E. T. A. Hoffmanns "Das Fräulein von Scuderi". Die erste literarische Detektivfigur?


Hausarbeit, 2013

20 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Literarhistorische Hintergründe
2.1 Entwicklung der Kriminalgeschichte im 18. Jahrhundert
2.2 E. T. A. Hoffmann – Künstler und Jurist

3 Die klassische Detektiverzählung und ihre Ermittlerfigur
3.1 Merkmale der Detektiverzählung
3.2 Merkmale der Detektivfigur

4 Das Fräulein von Scuderi als Detektivfigur
4.1 Das Fräulein von Scuderi als Detektiverzählung
4.2 Die Rolle des Fräuleins von Scuderi in der Novelle

5 Fazit

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

In der literaturwissenschaftlichen bzw. literaturgeschichtlichen Forschung wird die Frage nach der ersten Detektiverzählung und damit auch nach der ersten Detektivfigur kontrovers diskutiert. Neben E. A. Poes Auguste Dupin ist auch E. T. A. Hoffmanns Fräulein von Scuderi eine potentielle Kandidatin für die erste literarische Detektivfigur. Anschließend an diese Kontroverse wird im Kurs 03540 zum Thema Kriminalanthropologie im Rahmen der Erläuterungen zur Novelle Das Fräulein von Scuderi kurz die Frage thematisiert, ob jenes titelgebende Fräulein als Prototyp einer Ermittlerfigur gelten kann.[1] An diese Frage knüpft die vorliegende Hausarbeit an.

Zunächst gibt ein einleitendes Kapitel Einblicke in die literarische Entwicklung im 18. Jahrhundert und das in dieser Zeit entstehende Interesse an kriminologischen Erzählungen. Daran schließt sich eine Erläuterung zu E. T. A. Hoffmanns literarischer Auseinandersetzung mit Kriminal- und Justizfällen unter Berücksichtigung seiner Doppelrolle als Jurist und Künstler an. Im nächsten Schritt werden die inhaltlichen und stilistischen Merkmale einer typischen Detektiverzählung ausgearbeitet. Ebenso werden die relevanten Qualitäten einer Ermittlerpersönlichkeit herausgestellt. Abschließend werden die in den vorhergehenden Punkten erarbeiteten Ergebnisse mit dem Werk Das Fräulein von Scuderi verglichen und geben somit eine Antwort auf die themengebende Fragestellung: Kann E. T. A. Hoffmanns Fräulein von Scuderi bereits als Detektivfigur gelten oder ist sie davon noch zu weit entfernt?

2 Literarhistorische Hintergründe

2.1 Entwicklung der Kriminalgeschichte im 18. Jahrhundert

Wegbereitend für die Entwicklung der literarischen Beschäftigung mit Kriminalfällen war mit Sicherheit François Gayot de Pitaval (1673 – 1743), der als Advokat zunächst am Gericht in Lyon, später am Parlamentsgerichtshof in Paris beschäftigt war. Daneben betätigte er sich als Autor: In seinen Causes célèbres et intéressantes stellte er ungewöhnliche Kriminalfälle vor und gab den zugrunde liegenden Prozessakten dazu eine literarische Form, wozu nicht nur eine Umstrukturierung, sondern durchaus auch kleinere inhaltliche Änderungen zählten.[2] Nach E. Marsch sind die Erzählungen in Pitavals Werk darum „adressierte, nicht mehr lediglich nur protokollarisch berichtende Literatur.“[3] Gegen Ende des 18. Jhdts. gibt es auch in Deutschland viele Juristen, die Sammlungen von außergewöhnlichen Kriminalfälle anlegen.[4]

