Die Initiationsgeschichte der Figur Mae Holland in "The Circle" im System der sozialen Überwachung


Hausarbeit (Hauptseminar), 2016

25 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

GLIEDERUNG

1. Soziale Medien als freiwillige soziale Überwachungsinstanz

2. Methode

3. Das Modell der sozialen Überwachung in „Der Circle“
3.1 Partizipation via sozialen Medien und Transparenz als zentrale Methoden der Überwachung
3.2 Methoden der Durchsetzung des Weltmodells des Circles

4. Figurenkonstellation im Kontext der Entwicklung von Mae Holland
4.1 Zentrale Figuren und ihre Charakteristika
4.2 Mae Holland als Bindeglied zwischen Überwachung und Privatheit

5. Phasen des Initiationsprozesses der Mae Holland
5.1 Phase der Ablösung vom sozialen Ausgangssystem
5.2 Phase des Übergangs durch Experimentieren
5.3 Phase des Eingangs in eine neu geordnete Sozialwelt

6. „Der Circle“ als Initiationsgeschichte aufbauend auf dem System der sozialen Überwachung

7. Diskussion der Ergebnisse und Ausblick

8. Literaturverzeichnis

1. Soziale Medien als freiwillige soziale Überwachungsinstanz

Freude, Jubel, Glück, Ekel, Entsetzen, Angst. Die ganze Palette der Gefühle findet sich auf Facebook, YouTube und dergleichen. Die Menschen teilen was sie fühlen. Sie wollen andere an ihren subjektiven Empfindungen teilhaben lassen und diese so ebenfalls gefühlsmäßig berühren. Ein traumhafter Strand, ein gutes Essen, der Heimweg nach einer durchgetanzten Disconacht werden dabei ebenso aufgezeichnet und verbreitet wie Videos und Bilder von Kindern, Hunden, Sportereignissen oder gar Unfällen und Katastrophen. Gerade auch Schreckensmomente wie der Amoklauf Ende Juli 2016 in München zeigen mit welcher Vehemenz Bilder aus dem Netz den Medienkonsum prägen. Innerhalb von Minuten fanden sich zahlreiche Videos aus München im Internet. Oft unüberlegt via Facebook, auf Blogs oder dergleichen verbreitet. Mit den Smartphones ist eine Kamera jederzeit schnell zur Hand. Jeder kann jeden aufnehmen, oder selbst aufgenommen werden. Diese Aufnahmen entstehen aber nicht nur in solch außergewöhnlichen Momenten wie dem Amoklauf. Auch Alltagssituationen kommen so auf die große Bühne. Können potenziell weltweit auf die Screens und Bildschirme geholt werden. Und all das geschieht freiwillig. Denn die Menschen wollen immer mehr teilen und auch an anderen teilhaben. In den Hintergrund rückt dabei oft das Bewusstsein, dass durch das Teilen in sozialen Medien mehr als der bloße Satz, das bloße Bild ankommt. Der Aufenthaltsort, die Vorlieben, das familiäre Umfeld, Konsumgewohnheiten, Kleidungsstil, Hobbies, Alltagsablauf - all das steht zwischen den Zeilen der einzelnen Post, die letztendlich ein Gesamtbild der Person zeigen. Natürlich ein verzerrtes Bild, denn die Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit unterliegt klar der sozialen Erwünschtheit - es wird nur preisgegeben was positive Resonanz erwarten lässt - und doch ein Bild, das viele Schlüsse zulässt. Wie oben schon angedeutet ist jeder Akteur in der heutigen mediatisierten Welt und besonders in den sozialen Medien gleichzeitig Überwacher und Überwachter. Obwohl es klar als Form der Überwachung zu sehen ist, wird diese gegenseitige soziale Kontrolle oft nicht als solche wahrgenommen. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit ebendiesem Phänomen der sozialen Überwachung im Roman „Der Circle“. Diese findet hier ebenfalls durch soziale Medien schleichend und unbewusst statt. In „Der Circle“ wird die Überwachungsform an der zentralen Figur Mae Holland und ihrer Entwicklung während des Romans aufgezogen. „Der Circle“ ist dabei eine Initiationsgeschichte, die deutlich macht wie durch das Experimentieren mit sozialen Medien die Ablösung vom Ausgangssystem der Privatheit bis hin zur Neuordnung der Welt durch soziale Überwachung stattfindet. Im Nachfolgenden soll geklärt werden wie und in welchem figurenbezogenem Kontext sich im Roman „Der Circle“ das System der sozialen Überwachung darstellt. Außerdem wird aufgezeigt wie dieses System auf die Entwicklung der Figur Mae Holland einwirkt, die einen Initiationsprozess durchläuft.

