Homosexualität im Neuen Testament. Umstrittene Verse von Paulus in Briefen nach Korinth und Rom


Hausarbeit, 2019

25 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Geschichtliche Hintergründe
2.1 Brief
2.1.1 Funktion des Briefes
2.1.2 Aufbau des Briefes
2.2 Paulus
2.3 Kultur und Orte
2.3.1 Korinth
2.3.2 Rom

3 Homosexualität
3.1 Definition und Stand der Wissenschaft
3.2 Homosexualität in der Antike

4 Analyse der Textstellen
4.1 1. Korinther 6,9
4.1.1 Inhalt und Einordnung in den Zusammenhang
4.1.2 Sprachliche Analyse
4.2 Römer 1,26f.
4.2.1 Inhalt und Einordnung in den Zusammenhang
4.2.2 Sprachliche Analyse
4.3 Auslegung

5 Fazit

1 Einleitung

Wenn ich über Homosexualität und den christlichen Glaube in der Vergangenheit nachgedacht habe, dann hatte ich eine recht simple Logik: a) Homosexualität ist angeboren und keine Krankheit1, b) Gott hat den Menschen geschaffen und findet ihn sehr gut(1. Mose 1,26 ff.)2 und zudem c) Gott liebt den Menschen (Johannes 3,16).

Für mich war also die logische Schlussfolgerung, dass Homosexualität sich nicht mit Gott (und dem Glaube) ausschließt.

Eine häufige Antwort von Christen darauf war, dass ich damit gegen die Bibel argumentiere, in der doch klar stehe, dass Homosexualität wahlweise ein Gräuel (3.

Mose 18,22), wider die Natur (Römer 1, 26) oder ein Verbrechen (3. Mose 20,13) sei. Aus diesem Grund habe ich mich dafür entschieden, diese Hausarbeit zu schreiben, um das Thema einmal aus einer wissenschaftlicheren Seite zu betrachten. Als Textstellen habe ich 1 Kor 6,9 und Römer 1,26 f. gewählt, da diese im Neuen Testament die zwei expliziten Erwähnungen von Homosexualität sind, die auch oft angeführt werden.

In der letzten Zeit ist ein Wandel zu beobachten, u.a. in der Katholischen Kirche3: Homosexualität wird nicht mehr als solche bekämpft, sondern als Veranlagung akzeptiert, wenngleich die Praktizierung derselben immer noch als Sünde gilt. Da ich aber, wie oben dargelegt, glaube, dass sich auch praktizierte Homosexualität und Glaube nicht ausschließen, stelle ich folgende These auf, die ich versuchen werde, zu belegen:

Man kann ausgehend von Paulus' Briefen nicht behaupten, dass gelebte homosexuelle Partnerschaften, wie wir sie heute kennen, gegen Gottes Vorstellungen und den christlichen Glauben sind.

2 Geschichtliche Hintergründe

Die Bibel ist eine Sammlung von Büchern, die im Laufe vieler Jahrhunderte entstanden sind. Wer ernsthaft daran interessiert ist, die Bedeutung der Texte für die heutige Zeit zu erkennen, kommt nicht umhin, sich die Texte im Kontext ihrer Zeit anzuschauen4. Im Gegensatz zu einer fundamentalistischen Auslegung, wird dies als historisch-kritische Exegese bezeichnet5.

2.1 Brief

Da beide zu untersuchenden Textstellen aus Briefen stammen, liegt es nahe, sich zunächst mit der Gattung Brief auseinanderzusetzen.

Wenngleich der Brief bis heute genutzt wird, hatte er zur Zeit Paulus noch einige Unterschiede. So wurden die Briefe auf Täfelchen aus Holz, Blei oder Wachs geritzt oder auf Papyri o.ä. geschrieben6. Außerdem wurden die Briefe häufig Schreibern diktiert, bei Paulus zum Beispiel Tertius (Röm 16,22).7

2.1.1 Funktion des Briefes

Neben literarischen Briefen, deren Ziel nicht mehr nur ein aktueller Anlass war, und diplomatischen Schreiben, die von Herrschenden kamen, war der Großteil der antiken Briefe nichtliterarisch. Deren Hauptfunktion war und ist bis heute die als Kommunikationsmittel, meist zwischen zwei räumlich getrennten Personen oder, wie im Fall von Paulus, zu einer Gemeinde. Sowohl der Römer - , als auch der Korintherbrief sind nichtliterarische Briefe, auch wenn sie literarische Züge aufweisen.

