Leseprobe
Inhalt
Tiere als ‚Co-Pädagogen‘
Tiergestützte Pädagogik in Kindertagesstätten
Literatur
Tiere als Lernhelfer im Kindergarten
Tiere im Kindergarten
Eine Pädagogik mit Tieren eröffnet neue Lernchancen
Tiergestützte Pädagogik – eine (neue) Herausforderung für Erzieher
Einige Vorschläge für den Einsatz von Tieren im Elementarbereich
Literatur
Kleintiere im Kindergarten halten
10-Punkte-Checkliste
„In meinem Pferd steckt ein halbes Haus!“
Mit welchen Kosten ist zu rechnen?
Fazit
Literatur
Tiere als ‚Co-Pädagogen‘
Tiergestützte Pädagogik in Kindertagesstätten
Inge A. Strunz
Tiere als Beziehungspartner in Kindertagesstätten machen das Miteinander einer Mensch-Tier-Gemeinschaft erlebbar. Sie unterstützen Bildungsprozesse und helfen, frühkindliche Entwicklungsaufgaben zu meistern.
Um Kind und Tier dabei gerecht zu werden, bedarf es jedoch fundierter Kenntnisse.
In der tiergestützten Pädagogik sollen Tiere, die den beruflichen Alltag einer Erzieherin oder eines Erziehers begleiten, Kindern helfen, grundlegende Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erwerben. Eine notwendige Grundvoraussetzung dafür sind verlässliche Bindungsbeziehungen zu den pädagogischen Fachkräften. Kinder können die sich im Kontakt mit Tieren bietenden Chancen nämlich nur dann nutzen, „wenn die Tiere keinen Ersatz für die eigentlich fehlende Beziehung zu Menschen darstellen“ (Gebhard 1994, S. 99).
Bei der Auswahl, dem Einsatz und der Haltung der Tiere sind bestimmte Kriterien zu beachten. Auch sollte die tiergestützt arbeitende Fachkraft eine anerkannte Zusatzqualifikation besitzen und höchste Qualitäts- und Sicherheitsstandards einhalten. Erst dann lässt sich sagen, dass die Interaktion mit Tieren zu einer bereichernden Erfahrung in der Kindheit wird und „dass das Aufwachsen mit Tieren, zu denen Kinder eine gute Beziehung haben, deren geistige, emotionale und körperliche Entwicklung fördert“ (Beetz und Kotrschal 2012, S. 97).
Tiere, als soziale Partner, verbessern die Lebensqualität: Sie bereiten Freude, spenden Trost in schwierigen Lebenslagen und begünstigen den zwischenmenschlichen Beziehungsaufbau. Sie lenken von sozialen Etikettierungen und Defiziten ab, sodass die Integration der ‚Außenseiter‘ in die Gruppe der Gleichaltrigen oftmals besser gelingt. Im professionell gelenkten Kontakt mit dem Tier kann zudem die Bewältigung anstehender Entwicklungsaufgaben (z.B. im Bereich der Motorik oder der Sprachentwicklung) förderlich unterstützt werden (Vernooij und Schneider 2008, S. 109ff).
Durch die Anschaffung institutionseigener Tiere ergeben sich für Vorschulkinder zahlreiche, den Ausbau von Alltagskompetenzen unterstützende Mitgestaltungsmöglichkeiten. Sinnhafte Aufgaben, wie die artgerechte Versorgung und Pflege der Tiere, machen Spaß und eröffnen neue Lernchancen. Die Übernahme echter Verantwortung durch das (altersgemäße) Eingebundensein in wiederkehrende Arbeitsabläufe (z.B. füttern, misten) bietet zudem neue Möglichkeiten der Selbsterfahrung. Wiederkehrende Aufgaben, wie etwa die Einhaltung der Fütterungszeiten, strukturieren, ebenso wie die Einhaltung von Ritualen (z.B. morgendliche Begrüßung aller Tiere), nun den Kita-Alltag; sie bieten Mensch und Tier Orientierung in Zeit und Raum.
Verantwortung für abhängige Tiergefährten zu übernehmen, das bedeutet ab und zu jedoch auch den Verzicht auf attraktive Spielangebote, etwa dann, wenn ein krankes Tier unverzüglich zum Tierarzt zu bringen ist.
Aus anthropologisch-pädagogischer Perspektive lassen sich in einer partnerschaftlichen Mensch-Tier-Beziehung Erfahrungen sammeln, die über rein kognitives Lernen hinausreichen, denn sie erfasst den Menschen in seiner Ganzheit. Tiere regen die menschlichen Sinne an, wecken Gefühle und begünstigen die Entwicklung von Achtsamkeit, Mitgefühl und Respekt (Meves und Illies 1981, S. 72). Tiergestützt arbeitende Einrichtungen stellen folglich für das Einüben von Rücksichtnahme, Einfühlungsvermögen, Geduld etc. ein besonders geeignetes Übungs- und Lernfeld dar, denn das Wohlergehen der Tiere verlangt danach.
