Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Psychische Erkrankungen
2.1 Einteilung psychischer Erkrankungen nach dem ICD-10
2.2 Diagnose und Klassifikation
2.3 Einstufung nach Schweregrad der Erkrankung
2.4 Auswirkungen psychischer Erkrankungen auf die Lebensgestaltung Betroffener
2.4.1 Suizidalität
2.4.2 Fremdgefährdung
2.4.3 Sozialverhalten
2.4.4 Arbeitsfähigkeit
3. Selbstbestimmung
3.1. Was ist Selbstbestimmung?
3.1.1. rechtliche Grundlagen
3.1.2. Psychologische Sichtweise am Beispiel des „humanistischen Menschenbildes nach C. Rogers“
3.2. Grenzen der Selbstbestimmung psychisch Erkrankter
3.2.1. Selbstbestimmung bei Selbstgefährdung / Suizidalität
4. Schluss
5. Abbildungsverzeichnis
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Eine psychische Erkrankung ist eine einschneidende Belastung für die Betroffenen. Durch die komplizierte Diagnostik und die unterschiedlichen Krankheitsverläufe werden viele Erkrankungen nicht erkannt oder nicht richtig behandelt. Um dies zu verhindern wurde der ICD-10 eingeführt.
Eine psychische Erkrankung wirkt sich jedoch nicht nur auf das eigene Befinden sondern auch auf das gesellschaftliche Miteinander, das Sozialverhalten und die Persönlichkeit aus. Die Schwierigkeiten werden im Folgenden erläutert.
Außerdem spielt das geltende Recht eine erhebliche Rolle bei der Therapie Betroffener, da oft gegen ihren Willen gehandelt werden muss, was viele ethische Fragestellungen über die Selbstbestimmung des Erkrankten aufwirft.
2. Psychische Erkrankungen
2.1 Einteilung psychischer Erkrankungen nach dem ICD-10
Der ICD-10, der von der WHO zusammengestellt wurde, ist dazu da, Krankheiten zu klassifizieren und Diagnosen zu verschlüsseln. ICD-10 steht hierbei für „International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems“, die 10 weist darauf hin, dass es die zehnte Ausgabe ist. Der ICD-10 wird zur Verschlüsselung von Todesursachen und vor allem zur Verschlüsselung der Diagnosen in der ambulanten und stationären Behandlung verwendet.1
Der ICD-10 ist gegliedert in 22 Kapitel, Kapitel V mit den Kennnummern F00 bis F99 bezeichnet die psychischen Störungen und Verhaltensstörungen. Die einzelnen Erkrankungen werden hierbei nochmals in Untergruppen unterteilt:
F00 bis F09: Organische, einschließlich symptomatische psychische Störungen
Hierzu zählen beispielsweise die verschiedenen Arten der Demenz, Delirien, Amnesien, Angststörungen und Halluzinationen, die auf organische Störungen des Gehirns zurückzuführen sind (und ohne Drogenmissbrauch zu Stande gekommen sind).
F10 bis F19: Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen
In diese Kategorie fallen alle Störungen, die Aufgrund von Drogenmissbrauch entstanden sind. Zu den Drogen zählen hierbei auch Alkohol, Tabak, Koffein, Sedativa und Hypnotika. Zu den Krankheitsbildern zählen unter anderem akute Intoxikation, Abhängigkeitsund Entzugssyndrome, amnestische Syndrome und psychotische Störungen.
F20 bis F29: Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen
Zu dieser Gruppe gehören, wie der Name schon sagt, vor allem schizophrene Störungen, wahnhafte Störungen, psychotische Störungen und schizoaffektive Störungen.
F30 bis F39: Affektive Störungen
In die Gruppe der affektiven Störungen fallen unter Anderem manische Episoden, depressive und bipolare Störungen. Diese Störungen treten meistens episodisch auf und die Patienten erleiden sehr oft Rückfälle, zum Beispiel in belastenden Situationen.
F40 bis F49: Neurotische, Belastungsund somatoforme Störungen
Hierzu zählen vor allem Angststörungen, Zwangsstörungen, dissoziative und somatoforme Störungen, Anpassungsstörungen und sämtliche weitere neurotische Störungen. Ausgenommen sind hier die Störungen, die in Begleitung von einer Störung des Sozialverhaltens auftreten. Diese werden unter F91 bis F92 kategorisiert.
F50 bis F59: Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren
In diese Kategorie fallen unter anderem Essstörungen, nichtorganische Schlafstörungen, sexuelle Funktionsstörungen ohne organische Ursache, Verhaltensstörungen im Wochenbett und schädlicher Gebrauch von Substanzen, die keine Abhängigkeit hervorrufen (zum Beispiel Naturheilmittel, Vitamine oder Laxantien).
F60 bis F69: Persönlichkeitsund Verhaltensstörungen
Zu dieser Gruppe gehören Persönlichkeitsstörungen, abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle sowie Störungen der Geschlechtsidentität und Sexualpräferenz. Diese Persönlichkeitsstörungen und Persönlichkeitsänderungen beginnen meistens schon früh in der Kindheit und ziehen sich als starre Verhaltensmuster durch das komplette Leben des Patienten. Sie sind tief verwurzelt und bilden den Charakter und den individuellen Lebensstil.
