Seele und Justiz. Die Verschiebung der Macht vom Körper auf die Seele


Term Paper (Advanced seminar), 2014

14 Pages, Grade: 1,7

Anonymous


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1| Einleitung

2| Die Verschiebung
2.1 Von den Leibesmartern
2.2 … zu der Zeitplanung

3| Der Machtbegriff
3.1 Die monarchische Übermacht
3.2 Beachtung der Menschlichkeit

4| Körper als Mittel
4.1 Etablierung des Gefängnisses
4.2 Berühren der Seele

5| Gelehriger Körper
5.1 Verteilung der Individuen
5.2 Kontrolle über Tätigkeiten
5.3 Zusammengesetzte Kräfte

6| Fazit

7| Literaturverzeichnis

1| Einleitung

„Zuletzt hörte man von ihm nur noch einen entsetzlich lauten Schrei. Dann hing er da: leblos, blass, entstellt. Nicht zum ersten Mal stand ich wie eine von vielen in der Masse und beobachtete, wie alle um mich herum auch, das Geschehen. Doch kann ich mit Gewissheit sagen, ich fühlte mich genauso wie beim allerersten Mal: schockiert, verängstigt, machtlos. Und in den Gesichtern der anderen sah ich, dass ich damit nicht allein war. Es fällt nur allzu schwer sich jemals an den letzten Ausdruck seines Antlitz zu gewöhnen...“

Der vorangegangene innere Monolog soll den Einstieg in die Thematik der vorliegenden Abhandlung ein wenig erleichtern. Kurz und bündig, dennoch informativ, wird der Entwicklungsprozess der Strafjustiz hinsichtlich der Zielverschiebung vom Körper auf die Seele dargestellt. Viele historische Ereignisse sind mit jenem Paradigmenwechsel verbunden: Anfangs die Verängstigung des Volkes vor der Macht des Souveräns, die sich später zur Verärgerung entwickelte. Die Wut über die eigene Machtlosigkeit breitete sich aus, wodurch sich Bürger zusammenschlossen und als Revolte ihre unterdrückten Rechte einforderten. Das Rechtssystem versuchte dem Volk mit neuen Ansätzen entgegen zu kommen. Ob nun letztendlich ein vollkommener Ausschluss der Körpers aus dem Strafverfahren für möglich befunden wird, ist die andere Frage. Lässt sich die Seele denn jemals erfassen, ohne auch nur auf irgendeine Weise am Körper zu rühren?

Ein kleiner Überblick über die strukturelle, wie auch inhaltliche Gliederung:

Zu Beginn umreißt das Kapitel „Die Verschiebung“ mithilfe historischer Ereignisse die verschiedenen Strafverfahren zu den jeweiligen Epochen und geht dabei auf die spezifischen Merkmale und Zusammenhänge, wie auch Differenzen ein. Darauf folgt „Der Machtbegriff“, welcher die Ausartung der souveränen Macht veranschaulicht, und den daraus resultierenden Aufstand des Volkes. Der Fokus liegt auf dem Mittel zum Ausgleich der ungleichen Machtverhältnisse. „Der Körper als Mittel“ beinhaltet zum einen den Zweck der Etablierung einer, gar nicht einmal so neuen, Invention namens Gefängnis. Zum anderen soll die Verlagerung des Fokus vom Körper auf die Seele veranschaulicht werden. Im Anschluss wird der „gelehrige Körper“, im Sinne des politisch unterworfenen Körpers näher analysiert.

