Politische und moralische Ansichten von Superhelden. Herausforderungen und Aufgaben für die Medienpädagogik


Bachelorarbeit, 2015

63 Seiten, Note: 1,4


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung ... 1

2 Grundlegende Theorien und methodisches Vorgehen ... 3
2.1 Genre als Kommunikationsmedium zwischen Rezipienten und Produzenten ... 3
2.2 Systemtheoretische Bezüge zwischen Rezipienten und Produzenten ... 4
2.3 Lernen vom Superhelden - Modelllernen der Rezipienten durch Medien ... 5
2.3.1 Modelllernen nach Bandura ... 5
2.3.2 Skripttheorie und das Erlernen von Skripten ... 8
2.3.3 Einfluss fiktiver Medienpersonen auf Rezipienten ... 9
2.4 Die Übertragung der theoretischen Überlegungen auf Superhelden ... 12

3 Konstruktion der Superhelden ... 13
3.1 Begriffsfindung - Helden, Superhelden und Antihelden ... 13
3.2 Die Geschichte moderner Superhelden ... 14
3.3 Die fünf Zeitalter ... 16
3.3.1 Platines Zeitalter 1933-1938 ... 16
3.3.2 Goldenes Zeitalter 1938-1955 ... 16
3.3.3 Silbernes Zeitalter 1956-1972 ... 16
3.3.4 Bronzenes Zeitalter 1973-1985 ... 17
3.3.5 Modernes Zeitalter 1986 bis heute ... 17
3.4 Multiversen ... 18

4 Die Welt der Superhelden ... 19
4.1 Superman ... 19
4.1.1 Heldenkonstruktion ... 19
4.1.2 Superman und US-amerikanische Gesellschaftsideale ... 21
4.2 Batman ... 22
4.2.1 Heldenkonstruktion ... 22
4.2.2 Batman, Durchhaltevermögen und strategische Planung ... 24
4.3 Wonder Woman ... 26
4.3.1 Heldenkonstruktion ... 26
4.3.2 Wonder Woman und Feminismus ... 28
4.4 Iron Man ... 30
4.4.1 Heldenkonstruktion ... 30
4.5 Spider-Man ... 33
4.5.1 Heldenkonstruktion ... 33
4.5.2 Peter Parker und positive Psychologie ... 35
4.6 Man of Action's Ben 10 ... 36
4.6.1 Heldenkonstruktion ... 36
4.6.2 Ben 10 als sich entwickelnder Held ... 38

5 Medienpädagogik und Superhelden ... 39
5.1 Potenzielle Gefahren von Superheldenshows ... 39
5.1.1 Superhelden als gewalttätige Rollenmodelle ... 39
5.1.2 Superhelden als Modelle politischer Einstellungen und Überzeugungen ... 41
5.1.3 Präventive Aufgaben der Medienpädagogik ... 42
5.2 Potenzieller Nutzen von Superheldenshows ... 43
5.2.1 Superheldenshows als pädagogisch aufbereiteter Medieninhalt ... 43
5.2.2 Superhelden als pädagogisch aufbereitete Modelle ... 45
5.2.3 Möglichkeiten einer medienpädagogischen Gestaltung von Superhelden und heldenshows ... 46

6 Fazit ... 48

7 Abbildungen ... 50

[…]

1 Einleitung

Diese Arbeit wird die Themen Medienpädagogik und Superhelden behandeln. Grund der Themenwahl ist die Beliebtheit der Superheldenproduktionen in Film und Fernsehen, wie die Iron Man und Dark Knight Trilogien. Beide brachten den Produktionsfirmen DC Comics (Dark Knight) und Marvel (Iron Man) jeweils über 800.000.000 US Dollar Umsatz (vgl. BoxOffceMojo, 2014).

Die Zahlen legen nahe, dass Superheldenfilme ein häufig genutztes Unterhaltungsangebot sind. Aus dieser Beliebtheit folgt ein Forschungsinteresse, dem im Verlauf der Arbeit nachgegangen werden soll.

Im Zentrum der Arbeit sollen Fragen der Medienpädagogik und Wirkungsforschung stehen. Aus dem Mangel an medienpädagogischen und pädagogischen Forschungen zur Wirkung von Superhelden kann die Fragestellung der Arbeit hergeleitet werden.

Welche Aufgaben entstehen der Medienpädagogik aus den von Superhelden vertretenen politischen und moralischen Vorstellungen, sowie deren Charaktereigenschaften? Wie können diese medienpädagogisch aufgegriffen werden?