Heute dienen Paulus' Briefe als früheste schriftliche Zeugnisse des Christentums.8 9

2.1.2 Aufbau des Briefes

Die meisten Briefe waren ähnlich aufgebaut und somit schnell als Brief erkennbar. Das sogenannte ,Formular‘ der paulinischen Briefe bestand aus einem Briefanfang, in dem viele Formalia geklärt wurden, wie beispielsweise Absender und Empfänger, Grüße, Wünsche, Dank, etc. und einem typischen Briefschluss, der eine Schlussparanäse (eine Art schließende Mahnrede) und das Postskriptum (erneute Grüße und ggf. eigene Worte) enthielt. Dazwischen stand der Briefkorpus, der eigentliche zu vermittelnde Inhalt, in dem beide zu analysierenden Textstellen stehen.

2.2 Paulus

Zwar werden in seinen sieben eigenen Briefen10 und der Apostelgeschichte, die gemeinsam als Quellen über Paulus' Leben fungieren, kaum Lebensdaten genannt11, aber dennoch ist es möglich, einige seiner Lebensereignisse über Zusammenhänge zur Weltgeschichte einzuordnen (absolute Chronologie) und über Verhältnisse zueinander in eine Reihenfolge zu bringen (relative Chronologie)12.

Paulus war ein Pharisäer (Phil 3,5), der zunächst Christen verfolgte, bis er um 33 n. Chr.13 seine Berufung hatte (1 Kor 15,8) und seitdem als Missionar auftrat und sich Apostel nannte (1 Kor 1,1). Auf seinen langen Missionsreisen gründete er zahlreiche Gemeinden (Apg 13-18), u.a. die in Korinth (nicht allerdings die in Rom), mit denen er häufig schriftliche Korrespondenz betrieb. Diese Briefe bilden einen Teil des NT. Eines seiner großen theologischen Anliegen war wohl seiner Zeit geschuldet: In fast allen Texten geht er auf die Frage nach den Unterschieden zwischen Judenchristen und Heidenchristen ein (Apg 15), die nach dem Tod Jesu und den ersten Gemeindegründungen zu klären war. Bei einem Aufenthalt in Jerusalem wird er verhaftet und nach Rom gebracht. Vermutlich befand er sich die letzten Jahre seines Lebens in Haft und starb in Rom, auch wenn das Todesjahr unbekannt ist14.

2.3 Kultur und Orte

Neben dem Judentum hatten zwei Kulturen einen prägenden Einfluss zur Zeit Paulus: die römische und die griechische. Während letztere die Region die vergangenen Jahrhunderte geprägt hatte, hatte sich das römische Reich kurz vor der Zeitenwende im Mittelmeerraum ausgebreitet: die römische Staatsform, Gesellschaftsstruktur und ihr Weltbild bildeten eine Einheit15. Während dieser Zeit blieb aber die hellenistische Kultur erhalten, Sprache, Bildungswesen, Wertevorstellungen und vieles mehr blieben griechisch16. Vor diesem Hintergrund ist später auch die Homosexualität zu sehen, die im Hellenismus einen anderen Stellenwert hatte als heute.

So kann man, laut Winterer, zur Abfassungszeit der Briefe, von einem „einheitlichen“ griechisch-römischen „Kulturraum“17 sprechen.

2.3.1 Korinth

Korinth war und ist eine griechische Stadt, die als wichtige Stadt des Handels stets von ihrer geografischen Lage zwischen zwei Meeren profitierte18. Sie wurde oft zerstört und wurde u.a. unter Caesar als römische Kolonie wieder aufgebaut19. Trotz der vielen römischen Bürger war die Stadt schon zu Paulus' Zeiten sehr multikulturell und vom Hellenismus beeinflusst20. Sie war Hauptstadt der Provinz Achaia und laut Calwer Bibellexikon „durch Üppigkeit und Sittenlosigkeit berüchtigt“21, was unter anderem im Lasterkatalog der zu analysierenden Textstelle (1 Kor 6,9) zu sehen ist.

Paulus kam in Korinth auf seiner zweiten Missionsreise vorbei (Apg 18,1) und gründete die Gemeinde. Hier lernte er das Ehepaar Aquila und Priscilla kennen (Apg 18,2) und schrieb später, beeinflusst durch die Bekanntschaft mit ihnen, den Brief an die Gemeinde in Rom.

2.3.2 Rom

Das römische Reich war zur Zeit des NT kurz vor seiner größten Ausbreitung, weswegen Rom als „Zentrum der Welt“22 galt. In den beiden Jahrhunderten vor Christus entwickelten sich die ersten jüdischen Gemeinden in Rom23, die dann auch schnell vom christlichen Glauben erfahren haben mussten, zumindest gab es 56 n. Chr., als Paulus den Römerbrief schrieb, schon eine Gemeinde24.

