Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. John Rawls – Eine Theorie der Gerechtigkeit
2.1. Gerechtigkeit und deren Prinzipien
2.2. Die (schwache) Theorie des Guten
2.3. Urzustand und Menschenbild
3. Martha C. Nussbaum – Gerechtigkeit oder das gute Leben
3.1. Die aristotelische Konzeption
3.2. Eine starke vage Theorie des Guten und der Befähigungsansatz
3.3. (Nussbaums) Kritik an Rawls
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Frage nach der Gerechtigkeit und dem Guten ist jeher eine wichtige Debatte in der politischen Anthropologie und der Philosophie. Schon in der Antike beschäftigten sich die großen Philosophen und Denker mit der Herleitung einer Theorie, um festzulegen, was gut und was gerecht ist und in wie fern sich das auf die einzelnen Menschen auswirkt, beziehungsweise auswirken sollte. Doch auch in der heutigen Zeit beschäftigen sich einige Geisteswissenschaftler mit dieser Frage, weswegen sich diese Arbeit mit dem Vergleich zweier berühmter Theorien der Gerechtigkeit und dem Guten, sowie deren Auswirkung auf die einzelnen Individuen beschäftigen wird.
Als eine der wohl prominentesten Abhandlungen gilt die von John Rawls. In seiner Monografie „A theory of justice“ setzte er einen Meilenstein in der Frage nach der Definition des Gerechten und Guten. Dieses Werk wurde 1971 der breiten Öffentlichkeit bekannt und führte zu einer weltweiten Diskussion und der Anerkennung des inzwischen verstorbenen Philosophen. Rawls entwickelte mit diesem Werk eine „normative Theorie der gesellschaftlichen Ordnung“ und kehrt dabei zur griechischen Tradition zurück (Schmidt 2012: 230). Der Begriff der Gerechtigkeit wird von ihm auf die soziale Gerechtigkeit reduziert und klammert somit die individuelle Gerechtigkeit aus (Schmid 2012: 232). Für ihn galt es zu klären, wie eine korrekte Konzeption der Gerechtigkeit auszusehen hätte, weswegen er eine solche Konzeption in den Mittelpunkt seiner Arbeit stellt (Schmidt 2012: 232). Das Ziel seiner Arbeit lag und liegt in der Entwicklung einer gerechten Gesellschaftsordnung, die von allen Mitgliedern der Gesellschaft akzeptiert werden kann. Dieses Ziel verfolgte er mit der Erarbeitung der zwei Grundsätze der Gerechtigkeit, welche auch in dieser Arbeit vorgestellt werden. Rawls greift auf die Idee des Gesellschaftsvertrags zurück und rückt die Frage nach einer guten Ordnung in den Mittelpunkt seiner Theorie.
Doch diese Theorie blieb nicht lange unkommentiert: Unter anderem widmete sich Martha C. Nussbaum in verschiedenen Aufsätzen, welche im Sammelband „Gerechtigkeit oder das gute Leben“ (1999) erschienen sind, unter anderem der Theorie der Gerechtigkeit von John Rawls, übt an dieser Kritik und führt die für sie offen gebliebene Fragen weiter aus. Martha C. Nussbaum gilt als Aristotelikerin und bezieht sich somit im Großteil ihrer Schriften auf die von Aristoteles entwickelten Theorien und Thesen. Sie stellt den objektiven Blick der menschlichen Natur in Frage und erweitert die Theorie von Rawls mit ihrer Liste des Guten (Pauer-Studer 1999: 20), die unter anderem in dieser Arbeit vorgestellt wird.
Nun gilt es, sich folgende Fragen zu stellen: Was sind die Kernpunkte der Theorien dieser Philosophen und wie unterscheiden sie sich? Welche Kritikpunkte gibt es und wie werden diese begründet? Was meinen andere Geisteswissenschaftler und wie gehen sie mit Rawls' und Nussbaums Theorien um?
Um diese Fragen zu beantworten, werden in dieser Arbeit somit die von John Rawls erarbeitete Theorie der Gerechtigkeit in einzelnen, ausgewählten Teilen, sowie das Menschenbild des Philosophen vorgestellt. Ein besonderes Augenmerk wird auf die Gerechtigkeit als soziale Tugend und die Theorie des Guten, sowie den Urzustand gelegt. Darauf erfolgt die Behandlung der Schriften von Martha C. Nussbaum und was sie an Rawls und vor allem dessen Menschenbild kritisiert. Hierzu werden noch weitere Autoren mit einbezogen, um einen facettenreicheren Blick auf die möglichen Kritiken an Rawls zu gewinnen. Zum Schluss werden die Ergebnisse in einem Fazit zusammengeführt und ebenfalls kritisch betrachtet.