Um die Fragestellung beantworten zu können, muss zuerst das wissenschaftliche Forschungsinteresse des Themas geklärt werden. An erster Stelle werden hierzu grundlegende Theorien der Medienwissenschaften und Wirkungsforschung vorgestellt. Auf erster Ebene soll die wissenschaftliche Relevanz über Gewinne und der daraus vermuteten Rezeptionszahlen von Superheldenshows[1] hergeleitet werden.

An zweiter Stelle wird mit Hilfe lerntheoretischer Überlegungen ein pädagogisches Forschungsinteresse hergeleitet. Grundlage ist Banduras Theorie des Modelllernens. Die Lücken seiner Theorie sollen mit der Skripttheorie und der Theorie der parasozialen Beziehungen geschlossen werden.

Neben der Einführung grundlegender Theorien sollen die Begriffe Held, mythologischer Held, Superheld, Antiheld und Superbösewicht definiert werden. Hieran knüpft eine geschichtliche Betrachtung von Superhelden und Comicstrips an.

Da Superhelden oft unterschiedliche Charaktere sind und verschiedene Kräfte besitzen, sollen zunächst sechs beliebte Superhelden näher betrachtet werden. Für die Betrachtung wird der Superheld mit seiner Entstehungsgeschichte, seiner Lebensgeschichte und einer Zusammenfassung seines Charakters vorgestellt. Anschließend werden für die Medienpädagogik relevante Charaktermerkmale des Helden veranschaulicht. Zusätzlich wird behandelt, warum diese medienpädagogisch relevant sind und in pädagogischen Projekten aufgegriffen werden können.

Der letzte inhaltliche Teil wird Superheldenshows im Allgemeinen behandeln. Ziel ist es, aufzuzeigen, welche gefährlichen Aspekte in Superheldenshows zu finden sind. Am Beispiel der von Superhelden genutzten Gewalt und ihrer politischen Überzeugungen sollen präventive Aufgaben der Medienpädagogik betrachtet werden.

Der mögliche positive Nutzen von Superheldenshows wird im nächsten Unterkapitel behandelt. Hier wird betrachtet, wie Superhelden als pädagogische Modelle genutzt werden können.

Mit dem Fazit soll die Arbeit abgeschlossen werden. Hier werden die Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst, Lücken und Versäumnisse der Forschung zum Thema Superhelden aufgezeigt und ein Ausblick für weitere Forschung gegeben.

2 Grundlegende Theorien und methodisches Vorgehen

Die wissenschaftliche Relevanz der Fragestellung lässt sich nicht einfach aus den Gewinnabschätzungen eines zugehörigen Franchises herleiten. Bezogen auf das Thema Superheldenshows kann die Genretheorie helfen, aus den Gewinnen die wissenschaftliche Relevanz der Fragestellung zu schließen.

Für medienpädagogische Überlegungen reicht ein medienwissenschaftliches Forschungsinteresse nicht aus. Dieses kann aber über lerntheoretische Modelle hergeleitet werden. In dieser Arbeit wird Banduras Theorie des Modelllernens genutzt, um den Einfluss von Medienpersonen auf Rezipienten zu klären. Die Lücken dieser Theorie werden mit Huesmanns Skripttheorie geschlossen und mit der Theorie parasozialer Beziehungen erweitert.

Der letzte Teil dieses Kapitels stellt einen direkten Bezug zwischen den vorgestellten Theorien und Superheldenshows her.

2.1 Genre als Kommunikationsmedium zwischen Rezipienten und Produzenten

„Genrebegriffe dienen sowohl der Theoretisierung und Analyse spezifischer Phänomene innerhalb des _lm- und medienwissenschaftlichen Diskurses als auch der Verständigung unter und zwischen den Rezipienten und Produzenten.“ (vgl. Kuhn et al., 2013, S. 1)

Ein Genre ist ein Kommunikationsmittel zwischen Rezipienten und Produzenten. Filme haben Erfolg, wenn sie die genrespezifischen Erwartungen der Rezipienten erfüllen (vgl. Kuhn et al., 2013, S. 1f). Genres haben nur Erfolg, wenn sie sich gesellschaftlicher Beliebtheit erfreuen. Jedes Genre unterliegt spezifischen Stereotypen Handlung, Darstellung und Besetzung betreffend, die vom Publikum erwartet werden.

