Astrid Lindgrens "Pippi Langstrumpf" im Bezug auf die reformpädagogischen Ansätze von Ellen Key und Alexander S. Neill

Zwischen Traum und Wirklichkeit. Reformpädagogik als eine Form von Flucht?


Hausarbeit, 2018

16 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


1. Einleitung

Astrid LindgrensPippi Langstrumpf, eine literarische Figur, die mich schon immer fasziniert hat. Pippi, wild, frech und wunderbar. Doch dahinter steckt doch noch mehr, dennPippi Langstrumpfist auch aus der pädagogischen Sicht definitiv nicht uninteressant. Aber was hat Pippi überhaupt mit Pädagogik und Erziehungswissenschaften zu tun? Besonders aus reformpädagogischer Sicht scheint Astrid LindgrensPippi Langstrumpfnicht irrelevant zu sein.

Dennoch stellt sich die Frage Pippi Langstrumpf und Reformpädagogik wie kongruiert das zusammen? Und in wie weit habenPippi Langstrumpfund die Reformpädagogik noch Bezug zu der Wirklichkeit? Kann Reformpädagogik als eine Art der Flucht betrachtet werden? Diese Fragen sollen in der vorliegenden Arbeit thematisiert werden.

Die Arbeit gliedert sich in mehrere Teile, die im Folgenden genauer beschrieben werden.

Reformpädagogik, ein geläufiger Begriff, den wohl jeder schon einmal gehört hat. Doch was genau verbirgt sich dahinter? Darum soll es im ersten Teil der Hausarbeit gehen. Nach den grundsätzlichen Annahmen der Reformpädagogik, wird auf zwei Vertreter der Reformpädagogik, Ellen Key und Alexander Sutherland Neill, noch genauer eingegangen und die Theorien dieser erläutert.

Im zweiten Teil der Hausarbeit soll nun der Zusammenhang zwischenPippi Langstrumpfund der Reformpädagogik herausgearbeitet werden.

Dazu wird zunächst Astrid Lindgrens Pippi, das freche neunjährige Mädchen mit Sommersprossen im Gesicht, ihren zwei abstehenden Zöpfen, zwei unterschiedlichen Socken und viel zu großen Schuhen, genauer analysiert und es werden erste Bezüge zur Reformpädagogik herausgearbeitet. Zudem wird in diesem Teil der HausarbeitPippi Langstrumpfim Bezug des reformpädagogischen Ansatzes von Ellen Key und von Alexander Sutherland Neill betrachtet.

Im dritten und letzten Teil der Hausarbeit geht es nun um das Verhältnis zwischen Traumwelt und Wirklichkeit. Pippi Langstrumpf, so scheint es dem kindlichen Leser, lebt in einer Traumwelt. Doch flüchtet der Leser durch Astrid Lindgrens Werk in eine Traumwelt? Und was hat Traumwelt und Wirklichkeit mit der Reformpädagogik zu tun? Sind die reformpädagogischen Ansätze „auch nur“ eine illustrierte Traumwelt und fern ab von der Wirklichkeit? Wie viel ‚Realität’ steckt überhaupt in den reformpädagogischen Ansätzen? Ziel der vorliegenden Hausarbeit ist es auf all diese Fragen eine Antwort zu finden und die daraus entstehende zentrale Frage, ob die Reformpädagogik als eine Form der Flucht gesehen werden kann, zu beantworten.

2. Reformpädagogik

Im folgenden Kapitel soll es um die Reformpädagogik gehen.

Der erste Teil dieses Kapitels widmet sich der terminologischen Klärung. Zudem sollen die grundsätzlichen Annahmen der Reformpädagogik dargestellt werden. Danach wird zunächst auf Ellen Keys Pädagogik vom Kinde aus eingegangen und zum Ende dieses Kapitels wird der reformpädagogische Ansatz Alexander Sutherland Neills, der als Vater der antiautoritären Erziehung gilt, kurz vorgestellt.