Das Interesse des Publikums ist allerdings zunehmend auf die Person des Verbrechers und weniger auf den Prozesshergang gerichtet, der in den frühen Texten noch die größte Rolle spielte. Dadurch wird eine Verlagerung des Schwerpunktes innerhalb der Erzählungen notwendig; den Fragen nach der Biographie des Täters oder den Tatmotiven wird mehr Platz eingeräumt. Wo diese Fragen aber durch die Akten nicht hinreichend beantwortet werden können, nutzen die Autoren ihre Fantasie.[5] Für E. Marsch ist dies der Punkt, an dem die Kriminalgeschichte ihren Ursprung findet: „Über diese zu füllenden 'Leerstellen' ist die 'Criminalgeschichte' auf der Grenze zwischen 'wahrer Geschichte' und erdichteter Erzählung entstanden.“[6]

Auch E. T. A. Hoffmann griff bei manchen seiner Werke und mit Sicherheit bei der Arbeit an Das Fräulein von Scuderi auf die Causes célèbres et interessantes zurück, denen die Geschichte der Giftmordserie um die Marquise de Brinvillier entnommen ist.[7] Er benutzt diesen Fall aber lediglich, um einen Eindruck von der Stadt und der Gesellschaft zu geben und entwickelt das Hauptthema größtenteils fiktiv. Hoffmann ist hier also schon einen Schritt weiter als Pitaval und die anderen Autoren, die wahre Kriminalfälle lediglich mit fiktiven Elementen anreicherten. Das Interesse seiner Leser dürfte jedoch das gleiche Interesse sein, das auch Pitavals Leser zur Lektüre anregte: Ihnen geht es um nicht weniger als einen Einblick in die Seele eines Verbrechers.

2.2 E. T. A. Hoffmann – Künstler und Jurist

E. T. A. Hoffmann ist heute hauptsächlich als Schriftsteller, eventuell noch als Musiker bekannt. Jedoch blieb die Kunst in der längsten Zeit seines Lebens nur eine Nebenbeschäftigung; hauptberuflich arbeitete Hoffmann, abgesehen von den Jahren 1808 bis 1814, im Justizwesen. Obwohl er das Jurastudium eher aus Pflichtbewusstsein denn aus großem persönlichem Interesse absolvierte,[8] schloss er es mit exzellenten Noten ab und überzeugte auch an seinen ersten Arbeitsstellen derart, dass er 1800 für eine Ratskarriere vorgeschlagen und zum Assessor ernannt wurde. Zuerst in Posen und Plock, später in Warschau und nach dem Ende der napoleonischen Kriege in Berlin war Hoffmann als Richter tätig; 1819 wurde er sogar in die „Immediat-Untersuchung-Kommission“ (IUK) berufen. Diese wurde nach den Karlsbader Beschlüssen vom August 1819 gegründet und war „als Untersuchungsgericht konzipiert“;[9] offiziell war es die Aufgabe der Kommission, die Untersuchungen zu den vorgeworfenen Straftaten zu leiten und entsprechend entweder die Beschuldigten freizulassen oder die Empfehlung zu geben, den Fall vor einem ordentlichen Strafgericht weiter zu verfolgen. Obwohl ihnen schnell bewusst wurde, dass die IUK nur als „juristisches Deckmäntelchen für politische Willkür“[10] dienen sollte, gingen die Richter ihrer Aufgabe gesetzesgetreu nach und entließen damit den größten Teil der Beschuldigten wieder aus der Haft, da keine strafrechtlich relevanten Tatbestände vorlagen.[11]

Hoffmann war von der Lehre Immanuel Kants und Anselm Feuerbachs geprägt. Seine rechtstheoretischen Grundlagen fasst H. Mangold folgendermaßen zusammen:

„1. Der Mensch ist ein freies und selbstverantwortliches Wesen und verantwortlich für sein Handeln und dessen Konsequenzen. 2. Die Strafandrohung ist ein Appell an die Vernunft, im Wissen um die üble Folge der Tat auf deren Realisierung zu verzichten. Wer diesen Appell überhört, trägt die Verantwortung. 3. Einem solchen Menschenbild kann nur eine Gesellschaftsordnung gerecht werden, die ihren Bürgern Gleichheit vor dem Gesetz, bürgerliche Freiheiten und Selbstständigkeit gewährt.“[12]