Vermutlich 49 n. Chr. trat das Claudius-Edikt in Kraft, das die Vertreibung der Judenchristen aus Rom befahl25, was in Teilen gelang, wie bei Aquilla und Priscilla.

3 Homosexualität

3.1 Definition und Stand der Wissenschaft

Homosexualität wird vom Spektrum definiert als „sexuelle Erregbarkeit, Orientierung und Aktivität gegenüber Mitgliedern des gleichen Geschlechts“26. Sie ist keine Krankheit, auch wenn sie erst 1987 bzw. 1991 aus den klinischen Klassifikationssystemen DSM und ICD gestrichen wurde27. Während über die Entstehung von Homosexualität (vermutlich multifaktoriell aus Genen und Umwelt28 ) und über die genaue Häufigkeit (schätzungsweise zwischen 1% und 10% der Bevölkerung29 ) noch Uneinigkeit besteht, ist sich die große Mehrheit der Wissenschaftler einig, dass man sich seine sexuelle Orientierung nicht aussucht und sie nicht verändert werden kann30.

Wichtig ist die Unterscheidung zwischen homosexueller Orientierung, also der Veranlagung, homosexuell zu empfinden und homosexueller Praktiken, also der Auslebung von Homosexualität.

3.2 Homosexualität in der Antike

Zwar findet sich die Bezeichnung „Homosexualität“ (das Wort wurde vermutlich erstmals 1869 von Karoly Maria Kertbeny verwendet31 ) nicht in der Bibel oder anderen Quellen der früheren Zeit, wohl aber waren gleichgeschlechtliche Praktiken auch früher schon verbreitet32. Gerade aber weil Homosexualität kein „a priori eindeutiges, allgemein bekanntes Kulturphänomen“33 ist, müssen die Unterschiede im Verständnis aufgedeckt werden.

So wurde sie beispielsweise in Griechenland weitgehend toleriert34, wenngleich dies auch differenziert gesehen muss: Knabenliebe, also der Sexualverkehr zwischen einem erwachsenen Mann und einem Jungen, schien nicht nur akzeptiert, sondern noch gefördert worden zu sein35, während es gleichgeschlechtliche Aktivitäten zwischen gleichgestellten Personen zwar gab, diese aber durchaus kritisch gesehen wurden36.

In Rom war geschlechtlicher Verkehr zwischen Männern zunächst gesellschaftlich verpönt37, wobei sich diese Einstellung mit dem wachsenden griechischen Einfluss nach und nach dem griechischen Verständnis anglich.

Wichtig ist festzuhalten, dass ausschließlich über Praktiken berichtet wird. Es geht nicht um die sexuelle Orientierung wie wir sie heute kennen. Winterer bezeichnet es als „anachronisitisch (...), einen Mann aus der (...) [Z]eit als hetero -, homo - oder bisexuell zu charakterisieren“38, auch wenn es solche natürlich gab, nur waren für die Einordnungen der damaligen Gesellschaft lediglich die Praktiken entscheidend39.

4 Analyse der Textstellen

4.1 Korinther 6,9

Anm.: Zum besseren Verständnis wird der nachfolgende zehnte Vers noch mit angegeben.

9 Oder wisst ihr nicht, dass die Ungerechten das Reich Gottes nicht ererben werden? Täuscht euch nicht! Weder Unzüchtige noch Götzendiener noch Ehebrecher noch Lustknaben noch Knabenschänder 10 noch Diebe noch Habgierige noch Trunkenbolde noch Lästerer noch Räuber werden das Reich Gottes ererben.

4.1.1 Inhalt und Einordnung in den Zusammenhang

Paulus schrieb den Brief an die Gemeinde in Korinth, dem bereits ein anderer voraus gegangen sein muss (1 Kor 5,9), in Ephesus40. Mit dem Brief bezieht er laut Schmeller Stellung zu verschiedenen Problemen der Gemeinde, von denen er gehört hat41.