„Das heißt, Genres sind stereotype Formen des Erzählens, Darstellens und/oder Gestaltens; sie beinhalten wiederkehrende Handlungsmotive, eine bestimmte Dramaturgie, Standardsituationen und/oder häufig einen typischen audiovisuellen Stil.“ (vgl. Kuhn et al., 2013, S. 2)

Die zu Beginn des Kapitels dargestellte These, die Genretheorie könne zur Herleitung der gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Relevanz aus hohen Rezeptionszahlen eines Films dienen, kann nun bewiesen werden. Unter den Prämissen, dass ein Film (1) nur produziert wird, wenn dessen Genre installiert ist, (2) nur rezipiert wird wenn sein Genre etabliert ist und (3) nur Erfolg hat, wenn er den Stereotypen des Genres entspricht, ergibt sich für Superheldenshows eine gesellschaftliche und wissenschaftliche Relevanz. Die meisten Superheldenshows werden häufig rezipiert und erzielen hohe Einspielergebnisse. (vgl. BoxOfficeMojo, 2014)

Die einmalige Etablierung eines Genres ist nicht final. Kuhn et al. (2013) schlagen eine Aufteilung in „die Phasen Entstehung, Stabilisierung, Erschöpfung und Neubildung“ (S. 7) vor. Daraus ergibt sich für jedes Genre ein Entstehungspunkt, markiert durch eine erste erfolgreiche Produktion, die weitere nach sich zieht. Danach setzt ein zyklischer Verlauf ein, in dessen Folge ein Genre stets neu gebildet wird, sich stabilisiert und anschließend erschöpft ist. (vgl. Kuhn et al., 2013, S. 7)

2.2 Systemtheoretische Bezüge zwischen Rezipienten und Produzenten

Unter einem System ist ein in sich geschlossenes Beziehungsgeflecht zu verstehen. Systeme sind als von der Umwelt verschiedene, in sich geschlossene Einheiten zu betrachten. (vgl. Heidbrink, 2011, S. 98f) Die Kommunikation eines Systems mit der Umwelt ist ein zentraler Punkt der Theorie. In der Kommunikation wird ein Eingangssignal durch das System zu einem Ausgangssignal verarbeitet. Die an der Signalverarbeitung beteiligten systeminternen Einheiten werden unter dem Begriff der systemische Koppelung zusammengefasst. Ein System kann über die systemische Kopplung verschiedene parallele und serielle Verarbeitungswege besitzen. (vgl. Döring, 2011, S. 1f, 5)

Ausgehend von den genrespezifischen Betrachtungen sind Rezipienten und Produzenten als jeweils selbständige Systeme fassbar. Die Signale liegen in den Produktionen (Produzent zu Rezipient) und deren Erfolg bei den Rezipienten (Rezipient zu Produzent).

Dieses Kommunikationsmodell ist zu kurz gefasst, wenn das zyklische Modell des Genres zu Grunde gelegt wird. Die Phasen Erschöpfung und Neubildung können hiermit nicht erklärt werden. Da diese Phasen für die Beantwortung der Fragestellung irrelevant sind, kann das beschriebene Konstrukt jedoch für die Untersuchung als ausreichend angesehen werden.

In dieser Arbeit soll die Integration der Medienpädagogik in die systemischen Bezüge zwischen Rezipienten und Produzenten, wie in Abbildung 1 dargestellt, vorgestellt werden. Grundlage ist die Idee, die Medienpädagogik an zwei Punkten zu integrieren.

1. Als Zwischensystem von Produktion zu Rezipienten. Etwa durch pädagogisch aufbereitete Filmbetrachtung.

2. Als Teil der Produktion. Z.B. via pädagogischer Auf- und Vorbereitung der Produktionen. (S. 193f)

Ob diese Einbindung möglich ist und wie sie vonstatten gehen könnte, soll im späteren Verlauf der Arbeit betrachtet werden.

2.3 Lernen vom Superhelden - Modelllernen der Rezipienten durch Medien

2.3.1 Modelllernen nach Bandura

Lernen am Modell beschreibt das imitative Lernen von Verhalten (vgl. Schweiger and Fahr, 2013, S. 193) und wird häufig genutzt, um die Imitation von Verhalten zu beschreiben, das als problematisch und gefährlich eingestuft wird (vgl. Kiesel and Koch, 2011, S. 73_). Die Theorie des Modelllernens erweist sich als brauchbar, um das Erlernen medial beobachteten Verhaltens zu beschreiben. Im Nachfolgenden soll daher eine kurze Einführung in die Theorie erfolgen. Dabei soll auch die daran geübte Kritik dargestellt werden, um aus dieser in einem vierten Teil die Grenzen dieser Lerntheorie aufzuzeigen.