F70 bis F79: Intelligenzstörungen
Die Intelligenzstörung ist eine Entwicklungsstörung, durch die die Patienten zum Beispiel kognitiv, sprachlich oder motorisch nicht weit entwickelt sind. Solche Störungen werden anhand von Intelligenztests und mit der Beurteilung eines Arztes erkannt. Die Faktoren 70 bis 79 bezeichnen den Schweregrad der Intelligenzminderung. Die Intelligenzstörungen lassen sich oft rehabilitieren, deshalb ist es wichtig, dass die Diagnose sorgfältig gestellt wurde. Sie sollte auch regelmäßig überprüft werden, falls der Zustand des Patienten sich verbessert, um ihn nicht unnötig zu stigmatisieren.
F80 bis F89: Entwicklungsstörungen
Die Entwicklungsstörungen haben ihren Ursprung ausnahmslos in der frühen Kindheit und werden meist mit zunehmendem Alter vermindert. Die Störungen hängen eng mit der körperlichen Entwicklung und der Entwicklung des zentralen Nervensystems zusammen. Zu diesen Störungen zählen beispielsweise Autismus, Sprachstörungen, Rechenoder Lese-/Rechtschreibstörungen sowie Störungen der Motorik.
F90 bis F98: Verhaltensund emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend
Zu diesen Verhaltensund emotionalen Störungen gehören Aktivitätsund Aufmerksamkeitsstörungen, Störungen des Sozialverhaltens oder der Emotionen, Bindungsstörungen und Ticstörungen.
F99: Nicht näher bezeichnete psychische Störungen
Darunter fallen sämtliche psychische Störungen, die mit den vorangegangenen ICD-10-Codes nicht beschrieben werden können2.
2.2 Diagnose und Klassifikation
Die Diagnostik bei psychischen Erkrankungen ist pluridimensional aufgebaut, das heißt es werden viele verschiedene Faktoren miteinbezogen. Bei der Diagnose wird die Biographie des Patienten untersucht, mögliche einschneidende und psychisch belastende Erlebnisse sind hierbei genauso wichtig wie die momentane Situation. Organische Ursachen wie beispielsweise Hirnfunktionsstörungen oder genetisch bedingte Vorbelastungen müssen genauso wie der individuelle Charakter und die Persönlichkeitsstruktur des Patienten erfasst werden, da all diese Faktoren eine psychische Störung beeinflussen oder gar auslösen können. Das macht die Diagnose sehr schwierig und fordert vom Diagnostiker nicht nur naturwissenschaftliches Denken, sondern auch sozialwissenschaftliches und psychoanalytisches Einfühlungsvermögen. Bei den meisten psychischen Störungen wird deshalb zuerst eine sogenannte „vorläufige“ Diagnose erstellt, auf die dann die Therapie angepasst wird. Dadurch, dass im weiteren Therapieverlauf immer neue medizinische Befunde und Verlaufsbeobachtungen gemacht werden, kann die Diagnose erst im Verlauf der Therapie vervollständigt werden. Die Diagnose einer psychischen Störung ist somit hochkomplex und setzt beim Diagnostiker ein großes Interesse am Patienten und viel Erfahrung voraus. Bei der Diagnose ist beobachtbar, dass viele verschiedene Faktoren die Krankheit beeinflussen und somit viele verschiedene Ursachen oft zu einer Störung führen.
Bei der Klassifikation (nach ICD-10 oder DSM) hingegen spielt der individuelle Charakter des Patienten keine Rolle. Die Klassifikation ist dazu da, Patientenstatistiken zu erstellen und um die wissenschaftliche Forschung zu vereinfachen. So können gezielte Patientenstichproben genommen werden und man kann international zu einem Konsens über die Krankheiten kommen. Die Klassifikation wird auch Kriteriologie genannt, da hierbei für jede Krankheit verschiedene Kriterien gelten, die an Hand der Symptome zugeteilt werden. Wenn eine bestimmte Anzahl der Kriterien erfüllt ist, hat der Patient also eine bestimmte Krankheit. Somit ist es wichtig, dass man Klassifikation und Diagnose eines Patienten nicht gleichsetzt. Die Klassifikation ist meist erst nach der vollständigen Diagnose, also während die Therapie schon in Gang ist oder gar schon beendet wurde, möglich, da am Anfang der Therapie die meisten Symptome noch nicht erkennbar oder nicht stark genug ausgeprägt sind. Wenn nur die Klassifikation aber nicht die Diagnose betrachtet wird, kann es durch das Ignorieren der Lebensumstände und Lebenssituation des Patienten zu erheblichen Fehlbehandlungen kommen. Außerdem muss vermieden werden, dass dem Patienten ein „psychiatrisches Etikett“ in Form einer Klassifikation aufgedrückt wird, um einer Stigmatisierung vorzubeugen3.
