Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Aufgabenstellung und Zielsetzung
1.2 Zitierweise und Textwiedergabe
2 Theoretische Aspekte des Kommentierens
2.1 Allgemeine Zielbestimmungen des Kommentars
2.2 Aufgaben und Inhalte des Kommentars
2.3 Formen des Kommentars
2.4 Umfang des Kommentars
2.5 Kommentar und Ausgabetyp
2.6 Die Sprache des Kommentars
2.7 Kommentar und Interpretation
2.8 Qualitätskriterien für einen Kommentar
3 Goethe: Prometheus
3.1 Hamburger Ausgabe
3.1.1 Form und Inhalt des Kommentars
3.1.2 Tabellarischer Überblick
3.2 Münchner Ausgabe
3.2.1 Form und Inhalt des Kommentars
3.2.2 Tabellarischer Überblick
3.3 Reclams Erläuterungen und Dokumente
3.3.1 Form und Inhalt des Kommentars
3.3.2 Tabellarischer Überblick
4 Goethe: Gingo biloba
4.1 Hamburger Ausgabe
4.1.1 Form und Inhalt des Kommentars
4.1.2 Tabellarischer Überblick
4.2 Münchner Ausgabe
4.2.1 Form und Inhalt des Kommentars
4.2.2 Tabellarischer Überblick
4.3 Reclams Erläuterungen und Dokumente
4.3.1 Form und Inhalt des Kommentars
4.3.2 Tabellarischer Überblick
5 Goethe: Elegie
5.1 Hamburger Ausgabe
5.1.1 Form und Inhalt des Kommentars
5.1.2 Tabellarischer Überblick
5.2 Münchner Ausgabe
5.2.1 Form und Inhalt des Kommentars
5.2.2 Tabellarischer Überblick
5.3 Reclams Erläuterungen und Dokumente
5.3.1 Form und Inhalt des Kommentars
5.3.2 Tabellarischer Überblick
6 Heine: Ich weiß nicht, was soll es bedeuten
6.1 Sämtliche Schriften
6.1.1 Form und Inhalt des Kommentars
6.1.2 Tabellarischer Überblick
6.2 Reclams Erläuterungen und Dokumente
6.2.1 Form und Inhalt des Kommentars
6.2.2 Tabellarischer Überblick
6.3 Düsseldorfer Ausgabe
6.3.1 Form und Inhalt des Kommentars
6.3.2 Tabellarischer Überblick
7 Heine: Die schlesischen Weber
7.1 Sämtliche Schriften
7.1.1 Form und Inhalt des Kommentars
7.1.2 Tabellarischer Überblick
7.2 Reclams Erläuterungen und Dokumente
7.2.1 Form und Inhalt des Kommentars
7.2.2 Tabellarischer Überblick
7.3 Düsseldorfer Ausgabe
7.3.1 Form und Inhalt des Kommentars
7.3.2 Tabellarischer Überblick
8 Heine: Die Wanderratten
8.1 Sämtliche Schriften
8.1.1 Form und Inhalt des Kommentars
8.1.2 Tabellarischer Überblick
8.2 Reclams Erläuterungen und Dokumente
8.2.1 Form und Inhalt des Kommentars
8.2.2 Tabellarischer Überblick
8.3 Düsseldorfer Ausgabe
8.3.1 Form und Inhalt des Kommentars
8.3.2 Tabellarischer Überblick
9 Kritische Revision der Kommentare im Vergleich
10 Schlussbetrachtungen und Ausblick
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Anhang: Texte der sechs ausgewählten Gedichte
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Prometheus – Überblick Hamburger Ausgabe
Tabelle 2: Prometheus – Überblick Münchner Ausgabe
Tabelle 3: Prometheus – Überblick Reclam
Tabelle 4: Gingo biloba – Überblick Hamburger Ausgabe
Tabelle 5: Gingo biloba – Überblick Münchner Ausgabe
Tabelle 6: Gingo biloba – Überblick Reclam
Tabelle 7: Elegie – Überblick Hamburger Ausgabe
Tabelle 8: Elegie – Überblick Münchner Ausgabe
Tabelle 9: Elegie – Überblick Reclam
Tabelle 10: Ich weiß nicht, was soll es bedeuten – Überblick Sämtliche Schriften
Tabelle 11: Ich weiß nicht, was soll es bedeuten – Überblick Reclam
Tabelle 12: Ich weiß nicht, was soll es bedeuten – Düsseldorfer Ausgabe
Tabelle 13: Die schlesischen Weber – Überblick Sämtliche Schriften
Tabelle 14: Die schlesischen Weber – Überblick Reclam
Tabelle 15: Die schlesischen Weber – Überblick Düsseldorfer Ausgabe
Tabelle 16: Die Wanderratten – Überblick Sämtliche Schriften
Tabelle 17: Die Wanderratten – Überblick Reclam
Tabelle 18: Die Wanderratten – Überblick Düsseldorfer Ausgabe
1 Einleitung
1.1 Aufgabenstellung und Zielsetzung
Im Rahmen des Forschungszentrums „Prozesse der Literaturvermittlung“ an der Universität Innsbruck1 richtet sich das Interesse der wissenschaftlichen Forschung unter anderem auch auf Aspekte der Edition und Kommentierung literarischer Werke. Seit 2006 werden vom genannten Forschungszentrum, ehemals Forschungsschwerpunkt, regelmäßig Workshops zu „Problemen der Kommentierung“ veranstaltet, die bisher insgesamt fünf mal durchgeführt wurden. Der letzte dieser Workshops am 23. April 2010 war der Frage gewidmet, „Wie kann/soll man Lyrik kommentieren?“ Im Zuge der Vorbereitungen dieses Workshops ist die Anregung zum Thema der vorliegenden Diplomarbeit entstanden.
Die in der Theorie des Kommentars ausgesprochenen Empfehlungen und aufgestellten Kriterien sollen den tatsächlichen Verfahrensweisen des Kommentierens anhand ausgewählter Gedichte gegenübergestellt und die Kommentare mehrerer Ausgaben sollen miteinander verglichen werden. Als Untersuchungsgegenstand werden Ausgaben von Goethe und Heine herangezogen. Dabei soll auf die praktischen Verfahrensweisen der Kommentatoren und auf die Formen der Kommentare zu den jeweiligen Gedichten eingegangen werden. Die ausgewählten sechs Gedichte mit den zu untersuchenden Kommentaren in den wichtigsten Ausgaben sind folgende:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Das einleitende Kapitel „Theoretische Aspekte des Kommentierens“ soll, indem es die wichtigsten Diskussionspunkte der einschlägigen Forschungsliteratur darstellt, als Basis für die spätere kritische Revision der Kommentare im Vergleich dienen. Dieser Vergleich erfolgt nach einer Analyse der Formen und Inhalte der Kommentare, wobei die Kommentare auf die Übereinstimmungen mit oder Abweichungen von den Empfehlungen der Forschungsliteratur hin untersucht werden.
Die Auswahl der Gedichte, deren Kommentare analysiert werden, erfolgte in Anbetracht der Tatsache, dass aus der Reihe Reclams Erläuterungen und Dokumente jeweils nur ein Band mit zehn Gedichten Goethes und Heines vorliegt. Die Auswahl war also einerseits dadurch eingeschränkt, andererseits sollten Gedichte aus verschiedenen Lebensabschnitten der Dichter herangezogen werden und zumindest jeweils eines davon Teil eines Zyklus sein. So kann ein zusätzlicher Aspekt in die Betrachtungen miteinbezogen werden: das Vorgehen der Herausgeber, wenn ein Gedicht einzeln kommentiert, aber auch im Zusammenhang des Zyklus berücksichtigt werden muss.
Anhand der Ergebnisse der Analysen sollen schließlich die Unterschiede und eventuellen Lücken oder durch den Zeithorizont nicht mehr aktuellen Wissensvoraussetzungen aufgezeigt werden. Es wird auch die Frage gestellt werden müssen, wie und ob die theoretischen Ansätze in der Praxis auch bei der Kommentierung von Lyrik anwendbar sind und ob es hier abweichende Voraussetzungen bzw. Anforderungen gibt.