Die Eigenverantwortlichkeit jedes Individuums war für Hoffmann also grundlegend. Seiner Überzeugung nach ist jeder Mensch selbst verantwortlich für seine Taten und muss sich bei Gesetzesverstößen dem Urteilsspruch eines Gerichtes beugen; jedoch kann niemand bestraft werden, der nicht ein geltendes Gesetz gebrochen hat. Dies verhindert Verurteilungen nach Gesinnung oder einfach wegen von der Norm abweichendem Verhalten.[13]

Den repressiven Tendenzen seiner Zeit, in der unter anderem im Zuge der Karlsbader Beschlüsse oppositionelle Meinungen von den Herrschenden unterdrückt und viele Rechte eingeschränkt oder ganz aufgehoben wurden, stand Hoffmann demzufolge kritisch gegenüber. Auch wenn seine Erfahrungen aus der Immediat-Untersuchung-Kommission nicht in Das Fräulein von Scuderi einflossen, da diese Novelle bereits ein Jahr zuvor entstand, so zeichnet Hoffmann doch in seiner Erzählung im Mantel des französischen Absolutismus ein besorgniserregendes Bild des preußischen Polizei- und Justizwesens.[14] In diesem System hat ein Unschuldiger wie Olivier kaum eine Chance, aus den Fängen der Justiz zu entkommen, wenn sie ihn einmal im Verdacht hat.

Dass es sich bei der Novelle wirklich um eine versteckte Kritik an den herrschenden Verhältnissen zu Hoffmanns Zeiten handelt, wird deutlich durch die Rechtsordnung, auf die zugegriffen wird: Es handelt sich hierbei um „die preußische Kriminalordnung von 1805, die [...] dem Berliner Richter Hoffmann als Arbeitsgrundlage diente.“[15] Sie wird jedoch von den Antipoden Scuderi und la Regnie in unterschiedlicher Weise verwendet, um die Wahrheit herauszufinden und dem Gesetz Geltung zu verschaffen. Die Scuderi erscheint hierbei als „Idealfigur romantischer Staatsauffassung“;[16] wie W. Freund darlegt, ist sie die Mittlerin zwischen Individuellem und Sozialen, die letztendlich Versöhnung zwischen den beiden Polen schaffen kann.[17] Hier wird allerdings der utopische Charakter der Novelle deutlich; durch ihr märchenhaftes Ende[18] markiert Hoffmann klar, dass er in der Realität noch keine Voraussetzungen für eine Veränderung der realen Bedingungen in diese Richtung sieht.[19]

3 Die klassische Detektiverzählung und ihre Ermittlerfigur

Zunächst ein kleiner Einschub zu den verwendeten Begrifflichkeiten: In der Forschungsliteratur findet sich eine Vielzahl von konkurrierenden terminologischen Auffassungen über den Kriminal- bzw. Detektivroman. Im Rahmen dieser Hausarbeit ist eine ausführliche Diskussion dieser Termini leider nicht möglich. Daher beziehe ich mich auf die Definition des Detektivromans, wie sie im Metzler Lexikon Literatur zu finden ist:

„Form des Kriminalromans, in der nicht die innere oder äußere Geschichte eines Verbrechers oder der Hergang eines Verbrechens, sondern dessen schrittweise Aufklärung und Aufdeckung durch einen privaten oder professionellen Ermittler, den Detektiv, erzählt wird. Dieses Erzählmodell schafft eine rückwärts gerichtete analytische Narration, mit dem Ziel, die vor der Ermittlung liegende Zeit [...] mit Hilfe von Zeugenaussagen, Spuren und Indizien zu rekonstruieren und schließlich als restlos geklärte Ereigniskette zu präsentieren. Das auf Spannung hin kalkulierte Erzählschema setzt mit einem ungeklärten rätselhaften Verbrechen ein, konfrontiert Detektiv und Leser innerhalb der Fahndung mit Spuren und Hinweisen (Clues), Verdächtigen und falschen Fährten (Red Herrings) und mündet in die Aufklärungsphase, in der der Detektiv mittels logischer oder intuitiver Analyse zur Aufhellung des Geschehens und Überführung des Täters gelangt.“[20]

Die verschiedenen Autoren der Sekundärliteratur zu diesem Thema benutzen unterschiedliche Begrifflichkeiten und definieren diese jeweils selbst. Ich habe mich an den Definitionen orientiert und entsprechend nur die Informationen verwendet, die sich auf Texte beziehen, die auch in der oben genannten Definition des Metzler Lexikons Literatur eingeschlossen sind. Um Missverständnisse zu vermeiden, benutze ich in dieser Hausarbeit den Terminus Detektiverzählung.

