Die transformative Potenz der ärztlichen Fernbehandlung und ihre rechtlichen Kriterien


Masterarbeit, 2019

49 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Literaturverzeichnis

A. Einleitung

B. Begriffsbestimmung

C. Die historische Entwicklung des ärztlichen Fernbehandlungsverbots

D. Die rechtlichen Kriterien der ärztlichen Fernbehandlung
I. Berufs- und haftungsrechtliche Einordnung
1. Grundvoraussetzungen ärztlichen Handelns
2. Medizinischer Standard
3. Organisationspflichten
4. Übernahmeverschulden
5. Aufklärungspflichten
6. Dokumentationspflichten
II. Datenschutz- und fernabsatzrechtsrechtliche Bestimmungen
1. DS-GVO und BDSG
2. Fernabsatzrecht

E. Die transformative Potenz der ärztlichen Fernbehandlung
I. Potentialbeschreibung im Spiegelbild aktueller Herausforderungen
1. Angebot
2. Nachfrage
II. Hemmnisse und Lösungsansätze

F. Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

A. Einleitung

Die vorliegende Masterarbeit ‚Die transformative Potenz der ärztlichen Fernbehandlung und ihre rechtlichen Kriterien‘ analysiert partiell – via Projektion auf die hiesigen Angebots- und Nachfragerealitäten – die im Mai 2018 vom 121. Deutschen Ärztetag beschlossene Legalisierung der ausschließlichen ärztlichen Fernbehandlung gem. § 7 Abs. 4 MBO-Ä n. F. im Lichte ihrer Potentiale bezogen auf die heute bereits bestehenden, aber insbesondere bezogen auf die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in der Zukunft auftretenden Herausforderungen im deutschen Gesundheitswesen. Hierbei werden v. a. die jüngsten Erkenntnisse des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR, Gutachten 2018) aufgegriffen und auf ihre potentielle Eignung für Fernbehandlungskonzepte hin bewertet (Abschnitt E. I.). Insofern tangiert die Auseinandersetzung auch gesundheitsökonomisch bzw. gesamtgesellschaftlich relevante Sachverhalte. Sie kann somit zu der Debatte um die Weiterentwicklung des deutschen Gesundheitssystems im digitalen Zeitalter beitragen.

Andererseits steckt die Arbeit in ihrem Hauptteil den aktuellen rechtlichen Rahmen der ärztlichen Fernbehandlung ab (Abschnitt D.).

Zuvor wird in Abschnitt B. die Begriffsbestimmung bzw. die Arbeitsdefinition vorgenommen und im Abschnitt C. ein historischer Rückblick beginnend beim Münchner Kodex von 1875 bis hin zum 121. Deutschen Ärztetag im Mai 2018 in Erfurt geschildert.

Im Abschnitt ‚Hemmnisse und Lösungsansätze‘ (Abschnitt E. II.) wird konstatiert, welche Schwächen bzw. Hemmnisse einer im Sinne der Potentialbeschreibung zunehmenden, anerkennenden und v. a. rechtssicheren Anwendung der ärztlichen Fernbehandlung in Deutschland aktuell u. a. entgegenstehen, welche Probleme es in der Zukunft ggf. zu lösen gilt und welche Lösungsansätze hierfür bspw. in Frage kommen.

Die gesamte Betrachtung bezieht sich dabei vordergründig auf den ambulanten Versorgungsbereich, zumal sich telemedizinische Leistungen in der stationären Regelversorgung bereits etablieren konnten.1

Die Arbeit schließt mit einem Fazit bzw. einem Ausblick ab. Sie erhebt dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit, zumal alle Aspekte der ärztlichen Fernbehandlung im Rahmen dieser Arbeit, insbesondere die rechtlichen Kriterien betreffend, naturgemäß nicht vollumfänglich Berücksichtigung finden können.