2. Methode

Um dem in der Einleitung formulierten Forschungsgegenstand Rechnung zu tragen, wird zunächst das zentrale Überwachungsmotiv in „Der Circle“ charakterisiert. Dabei wird gleichfalls aufgezeigt wie dieses Motiv als Modell für die Entwicklung der Figur Mae Holland fungiert. Anschließend werden die drei Phasen des Initiationsprozesses von Mae dargestellt. Dazu werden für die Phasen exemplarische Szenen des Romans analysiert.

3. Das Modell der sozialen Überwachung in „Der Circle“

„Geheimnisse sind Lügen“1 - „Teilen ist Heilen (Der Circle, S. 344) - „Privatsphäre ist Diebstahl“ (Der Circle, S. 345), diese drei Leitsätze beschreiben die beiden Pfeiler der sozialen Überwachung in „Der Circle“: Partizipation und Transparenz. Letztere wird dabei durch erstere bedingt. Das heißt Transparenz entsteht durch die permanente Partizipation in sozialen Medien. Wie genau dieses Zusammenspiel der beiden Circle-Werte am Ende zu einer allumfänglichen Kontrolle des Verhaltens und der Lebenswelt einer Person führt, zeigt sich an der Entwicklung von Mae.

Im Nachfolgenden wird das Motiv der sozialen Überwachung in „Der Circle“ in seine Komponenten Transparenz und Partizipation aufgedröselt und die Methoden der Durchsetzung dieser beiden für die Überwachung existenziellen Werte werden aufgezeigt. Dabei wird auch darauf eingegangen inwiefern dieses Modell auf Mae einwirkt.

