Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Grundlagen
2.1 Momentum
2.2 Markteffizienz und rationale Finanzmarkttheorie
2.3 Behavioral Finance
3. Erklärungsansätze aus der Behavioral Finance
3.1 Unterreaktion und Price Drift
3.1.1 Darstellung und Ursachen
3.1.2 Analyse und empirische Evidenzen
3.2 Überreaktion und Long-Term Reversal
3.2.1 Darstellung und Ursachen
3.2.2 Analyse und empirische Evidenzen
4. Reflexion und Integration der Erklärungsansätze
4.1 Vergleich und Ursachenanalyse von Unter- und Überreaktion
4.2. Verhaltensintegrierte Erklärungsmodelle
5. Zusammenfassung
Literaturüberblick
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Momentum-Renditen
Abbildung 2: Kursverlauf bei Unterreaktion
Abbildung 3: Momentum-Renditen und Firmengröße
Abbildung 4: Kursverlauf bei Überreaktion
1. Einleitung
In den vergangenen Jahren hat das Interesse an der Prognostizierbarkeit von Aktienkursen an Kapitalmärkten stetig zugenommen. Die Nachfrage nach profitablen Anlageprodukten ist groß, sodass Finanzanalysten steigende Gewinnchancen in der Entwicklung von Handelsstrategien sehen. Dabei hat vor allem die zunehmende Beobachtung von Marktanomalien die Entwicklung solcher Handelsstrategien positiv beeinflusst. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts werden immer wieder Publikationen von Finanzökonomen veröffentlicht, die versuchen, ein Muster hinter der vergangenen Kursentwicklung aufzudecken. Einen wichtigen Beitrag zur Analyse der Kursentwicklung brachten 1993 Jegadeesh und Titman, die durch empirische Untersuchungen einen Preistrend am amerikanischen Aktienmarkt aufzeigten. Seither haben Analysten auf der ganzen Welt Kapitalmärkte untersucht und konnten ähnliche Ergebnisse feststellen, was zur Entstehung von Momentum-Strategien führte. Die Redewendung „the trend is your friend“ ist zu einer führenden Börsenweisheit unter Anlegern geworden und beschreibt dabei den Grundgedanken dieser Strategie. Anhand der vergangenen Trendentwicklung von Preisen sollen Prognosen für die zukünftige Entwicklung gegeben werden können. Die Überlegungen der Trendentwicklung stehen jedoch im Widerspruch zur Random Walk und der Markteffizienzhypothese. Diese besagen, dass sich Wertpapierkurse wie ein Zufall verhalten und somit keine Aussagen über zukünftige Kursverläufe getroffen werden können. Zahlreiche Erklärungsversuche, die Zusatzrenditen als Entschädigung für ein höher eingegangenes Risiko anzusehen, scheiterten jedoch. Folglich sind viele Analysten dazu übergegangen, die Preisentwicklungen durch nicht rationales, menschliches Verhalten zu erklären. In diesem Zuge hat vor allem die Behavioral Finance als Teilgebiet der Wirtschaftswissenschaften an Bedeutung gewonnen, die sich mit irrationalem Verhalten auf Finanzmärkten auseinandersetzt.
In der vorliegenden Arbeit sollen die führenden Erklärungsansätze aus der Behavioral Finance dargestellt werden, welche als mögliche Ursache für die Entstehung von Preistrends gelten. Dabei werden Beispiele und empirische Untersuchungen von Finanzanalysten aufgezeigt, die die beschriebenen Theorien unterstützen. Anschließend werden die Hypothesen verschiedener Ökonomen analysiert und in dargestellte Modelle integriert.
