Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Motivation und Einführung
1.1 Motivation
1.2 Beitrag dieser Arbeit
1.3 Einführung
2 Gesellschaftlicher Disput
2.1 Gesellschaftliche Chancen und Herausforderungen
2.2 Öffentliche Meinung
3 Legal-Tech im deutschen Zivilprozess
3.1 Ablauf eines Zivilprozesses
3.1.1Anklage
3.1.2Güteverhandlung
3.1.3Haupttermin
3.1.4Entscheidung
3.1.5Rechtsmittel
3.1.6Vollstreckung
4 Bestehende Verfahren
4.1 COMPAS
4.2 Klassifikationsverfahren
4.2.1 Einführung in das Beispiel
4.2.2 Klassifikation mittels K-Nearest Neighbour
4.2.3 Entscheidungsbaumlernen
4.3 Künstliche Intelligenz und bestehende Rechtsdokumente
4.4 Smart Contracts
5 Fazit
Literaturverzeichnis
Abstract
Im Rahmen dieser Arbeit werden mögliche Chancen und Herausforderungen hinsichtlich einer digitalen Rechtsprechung dargestellt. Anhand der aktuellen Haltung der deutschen Bevölkerung zur künstlichen Intelligenz (KI), wird eine These zur Akzeptanz von Algo- rithmen in der Rechtsprechung aufgestellt. Das aktuelle Leistungspotential entsprechen- der Algorithmen wird hinsichtlich eines deutschen Zivilprozesses analysiert. Es erfolgt die Betrachtung eines kommerziell vermarkteten Tools zur Entscheidungsfindung sowie eine Einführung in das Klassifikationsverfahren K-Nearst Neighbour und dem Lernen von Ent- scheidungsbäumen. Eine Nutzung bestehender Rechtsdokumente als Grundlage für eine Rechtsprechung mittels KI wird reflektiert. Hinsichtlich der Komplexität und des großen Aufwands, welcher zur Umsetzung einer digitalen Rechtsprechung vonnöten wäre, wird hinterfragt ob Smart Contracts eine mögliche Alternative darstellen, in dem Rechtsstreits vorab vermieden werden.
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Motivation und Einführung
1.1 Motivation
„Die deutsche Justiz steht kurz vor dem Kollaps“ [14]. Liest man Schlagzeilen dieser Art kann der Eindruck entstehen, dass es sich um eine überspitzte Formulierung eines Journa- listen handelt, um das Interesse des Lesers für den Artikel zu wecken. Bei der Betrachtung, dass jedoch selbst bei Anklagen wegen versuchten Totschlags, aufgrund zu langer Verfah- rensdauer, Tatverdächtige freigelassen wurden, wird das tatsächliche Ausmaß klar. So wurden im Zeitraum 2012-2017 allein in Baden-Württemberg 25 Tatverdächtige wegen zu langer Verfahrensdauer aus der Haft entlassen [18].
Der Fortschritt der Technik z.B. auf dem Gebiet der KI, stellt mögliche Techniken hin zu einer digitalen Rechtsprechung in Aussicht. Interessant ist hierbei die Frage, welche Verfahren dazu aktuell angewandt werden und was diese imstande sind zu leisten. Stellen bestehende oder mögliche Verfahren hierbei ein Allheilmittel für die Justiz in Aussicht? Welche Chancen und Herausforderungen ergeben sich und führen diese zu einer juristisch perfekten Welt? Wie in vielen Fällen moderner Technik existiert eine große Menge an Faktoren welche das Ergebnis beeinflussen, nicht zuletzt unter anderem auch der Faktor Mensch. Weshalb das Thema der digitalen Rechtsprechung bereits zu einem Disput in der Öffentlichkeit führt.
Dies zeigt, dass für einen Informatik-Studenten eine Ausarbeitung dieses Themas die Möglichkeit bietet, sich mit den aktuellen Methoden und Errungenschaften auf dem ge- nannten Gebiet auseinanderzusetzen. Aber auch um zu reflektieren, ob es gesellschaftlich verträglich ist, das technisch Mögliche auch umzusetzen.
