Dynamik der Gewalt. Ursachen, Verlauf, Prävention von Völkermord


Studienarbeit, 2019

22 Seiten, Note: 1,0

Jasmin Munaf (Autor:in)


Leseprobe

Inhalt

1 Einleitung

2 Der Krieg und die Medien
2.1 Eine Struktur politischer Gelegenheiten
2.2 Das Umschlagen in den Krieg
2.3 Medien als Voraussetzung

3 Die Dynamik des Massenmords
3.1 Die Verantwortlichen und der Entscheidungsprozess
3.2 Organisation und Akteure
3.2.1 Deutschland
3.2.2 Ruanda
3.2.3 Serbien
3.2.4 Organisierte und autonome Aktionen
3.3 Mitwirkung der Bevölkerung
3.3.1 Informationsbeschaffung
3.3.2 Die drei Phasen
3.3.3 Schweigen
3.3.4 Aktives Mitmachen
3.3.5 Widerstand
3.4 Die Morphologie extremer Gewalt
3.4.1 Vom bedrohten Staat zum bedrohlichen Staat
3.4.2 Von der partiellen Vernichtung zur totalen Vernichtung
3.4.3 Technologien des Massenmords

4 Fazit und eigene Meinung

1. Einleitung

Wie kann eine Krise eines Staates in Krieg und somit in einer Form extremer Gewalt umschlagen? Wie lang ist diese Phase und was beeinflusst sie, treibt sie voran oder kann sie gelegentlich stoppen? Wir befinden uns in der Thematik, in der sich das Zur- Tat-Schreiten in ein Massenmord entwickeln kann. Jeder Prozess hat seine eigene Geschichte je nach betreffendem Land. Vom großen, hochindustrialisierten Deutsch- land bis hin zum ländlichen Ruanda könnten die Unterschiede nicht größer sein. den- noch zeigen diese auch zahlreiche, aufschlussreiche Gemeinsamkeiten auf.

Um diese Dynamik der Gewalt besser begreifen zu können, muss zuerst geklärt wer- den, was sie voraussetzt, bevor diese überhaupt entsteht. Gibt es eine Art Fundament, die das Massaker begünstigt und somit eine Voraussetzung darstellt? Diese Fragen und deren Wichtigkeit, werden wir in den nachfolgenden Kapiteln anhand des Buches „ Säubern und Vernichten: Die Politik der Massaker und Völkermorde“ von Jacques Sé- melin, erschienen im Jahr 2007, näher beleuchten.

2 Der Krieg und die Medien

2.1 Eine Struktur politischer Gelegenheiten

Angefangen mit dem „strukturellen“ Ansatz. Dieser befasst sich mit den Rechtsgrund- lagen des internen Systems eines Staates. In dem Sinne, ob es das Massaker ge- schehen lässt, es somit überhaupt möglich macht. Nach dem Prinzip des souveränen Territorialstaats, darf der Staat innerhalb seiner Grenzen nach eigenem Wohlwollen agieren. Das Massaker geschieht meist unter Vorwänden, unter anderem als Maßnah- me zur Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung. Die Charta der Vereinten Nationen sagt ähnliches aus. Kein Staat besitzt die Ermächtigung in die Angelegenheiten eines anderen Staates einzugreifen.1 Dadurch entsteht ein regelrechtes „Demozid“-Potenti- al, also das Ziel und die Möglichkeit die eigene Bevölkerung zu vernichten, ohne dass dieser Tat große Steine in den Weg gelegt werden. Allerdings sollte man das Souve- ränitätsprinzip nicht als einzige Ursache der Gewalt betrachten. Es kommt eher darauf an, auf welche Art und Weise sich die Staaten darauf berufen und wie sie dadurch ihre Politik betreiben.2 Dieses Prinzip dient somit der Rechtfertigung der Gewalt aber auch der Tatenlosigkeit anderer Staaten.

Aber auch das Zusammenwirken von verschiedenen Faktoren ist wichtig zu beleuch- ten. Einmal die historischen Tatsachen, also ob es in dem kriegführenden Land schon früher zu Massenmordpraktiken gekommen ist. Dann die demographischen Gegeben- heiten, wie die Bevölkerung kulturell aufgebaut ist. Vor allem bei Völkergemischen, be- stehend aus einer Vielzahl an ethnischen, religiösen und nationalen Gruppen, kann es schneller zu Gewaltentwicklung kommen. Denn wenn diese verschiedenen Wel- ten aufeinandertreffen, könnte es aufgrund der Meinungsverschiedenheit häufiger als sonst zu Gewaltausbrüchen kommen.