Der zu untersuchende Vers trägt - innerhalb eines Abschnittes über ehtische Missstände in der Gemeinde - die Kapitelüberschrift „Rechtssachen unter Christen“. Paulus zeigt sich enttäuscht darüber, dass die Gemeindemitglieder nicht selbst in der Lage sind, ihre Probleme zu lösen. Er steigert das noch, in dem er darüber klagt, dass sie überhaupt Streit miteinander hätten, woraufhin die rhetorische Frage in Vers 9 beginnt, ob sie nicht wüssten, dass eine ganze Reihe von Unrechttuenden nicht ins Reich Gottes kämen. Innerhalb dieser langen Liste, die sich praktisch nur in der Anzahl von ihrer Parallelstelle in 1 Tim 1,9f. unterscheidet, stehen zwischen Ehebrechern und Diebe die beiden Begriffe M^aXaKoi und a pasvoKOL.

4.1.2 Sprachliche Analyse

Wie man 1 Kor 6,9 interpretiert, hängt davon ab, wie man ^.aXaKoi und a pasvoKOL übersetzt. Nach dem Exegetischen Wörterbuch zum Neuen Testament bedeutet ^.aXaKoi „weich, weichlich, sanft“ bzw. speziell für die Stelle „Weichling, als verwerfliches Beispiel passiver Homosexualität42 “ und a pasvoKo! „Knabenschänder“, bzw. „Von einem, der mit Männern oder Knaben Unzucht treibt43 “. Es geht also nicht um Liebe auf Augenhöhe, sondern um Ausbeutungsverhältnisse.

Auch der Blick in die Bibelübersetzungen bringt sehr diverse Ergebnisse. Die Hoffnung für alle spricht von solchen, die sich von den „Begierden treiben [lassen] und homosexuell verkehren“, die Zürcher Bibel von dem, der „sich gehen lässt, mit Männern schläft“ und die Bibel in gerechter Sprache von denen, die „in gleichgeschlechtlichen Beziehungen das Recht Gottes verletzen, in dem sie sexuelle Gewalt gegen Abhängige ausüben“.

Während der Begriff ^aXaKoi bis heute noch geläufig ist, ist apasvoKo! vermutlich ein Neologismus aus „Mann“ und „Bett“ von Paulus44, der ansonsten nur noch in der bereits erwähnten Stelle in 1 Tim vorkommt. Winterer sieht die beiden als aktive / passive gleichgeschlechtlich begehrende Männer 45, aber es gibt auch Stimmen, die behaupten, es handele sich um minderjährige Prostituierte und ihre Freier46.

Ganz gleich ob man der These der Päderastie, der gleichgeschlechtlich begehrenden Männern oder der Prostitution folgt, es bleibt die Frage, warum Paulus diese Worte verwendet hat. Laut Stefan Scholz gab es nämlich zu der damaligen Zeit schon viel gängigere Begriffe47 (auch wenn „homosexuell“, wie in der Hoffnung für alle, noch nicht dabei gewesen sein kann). Das lässt die Frage aufkommen, wie bewandert Paulus im Thema Homosexualität war, wie Scholz im Folgenden feststellt48. Es liege nahe, dass er homosexuelle Praktiken mit homosexueller Identität unwissend gleich setzte.

4.2 Römer 1,26f.

Anm.: Zum besseren Verständnis wird hier noch der vorhergehende Vers 25 zitiert.

25 Sie haben Gottes Wahrheit in Lüge verkehrt und das Geschöpf verehrt und ihm gedient statt dem Schöpfer, der gelobt ist in Ewigkeit. Amen.

26 Darum hat sie Gott dahingegeben in schändliche Leidenschaften; denn bei ihnen haben Frauen den natürlichen Verkehr vertauscht mit dem widernatürlichen;

27 desgleichen haben auch die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau verlassen und sind in Begierde zueinander entbrannt und haben Männer mit Männern Schande über sich gebracht und den Lohn für ihre Verirrung, wie es ja sein musste, an sich selbst empfangen.

4.2.1 Inhalt und Einordnung in den Zusammenhang

Wie bereits erwähnt, schrieb Paulus um 56 n. Chr.49 den Brief an die Römer als Folge seiner Bekanntschaft mit Aquila und Priscilla. Er selbst kannte die Gemeinde nicht persönlich, verfolgte mit seinem Brief also andere Absichten als bei den Gemeinden, die er selbst gegründet und besucht hatte. Nach Schreiber sind das drei Gründe50: zunächst will er sich in Rom eine Basis schaffen für seine geplante Reise nach Spanien, außerdem scheint er seine Vorstellungen zum Zusammenleben von Heiden - und Judenchristen beitragen zu wollen und zuletzt auch als eine Art politische Richtlinie, wie man sich im Konflikt mit der römischen Besatzungsmacht zu verhalten habe, die ja nicht zuletzt mit dem Claudius-Edikt aktiv in das religiöse Leben eingegriffen hatte.