Die Theorie des Modelllernens wurde von Bandura entwickelt (vgl. Bandura and Walters, 1973). Primär behandelt sie die Übernahme von Verhaltensweisen durch einen Lernenden von einem beobachteten Subjekt (vgl. Schweiger and Fahr, 2013, S. 192f) (vgl. Kiesel and Koch, 2011, S. 73-76).

Schweiger and Fahr (2013) kritisiert Banduras Theorie. Diese lässt sich in drei zentralen Punkten zusammenfassen:

1. Seine Experimente führte Bandura nur an Kindern durch. Sie sind nur bedingt auf andere Altersgruppen übertragbar.

2. Das Querschnitt-Design seiner Experimente liefert keine längerfristigen Ergebnisse.

3. Umweltfaktoren wie Eltern und Gesellschaft wurden durch das Setting des Experiments ausgeschaltet. Die Ergebnisse lassen sich nur schwer auf den außerexperimentellen Raum übertragen.

Banduras Theorie wird dennoch Aktualität ausgewiesen.

„Mittlerweile gibt es jedoch Längsschnittstudien, die über Jahre hinweg bei denselben Versuchsteilnehmern Medienkonsum mit gewalttätigen Inhalten und aggressives Verhalten untersuchen. Diese Studien weisen darauf hin, dass Medienkonsum mit gewalttätigen Inhalten tatsächlich ursächlich für aggressives Verhalten ist, da der Konsum an frühen Messzeitpunkten aggressives Verhalten an späteren Messzeitpunkten (oft nach mehreren Jahren) vorhersagt.“ (Kiesel and Koch, 2011, S. 79)

Dass Menschen anhand von Modellen lernen können, kann als gesichert angesehen werden. Imitationslernen wird in die Kategorien (1) angeborenes Imitationslernen und (2) erworbenes Imitationslernen gegliedert. Das angeborene Imitationslernen umfasst unbewusstes Nachahmen von Bewegungen und Verhalten und wird durch Spiegelneuronen ermöglicht. Erworbenes Imitationslernen ist als instrumenteller

Prozess zu verstehen. Dies meint nicht, dass erworbenes Imitaitonslernen immer bewusst stattfindet. Im Gegensatz zu angeborenem Imitationslernen steht es dem Lernenden jedoch für die bewusste Reflexion zur Verfügung. (vgl. Kiesel and Koch, 2011, S. 74_)

In dieser Arbeit ist mit Imitationslernen nachfolgend stets erworbenes Imitationslernen gemeint. Unabhängig davon, ob implizit oder explizit Verhalten übernommen wird, ist Imitationslernen an drei Faktoren gebunden, die zum Erwerb des Verhaltens gegeben sein müssen. (vgl. Kiesel and Koch, 2011, S. 76) (vgl. Schweiger and Fahr, 2013, S. 192f)

1. Selektive Beobachtung/Aufmerksamkeit ist gegeben, wenn das Verhalten für den Beobachter ausreichend interessant ist (vgl. Schweiger and Fahr, 2013, S. 192f). „Bandura nennt verschiedene Variablen, die die Auslenkung der Aufmerksamkeit auf das Verhalten des Modells erleichtern, wie beispielsweise Auffälligkeit, Komplexität oder Neuigkeit.“ (Kiesel and Koch, 2011, S. 76)

2. Unter Gedächtnis wird die Fähigkeit gefasst, das Verhalten zu speichern. Diese ist ebenfalls an Variablen gebunden, die ein Abspeichern des Verhaltens erleichtern können. „Beispielsweise wird die Gedächtnisleistung für das beobachtete Verhalten verbessert, wenn die Erinnerung durch sprachliche Repräsentationen unterstützt wird.“ (Kiesel and Koch, 2011, S. 77)

3. Das beobachtete Verhalten nachahmen zu können, wird mit der motorischen Reproduktionsfähigkeit beschrieben (vgl. Kiesel and Koch, 2011, S. 77) (vgl. Schweiger and Fahr, 2013, S.193). Als Beispiel kann ein Parkour-Läufer betrachtet werden. Durch mediale Aufmerksamkeit und Beliebtheit des Sportes avanciert er zum interessanten Beobachtungsmodell. Betrachter werden die Tricks des Sportlers wahrscheinlich nicht nachahmen, wenn sie nicht über entsprechende sportliche Fähigkeiten verfügen.