Die geopolitischen Fakten bestehen aus zwei Szenarien. Das erste Szenario be- schreibt einen zunehmend mächtig werdenden Staat, der seinen Herrschaftsanspruch gegenüber den Grenzländern bekundet. Das zweite Szenario schildert den Zerfall ei- nes bislang herrschenden Reiches oder Vielvölkerstaates. Dieses wird instabil durch nationalistische Bestrebungen.3 Ein weiteres Element ist die Angst. Die Angst vor dem inneren Feindbild, ausgelöst durch Erinnerungen an eventuell frühere Massaker. Aber auch die Angst vor einer äußeren Gefahr, in dem Sinne vor einer bedrohenden Ver- nichtung des eigenen Landes.

Ein ebenso wichtiger Faktor ist die Passivität der „internationalen Gemeinschaft“. Da- mit ist die Rolle der Großmächte gemeint. Dessen Passivität ist gekennzeichnet durch Gleichgültigkeit, Weigerung, Unwissenheit und auch Feigheit.4 Ein Beispiel, um die Weigerung besser zu beschreiben, wäre der Zweite Weltkrieg. Während des Krieges haben sich die Großmächte, trotz zahlreicher Proteste, lange Zeit rausgehalten. Diese wollten keine jüdischen Flüchtlinge aufnehmen, unter dem Vorwand getarnt, dass sie keinerlei Kapazitäten für so eine Vielzahl an Menschen aufbringen könnten.5

Die Unwissenheit bezeichnet das Fehlen von Informationen über die Geschehnisse eines Landes, aber auch den Willen etwas nicht wahrhaben zu wollen. Nach dem Ersten Weltkrieg wollten viele nicht akzeptieren, dass kurz darauf etwas ähnliches und sogar gewaltvolleres geschieht und haben somit lange Zeit die Augen davor ver- schlossen.6 Diese ganzen Faktoren bilden die Struktur von günstigen Gelegenheiten, die den Übergang zur Tat erleichtern. Somit stößt die Gewalt auf keinerlei Hindernis- se oder Verbote. Wie diese Gewalt in Krieg umschlagen kann, beschreiben wir Ihnen im nächsten Abschnitt.

2.2 Das Umschlagen in den Krieg

Viele verschiedene Faktoren wirken zusammen, um einen Krieg oder gar ein Mas- saker zu ermöglichen. In diesem Abschnitt beschäftigen wir uns damit, wie ein Krieg die Voraussetzung für ein Massaker darstellen kann. Es ist zu erwähnen, dass der Krieg offenbar darauf ausgerichtet ist Massaker zu produzieren. Dabei entsteht nicht jedes Massaker im Krieg und nicht jeder Krieg führt unweigerlich zu einem Massaker.7 Krieg und Massaker gehen oft ineinander über und harmonieren miteinander. Dies ge- schieht vor allem dann, wenn der Sieger sich dem Besiegten überlegen fühlt und Ra- chegedanken gegenüber dem Opfer hegt.

Das Motiv des Krieges hat sich zum Ende des 18. Jahrhunderts gewandelt. Es werden nicht mehr ausschließlich Berufssoldaten für das Bekämpfen der Feinde eingesetzt, sondern auch an die Unterstützung durch die Bevölkerung appelliert. Immer effizien- tere Waffen der Massenvernichtung wurden entwickelt und den bürgerlichen Schich- ten zugänglich gemacht. Es wird geschätzt, dass hierdurch im Verlauf des 19. Jahr- hunderts die Zahl der zivilen Opfer von ca. 10% auf 90% angestiegen ist.8 Der Krieg wird demnach politisiert, das Volk beteiligt sich nun aktiv an den außenpolitischen An- gelegenheiten des Staates und kämpft in seinem Namen für die „nationalen richtigen Werte“.