3.1 Partizipation via soziale Medien und Transparenz als zentrale Methoden der Überwachung

Die Überwachung in „Der Circle“ ist vor allem sozial geprägt. Die Mitglieder des Circle sehen die Beobachtung außerdem als erstrebenswerte Aufmerksamkeit und nicht als Kontrolle. Infolgedessen begeben sich die Protagonisten in „Der Circle“ mit ihrem Online-Verhalten freiwillig in eine Situation, die dem von Jeremy Bentham entwickeltem Konzept des Panoptikums gleicht. Er hat es ursprünglich als Überwachungsanlage konzipiert, die nur wenig Personal benötigt. Ein Überwacher in einem zentral gelegenen, verdunkelten Turm kann die reihum angeordneten, erleuchteten Zellen und ihre Insassen beobachten. Michel Foucault machte das Panoptikum später zum Modell der „Disziplinargesellschaft“, in der jeder jederzeit potenziell überwacht werden kann und deshalb deviantes Verhalten ablegt.2 Beim Circle wird dieses „Disziplinar-Panoptikum“3 gleichzeitig zu einem „Kuriositäten- Panoptikum“ (Leben im elektronischen Panoptikum, S. 213). Während es in ersterem darum geht, dass sich alle aufgrund der Möglichkeit jederzeit beobachtet zu werden, angemessen verhalten, verhalten sich im Kuriositäten-Panoptikum alle so als würden sie tatsächlich ständig beobachtet werden und diese permanente Aufmerksamkeit verdienen. (Vgl. Leben im elektronischen Panoptikum, S. 213). Diese beiden Formen des Panoptikums beschreiben die Überwachungssituation wie Eggers sie in „Der Circle“ darstellt sehr treffend: Die Circler teilen ihren Alltag, da alles was gedacht und getan wird als relevant für die Gemeinschaft gesehen wird und jeder Nutzer alles für teilenswert hält. Dabei ist gleichzeitig jeder der Meinung, dass die eigenen Ansichten und Handlungen die Aufmerksamkeit der Netzgemeinde verdienen. Mit Bildern einer Party, Gedanken zu einer Nachricht, Beiträgen zu aktuellen Diskussionen entwirft jeder Nutzer ein Abbild seiner selbst in der Onlinewelt. Andere Nutzer überprüfen diese Darstellung auf Angemessenheit, wodurch der disziplinare Überwachungsaspekt ins Spiel kommt. Es werden „Smiles“ und „Frowns“ verschickt und Kommentare zu den Profilen und Beiträgen von Anderen geschrieben. So sind die Menschen „[u]nter den Bedingungen elektronischer Visualisierung […] Beobachtete ebenso wie Beobachter, Kontrollierte ebenso wie Kontrolleure, aber eben auch Schausteller ebenso wie Schaulustige“ (Leben im elektronischen Panoptikum, S. 214). Durch die Daten, die dank der permanenten Partizipation via Sozialen Medien fortwährend übermittelt werden, entsteht so nicht nur ein an die Gemeinschaft und den allgemeinen Konsens angepasstes Selbstbild im Netz, sondern auch ein Verhaltensprofil. Komplettiert wird dieses durch ein Bewegungsprofil, da durch „CircleSearch“ die Bewegungen der einzelnen Personen am Campus getrackt werden. Außerdem geben die Nutzer Daten zu Kaufgewohnheiten, Vorlieben und Hobbies preis indem sie Gruppen beitreten, Feeds verfolgen und Rezensionen zu Produkten abgeben. Obwohl sich die Protagonisten in „Der Circle“ - wie oben schon angedeutet durch ihre auf Aufmerksamkeit ausgelegt Partizipation - aktiv in eine permanente Beobachtung begeben, wird diese Überwachung nicht als solche gesehen. Vielmehr entsteht durch sie eine Form des Exhibitionismus. Damit greift Eggers ein Phänomen auf, bei dem „[d]as Objekt der Überwachung […] nicht […] das Opfer repressiver Bespitzelung [ist], sondern […] sich in einer eigenartig wünschenswerten, ja sogar schmeichelhaften Position [befindet].“4 Allerdings zeigt sich in der Beobachtungssituation nur selten das reale Bild einer Person. Vielmehr greift hier die Impression-Management- Theorie, die besagt, dass „Individuen den Eindruck, den sie in sozialen Interaktionen auf eine andere Person haben, kontrollieren“5. Impression-Management und der Hang zum Exhibitionismus wirken letztendlich auch in „Der Circle“ zusammen. Ausgedrückt wird dies durch die totale Transparenz von Mae, wodurch sie sich am Ende des Romans in einem „Zentrorama“ (Leben im elektronischen Panoptikum, S. 213) befindet. Das heißt das Panoptikum-Konzept wird quasi in die entgegengesetzte Richtung verkehrt: Ähnlich einer Peepshow richtet sich die Überwachung auf einen zentralen Punkt. Dabei wird das System hinsichtlich dessen von wo aus beobachtet werden kann erweitert um die Komponente als was der Beobachtete gesehen werden kann (Vgl. Leben im elektronischen Panoptikum, S. 214). Die SeeChange Kamera um Maes Hals ermöglicht es, dass von allen Seiten rund um den Globus auf sie und ihren Alltag geschaut werden kann, während sie als zentrales Objekt der Beobachtung ihrerseits durch Klick- und Viewerzahlen informiert ist, wie viele und welche Menschen ihr Aufmerksamkeit schenken und ihr Verhalten dementsprechend anpassen kann. Die Transparenz, die im Buch als Modell der sozialen Kontrolle entworfen wird und als Synonym für Überwachung gesehen werden kann, ist so beiderseitig gegeben.