2. John Rawls – Eine Theorie der Gerechtigkeit
„Jede Person hat eine auf Gerechtigkeit begründete Unverletzlichkeit, die selbst nicht durch das Wohl der Gesellschaft aufgehoben werden kann. “. (Rawls 1979: 19)
2.1. Gerechtigkeit und deren Prinzipien
Für John Rawls gilt die Gerechtigkeit als die erste Tugend sozialer Institutionen und als die Wahrheit bei Gedankensystemen (Rawls 1979: 19). Ihm zufolge besitzt ein jeder Mensch eine aus der Gerechtigkeit folgende Unverletzlichkeit, welche niemals aufgehoben werden kann (Rawls 1979: 19) Vor allem die soziale Gerechtigkeit steht in seinem Fokus, weswegen für ihn der erste Gegenstand dieser eine Grundstruktur der Gesellschaft ist (Rawls 1979: 23) welche folgenden Grundsätze unterliegt:
1. soziale Gerechtigkeit ermöglicht die Zuweisung von Rechten und Pflichten in grundlegenden Institutionen der Gesellschaft.
2. soziale Gerechtigkeit legt die Verteilung von Ressourcen der gesellschaftlichen Zusammenarbeit fest (Rawls 1979: 21).
Diese Grundsätze müssen sich vor allem auf die Ausgangssituationen der Gesellschaft beziehen. Rawls wirft dieser eine „besonders tiefgreifende Ungleichheit“ vor, welche sich überall auswirkt und die Lebenschancen der Menschen beeinflusst (Rawls 1979: 23). Somit ist eine vollkommen gerechte Gesellschaft der Grundbestandteil seines Werkes. Allerdings ist zu betonen, dass die Grundsätze der sozialen Gerechtigkeit nur ein Gesellschaftsideal sind, welche mit dem Wunschbild von Zielen des gesellschaftlichen Lebens zusammenhängen (Rawls 1979: 26).
Um eine soziale Gerechtigkeit zu gewährleisten ist eine wohlgeordnete Gesellschaft mit einer gemeinsamen Gerechtigkeitsvorstellung von Nöten. Diese gemeinsame Gerechtigkeitsvorstellung soll Frieden schaffen und das Grundgesetz einer solchen Gesellschaft bilden (Rawls 1979: 21). Allerdings hängt diese Vorstellung mit Problemen der „Effizienz, Koordination und der Stabilität“ (Rawls 1979: 22) zusammen.
Doch das Problem der sozialen Gerechtigkeit findet sich auch in der Verbindung zwischen objektiven und subjektiven Bedingungen des menschlichen Lebens wieder: Die objektiven Bedingungen umschreiben die Knappheit von Ressourcen, welche sich allerdings nicht beseitigen, sondern nur mindern lässt (Schmidt 2012: 232). Mit den subjektiven Bedingungen wirft Rawls den Menschen einen Egoismus vor, da sie ein Desinteresse an anderen zeigen und somit nur an sich selbst und an ihr eigenes Wohlergehen denken. Zusammenfassend führen die objektiven Bedingungen somit zu einem „Interesse an einer Kooperationsgemeinschaft“, während die subjektiven Bedingungen diese Gemeinschaft ständig bedrohen (Schmidt 2012: 232-233).
Um demnach eine gerechte Gesellschaft zu gewährleisten sind mehrere Argumente zu beachten: Die Menschen müssen sich über die Regeln einigen, nach denen sie leben möchten und diese sind nur realisierbar, wenn sich die Individuen auf folgende Prinzipien der Gerechtigkeit stützen:
„1.Jedermann soll gleiches Recht auf das umfangreichste System gleicher Grundfreiheiten haben, das mit dem gleichen System für alle anderen verträglich ist.
2. Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten sind so zu gestalten, dass (a) vernünftigerweise zu erwarten ist, daß sie zu jedermanns Vorteil dienen, und (b) sie mit Positionen und Ämtern verbunden sind, die jedem offen stehen. “ (Rawls 1979: 81)
Rawls betont, dass von diesen Prinzipien nur abgewichen werden darf, wenn diese Abweichung eine allgemeine Verbesserung des gesellschaftlichen Lebens ermöglichen würde. Wichtig ist, dass die Reihenfolge der Prinzipien stets eingehalten wird, der erste darf niemals nach dem zweiten stehen. Der Autor leitet dem die Bedeutung ab, dass durch die korrekte Anordnung „(...) Verletzungen der vom ersten Grundsatz geschützten gleichen Grundfreiheiten nicht durch größere gesellschaftliche oder wirtschaftliche Vorteile gerechtfertigt oder ausgeglichen werden können.“ (Rawls 1979: 82) Die Grundfreiheiten, welche im ersten Prinzip gemeint sind, beziehen sich auf Freiheiten, welchem jedem Menschen gleichermaßen zukommen müssen. Dazu gehören „(...) politische Freiheit (…) und die Rede- und Versammlungsfreiheit; die Gewissens- und Gedankenfreiheit; die persönliche Freiheit (…); das Recht auf persönliches Eigentum und der Schutz vor willkürlicher Festnahme und Haft (…).“ (Rawls 1979: 82). Das zweite Prinzip bezieht sich vorwiegend auf materielle und ökonomische Ressourcen, die niemandem zum Nachteil erteilt werden dürfen, außer dies würde dem allgemeinen Vorteil dienen.
