Die Auswirkungen der Migration auf die Arbeitsmarktverhältnisse in Deutschland


Bachelorarbeit, 2019

66 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die klassischen Migrationstheorien im Überblick
2.1 Die Makro-Ebene: Die Segmentationstheorie und die Makrookonomie
2.2 Die Mikro-Ebene: Der entscheidungstheoretische Ansatz von E. Lee
2.3 Die Meso-Ebene: Der Ansatz der Migrationssysteme

3. Die Gastarbeit als Ürsprung der Migration nach Deutschland
3.1 Der Ürsprung der Gastarbeit
3.2 Das gescheiterte Konzept des Rotationsprinzips
3.3 Die Folgen: Niederlassungen und Kettenmigration
3.4 Die Sprach-, und Qualifikationsstruktur der Gastarbeiter

4. Die Migration in Deutschland - Ein Überblick
4.1 Die Entwicklung der Migration in der Bundesrepublik Deutschland
4.2 Die Fluchtmigration in die Bundesrepublik Deutschland
4.3 Die Wanderungssalden der Haupt-Herkunftsregionen
4.4 Die Zusammensetzung der auslandischen Bevolkerung im Jahr 2018

5. Der demografische Wandel
5.1 Die Ürsachen des demografischen Wandels im Kontext der Migration
5.1.1 Die Mortalitat und Lebenserwartung
5.1.2 Die Fertilitat
5.1.3 Die Außenwanderung
5.2 Die Folgen des Wandels fur die Bevolkerungsgroße
5.3 Die Folgen des Wandels fur die Altersstruktur

6. Bildung
6.1 Die allgemeinbildende Schulausbildung – Ein Vergleich
6.2 Die betriebliche Berufsausbildung
6.2.1 Bewerber mit und ohne Migrationshintergrund - Ein Vergleich
6.2.2 Die Einmundungsquoten – Ein Vergleich
6.2.3 Schulabschlusse zum Zeitpunkt der Bewerbung – Ein Vergleich
6.2.4 Die Einmundungsquoten nach Qualifikationsstrukturen
6.2.5 Berufsabschlusse im Vergleich
6.3 Sprachqualifikationen im Vergleich

7. Die Arbeitsmarktintegration
7.1 Der quantitative Arbeitskraftebedarf bis zum Jahr 2060
7.2 Das quantitative Arbeitskrafteangebot bis zum Jahr 2060
7.2.1 Szenario 1
7.2.2 Szenario 2
7.2.3 Szenario 3
7.2.4 Szenario 4
7.3 Die Bilanz aus quantitativem Arbeitskraftebedarf und -angebot
7.4 Der qualitative Arbeitskraftebedarf der Zukunft
7.5 Das qualitative Arbeitskrafteangebot der Zukunft
7.6 Chancen und Risiken auf dem Arbeitsmarkt – Ein Vergeich
7.7 Beschaftigte und Arbeitslose – Ein Vergleich

8. Fazit

Literaturverzeichnis.

Anhang

1. Einleitung

„Alle Weltgeschichte ist im Kern Geschichte von Wanderungen. Soweit wir rückwärts blicken können in den Nebel, der die Anfänge der Menschheitsentwicklung auf diesem Planeten verhüllt, führt alle Bewegung der Kultur auf Bewegung von Menschenmassen im eigentlichen Sinne, auf Wanderung zurück“ (Oppenheimer 2015: 28). Diese Interpre- tation der Wanderung als geschichtlichen Ursprung der Menschheitsentwicklung veran- schaulicht, dass den Migrationsbewegungen bereits vor fast 100 Jahren das Potenzial zu- gesprochen wurde, bedeutsame Entwicklungen der Menschheitsgeschichte nachhaltig zu beeinflussen. Auch heute erregt die Thematik der Zuwanderung in den politischen und gesellschaftlichen Debatten eine hohe Aufmerksamkeit. Kaum ein anderes Phanomen polarisiert die Bevolkerungen gegenwartig in einem vergleichbarem Maß.