2.1 Grundsätzliche Annahmen

Eine allgemeingültige Definition für Reformpädagogik im eigentlichen Sinne ist schwer zu verfassen. „Unter der Bezeichnung Reformpädagogik befindet sich eine bunte, uneinheitliche und oftmals auch widersprüchliche Vielfalt von pädagogischen Ansätzen und Konzeptionen zur Erneuerung von Schule und Erziehung.“ (Georg, 2009, S.3)

Wenn heutzutage über Reformpädagogik gesprochen wird, beziehen wir uns meistens auf bestimmte Personen, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Reformpädagogik begründet haben sollen und zudem für einen historischen Aufbruch in der Pädagogik gesorgt haben. Zu diesen Personen zählen unter anderem auch Ellen Key, die als die Begründerin der „Pädagogik vom Kinde aus“ bezeichnet wird und Alexander Sutherland Neill, der als der Vater der antiautoritären Erziehung gilt (vgl. Oelkers, 2010 S.10).

Nach Oelkers „ ... gibt [es] keine bestimmte Theorie, von der die Reformpädagogik ihren Ausgang nahm, sie ist aus keiner Philosophie oder Psychologie abgeleitet worden, sondern entstand praktisch, durch Versuche und deren publizistische Verbreitung.“ (ebd. S.13). Ein genaues Entstehungsdatum gibt es nach Oelkers ebenfalls nicht, allgemein ist jedoch die Zeitspanne 1890 bis 1930 als grobe Orientierung zu nutzen (vgl. ebd., S.12). Wobei Oelkers die Reformpädagogik an sich als ‚Kind der Gründerjahre’ zwischen 1870 und 1890 beschreibt, der Prozess in Deutschland vollzog sich aber aus mehreren Gründen erst verspätet (vgl. Oelkers, 1988, S.189).

Nach Walter Herzog gibt es fünf Kriterien, die die Leitideen der Reformpädagogik widerspiegeln. Als erstes ist hier die ‚Kindorientierung’ zu nennen. Diese meint die Pädagogik vom Kinde aus, das Kind als Mittelpunkt des pädagogischen Handelns. Als nächstes Kriterium ist die ‚Selbsttätigkeit’ zu nennen. Das Kind ist ein aktives Wesen und zur Selbstbestimmung fähig. Konzepte wie Selbstverwaltungen, Selbstregulierung und Selbsterziehung des Kindes sind darin begründbar. Darüberhinaus ist ein weiteres Kriterium die ‚Natürlichkeit’ und die damit einhergehende ‚natürliche Erziehung’. Die Orientierung am Kind ist dabei die Befolgung der Natur. Als ein weiteres Kriterium wird die ‚Ganzheitlichkeit’ angeführt. Das Kind soll immer als ganzheitliches Wesen betrachtet werden, dabei bilden Körper, Seele und Geist eine geschlossene Einheit. Als fünftes und letztes Kriterium nennt Herzog das ‚Erleben’. Die Empfindungen und Erlebnisse, die das Kind prägen, sind dabei von Bedeutung (vgl. Herzog 2013, S.328f).

Neben diesen Kriterien gibt es noch einige bedeutsame Schlagwörter, wie ‚Individualität’, ‚Entwicklung’, ‚Pädagogischer Eros’, ‚Macht und Grenzen der Erziehung’ und ‚Religiosität/Spiritualität’, die oft in Verbindung mit Reformpädagogik gebracht werden (vgl. Keim & Schwerdt 2013, S.30).

2.2. Ellen Keys Pädagogik vom Kinde aus

Ellen Key, geboren 1849 auf Sundshalm, als erstes von acht Kindern und 1926 in Ödeshöng verstorben, gilt als bedeutsame schwedische Reformpädagogin, die vor allem durch ihr Werk (1900)Das Jahrhundert des Kindeseuropaweit bekannt wurde (vgl. Mann 2004, S.7). Mit ihrem Werk sprach sie sich gegen die traditionellen Erziehungsnormen aus und unterbreitete darüberhinaus schulpraktische Vorschläge. Das Werk erweckte sowohl Begeisterung als auch Verärgerung (vgl.Gaare & Sjaastad 2004, S.107f).

Nach Rainer Maria Rike hat Ellen Key die Pädagogik vom Kinde her formuliert (vgl. Mann 2004, S.143). Auch Angelinka Nix nennt Ellen Key in ihrem Werk „die radikalste Vertreterin der Pädagogik vom Kinde aus“. (Nix 2002, S.97)

Als nicht unbedeutsame gedankliche Vorläufer Ellen Keys sind Rousseau, Nietzsche, Gothe und Fröbel zu nennen. Ellen Key verteidigt die Rechte des Kindes und verehrt die ‚Majestät’ des Kindes. Sie sieht das Kind als Hoffnungsträger eine neue Gesellschaft durch den neuen Menschen zu stiften (vgl. ebd., S.98f).

Ellen Key gilt als Vertreterin der Pädagogik des ‚Wachsenlassens’,

„Ruhig und langsam die Natur sich selbst helfen lassen und nur sehen, daß die umgebenden Verhältnisse die Arbeit der Natur unterstützen, das ist Erziehung.“ (Key 1992, S.83; zit. n. Nix 2002, S.99). Ihre Hoffnungen stützt sich auf die Natur des Kindes. Aus diesem Grund fordert sie ein radikales Umdenken im Erziehungsverhältnis des 19. Jahrhunderts (vgl. ebd.).

2.3 Alexander Sutherland Neill als Vater der antiautoritären Erziehung

Alexander Sutherland Neill, geboren 1883 in Schotttland, verstorben 1973 in Suffolk, wuchs als viertes von acht Kindern in einem sehr strengen Elternhaus auf (vgl. Böhm 2005, S.457).

A. S. Neill gilt durch seinen Vorstellungen, dass das Kind sich ohne moralische oder religiöse Belehrungen ‚selbstregieren’ soll, als Vater der antiautoritären Erziehung. Kinder sollen in Freiheit leben und selbstbestimmen, was und wann es ihnen gefällt. Weltweites Interesse erlange er vor allem durch die 1921 gegründete Internatsschule „Summerhill“. A.S. Neills Internatsschule ist geprägt durch eine repressionsfreie Erziehung ohne Autorität und Zwang (vgl. von Schönborn 1995, S.141).

Neill glaubt wie auch Ellen Key an „das Gute im Kind“, an die natürlichen Voraussetzungen des Kindes, das Leben zu lieben und sich für das Leben zu interessieren. In seinen zehn Grundsätzen, die er in seinem bekannten WerkTheorie und Praxis der antiautoritären Erziehungnäher beleuchtet, ist unter anderen der Grundsatz „Freiheit ist nicht Zügellosigkeit“ zu nennen. Mit diesem Grundsatz betont Neill die Achtung vor den Mitmenschen (vgl. Neill 1965, S.14). Das Kind hat somit nicht alle Rechte, sondern die gleichen Rechte wie der Erwachsene (vgl. Nix 2002, S.217).

A. S. Neill gilt zudem als Freudianer und Anhänger Rousseaus1. Wie auch Rousseau ist er „... überzeugt von der natürlichen Gutartigkeit des Kindes, die erst durch die hemmende, einschränkende Erziehung der bürgerlichen Gesellschaft zerstört werde.“ (ebd. S.216f).

3. Reformpädagogik im Bezug auf Astrid Lindgrens Pippi Langstrumpf

In diesem Kapitel soll es darum gehen die Reformpädagogik in Bezug zu Pippi Langstrumpf darzustellen.

Auch hier erfolgt eine Unterteilung des Kapitels in drei Unterthemen. Zunächst wird Astrid Lindgrens Pippi Langstrumpf vorgestellt und es werden erste Bezüge zur Reformpädagogik herausgearbeitet. Danach wird Astrid Lindgrens Pippi Langstrumpf zunächst auf Ellen Keys und dann auf Alexander Sutherland Neills reformpädagogischen Ansatz bezogen.

3.1 Astrid Lindgrens Pippi Langstrumpf

Wer kennt sie nicht? Das rothaarige gewitzte Mädchen, mit dem vollen Namen Pippilotta Viktualia Rullgardina Krusmynta Efraimsdotter Långstrump. Die neunjährige Pippi ist kein gewöhnliches Kind, sie ist mit magischen Fähigkeiten ausgestattet, die es ihr möglich machen, alleine nur mit ihrem Affen und ihrem Pferd, in der Villa Kunterbunt zu leben. Sie lebt nach ihren eigenen Vorstellungen und verwehrt die „traditionelle Sozialisation“ über Erziehung und Bildung (vgl. Nix 2002, S.230ff). „Pippi Långstrump ist aufgrund ihrer übermenschlichen Körperkräfte, ihres unerspöterlichen Reichtums und ihrer Sprachfertigkeit [...] in dieser Welt unanfechtbar“ (ebd. S.232).

Pippi Langstrumpf,das weltweit wohl bekannteste Kinderbuch, entstammt der lebhaften Phantasie Astrid Lindgrens. Nach der Ansicht vieler Rezensenten hat das BuchPippi Langstrumpfeine ‚Revolution im Kinderzimmer’ ausgelöst (vgl. Hinz, S.3). Gleichermaßen, wie die Geschichte der Pippi Langstrumpf ist wohl auch die Entstehungsgeschichte keine Gewöhnliche. Astrid Lindgrens sieben jährige Tochter Karin liegt 1941 mit einer Lungenentzündung im Bett und bittet ihre Mutter ihr eine Geschichte von ‚Pippi Langstrumpf’ zu erzählen, sie hat den Namen in diesem Augenblick erfunden. Auf diese Weise entsteht in einer mündlichen Erzählsituation die außergewöhnliche Pippi Langstrumpf. Bei einem Sturz im Winter 1944 verletzt sich Astrid Lindgren und ist für längere Zeit an ihr Bett gebunden. Diese Zeit nutzt sie um die Geschichte der Pippi Langstrumpf zu verschriftlichen und ihrer Tochter das Manuskript der so genannten ‚Ur-Pippi’ zum zehnten Geburtstag zu schenken. Dieses leitet sie noch 1944 an einen schwedischen Verlag weiter, der dieses aber zunächst ablehnt. Die neuere, abgeschwächte Version reicht sie im August 1945 ein. Die uns bekanntePippi Langstrumpf, die 1945 von Raben & Sjögren gedruckt wurde, stimmt in etwa mit 60 Prozent der ‚Ur-Pippi’ ein (vgl. Nix 2002, S.226ff).

In Deutschland wurde das BuchPippi Langstrumpfnach mehreren Ablehnungen 1949 vom Oetinger Verlag gedruckt 1950 und 1951 folgten die BücherPippi geht an BordundPippi im Taka-Tuka-Land(vgl. Hinz, S.5).

Im pädagogischen Kontext wurde das Buch nicht nur in Deutschland lange umstritten, denn bis dato waren Tugend und Gehorsam geltende Leitziele der Erziehung (vgl. ebd.).

Nach Svenja Blume (Blume, 2001) verkörpert

„(...) die phantastisch starke und wortgewandte Pippi ... das im Sinne der Reformpädagogik "freie Kind" und verhilft einer neuen Form kinderliterarischen Erzählens zum Durchbruch. Propagiert wird nunmehr das "Schreiben vom Kinde aus", welches den unverwechselbaren Ton schwedischer Kinderliteratur bis heute prägt.“

[...]


1Jean-Jacques Rousseau, (1712 -1778) gilt als einer der bedeutendsten Pädagogen der Neuzeit, dessen Einfluss bis in die Gegenwart reicht (vgl. Böhm 2005, S.545)

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Astrid Lindgrens "Pippi Langstrumpf" im Bezug auf die reformpädagogischen Ansätze von Ellen Key und Alexander S. Neill
Untertitel
Zwischen Traum und Wirklichkeit. Reformpädagogik als eine Form von Flucht?
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover
Note
1,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
16
Katalognummer
V456585
ISBN (eBook)
9783668868793
ISBN (Buch)
9783668868809
Sprache
Deutsch
Arbeit zitieren
Judith Strauss (Autor:in), 2018, Astrid Lindgrens "Pippi Langstrumpf" im Bezug auf die reformpädagogischen Ansätze von Ellen Key und Alexander S. Neill, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/456585

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