Schließlich ist auch die Auswahl der Elemente der Potentialbeschreibung hinsichtlich ihrer Eignung ein Abbild meines persönlichen Werturteils zum heutigen Zeitpunkt, nur auszugsweise und nicht abschließend zu verstehen, denn den Möglichkeiten ärztlicher Behandlung dürften im Zuge der digitalen Transformation in Ambivalenz mit den technologischen Fortschritten in der Zukunft noch Potentiale innewohnen, die heute nicht absehbar sind.

Die in männlicher Form verfassten personenbezogenen Bezeichnungen gelten für beide Geschlechter, weil es zu einer besseren Lesbarkeit des Textes beiträgt. Mit Ärzten sind im Übrigen in der Regel auch Psychotherapeuten gemeint.

B. Begriffsbestimmung

Die ärztliche Fernbehandlung wird umgangssprachlich auch als Distanzmedizin bezeichnet.

Die im Englischen hieran treffend anknüpfende Begriffsbestimmung von Marilyn J. Field aus dem Jahr 1996 ist laut Tillmanns2 zugleich die in der Literatur am häufigsten verwendete Definition für Telemedizin: “Telemedicine is the use of electronic information and communications technologies to provide and support health care when distance separates the participants”3

Die ärztliche Fernbehandlung kann sprachlich folglich als Anwendung der Telemedizin begriffen werden, die bei enger Auslegung ihrerseits die Erbringung konkreter medizinischer Leistungen auf dem Gebiet der Diagnostik und Therapie mit den Mitteln der Telematik bezeichnet.4

Das Wort Telematik setzt sich wiederum aus den Worten Telekommunikation und Informatik zusammen und charakterisiert eine Technik, die beide Bereiche miteinander verbindet. Telemedizin definiert sich damit als Diagnostik und Therapie unter Überwindung räumlicher und zeitlicher Distanzen und beschreibt den Kommunikationsweg zwischen Arzt und Patient, Arzt und Apotheker sowie zwischen Patient und Konsiliarärzten durch Nutzung entsprechender Medien.5

„In Anlehnung an die Definition von ‚Fernkommunikationsmittel‘ gem. § 312c Abs. 2 BGB sind ‚Kommunikationsmedien‘ i. S. d. § 7 Abs. 4 S. 3 MBO-Ä n. F. alle Kommunikationsmittel, die zur ärztlichen Beratung und Behandlung eingesetzt werden können, ohne dass der Arzt und der Patient gleichzeitig körperlich anwesend sind (z. B. Telefon, Telefax, E-Mail, SMS, Chat und Video-Chat).“6

Die daraus erwachsene Bandbreite neuer, innovativer Technologien im Gesundheitswesen wird von Begriffen wie Telekonsultation, Teleberatung, Telediagnostik, Telekonsil, Telemonitoring, Teleroboting oder Teleoperation geprägt. All diesen Anwendungen ist gemein, dass sie i. d. R. als ärztliche Fernbehandlung realisiert werden, begrifflich aber werden sie in unterschiedlichem Kontext verwendet und weisen mitunter Überschneidungen auf. Es ist deshalb auch von einer sprachlichen Baustelle die Rede.7

In der Praxis stehen zahlenmäßig die Online-Videosprechstunde und die notfallmäßige audiovisuelle fachärztliche Untersuchung im Vordergrund.8 Diesen Anwendungen der ärztlichen Fernbehandlung ist auch das Hauptaugenmerk im Rahmen der Potentialanalyse im Abschnitt E. gewidmet.

C. Die historische Entwicklung des ärztlichen Fernbehandlungsverbots

Die ärztliche Fernbehandlung und die Diskussionen um ihre Vor- und Nachteile sind keineswegs neu. Bereits „1875 wurde im sog. Münchner Kodex ein Verbot des öffentlichen Ankündigens brieflicher Behandlung kodifiziert, ebenso in der Karlsruher Standesordnung von 1876 und schließlich in den Standesordnungen Westfalens von 1899 und in der Bayrischen Standesordnung von 1909.“9