1.2 Beitrag dieser Arbeit
Diese Arbeit möchte die Einstellung der Öffentlichkeit zur digitalen Rechtsprechung kri- tisch hinterfragen sowie positive als auch negative Aspekte ausarbeiten, welche in vielen Fällen nicht direkt offensichtlich sind. Zudem soll ein kurzer Überblick zu dem aktuel- len Stand der Technik bezüglich der digitalen Rechtsprechung geben werden. Hierdurch soll Transparenz über die Leistungsfähigkeit und Schwächen der Systeme geschaffen wer- den. Darüber hinaus soll Fachkundigen aus dem Bereich der Informatik ein Einstieg in mögliche Klassifikationsverfahren gegeben werden, da diese Verfahren in der digitalen Rechtsprechung aktuell Anwendung finden. Letztlich soll zur Aufklärung der Öffentlich- keit beigetragen werden, um eine sachliche und fundierte Debatte herbeizuführen.
1.3 Einführung
Betrachtet man die Geschichte des Rechts wird klar, dass es sich bei der digitalen Recht- sprechung um ein Vorhaben handelt, welches eines der ältesten menschlichen Bestrebun- gen mit den jüngsten uns zur Verfügung stehenden Techniken vereint. So ist der älteste bekannte Rechtstext „Code of Hammurabi“ vor ca. 3.700 Jahren geschaffen worden. Die KI hingegen kann auf Alan Turings Artikel 1 aus dem Jahr 1950 zurückgeführt werden [12].
Die Vorstellung, dass Algorithmen einen Richter ersetzen mag für manchen als Science- Fiction oder gar befremdlich wirken. Es existieren jedoch bereits Tools welche die Ent- scheidungsfindung von Gerichten unterstützen [17].
Auch zur Verwirklichung einer voll autonomen digitalen Rechtsprechung existieren An- sätze. Mittels formaler Modelle sowie dem Trainieren von Entscheidungsstrukturen durch KI scheinen derartige Verfahren greifbar. Ziel ist hierbei die Bearbeitung von Herausfor- derungen des Gebietes der Rechtsinformatik.
Herausforderungen welche für die Systeme bestehen sind z.B. die natürliche Sprache in welcher die Gesetzgebung vorliegt. Denn in der natürlichen Sprache existieren z.B. keine Klammern, weshalb die logischen Elemente in Texten wie „und“ und „oder“ unklar sein können. Auch werden Aussagen mit umfänglichem Interpretationsspielraum verwendet, denn Aussagen wie „wenn und nur wenn“ sind meist nicht zu finden, auch wenn viele Passagen dies beabsichtigen [7, S. 858].
Zu der digitalen Rechtsprechung existieren mannigfaltige Ansätze an Software und Online- Dienste, die juristische Arbeitsprozesse durch Automatisierung unterstützen oder ersetzen möchten. Diese Tools werden unter dem Begriff Legal Technology (LT) zusammengefasst [28]. Auch diese spielen hinsichtlich der digitalen Rechtsprechung eine Rolle, da sie eine Reihe an Chancen und Herausforderungen für das Rechtssystem darstellen. Als Beispiel sei hier die automatische Prüfung von Entschädigungsansprüchen genannt. Ein solches Verfahren reduziert den Aufwand und das Risiko für einen Geschädigten eine Klage zu veranlassen. Nur stellt sich die Frage, ob dies zu einer Klageflut führt und wie diese bei ohnehin überlasteten Gerichten bewältigt werden kann.
2 Gesellschaftlicher Disput
2.1 Gesellschaftliche Chancen und Herausforderungen
Selbst Kanzleien bestreiten nicht, dass Recht haben und Recht bekommen nicht dasselbe ist. Angeführt werden hierbei, dass Recht eine Auslegungssache ist und der Richter nicht beim Geschehnis zugegen war [4]. Zudem gilt, dass Menschen mit viel Budget sich Top- Anwälte leisten können, womit sie sich im Falle eines Rechtsstreits bessere Gewinnchancen ausrechnen. Noch verwerflicher ist die Manipulation von Geschworenen oder Richtern, um die eigenen Interessen durchzusetzen. Zu diesen Umständen kommen erschwerend die Kosten, hoher Zeitaufwand, Verlustrisiko sowie ggf. der Aufwand für die tatsächliche Vollstreckung des Zivilprozesses hinzu [3], welche Geschädigte vor der Klageerhebung abschrecken.