Nach der Einführung in das Thema werden im zweiten Kapitel Grundlagen vorgestellt, die für die Thematik dieser Arbeit von Bedeutung sind. Zunächst wird die Momentum-Strategie von Jegadeesh und Titman beschrieben und Ergebnisse aus der empirischen Untersuchung aufgezeigt. Danach folgt eine Definition der Markteffizienz- und Rationalitätshypothese und im dritten Unterpunkt werden Grundgedanken als auch allgemeine Thesen der Behavioral Finance erläutert. Das darauffolgende Kapitel beschäftigt sich mit den Erklärungsansätzen aus den Annahmen von Unter- und Überreaktion. Es werden existente Theorien dargestellt und mit empirischen Evidenzen aus der Literatur belegt. Im vierten Kapitel folgen eine kritische Auseinandersetzung mit den Erklärungsansätzen, sowie eine Integration in verschiedene Modelle, die auf den Annahmen der vorgestellten Erklärungskonzepte basieren. Abschließend werden die Ergebnisse und Schlussfolgerungen zusammengefasst und ein Ausblick für zukünftige Forschung gegeben.
2. Grundlagen
2.1 Momentum
Wie einleitend beschrieben, haben viele Ökonomen vor allem in jüngster Zeit eine Anomalie am Kapitalmarkt entdeckt. Preise scheinen sich nicht rein zufällig zu verhalten, sondern folgen einem gewissen Preistrend. Bereits Levy untersuchte 1967 das Preisverhalten von Aktien und stellte fest, dass Aktien, deren vergangene Performance über dem Durchschnitt liegt, signifikant höhere Renditen erzielten. Mitte der achtziger Jahre dokumentierten De Bondt und Thaler ein konträres Phänomen. Aktien, die in der Vergangenheit schlecht aufgetreten sind, erzielten zukünftig höhere Renditen im Vergleich zu ehemals gut performten Aktien.
Aus den Beobachtungen heraus, dass vergangene Aktienkurse vermeintlich Aufschluss auf die zukünftige Kursentwicklung geben können, entwickelten 1993 Jegadeesh und Titman eine Strategie, die heute als Momentum bekannt ist. Dabei werden Aktien anhand ihrer vergangenen Kursentwicklung gerankt und in verschiedene Portfolios eingeteilt. Aktien mit überdurchschnittlichen Renditen werden dem sogenannten Gewinnerportfolio zugeschrieben, Aktien mit unterdurchschnittlichen Renditen zählen zum Verliererportfolio. Durch den Kauf von Aktien aus dem Gewinnerportfolio und dem Verkauf der Verliereraktien sollen im Zeitverlauf signifikant höhere Renditen erzielt werden.
Für ihre Studie über das Preisverhalten von Wertpapieren verwendeten sie Aktien, die im Zeitraum von 1965 bis 1989 an der New York Stock Exchange und an der American Stock Exchange gelistet waren. Dabei rankten die Ökonomen die Aktien abhängig von ihrer Rendite der letzten drei bis zwölf Monate in zehn gleichverteilte Portfolios. Danach testeten sie die erzielbaren Renditen, wenn die Aktien aus dem besten Portfolio für weitere drei bis zwölf Monate gehalten werden. Insgesamt ergaben sich daraus 16 Strategievarianten. Die höchste Rendite mit 1,31 % pro Monat stellten sie für eine zwölfmonatige Formations- und eine dreimonatige Halteperiode fest. Für nahezu alle getesteten Strategien konnten sie statistische Signifikanz für die positiven Renditen nachweisen (vgl. Jegadeesh Titman, 1993, S.69-70).
Schon in ihrer Studie versuchten Jegadeesh und Titman Erklärungen für die Ursachen des positiven Preistrends zu finden. Ein möglicher Ansatz bestand darin, die Zusatzrenditen anhand des systematischen Risikos der Handelsstrategie zu erklären, der jedoch schnell wieder verworfen wurde. Stattdessen griffen sie auf Ansätze vorangegangener Theorien zurück, die dem Preistrend eine Unter- oder Überreaktion auf Informationen nachsagen. Um dieser Fragestellung nachzugehen untersuchten sie die Renditen über einen längeren Zeithorizont. Abbildung 1 zeigt nachfolgend die durchschnittlichen monatlichen Renditen für 36 Monate, basierend auf einer sechsmonatigen Formationsperiode und einer sechsmonatigen Halteperiode.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Momentum-Renditen in Anlehnung an Jegadeesh und Titman (1993), S. 84
Die dargestellte Abbildung zeigt durchweg positive Renditen im ersten Jahr nach der Formationsperiode, ausgenommen im ersten Monat. Hier haben die Verliereraktien eine höhere Rendite erzielt als die Gewinneraktien. Insgesamt wird eine kumulierte Rendite bis Ende des zwölften Monats von 9,5 % erreicht. Ab dem zweiten Jahr verzeichnen sie größtenteils Negativrenditen. Die anfängliche Kontinuität und die folgende Umkehr lassen als Erklärungsursachen nach den Finanzökonomen sowohl auf Unter- als auch auf Überreaktion schließen (vgl. Jegadeesh Titman, 1993, S. 90).
