Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Hauptteil
2.1 Schönheitsideale im Wandel der Zeit
2.1.1 Antike
2.1.2 Mittelalter
2.1.3 Neuzeit
2.2 Trendsportarten im Kraftsport
2.3 Bodybuilding – Keimzelle des Kraftsports
2.3.1 Körperideal und Ziele
2.3.2 Training
2.3.3 Ernährung
2.4 CrossFit – Trendsportart im fitnessorientierten Kraftsport
2.4.1 Körperideal und Ziele
2.4.2 Training
2.4.3 Ernährung
2.5 Umfrage
2.5.1 Leitfaden und Methode
2.5.2 Resultate
2.5.3 Diskussion
3. Schluss
3.1 Resümee: „Bodyshaping als zweckmäßiges Mittelmaß“
4. Quellenverzeichnis
4.1 Literaturverzeichnis
4.2 Internetquellen
4.3 Anhangverzeichnis
5. Anhang
5.1 Abbildungen
5.2 Tabellen
5.3 Statistiken
1.1 Schönheit macht Erfolg
Wer schön ist, ist im Leben auch erfolgreicher. Schon seit jeher haben Menschen, die innerhalb der Gesellschaft als attraktiv gelten, ein höheres Ansehen. Durchschnittlich gesehen führt dies während der Schulzeit zu besseren Noten, in der Arbeitswelt zu höherem Gehalt und generell zu einem zufriedeneren Leben (Hamermesh 2011).
Schönheit ist also ein erstrebenswertes Gut. Da sich Schönheit vor allem über physiologische Ästhetik definiert, ist sie auch in gewissem Maße antrainierbar (Keeney 1983). Heutzutage gilt in unserer Gesellschaft ein Körper als ästhetisch, sobald er schlank, aber auch gleichzeitig muskulös ist. Egal ob in Social-Media-Netzwerken wie Instagram, in der Werbung, oder Lifestyle Magazinen wie „Men’s Health“ – überall werden wir mit diesen Idealkörpern konfrontiert. Aus dieser Öffentlichkeitspräsenz und dem individuellen Wunsch nach Schönheit hat sich inzwischen ein wahrer Boom im Fitnesssportbereich herausgebildet. Mit Kraftsport dem Schönheitsideal näher zu kommen, das ist das Ziel der meisten Menschen (www.vifasport.de).
Herauskristallisiert haben sich dabei aktuell zwei verschieden Arten des Kraftsports: Bodybuilding und Crossfit. Während das Bodybuilding vorrangig möglichst viel Muskelmasse in ideal proportionierter Form zum Ziel hat, so konzentriert sich Crossfit mehr auf die Funktionalität des Trainings mit gleichzeitig verhältnismäßig geringem Muskelaufbau (Weider 1991).
Auch ich selbst sehe mich, als regelmäßiger Fitnessstudiobesucher, täglich mit dem Kraftsport und dem damit einhergehenden Schönheitswahn in unserer Gesellschaft konfrontiert.
Die wissenschaftliche Arbeit thematisiert deshalb diese beiden Kraftsportaren hinsichtlich ihrer Vorreiterschaft als „Formgeber der Schönheit“ im Kampf um das moderne Schönheitsideal.
Folgende Leitfrage soll am Ende beantwortet werden:
Inwiefern kommt man mit Bodybuilding beziehungsweise CrossFit dem modernen männlichen Schönheitsideal näher?
Um diese Frage zu beantworten, sollte zuallererst in einem theoretischen Teil der Begriff Schönheit genauer definiert werden und die Entwicklung des Schönheitsideals im Laufe der Zeit betrachtet werden. So können die einzelnen Bestandteile eines Schönheitsideals und die Wirkung gesellschaftlicher Einflüsse darauf besser erklärt werden.
Anschließend ist mit der aktuellen Betrachtung des Schönheitsideals die Entwicklung hin zum Kraftsport als „Formgeber der Schönheit“ zu erklären.