Kaninchen, Ziegen & co fällt die Rolle des zu respektierenden ‚Miterziehers‘ zu. Verhält sich ein Kind nämlich so, dass es einem Tier unangenehm ist, so reagiert es sofort körpersprachlich eindeutig, indem es sich z.B. rasch im Stroh versteckt. Das unmittelbare Erleben von Wirkungen und Effekten bietet wertvolle Anlässe für die kritische Auseinandersetzung mit den eigenen Denk- und Verhaltensweisen.
Kindergartenkinder verfügen über sehr unterschiedliche Erfahrungen mit Tieren. Die Qualität erlebter Tierkontakte hängt stark von sozialen Faktoren ab (World Vision Kinderstudie 2007). Insbesondere Jungen aus soziokulturell benachteiligten Familien fehlt oftmals die bereichernde Erfahrung einer partnerschaftlichen Beziehung zu einem Tier. Die Ursache hierfür ist in einem anregungs- und handlungsarmen Elternhaus zu sehen.
Zudem nehmen kulturell und religiös geprägte Einstellungen der Erziehungsberechtigten Einfluss auf die Einstellung eines Kindes zur Mitwelt. Und auch die Medien (z.B. Tierfilme, Bilderbücher) üben einen nicht zu unterschätzenden Einfluss aus, sodass sich bereits die Jüngsten eine Meinung über (bestimmte) Tiere gebildet haben. Dies erklärt mitunter ihre negative Einstellung gegenüber bestimmten Tierarten, die sich in Berührungsängsten („Ih, die Schnecke ist glitschig!“) sowie in der geringen Wertschätzung für einzelne Tierarten/Tiere zeigt („Ich hasse Schweine!“).
Erwachsene sind Kindern Vorbild für den respektvollen, einfühlsamen Umgang mit dem Mitlebewesen ’Tier‘. Je nach Entwicklungsstand des Kindes, ermöglicht die Fachkraft für tiergestützte Pädagogik ein gefahrloses Kennenlernen des (Lieblings-)Tieres (z.B. Beobachtung aus einiger Distanz). Damit ein Kind nicht mit Verunsicherung und Angst reagiert, sollte man auf spektakuläre Tierkontakte verzichten und die Zahl der Tiere begrenzen.
Zunehmend besser gelingt es dem Kind, sein eigenes Verhalten auf sein Gegenüber abzustimmen: „Ich muss mich langsam bewegen, da Blacky sonst Angst vor mir hat und vielleicht wegrennt!“ „Ich muss Geduld haben und warten, bis Lumpi von sich aus zu mir kommt!“
Andererseits erleben die Kinder, dass die Tiere sich wiederum ihnen anpassen, ebenfalls Geduld aufbringen müssen (z.B. bis man bei der Fütterung an der Reihe ist), gehorchen, sich führen lassen und tun, was man von ihnen erwartet: „Das Pony ‚Lisa‘ lässt sich von mir um die aufgestellten Hindernisse führen.“ „Der Hund wartet auf meinen Befehl ‚Sitz!‘!“
Doch kann es durchaus vorkommen, dass ein Tier sich weigert, das von ihm geforderte Verhalten zu zeigen, sodass es schnell als ‚störrisch‘ gilt: „Der Ziegenbock ‚Carlo‘ macht, was er will!“ Die Frage, wie in solch einem Fall in angemessener Weise zu reagieren ist, kann Ausgangspunkt für die Reflexion des gezeigten Verhaltens in einem altersgemäßen Gespräch mit dem Kind sein.
Das beobachtbare Verhalten und die Bedürfnisse der Tiere – aber auch das Verhalten der Kindergartenkinder gegenüber den Tieren – so zu erklären und zu kommentieren, dass die Kinder lernen, auf den körper- und lautsprachlichen Ausdruck der Tiere zu achten, diesen richtig zu interpretieren und angemessen darauf zu reagieren, zählt ebenfalls zu den Aufgaben tiergestützt arbeitender Erzieherinnen und Erzieher. Allmählich verstehen die Kinder dann, was das Klopfen der Kaninchen mit den Hinterläufen bedeutet und was das Knurren des Hundes ‚sagen‘ will.