Betrachtet man diese Sachverhalte, so scheint die Verwendung von LT ein vielverspre- chender Lösungsansatz für die dargelegten Herausforderungen. Es lassen sich folgende Argumente als Thesen zur Wertschöpfung durch digitale Rechtsprechung aufstellen:
- Neutralität (Algorithmen entscheiden nicht nach Sympathie)
- Rechtsbehelf für alle (Beratung und Unterstützung selbst für die Ärmsten)
- Geringerer Zeitaufwand (Anhand der Automatisierung)
- Reduktion des Risikos (Einschätzung auf Grundlage von großen Datenmengen)
- Reduzierte Kosten (Geringerer Zeitaufwand und Aufwendungen für Experten)
- Keine Vorteilsnahme (z.B. durch teure Top-Rechtsanwälte)
- Keine Einflussnahme (Algorithmen lassen sich nicht bestechen)
So zeigt dies eine neue Chance für eine Welt des Rechts und nicht des Stärkeren. Auch würde sich vermutlich das Verhalten einiger nachhaltig verändern, da sich das Risiko tatsächlich bei Vertragsverstößen oder rechtswidrigen Handlungen belangt zu werden, erheblich erhöht.
Doch betrachtet man diese Argumente im Detail bemerkt man, dass zumindest bei einigen Herausforderungen bestehen, welche wir gesellschaftlich unverzüglich angehen sollten.
- Neutralität
Hier gilt es sicherzustellen, dass der Algorithmus auf Grundlage konformer und ethisch vertretbarer Datensätze Entscheidungen trifft. Es stellt sich die Frage, ob Gerichtsurteile aus der Vergangenheit dem gerecht werden. Die Problematik wird unter Abschnitt 4.3 eingehender erläutert.
- Rechtsbehelf für alle
Hierbei stellt sich die Frage nach der Barrierefreiheit. Sind die Systeme für jeden zugänglich? Wie können geistig Behinderte oder alte Menschen, welche mit der Bedienung überfordert sind, diese nutzen?
- Keine Vorteilsnahme
Besteht diese wirklich oder entsteht ein Wettstreit zwischen Unternehmen, um den besten Algorithmus zur Klageerhebung und Verteidigung. Eine somit einhergehende künstliche Preissteigerung könnte dazu führen, dass derjenige gewinnt wer sich den besten Algorithmus leisten kann.
- Keine Einflussnahme
Sind die Entwickler eines rechtsprechenden Algorithmus neutral und wer überwacht diese? Kann durch Hacker Einfluss auf die Software genommen werden?
2.2 Öffentliche Meinung
Neben den unter 2.1 genannten Einflüssen spielt zudem die Wahrnehmung der Menschen hinsichtlich der Akzeptanz und der damit einhergehenden politischen Umsetzbarkeit eine große Rolle. Umfragen zeigen, dass eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung künstliche Intelligenz für eine gute Idee hält. Jedoch soll diese nicht zu autonom agieren und sich eher darauf beschränken, dem Menschen als Assistenzsystem zuzuarbeiten [26]. Gerade diese Einstellung stellt für den Staat und damit für die Gesellschaft eine der größten Herausforderungen dar. Es liegt die Vermutung nahe, dass Systeme zur unterstützten Klageerhebung durchaus akzeptiert werden, zumal sie für den Einzelnen gewinnbringend erscheinen. Systeme welche jedoch die Rolle des Richters einnehmen, würden demnach nicht akzeptiert. Das Resultat wäre eine Klageflut, welche automatisch oder mit gerin- gem Aufwand erstellt würde und mit nur hohem Aufwand abgearbeitet werden kann. Für den Fall, dass der Staat dazu in der Lage wäre genügend Personalressourcen aufzubrin- gen um der Klagewelle Herr zu werden, müssten die dadurch entstandenen Kosten durch den Steuerzahler und damit wieder der Gesellschaft getragen werden. Zudem, dass die Personalressourcen angesichts der unter 1.1 geschilderten Situation wohl kaum aufzubrin- gen sind, stellt sich die Frage ob diese Umverteilung wirklich das ist was die Gesellschaft möchte.