In den Folgejahren nach der Veröffentlichung von Jegadeesh und Titman testeten weitere Finanzanalysten Kapitalmärkte auf der ganzen Welt auf den Momentum-Effekt. Einen wichtigen Beitrag brachten zum Beispiel Chui et al. Sie konnten in nahezu allen ihrer 41 untersuchten Ländern positive Momentum-Renditen nachweisen, davon 25 Länder mit statistischer Signifikanz (vgl. Chui, Titman, Wei, 2010, S. 375-378). Menkoff et al. hingegen untersuchten den internationalen Fremdwährungsmarkt. Auch sie konnten bei ihrer Studie bei fast allen der untersuchten 48 Währungen einen Momentum- Effekt feststellen (vgl. Menkhoff et al. 2011, S.7 und S. 47).
Die Vielzahl veröffentlichter Studien zu den Momentum-Strategien und Theorien lassen kaum noch Zweifel an der Existenz eines Preistrends aufkommen. Lediglich über die tatsächlichen Ursachen sind sich die Finanzmarktforscher noch uneinig.
2.2 Markteffizienz und rationale Finanzmarkttheorie
Eine bedeutende Eigenschaft, welche vollkommenen Kapitalmärkten zugesagt wird, ist die sogenannte Markteffizienz. Sie besagt, dass alle Marktteilnehmer vollständig rational und auf Basis gleicher Informationen agieren. Das Konzept der Markteffizienz ist zurückzuführen auf Fama. Nach seiner Theorie gelten Märkte dann als effizient, wenn alle Preise von Finanzierungstiteln in jedem Zeitpunkt voll dem jeweils gegebenen Informationsstand entsprechen. Das Auftauchen von neuen Informationen würde sich demnach ohne zeitliche Verzögerung in den Preisen widerspiegeln und es sei nicht möglich, aus den Kursverläufen der Vergangenheit auf Kurse in der Gegenwart und Zukunft zu schließen (vgl. Fama 1970, S. 383). Des Weiteren folgert Fama, dass die Kurse am Kapitalmarkt einem Random Walk folgen, bei dem alle Preisveränderungen zufällig und unabhängig entstehen. Demzufolge wäre es unmöglich, den Markt systematisch zu schlagen beziehungsweise anhand einer informationsbasierenden Handelsstrategie abnormale Renditen zu erzielen (vgl. Fama, 1965, S. 3536).
Gemäß der Effizienzmarkthypothese steht die Nicht-Vorhersehbarkeit zukünftiger Kurse allerdings im Widerspruch zu den beobachteten Preistrends und den daraus entstandenen Handelsstrategien. Viele Finanzökonomen kritisieren daher das Konzept der Markteffizienz. So kommen zum Beispiel Jegadeesh und Titman zur Überzeugung, dass viele empirische Untersuchungen nicht vereinbar mit der Theorie des effizienten Marktes sind und sie womöglich sogar widerlegen (vgl. Jegadeesh Titman, 2011, S.507). Fama hingegen hält weiter an seiner These fest. Nach seiner Meinung stehen sogar viele Marktanomalien, wie zum Beispiel kurzfristige Preiskontinuität und Preisumkehr, im Einklang mit der Effizienzmarkthypothese, da sowohl positive als auch negative Überrenditen mit gleicher Häufigkeit zu beobachten sind. Langfristig festgestellte Überrenditen seien auf Schwierigkeiten bei der Schätzung der Erwartungswerte von Renditen sowie auf die verwendeten Berechnungsmethodiken zurückzuführen (vgl. Fama, 1997, S. 284-285).
Ein weiteres Kennzeichen für einen vollkommenen Kapitalmarkt ist die Annahme von homogenen Erwartungen und Rationalität der Investoren. Gemäß dieser These treffen alle Marktteilnehmer ihre individuellen Entscheidungen aufgrund der gleichen, allgemein bekannten Erwartung über die Zukunft. Zu einem der bekanntesten Modelle der rationalen Finanzmarkttheorie zählt das Capital Asset Pricing Modell von Sharpe et al. Das Modell beschreibt das Zustandekommen eines Gleichgewichtskurses in Abhängigkeit von Rendite und Risiko. Überrenditen seien gemäß dem Modell nur eine Entschädigung für das höher eingegangene Risiko.
Jegadeesh und Titman sind dennoch nachwievor davon überzeugt, dass der beobachtete Momentum-Effekt den vielleicht stärksten Beweis gegen die Effizienzmarkthypothese und die rationale Finanzmarkttheorie darstellt. Verzögerte Preisanpassungen sind ihrer Auffassung nach eine Folge von Informationsineffizienz und irrationalem Verhalten der Marktteilnehmer (vgl. Jegadeesh Titman, 2011, S. 507).
2.3 Behavioral Finance
Wie zuvor erläutert, widersprechen viele empirische Studien von Marktanomalien den Konzepten von Effizienz und Rationalität. Um Erklärungen für die Ursachen bestimmter Anomalien zu finden sind stattdessen viele Ökonomen dazu übergegangen, das menschliche Verhalten auf Kapitalmärkten zu untersuchen und anhand von psychologischen Faktoren zu erklären. Dabei wird oft auf die Theorien aus der Behavioral Finance zurückgegriffen, die von einem nur beschränkt rationalen Verhalten der Anleger ausgeht.
Die Behavioral Finance beschäftigt sich mit der Psychologie der Anleger. In diesem neueren Zweig der Wirtschaftstheorie wird untersucht, wie Anlageent- Scheidungen von Investoren zustande kommen und welche systematischen Fehler begangen werden. Dabei gehen die Überlegungen häufig davon aus, dass Menschen Schwierigkeiten bei der Aufnahme und Verarbeitung von vollständigen und unverzerrten Informationen haben. Die Gedanken der Behavioral Finance Theorie stehen demgemäß im Widerspruch zum Rationalitätsgedanken der klassischen Finanztheorie, bei der das Verhalten der Marktteilnehmer dem des Homo Oeconomicus entspricht. Der Homo Oeconomicus ist ein Modell eines rational handelnden und Nutzen maximierenden Agenten, der in der Lage ist, Informationen richtig zu verarbeiten und Entscheidungen mit dem höchsten zu erwartenden Nutzen zu treffen.
Zu den bekanntesten verhaltenswissenschaftlichen Ökonomen der neueren Zeit zählt Richard Thaler, der in seinen Theorien immer wieder von den Modellen des Homo Oeconomicus abweicht. Stattdessen zeigt er das Dasein eines beschränkt rationalen Investors auf, der Erwartungen anhand anderer psychologischer Faktoren bildet und irrationales sowie auch emotionales Verhalten entwickelt (vgl. Thaler, 2000).
In einer weiteren Publikation von Thaler und Barberis werden einige psychologische Ansätze wie die Erwartungsbildung von Investoren beschrieben. Einer dieser Ansätze stützt sich auf die Theorie von Kahneman und Tversky 1974, die die Hypothesenbildung von Investoren anhand von Heuristiken beschreiben (vgl. Barberis Thaler, 2003, S. 12). Bei der Anwendung von Heuristiken treffen Menschen ihre Erwartungen und Schlussfolgerungen anhand von Wahrscheinlichkeiten, da sie nur über begrenztes Wissen und Informationen verfügen (vgl. Tversky Kahneman, 1974, S. 1124-1127). Des Weiteren wird davon ausgegangen, dass Investoren zum Teil kognitiven Verzerrungen unterliegen. Kennzeichnend dafür sind systematische Neigungen bei der Wahrnehmung und Urteilsbildung was zu Unter- und Überreaktion auf bestimmte Informationen führen kann. Optimismus und Selbstüberschätzung aber auch Konservatismus sowie Verlustaversion sind einige der Beispiele, die zu einem verzerrten Wahrnehmungsbild führen können.
Auch das Falscheinschätzen von Wissen ist nach Thaler eine Eigenschaft, die kennzeichnend für einen irrationalen Investor ist. Der Glaube, dass aktuelles Wissen dem Tatsächlichen entspricht, führt bei Menschen zu Überschätzung des eigenen Wissenstandes. Thaler bezeichnet dieses Phänomen als „the Curse of Knowledge“ (vgl. Thaler, 2000, S.1). Hat der Mensch einmal von etwas Erkenntnis erlangt, ist es schwer für ihn, sich wieder etwas anderes vorzustellen.
Die dargestellten Ausprägungen sind Beispiele, wie Gedanken und Verhalten von Menschen gemäß den Theorien der Behavioral Finance entstehen können. Im nächsten Abschnitt werden einige Ansätze näher gebracht, die speziell die Ursachen der Entstehung von Momentum-Strategien erklären sollen.
3. Erklärungsansätze aus der Behavioral Finance
3.1 Unterreaktion und Price Drift
3.1.1 Darstellung und Ursachen
Eine mögliche Erklärung für die beobachtete Preiskontinuität aus den Momentum-Strategien stellt die Unterreaktionshypothese dar. Bildlich beschreiben lässt sich diese These als Unterbewertung von Preisen und anschließend auftretender Preisanpassungsphase. Sie entsteht durch Fehleinschätzung des neuen Fundamentalwertes, wenn sich dieser aufgrund eines Ereignisses oder einer Information zu einem Ereignis ändert. Danach steigen oder fallen die Preise in einem bestimmten Zeitraum solange, bis der Kurs seinen neuen Wert erreicht hat. Zu den meistgenannten Ursachen für diesen Effekt zählt die Unterreaktion auf firmenspezifische Informationen. Gemäß der Effizienzmarkthypothese von Fama müsste sich der Preis eines Wertpapiers ohne zeitliche Verzögerung auf neue Informationen anpassen. Das heißt, dass durch das Bekanntwerden eines bestimmten Ereignisses, zum Beispiel einer Gewinnoder Verlustankündigung, der Preis sofort auf seinen neuen fundamentalen Wert springt. Bei einer Unterreaktion werden neue Informationen jedoch nicht sofort aufgenommen. Stattdessen entsteht ein langsamer Anpassungsprozess, der einen fortschreitenden Preistrend auslöst. Veranschaulicht wird dieser Vorgang in Abbildung 2.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Kursverlauf bei Unterreaktion Eigene Darstellung
Das Bekanntwerden neuer Informationen löst im ersten Moment einen Preissprung aus, der jedoch geringer ausfällt als unter der Annahme vollkommener Informationseffizienz. Durch die Unterreaktion gleichen sich die Preise nur langsam über den Zeitraum an. Im Falle positiver oder guter Nachrichten entsteht ein Aufwärtstrend, was im oberen Teil der Grafik zu sehen ist. Der untere Teil der Grafik zeigt einen Abwärtstrend bei schlechten Nachrichten. Kennzeichnend für den Preistrend ist eine durchweg positive Korrelation der Renditen während der Anpassungsphase. Wenn alle Informationen vollständig aufgenommen sind und der Preis seinen neuen Wert erreicht hat, ist kein weiterer An- oder Abstieg mehr zu erwarten.
In der Finanzmarktliteratur wird eine Unterreaktion auf Informationen vor allem auf psychologische Faktoren zurückgeführt. So legen zum Beispiel Barberis et al. in ihrer Studie den Investoren ein konservatives Verhalten zugrunde, das als Auslöser für die verzerrte Wahrnehmung gilt. Bei der Bewertung von Neuigkeiten wird dem Informationsgehalt ein zu geringes Gewicht beigemessen, sodass einzelne Individuen ihre Ansichten neuen Erkenntnissen gegenüber nur langsam ändern (vgl. Barberis et al., 1998, S. 315). Die Scheu vor Meinungsänderung, Skepsis und Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung sind kennzeichnend für Konservatismus. Vor allem wenn die neuen Meldungen im Widerspruch zu eindrücklichen Erfahrungen stehen, reagieren die Menschen zurückhaltend auf die neue Gegebenheit und halten zu lange an ihren ursprünglichen Erwartungen fest. Das Beharren auf gewohnten Einschätzungen in Anbetracht der neuen Information führt zu einer Fehlklassifizierung und somit zu Unterreaktion (vgl. Barberis Thaler, 2003). Ähnliche Verhaltensweisen gelten auch für den Post-Earnings-Announcement-Drift als mögliche Erklärungsursache. Beim Post-Earnings-Announcement-Drift als weiterer Marktanomalie ist die Beobachtung einer gleichgerichteten Aktienbewegung über einen gewissen Zeitraum zu verstehen, die sich nach einer Gewinnankündigung ergibt. Auch hier wird der Preistrend versucht durch Unterreaktion zu erklären. Investoren sind nicht in der Lage bestimmte Informationen, im Falle des Post-Earnings-Announcement-Drift die Gewinnankündigung, vollständig und richtig zu bewerten (vgl. Bernard Thomas, 1989, S. 5-6).
Als weitere Begründung für die Unterbewertung und den beobachteten Preisdrift zitieren Finanzmarktforscher oft den sogenannten Dispositionseffekt. Er beschreibt die Neigung von Anlegern, gestiegene Aktien zu schnell zu verkaufen und gesunkene Aktien zu lange zu halten (vgl. Odean, 1998, S. 1777). Die suggerierte Verlustaversion löst ein Gefühl bei Anlegern aus, dass Verluste doppelt so stark empfunden werden wie Gewinne. Sinkende Aktienkurse bedeuten für den Anleger, falsche Entscheidungen getroffen zu haben. Es widerspiegelt das Gefühl des Scheiterns für ihn, sodass sich der Investor scheut, den Verlust durch das Verkaufen der Aktie tatsächlich zu realisieren. Im Gegenzug werden gestiegene Aktien vorschnell verkauft, um den einmal erlangten Gewinn nicht wieder zu verlieren (vgl. Shefrin Statman, 1985, S. 781-782). Das Ergebnis ist suboptimal, da im Falle eines positiven Preistrends weitere Gewinne hätten generiert werden können, beziehungsweise im Falle eines andauernden Preisverfalls weitere Verluste erzielt werden.
Während in den oben genannten Erklärungsversuchen der Investor selbst für die unzureichende und fehlerhafte Informationsaufnahme verantwortlich ist, kann auch ein nicht informationseffizienter Markt verantwortlich für Unterreaktion sein. Entgegen der Markteffizienzhypothese, die besagt, dass alle Informationen vollständig und jederzeit allen Investoren verfügbar sind, kann ein informationsineffizienter Markt diese Eigenschaft nicht liefern. Tatsächlich gibt es hier Informationen, die nur wenigen Analysten bekannt sind und erst nach und nach der breiten Öffentlichkeit mitgeteilt werden. Durch das Bekanntwerden der Neuigkeiten entsteht dann im Zeitverlauf eine Preisanpassung, um die entstandene Unterreaktion auszugleichen.
3.1.2 Analyse und empirische Evidenzen
Einen wichtigen Beitrag zur Analyse der Unterreaktionshypothese brachten Hong et al., indem sie die Momentum-Strategie kombiniert mit dem Size- Effekt untersuchten. Die Ökonomen vermuteten, dass kleinere Unternehmen aufgrund der geringeren Informationsdiffusion höhere Momentum-Renditen aufweisen als größere Unternehmen. Um ihre Hypothese zu testen, bildeten sie ihre Portfolios nach der Firmengröße. Die nachfolgende Grafik zeigt das Ergebnis der Untersuchung an.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Momentum-Renditen und Firmengröße
Quelle: Hong, Lim, Stein, 1999, S. 45
Alle Portfolios, ausgenommen das Portfolio bestehend aus den kleinsten Firmen, weisen positive Momentum-Renditen auf. Die höchste Rendite zeigt das dritte Portfolio, bei dem die durchschnittliche Marktkapitalisierung der Firmen 45 Millionen Dollar beträgt. Danach nehmen die Momentum-Renditen sukzessive mit zunehmender Unternehmensgröße ab. Das Ergebnis bestätigt die Vermutung: Kleinere Firmen weisen höhere Momentum-Renditen auf. Ähnliche Ergebnisse konnten Hong et al. bei ihrer Untersuchung der „analyst coverage“ feststellen. Das Portfolio, dessen Aktien weniger im Fokus von Analysten stehen, weist höhere Renditen auf. Als Erklärung geben die Ökonomen auch hier die langsamere Informationsdiffusion an (vgl. Hong et al., 1999, S. 11).
Die Ergebnisse der Untersuchung sind konsistent mit den Erklärungsansätzen der Unterreaktion. Eine schnellere Preisanpassung bei großen und im Fokus stehenden Unternehmen lässt auf eine bessere Verarbeitung der gegebenen Informationen schließen. Bei kleineren Unternehmen sind die Anleger mehr auf eigene Informationsbeschaffung und deren Auswertung angewiesen. Als mögliche Folgerung der langsameren Preisanpassung kann angenommen werden, dass einzelne Anleger Schwierigkeiten bei der Bewertung von relevanten Informationen haben und/oder das Ausmaß der Neuigkeiten nicht einschätzen können.
Empirische Evidenz für die Verlustaversion brachte Odean. Er belegte, dass die Investoren innerhalb eines Jahres im Verhältnis mehr gestiegene als gesunkene Aktien verkauften (vgl. Odean, 1998, S. 1783). Allerdings kehrt sich diese Quote bei starker Gewinn- oder Verlustzunahme um. Während kleine Gewinne relativ schnell realisiert werden, werden Aktien mit großen Gewinnzunahmen vergleichsweise langsamer veräußert. Umgekehrt verhält es sich bei den Verlusten. Kleine Verluste werden langsam, große hingegen schnell realisiert. Als mögliche Erklärung liefert Odean die Vermeidung beziehungsweise die Ausnutzung von Steuereffekten sowie die Scheu vor hohen Transaktionskosten (ibid. S.1792).
Kahneman und Tversky haben bereits 1974 das Risikoverhalten von Investoren untersucht und dabei beschrieben, wie Individuen Gewinne beziehungsweise Verluste bewerten. Dabei bringen sie die Stärke der Empfindungen in Verbindung mit Referenzpunkten. Das sogenannte „Anchoring“ beschreibt indes den Urteilsbildungsprozess ausgehend von einem bestimmten Richtwert. Das Festhalten an ursprünglichen Informationen, sinngemäß dem Anker, führt zu systematischer Verzerrung, da sie das Endurteil stärker prägen als die im Zeitverlauf hinzukommenden Informationen (vgl. Tversky Kahneman, 1974, S. 1128-1130). So widerspiegelt zum Beispiel der aktuelle Preis eines Titels für den neuen Investor genau den tatsächlichen Wert, der dann auch seinem Referenzwert entspricht. Weitere Informationen, die auf eine Unter- oder Überbewertung deuten, werden nur noch unzureichend wahrgenommen.
Das Phänomen der Unterreaktion wird neben der Preisanpassungstheorie bei Momentum auch als Erklärung für den Post-Earnings-Announcement-Drift herangezogen. Bernard und Thomas konnten bereits 1989 einen Preistrend feststellen, der sich als Folge von Gewinnankündigungen ergibt (vgl. Bernard Thomas, 1989). In ihrer Analyse nehmen die Ökonomen an, dass die Unterreaktion auf naive Erwartungsbildung zurückzuführen ist. Der Investor sei nicht in der Lage, die Auswirkungen aktueller Gewinne auf zukünftige Gewinne widerzuspiegeln. Die naive Erwartungsbildung kann, wie auch der Dispositionseffekt, ihre Ursache bei psychologischen Faktoren wie dem „Anchoring“ haben, sodass Individuen zu stark von derzeitigen Gegebenheiten beeinflusst werden und den jüngsten Veränderungen zu wenig Gewicht beimessen (vgl. Bernard, 1992, S. 16).
3.2 Überreaktion und Long-Term Reversal 3.2.1 Darstellung und Ursachen
Neben der Unterreaktion gibt es in der Behavioral Finance Theorie noch die Überreaktionshypothese, die viele Finanzökonomen ebenso häufig als mögliche Erklärungsursache für die Profitabilität von Momentum-Strategien heranziehen. Überreaktion beschreibt ein Phänomen, bei welchem sich die Aktienkurse stärker verändern, als aufgrund des Inhalts einer Nachricht oder eines Ereignisses erwartet werden könnte. Es kommt zu einer Überschreitung des
neuen Fundamentalwertes, der in der langen Sicht wieder korrigiert wird. Während der Überreaktionsphase sind die Renditen positiv korreliert, wodurch sich der Momentum-Effekt ergibt. Auf die anfängliche Preiskontinuität folgt ein Long-Term Reversal, dessen Renditen negativ mit den Ursprungsrenditen korreliert sind. Die folgende Abbildung stellt den Kursverlauf bei einer Überreaktion dar.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Kursverlauf bei Überreaktion
Eigene Darstellung
Die Überreaktionshypothese geht zurück auf De Bondt und Thaler. In ihrer Studie unterstellen sie, dass Investoren auf eine Reihe von positiven oder negativen Nachrichten überreagieren und damit eine hohe Aktienkursvolatilität auslösen. Bei der Erwartungsbildung legen Individuen jüngsten Informationen ein zu hohes Gewicht im Vergleich zu Fundamentaldaten bei (vgl. De Bondt Thaler, 1985, S.793). Die verzerrte Wahrnehmung und Interpretation von Informationen kann verschiedene Ursachen haben.
So führen zum Beispiel Daniel et al. die Überbewertung von Informationen auf Überkonfidenz der Investoren zurück. Den Marktteilnehmern wird vorgeworfen, bei Aktienprognosen ein überhöhtes und rational nicht mehr gerechtfertigtes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu haben. Herbeigeführt wird das überhöhte Selbstvertrauen unter Anderem dadurch, dass eine private Einschätzung des Investors durch öffentliche Informationen bestätigt wird. Die Bestätigung steigert das Selbstvertrauen, sodass der Investor seine private Information überschätzt und dabei einen höheren Preissprung verursacht als fundamental gerechtfertigt. Steht die öffentliche Information hingegen im Widerspruch zur privaten Information, wird das Selbstvertrauen des Investors nur in geringem Ausmaß beeinträchtigt. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn der Marktteilnehmer zusätzlich noch dem Self-Attribution-Bias unterliegt. Er beschreibt die Tendenz, Erfolge dem eigenen Können, Misserfolge hingegen äußeren nicht beeinflussbaren Faktoren zuzuschreiben. Diese kognitive Verzerrung ist verantwortlich, dass die Selbstsicherheit bei Bestätigung steigt, der Investor im gegensätzlichen Fall jedoch nicht an seinen Einschätzungen zweifelt oder zum Umdenken verleitet wird (vgl. Daniel, Hirshleifer, Subrahmanyam, 1998, S. 1844).
[...]
- Arbeit zitieren
- Master of Science Jasmin Dorbath (Autor:in), 2014, Ursachen von Momentum. Darstellung und Analyse der Erklärungsansätze aus der Behavioral Finance, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/424032
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