Grundvoraussetzung für die gelingende Mensch-Tier-Interaktion ist stets die positive Haltung aller Beteiligten gegenüber den eingesetzten Tieren. Selbstverständlich nehmen Tierfreunde Rücksicht auf die Konstitution, den Gesundheitszustand, auf das Alter sowie auf die Tagesverfassung eines Tieres, – denn auch seine Belastbarkeit hat ihre Grenzen!
Zunächst verknüpft ein Kind den von ihm erwünschten Kontakt zum Tier nicht bewusst mit einer ‚Lernabsicht‘. Das durchaus zielgerichtete Handeln des Kindes, zum Beispiel das Anlocken eines Tieres, um es zu füttern, dient also nicht dem Erwerb biologischen Wissens (Oerter 2012). Erst mit der Zeit erwacht der Wunsch, mehr über ein bestimmtes Tier wissen zu wollen („Welches Futter braucht mein Kaninchen?“ „Braucht es ein Spielzeug?“ „Weshalb buddelt ‚Blacky‘ in der Erde?“). Individuelle Interessen spielen eine bedeutende Rolle für die intensive und überdauernde Beschäftigung mit einer bestimmten Sache. Mit Hilfe von Lern-, Spiel- und Bastelmaterialien, thematisch passenden Medien und originalen Gegenständen (z.B. Feder, Horn) samt Werkzeugen und Geräten (Hammer, Lupe, Thermometer etc.) können Kinder (in kleinen Gruppen) ihren eigenen Fragen forschend nachgehen und das bereits vorhandene Wissen erweitern. Einige Anregungen für die Praxis:
- Bilder-, Sachbücher, Ansichtskarten, Fotos und Filme werden zum Vorlesen und/oder (gemeinsamen) Anschauen bereit gestellt.
- Tier und Tierprodukt einander zuordnen (z.B. Bild vom Schaf – ein Wollpullover) und verarbeiten (z.B. Filzen mit Schafwolle).
- Eine Ausstellung für die Eltern vorbereiten (z.B. Tierfoto/Futtermittel/Tierprodukt), oder eine Federsammlung (Gans, Huhn, Ente, Wildvogel …) anlegen. Lupen bereitlegen!
- Ein gesundes Tiermüsli für Nager zusammenstellen und/oder Futterspieße aus Obst- und Gemüsestückchen, Löwenzahnblättern etc. fertigen.
- Teilnehmende Beobachtung bei besonderen Anlässen (z.B. den Hufschmied, Imker, Landwirt etc. bei der Arbeit beobachten) und ins Gespräch mit diesen Fachleuten kommen.
- Der Bau eines Freigeheges (unterstützt durch Eltern und/oder ehrenamtliche Helfer) sowie seine tiergerechte Ausgestaltung mit gesammelten Naturmaterialien, motiviert Kinder zu sinnvollem, eigenständigem Tätigsein, das über das Verfüttern gekaufter Tiernahrung weit hinausgeht. Hier können sie mit Ästen, Wurzeln, Steinen, Stroh etc. selbst Tierunterkünfte bauen, oder zusätzliche Versteckmöglichkeiten für die Haustiere schaffen.
- Zusätzlich kann ein Garten für den Anbau von Futterpflanzen wie Möhren, Sonnenblumen, Kräuter etc. anlegt werden.
Die Um- und Ausgestaltung des Kindergartens zu einem Lebensraum für Menschen mit Tieren kann zu einem generationenübergreifenden Projekt gedeihen, an dem sich alle tatkräftig beteiligen können. Partizipation vermittelt Kindern die Erfahrung gebraucht zu werden und Verantwortung zu tragen. Und in der Begegnung unterschiedlicher Altersgruppen können zugleich die Einhaltung von Regeln geübt, wertvolle Erfahrungen ausgetauscht und die vorhandenen Fertigkeiten gebündelt werden: Beim Bau von Unterständen und Futterraufen, bei der Ausgestaltung des Freigeheges, bei der Namensvergabe für jedes Tier …
Ein mit Leben erfülltes Wesen, mit speziellen Ansprüchen und individuellen Eigenheiten nimmt in einzigartiger Weise Einfluss auf das pädagogische Geschehen. Unbestritten tragen institutionseigene Tiere auch zur Profilbildung einer vorschulischen Bildungseinrichtung bei. Die Werthaltungen, auf denen die tiergestützt-pädagogische Arbeit mit den Kindern basiert, spiegeln sich im Leitbild der Institution.
Doch nicht die Tiere machen die pädagogische Qualität einer vorschulischen Bildungseinrichtung aus, sondern die auf fachlich hohem Niveau mit Kindern arbeitenden Erzieherinnen und Erzieher, die es verstehen, das Tier als bereicherndes Element in Erziehungs- und Bildungsprozesse tiergerecht einzubinden.