1.2 Zitierweise und Textwiedergabe
Zu den Überschriften, die die jeweiligen Analysen der Kommentare einer Ausgabe einleiten, ist anzumerken, dass hinsichtlich der Gedichte von Goethe mit „Hamburger Ausgabe“ die unter „HA“ im Abkürzungsverzeichnis genannte Ausgabe gemeint ist, ebenso wie „Münchner Ausgabe“ die dort unter „MA“ verzeichnete Ausgabe meint. In Bezug auf die Gedichte Heines ist mit der Überschrift „Sämtliche Schriften“ die Ausgabe gemeint, die unter „Sämtliche Schriften“ aufscheint, „Düsseldorfer Ausgabe“ bezieht sich auf die bei „DHA“ angeführte Ausgabe.
Da zur Analyse der Kommentare in der HA die DTV-Ausgabe aus dem Jahr 2000 herangezogen wird, die Erstausgabe aber aus dem Jahr 1948 stammt, werden Änderungen, die sich in der neueren Ausgabe finden, bei der Analyse an entsprechender Stelle angegeben. Es sei vorweggenommen, dass es sich dabei meist um vereinzelte, zusätzlich deutende Ausführungen handelt, die nicht in die neuere Ausgabe übernommen wurden. Handelt es sich um umfangreichere Veränderungen, wird dies in Grundzügen vermerkt.
Wird wörtlich aus den Kommentaren zitiert, wird dies im fortlaufenden Text durch doppelte Anführungszeichen ausgewiesen. Ein Zitat innerhalb eines wörtlichen Zitats wird durch einfache Anführungszeichen markiert. Eingerückte Zitate bleiben ohne eine solche Markierung, es sei denn, innerhalb derselben zitiert der Kommentar seinerseits. Diese Zitate im Zitat werden durch doppelte bzw. halbe Anführungszeichen gekennzeichnet, je nachdem, was im Kommentar jeweils vorkommt. Die Verweise auf die Stellen, an denen die Zitate aufzufinden sind, werden, um die Fußnoten zu entlasten, hinter dem Zitat im fortlaufenden Text in Klammern gesetzt und wie folgt wiedergegeben: Abkürzung, Band, Seite (z.B. HA, 1, 483). Bezieht sich ein Abschnitt wiederholt auf dieselbe Ausgabe und denselben Band, wird nur noch die Seitenzahl genannt.
Siglen, die in den Kommentaren verwendet werden, z.B. eine Handschrift Goethes betreffend, werden hier nicht aufgelöst und müssen daher in der jeweiligen Ausgabe nachgeschlagen werden. Im „Abkürzungsverzeichnis“ sind nur die in dieser Arbeit eingeführten Abkürzungen verzeichnet.
In den Tabellen werden wörtlich übernommene Stellen als Zitate ausgewiesen. Jene Stellen jedoch, die inhaltlich zusammengefasst werden, bleiben ohne Anführungszeichen. Auf die Nennung der zitierten, bzw. zusammengefassten Stellen wird verzichtet. Die Tabellen können so Platz sparend gefüllt werden und bleiben übersichtlich.
Die ausgewählten Gedichte schließlich, die wiedergegeben werden, stammen im Fall von Goethe aus der Hamburger Ausgabe, die Gedichte Heines sind der Düsseldorfer Heine-Ausgabe entnommen. Von einem Lesarten-Apparat, der die Abweichungen der abgedruckten Gedichte in den anderen untersuchten Ausgaben verzeichnet, wird abgesehen; es wäre im Rahmen der vorliegenden Arbeit zu aufwändig. Es geht darum, den Gesamttext des jeweiligen Gedichts zu vergegenwärtigen und die Einordnung der kommentierten Stellen in den Textzusammenhang zu ermöglichen.
2 Theoretische Aspekte des Kommentierens
Bis ins 20. Jahrhundert waren es oft die Dichter selbst, die die Anmerkungen und Kommentare zu ihren eigenen Werken geschrieben haben; die Herausgeber hielten sich mit eigenen Beiträgen zurück, hielten sie sogar für unwissenschaftlich und unwürdig. Da der Wissenshorizont der Leserschaft einheitlicher und der klassischen Literatur noch mehr entsprach, als er dies heute tut, gab es aber auch keinen allzu großen Bedarf an Kommentierungen.2 Erst in jüngerer Zeit erfährt der Kommentar eine Hochkonjunktur, die sich darin äußert, dass etwa die Werke aller wichtigen Autoren der Goethezeit und früherer Epochen neu ediert und kommentiert werden. „Verstärkt wird die Notwendigkeit des Kommentars als einer neuen Form der Wissensorganisation“3 auch durch die immer kürzeren Studienzeiten. Dieser Ansicht war schon 1975 Jochen Schmidt, er sah deshalb den Kommentar als „Beitrag zur dichten Füllung der heute auf ein Minimum reduzierten Studienzeit.“4 Einheitliche Richtlinien werden also zunehmend nötiger und deren Etablierung stellt sich als langwieriger Prozess dar, der, zu sehen an der wachsenden Anzahl der veröffentlichten einschlägigen Beiträge, in den siebziger Jahren begann. Seitdem ist viel getan worden, um Kommentare an den Bedürfnissen der LeserInnen auszurichten – was auch und vor allem bedeutet, nach den Notwendigkeiten und Grenzen der Erklärungsbedürftigkeit zu suchen. Dieses Kapitel soll einen Überblick darüber geben, was gemeinhin als wichtig und notwendig für einen zeitgemäßen Kommentar erachtet wird, um später die analysierten Kommentare einem Vergleich mit den vorgefundenen theoretischen Aspekten zuführen zu können.
Bei der Formulierung und Wiedergabe der wichtigsten Standpunkte, die in der einschlägigen Forschungsliteratur vertreten werden, soll der Vortrag von Wolfgang Wiesmüller beim Workshop „Probleme des Kommentierens“ I (10. November 2006) mit dem Titel „Ziele und Aufgaben des Kommentars aus der Sicht neugermanistischer
Editionswissenschaft“5 als Richtschnur dienen. Darin werden die wichtigsten Forschungsbeiträge von 1975 bis 2000 gesichtet und die dort definierten Ziele und Aufgaben des Kommentars herausgefiltert. Wo darüber hinausgehende Beiträge, vor allem aus den Jahren nach 2000, als erwähnenswert erachtet werden, werden diese in die Ausführungen miteinbezogen.
2.1 Allgemeine Zielbestimmungen des Kommentars
Einer im Bereich der Kommentierung „gefährlich fortschreitenden Individualisierung der Editionspraxis“ müsste, so Wolfgang Frühwald 1975, „ein, wenn auch in engen Grenzen gehaltener, normierender Versuch entgegengesetzt werden“. Grundsätzlich soll ein Kommentar „das Verständnis des Werks beim heutigen Leser ermöglichen.“6 Worin auch für Winfried Woesler die wichtigste Funktion des Kommentars liegt; er solle „das Verständnis historischer Texte heute“ fördern, d.h. die zeitliche, kulturelle und geistige Distanz […] überbrücken. […] Im Idealfall ist das Wissen des Autors zu rekonstruieren und der Verstehenshorizont seiner Zeit aufzuzeigen. Durch den Kommentar kann der heutige Leser „Zeitgenosse“ des Autors werden.7
Das Verständlich-Machen eines dichterischen Werks scheint auch für Barbara Hunfeld eine zentrale Funktion des Kommentars zu sein, wenn sie für die neue Buch- und Internet-Edition der fünf Kernbereichswerke von Jean-Paul andeutet, eine „Selbstkommentierung des Autors“, gewonnen aus den Nachlasstexten, solle dem Werk „den Ruf der Schwerverständlichkeit“ nehmen. Und auch in Hinsicht auf das die Buch-Edition begleitende digitale Jean-Paul-Portal stellt sie fest:
Nicht auf das Anhäufen von Datenmengen, sondern auf ihre Verstehbarkeit im Rahmen jenes Jean Paul’schen Schriftprojekts kommt es an […].8
2.2 Aufgaben und Inhalte des Kommentars
Zu den Aufgaben des Kommentars sollen Winfried Woeslers detaillierte Ausführungen zusammengefasst werden; er unterteilt diesen Aspekt in zwei Teilbereiche9:
1. „Der Kommentar als Ort der Begründung von Textanordnung und -konstitution (S. 23 ff.): Die Prinzipien der Anordnung der Texte (Chronologie der Entstehung, Veröffentlichte und nachgelassene Werke etc.) sind im Kommentar offenzulegen. Daneben ist im „textkritischen Kommentar […] die Begründung für die Wahl de Textgrundlage“ zu liefern und „Rechenschaft über die Textkonstitution“ abzulegen. (S. 24)
2. „Der Kommentar als Ort der Vergegenwärtigung des Entstehungszusammenhangs“. Im Blickfeld hat Woesler hier im Wesentlichen folgende Teilbereiche:
- Die „spezifische Leistung literarischer Werke im historischen Kontext“ und „die Weitsichtigkeit (bzw. Enge) von Zeitkritik im ästhetischen Medium, das seismographische Erfassen kommender Veränderungen“ sollen durch geschichtswissenschaftliche „Epochdarstellungen“ sichtbar gemacht werden. (S. 25)
- „[E]ine inzwischen eingetretene Bedeutungsverschiebung“ muss durch Worterklärungen sichtbar gemacht werden; das Zitieren zeitgenössischer und historischer Wörterbücher kann hier eine gute Grundlage bilden. (S. 25 f.)