Der Abschnitt folgt auf den Briefbeginn, in dem Paulus sich und sein Vorhaben vorstellt (Verse 1 - 15) , woraufbin er gleich zum Punkt kommt und den Glaube an die rettende Botschaft Gottes als zentrale These darstellt (Vers 16). Innerhalb des ersten Hauptteils und dem ersten Themenblock, den Schnelle als „Notwendigkeit der Gerechtigkeit Gottes“51 zusammenfasst, kommt Paulus nach der Überschrift „Gottes Gericht über alle, die ohne ihn leben wollen“ (Hoffnung für alle) bzw. „Die Gottlosigkeit der Heiden“ (Luther) zum entscheidenden Abschnitt (ab Vers 18). Er zeichnet ein Bild von Gottes Strafe für Götzenverehrung, das er darauf zurückführt, dass die Menschen nicht mehr anerkennten, dass Gott mächtig sei, obwohl sie es eigentlich wussten (Vers 18 - 20). Daraufbin wurde es in ihren Herzen dunkel und sie verehrten Götzen (Vers 21 - 23). Gottes Strafe für den Menschen war dann, dass er sie ihren „schändlichen Leidenschaften“ preis gab, woraufbin die Frauen wider die Natur ihre Sexualität aufgaben und miteinander verkehrten, gleiches folgte resptektiv für die Männer (Vers 26 - 27). Die darauf folgenden Verse führen noch einmal genauer aus, was ihnen noch alles widerfahren würde und dass sich niemand dem Urteil Gottes entziehen könne (ab Vers 28).

4.2.2 Sprachliche Analyse

Im Gegensatz zur Korinther-Stelle haben wir hier keinen Lasterkatalog, sondern ein ausführliches Argument vorliegen, das mit seiner These (wer glaubt, werde gerettet) die zu erwartende Strafe (homosexuelle Praktiken) mit dem scheinbar klaren Tatbestand der Gottlosigkeit kausal verknüpft.

Sprachlich auffällig ist die Verwendung des Wortes „Natur“ (^UGiq). Für Paulus ist Heterosexualität also natürlich und Homosexualität widernatürlich, denn er schreibt, dass die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau verlassen hätten und in Begierde zueinander entbrannt seien. Das wiederum legt den Schluss nahe, dass Paulus erneut nicht von der homosexuellen Veranlagung spricht, sondern von heterosexuellen Personen, die homosexuell verkehren.

Ein Blick in die Bibelübersetzungen hilft nicht wirklich weiter. Die klassischen Übersetzungen unterscheiden sich nur minimal, z.B. in den Wörtern „Verkehr“ (Einheitsübersetzung und Luther) und „Umgang“ (Zürcher), der Naturbegriff bleibt erhalten. Selbst die Bibel in gerechter Sprache, darauf bedacht, niemanden zu diskriminieren, drückt sich kryptisch aus: Frauen unter ihnen tauschten nämlich ihre naturgemäße passive Rolle gegen eine außerhalb der natürlichen Ordnung ein.

Aufschlussreicher ist die Suche nach dem Begriff in anderen Briefen von Paulus. In 1 Kor 11,14f. steht: Lehrt euch nicht die Natur selbst, dass es für einen Mann eine Unehre ist, wenn er langes Haar trägt, aber für eine Frau eine Ehre, wenn sie langes Haar hat? Ist das wirklich Sache der Natur? Und nicht eher der Konvention52 oder der Gewohnheit, bzw. des Brauches53 wie Wengst und Winterer vermuten?

4.3 Auslegung

Das Neue Testament, besser gesagt: Paulus, verdammt homosexuelle Praktiken. Allerdings nur das, was damals praktiziert wurde, was er sich vorstellen konnte und was er wusste. Homosexuelles Verhalten wurde abgelehnt, weil es vor allem unter den Heiden bekannt war54, die man ablehnte und zu denen man sich als urchristliche Minderheit abgrenzen musste55, weil es Verhältnisse der Prostitution waren56, weil es für Untreue stand57, weil es als Begleiterscheinung von Götzendienst galt58 und weil das Verständnis für die Unterscheidung homosexueller Praxis und Veranlagung fehlte. Paulus erklärte nie explizit, dass und warum Homosexualität Sünde sei, er setzte es einfach voraus59. Für seine Zeit und die Rezipienten seiner Briefe mag das klar ersichtlich und richtig gewesen sein, aber deswegen trifft es nicht automatisch auf heute zu.