Diese Mobilisierung des gesamten Volkes hat eine Konsequenz. Die Feindbilder ver- ändern sich. Aus diesem Grund werden im Krieg Individuen verdinglicht und auf Verrä- ter, Feinde etc. reduziert.9 Dadurch wird die gesamte „Feindbevölkerung“ zum Ziel al- ler. Jeder bekämpft die nationale Minderheit, auf welche es der Staat abgesehen hat.10 Durch Propaganda wird schon in der Vorkriegszeit ein explizites Feindbild in die Be- völkerung gepflanzt. So wird die Vorgeschichte eines Landes ausgenutzt, um ein über- zeugendes Argument gegen Minderheiten zu bilden, es zu stärken und diese Minder- heit auszugrenzen. Mit dem Krieg wird dann eine Lösung für das „Problem“ gefunden und mittels dessen bekämpft. Das äußere Feindbild verschmilzt aufgrund des Krie- ges mit dem inneren Feindbild. Dadurch werden Krieg und Massaker miteinander ver- mengt. Es geschieht also, dass der Krieg das Massaker verschleiert und das wahre Verbrechen, der Genozid, unter Ausschluss der Bevölkerung stattfindet. Wie im Falle der Nationalsozialisten im Deutschland des 20. Jhd..11 In Ruanda wird jedoch ein an- deres Beispiel geboten, denn hier werden die Hinrichtungen öffentlich von einer Viel- zahl der Hutu-Einwohner durchgeführt. Der Krieg wird somit genutzt, um Hemmungen und Verbote aufzuheben. Es sei demnach kein Verbrechen mehr jemanden zu töten, sondern es werde zur Aufgabe, der man nachgehen müsse.12

Nicht jedes Verschleiern von Massakern ist gleich die Schuld des Krieges. Die Men- schen, die es mitbekommen, haben oft Angst etwas gegen diese brutale Form der Ge- walt zu unternehmen. Sie wollen nicht selbst dafür belangt werden und geraten so in die Schweigespirale13 hinein. So gelingt es nur selten die staatlich organisierte Mas- sengewalt aufzuhalten, denn die Regierung mobilisiert mit Hilfe des Krieges die ge- samte Bevölkerung eines Landes, um diese zum Äußersten zu treiben. Der Zusam- menhalt einer Gruppe, gegenüber der feindlichen, wird damit gestärkt.14

2.3 Medien als Voraussetzung

Die letzte wichtige Voraussetzung für das extreme Umschlagen in den Krieg ist die Rolle der Medien. In Bosnien wurde der Beweis für die Belagerung Sarajewos live im bosnischen Fernsehen übertragen. Die Medien waren direkt vor Ort. Über drei Jahre lang konnte die Weltbevölkerung sehen, wie die Bewohner der Stadt unter der Belage- rung litten. Die Öffentlichkeit befand sich in der sogenannten „Phase der widerstreiten- den Kräfte“, die wir später erläutern werden. Aufgrund der hohen Anzahl der Bilder im Fernsehen, nahm die Bevölkerung die Situation nicht mehr wahr.

Zwischen April und Juli 1992 konnten sich Journalisten in Bosnien nicht frei bewegen. Daher wurden nur Augenzeugenberichte und keine Fotografien übertragen. Im Jahr 1992 enthüllte der Reporter Gutman ein serbisches Todeslager. Daraufhin folgte eine Informationswelle von Massakern an Muslimen und Massenvergewaltigungen. Im sel- ben Jahr wurde von der bosnischen Regierung eine Liste mit 100 Gefangenenlagern veröffentlicht. Die Journalisten Gutman und Rieff sind Augenzeugenjournalisten und stellen sich auf die Seite der Opfer. Ihr Ziel ist es zu intervenieren. Der bosnische Po- litiker Bakir Izetbegović nutzte die Viktimisierungsstrategie, um mediale Aufmerksam- keit auf das Geschehen zu ziehen. Er stellte die Bosnier als Opfer da, um eine Inter- vention herbeizuführen.

In Ruanda häuften sich nach einem Bericht die Reportagen über das Massaker und die Öffentlichkeit wird erstmals aufmerksam auf die Republik. In den Reportagen wird allerdings das Verhältnis zwischen Krieg und Massaker unterschiedlich dargestellt. Die einen stellen RPF, die Ruandische patriotische Front, und die Regierungstruppen in den Vordergrund und berichten kaum über das Massaker. Die anderen konzentrieren sich nur auf die Gräueltaten. Nachdem die Augenzeugenberichte telefonisch übermit- telt wurden wird das Fernsehen zum Radio.15 Die Zeitungen und das Fernsehen spre- chen nun auch von Völkermord. Zuvor taten dies nur Nichtregierungsorganisationen. Der Aufforderung des Generals Dallaire aus Kigali, den Propagandasender RTLM zu stoppen, kam die USA nicht nach. „Ein Pentagon Beamter erklärte, die Mörder seien doch Menschen und keine Rundfunkgeräte“.16

Der CNN Effekt, geprägt von dem US-amerikanischen Nachrichtensender, zeigt wie Augenzeugenberichte und Reportage öffentlichen Druck ausüben können. Die Bevöl- kerung und die Großmächte können nicht mehr von Unwissenheit sprechen. Sie brau- chen neue Gründe für das Nichteingreifen.