All diese Aspekte lassen sich auf die Entwicklung der Figur der Mae Holland beziehen. Sie partizipiert zunächst nur zögerlich in Social Media und hält ihre Tätigkeiten nicht für mitteilungsrelevant. Durch Vorgesetzte wird sie dazu angehalten ihre Partizipation auszudehnen, was sie aufgrund des äußerlichen Drucks schließlich auch tut. Sie verbessert ihren Partizipations-Rang, also den Wert der aussagt wie sehr sie sich auf den Plattformen des Circle beteiligt, bis sie in den Kreis der T2K, „einer Gruppe von Circlern […], die ihre sozialen Aktivitäten fast manisch betr[ei]ben“ (Der Circle, S. 222) aufsteigt. Wichtig ist ihr hierbei das Prestige, also der Eindruck den ihr verbessertes Online-Verhalten bei ihren Mitmenschen hinterlässt. Obwohl sie die Partizipation nun auf höchstem Niveau betreibt, teilt sie lange noch nicht alles Private. Das ändert sich als sie von einer Circle-Kamera dabei gefilmt wird, als sie unautorisiert spätnachts ein Kajak ausleiht. Hier greift nun der disziplinare Überwachungsaspekt: Mae will ihr deviantes Verhalten ablegen und entschließt sich deshalb transparent zu werden. Sie trägt fast rund um die Uhr eine Kamera um den Hals. Anstelle, dass sie die Beobachtungssituation als störend empfindet, fühlt sie sich wichtig und genießt die Aufmerksamkeit ihrer Millionen Follower, die ihren Tag live verfolgen. Eine Begleiterscheinung ist allerdings die Anpassung ihres Verhaltens: „Mae hatte inzwischen Übung darin, zu warten, ehe sie sprach - die Transparenz hatte sie gelehrt, jedes Wort genau abzuwägen“ (Der Circle, S. 462). Es zeigt sich klar, dass Mae den Eindruck, den ihre Viewer von ihr haben kontrolliert und so anders handelt als sie es ohne Überwachung tun würde. Gleichzeitig wird durch Maes Entwicklung deutlich, dass für die allumfängliche soziale Kontrolle des Circle sowohl Partizipation als auch Transparenz notwendig sind, denn obwohl Mae bald bereitwillig viel preisgibt, wird die Überwachung erst durch die totale Transparenz mit der Kamera um den Hals vollendet.

3.2 Methoden der Durchsetzung des Weltmodells des Circles

Wie oben schon aufgeführt ist die Überwachung in „Der Circle“ durch soziale Gesichtspunkte motiviert und die Beobachtung wird als erstrebenswerte Aufmerksamkeit gesehen. Diese beiden Aspekte werden ergänzt durch die Annahme, dass die Kontrolle ein unumgängliches Mittel zur Gestaltung einer besseren Welt ist. Außerdem kommt hinzu, dass die Überwachung teilweise auch offensichtlich ausgeübt wird, aber von den Überwachten als Schutz vor Kriminalität und praktisches Mittel optimierter Prozesse, wie passgenauer Werbung und individueller Musikvorschläge aufgrund der gesammelten Daten, gesehen wird. All diese Komponenten - soziale Interaktion, Aufmerksamkeit, Gestaltung einer besseren Welt, Schutz und Prozessoptimierung - sind Argumente die von Circle-Anhängern für die Durchsetzung des Transparenz-Gedankens angeführt werden. Intensiviert wird die Verbreitung dieser hehren Ziele durch Slogans auf dem Campus wie „Sucht Gemeinschaft“ (Der Circle, S. 7), „Seid innovativ“ (Der Circle, S. 7), aber auch Expliziteres wie „Community First“ (Der Circle, S. 59) und „Wir schaffen das. Wir schaffen alles.“ (Der Circle, S. 51). Eine weitere Methode der Mobilisierung, die darauf beruht die Circler mitzureißen und zu begeistern, sind die Innovations-Präsentationen. Hierbei jubeln die Mitarbeiter neuen Innovationen zu, die das Ziel der Überwachung unter dem Deckmantel der Humanität, vorantreiben. Einer der drei Weisen, Eamonn Bailey stellt beispielsweise die neueste Erfindung, die „SeeChange“-Kameras vor. Minikameras zu erschwinglichen Preisen, die von jedermann erworben und überall angebracht werden können. Dabei prägt er den Slogan „Alles, was passiert, muss bekannt sein“ (Der Circle, S. 82), womit er sowohl Verbrechen gegen die Menschheit, aber auch Privates wie die Befindlichkeit seiner 81-Jährigen Mutter meint. Die Präsentationen stehen unter dem Motto „Dream Friday“ und werden wie eine Show zelebriert. Stets wird dabei betont, dass es das Ziel des Circle ist „mithilfe von Social Media eine sicherere und vernünftigere Welt zu erschaffen“ (Der Circle, S. 505). Die jungen, innovativen Menschen, die die Circle-Tools nutzen, schließen sich diesem Streben begeistert an. Neben dieser, durch unterschwellige Indoktrinierung und die vorgeschobene Orientierung an hehren Zielen, entstehenden Passion für den Circle soll auch die permanente Partizipation der Circle- Mitarbeiter garantiert werden. Die Methode ist hier repressive Mitarbeiterführung.