2| Die Verschiebung

2.1 Von den Leibesmartern...

Die peinliche Strafe beinhaltet die körperliche Züchtigung des Individuums als eine Art Kunst der Erzeugung einer großen Bandbreite unerträglicher Empfindungen. Diese zeichneten sich in besonderem Maße durch Langwierigkeit, wie auch Grausamkeit aus, die sich historisch gesehen bis zu den Sklavenmartern der alten Griechen und Römer zurückverfolgen lassen.1 Michel Foucault konzentriert sich dabei in seinem Werk vordergründig mit der Entwicklung des Strafverfahrens in Frankreich. In diesem Sinne wird zunächst die Verordnung von 1670 aufgegriffen, die gesetzmäßige Verfahren bezüglich Strafdelikten abdeckt.2 In dieser Hierarchie der Bestrafung stand die Todesstrafe an oberster Stelle. Sie fungierte als Oberbegriff für alle erdenklichen Arten des Todes, machte jedoch tatsächlich nur eine geringe Quote im Strafsystem aus. Denn auch die Gerichte zogen es vor, die härtesten Strafen durch Abstufung des eigentlichen Verbrechens zu umgehen. Hierbei wurde prinzipiell nach Art der Verbrechen, Stand der Verurteilten, und vielen weiteren Faktoren selektiert. Die Präferenz lag auf den leichten Strafen, wie der Vermögensstrafe oder auch der Verbannung vom Ort. Bemerkenswert war hierbei, dass in der Verordnung mit keinem Wort von den leichten Strafen die Rede war. Denn zumeist wurde das Urteil einer nicht-körperlichen Strafe an körperliche Züchtigungen gekoppelt, die einer Marter glichen: die Zurschaustellung zu Gunsten der öffentlichen Peinigung oder auch die Brandmarkung des Delinquenten, mithilfe der Zeichen auf dem Körper der Schande ausliefern sollte.3

In vielerlei Hinsicht entsprach die Marter einem „öffentlichen Schauspiel“. Zunächst wurde die Tat und das Urteil des Gerichts, unterstützt von einer inszenierten Zurschaustellung des Delinquenten (Schilder am Körper), mehrmals verlesen. Darauf folgte eine öffentliche Abbitte, einschließlich des spontanen Geständnisses. „Spontan“, da die Rede zumeist fiktiven Charakter hatte. Die anschließende theatralische Wiedergabe bediente sich an den Elementen des begangenen Verbrechens, wie Ort des Geschehens und denselben Instrumenten. Zuletzt folgte auf die Hinrichtung die stolze Demonstration des gemarterten Körpers. Die mühsame Inszenierung wurde hauptsächlich für die verängstigten Augen des Publikums ausgelegt.4 Es ging tatsächlich weniger um die Entstellung des Körpers an sich, als vielmehr um die Prävention potentieller Straftäter.

2.2 …zu der Zeitplanung

Im Laufe nicht mal eines Jahrhunderts verschwand „der Körper als Hauptzielscheibe der strafenden Repression“5 und die Rechtsjustiz wandte sich dem Strafstil der Zeitplanung zu. Sie zeichnete sich insbesondere durch einen präzisen und sorgfältig strukturierten Tagesplan aus, der dem Häftling zu jeder Tagesstund einen bestimmten Aufgabenbereich zuteilte. Die Einführung von Gesetzbüchern im 18. Jahrhundert gestaltete die gesamte „Ökonomie der Züchtigung“6 in Europa und den Vereinigten Staaten um. Zahlreiche Änderungen und die größten Errungenschaften sind bis zum heutigen Tage daraus ableitbar, darunter nicht zuletzt die schriftlich vereinbarte Absetzung der Leibesmartern. Es war das „Zeitalter der Strafnüchternheit“7, auch wenn sich jene Transformation nicht überall in einem einheitlichen Prozess vollzogen hat. Es sollte eine gewisse Diskretion beim Zufügen des Leides gewahrt werden. Unmittelbare physische Bestrafungen gehörten fortan der Geschichte an. Es sei unter allen möglichen Umständen zu vermeiden, den Körper für etwas zu bestrafen, was nicht der Körper selbst ist.8

Des Weiteren wurde der Strafvollzug neuerdings vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen gehalten. Da bereits die bloße Verurteilung den Delinquenten mit eindeutig negativen Zeichen versieht, sei es Aufgabe der Justiz, sich der Abschreckung vom Verbrechen durch ihre sichtbare Intensität abzuwenden. Die bloße Vorstellung und Gewissheit bestraft zu werden, soll die umfassende Vorbeugung darstellen. Denn es ist für das Individuum kaum ehrenvoll, straffällig zu sein, genauso wenig aber für die Justiz zu strafen. Somit entstand in einem zweifachen Prozess zum einen das Verschwinden des öffentlichen Schauspiels und zum anderen die Abschaffung des Schmerzes.