3 Legal-Tech im deutschen Zivilprozess
3.1 Ablauf eines Zivilprozesses
Nachfolgend wird der Ablauf eines Zivilprozesses dargestellt. Anhand dessen, erfolgt eine Einordnung der aktuellen Möglichkeiten diese mit Software zu unterstützen oder gänzlich zu automatisieren:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3.1: Ablauf eines Zivilprozesses lt. [30, S.528]
3.1.1 Anklage
Damit ein Zivilprozess zustande kommt, muss nach einem Verstoß z.B. gegen das Vertrags- recht eingehend Anklage erhoben werden. Im immer größer werdenden Umfang werden hierbei LT Tools bereits heute eingesetzt. Fluggastrechte, Hartz-IV-Bescheide, Bußgeld- vorwürfe und vieles mehr werden geprüft [22]. Sollte der Algorithmus anhand der Angaben zu dem Schluss gelangen, dass es profitabel ist, wird der Nutzer beim Widerspruch oder der Erhebung der Anklage unterstützt.
Für die Zukunft stellt sich hier die Frage was diese Entwicklung bewirkt. Wie eingangs erläutert war das Risiko, die Kosten und der Aufwand vor dem Einsatz dieser LT Tools höher. Betrachtet man die Faktoren Kosten und Aufwand existieren bereits derartige Transformationen alter Vorgänge in Neue. Als Beispiel wird hierbei die Verwendung von Briefen und E-Mails herangezogen. 2016 wurden lt. der Deutschen Post 18,628 Millionen Briefe befördert, 2018 waren es noch 17,878 Millionen Briefe [29]. Betrachtet man die Entwicklung bei den E-Mails in Deutschland, waren es ohne Spam 2016 noch 625,8 Mil- liarden und 2018 bereits 848,1 Milliarden [5]. Damit wuchs die Anzahl der Nachrichten allein in diesem Zeitraum um 35,52%. Es stellt sich die Frage, ob es nicht sinnvoll ist eine gewisse Hürde aufrecht zu erhalten und in Kauf zunehmen, dass gewisse Rechtsverstöße bei denen der Aufwand nicht dem Nutzen entspricht, nicht verhandelt werden.
3.1.2 Güteverhandlung
In dieser Phase wird die Herbeiführung einer einvernehmlichen Erledigung des Rechtss- treits angestrebt. Bereits zum aktuellen Zeitpunkt existieren Berichte darüber, dass häufig durch den Richter zu vorschnellen Vergleichen gedrängt wird. Als Beispiel kann etwa das Bundesarbeitsgericht, Urteil. v. 12.05.2010, Aktenzeichen (Az). 2 Aktenzeichen Revisi- on (AZR) 544/08 genannt werden. Dieses Phänomen sei auf die ungebrochene Streitlust der Rechtsuchenden sowie der zunehmenden Gesetzesflut zurückzuführen [13].
Ein möglicher Aspekt eines Rechtsstreits ist meist, dass sich eine Partei benachteiligt fühlt. Hier bestünde die Chance mittels LT einen homogenen Informationsstand beider Parteien auf Grundlage einer großen Anzahl ähnlicher Verfahren zu schaffen. Die The- se legt nahe, dass durch diese Aufklärungsarbeit eine Annäherung der beiden Parteien geschaffen werden könnte. LT ist derzeit jedoch nicht imstande psychologisch auf die Par- teien einzugehen. Versuche z.B. zum Thema KI und Empathie zeigen, dass die Maschinen mit Problemstellungen dieser Art überfordert sind [9].
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