Im weiteren Verlauf muss dann folglich auf die aktuellen Vorreiter im Kraftsportbereich, Bodybuilding und Crossfit, eingegangen werden. Da diese in Ziel, Trainingssystem, Ernährungsweise und letztendlichem Ergebnis, der Körperform, grundlegend verschieden sind, sollten eben diese – Ziele, Trainingssysteme, Ernährungsweisen und Ergebnisse – jeweils genauer erläutert werden, um sie im Anschluss miteinander vergleichen zu können.
Der praktische Teil soll mithilfe einer Umfrage im Ellwanger Fitnessstudio „CleverFit“ letztlich die Erkenntnisse über das vorherrschende moderne Schönheitsideal bringen. Ferner sollen außerdem die Gründe für eine Ausübung des Kraftsports im Bodybuilding- beziehungsweise Crossfit-Bereich in Erfahrung gebracht werden. Den Befragten werden dabei voraussichtlich verschiedenen Körperformen abgebildet werden, aus denen sie deren präferierte Form auswählen sollen. Außerdem werden allgemeine Fragen zu ihrer Motivation, ihrer Ernährung, ihrer bevorzugten Trainingsweise und ihren sozialen Kontakten im Fitnessstudio gestellt werden.
Am Ende steht die Beantwortung der Leitfrage mithilfe der Ergebnisse aus theoretischem und praktischem Teil bezüglich der Annäherung an das moderne Schönheitsideal mit Bodybuilding beziehungsweise Crossfit.
1.2 Was ist Schönheit?
Neurowissenschaftlich betrachtet, benötigen wir zur Wahrnehmung von Schönheit durchschnittlich lediglich 100,5 Millisekunden (vgl. Kirova 2007: 1f). Die Schönheit kann also ohne Weiteres als eine der ersten Empfindungen bezeichnet werden, die Menschen gegenüber anderen Gegenständen wahrnehmen. Individuelle und ausgereifte überlegte Beurteilungen des jeweiligen Gegenstandes finden so erst nach der äußerst kurzen Zeitspanne der Schönheitswahrnehmung statt und beeinflussen die Beurteilung der Schönheit in keinster Weise (vgl. ebd.).
Aus philosophischer Sicht bezeichnete bereits Kant[1] (1986) die Schönheit als „interessenloses Wohlgefallen“ eines bestimmten Gegenstandes. Die Schönheit ist demnach eine spontane Wahrnehmung, die sich von der subjektiven Bewertung dieses Gegenstandes abhebt. Persönliche Interessen spielen beim Wahrnehmen von Schönheit also keine Rolle; vielmehr spiegelt sie den ersten Eindruck eines Gegenstandes wider, der als „angenehm“, „gut“ oder „instinktiv vorteilhaft“ angesehen wird.
Infolge individueller Empfindungen von etwas „Angenehmen“ beziehungsweise „Guten“ liegt die Schönheit sprichwörtlich im Auge des Betrachters: Sie ist keineswegs eine uniforme Wahrnehmung, die jeder gemäß dem Andern gleich empfindet. Aber wie kann bei einer derartig individuellen Definition ein simultanes Schönheitsideal entstehen? Es ist die Konstante der Ästhetik[2], die die Wahrnehmung der Schönheit allgemein macht. Ihr zufolge liegen der individuellen Empfindung von „angenehm“ aktuelle gesellschaftliche Umstände und kulturelle Wertmaßstäbe zugrunde. So basieren alle Wahrnehmungen der Schönheit auf äußeren Einflüssen und lassen eine einheitliche Definition von Schönheitsidealen zu. Daraus ergibt sich allerdings auch, dass sich besagte Schönheitsideale durch kulturelle und gesellschaftliche Veränderungen im Laufe der Zeit wandeln (vgl. Hersey 1998).
Die Möglichkeit der Abwandlung des Schönheitsideals wird im fortschreitenden Verlauf der Arbeit noch von weiterer Bedeutung sein und soll die Entwicklung des Fitness-Booms zum Erlangen des modernen Schönheitsideals mit historischer Bezugnahme genauer erläutern.