- „Historisch-lexikalische Sacherklärungen (‚Realien‘) werden nicht nur mit größerem Zeitabstand notwendiger, sondern Kenntnisse können auch, wie es sich etwa in jüngster Zeit im Bereich der antiken Mythologie und des Christentums gezeigt hat, fast ganz verlorengehen. Bei Sacherklärungen sollte nicht unser heutiges Wissen als Maßstab dienen; wenn z.B. ein antiker Autor schreibt, die Erde sei eine Scheibe, wird dies kein Kommentar korrigieren.“ (S. 26)
- „Der Kommentar muß sämtliche historisch-biographischen Quellen, die es zur Entstehung eines Werkes und seiner Aufnahme zu Lebzeiten gibt, im Rahmen des Vertretbaren erfassen, auswählen und außerdem auf etwaige Lücken der Quellenüberlieferung hinweisen.“ (S. 26)
- „Innerhalb des historisch-biographischen Umfeldes ist die Beziehung des Autors zur literarischen Öffentlichkeit besonders wichtig. Rezensionen und Reaktionen des Publikums regten ihn […] zur Überarbeitung an. [...] Einfluß haben auch Rezeptionsaspekte wie Lesererwartungen und Verlagsstrategien.“ (S. 26)
- „Neben dem Biographischen ist der engere und weitere literarische Kontext von Interesse. Welche Werke benutzte der Autor; nennt oder verbirgt er sie? [...] Zum Aufgabenfeld des Kommentators gehört damit die Beachtung der ‚Intertextualität‘ besonders dann, wenn der Autor ein bekanntes literarisches Thema oder Motiv variiert und den Vergleich herausfordert.“ (S. 30 f.)
- „Nicht nur Stoff, Motive und Themen kann der Kommentar unter dem Entstehungsaspekt behandeln, sondern im Einzelfall die literarische Gestaltung selbst. Welcher Aufbau, welche Struktur, welche stilistischen Eigenheiten bestimmen den Text und warum? Was hebt ihn in formaler oder konzeptioneller Hinsicht hervor. Wo liegt die Originalität, oder wo herrscht welche Tradition?“ (S. 32)
- Die Kontextuierung eines Werks soll „synchron und diachron im Kontinuum der Nationalliteratur bzw. komparatistisch“ erfolgen und dies kann mit „Hinweisen zur Ideen- und Geistesgeschichte“ unterstützt werden, wenn danach gefragt wird, „wie sich menschliches Bewusstsein – im ästhetischen Medium – verändert hat.“ (S. 33)
Den Inhalt „eines wissenschaftlichen Kommentars“ kann man nach Wolfgang Frühwald „annähernd durch vier zu beachtende Problemkreise bestimmen“10: Die Frage nach dem Verhältnis des Kommentars zu Textkritik, Quellenkritik, Textanalyse und Werk-Rezeption ist für ihn ausschlaggebend. Dabei schreibt er dem Kommentar im Bereich der Textkritik11 eine „ergänzende Funktion“ zu:
Es sollten Textentscheidungen des Herausgebers diskutiert, die Entscheidungsgrundlagen dargelegt, Schwierigkeiten bei der Beurteilung der Genese nicht verdeckt, sondern offengelegt werden. (S. 23)
Die Quellenkritik12 wird traditionell im Kapitel „Entstehung“ abgehandelt. „Hier werden Vorlagen und Quellen, Anregungen und Zitate verzeichnet“ und „das Verhältnis des Textes zur Quelle wird skizziert.“ Bisweilen ist eine Quellenbibliographie ratsam. Einige Schwierigkeiten sieht Frühwald in der Textanalyse13, da die Grenze zwischen Analyse und Interpretation eingehalten werden muss:
Es sollte daran festgehalten werden, daß es nicht Aufgabe einer wissenschaftlichen Edition sein kann, „interpretatorische Kommentare zu liefern“ […]. (S. 27)
Wolfgang Wiesmüller fügt hinzu, die Textanalyse betrifft dabei „textimmanente Aspekte wie poetisch-ästhetische und sprachlich-stilistische Elemente“ genauso wie „textexterne Bezüge wie den zeitgeschichtlichen Kontext, der für das Verständnis des Textes aufschlussreich sein kann.“14
„Besondere Bedeutung kommt dem Kommentar im Bereich einer pragmatisch verstandenen und dokumentierbaren Werkrezeption zu.“15 Hier kritisiert Frühwald insbesondere den Verzicht auf die Werkrezeption zugunsten der Autor-Intention, wenn diese zum „leitenden Kriterium der Textherstellung“ gemacht wird. Als gravierend bezeichnet er die „Vernachlässigung von Rezeptionsfaktoren im Zeitraum ab etwa 1800, in dem Intention und Wirkung der poetischen Texte auseinanderzufallen beginnen.“
Als Grundsatz könnte festgehalten werden, daß der Text die Intention des Autors spiegeln, die Dimension von Rezeption und Wirkung im Kommentar nachdrücklich hinzugefügt werden sollte. (S. 27 f.)
Außerdem betont Frühwald die enge Verbindung der Forschungsgeschichte mit der Rezeptionsgeschichte eines Werks und sieht damit die Information über wichtige Forschungsergebnisse als „eine der vornehmsten Aufgaben des Kommentars.“ (S. 29)
2.3 Formen des Kommentars
Grundsätzlich werden zwei Formen von Kommentaren unterschieden:
1) Überblicks-/Gesamt-/Flächen-/Makrokommentare
2) Erläuterungen/Stellenkommentar/Anmerkungen 16
Das „Prinzip vorherrschender Einzelanmerkungen“ sollte, um die Aufgaben des Kommentars erfüllen zu können, abgelöst werden von „zusammenfassenden, darstellenden Kapitel[n]“17, „für die sich inzwischen die Begriffe ‚Überblicks- oder Flächenkommentar‘ eingebürgert haben.“18
Auch bieten sich oft die praktizierten, raffenden Kommentarformen wie Sammelanmerkungen, kommentierende Register, kritisch kommentierte Bibliographien, Metaphernkataloge, Motivlisten u.ä. an. Diese aus dem fortlaufenden Kommentar ausgegliederten Teile entlasten die punktuellen Erläuterungen und tragen zur Überschaubarkeit des Kommentarkonvoluts bei […].19
„Überblickskommentare“ sind, wie Gunter Martens erklärt, dazu geeignet, das „kulturell-spachliche Gesamtsystem“ zu skizzieren, das die „einzelnen Teile“, für die der „Einzelstellen-Kommentar“ zuständig ist, „zu einem Ganzen verbindet“.20 Die beiden Formen sollen also ergänzend eingesetzt werden. Der „Erklärung von Einzelstellen“ vorausgehend sieht er den Überblickskommentar als eine Art
Gesamtwürdigung des Werkes, [...] die der Grundstruktur des Textes, den Hauptlinien der poetischen Aussage und seiner Einbettung in die biographische und/oder zeitgeschichtliche Situation des Autors gewidmet ist.21
Die zweite Form, die der Erläuterungen bzw. des Stellenkommentars oder der Anmerkungen, schafft, wie Herbert Kraft anmerkt, „die Voraussetzungen […] für ein Verstehen der geschichtlich-ästhetischen Form des literarischen Werkes aus historischem Abstand“22:
Die Aufgabe der Erläuterungen ist es, die Form des Werkes erkennbar zu machen: einen (literatur-)geschichtlichen Hintergrund zu zeichnen, vor dem die ästhetische Kontur des Werkes erscheint, sein historischer Stellenwert, der Erkenntnisstand, welcher innerhalb der Geschichte des Bewusstseins mit ihm erreicht ist.