[...]


[1] Vgl. Joachim Linder: Kriminalanthropologie. Repräsentation von Kriminalität und Strafverfolgung in der Literatur. Hagen 2009, S. 68.

[2] Vgl. Edgar Marsch: Die Kriminalerzählung. Theorie, Geschichte, Analyse. München: Winkler 1972, S. 91–92.

[3] Ebd., S. 92.

[4] Vgl. ebd., S. 90.

[5] Vgl. ebd., S. 95.

[6] Ebd.

[7] Vgl. Rainer Schönhaar: Novelle und Kriminalschema. Ein Strukturmodell deutscher Erzählkunst um 1800. Bad Homburg v. d. H., Berlin, Zürich: Gehlen 1969, S. 60.

[8] Vgl. Hartmut Mangold: E. T. A. Hoffmann als Jurist. Künstler vs. Konvention, Citoyen vs. Staatsmacht. In: E.T.A. Hoffmann. Leben, Werk, Wirkung. Hg. v. Detlef Kremer. Berlin: De Gruyter 2009, S. 467–480, S. 468.

[9] Ebd., S. 475.

[10] Ebd.

[11] Vgl. ebd.

[12] Ebd., S. 469.

[13] Vgl. ebd., S. 473.

[14] Vgl. Winfried Freund: E. T. A. Hoffmann: Das Fräulein von Scuderi. In: Die deutsche Kriminalnovelle von Schiller bis Hauptmann. Einzelanalysen unter sozialgeschichtlichen und didaktischen Aspekten. Hg. v. Winfried Freund. Paderborn: Schöningh 1980, S. 43–53, S. 43–46.

[15] Thomas Weitin: Das Fräulein von Scuderi. In: E.T.A. Hoffmann. Leben, Werk, Wirkung. Hg. v. Detlef Kremer. Berlin: De Gruyter 2009, S. 316–324, S. 322.

[16] Freund: E. T. A. Hoffmann: Das Fräulein von Scuderi, S. 52.

[17] Vgl. ebd.

[18] Vgl. E. T. A. Hoffmann: Das Fräulein von Scuderi. In: Sämtliche Werke. Hg. v. Hartmut Steinecke u. Wulf Segebrecht. Bd. 4. Frankfurt a. M.: Deutscher Klassiker Verlag 2001, S. 780–853, S. 852–853.

[19] Vgl. Freund: E. T. A. Hoffmann: Das Fräulein von Scuderi, S. 53.

[20] Mirko F. Schmidt: Detektivroman. In: Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen. Hg. v. Dieter Burdorf, Christoph Fasbender u. Burkhard Moenninghoff. Stuttgart, Weimar: J. B. Metzler 2007, S. 146.

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Details

Titel
E. T. A. Hoffmanns "Das Fräulein von Scuderi". Die erste literarische Detektivfigur?
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Institut für neuere deutsche und europäische Literatur)
Note
2,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
20
Katalognummer
V446880
ISBN (eBook)
9783668827929
ISBN (Buch)
9783668827936
Sprache
Deutsch
Schlagworte
E. T. A. Hoffmann, Das Fräulein von Scuderi, Kriminalroman, Detektivroman, Detektivfigur, Romantik, Kriminalgeschichte, Literatur
Arbeit zitieren
Clarissa Grygier (Autor:in), 2013, E. T. A. Hoffmanns "Das Fräulein von Scuderi". Die erste literarische Detektivfigur?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/446880

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