2.1 Schönheitsideale im Wandel der Zeit
Unter Berücksichtigung des Vorwissens, dass heute der muskulös durchtrainierte Körper das dominante Schönheitsideal unserer modernen Gesellschaft darstellt (vgl. Wedemeyer 1999b: 408ff), sollen die folgenden Ausführungen über die Entwicklung der Schönheitsideale der Antike, des Mittellalters und der Neuzeit abzielen. Die Historisierung des Schönheitsideals soll jedoch keine simple geschichtliche Nachzeichnung darstellen, sondern die Entwicklung des Schönheitsideals auf Grundlage von körpermodellierenden Praktiken, ähnlich dem heutigen Kraftsport, unter Einfluss gesellschaftlicher Veränderungen verständlich machen. Demzufolge entsprechen die folgenden Erläuterungen mehr der Entwicklung des Körperideals als der des Schönheitsideals. Zwar wäre eine genaue Erläuterung des jeweiligen Schönheitsideals unter Einflüssen der Kunst, Musik oder ähnlichem ebenfalls interessant, würde allerdings für das Verständnis des heutigen Schönheitsideals im Sinne eines durchtrainierten Körpers – einem Körperideal - nicht zielführend sein.
2.1.1 Antike
Der Beginn körpermodellierender Praktiken lässt sich auf die Zeit um 1600 – 1200 v.Chr. zurückdatieren (vgl. Kläber 2013: 79ff). Wenn auch noch als Leibeserziehung deklariert, fand der Sport an sich als religiöse Huldigung der Götter in wettkampfähnlichen Spielen eine überaus hohe Repräsentation in der damaligen Epoche. Als unmittelbare Folge dieser Wettkämpfe lässt sich in Verbindung mit der steigenden Bedeutsamkeit der antiken griechischen Kultur[3] die Entwicklung der Olympischen Spiele zur herausragenden Verbreitung des Sports erklären. Durch die repräsentative Zwecke der Olympischen Spiele für die Religion erfuhr der Sport und damit auch der trainierte Körper eine wichtige Aufwertung in der griechischen Gesellschaft und der durchtrainierte Athletenkörper wurde zum Körperideal (vgl. Krüger 2004: 88ff).
Während der hellenistischen Epoche von 336 – 36 v.Chr. entwickelte sich der körpermodellierende Sport in seiner ästhetischen Rolle wieder etwas zurück und fand mehr und mehr in der Diätetik seine Bedeutung wieder. So entstand in diesem Zeitraum eine überaus hohe Zuneigung gegenüber gesundheitsorientierter Erziehung, die eine Ausgeglichenheit zwischen Körper und Geist zum Ziel hatte. Dementsprechend erfolgte eine Abwertung des durchtrainierten Körperideals von seiner repräsentativen Funktion bedeutsamen Sportler zum alltäglichen Begleiter der Erziehung (vgl. Kläber 2013: 80).
Nichtsdestotrotz beeinflusste das Militär die Entwicklung des Körperideals über den gesamten Verlauf der klassischen Antike: Die durchgehend nachzuverfolgenden Kriege zwischen Griechenland und anderen einflussreichen Großmächten, wie den Persern, ließ den Einfluss griechischer Kultur bis in das Territorium des späteren Römischen Imperiums reichen. Die permanenten Kriege führten zu einem hohen Stellenwert des Militärs innerhalb der Gesellschaft und prägten die Werte der damaligen Zeit nicht unwesentlich. Mit dem gegenläufigen Einfluss der römischen Kultur auf die griechische, in der körpermodellierende Praktiken einen großen Anteil in der Militärerziehung einnahmen, erlangte der Soldatenkörper als Zeichen der Kampf- und Beschützerfähigkeit einen ideellen Stellenwert (vgl. Krüger 2004: 142ff).
Röthig (1992) verweist für die Evidenz des hohen Stellenwerts von Militär und Soldatenkörper auf die Gladiatoren[4], die im Römischen Reich eine herausragende Position als berühmte Größen ihrer Zeit einnahmen und im Sinne der Unterhaltung einen hohen Bekanntheitsgrad erwarben. Mit ihrem „äußerst muskulös-bulligen Körperbau […], aber dennoch athletische[n] Erscheinungsbild“ (Kläber 2013: 87) prägten sie so das Körperideal der Antike erheblich mit und verbreiteten es vor allem durch ihre hohe Reputation maßgeblich.