Mit der Motivation beschreiben Kiesel and Koch (2011) einen vierten Punkt. Es wird davon ausgegangen, dass ein gespeichertes Verhalten nicht automatisch eingesetzt wird. Vielmehr muss der Lernende eine entsprechende Motivation haben, dies zu tun. Die Motivation wird mit Hilfe der operanten Konditionierung beschrieben.

„Die Imitation des Modells kann dabei auf drei verschiedene Arten verstärkt werden. Erstens kann zunächst das Imitationsverhalten selbst verstärkt werden. Beispielsweise loben Erwachsene Kinder, die sich ähnlich wie sie selbst verhalten. Zweitens können die Konsequenzen des imitierten Verhaltens verstärkend wirken. Ein Kind, das Sprechverhalten imitiert und „Bonbon“ sagt, wird oft unmittelbar durch entsprechende Süßigkeiten verstärkt. Und drittens kann sogenannte stellvertretende Verstärkung (oder auch stellvertretende Bestrafung) Einfluss auf das Imitationsverhalten haben.“ (Kiesel and Koch, 2011, S. 78f)

Ein Einfluss auf Individuen durch Rollenmodelle existiert. In der Psychologie wird zur „Entstehung und Aufrechterhaltung von Phobien dem Modelllernen eine herausragende Bedeutung beigemessen.“ (Schneider and Margraf, 2009, S. 509)

Wie stark der Einfluss von Modellen ist, kann mit Bezug auf negative Verhaltensweisen nur geschätzt werden. Zwar korreliert aggressives Verhalten positiv mit der Rezeption gewalttätiger Medieninhalte, doch konnte bisher keine Kausalität nachgewiesen werden. Der Nachweis wird auch in Zukunft nur schwer möglich sein, da entsprechende Untersuchungen, die gezielt Personen gewalttätigen Inhalten aussetzen, aus wissenschaftlicher Ethik heraus nicht durchführbar sind. (vgl. Kiesel and Koch, 2011, S. 79)

Ein bekanntes geschichtliches Beispiel für Modelllernen ist der Werther-Effekt. Dieser beschreibt die Nachahmung von Suiziden und geht auf Goethes Roman „Die Leiden des jungen Werther“ zurück. Die Geschichte dreht sich um einen jungen Mann, der, nach einer nicht erwiderten Liebe, die Selbsttötung vollzieht. Bereits zu Lebzeiten Goethes kam es zu Nachahmungen des Suizids. Die Opfer hatten ähnliche Biographien wie die Figur Werther. Einige trugen zum Zeitpunkt der Selbsttötung dieselbe Kleidung wie er. Alle wählten dieselbe Todesart. (vgl. Andree, 2006, S. 9-15)

Eine positive Korrelation zwischen der Berichterstattung über die Selbsttötung berühmter Persönlichkeiten und der Suizidrate in der Gesellschaft konnte auch in neueren Untersuchungen nachgewiesen werden. Bei steigender Beliebtheit des Opfers und detaillierterer Berichterstattung in den Medien stieg die Zahl der ähnlich vollzogenen Suizide. (vgl. Schweiger and Fahr, 2013, S. )

Diese Umstände bewegten den Presserat zur Herausgabe von Richtlinien betreffend der Berichterstattung bei Suizid. „Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung. Dies gilt insbesondere für die Nennung von Namen, die Veröffentlichung von Fotos und die Schilderung näherer Begleitumstände.“ (Presserat, 2014, Richtline 8.7)

Bei diesen Überlegungen ist stets zu bedenken, dass sie auf Korrelationen aufbauen. So wahrscheinlich ein Zusammenhang auch sein mag, bewiesen wurde er bis heute nicht.