Als die daraus resultierenden wichtigsten „Themenbereiche“ nennt er folgende:
1. historische (kulturgeschichtliche, sozialgeschichtliche, philosophiege schichtliche etc.) und literarische Folien, Parallelen
2. Quellen
3. Überlieferung, Fassungen
4. Motive und Topoi, Anspielungen, Verweise, Zitate
5. metrische und sprachliche Formen und Bedeutungen
6. Sachen23
2.4 Umfang des Kommentars
Manfred Windfuhr konstatiert für die „Praxis historisch kritischer Ausgaben“ zwei ganz gegensätzliche Tendenzen; er nennt einerseits „die Vertreter eines asketischen Programms von Sacherläuterungen zu Einzelstellen“ und andererseits jene „eines vielseitigen literaturwissenschaftlichen ‚Vollkommentars‘, ein Begriff aus den Richtlinien der Düsseldorfer Heine-Ausgabe (DHA).“24
Die Vertreter der ersten Richtung wollen dem Leser ausschließlich unbezweifelbare Sachinformationen mitteilen wie Erläuterungen zu erwähnten Personen, Titeln, Bildungsbegriffen, ungewöhnlichen Wortformen, historischen Daten, Nachweis von Zitaten, Hinweise auf Parallelstellen beim gleichen Autor usw. Sie behandeln poetische Texte wie historische Dokumente, bei denen nur die Faktenebene für erläuterungsbedürftig gehalten wird.25
Die Vertreter der zweiten Gruppe hingegen gehen von einer dem Kommentar innewohnenden „exegetischen Aufgabe“ aus, das heißt, dass er
über das enzyklopädische Detailwissen hinaus in sematische und poetische Tiefendimensionen einführen muß. Dem Leser soll das Verständnis des Werks auch im Hinblick auf wichtige Deutungsaspekte und ästhetische Strukturen ermöglicht bzw. erleichtert werden.26
Umso notwendiger erscheint dies, wie Windfuhr weiter ausführt, wenn wir es – wie bei Heine-Texten – mit einem Abstand von 150 Jahren zu tun haben, in denen sich Begriffe und ästhetische Systeme erheblich gewandelt haben.
„[N]eben Einzelerläuterungen“ verlangt Frühwald von einem „Vollkommentar“ „Gesamt- und Abschnittserläuterungen [...], die auch zusammenhängende Aspekte darzustellen erlauben“ und „Quellen sind nicht nur bei einzelnen nachweisbaren Zitaten, sondern auch bei Paraphrasen, Anspielungen, sogar bei Gegenentwürfen heranzuziehen.“27 Die Grenzen des Kommentars in Hinsicht auf den „Vollkommentar“ hat Bodo Plachta auszuloten versucht:
Grenzen der Darstellung sind [...] immer dann erreicht, wenn die Materialfülle eine eigenständige literaturwissenschaftliche Untersuchung notwendig macht, die eine Edition kaum leisten kann. Die Beschränkung auf das im editorischen Kontext Notwendige sollte als Richtlinie gelten. Auch ein vollständiger Abdruck sämtlicher recherchierten Materialien kann nicht Aufgabe einer Edition sein. Verschiedene Editionen haben sich deshalb entschlossen, separate Dokumentationen zur Entstehung und Rezeption vorzulegen, auf die dann in der Ausgabe sinnvollerweise verwiesen werden kann.28
2.5 Kommentar und Ausgabetyp
Die dringlichste Frage, die es in Bezug auf den Ausgabetyp zu stellen gilt, ist, wie man einen Kommentar gestaltet, damit er so lange als möglich aktuell bleibt. Nach Hans Zeller „wachsen die Überlebenschancen einer Ausgabe mit der Enthaltsamkeit des Editors“ im Bereich der Kommentierung.
Je einläßlicher er kommentiert, desto schneller wird die Ausgabe revisionsbedürftig schon darum, weil er den Forschungsstand aufzuarbeiten hat. [...] Und nicht nur die Antworten, auch die Fragen ändern sich, denn das Kommentieren setzt in weit höherem Maß als der Text und Apparat sich wandelnde Fragestellungen voraus und ist darum in höherem Grad Interpretation. Je durchdringender und umfassender ein Kommentar ist, umso weiter entfernt er sich von einem bloßen Sach- und Sprachkommentar und nähert sich der Monographie. Es liegt darum nahe, solche Kommentare separat zu publizieren.29
Zeller schlägt deshalb vor, jene Teile einer Ausgabe, die eine jeweils unterschiedliche „Alterungsbeständigkeit“ aufweisen, als eigenständige Teile herauszugeben30:
Teil A: Edierter Text
Teil B: Apparat (Überlieferung, variante Fassungen, Editionsprinzipien)
Teil C: Kommentar (Entstehungsgeschichte, Quellen, Sacherläuterungen,
Erläuterungen, Register, evtl. Bibliographie der Primärliteratur)
Teil D: Kommentar (z.B.: das Werk im zeitgenöss. Kontext, Gattungsfragen, Intertextualität, der Vers, Rezeption, usw., evtl. Bibliographie der Sekundärlit.)
Je nach Editionstyp müsste eine andere Zusammensetzung gewählt werden:
1. Historisch-kritische Ausgabe: A + B; evtl. separat: C, evtl. mit D.
2. Studienausgabe: A, Auswahl aus B; C; D ad libitum.
3. evtl. Leseausgabe: A, Auszug aus C, evtl. aus D.
Ausgaben nach dem Baukastenprinzip bieten entschiedene Vorteile. Der edierte Text könnte für mehrere Editionstypen in verschiedenen technischen Ausführungen und darum in relativ hoher Zahl und billig hergestellt (und erworben) werden, auch als Taschenbuch. Der Kommentar würde separat herge-stellt, evtl. durch andere Bearbeiter als die Teile A (Text) und B (Apparat), evtl. in einem andern Verlag. Die Arbeitsteilung verkürzt die Laufzeit der Ausgabe. Ist der Kommentar überholt, so ist er rascher und billiger zu ersetzen, durch den Verlag und durch den Käufer.31
2.6 Die Sprache des Kommentars
Manfred Windfuhr hat mit seinen „eisernen Regeln“ zur „Kommentarsprache“ die wichtigsten Kernbereiche knapp zusammengefasst:
Verbot von Digressionen […] und strikte Unterordnung des Kommentars unter den zu kommentierenden Text. Ich füge hinzu: auch der Vollkommentar soll sich im Grundsatz keiner anderen Sprache bedienen als bei wissenschaftlichen Arbeiten generell zu fordern ist: nämlich Klarheit, rascher Zugriff auf die Hauptsache, Beachtung der inneren Proportionen, logische Transparenz und Nachvollziehbarkeit, sprechende Belege usw. Tunlichst zu vermeiden ist Stoffhuberei, Anhäufung von Zettelkastenwissen, Anpassung an den Stil des zu kommentierenden Textes, unbelegte Interpretationen. Die Kommentare sollten lesbar und interessant geschrieben sein, bei Gesamt- und Abschnittslerläuterungen habe ich nichts gegen gewisse narrative Züge, die den oft spröden Stoff zugleich sachlich und eingängig vermitteln.32
2.7 Kommentar und Interpretation
Für Manfred Fuhrmann geht die „Erläuterungsbedürftigkeit“ literarischer Texte mit den Begriffen „primäre“ und „sekundäre Dunkelheit“ einher:
Im einen Falle hat der Autor schon dem ursprünglichen Publikum […] Schwierigkeiten in den Weg gelegt. Im anderen Fall hingegen war sein Werk zwar immerhin zu Anfang ohne viel Nachdenken und Suchen verständlich, da es nur Worte und Dinge enthielt, mit denen das zeitgenössische Publikum sofort eine hinlängliche klare Vorstellung zu verbinden vermochte; später indessen, nach Ablauf einer längeren Zeit, stellten sich Schwierigkeiten ein, und zwar deshalb, weil ein Teil der im Text vorkommenden Worte und Dinge aufgehört hatte, zur Lebenswelt der nunmehrigen Leserschaft zu gehören und somit unmittelbar verständlich zu sein.33
Die Grenze zwischen Kommentar und Interpretation hat Gunter Martens mit der Frage, ob der Kommentar eine „Hilfestellung“ oder eine „Bevormundung des Lesers“ sei, zu ziehen versucht. Er bleibt bei den Begriffen, die Manfred Fuhrmann eingeführt hat und sieht die Aufhellung „sekundärer Dunkelheit“ als die „traditionell vornehmste Aufgabe der Kommentierung“, die „der eigentliche Bezugspunkt der erläuternden Kommentierung“ ist. „Verstehensschwierigkeiten also, die aus der Veränderung bzw. Fremdheit des Sprach- und Bildungsumfeldes eines Autors resultieren.“34
Das dringlichere Problem einer Kommentierung ergibt sich […] jedoch im Bereich der ‚primären‘ Dunkelheit. Hier handelt es sich […] um eine konstitutive Eigenart literarischer Texte überhaupt. [Sie ist] als Folge poetischen Sprechens überhaupt aufzufassen.