Für uns heute manifestiert sich das antike Körperideal vor allem in den zahlreich erhaltenen antiken Statuen. Sie induzieren das Schönheitsideal als das, was heutige Kraftsportler als definiert bezeichnen würden: eine ausgeprägte Muskelmasse bei gleichzeitig möglichst geringem Körperfettanteil (vgl. Pramann 1983: 115ff).[5] Des Weiteren wurden bei den Olympischen Spielen bereits Auszeichnungen für Athleten mit den ästhetischsten[6] Körper vergeben und in den antiken Werken wie der „Ilias“, der „Odysee“ oder gar der Bibel erhabene Helden bzw. angesehene Menschen mit ästhetischen Körper ausgestattet. Hier sind beispielsweise der griechische Held Herkules (vgl. Abb.2) und der biblische Riese Goliath anzuführen, die beide in den jeweiligen Werken als überdurchschnittlich muskulös beschrieben werden.
Dennoch folgten nicht alle Menschen der Antike dem Streben nach einem muskulösen Körperideal. Vor allem der Philosoph Seneca[7] kritisierte die weit verbreiteten körpermodellierenden Praktiken, da die antrainierte Muskelmasse seiner Meinung nach den Geist erdrücke und ihm keinen Freiraum mehr lasse. So sollte die Geistesbeschäftigung immer vor dem Muskeltraining stehen (vgl. Galsterer 1983: 43)
2.1.2 Mittelalter
Mit Beginn des Mittelalters um 500 n.Chr. fand dann die mit Seneca aufkommende Kritik am Körperideal der Antike einen enormen Vorstoß: Noch im Römischen Reich konnte das Christentum zur prävalenten Religion aufsteigen und mit dessen Untergang 476 n.Chr. seine Herrschaftsansprüche festigen (vgl. Sommer 2016). Im Allgemeinen lässt sich sowohl die kulturelle, als auch die politische Entwicklung im Mittelalter als sukzessiver Machtausbau der Kirche beschreiben, die durch ihre Lehren auch das Körperideal der westlichen Welt im Wesentlichen prägte.
Der Körper galt im Christentum zu der Zeit als ein ausschließlich mit negativen Attributen verknüpftes Gefängnis. Im direkten Gegensatz zum Körper wurde die Seele als das „gute“ Gegenstück gesehen, das den Tod übersteht und danach im Jenseits weiterhin existiert. Der Körper hingegen stand für die Sünde, wurde mit Verwesung in Verbindung gebracht und forderte von den asketischen Mönchen lediglich eine Verführungsresistenz (vgl. Jäger et Quarch 2004: 69f). Somit war der Grundstein zur Körperentfremdung gelegt und der Abkehrungsprozess vom körpermodellierenden Sport hatte begonnen.
Bredenkamp et al. (1993: 82) beschreibt die allgemeine Haltung in der Gesellschaft treffend: „Und wenn während des Mittelalters überhaupt von einem Körperideal gesprochen werden konnte, dann war es ausgerechnet der geschundene, tote, von Folter gekennzeichnete ‚Leib‘ Christi am Kreuz.“
Unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Verhältnisse lassen sich weitere Rückschlüsse auf die Beziehung zum Körperideal ziehen: In der vorherrschenden Ständegesellschaft[8] war jedem von Geburt an eine bestimmte soziale Rolle zugeordnet, von der man nicht aufsteigen konnte. Bauern beispielsweise konnten nicht in den Stand des Adels aufsteigen und so genossen höherer Stände mehr Ansehen, mehr Wohlstand und bestimmte Privilegien. Relevant ist hier vor allem die Utopie des sozialen Aufstiegs, die eine selbstdarstellende Reputation nicht mehr notwendig macht. Anders als in der Antike wurden deshalb im Mittelalter auch keine repräsentativen Sportveranstaltungen ähnlich den Olympischen Spielen mehr ausgetragen (vgl. Ader 1999: 8f). Lediglich im Ritterstand wurde zu krafterhaltenden Funktion in überaus großem Maße Sport getrieben.