Diese Führung, die der Durchsetzung des Partizipations-Gedankens des Circles dient, kann wiederum exemplarisch an der Entwicklung der Hauptfigur Mae Holland gezeigt werden. Wie oben schon angedeutet ist sie zunächst zögerlich im Umgang mit Social Media. Sie nutzt die Tools des Circles zwar, aber lange nicht so exzessiv wie es verlangt wird. Wohingegen Mae Soziale Medien anfangs noch als „Außerbetriebliches“ (Der Circle, S. 112) bezeichnet, sehen ihre Vorgesetzten die Onlinepräsenz als wesentlichen Teil ihrer Arbeit. Im Unternehmen wird kommuniziert, dass sozial sein damit verbunden ist auf dem „Profil und allen entsprechenden Konten präsent zu sein“ (Der Circle, S. 114). Um permanente Vernetztheit zu garantieren werden Stück für Stück immer mehr Bildschirme an Maes Arbeitsplatz installiert. Um all ihren Kommunikationsaufgaben innerhalb ihres Teams, aber auch innerhalb des Campus und schließlich der Gesamtheit der Internetgemeinschaft nachkommen zu können, sind es am Ende sechs Bildschirme, die sie parallel zu überwachen hat. Außerdem wird eine Verbindung von Privatem und Beruflichem provoziert: Mae erhält Veranstaltungseinladungen von Kollegen und Aktivitätsangebote von der Firma, die sie möglichst lückenlos wahrnehmen soll. Bei Nichterscheinen muss sie sich rechtfertigen, ebenso wenn sie teilnimmt, aber nicht darüber „zingt“ oder Fotos und Kommentare zum Event teilt. Außerbetriebliche Ausflüge, die sie nicht online dokumentiert, werden ebenfalls als Versäumnis ihrerseits aufgefasst. Um Mae zu mehr Partizipation zu bewegen wird sie zu Mitarbeitergesprächen und Coachings gebeten, in denen sie den richtigen Umgang mit Social Media im Sinne des Circle lernen soll. Die Gespräche laufen stets nach demselben Muster ab: Mae wird zunächst für ihre Arbeitsleistung gelobt und als wichtiges Mitglied des Teams bezeichnet. Anschließend wird sie auf ihre Defizite in kommunikativer Hinsicht hingewiesen, was von nicht besuchten Events, über nicht geteilte Fotos bis hin zu geringer sozialer Interaktion in Form von Online- Partizipation führt. Versucht sie sich zu verteidigen wird sie mit Circle-Begriffen, die unmissverständlich die erstrebenswerten Ziele klar machen, zum Schweigen gebracht. „Ist dir klar, dass Community und Kommunikation dieselbe lateinische Wurzel haben, nämlich communis, was gemeinsam bedeutet, öffentlich, von allen oder vielen geteilt?“ (Der Circle, S. 113), wird sie einmal gefragt und ein weiteres Mal: „Du hast doch schon von LPT gehört? Leidenschaft, Partizipation und Transparenz?“ (Der Circle, S. 213). Da ihre Kollegen stets anführen wie viel Information, Kommunikation und Dokumentation Mae der Gemeinschaft damit entzieht, die für alle wertvoll und essentiell sein kann, kann Mae selten dagegen halten, knickt meist schnell ein und macht sich Selbstvorwürfe: „ Herrgott noch mal, Mae, häng dich mehr rein!, dachte sie. Sei jemand, der der Welt was bringt! “ (Der Circle, S. 219).