Des Weiteren hängt die soziale Gerechtigkeit einer Gesellschaft davon ab, in wie weit die herrschenden Institutionen - nach Rawls gehören dazu unter anderem die politische Verfassung sowie die Regeln des Bildungs- und Steuersystems - die wichtigsten Güter verteilen (Schmidt 2012: 233). Diese Güter werden wiederum in soziale und natürliche Primärgüter gegliedert. Zu ersteren zählen jene Ressourcen, welche die Lebenschancen eines Menschen besonders beeinflussen. Selbige können zum Beispiel Rechte, Freiheiten, Machtpositionen beziehungsweise -chancen sowie das Einkommen sein. Natürliche Primärgüter können allerdings nicht von einer Institution oder ähnlichem bereitgestellt werden, da zu diesen eher angeborene Fähigkeiten oder Eigenschaften wie Gesundheit, Schönheit und Intelligenz zählen (Schmidt 2012: 234).
Nun ist es denn Menschen allerdings nicht möglich, dieses Ideal der Gerechtigkeit zu erreichen, wenn sie sich nicht in einem sogenannten theoretischen Urzustand befinden, in welchem sie frei von Egoismus und Vorurteilen anderer Menschen gegenüber sind. Dieser Urzustand wird in einem weiteren Kapitel dieser Arbeit vorgestellt.
2.2. Die (schwache) Theorie des Guten
Um nun den Mitgliedern der Gesellschaft eine gerechte Verteilung von Ressourcen zu gewährleisten, braucht es eine Theorie des Guten, um die am meisten benachteiligten Gesellschaftsmitglieder zu definieren (Rawls 1979: 434). Allerdings beschränkt sich diese Theorie nur auf das Allernötigste, weswegen sie als eine schwache Theorie zu verstehen ist, denn eine vollständige Theorie würde die schwache Theorie des Guten, sowie eine Begründung für die Wahl der Grundgüter, beinhalten (Rawls 1979: 434).
Nach Rawls ist etwas als gut zu bezeichnen, wenn es „(...) mit den bereits vorhandenen Grundsätzen des Rechten (...)“ übereinstimmt (Rawls 1979: 343). Die Grundsätze des Rechten definieren sich über eine Anlehnung an den Begriff des Guten, da man „(...) Annahmen über die Beweggründe der Parteien im Urzustand(...)“ braucht (Rawls 1979: 435). Des weiteren wirft Rawls den Menschen vor, dass sie sich, sofern sie als vernünftig zu bezeichnen sind, gewisse „(…) Dinge als Vorbedingungen der Ausführung ihrer Lebenspläne (...)“ wünschen (Rawls 1979: 434). Somit lässt sich erschließen, dass eine Definition des Guten vor der Wahl des Guten stehen muss, damit sich die Personen im Urzustand auf ein allgemeingültiges Gutes einigen können. Als wichtiges Gut erwähnt Rawls die Selbstachtung und das Vertrauen in den eigenen Wert, weswegen materielle und theoretische Ressourcen als eingängige Definition nur vorläufig zu betrachten sind (Rawls 1979: 434). Den Parteien wird im Urzustand eine Übereinkunft darüber vorausgesetzt, dass sie dazu gewählt sind zu versuchen, ihre Freiheit und die Selbstachtung zu beschützen und dass sie, um an ihr eigenes Ziel, also die Definition der Gerechtigkeit unter der sie leben möchten, zu erreichen, möglichst viele Grundgüter brauchen werden. Um diese Grundsätze klug zu wählen genügt es dieser Übereinkunft.
Somit ist die schwache Theorie des Guten dazu da, um den Begriff der Vernunft zu definieren und den Wunsch nach Grundgütern zu klären, um eine Herleitung der bereits erklärten Gerechtigkeitsgrundsätze zu gewährleisten (Rawls 1979: 434).
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