So entstehe die „primäre Dunkelheit“ dadurch, dass die poetische Rede bewußt die mitteilungssprachliche Benennung meidet, von ihr abweicht, und gerade aus dieser Abweichung das Potential entwickelt, über die Möglichkeiten der Alltagssprache hinauszugreifen. […] Der Herausgeber, der mit dem Kommentargestus „das ist“, „das bedeutet“, „das heißt“ vorschreibt, wie die dunkle oder auch mehrdeutige Textstelle zu verstehen ist, konterkariert diese spezifische Eigenart poetischer Rede, muß doch der Leser bei Mehrdeutigkeiten und Unbestimmtheiten des Textes selbst seine Entscheidungen treffen, eigene Strategien des Verstehens entwickeln.35
2.8 Qualitätskriterien für einen Kommentar
Marita Mathijsen hat „sieben Todsünden“ des Kommentars zusammengetragen, die immer mit einem Mittelweg zwischen dem „Zuviel“ und dem „Zuwenig“ des Kommentars in Verbindung zu bringen sind.
Sparsamkeit ist eine der Haupttugenden des Kommentars. Alles, was im Kontext der Ausgabe nicht unmittelbar zum Thema gehört, ist entbehrlich. Und die Frage, was es genau heißt, was nicht zum Thema gehört, hängt eigentlich mit den vom Text selbst gestellten impliziten Fragen zusammen. Der einem heutigen Leser vorgelegte historische Text ruft implizit Fragen hervor, die der Kommentator explizit beantwortet. Der Text wird dabei seiner Entstehungszeit und damit seiner Historizität entsprechend erläutert. Wichtig ist, daß dem heutigen Leser, sofern überhaupt möglich, jene Informationsebene vermittelt wird, auf der sich der damalige Leser befand (dies jedoch nur, wenn der Text daran anknüpft). Die Aufmerksamkeit muß sich also auf die Bedeutung der zu erläuternden Phänomene sowohl für den Autor als auch für den Leser aus einer bestimmten Epoche richten.36
Die „sieben Todsünden“ des Kommentars nach Mathijsen sind deshalb:37
1. Vollständigkeit
„Aus Angst, nicht vollständig zu sein, legt der Kommentar nicht selten eine Anhäufung von Fakten vor, die nur der Vollständigkeit halber relevant sind“ (z.B. „komplette Dokumentation“ der „Wirkungsgeschichte“).
2. Worterklärungen aus Wörterbüchern
„Worterklärungen, die von einem Leser mühelos in einem Wörterbuch nachgeschlagen werden können und zudem den Text nicht immer verdeutlichen“, sind unnötig.
3. Erweiterungen
„Jeder Kommentator entdeckt auf seiner Suche nach Material hin und wieder [...] bislang unbekannte Fakten, die für das Verständnis des Textes zwar nicht direkt notwendig, wohl aber interessant sind. Der Kommentator wird sich in solchen Fällen vielleicht besser zurückhalten, denn: was nicht zum Thema gehört, gehört nicht in die Ausgabe.“
4. Unhistorische Vorgehensweise
„Begriffe, Lebensstil, Optionen, Verhaltensweisen, Institutionen etc. müssen im Kontext ihrer Zeit erläutert werden. Fehlendes Verständnis für den historischen Kontext des edierten Textes führt dazu, daß dieser mißverständlich gelesen wird.“
5. Hydra-Vorgehen
„Die Lösung eines ‚Rätsels‘ kann derartig viele neue ‚Rätsel‘ aufgeben, daß zu deren Erläuterung wieder neue Erläuterungen erforderlich werden. Die Hydra ist zwar enthauptet, doch es wachsen ihr immer neue Köpfe.“
6. Hinweislabyrinth
„Verschiedene Kommentatoren komprimieren ihre Erläuterungen derart, daß der Leser
fortwährend zwischen Erklärungen, Abkürzungsverzeichnissen, Texten in anderen Bänden der Ausgabe hin- und herblättern muß.“
7. Dürrer Stil
„Kommentar- und Erläuterungstexte ähneln oft einer Ansammlung von Aufzählungen, bibliographischen Hinweisen und Belegnachweisen in einer Weise, als vergäße der Verfasser oftmals, daß der Kommentar eigentlich ein Dialog zwischen ihm und dem Leser sein sollte, und im Idealfall Anreize bieten könnte, um Verständnisschwierigkeiten zu überwinden.“
Die hier dargelegten Positionen und Reflexionen zu einer Theorie des Kommentars haben zwar bereits die Strukturierung der folgenden Analysen von Kommentaren zu Gedichten von Goethe und Heine bestimmt, sie werden aber vor allem bei der kritischen Bewertung der Ergebnisse dieser Analysen zum Tragen kommen.
3 Goethe: Prometheus
3.1 Hamburger Ausgabe
3.1.1 Form und Inhalt des Kommentars
Die Hamburger Ausgabe der Werke Goethes gestaltet den Kommentar38 als Überblickskommentar, der im Fall des Prometheus39 76 Zeilen umfasst, aufgeteilt auf zwei A5-Seiten. An den Anfang stellt der Kommentator die Informationen über Textgrundlage, Entstehung und Erstdruck. Demnach folgt der Text „Goethes Handschrift für Frau von Stein“ von 1777; die Entstehung wird auf Herbst 1773 datiert. Über den Erstdruck erfährt man, er „erfolgte ohne Goethes Wissen – und es war ihm sehr unlieb – in: Fr. Jacobi, Über die Lehren des Spinoza, 1785; danach nahm Goethe das Gedicht 1789 in seine Schriften auf.“ (HA, 1, 483) Die Änderungen für die Aufnahme in die Schriften sind unmittelbar angeschlossen:
3 dem Knaben gleich 8/9 zu einem Verse zusammengezogen, ebenso 10/11. 23 Nicht wußte wo aus noch ein; 24 Kehrt’ ich mein verirrtes Auge 33 Hast du nicht 47-48 hatte die Handschrift zunächst Wähntest etwa Ich sollt das; so auch eine Einzelhandschrift aus Mercks Nachlaß und der erste Druck. Dann verbessert zu Wähntest du etwa, Ich sollte das; so dann auch die Handschrift für den Druck 1789 und alle Drucke von da an. 50/51 Weil nicht alle Blütenträume reiften? 55/56 Zu leiden, zu weinen, Zu genießen und zu freuen sich. (S. 483 f.)
Das Gedicht wird dem Mahometsgesang gegenübergestellt, der ebenfalls im Rahmen eines Dramas entstanden sei. Das Prometheus-Drama wollte „den ins Mythische gesteigerten Schöpfer darstellen […] in der Gestalt des Prometheus.“ (S. 484) Man erfährt, dass ein großes Bruchstück des Dramas erhalten ist – „ein gewaltiger Wurf nach höchstem Ziel.“ Das Gedicht soll parallel dazu entstanden sein, als ein in sich geschlossenes Werk. Es wird als „Rollenlyrik“ bezeichnet, in der nicht der Dichter („wie im Ganymed“), sondern Prometheus spricht; „ein Titanensohn und Halbgott, der Menschen aus Ton bildete und sie beseelte oder – anderer Überlieferung zufolge – von Athene beseelen ließ.“ Auch die Folgen davon, dass er das Feuer vom Olymp holte und es den Menschen brachte, sind nachzulesen: Prometheus wurde „auf Zeus’ Befehl an den Kaukasus geschmiedet. Später mit Zeus’ Willen von Herakles befreit, kam er in den Olymp als Berater der Götter.“ (S. 484) Was den BenutzerInnen dabei selbst herauszufinden bleibt, sind die Quellen des Mythos. Es dürfte sich in dieser Wiedergabe des Mythos um eine Mischung aus Überlieferungen von Ovid, Hesiod und Aischylos handeln. Die Literaturhinweise geben Aufschluss darüber, dass verschiedene Werke über Mythen verwendet wurden; ein Lexikon wird nicht genannt.