Unter gewissen Bedingungen kommt es zu einer Speicherung beobachteter Verhaltensweisen, die in bestimmten Situationen angewendet werden. Wichtig ist, dass ein beobachtetes Verhalten nicht exakt angewendet wird. Vielmehr wird der Ablauf des Handelns gespeichert und vom Individuum auf die Situation angepasst. Wie genau die Speicherung und Passung von Verhalten zu verstehen ist, wird in der ergänzenden Skripttheorie beschrieben. (vgl. Schweiger and Fahr, 2013, S. 192)

Nach der Skripttheorie soll das Lernen am Modell zusätzlich um Überlegungen zu parasozialen Beziehungen ergänzt werden. Diese beschreiben die Entstehung von Beziehung zwischen Medienpersonen und Rezipienten. Parasoziale Beziehungen ermöglichen es zu klären, welche Attribute Medienpersonen besitzen müssen, damit sie attraktive Verhaltensmodelle werden. (vgl. Schweiger and Fahr, 2013, S. 295{310)

2.3.2 Skripttheorie und das Erlernen von Skripten

Die Skripttheorie wurde 1988 von Huesmann in der Zeitschrift „Aggressive Behavior“ vorgestellt. Der Autor sah die Skripttheorie nie als alleingültiges Konstrukt und lud zur Erweiterung der Theorie ein. „I do not pretend that this model is supported by data to the exclusion of other models or that this model is complete.” (Huesmann, 1988, S. 15)

Entsprechend soll hier die Skripttheorie dienen, Banduras sozialkognitive Lerntheorie zu erweitern.

Das sozialkognitive Lernen kann im Bereich der Verhaltensspeicherung um die Skripttheorie erweitert werden. In Banduras Theorie wird darauf hingewiesen, dass Verhalten nicht gespeichert und identisch angewendet oder ausgeführt wird. Vielmehr kommt es zu einer Individualisierung des gespeicherten Verhaltens. (vgl. Kiesel and Koch, 2011, S. 78)

Die Skripttheorie geht von gespeicherten Verhaltensweisen aus, die in Form von Verhaltensskripten vorliegen. „A script suggest what events are to happen in the environment, how the person should behave to these events, and what the likely outcome of those behaviors would be.” (Huesmann, 1988, S. 15) Abbildung 2 zeigt den Prozess der Konfrontation, Skriptfindung und -ausführung.

Huesmann (1988) sieht in diesem Modell drei Anknüpfungspunkte für individuelle Verarbeitung von Skripten. Die objektive Situation ist vom sozialen Problem bestimmt, das individuell ausgewertet wird. Zweiter Punkt sind die gespeicherten Skripte und die Affinität zu einem bestimmten Verhalten als individuelle Basis der Skriptauswahl. Die Bewertung des Skripts, die bei jedem Individuum anders verläuft, führt ebenfalls zu unterschiedlichen Ergebnissen in der Skriptauswahl. (vgl. Huesmann, 1988, S. 16)

„Ein Kind entwickelt ständig Algorithmen für soziale Probleme und speichert sie in seinem Gedächtnis.“ (Moser, 2010, S. 2010) Aufbauend auf der Hypothese Oevermanns, dass der soziale Alltag und das individuelle Handeln durch Krisen und Routinen bestimmt werden (vgl. Geulen and Veith, 2004, S. 160f), lässt sich die Skripttheorie auf alle Altersbereiche ausweiten. Sie muss, da die Sozialisation auf die Bewältigung von Krisen vorbereitet (vgl. Geulen and Veith, 2004, S. 163ff), in einer gelingenden Sozialisation vermittelt werden. Die stete Konfrontation mit Krisen kann nur erfolgreich bestanden werden, wenn das Individuum in der Lage ist, neue Krisen durch Anpassung vorhandener oder den Erwerb neuer Skripte zu bewältigen. An dieser Stelle muss gefragt werden, wie die Speicherung von Skripten erfolgt. Banduras Theorie erklärt, welche Faktoren zur Speicherung und welche Motivatoren zur Ausführung des Verhaltens relevant sind.

„A script may be closely associated with specific cues in the encoding context or may be an abstraction unconnected to specific cues. To encode an observed sequence of behaviors as a script, a child must first attend to the sequence. Thus, scripts with particularly salient cues for the child are more likely to be encoded. However, many observed sequences might never be encoded because the child perceives them as inappropriate. Here, again, the child's current emotional state and current memory contents may exert some influence.” (Huesmann, 1988, S. 18)