2.3 Einstufung nach Schweregrad der Erkrankung
Für psychische Erkrankungen gibt es spezielle Kliniken, die ein großes Angebot an Behandlungsmöglichkeiten und eine gute Rund-um-die-Uhr-Betreuung für die Patienten anbieten. Um in einer solchen Klinik stationär aufgenommen zu werden, müssen bestimmte Kriterien erfüllt sein. Bei den Betroffenen, die in diesen Kliniken behandelt werden, handelt es sich um schwer oder chronisch Erkrankte.
Die Kriterien teilen sich auf in A-, Bund C-Kriterien. Es müssen mindestens zwei der Kriterien erfüllt sein, um aufgenommen zu werden. Des Weiteren gelten diese Kriterien, um die Schwere der Erkrankungen einzustufen.
Das A-Kriterium ist dann erfüllt, wenn schwere Erkrankungen bereits diagnostiziert wurden, beispielsweise Essstörungen, Demenzerkrankungen, Angstund Zwangsstörungen, schizotype Störungen, Depressionen oder schwere Persönlichkeitsstörungen.
Das B-Kriterium richtet sich nach den bisherigen Therapieerfolgen. Zu diesem Kriterium gehört die akute Fremdoder Selbstgefährdung des Patienten. Es liegt außerdem vor, wenn ein schwerer Krankheitsverlauf des Patienten vorliegt, wenn vorherige ambulante oder stationäre Aufenthalte nicht erfolgreich waren oder wenn ein akuter Notfall vorliegt.
Das C-Kriterium gibt Auskunft über die Dauer der Erkrankung. Es ist erfüllt, wenn die Erkrankung seit 6 Monaten chronisch ist oder bei episodischen Erkrankungen, bei denen die letzte Episode in den vergangenen 2 Jahren stattgefunden hat4.
2.4 Auswirkungen psychischer Erkrankungen auf die Lebensgestaltung Betroffener
2.4.1 Suizidalität
Ca. 90 % der Suizide stehen in Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen, vor allem bei Depressionen, Angststörungen, affektiven oder schizophrenen Psychosen. Deshalb kann man von diesen Suiziden nicht unbedingt davon sprechen, dass sie aus freiem Wille begangen wurden, da die objektive Sicht auf die eigene Situation durch die Krankheit stark beeinträchtigt wird. Dabei haben alle Selbstmörder gemeinsam, dass die Situation für sie hoffnungslos und ausweglos erscheint, wobei der Suizid als einzige Lösung angesehen wird. Besonders gefährdet sind Jugendliche in der Pubertät, da sich Probleme mit den Eltern ergeben, Konflikte bei der Loslösung vom Elternhaus beispielsweise. Außerdem tendieren Jugendliche zu einer hohen Risikobereitschaft und haben vergleichsweise wenig Lebenserfahrung und meist noch Probleme mit der sozialen Verankerung.
Suizidversuche gibt es um ein Vielfaches mehr als vollendete Suizide, das liegt daran, dass oft weiche Methoden verwendet werden, wie zum Beispiel Vergiftungen mit Medikamenten oder Schlafmitteln. Die gefährdeten Personen handeln meistens unter Alkoholeinfluss, da sie sich Mut antrinken müssen, um die Tat zu begehen. Auch wenn diese Methoden oft zum Scheitern verurteilt sind, muss man die Suizidalität ernst nehmen. Nach einem Suizidversuch ist es wichtig, dass die betreffende Person weiterhin in psychiatrischer Behandlung bleibt und eine mögliche zugrunde liegende psychische Erkrankung diagnostiziert und behandelt wird, um die Suizidalität zu senken und weiteren Suizidversuchen vorzubeugen.
Neben dem tatsächlichen Suizid gibt es auch noch den sogenannten chronischen Suizid. Dieser bezeichnet ein selbstschädigendes Verhalten, das auf Dauer zum Tod führt, zum Beispiel bei Magersucht, Drogenmissbrauch oder Alkoholabhängigkeit, aber auch extremes Risikoverhalten. Den Betroffenen ist meist nicht bewusst, dass ihr Verhalten auf Dauer den Körper irreparabel schädigen und tödlich enden kann5.
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1 Vgl. Dr. med. Graubner, B.: ICD-10-GM 2011: Systematisches Verzeichnis, 2010: Deutscher Arzte-Verlag.
2 Vgl. http://www.dimdi.de/static/de/klassi/diagnosen/icd10/htmlgm2012/index.htm www.dimdi.de, (14.01.2012).
3 Vgl. Schneider, F.: Facharztwissen Psychiatrie und Psychotherapie, Berlin und Heidelberg, 2012: Springer Verlag.
4 Vgl. Wittchen, H. / Hoyer, J.: Klinische Psychologie & Psychotherapie, 2. Auflage, Berlin, Heidelberg, 2011: Springer-Verlag.
5 Vgl. Schneider, F.: Facharztwissen Psychiatrie und Psychotherapie, Berlin und Heidelberg, 2012: Springer Verlag.