Aus der aus dem Gedicht zu schließenden Beziehung des Prometheus zu Zeus und den Titanen – nämlich der des größten Gegensatzes – leitet der Kommentar eine Deutung des Textes ab: demnach steht Prometheus „völlig für sich“ und seine Kraft, Menschen zu schaffen, wird dadurch offenbar. Gehorsam ist er nur „höchsten uralten Göttern, […] dem ewigen Schicksal (Moira) und der allmächtigen Zeit (Chronos).“ (S. 484) Hier wird Prometheus erneut mit dem Mahometsgesang in Verbindung gebracht: Der Kommentar attestiert beiden Texten „Monumentalität; nur eine einzige Gestalt, kraftgeschwellt, zorndrohend ausblickend, das erste Wort: ein Imperativ an Zeus! Das letzte Wort: ich! “ Dazu liefert er ein Zitat aus Dichtung und Wahrheit: „Das alte Titanengewand schnitt ich mir nach meinem Wuchse zu.“ (S. 484) Die Sprache wird als „sehnsuchtsvoll-gefühlsgeschwellt“ bezeichnet, „zwischen den Grundklängen von Kraft, Selbstgefühl und Trotz.“ Daraus ergebe sich „ein Unterschied zu antiken Prometheusdichtungen, nicht geringer als der von Michelangelo zu antiken Statuen.“ (S. 484) In der Erstausgabe findet sich dazu ergänzend: „Auch die Prometheusgestalt steht bei Goethe im Zusammenhang seiner religiösen Emanationsvorstellungen.“
„Die Skizze der religiösen Jugendanschauungen im Ende des 8. Buches von Dichtung und Wahrheit “ (S. 484) werden zur Folie des nächsten Themas, das angesprochen wird: Die „Verselbstung“ und die „Entselbstigung“, die der Kommentar im Drama Prometheus vereint sieht, wogegen in Goethes Prometheus nur die „Verselbstung“ dargestellt werde. Als Ergänzung dazu wird die „Entselbstigung“ im Ganymed angesehen, die aber die Zeitgenossen Goethes nicht als solche erkannt und darum nur die Verselbstung des Prometheus und damit dessen Ablehnung des Göttervaters Zeus wahrgenommen haben. (S. 485) In der Erstausgabe der Hamburger Ausgabe steht an dieser Stelle zusätzlich: „In dem großen Stufenreich zwischen Weltseele und Materie gibt es viele Mittler, und gerade die schöpferischen und großen Gestalten sind oft selbstherrlich oder abtrünnig wie Luzifer. Menschsein ist Begrenzt-Sein, Gott-fern-Sein, Ich-Sein, aber zugleich Hoffnung und Fähigkeit von Entgrenzung, Sich-Aufgeben. Gott-Zufliegen […].
Den Schluss des Kommentars bildet eine kurze Erläuterung darüber, wie es zu dem von Jacobi ausgelösten Spinozismus-Streit kam und wie die Beliebtheit der Prometheus-Gestalt mit der Entstehung des Geniegedankens einherging. (S. 485) Die Erstausgabe deutet hier abschließend „die Worte heilig glühend Herz “: sie zeigen den religiösen Mittelpunkt des Prometheus; darum muß er eine äußerliche Gehorsamsbeziehung zu Göttern, die nicht einmal höchste Götter sind, ablehnen, zumal als Halbgott. Auch für den Dichter der Weltfrömmigkeit ist sein heilig glühend Herz Lebensmittelpunkt, nicht orthodoxes Bekenntnis, sondern der innewohnende Gott. Weitere Parallelen aber würden dem dichterischen Bilde Gewalt antun. Die Worte heilig glühend Herz könnten auch in Ganymed stehen. Dies ist das Verbindende. Ganymed steht in Goethes Anordnung nach Prometheus, davor steht das Gedicht Der Adler und die Taube […] das den einsamen Höhenmenschen in seiner innerlichen Tragik von dem geselligen Idyllenmenschen abhebt.
3.1.2 Tabellarischer Überblick
Tabelle 1: Prometheus – Überblick Hamburger Ausgabe
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
3.2 Münchner Ausgabe
3.2.1 Form und Inhalt des Kommentars
Der Kommentar40 zum Prometheus 41 in der Münchner Ausgabe der Werke Goethes folgt in der Struktur der Form eines Überblickskommentars, der zirka dreieinhalb Seiten einnimmt. Am Anfang steht die Information, dass Goethes Handschrift aus „Mercks Nachlaß in die Universitätsbibliothek Leipzig“ kam. (MA, 1.1, 868) „Ein flüchtig geschriebener älterer Entwurf auf der Rückseite einer Zeichnung G.s“ wird erwähnt, von dem nur die Verse 27-40 überliefert sind. Als Entstehungszeit wird, da angenommen wird, das Gedicht sei nach dem „Prometheus-Fragment“ entstanden, „nach dem Oktober 1773 oder erst 1774“ vermutet. Der Erstdruck erfolgte nach den Angaben in diesem Kommentar in: „Friedrich Heinrich Jacobi, ‚Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelsohn‘, Breslau 1785.“ Der Folgedruck wird ebenfalls mitgeteilt: „Dann in Schriften Bd. 8, 1790.“ (S. 868) Die Information über die Textgrundlage ist in der Einführung zum Kommentarteil des Bandes zu finden. Die Texte der Bände 1.1 und 1.2 folgen demnach der Ausgabe „ Der junge Goethe. Neu bearbeitete Ausgabe in fünf Bänden. Hrsg. von Hanna Fischer-Lamberg, Berlin – New York 1963-1973.“ (S. 775)
Der griechischen Mythologie nach, die hier wiedergegeben wird, wird Prometheus als „Sohn des Titanen Japetus und der Tochter des Ozeans, Klymene“ geboren: „Mit Listen und Schlauheit kämpft er gegen den Göttervater Zeus.“ (S. 868) Er bringt das den Menschen weggenommene Feuer auf die Erde zurück und wird dafür an den Kaukasus geschmiedet, wo ihm von einem Adler „die Leber zerhackt“ wird, die „nachts wieder nachwächst.“ Herakles tötet den Adler und befreit damit Prometheus von seinen Qualen. Weiters wird die Überlieferung nach den Metamorphosen von Ovid angeführt, wonach er „die Menschen aus Erde und Wasser geschaffen“ hat und wonach ihnen Minerva „die Seele eingehaucht“ hat. Für eine Darstellung dieses Vorgangs, bei dem Prometheus mit Ton und Meißel hantiert, wird Benjamin Hederichs Gründliches Mythologisches Lexikon herangezogen, das Goethe gekannt haben soll. (S. 868 f.) Zuletzt wird in diesem Zusammenhang erwähnt, dass Prometheus die „Erfindung der Arzneikunst, der Weissagung und Traumdeutung, des Bergbaus und der Metallbearbeitung zugeschrieben“ werden. „Lukians Dialog“, „Der überführte Jupiter“, wird als Quelle angegeben, aus der Goethe vermutlich die „Kritik am Machtanspruch des Göttervaters“ übernommen habe. Der Dialog wird vorgestellt, doch für Lukian selbst wird vorausgesetzt, dass die BenutzerInnen über ihn Bescheid wissen. – Die Recherche ergibt, dass Lukian von Samosata gemeint ist, ein griechischsprachiger Satiriker der Antike. In dem genannten, teilweise wiedergegebenen Dialog gibt Jupiter auf die Fragen eines Zynikers (Cyniskus) hin zu, dass auch er nichts gegen die Gesetze, die von den Parzen (Schicksalsgöttinnen der römischen Mythologie) aufgestellt werden, tun kann, dass also sogar die Götter selbst diesen unterliegen. Der Zyniker fragt weiter, warum er den Göttern dann gefällig sein sollte, „da wir durch unsere Gebete weder die Abwendung irgendeines Übels bewirken noch irgend Gutes aus euren Händen erlangen können.“ (S. 869)
Goethes Umformungen des Mythos ist der nächste Teil des Kommentars gewidmet. So wird die „Verwandlung des Titanensohns in einen Sohn von Zeus“ als wichtig erachtet, konnte doch so die Struktur des Gedichts, radikale Abgrenzung und Entgegensetzung, in aller Klarheit ausgearbeitet werden. In freien Rhythmen, in freiem Umgang mit der Wortstellung, mit kühnen Wortzusammensetzungen redet die mythische Figur dieses Rollengedichts Zeus an. In übersichtlicher strophischer Gliederung setzt es mit der aktuellen Situation (1-3) ein, wendet sich zum Vergangenen (4-6) und kehrt (7-8) schließlich zum Präsens zurück. (S. 869)
Das „Selbstbild des Rollenichs“ wird vom Kommentar folgendermaßen gesehen: als Schöpfer von Menschen nach seinem Bilde, als selbstbewußte künstlerische Subjektivität, als Bruder des ‚Künstlers‘ und des ‚Wanderers‘. Nur ‚Zeit‘ und ‚Schicksal‘, welchen auch Zeus unterworfen ist, erkennt Prometheus an.