Ein historisches Ereignis, das bis heute wie kein anderes zum Symbol der ärztlichen Fernbehandlung wurde, ist jedoch die durch Bernhard von Gudden im Jahre 1886 in Absenz erfolgte Begutachtung des bayrischen Königs Ludwig II., der ihm per Ferndiagnose einen ‚Verfall der geistigen Kräfte‘ attestierte und damit die Absetzung des Monarchen erst ermöglichte.10

Die ärztliche Fernbehandlung war kurz zuvor anno 1880 auch Tagesordnungs- und Streitpunkt beim 8. Deutschen Ärztetag zu Eisenach in Thüringen.11 Gegenstand der damaligen Diskussionen waren vorwiegend die ab den vierziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts aufkommenden, von medizinischen Volksaufklärungsabsichten getragenen illustrierten Medien, die sich schnell wachsender Beliebtheit erfreuten und als sog. Briefkastenmedizin bezeichnet wurde. Die Bevölkerung fasste zunehmend Vertrauen zu den ärztlichen Autoren, die sich ihrer menschlichen und medizinischen Sorgen als Leser annahmen und jeweils konkreten Rat anboten, der schließlich beliebt und begehrt wurde. Aufgrund der Tatsache, dass die korrespondierenden Ärzte die Illustrierten jedoch auch zur Anwerbung von Patienten und unter Zuhilfenahme von mitunter marktschreierischen Methoden nutzten, wurden die Hüter des traditionellen Arzt-Patienten-Kontaktes auf die Veröffentlichungen aufmerksam, brachten ihre Bedenken zum Ausdruck und warnten vor einer Verrohung der ärztlichen Sitten. Zahlreiche Delegierte des 8. Deutschen Ärztetages zu Eisenach waren der Auffassung, das Ansehen bzw. das Image der Ärzte leider unter einem solchen Unwesen. Daher billigte die Delegiertenversammlung schließlich auch einen Antrag, der klarstellte, dass es dem öffentlichen Ansehen schade, in öffentlichen Blättern als Arzt medizinischen Rat zu erteilen oder durch Vermittlung solcher Blätter mit unbekannten Personen in Kontakt zu treten. Es sei daher ein Verstoß gegen den korrekten ärztlichen Umgang mit dem Patienten, ohne persönliche Untersuchung Ratschläge zu erteilen, und überschreite das Maß des Zulässigen. Darüber hinaus sei eine solche Verwilderung der Behandlungssitten geeignet, die Ärzteschaft in gefährliche Nähe zu sich in Medien anpreisenden Scharlatanen zu rücken.12

Zu den besagten Autoren zählte auch der Arzt Theodor Sigmund Stern (1840 bis 1891), der sich vom Votum des Ärztetages im Jahr 1880 jedoch nicht beeindrucken ließ und seine Leser auch weiterhin unbeachtet beriet, was ihm schließlich eine Rüge und Anklage einbrachte. Die Begründung zum Urteil lautete daraufhin: „Allein der fragliche Meinungsstreit kann dermalen, selbst im Kreise wissenschaftlich gebildeter Ärzte nicht als derart abgeschlossen gelten, dass die Ratserteilung in dem bezeichneten Sinne nach allgemeiner Ansicht der Beteiligten als ein in allen Fällen unstatthaft und dem Verhalten eines ordentlichen Arztes zuwiderlaufend anzusehen wäre“.13

Im Nachgang des Ärztetages anno 1880 vollzog sich infolgedessen eine landesweit sehr unterschiedliche Meinungsbildung in der Ärzteschaft mit der Folge, dass die ärztliche Standesordnung für Sachsen im Jahr 1889 kein Verbot beinhaltete, die anno 1899 erlassene westfälische Standesordnung sowie die anno 1909 verabschiedete Standesordnung für die bayrischen Ärzte (wie eingangs erwähnt) jedoch ein Verbot für das briefliche Ankündigen von Behandlungen vorsahen.14 Eine ähnliche Situation wie heute, wie sich noch zeigen wird.