Paulus spricht immer nur von Situationen, die (auch) aus anderen Gründen sündig sind, er spricht nie von „wechselseitig verantwortete^ liebende[r] homosexuelle[r] Praxis“60. Es ist keine Rede von dauernden Liebesbeziehungen, sondern von Ausbeutungsverhältnissen, Untreue, Prostitution und Päderastie heterosexuell empfindender Menschen.

Letzten Endes ist es immer die Frage, was man wortwörtlich auslegt und was nicht. Das gilt nicht nur für Reinheitsvorschriften, sondern auch für andere sexuelle Auffassungen. Nach Wink61 ließen sich beispielsweise mit einer wortwörtlichen Auslegung der Bibel Argumente für Leviratsehe, Konkubinat, Besitzrechte der Männer an Frauen, etc. finden, während Dinge wie Exogamie und Zölibat verurteilt werden, die heute guten Gewissens praktiziert werden, z.T. in der Kirche. An Martin Luthers „was Christum treibet“62, also der Überprüfung der Bibel hin darauf, ob es das Christentum voranbringt, würden diese Auslegungen wohl scheitern, wohl aber auch eine christliche Ablehnung von Homosexualität.

Wink kommt zu dem Schluss, dass es also gar „keine biblische Sexualethik“63 gebe und die Bibel lediglich eine Bandbreite an sexuellen Sitten aufzeige. Er plädiert dafür, ganz im Sinne Martin Luthers, sich an der Liebesethik zu orientieren, die Jesus vorlebte und die er als „nicht-ausbeutend (...), [nicht-]dominier[end], (...) verantwortlich, gegenseitig, sorgend und liebend“64 definiert. Das wiederum ist ein weiterer Hinweis darauf, dass Paulus' Erwähnungen, sei es willentlich oder unwillentlich, etwas anderes meinen als homosexuelle Liebe.

5 Fazit

Festzuhalten bleibt, dass das Neue Testament Homosexualität nur am Rande erwähnt und zwar nie „als eigenes Thema“65. Paulus geht an einer Stelle vermutlich (1 Kor 6,9) und an einer Stelle mit Sicherheit (Röm 1,26f.) auf homosexuelle Praktiken ein, die zu seiner Zeit in der Gesellschaft verbreitet waren, aber unabhängig von der sexuellen Veranlagung geschahen, die damals für die Zuschreibung von Homosexualität noch keine Rolle spielte.

Schon allein auf einer logischen Ebene ist es also nicht möglich zu sagen, Paulus würde sich gegen Homosexualität in unserem heutigen Verständnis aussprechen, auch nicht gegen deren aktive Praktizierung. Damit verifiziere ich die Eingangshypothese.

Vergleicht man die Äußerungen zu sexuellen Ansichten in der Bibel, wird klar, dass Homosexualität in einem breiten Spektrum von Ansichten steht, die weniger eine einheitliche Aussage treffen, sondern vielmehr die Vielfalt der Sitten und Bräuche der Zeit widerspiegeln. Wenn man die Auslegung theologisch mit Jesus begründen möchte, treffen die beiden Stellen in Korinther und Römer nicht auf seine Liebesethik zu. Genauso wenig die in 1 Tim und die Stellen im AT. Dennoch ist Jesus vermutlich die zuverlässigste Referenz für die Frage, was die Bibel zum Thema Homosexualität sagt. Nicht die der Vergangenheit, sondern die heutige.

Literaturverzeichnis

American Psychological Association, Report of the American Psychological Association Task Force on Appropiate Therapeutic Responses to Sexual Orientation, 2009

Balz, Horst, Art.: ^aXaKoi, in in: Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament II, Sp. 939 Bibel in gerechter Sprache, Gütersloh 2006 Die Bibel. Einheitsübersetzung, Stuttgart 2016 Die Bibel. Lutherübersetzung, Stuttgart 2017

Dorn, Klaus, Basiswissen Bibel: Das Neue Testament, Paderborn 2016

Ebel, Eva, Das Leben des Paulus, in: Wischmeyer, Oda (Hrsg.), Paulus. Leben - Umwelt - Werk - Briefe, 2. Auflage Tübingen 2012

Ebner, Martin / Heininger, Bernhard, Exegese des Neuen Testaments, 4. Auflage Paderborn 2018

Feldmeier, Reinhard, Die Welt des Neuen Testaments, in: Niebuhr, Karl-Wilhelm, Grundinformation Neues Testament, 2. Auflage Göttingen 2011

Hermle, Siegfried, Art.: Luther, Martin (AT), in: Das Wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (www.wibilex.de). 2008