Abschließend sei jedoch gesagt, dass man lieber auf die Anschaffung institutionseigener Tiere verzichten sollte, wenn diese aus personellen oder finanziellen Gründen bald schon wieder abgeschoben werden müssen. Einen gewissen Ersatz bieten Besuchsprojekte, die qualifizierte Tierhaltern mit ihrem Tier/ihren Tieren durchführen. So besucht beispielsweise Christina Diggelmann (ISAAT; Kontakt: http://www.pet-com.info/) immer wieder etliche Kindergartengruppen in Begleitung von Hühnern:
„Ab und zu komme ich mit einigen meiner Hühner in die Kita, wenn dort gerade das Thema ‚Huhn‘ besprochen wird. Durch das direkte Erleben wird mit viel Freude gelernt, und das erworbene Wissen bleibt den Kindern lange im Gedächtnis. Sie erfahren viel Wissenswertes über die Tiere, wie sie artgerecht zu halten sind, und wie der Mensch die Tiere beziehungsweise ihre Produkte nutzt“ (Diggelmann 2014, im Gespräch mit der Autorin).
Dieses angeleitete Lernen kann mit dazu beitragen, dass das eigene (Wunsch-)Tier zu einem wertgeschätzten Beziehungspartner wird, dem ein Besitzerwechsel erspart bleibt.
Literatur
Beetz, A./Kotrschal, K. (2012): Stand der Wissenschaft: Heimtiere in Bildung und Erziehung. In: Mars Petcare Deutschland (Hrsg.): Mars Heimtier-Studie 2013: Hund – Katze – Mensch: Die Deutschen und ihre Heimtiere. Verden (S. 97 – 99).
Gebhard, U. (1994): Kind und Natur. Die Bedeutung der Natur für die psychische Entwicklung. Westdeutscher Verlag.
Meves, Ch./Illies, J. (1981): Geliebte Gefährten. Tiere als Hausgenossen und Miterzieher. Freiburg: Herder.
Oerter, Rolf (2012): Lernen en passant.
Download: www.edu.uni-muenchen.de/~oerter/index.php?option=com_ docman&task=cat_view &gid=14&Itemid=33 (01/2013).
Strunz, I. A. (2013): Kind – Tier – Kindergarten. Tiergestützte Pädagogik – ein Beitrag zur Bildung für nachhaltige Entwicklung in vorschulischen Bildungseinrichtungen? Baltmannsweiler: Schneider.
Vernooij, M. A./Schneider, S. (2008): Handbuch der tiergestützten Intervention. Grundlagen, Konzepte, Praxisfelder. Wiebelsheim: Quelle & Meyer.
World Vision Deutschland e.V. (2007): Kinder in Deutschland. 1. World Vision Kinderstudie. Frankfurt: Fischer.
Tiere als Lernhelfer im Kindergarten
Inge A. Strunz
Zunehmend halten Kaninchen, Meerschweinchen, Hühner, Ziegen usw. Einzug in Kindergärten, sei es im Rahmen von zeitlich begrenzten Tierbesuchsprojekten oder durch die Anschaffung institutionseigener Tiere. Viele Erzieher (und Eltern) verbinden damit zugleich die Hoffnung, die Entwicklung der Kinder ganzheitlich und entwicklungsangemessen unterstützen zu können. Doch der Einsatz von Tieren für pädagogische Zwecke bedeutet auch, dass Kompro-misse hinsichtlich der Anforderungen von Mensch und Tier einzugehen sind.
Fragt man Kinder nach ihrem Lieblingstier, so erhält man garantiert eine Antwort! Kinder erleben Tiere als Spielgefährten, als Freunde, Beschützer und Trostspender. Ihre Freude am Lebendigen weckt den Wunsch nach Tierkontakten sowie ihre vorurteilsfreie Wissbegierde. Viele Kinder wachsen jedoch - etwa aufgrund ungünstiger Wohnverhältnisse in Städten - ohne ein Heimtier auf[1] sodass ihnen die Erfahrung einer bereichernden Mensch-Tier-Beziehung fehlt. Und da Nutztiere nur noch selten Teil des Landschaftsbildes sind, sind ihnen diese Tiere oftmals nur noch aus den Medien bekannt. Ersatz aus Plastik bietet die Spielwarenindustrie an: „Den Bergretter mit Suchhund“, „Ponys mit Futtertrog“, ein „Hühnerhaus“[2].
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[1] World Vision Kinderstudie (2007), S. 193ff; Strunz, I. (2013a), S. 59
[2] Playmobil Online-Shop: http://www.playmobil.de/on/demandware.store/Sites-DE-Site/de_DE/Search-Show?cgid=S_ARTIKEL (08/2013)