Wegweisende Bedeutung erlangte die Standesordnung für die deutschen Ärzte aus dem Jahr 1926, die das Thema im Verbotssinne in § 3 aufgriff. Ausfluss dessen war ein Reichsgesetz von 1927, das zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten diente.15

Salvarsan, ein arsenhaltiges Arzneimittel zur gezielten Behandlung der Syphilis (erstmals im Paul Ehrlich Institut als Arsphenamin synthetisiert), wurde ab 1910 bevorzugt auf dem postalischen Versandwege bezogen, weil die Betroffenen die peinliche Diagnose vermeiden wollten. Im Hinblick auf die mit den erheblichen Nebenwirkungen einhergehende Salvarsan-Therapie drängten die Dermatovenerologen allerdings auf eine gesetzliche Änderung, zumal es angezeigt schien zu vermeiden, die Fernbehandlung mit Salvarsan bei nur vermeintlich Erkrankten durchzuführen. Dem folgte die damalige Reichsregierung und erließ 1927 das besagte Gesetz zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten, das ein Verbot beinhaltete, Geschlechtskrankheiten „anders als auf dem Wege der eigenen Wahrnehmung zu behandeln (Fernbehandlung).“16 Damit trat das erste gesetzliche Verbot der ärztlichen Fernbehandlung in Kraft.17

Bis in die heutige Zeit erachtet die Ärzteschaft den persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt als Goldstandard, was auch in den im Jahr 2015 von der BÄK erlassenen Hinweisen und Erläuterungen zur Fernbehandlung zum Ausdruck kommt.18 Die hierin vorgenommene Konkretisierung und Auslegung der Norm des § 7 Abs. 4 MBO-Ä in dem Sinne, als der Grundsatz ‚offline first‘ (mittels aller 5 Sinne) galt, limitierte jedoch bislang die Ausschöpfung von mit der digitalen Transformation einhergehenden Möglichkeiten ärztlicher Behandlung, worauf im Abschnitt F. eingegangen wird.

[...]


1 Bergmann, MedR 7/2016, 502, 502.

2 Tillmanns, Teleberatung, Telekonsil und Teleoperation, S. 30.

3 Field, Telemedicine, Washington, D.C. 1996, S. 1.

4 Tillmanns, Teleberatung, Telekonsil und Teleoperation, S. 32 f.

5 Kalb, GesR 8/2018, 481, 483.

6 Braun, MedR 8/2018, 563, 564.

7 Tillmanns, Teleberatung, Telekonsil und Teleoperation, S. 29.

8 Jörg, Digitalisierung in der Medizin, S. 65.

9 Kalb, GesR 8/2018, 481, 481.

10 Hahn, MedR 6/2018, 384, 387.

11 Locher, Bayrisches Ärzteblatt 10/2017, 514, 514.

12 Locher, Bayrisches Ärzteblatt 10/2017, 514, 514.

13 Mann, Sudhoffs Archiv 38/1954, 329, 331.

14 Locher, Bayrisches Ärzteblatt 10/2017, 514, 515.

15 Jörg, Digitalisierung in der Medizin, S. 45.

16 § 7 S. 2 des Gesetzes zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten vom 18.2.1927, RGBl. I, S. 61.

17 Diercks, MedR 6/2016, 405, 405 f.

18 BÄK, Hinweise und Erläuterungen zu § 7 Abs. 4 MBO-Ä vom 11.12.2015 (Fernbehandlung), https://tinyurl.com/yb8vu2pw, BT-Drucks. 18/8034, S. 3.

Ende der Leseprobe aus 49 Seiten

Details

Titel
Die transformative Potenz der ärztlichen Fernbehandlung und ihre rechtlichen Kriterien
Hochschule
Universität Münster
Note
2,3
Autor
Jahr
2019
Seiten
49
Katalognummer
V502779
ISBN (eBook)
9783346036766
ISBN (Buch)
9783346036773
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fernbehandlung, Videosprechstunde
Arbeit zitieren
Andreas Bäcker (Autor:in), 2019, Die transformative Potenz der ärztlichen Fernbehandlung und ihre rechtlichen Kriterien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/502779

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