Abschließend zeigt sich auch bei genauerer Betrachtung der anfangs dieses Abschnitts aufgeführten Leitsprüche deutlich die Radikalität der darin implizit mitgeteilten Forderungen. „Teilen ist Heilen“ ist auf den ersten Blick positiv konnotiert, da der Ausspruch den sozialen Aspekt der Vernetztheit in den Vordergrund stellt. Partizipation wird als Gemeinschaftsfördernd proklamiert, da so mehrere Menschen von besonderen Erlebnisse, schönen Gefühle und guten Taten profitieren. Doch im Umkehrschluss ist somit auch jeder, der nichts auf Sozialen Medien teilt, antisozial. „Geheimnisse sind Lügen“ folgt derselben Logik: Alles was verborgen bleibt ist potenziell als deviant zu sehen. Hier wird klar Transparenz gefordert, denn alles was der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist, wird mit Lüge gleichgesetzt. Durch „Privatsphäre ist Diebstahl“ wird der Vernetzungswahn auf die Spitze getrieben, da hier Privatheit und Nicht-Partizipieren mit einer Straftat gleichgestellt werden. So spinnt sich in „Der Circle“ ein unausweichliches Netz: Partizipation und Transparenz sind unumgänglich will man nicht als antisozial, als Lügner und als Straftäter gesehen werden. Da diese drei Phrasen ausgerechnet von Mae - der anfänglichen Zweiflerin -geprägt werden, zeigt sich wie die repressive Vernetzungspolitik des Circle auf die naive Nutzerin von Social Media, die leicht beeinflussbar den Interessen der Masse folgt, einwirkt. Im nächsten Kapitel soll genau dieser extreme Wandel von Mae Holland anhand einer Charakteristik ihrer dargestellten Figurenpersönlichkeit nachvollziehbar werden.

4. Figurenkonstellation im Kontext der Entwicklung der Mae Holland

Um die Hauptfigur Mae Holland entwickelt sich im Laufe des Romans ein Raster aus weiteren Protagonisten. Vor allem handelt es sich dabei um Kollegen und Vorgesetzte ihrer Arbeitsstätte, wie beispielsweise ihre Collegefreundin Annie oder ihren zeitweisen Liebhaber Francis, den sie am Campus kennenlernt. Einen zweiten großen Anteil machen Online- Kontakte über soziale Netzwerke aus. Im Einzelnen können diese aber vernachlässigt werden, da sie Mae nur zusammengenommen als Gemeinschaft beeinflussen, der sie angehören, zu der sie etwas beitragen und deren Mitgliedern sie gefallen will. Wesentlich sind dagegen die Beziehungen, die Mae außerhalb des Circles hat. Allerdings beschränken sich diese Kontakte auf ihre Eltern sowie ihren Exfreund Mercer. Mit allen dreien pflegt sie eine stetige aber unregelmäßige Kommunikation, die meist von Konflikten geprägt ist, da sich sowohl Maes Eltern als auch Mercer nicht in der vernetzten und transparenten Welt des Circle zurechtfinden. Die Hauptcharaktere sind in Abbildung 1 aufgezeigt und zueinander in Beziehung gesetzt. Wobei die drei Weisen, also die Gründer des Circle, etwas gesondert zu betrachten sind. Tom Stenton, der „weltgewandte Boss“ (Der Circle, S. 32) und Francis Garaventa, Maes zeitweiser Liebhaber und Kollege beim Circle, bleiben in der nachfolgenden Beschreibung unerwähnt, da sie Mae in ihrer Entwicklung nur bedingt beeinflussen. Wichtig ist noch die Verbindung von Kalden und Ty, einem der Drei Weisen und dem schlauen Kopf hinter der ursprünglichen, innovativen Erfindung mit der alles begann. Beide sind ein und dieselbe Person, was Mae bis zum Ende des Romans verborgen bleibt. Kalden ist Tys verdeckte Identität, mit deren Hilfe er sich unerkannt auf dem Circle-Campus bewegen und die Entwicklungen seines Unternehmens versteckt verfolgen kann.

[...]


1 Der Circle. Dave Eggers. 2013. S. 339

2 Vgl: Ü berwachen und Strafen - Die Geburt des Gefängnisses. Michel Foucault. 1992.

3 Leben im elektronischen Panoptikum. Ronald Hitzler. 2013. S. 213

4 Die Rhetorik der Ü berwachung. Thomas Levin. 2001.

5 Mehr Schein als Sein? Fabian Storch, Julia Nitsche, Pia Keysers, Henning Staar. 2014. S. 166

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Die Initiationsgeschichte der Figur Mae Holland in "The Circle" im System der sozialen Überwachung
Hochschule
Universität Passau
Note
1,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
25
Katalognummer
V378371
ISBN (eBook)
9783668556102
ISBN (Buch)
9783668556119
Dateigröße
1421 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mediensemiotik, Filmanalyse, Überwachung, Der Circle, Zeichenanalyse, Mae Holland, Initiation, Initiationsreise, Initiationsgeschichte
Arbeit zitieren
Anne Dippl (Autor:in), 2016, Die Initiationsgeschichte der Figur Mae Holland in "The Circle" im System der sozialen Überwachung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/378371

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