Damit ein Skript bestehen bleibt, muss es Anwendung finden. Je häufiger ein Skript angewendet und/oder abgerufen wird, desto zugänglicher und relevanter ist es. Huesmann weist darauf hin, dass durch diesen Prozess eine Hierarchie den Einsatz von Skripten betreffend entsteht. Die abgerufenen Skripte bleiben nicht unverändert (vgl. Abbildung 3). Durch ihre Anwendung kommt es zu einer Neubewertung. In dieser prüft das Individuum, ob das ausgeführte Skript die erwarteten Folgen hatte. Dieser Prozess kann zu einer Umstrukturierung des Skripts führen, in der es zu einem generalisierten Grundriss für weitere Situationen wird. Hierin kann auch eine Ausweitung des Skripts auf Situationen mit anderem Charakter liegen. Folgt auf die skriptgeleitete Handlung nicht der gewünschte Erfolg, kann es nach Anpassung des Skripts oder direkt zu einem Löschungsprozess kommen. In diesem wendet das Individuum das Skript nicht mehr an, bis es schließlich vergessen ist. (vgl. Huesmann, 1988, S. 18f)

2.3.3 Einfluss fiktiver Medienpersonen auf Rezipienten

Mit Rückbezug auf Modelllernen und Skripttheorie soll geklärt werden, wann fiktive Medienpersonen attraktive Modelle zur Verhaltensadaption sind. Ziel ist es zu ermitteln, welche Charakteristika der Superhelden Rezipienten dazu einladen, diese als Verhaltensmodelle zu nutzen. Ebenfalls wird behandelt, welche Verhaltenseinstellungen potenziell übernommen werden können und welche Eigenschaften medialer Personen hierzu einladen.

Medienpersonen, darunter auch fiktive Charaktere, können auf Menschen wie richtige Personen wirken. Zusätzlich ist es möglich, dass eine Beziehung zu diesen Personen aufgebaut wird, ohne jemals Kontakt zu ihnen zu haben, der nicht über Medien stattfindet. (vgl. Hippel, 2003, S. 1f) „Diese Beziehung der Zuschauer zu den im Medium Auftretenden wird ‚parasozial‘ genannt“ (Hippel, 2003, S. 2)

Eine solche Beziehung kann von Rezipienten aufgebaut werden, wenn sie nicht nur passive Beobachter sind. „Die passive Rolle eines nur Zusehenden werde überlagert, indem er in das Beziehungsgefüge hineingezogen wird, das das Programm anbiete. Anders ausgedrückt, er wird selbst Teil des Beziehungsgefüges.“ (Hippel, 2003, S. 2)

Die Konfrontation mit Medienpersonen hat ähnliche Effekte auf uns, wie die Konfrontation mit sozialen Personen. „Wir können gegenüber Medienpersonen Empathie empfinden, etwa mit ihnen mitleiden [...]. Medienpersonen als Elemente unserer sozialen Umwelt dienen nicht selten als Vergleichsmaßstäbe, um eigene Fähigkeiten und Merkmale einzuordnen.“ (Schweiger and Fahr, 2013, S. 295f)

Empathie ist eine grundlegende Voraussetzung für den Aufbau einer parasozialen Beziehung. Unter Empathie wird die Fähigkeit verstanden, sich in die Situation eines signifikanten Anderen hinein zu versetzen. „Es handelt sich bei Empathie folglich um eine, auf den sozialen Bereich bezogene Fähigkeit, die es Menschen erlaubt, die Emotionen eines anderen wahrzunehmen, sie nachzuempfinden und sich entsprechend prosozial oder antisozial zu verhalten.“ (Fuchs, 2014, S. 45)

Dennoch unterscheiden sich parasoziale Beziehungen von sozialen Beziehungen. Parasoziale Beziehungen haben keine Verantwortlichkeit, können stets abgebrochen werden und sind einseitig. (vgl. Hippel, 2003, S. 2) "Das Publikum kann zwar wählen zwischen den angebotenen Beziehungen, jedoch nicht neue herstellen oder bestehende beeinflussen." (Hippel, 2003, S. 2)

Hippel (2003) spricht drei Aspekte an, die „hervorgehoben werden, weil sie in der Rezeption des Entwurfs sehr häufig mißachtet wurden“ (S. 2). Der erste Aspekt behandelt den Unterschied zwischen parasozialer Beziehung und Identifikation mit der Medienperson. Diese sind klar voneinander zu unterscheiden. Der Rezipient bleibt eine eigenständige Person, übernimmt aber Einstellungen der Medienperson. (vgl. Hippel, 2003, S. 2f)

Die Theorie behandelt nicht

„das bloße Vorliegen von Bindungen einzelner Zuschauer an Stars oder personalities, die auch durch Identifikation, Fan-Kulturen etc. erzeugt werden können, entscheidend sind vielmehr die Herstellung, Weiterentwicklung und Aufrechterhaltung sowie die spezifischen Eigenschaften solcher Beziehungen.“ (Hippel, 2003, S. 3)