Hoffnung für Alle. Die Bibel, 9. Auflage, Basel 2007

Hoheisel, Karl, Art.: Homosexualität, in: Reallexikon für Antike und Christentum. Sachwörterbuch zur Auseinandersetzung des Christentums mit der antiken Welt XVI, Sp. 289 - 364

Katechismus der Katholischen Kirche, München 1993

Michel, Otto, Art.: Korinth, in: Calwer Bibellexikon, 5. Auflage, Sp. 758 - 759

Michel, Otto, Art.: Rom, in: Calwer Bibellexikon, 5. Auflage, Sp. 1136 - 1139

Pilhofer, Peter, Das Neue Testament und seine Welt, Tübingen 2010

Plisch, Uwe-Karsten, Liebe deine*n Nächste*n. Gleichgeschlechtliche Liebe und die Bibel, in: Harasta, Eva (Hrsg.), Traut euch. Schwule und lesbische Ehe in der Kirche, Berlin 2016

Reinsberg, Carola, Ehe, Hetärentum und Knabenliebe im antiken Griechenland, 2. Auflage München 1993

Roloff, Jürgen, Art.: Homosexualität, in: Reclams Bibellexikon, 7. Auflage, S. 235 - 236 Roloff, Jürgen, Art.: Korinth, in: Reclams Bibellexikon, 7. Auflage, S. 303 - 304

Roloff, Jürgen, Art.: Rom, in: Reclams Bibellexikon, 7. Auflage, S. 462

Schmeller, Thomas, Der erste Korintherbrief, in: Ebner, Martin / Schreiber, Stefan (Hrsg.), Einleitung in das Neue Testament, Stuttgart 2008

Schneider, Gerhard, Art.: a pgsvokol, in: Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament I, Sp. 380

Schnelle, Udo, Einleitung in das Neue Testament, 8. Auflage Stuttgart 2013

Scholz, Stefan, Art.: Homosexualität (NT), in: Das Wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (www.wibilex.de), 2012

Schreiber, Stefan, Briefliteratur im Neuen Testament, in: Ebner, Martin / Schreiber, Stefan (Hrsg.), Einleitung in das Neue Testament, Stuttgart 2008

Schreiber, Stefan, Chronologie: Lebensdaten des Paulus, in: Ebner, Martin / Schreiber, Stefan (Hrsg.), Einleitung in das Neue Testament, Stuttgart 2008

Schreiber, Stefan, Der Römerbrief, in: Ebner, Martin / Schreiber, Stefan (Hrsg.), Einleitung in das Neue Testament, Stuttgart 2008

Spektrum, Art.: Homosexualität, in: Lexikon der Biologie,

https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/homosexualitaet/32494. zugegriffen am 14.03.2019

Spiegel (bento), Wie würden Sie Ihre sexuelle Orientierung beschreiben?, in: Statista - Das StatistikPortal, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/479510/umfrage/umfrage-in-deutschland-zur- eigenen-sexuellen-orientierung/, zugegriffen am 14.03.2019

Voss, Pia, Diskriminierung gibt es noch immer, in: Deutsches Ärzteblatt für Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten 1 (2005), S. 27 - 28

Weltärztebund, WMA Statement on Natural Variations of Human Sexuality, https://www.wma.net/policies-post/wma-statement-on-natural-variations-of-human-sexuality/, zugegriffen am 14.03.2019

Wengst, Klaus, Paulus und die Homosexualität. Überlegungen zu Röm 1,26f., in: Zeitschrift für evangelische Ethik 31 (1987), S. 72 - 81

Winterer, Angelika, Verkehrte Sexualität - ein umstrittenes Pauluswort. Eine exegetische Studie zu Röm 1,26f. in der Argumentationsstruktur des Römerbriefs und im kulturhistorisch- sozialgeschichtlichen Kontext, Frankfurt 2005

Wink, Walter, Biblical Perspectives on Homosexuality, in: Christian Century (1979), zitiert und übersetzt nach: https://www.huk.org/themen/umgang-mit-bibeltexten/108-homosexualitaet-und-die-bibel, zugegriffen am 14.03.2019

Wischmeyer, Oda, Einführung, in: Wischmeyer, Oda (Hrsg.), Paulus. Leben - Umwelt - Werk - Briefe, 2. Auflage Tübingen 2012

Zürcher Bibel, Zürich 2007

[...]