3 Die Dynamik des Massenmords

3.1 Die Verantwortlichen und der Entscheidungsprozess

Das Massaker resultiert also aus der inneren Entwicklung eines Landes, als auch aus einem regionalen und internationalen Kontext, der es begünstigt. Aber wie kann es sich konkret ausweiten? Darauf werden wir in den nachfolgenden Abschnitten näher eingehen.

Das Massaker kann sich nur dann im großen Maßstab ausweiten, wenn es von ei- ner Zentralgewalt mehr oder weniger angeheizt wird. Diese besteht häufig aus einem Führer oder einer kleineren Gruppe, die diese Gewalt vorbereiten. Zu der Zeit des NS-Deutschland wurden Hitlers Anweisungen zum größten Teil nicht in Frage gestellt, da seine Macht als legitim angesehen wurde und war somit unumstritten.17

Diese Zentralgewalt verwendet häufig Vorfälle als Vorwand, zum Beispiel die Verschär- fung eines Krieges, um damit eigene Ziele realisieren zu können. Im damaligen nati- onalsozialistischen Deutschland gab es mit den Polenfeldzug von 1939 eine schriftli- che Anweisung von Hitler zur „rationalen“ Tötung von behinderten und Geisteskranken Menschen. Somit entfiel komplett die Rechtfertigung des Massakers und wurde damit erleichtert.18 Es gab allerdings Möglichkeiten diese Gewalt zu unterbinden. Das dama- lige Besatzungsregime forderte von den deutschen Offizieren, ihre Männer im Zaum zu halten und deren gewaltsamen Ausschreitungen zu melden. Nach Kenntnisnahme dieser Anweisung reagierte Hitler konträr, indem er die beteiligten Soldaten begnadig- te und diese somit keine Verantwortung mehr für ihre Übergriffe auf die Zivilbevölke- rung tragen mussten. Damit erzeugte er gewissermaßen ein geistiges Klima, in dem alles erlaubt ist.19 Des Weiteren hatte Hitler demnach die Macht die Gewalt voranzu- treiben oder sie zu bremsen.

Im Falle Ruanda kam es zur Vorbereitung der Tat durch eine kleine Gruppe um den Präsidenten herum. Diese befand sich also nahe am Zentrum der Macht.

Dessen Bevölkerung wurde durch zahlreiche Medien wie Rundschreiben, Reden oder Rundfunkansprachen über Jahre hinweg beeinflusst und gegen die Tutsi als innerer Feind aufgebracht.20 Andere Entscheidungsträger hielten es für nötig die Bevölkerung direkt in den Kampf mit einzubringen. Dafür wurden Rundfunkansprachen öffentlich gehalten. Darin wurde das Volk dazu aufgefordert, eine Selbstverteidigungsmiliz auf- zustellen, in dem sie sich mit Hieb- und Stichwaffen ausrüsten sollten.21

[...]


1 Vgl. S.123, Abs.3

2 Vgl. S.124. Abs.2

3 Vgl. S.135, Abs.2-4

4 Vgl. S.142, Abs.2

5 Vgl. S.146, Abs.2-3

6 Vgl. S.145, Abs.2

7 Vgl. S.149, Abs. 1

8 Vgl. S.150, Abs. 1

9 Vgl. S.159, Abs. 3

10 Vgl. S.151, Abs. 1-2

11 Vgl. S.153

12 Vgl. S.156 ff

13 Vgl. S.110, Abs. 2

14 Vgl. S.160 ff

15 Vgl. S. 176, Abs. 1

16 Zitat S. 178, Abs.1

17 Vgl. S.185, Abs.1-2

18 Vgl. S. 187, Abs.1-3

19 Vgl. S188, Abs. 1-2

20 Vgl. S.189-190, Abs.1

21 Vgl. S.190, Abs.2

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Dynamik der Gewalt. Ursachen, Verlauf, Prävention von Völkermord
Hochschule
Beuth Hochschule für Technik Berlin
Note
1,0
Autor
Jahr
2019
Seiten
22
Katalognummer
V462254
ISBN (eBook)
9783668901599
ISBN (Buch)
9783668901605
Sprache
Deutsch
Schlagworte
dynamik, gewalt, ursachen, verlauf, prävention, völkermord
Arbeit zitieren
Jasmin Munaf (Autor:in), 2019, Dynamik der Gewalt. Ursachen, Verlauf, Prävention von Völkermord, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/462254

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