Es gilt: Gleicher Tod für alle.9 Somit wird der Körper von den langwierigen, grausamen Schmerzen erlöst, sich von der Abschreckung des Publikums abgewandt und die Rache des Souveräns, einschließlich der Willkür seiner Bestrafung, aufgelöst.

3| Der Machtbegriff

3.1 Die monarchische Übermacht

Die Ausarbeitung des Machtbegriffs spielt in diesem Kontext eine essentielle Rolle, da sich zur zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Proteste gegen peinliche Strafen vermehrten. Die Forderung war ein Ende der physischen Konfrontation zwischen dem Souverän und dem Verurteilten, da die Marter rasant ein ungemeines Maß an Grausamkeit annahm. Das Volk tat es dem Souverän gleich, und fing mit der Zeit an sich mit brutaler Rache zu wehren. Sich mit Blut zu rächen gewann hierbei geradezu eine allgemeine Gültigkeit, wodurch sich ein Gegenstrom zur Tyrannei des Souveräns entwickelte: die Revolte des Volkes. Zur Abschwächung der gegeneinander gerichteten Machtverhältnisse bedurfte es einer Zielverschiebung in der Strafjustiz. Sie solle nicht weiterhin die Rache des Souveräns repräsentieren, indem sie öffentlich und theatralisch den Erfolg über den gemarterten Körper feierte, sondern darauf ausgelegt sein, einzig und allein zu bestrafen.10

Thouret eröffnete 1790 schließlich diesbezüglich „in der Verfassungsgebenden Versammlung die Kontroverse über die neue Organisation der Strafgewalt.“11 Sein Anliegen bezog sich auf die Gewalt in Frankreich, die seines Erachtens in dreierlei Hinsicht gravierend auf Abwege geraten war. Zum einen aufgrund des Tauschwerts der Richterämter durch Verkauf oder auch Vererbung. Zudem anlässlich der Vereinheitlichung der beiden Gewalten: Rechtsprechung und Gesetzgebung. Und zu guter Letzt sollte hinsichtlich der lückenhaften Gesetzgebung ein neues Standard gesetzt werden. Alle drei Postulate seien laut Thouret auf die „monarchische Übermacht“12 zurückzuführen. Diese vereine zu Unrecht das Strafrecht mit der persönlichen Gewalt des Souveräns. Es wurde die Befreiung der Richtgewalt von jeglichen Faktoren gefordert, die dem eigentlichen Richten abweichen, wie etwa der Gesetzgebung oder auch der Gewalt des Souveräns.13 Dies legte einen Meilenstein für die Gewaltenteilung, wie sie heutzutage im Grunde in Deutschland üblich ist.

3.2 Beachtung der Menschlichkeit

Die Strafreform hatte demnach die Aufgabe, zwischen der Macht des Souveräns(„Übermacht“) und der des Volkes („Untermacht“) zu vermitteln.14 Der Begriff der Menschlichkeit sollte hierbei das verbindende Glied darstellen, welches dem Grauen ein Ende setzt. Jedes Individuum einer Gesellschaft muss rechtlich, wie auch moralisch geachtet werden. Dieses Prinzip findet fortan im Gesetzbuch seinen gerechten Platz. Doch nicht nur die Rechte des Menschen sollen darin verankert werden, sondern auch seine Pflichten. Gewisse Schranken des menschlichen Lebens sollen diesen in seiner Freiheit bis zu einem gewissen Grade eingrenzen, um ein harmonisches Zusammenleben in der Gesellschaft zu begünstigen. Er hat die jeweiligen Gesetze zur Kenntnis zu nehmen und zu befolgen. Bei einer Nichtbeachtung dieser Gesetze stellt sich das Individuum entgegen der gesamten Gesellschaft. Dies würde bedeuten, wenn der Staat ein seinem Verbrechen adäquates Urteil ausspricht, und sei es auch die Todesstrafe, so hat sich der Delinquent dieser Strafe zu stellen, und zwar nicht als Staatsbürger, sondern als Staatsgegner.15

Die Milderung der Strafe, welche die Beachtung der Menschlichkeit beinhaltet, geht hierbei nicht auf den Übeltäter zurück, sondern auf die Menschen um ihn herum. Die Prävention potenzieller Straftäter soll nicht aufgrund brutaler Veranschaulichungen der Machtausdrucks des Souveräns erfolgen,sondern mithilfe der Vorstellung und Gewissheit der (anstehenden) Strafe. Zudem sei es nicht von Vorteil, das Verbrechen in eine qualitativ gleichwertige Beziehung mit der Bestrafung zu stecken. Die Bestrafung soll vielmehr die potenzielle Wiederholung berücksichtigen. Strafe soll somit auf die Zukunft abzielen (Besserung), nicht auf die Vergangenheit (Vergeltung)! Das Hauptaugenmerk richtet sich nicht darauf weniger, sondern besser – im Sinne von gezielter und organisierter – zu strafen.16 Es kann nicht weiterhin gestattet werden, dass einige Vergehen gar nicht, dafür andere viel zu scharf geahndet werden. Für einen jedermann soll erkenntlich sein, wo gesetzeswidriges Verhalten beginnt, und was die darauffolgende Strafmaßnahme ausmacht. Die Vorstellung und die Gewissheit der Strafe sollten hierbei Grund genug sein, straffälliges Handeln zu unterbinden.

[...]


1 Livius, Titus: Römische Geschichte. Von der Gründung der Stadt an. Stuttgart 1840, S.352.

2 Brewer, Johann Friedrich: Geschichte der französischen Gerichts-Verfassung: vom Ursprung der Fränkischen Monarchie bis zu unseren Zeiten. Düsseldorf 1835, S.437.

3 Blau, Günter / Schwind, Hans-Dieter: Strafvollzug in der Praxis. Berlin 1988, S.5.

4 Foucault, Michel: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses.Frankfurt 2015, S.60.

5 Foucault, Überwachen und Strafen, S. 15.

6 Foucault, Überwachen und Strafen, S. 14.

7 Foucault, Überwachen und Strafen, S. 20-23.

8 Macha, Hildegard: Körperbilder zwischen Natur und Kultur. Interdisziplinäre

Beiträge zur Genderforschung. Wiesbaden 2003, S.47.

9 Foucault, Überwachen und Strafen, S.35.

10 Ricken, Norbert: Die Ordnung der Bildung: Beiträge zu einer Genealogie der Bildung.

Wiesbaden 2006, S.84.

11 Foucault, Überwachen und Strafen, S.100.

12 Foucault, Überwachen und Strafen, S.102.

13 Foucault, Überwachen und Strafen, S. 93-95.

14 Dahlmanns, Claus: Die Geschichte des modernen Subjekts. Michel Foucault und Norbert Elias im Vergleich. Münster 2008, S.65.

15 vgl. Foucault, 1977, S.220.

16 Foucault, Überwachen und Strafen, S.104.

Excerpt out of 14 pages

Details

Title
Seele und Justiz. Die Verschiebung der Macht vom Körper auf die Seele
College
University of Koblenz-Landau
Grade
1,7
Year
2014
Pages
14
Catalog Number
V456597
ISBN (eBook)
9783668887299
ISBN (Book)
9783668887305
Language
German
Keywords
seele, justiz, verschiebung, macht, körper
Quote paper
Anonymous, 2014, Seele und Justiz. Die Verschiebung der Macht vom Körper auf die Seele, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/456597

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