Giovanni Boccaccio[9] bezeichnet das damalige Schönheitsideal folgendermaßen: „die goldenen Locken leuchten über der frohen Stirn, auf der Armor wunderbar erstrahlt; und die anderen Teile passen alle zu dem Gesagten, in gleicher Proportion, bei ihr, die einem wahren Engel gleicht.“ Ideale, natürliche Proportionen, eine hohe Stirn und schlanke Taille galten – unabhängig der körpermodellierenden Praktiken - weithin als schön (vgl. www.scienceblogs.de)
Der fortschreitende Feudalismus als Intensivierung der strengen Ständegesellschaft zeigte sich im Spätmittelalter bis 1600 n.Chr. insbesondere in der weiten Verbreitung der Armut über Großteile der Bevölkerungsschichten. Dementsprechend entwickelte sich das Schönheitsideal simultan zur Körperentfremdung hin zu einem als „vollschlank“ bezeichneten Körper, der in seiner Fülle Wohlstand und Sicherheit widerspiegelte. Vor allem die folgenden Epochen der Renaissance und des Barock bedienten sich korpulenter Schönheitsideale. Im künstlerischen Bereich fokussiert sich vor allem der niederländische Maler Peter Paul Rubens auf die Gestaltung üppiger Personen und steht bis heute im Begriff, das Schönheitsideal des „Vollschlanken“ durch seine Rubensfigur[10] manifestiert zu haben.
2.1.3 Neuzeit
Fundamental für das Verständnis der Entwicklung des modernen Körperideals und der korrelierenden Entstehung des Bodybuildings ist der Übergang der mittelalterlichen Ständegesellschaft in eine nach Kläber (2013: 54-67) ausdifferenzierte Gesellschaft. Der Prozess der Gesellschaftsausdifferenzierung ist als Folge der synchron verlaufenden Epoche der Aufklärung[11] und Säkularisierung zu verstehen. Während der Mensch sich wieder seines eigenen Verstandes bedient, beginnt er individueller zu handeln. Der Wille nach Individualisierung wird letztendlich mit den Modernisierungen der gewaltmonopolen Staaten und der progressiven Aufhebung der Ständegesellschaft begünstigt: Der Bürger an sich genießt mit der Herausbildung konstitutioneller Staaten im 18. Jahrhundert eine neue Rechtssicherheit, die körperliche Gewalt zur Durchsetzung eigener Interessen irrelevant werden lässt. Die Folge ist eine ungewollte Körperentfremdung (vgl. Bette 2005: 25ff). Mit der sich ergebenden Möglichkeit zum individuellen Handeln gründeten sich folglich als Gegenbewegung der Körperentfremdung Turn- und Sportvereine zur körperlichen Betätigung (vgl. Krüger 1993: 25ff). Der Sport diente nicht mehr nur einer Funktion, wie der Kräftigung für militärische Dienste, sondern erfüllte erstmals den Selbstzweck zur körperlichen Verausgabung. Guttmann (1979) legt deshalb neu aufkommende, typische Merkmale des modernen Sports fest: Weltlichkeit, Chancengleichheit, Rollenspezialisierung, Rationalisierung, Bürokratisierung, Quantifizierung und Rekordversuche. Da für die Entwicklung des Körperideals lediglich die Bürokratisierung und Quantifizierung von höherer Bedeutsamkeit sind, sei für eine weitere Erläuterung der restlichen Merkmale auf Kläber (2013: 108-115) verwiesen. Mit der Bürokratisierung des Sports entwickelten sich große Sportverbände und Organisationen, die heute für die Struktur und den Ablauf für große Sportwettbewerbe zuständig sind und solche überhaupt erst ermöglichen. Die zusätzliche Quantifizierung - der Aufzeichnung und Protokollierung aller möglichen Daten – schaffte außerdem eine Vergleichbarkeit unter den Athleten, die einen Wettbewerb erst interessant machte. Aus der neuen leistungsorientierten Vergleichbarkeit formte sich eine „Rekordjagd“ unter den Sportlern, die eine mediale Glorifizierung derer zur Folge hatte.
Bezüglich des Schönheitsideals entwickelte sich mit dem Aufschwung des Sports eine Jugendbewegung. Dementsprechend erfuhr der Körper eine Aufwertung und das moderne Körperideal orientierte sich an den durchtrainierten Körpern der Antike (vgl. Kläber 2013: 114). Im Zusammenspiel mit den glorifizierenden Medien[12] entwickelte sich der Kraftsport zur Trendsportart und der muskulös definierte Körper zum Ideal.
Henke et Scheele (1995: 16) sehen beispielsweise im antiken Helden Herkules einen Körper, „der durchtrainiert und athletisch nicht nur ein erstrebenswertes Ideal für Griechen und Römer war, sondern auch in der Renaissance ein neues Aufblühen fand und schließlich in unserer Gegenwart ein zu erreichendes Vorbild […] ist.
2.2 Trendsportarten im Kraftsport
Als Keimzelle des Kraftsports zur Körpermodellierung beziehungsweise zum Erlangen des modernen Schönheitsideals darf das Bodybuilding angesehen werden: Seinen Ursprung findet es im Zirkus, wo die Artisten zur Unterhaltung der Zuschauer über ihren eigentlichen Einlagen auch im körperoptischen Bereich beeindrucken wollten. Vorreiter in Sachen Vermarktung war Eugen Sandow[13]. Er ließ sich über die Fotografie in vielen Zeitschriften und auf Postern abdrucken und erreichte so überaus schnell einen hohen Bekanntheitsgrad. Dutton (1995: 124f) neigt sogar zu folgender Aussage: „By the beginning of the twentieth century, Eugen Sandow was one of the best known men in the world. Perhaps just as significantly, he was the possessor of the world’s best known body.”
In seiner weiteren Geschichte erhielt das Bodybuilding durch weitere schillernde Persönlichkeiten wie Arnold Schwarzenegger oder Lou Ferringo, die ihren Körper auch in renommierten Filmen zur Schau stellten, eine großen Zulauf und erlangte immer mehr Popularität.
Nichtsdestotrotz spaltete sich das traditionelle Bodybuilding mit dem immer größer werdenden Zulauf im Sinne der Ausdifferenzierungs-Theorie moderner Gesellschaften (vgl. Kläber 2013: 54-67) in weitere kleinere Kraftsportarten. Anzuführen sind hierbei das Gewichtheben, der Kraftdreikampf und neu aufkommende Fitness-Sportarten. Diese nehmen in der von Dilger (2008: 245) entwickelten Einteilung der Entwicklung der Fitness-Branche in Deutschland insofern eine bedeutsame Stellung ein, als dass sie der seit 1990 einsetzenden Gesundheitsphase das dominante Milieu darstellen (vgl. Tab. 2).
Entsprechend des Gesundheitsaufschwungs hat sich laut Wedemeyer (1999: 408f) das Körperideal auch leicht vom überdurchschnittlich muskulösen Bodybuilder zu einem „fitte[n], durchtrainierte[n] Körper“ gewandelt. Deshalb ist in Anbetracht der Zielsetzung dieser Arbeit eine dem Körperideal am ehesten entsprechenden Kraftsportart zu betrachten und somit das Gewichtheben bzw. der Kraftdreikampf zu vernachlässigen. Stattdessen ist für den geplanten Vergleich zweier Kraftsportarten die Ursprungsform des klassischen Bodybuildings und eine Fitness-Sportart zu wählen. Unter dem Fitness-Boom in Deutschland (vgl. Kläber 2013: 176) hat sich mit dem Crossfit dabei eine noch relativ junge Sportart entwickelt, die dennoch zahlreiche Anhänger gewonnen hat und bereits mit eigenen Wettkämpfen auf sich aufmerksam machen konnte.
Im weiteren Verlauf soll deshalb genauer auf den klassischen Kraftsport Bodybuilding und die Fitness-Sportart CrossFit eingegangen werden.
2.3 Bodybuilding – Keimzelle des Kraftsports
Weider (1991: 21) definiert das Bodybuilding in seinem Werk „Joe Weider’s Bodybuilding“ folgendermaßen:
Was ist Bodybuilding? Gewichttraining ist ein Überbegriff für Übungen, bei denen unter Verwendung verschiedener Geräte Widerstand überwunden wird. Diese Geräte könne entweder freie Gewichte (Langhanteln, Kurzhanteln u. ä.) oder Maschinen sein. Der zu überwindende Widerstand belastet die Muskeln in hohem Maße – man spricht von Überlastung. Ein Skelettmuskel reagiert mit der Mehrbelastung mit Hypertrophie (einer Verbesserung von Kraft, Tonus und Masse der betreffenden Muskelgruppe).
International hat sich für das wettkampforientierte Bodybuilding dabei mit der IFBB [14] ein weltweit agierender Dachverband gebildet, der sich auf nationaler Ebene in kleinere lokale Verbände aufgliedert. In Deutschland ist beispielsweise der DBFV [15] dem IFBB untergeordnet und sorgt für die Ausrichtung nationaler Wettkämpfe. Mit der weltweiten Vergleichsmöglichkeit der Athleten untereinander auf bedeutenden Wettkämpfen wie dem Mr. Olympia oder Mr. Universe und dem korrelierendem Streben nach immer mehr Masse[16] bildete sich nach Kläber (2013: 197ff) eine Hardcore-Szene unter den Profibodybuildern aus. Da deren Körperideal durch den überdurchschnittlichen Gebrauch von anabolen Doping-Substanzen in alles andere als dem allgemeinen Schönheitsideal entsprechende Ästhetik abgedriftet ist, soll im weiteren Verlauf des Kapitels 2.3 lediglich das Natural-Bodybuilding [17] berücksichtigt werden.
2.3.1 Körperideal und Ziele
Zur Identifizierung der Ziele, die ein Kraftsportler mit dem Bodybuilding verfolgt, können vorrangig die Bewertungskriterien auf internationalen Bodybuildingwettkämpfen als Referenz dienen. Der DBFV gibt dementsprechend in seinen Bewertungsrichtlinien an, die Athleten müssten eine möglichst „gleichmäßige Muskelentwicklung, Muskulosität, Muskelteilung, Proportion, sportlich-athletische Erscheinung, […] Symmetrie, […] [und] Harmonie“ (www.dbfv.de) aufweisen, um eine gute Platzierung zu erreichen.
[...]
[1] Kant, Immanuel: bedeutender Philosoph im Zeitalter der Aufklärung; zu Leben und Werk vgl. Höffe (2014)
[2] Ästhetik: griechisch für Lehre der Wahrnehmung bzw. des Schönen
[3] Gemeint ist das Zeitalter von 2000 – 146 v.Chr., in dem das unabhängige sog. „antike Griechenland“ durch berühmte und fortschrittliche Wissenschaftler bzw. Philosophen eine kulturelle und politische Vorreiterschaft in der Welt einnahm; für genaueres vgl. Schuller (2002)
[4] „Gladiatoren waren im alten Rom Zweikämpfer, die in speziellen Schulen (ludi) trainiert haben, und zur öffentlichen Unterhaltung bereit waren, in verschiedenen Formen des Fechtens ihr Leben aufs Spiel zu setzen.“ (Krüger 2003: 156)
[5] für eine beispielhafte Darstellung vgl. Abb. 1
[6] ästhetisch im Sinne von „schön“ bzw. „dem Körperideal entsprechend“
[7] für genaueres zu Seneca bzgl. Leben und Werk vgl. Appelt et Seneca (2010)
[8] streng hierarchische Gesellschaftsordnung, vgl. Abb.2
[9] Boccaccio, Giovanni: italienischer Dichter und Schriftsteller im 14. Jhdt.
[10] Rubensfigur: vollschlanke, beleibte Person vgl. Abb. 3
[11] Die Aufklärung (1600-1800 n.Chr.) ist nach Kant der Prozess des Menschen, sich wieder seines eigenen Verstandes zu bedienen und dementsprechend rational und individuell zu handeln
[12] vgl. heutige Inszenierungen der Körper auf sozialen Netzwerken (bspw. Instagram)
[13] Sandow, Eugen (1867-1925): Bodybuilding-„Superstar“ und Wegbereiter seiner Zeit
[14] International Federation of Bodybuilding
[15] Deutscher Bodybuilding- und Fitnessverband
[16] sog. „Muskeldysmorphie“; für weiter Erläuterungen vgl. Benson (2013: 88ff)
[17] zur weiteren Begriffsdifferenzierung vgl. Kläber (2013: 199)