1 Weltärztebund, WMA Statement on Natural Variations of Human Sexuality

2 Sofern nicht angegeben, stammen die Bibelverse aus der Lutherbibel

3 Katechismus der Katholischen Kirche, Abschnitte 2357 - 2359

4 Feldmeier, Die Welt des Neuen Testaments, S. 46

5 Ebner / Heininger, Exegese des Neuen Testaments, S. 20

6 Schreiber, Briefliteratur im Neuen Testament, S. 250

7 Ebd., S. 252

8 Wischmeyer, Einführung, S. 163

9 Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, S. 56ff.

10 Dorn, Basiswissen Bibel: Das Neue Testament, S. 106

11 Ebel, Das Leben des Paulus, S. 105

12 Schreiber, Chronologie: Lebensdaten des Paulus, S. 265

13 Ebel, Das Leben des Paulus, S. 109

14 Schreiber, Chronologie: Lebensdaten des Paulus, S. 275

15 Feldmeier, Die Welt des Neuen Testaments, S. 46ff.

16 Ebd., S. 53

17 Winterer, Verkehrte Sexualität - ein umstrittenes Pauluswort. Eine exegetische Studie zu Röm 1,26f. in der Argumentationsstruktur des Römerbriefs und im kulturhistorisch- sozialgeschichtlichen Kontext, S. 27

18 Pilhofer, Das Neue Testament und seine Welt, S. 139

19 Michel, Art.: Korinth, Sp. 758

20 Roloff, Art.: Korinth S. 304

21 Michel, Sp. 758

22 Schreiber, Der Römerbrief, S. 298

23 Michel, Art.: Rom, Sp. 1136

24 Roloff, Art.: Rom, S. 462

25 Schreiber, Der Römerbrief, S. 289

26 Spektrum, Art.: Homosexualität

27 Voss, Diskriminierung gibt es noch immer, S. 27

28 Spektrum, Art.: Homosexualität

29 Exemplarisch: Spiegel (bento), Wie würden Sie Ihre sexuelle Orientierung beschreiben?

30 American Psychological Association, Report of the American Psychological Association Task Force on Appropiate Therapeutic Responses to Sexual Orientation, S. V

31 Scholz, Art.: Homosexualität (NT), S. 4

32 Roloff, Art.: Homosexualität, S. 235

33 Hoheisel, Homosexualität, Sp. 290

34 Roloff, S. 236

35 Reinsberg: Ehe, Hetärentum und Knabenliebe im antiken Griechenland, S.165ff

36 Winterer, S. 47

37 Hoheisel, Sp. 312

38 Winterer, S. 51

39 Ebd., S. 51

40 Schmeller, Der erste Korintherbrief, S. 313

41 Ebd., S. 314

42 Balz, Horst, Art.: ^aXaxoi, Sp. 939

43 Schneider, Gerhard, Art.: apasvorcOl, Sp. 380

44 Scholz, S. 11

45 Winterer, S. 150-157

46 Plisch, Uwe-Karsten, Liebe deine*n Nächste*n. Gleichgeschlechtliche Liebe und die Bibel, S. 29

47 Scholz, S. 10

48 Ebd., S. 13

49 Schreiber, Der Römerbrief, S. 290

50 Ebd., S. 291f.

51 Schnelle, S. 141

52 Wengst, Paulus und die Homosexualität. Überlegungen zu Röm 1,26f., S. 75

53 Winterer, S. 320

54 Scholz, S. 9

55 Ebd. S, 9

56 Plisch, S. 29

57 Weil heterosexuell empfindende Menschen ihre Partner verließen (Röm 1,26f.)

58 Wengst, S. 74

59 Ebd., S. 72

60 Plisch, S. 34

61 Wink, Biblical Perspectives on Homosexuality

62 Hermle, Art.: Luther, Martin (AT), S. 10

63 Wink

64 Ebd.

65 Wengst, S. 72

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Homosexualität im Neuen Testament. Umstrittene Verse von Paulus in Briefen nach Korinth und Rom
Hochschule
Pädagogische Hochschule Heidelberg
Note
1,0
Autor
Jahr
2019
Seiten
25
Katalognummer
V491335
ISBN (eBook)
9783668982079
ISBN (Buch)
9783668982086
Sprache
Deutsch
Schlagworte
homosexualität, paulus, korinth, neues Testament, briefe, bibel, umstrittene verse
Arbeit zitieren
Jonathan Maisenbacher (Autor:in), 2019, Homosexualität im Neuen Testament. Umstrittene Verse von Paulus in Briefen nach Korinth und Rom, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/491335

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Homosexualität im Neuen Testament. Umstrittene Verse von Paulus in Briefen nach Korinth und Rom



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden