Push-Faktoren – abstoßende Kraft“ und „Pull-Faktoren ‑ Anziehungskraft“ zusammengefasst[90], die in weiterer Folge ausgeführt werden.

[...]


[1] Vgl. Corkovic, Sanja (2012): Asyl- und Migrationspolitik in der Europäischen Union anhand des Beispiels von Lampedusa/Italien S. 12

[2] Vgl. Hörmann, Bernhard Lothar (1989): The Germans in Hawaii. German Benevolent Society S 1

[3] Zemlicka, Ingeborg Maria (1995): Beiträge zu den Beziehungen der Österreichisch-Ungarischen Monarchie und Hawaii´s von 1844-1901. Diss., Wien S. 3

[4] Hawaii der 50. Bundesstaat der USA. URL: http://www.outerislandadventures.com/hawaii-der-50-bundesstaat-der-usa/

[5] Schweizer, Niklaus Rudolf (1982): Hawaii und die deutschsprachigen Völker. Verlag Peter Lang AG, Bern S. 16

[6] Vgl. Ebd.

[7] Vgl. Köpl, Regina (2008): in VO Grundlagen Sozialwissenschaftlicher Methodologie – WiSe 2008/2009: Grundprobleme sozialwissenschaftlicher Methodologie. 11. Einheit. Das Erbe des Positivismus. Universität Wien 2008.

[8] Schülein, Johann August / Reitze, Simon (2008): Wissenschaftstheorie für Einsteiger. WUV Wien 2008. S. 120

[9] Vgl. etwa Schweizer, Niklaus Rudolf (1982): Hawaii und die deutschsprachigen Völker. Verlag Peter Lang AG, Bern. oder Schweizer, Niklaus Rudolf: Hawaii und die Deutschen in: Hiery, Hermann Joseph (Hrsg.) (2001): Die Deutsche Südsee 1884-1914. Ein Handbuch, Ferdinand Schöning, Paderborn, München, Wien, Zürick

[10] Flick, Uwe (2011): Qualitative Sozialforschung – Eine Einführung; Auflage 4, Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg S. 230

[11] Vgl. Flick, Uwe / von Kardorff, Ernst / Steinke, Ines (Hg.) (2009): Qualitative Forschung. Ein Handbuch; 7. Auflage 2009, Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg S. 423.

[12] Vgl. Ebd. S. 403

[13] Vgl. Köpl, Regina (2008): in VO Grundlagen Sozialwissenschaftlicher Methodologie – WiSe 2008/2009: Grundlagen sozialwissenschaftlicher Methodologie. 1. Einheit. Wozu betreiben wir empirische

Sozialwissenschaften? Erkenntnis und Wissensformen. Universität Wien 2008.

[14] Oswald (2007) S. 13

[15] Vgl. Ebd. S. 14

[16] Vgl. Kley, Stefanie (2004): Migration und Sozialstruktur; EU-Bürger, Drittstaatler und Eingebürgerte in Deutschland; Lagos Verlag, Berlin S. 17

[17] Albrecht (1972) S. 23

[18] Nohlen, Dieter (Hg.) (2000): Lexikon Dritte Welt. Länder, Organisationen, Theorien, Begriffe, Personen. Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg S. 519

[19] Vgl. Han, Petrus (2005): Soziologie der Migration. Erklärungsmodelle, Fakten, Politische Konsequenzen, Perspektiven, UTB, Stuttgart S. 27ff

[20] Vgl. IOM (2011): World Migration Report 2011. Communicating effectively about Migration URL: http://www.egypt.iom.int/Doc/IOM%202011_WMR2011_EN.pdf S. 21

[21] Vgl. UNHCR: Global Trends 2011. A year of crises URL: http://www.unhcr.at/fileadmin/user_upload/dokumente/06_service/zahlen_und_statistik/GlobalTrends_2011.pdf S. 2

[22] Vgl. Albrecht, Ulrich / Volger, Helmut (1997): Lexikon der Internationalen Politik. R. Oldenbourg Verlag München/Wien S. 345

[23] Vgl. Mönckmeier (1912) S. 1

[24] Vgl. Ebd. S. 3

[25] Vgl. Oswald, Ingrid (2007): Migrationssoziologie. UVK Verlagsgesellschaft mbH. Konstanz S. 76

[26] Vgl. Ebd. S. 77

[27] Ebd.

[28] ILO: http://www.ilo.org/global/lang--en/index.htm

[29] Vgl. Corkovic (2012) S. 12

[30] Vgl. Oltmer, Jochen (2012): Globale Migration. Geschichte und Gegenwart Verlag C.H. Beck. S. 32

[31] Oltmer, Jochen (2012): Globale Migration. Geschichte und Gegenwart Verlag C.H. Beck, München S. 41

[32] Bade, Klaus J. (2000): Europa in Bewegung. Migration vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Verlag C.H.Beck, München S. 59

[33] Vgl. Oltmer (2012) S. 41

[34] Vgl. Ebd. S. 33

[35] Vgl. Ebd.

[36] Vgl. Oltmer (2012) S. 33-34

[37] Vgl. Kontrakt vom 30.04.1898 geschlossen in Bremen zwischen Oahu Sugar Co., Limited Waipahu, Oahu und Jan Zaczek. Österreichisches Staatsarchiv, am 05.03.2013

[38] Vgl. Oltmer (2012) S. 34

[39] Vgl. Ebd. S. 42-43

[40] Vgl. Bickelmann, Hartmut (1980): Deutsche Überseeauswanderung in der Weimarer Zeit, Franz Steiner Verlag, Wiesbaden S. 14

[41] Vgl. Ebd. S. 43

[42] Vgl. Zakusowicz-Sramek, Friedrich (1899): Beilage ad Bericht ddo Washington 20. April 1899 No. XII, Wapahu, Hawaii S. 1

[43] Oltmer (2012) S. 88

[44] Ebd.

[45] Vgl. Ebd. S. 91

[46] Vgl. Bickelmann (1980) S. 37-38

[47] Vgl. Ebd. S. 38

[48] Vgl. Ebd.

[49] Vgl. Oswald (2007) S. 64

[50] Vgl. Dujmovits, Walter (1981): Die Amerikawanderung der Burgenländer, Diss., Wien S. 12

[51] Vgl. Oltmer (2012) S. 40-41

[52] Vgl. Ebd. S. 43

[53] Vgl. Dujmovits (1981) S. 10

[54] Oltmer (2012) S. 46

[55] Vgl. Ebd.

[56] Vgl. Ebd. S. 48

[57] Vgl. Schweizer, Niklaus (2001): Hawaii und die Deutschen, In: Hiery, Hermann Josepf (2001): Die Deutsche Südsee 1884-1914. Ein Handbuch, Ferdinand Schöningh, Paderborn, München, Wien, Zürich S.731

[58] Vgl. Hörmann (1989) S. 28

[59] Vgl. Oltmer (2012) S. 48-49

[60] Vgl. Ottmüller-Wetzel, Birgit (1986): Auswanderung über Hamburg: Die H.A.P.A.G und die Auswanderung nach Nordamerika 1870-1914, Diss., Universität Berlin S. 6

[61] Vgl. Ebd. S. 14

[62] Vgl. Mönckmeier (1912) S. 15

[63] Vgl. Ebd. S. 17

[64] Vgl. Ebd. S. 20

[65] Vgl. Bade (2000) S. 154

[66] Bade (2000) S. 154

[67] Vgl. Ebd. S. 155

[68] Vgl. Eb. S. 157-158

[69] Hömann (1989) S. 31

[70] Horvath, Trude / Neyer, Gerda (Hg.) (1996): Auswanderungen aus Österreich von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Böhlau Verlag, Wien, Köln, Weimar S. 34

[71] Vgl. Pichler, Meinrad (1993): Auswanderer von Vorarlberg in die USA 1800-1938. Vorarlberger Autoren Gesellschaft, Bregenz S. 46

[72] Vgl. Pichler (1993) S. 47

[73] Vgl. Bednar, Kurt (2012): Österreichische Auswanderung in die USA 1900-1930. Diss., Wien S. 105

[74] Vgl. Geschichte Österreichs URL: http://www.geschichte-oesterreich.com/1867-1918/

[75] Vgl. Chmelar, Hans (1974): Höhepunkt der Österreichischen Auswanderung. Die Auswanderung aus den im Reichsrat vertretenen Königreichen und Ländern in den Jahren 1905-1914. Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien S. 14

[76] Vgl. Krontheuer (2006) S. 14

[77] Vgl. Chmelar (1974) S. 35

Das Deutsche Reich wies in der selben Zeitspanne über 2,4 Millionen ausgewanderter Menschen auf. (Vgl. Mönckmeier 1912 S. 19)

[78] Korntheuer (2006) S. 24

[79] Galizien hatte im Jahr 1900 etwa 7,3 Millionen EinwohnerInnen. Eine industrielle Entwicklung war zu dem Zeitpunkt kaum vorhanden. Auch die Situation der Bukowina war derjenigen in Galizien sehr ähnlich. Ein wichtiger Grund für die hohen Auswanderungzahlen waren auch die Wucherzinsen der Geldinstitutionen, der die Bauerngesellschaft in die Ruin trieb und die Auswanderung begünstigte. [Vgl. Korntheuer, Monika (2006): Der lange Weg nach Ellis Island. Emigration aus dem österreichischen Teil der Habsburgermonarchie nach den USA um 1900. Dipl., Wien S. 25-26]

[80] Vgl. Bednar (2012) S. 129

[81] Vgl. Krontheuer (2006) S. 15

[82] Vgl. Korntheuer (2006) S. 15

[83] Vgl. Ebd.

[84] Vgl. Korntheuer (2006) S. 16

[85] Mönckmeier (1912) S. 2

[86] Vgl. Oswald (2007) S. 69

[87] Vgl. Meyer, Fritz (1936) zit. nach Albrecht, Günter (1972): Soziologie der geographischen Mobilität. Zugleich ein Beitrag zur Soziologie des sozialen Wandels. Ferdinand Enke Verlag, Stuttgart. S. 42

[88] Vgl. Bickelmann (1980) S. 19

[89] Albrecht (1972) S. 42

[90] Vgl. Bickelmann (1980) S. 22

Excerpt out of 142 pages

Details

Title
Deutschsprachige MigrantInnen auf Hawaii. Zur Rolle der deutschsprachigen MigrantInnen und deren Probleme während des Ersten und Zweiten Weltkriegs
College
University of Vienna
Grade
1,00
Author
Year
2014
Pages
142
Catalog Number
V281066
ISBN (eBook)
9783656744689
ISBN (Book)
9783656744672
File size
4242 KB
Language
German
Keywords
deutschsprachige, migrantinnen, hawaii, rolle, probleme, ersten, zweiten, weltkriegs
Quote paper
Sanja Corkovic (Author), 2014, Deutschsprachige MigrantInnen auf Hawaii. Zur Rolle der deutschsprachigen MigrantInnen und deren Probleme während des Ersten und Zweiten Weltkriegs, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/281066

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