Der letzte Punkt trifft eine Unterscheidung von pathologischen Verhaltensweisen. Demnach sind parasoziale Beziehungen keine als krankhaft einzustufende Nutzung der Medien. (vgl. Hippel, 2003, S. 3)

Grundlage parasozialer Beziehungen ist die parasoziale Interaktion, die Rezipienten mit den Medienpersonen eingehen (vgl. Schweiger and Fahr, 2013, S. 302f). Medienpersonen müssen bestimmte Eigenschaften besitzen, damit Rezipienten eine parasoziale Beziehung zu diesen eingehen können. Die Eigenschaften sind subjektiv aus Perspektive der Rezipienten zu betrachten.

„Parasoziale Interaktion bzw. parasoziale Prozesse umfassen konzeptuell auch Phänomene wie Empathie, sozialen Vergleich oder Identifikation: Mit einer Medienperson, die Empathie auslöst, wird man eher eine parasoziale Beziehung eingehen als mit einer Medienpersonen, die einen gleichgültig lässt.“ (Schweiger and Fahr, 2013, S. 303)

Eine solche Beziehung bildet „sich auf drei Ebenen: (1) auf kognitiver Ebene durch Nachdenken über die Medienperson, (2) auf emotionaler Ebene in Form von Gefühlen für die Medienperson und sogar (3) auf der Verhaltensebene.“ (Schweiger and Fahr, 2013, S. 303) Zur Verhaltensebene zählen Effekte, die z.B. eine alltagsstrukturierende Wirkung (etwa Anpassung des Tagesablaufs an Spielzeiten) haben und über ein Handeln des Rezipienten über den Medieninhalt der direkten parasozialen Beziehung hinaus gehen (produktive Interaktion mit weiteren Medieninhalten der Medienperson).

Zusätzlich kann die Theorie des sozialen Vergleichs genutzt werden, um zu beschreiben, welches Potenzial der Vergleich des Rezipienten mit Superhelden hat. "Social comparison theory posits that individuals compare themselves to others when they need an external standard against which to judge or opinions." (White et al., 2006, S. 36) Ein korrekter sozialer Vergleich ist nicht möglich, wenn Meinung oder Fähigkeit des Anderen zu weit von denen des Betrachters entfernt liegen. "There is then a tendency not to make the comparison.” (Festinger, 1954, S. 120)

Der soziale Vergleich kann in drei Richtungen stattfinden. (1) Ein abwärtsgerichteter sozialer Vergleich findet statt, wenn ein Individuum sich mit einer Person vergleicht, die im Punkt des Vergleiches, normativ betrachtet, schlechter ist. (2) Der aufwärtsgerichtete Vergleich findet statt, wenn ein Individuum im Vergleichspunkt über sich stehende Personen für den Vergleich nutzt. (vgl. White et al., 2006, S. 37) (3) Beim horizontalen sozialen Vergleich vergleicht sich das Individuum mit einer Person, die im Vergleichspunkt auf einer ebenbürtigen Ebene steht. (vgl. Schweiger and Fahr, 2013, S. 300)

[...]


[1] Der Begriff Superheldenshows wird im Laufe der Arbeit stellvertretend für Superheldenfilme und Superheldenserien genutzt.

Ende der Leseprobe aus 63 Seiten

Details

Titel
Politische und moralische Ansichten von Superhelden. Herausforderungen und Aufgaben für die Medienpädagogik
Hochschule
Philipps-Universität Marburg  (Erziehungswissenschaft)
Note
1,4
Autor
Jahr
2015
Seiten
63
Katalognummer
V308403
ISBN (eBook)
9783668065314
ISBN (Buch)
9783668065321
Dateigröße
1106 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Präsentation zur Arbeit: http://bit.ly/1GDUhTF
Schlagworte
Superhelden, Helden, Medienpädagogik, Film, Fernsehn, Medienwirkungsforschung, Medienwirkung, Pädagogik, Erziehungswissenschaft, Super Man, Batman, Spieder-Man, Ben10, Wonder Woman
Arbeit zitieren
Stephan Malzkorn (Autor:in), 2015, Politische und moralische Ansichten von Superhelden. Herausforderungen und Aufgaben für die Medienpädagogik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/308403

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