Die vielfältigen Deutungen, die das Werk erfahren hat, werden vom Kommentar nur kurz zusammengefasst: in dem Gedicht könne Prometheus als „der bildende Künstler“, der „Rebell gegen herrschende Autoritäten“ oder der „Repräsentant verwerflicher Hybris gelesen werden.“ Daneben kann in Zeus „die Vater-Imago, der despotisch regierende Gott-Vater oder aber der weltliche Despot erkannt werden“. (S. 869 f.) „Der psychoanalytische Blick auf das Gedicht“ ergebe das „ödipale Vaterbild“ und Goethes „Kindheitsstrophen bezeugen Hilflosigkeit, Verlassenheit und Einsamkeit, die Selbst-Besinnung des Heranwachsenden, den Wechsel von Ohnmachts- und Allmachtsgefühlen.“ (S. 870) Die Ausführungen Goethes in Dichtung und Wahrheit (15. Buch, Bd. 16, S. 680 f.) über seine Einsamkeit und die Dichtung in der Isolation, die diese Schlüsse begründen, werden an dieser Stelle wiedergegeben. Auf die „Umstände der Erstveröffentlichung“, die „das Gedicht in die am Ende des 18. Jahrhunderts noch immer brisante Spinoza- und Pantheismus-Diskussion hineingezogen“ haben, geht der nächste Abschnitt des Kommentars ein: In dem „Spinoza-Band“ von Jacobi, in dem das Gedicht Goethes abgedruckt wurde, war auch die Erklärung Jacobis enthalten, „Lessing habe der Tendenz des Gedichts zugestimmt und sich dabei mit Spinoza ziemlich einverstanden erklärt.“ Darauf seien die „Vorsichtsmaßnahmen“ zurückzuführen, die Jacobi „bei der Veröffentlichung des Gedichts“ traf. Er habe folgende „Nachricht“ einschalten lassen:
Das Gedicht Prometheus wird zwischen S. 48 und 49 eingeheftet. Es ist besonders gedruckt worden, damit jedweder, der es in seinem Exemplar lieber nicht hätte, es nicht darin zu haben braucht. […] Es ist nicht ganz unmöglich, daß an diesem oder jenem Ort meine Schrift, des Prometheus wegen, konfisziert werde. Ich hoffe, man wird nun an solchen Orten sich begnügen, das strafbare besondere Blatt allein aus dem Weg zu räumen. (S. 870 f.)
Außerdem habe Jacobi für den Fall, dass das Gedicht herausgelöst würde, für diese Stelle ein Blatt mit der Nachricht beigelegt, das Gedicht könne „aus guten Gründen hier nicht mitgeteilt werden.“ (S. 871) Goethes Reaktion auf das Erscheinen des Buches und vor allem darauf, dass eines seiner Gedichte unter seinem Namen direkt neben dem anonym gedruckten Prometheus abgedruckt wurde, kommt in einem Brief Goethes zum Ausdruck, in dem er schreibt:
Ob Du aber wohlgetan hast, mein Gedicht (Das Göttliche) mit meinem Namen voraufzusetzen, damit man ja bei dem noch ärgerlichern ‚Prometheus‘ mit Fingern auf mich deute, das mache mit dem Geiste aus der Dich es geheißen hat. Herder findet lustig, daß ich bei dieser Gelegenheit mit Lessing auf einen Scheiterhaufen zu sitzen komme. (S. 871)
Zuletzt werden in diesem Abschnitt Goethes Ausführungen in Dichtung und Wahrheit (15. Buch, Bd. 16, S. 681) wiedergegeben, in denen er das Gedicht als „Zündkraut einer Explosion, welche die geheimsten Verhältnisse würdiger Männer aufdeckte“, bezeichnete. (S. 871)
Der anschließende Zeilenkommentar behandelt sechs Einzelstellen, die im „Tabellarischen Überblick“ zu finden sind.
Im Band 3.2 der Ausgabe ist unter „Vorbereitung der Vermischten Gedichte“Prometheus 42 ein weiteres Mal abgedruckt, der Kommentar43 dazu ist 18 Zeilen lang. Als Textgrundlage wird H4 angegeben. Die Entstehung des Gedichts wird im Herbst 1774 vermutet, im Zusammenhang des geplanten und als Fragment erhaltenen Prometheus-Dramas. (MA, 3.2, 442) Der Erstdruck in Friedrich Heinrich Jacobis Buch Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn (Breslau 1785) wird angegeben. Dazu ein Hinweis, dass Prometheus zwischen den Seiten 48 und 49 auf einem eingehefteten Doppelblatt zum Heraustrennen zu finden war, damit der Leser „das strafbare besondre Blatt“ mit Goethes Ode „aus dem Weg räumen“ konnte. (S. 442) Dabei wird auf das Faksimile in Goethe. Sein Leben in Bildern und Texten verwiesen, sowie auf Goethes rückblickende Interpretation „der Ode als ‚Zündkraut einer Explosion‘ im Umfeld des […] Spinozismusstreits“. Zum Schluss werden die wichtigsten Veränderungen Goethes für die Veröffentlichung in den Vermischten Gedichten genannt:
(vgl. bes. Vers 3 „dem Knaben“ statt „Knaben“; 8: aus zwei Versen zusammengezogen; 32: „Hast du nicht“ statt „Hast du’s nicht“; 50 „Blütenträume“ statt „Knabenmorgen/Blütenträume“; 54 f. „zu weinen/Zu genießen“ statt „weinen/Genie-
ßen“). (S. 442)
Einen Verweis auf den Gedichtabdruck im Band 1.1 bzw. auf den dortigen Kommentar gibt es nicht. Allerdings findet sich im Abschnitt „Zur Münchner Ausgabe“ des Bandes 1.1 eine Erklärung für die chronologische Anordnung der Texte. Die Herausgeber wollten nicht der gängigen Methode folgen, „das Werk nach Gattungen zu ordnen“ (MA, 1.1, 751); „eine möglichst übersichtliche Darstellung der Schaffensepochen ist Ziel der Münchner Ausgabe.“ (MA, 1.1, 752) Insgesamt wird bemerkt, der Kommentar des Bandes baue „auf den Erläuterungen von Goethes Frühwerk in Editionen und Spezialstudien auf“, auf „spekulative Parallelstellungen aus der deutschen und Weltliteratur“ werde verzichtet, die Ausführungen zu den einzelnen Werken „tragen dem gegenwärtigen Forschungsstand Rechnung“ und wollen keine Werkdeutung, sondern nur „mögliche Ansätze einer Interpretation“ liefern.
3.2.2 Tabellarischer Überblick
Tabelle 2: Prometheus – Überblick Münchner Ausgabe
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
3.3 Reclams Erläuterungen und Dokumente
3.3.1 Form und Inhalt des Kommentars
Anschließend an das Gedicht Prometheus 44 findet sich in kleinerer Schrift die Information über die Textgrundlage in Form eines Literaturhinweises. Demnach folgt der Text der 1908 veröffentlichten Facsimile-Wiedergabe der ersten Weimarer Gedichtsammlung nach Goethes Handschrift. Auch der Erstdruck in Friedrich Heinrich Jacobis Buch Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn von 1785 wird an dieser Stelle erwähnt. Zusätzlich wird die Reclam-Studienausgabe von Bernd Witte von 2001 genannt, in der das Gedicht ebenfalls in dieser seiner ersten veröffentlichten Form auf den Seiten 69-71 zu finden ist. (Recl. G., 25)
Der Kommentar45 selbst ist in „Entstehung und Erstdruck“, „Zeilenkommentar“, „Metrische und rhythmische Besonderheiten“ und „Forschungsstimmen“ gegliedert und umfasst ca. acht Seiten im Standard-Reclam-Format. Den Anfang bildet unter „Entstehung und Erstdruck“ die Information, dass das Gedicht aus Goethes Arbeit an einem Prometheus-Drama entstand, das er 1773 begonnen und von dem er nur zwei Akte fertig gestellt hat. Zur Absicht Goethes, das Gedicht als Monolog an den Anfang des dritten Aktes zu stellen, wie er rückblickend in Dichtung und Wahrheit schreibt, wird festgehalten, dass die Gestaltung des Gedichts einen direkten Anschluss an die zwei vorliegenden Dramen-Akte nicht erlaube und sich Textwiederholungen ergäben. Somit wird der Text als eigenständig eingestuft. (S. 25)
Mit der ältesten überlieferten Fassung des Gedichts beschäftigt sich der nächste Absatz. Sie liege in Form einer eigenhändigen Handschrift Goethes vor, „die er vermutlich am 7. März 1775 an seinen Freund Johann Heinrich Merck gesandt hat.“ Als Textgrundlage wurde allerdings die Fassung der ersten Weimarer Gedichtsammlung gewählt – aus dem Grund, dass „diese bis heute die geläufigste ist. Gegenüber der älteren Variante finden sich nur wenige Veränderungen am Gedicht.“ (S. 25 f.) Die Sammlung sei allerdings nicht über den Weimarer Zirkel hinaus bekannt gewesen, da sie nie gedruckt wurde; weshalb Prometheus schließlich erst 1785 im Erstdruck in Friedrich Heinrich Jacobis Buch erschienen ist – und dies ohne Goethes Autorisation. Dort sei der Text Auslöser für den sogenannten Spinoza-Streit geworden, da trotz anonymer Veröffentlichung durch die unmittelbare Nachbarschaft erkennbar war, dass er von Goethe stammte. Das Gespräch Jacobis mit Lessing, nachdem dieser den Prometheus gelesen hatte, kann im Kommentar hier direkt nachgelesen werden. Dem Kommentar zufolge hatte Jacobi auch dieses Gespräch in seinem Buch veröffentlicht. Darin zeigt sich, dass das Gedicht Lessing sehr gut gefallen hat und er es weltanschaulich in die Nähe Spinozas gerückt hat. (S. 26) Die Reaktion Goethes wird anhand eines kurzen, zentralen Briefauszuges deutlich gemacht:
„Ob du aber wohl daran getan hast mein Gedicht mit meinem Namen vorauf zu setzen, damit man ja bei dem noch ärgerlichern Prometheus mit Fingern auf mich deute, das mache mit dem Geiste aus der dich es geheißen hat.“ (S. 26 f.)
Wie am Schluss dieses ersten Kommentarteils zu erfahren ist, nahm Goethe eine geglättete und entschärfte Version des Gedichts 1789 in seine Schriften auf. Die Änderungen, die er dafür vornahm, werden im angeschlossenen Zeilenkommentar angegeben. „Die an Merck gesandte Variante wird dort mit ‚Merck 1775‘ und die der Schriften mit ‚Schr. 1789‘ bezeichnet.“ (S. 27) Zunächst wird aber ausführlich auf die Figur des Prometheus sowie auf die Mythologie eingegangen, wobei den BenutzerInnen auch eine Deutung der Konstellation zwischen Zeus und Prometheus angeboten wird, wenn es etwa heißt:
Die monologische Fassung des Rollegedichts macht dieses als Auflehnung (des Sohnes) gegen jegliche Autorität, sei sie familiär (Vater), religiös (Gott) oder politisch (Herrscher), lesbar. (S. 26)
Weitere 20 Einzelstellen werden sowohl inhaltlich als auch formal und stilistisch erläutert. (S. 27-32) Sie werden im „Tabellarischen Überblick“ näher ausgeführt. Ein von Goethe gemaltes Bild, Jüngling mit Adler, aus den Jahren 1805-1808 ziert eine Seite am Schluss des Zeilenkommentars. Die Erklärung, es handle sich bei Prometheus um eine freirhythmische Ode, dem Vorbild von Klopstocks Dichtung folgend, leitet den Abschnitt „Metrische und rhythmische Besonderheiten“ ein. (S. 32) Man erfährt von der Eigenart dieser Dichtung, hohe Töne, freie Rhythmen, den Gestus der Erhabenheit und eine oft aus der Natur entlehnte Bildlichkeit in sich zu vereinen.
Gegenüber dem von Klopstock gestalteten christlichen Weltverständnis habe Goethe einen neuen, erhabenen Ton in der Rezeption des griechischen Sängers Pindar durch[gesetzt], der schon seit der Renaissance als freier und begeisterter Dichter jenseits eines festen Regelkanons galt, der sich anscheinend nur von seinem Enthusiasmus leiten ließ. (S. 32)
Ein Verweis auf eine Passage in Goethes Gedicht Wanderers Sturmlied, in der Pindar als „Genius“ bezeichnet wird, soll die Bewunderung Goethes für diesen Dichter unterstreichen. Doch auch an dessen Prinzipien habe sich der Autor des Prometheus nicht gehalten, wie er auch die antiken Odenmaße unbeachtet gelassen habe. (S. 32) Als viel wichtiger wird die Rhythmik des Gedichts erachtet, weil sie das „inhaltlich Ausgesagte sinnlich fassbar“ mache.
So folgen z.B. in V. 6 nicht nur drei Hebungen aufeinander, sondern auch drei Begriffe, die als Alliteration mit dem gleichen Buchstaben beginnen („Mußt mir meine“). (S. 33)
Diesem Darstellungsmuster folgend werden noch einige weitere Passagen des Gedichts erläutert. (S. 33) Hier unterscheidet sich der Kommentar auch am meisten von den zuvor untersuchten – der Abschnitt lässt am besten die Bemühungen erkennen, Studierenden und interessierten Laien die Zugänge zur poetischen Gestaltung der Dichtung zu erleichtern.
[...]
1 URL: http://www.uibk.ac.at/literaturvermittlung/
2 Vgl. Fuhrmann (1985), S. 53 f.
3 Schmidt (1975), S. 75.
4 Ebd. S. 76.
5 Wiesmüller (2006), S. 1-15. Zit. nach: URL: http://www.uibk.ac.at/literaturvermittlung/wiesmueller.pdf
(Zuletzt eingesehen am 25.03.2010).
6 Frühwald, (1975), S. 15 u. 17.
7 Woesler (1993), S. 20.
8 Hunfeld (2008), S. 171 f.
9 Woesler (1993), S. 25-33.
10 Frühwald (1975), S. 23-30.
11 Ebd., S. 23-25.
12 Ebd., S. 25-27.
13 Ebd., S. 27.
14 Wiesmüller (2006), S. 4.
15 Frühwald (1975), S. 27-29.
16 Wiesmüller (2006), S. 6.
17 Ebd., S. 30.
18 Wiesmüller (2006), S. 6.
19 Frühwald (1975), S. 30.
20 Mertens (1993), S. 40.
21 Ebd., S. 44.
22 Kraft( 2001), S. 197.
23 Ebd.
24 Windfuhr (1991), S. 173.
25 Ebd.
26 Ebd.
27 Ebd., S. 174.
28 Plachta (1997) , S. 118.
29 Zeller (1985), S. 320.
30 Vgl. Ebd., S. 321.
31 Ebd., S. 322.
32 Windfuhr (1991), S. 175 f.
33 Fuhrmann (1985), S. 43.
34 Martens (1993), S. 44.
35 Ebd., S. 40-43.
36 Mathijsen (2000), S. 256.
37 Ebd., S. 257-259.
38 HA Bd.1, S. 483-485.
39 Ebd., S. 44-46.
40 MA, Bd. 1.1, S. 229-231.
41 Ebd., S. 868-871.
42 Ebd., S. 442.
43 MA, Bd. 3.2, S. 31 f.
44 Recl. G., S. 23-25.
45 Ebd., S. 25-38.