Die Migration, die als „jeder Wechsel des Hauptwohnsitzes einer Person“ definiert wird, kann innerhalb eines Landes und über Staatsgrenzen hinweg erfolgen (Wagner 1989:26). In der vorliegenden wissenschaftlichen Arbeit wird lediglich die Verlagerung des Lebens- mittelpunktes über Staatsgrenzen hinweg betrachtet. Nach der Definition des Bundesam- tes für Migration und Flüchtlinge liegt bei einer Person dann ein Migrationshintergrund vor, wenn sie selbst nicht mit einer deutschen Staatsangehörigkeit geboren ist oder sie einen Elternteil hat, der nicht mit einer deutschen Staatsangehörigkeit geboren wurde (Bundeszentrale für politische Bildung 2018: 29). Im Einzelnen umfasst diese Definition zugewanderte und nicht zugewanderte Personen mit einer ausländischen Staatsbürger- schaft, zugewanderte und nicht zugewanderte Personen, die eingebürgert wurden, Aus- siedler und mit einer deutschen Staatsangehörigkeit geborene Nachkommen dieser drei genannten Gruppen.

In der Bundesrepublik Deutschland lag im Jahr 2017 bei 19,3% der Bevölkerung ein Mig- rationshintergrund vor. Von diesen 19,3 Millionen Migranten sind 6,1 Millionen Men- schen in Deutschland geboren und weitere 13,2 Millionen Personen in die Bundesrepub- lik Deutschland migriert (Bundeszentrale für politische Bildung 2018: 28).

Bis zum Jahr 2015 war die Bevölkerung mit einem Migrationshintergrund größtenteils durch die Zu- und Abwanderung von Bürgern aus der Europäischen Union (EU) geprägt. Seitdem führt eine Intensivierung der sogenannten Push-Faktoren zu einer verstärkten Migration von Menschen aus Drittstaaten in die Bundesrepublik Deutschland. Diese prägten den öffentlichen Diskurs über die Integration von Zuwanderern zunehmend. Das in diesem Zusammenhang hochpolitische und gesellschaftlich kontrovers diskutierte Thema der Migration wirft Fragen auf vielen Ebenen auf. Gesellschaftliche Ängste be- züglich eines wirtschaftlichen Abstiegs oder die Frage nach der sozialen und kulturellen Teilhabe von Geflüchteten standen zuletzt im Mittelpunkt der gesellschaftlichen Debat- ten. Auch die Frage nach der Integration in den Arbeitsmarkt wurde sowohl auf gesell- schaftlicher, als auch auf politischer Ebene diskutiert.

Der in Deutschland voranschreitende Bevölkerungsrückgang und die damit einherge- hende Reduzierung des Arbeitskräfteangebotes zeigt die Notwendigkeit auf, die Frage nach der Arbeitsmarktintegration in den Kontext des demografischen Wandels zu setzen. Die Frage nach der Arbeitsmarktintegration von Migranten erscheint daher in zweierlei Hinsicht relevant. Auf der einen Seite gelten positive Migrationssalden als ein notwendi- ger Ausgleich zu der fortlaufenden Verringerung und Alterung der deutschen Bevölke- rung, die langfristig zu einer Reduzierung des Arbeitskräfteangebotes führen wird. Diese Notwendigkeit der Migration steht der Frage gegenüber, wie gut sich dieses durch die Migration erhöhte Arbeitskräftepotenzial tatsächlich in den Arbeitsmarkt integrieren lässt. Schon heute stehen aufgrund von Differenzen zwischen dem Arbeitskräfteangebot und der Arbeitsmarktnachfrage 750.000 offene Stellen insgesamt 2,5 Millionen Arbeits- losen gegenüber (Fuchs/Kubis/Schneider 2019: 15).

Diese Problembeschreibung führt zu der folgenden Fragestellung: Wie wirkt sich die Migration auf die deutschen Arbeitsmarktverhältnisse aus? Um dieser Frage theoretisch fundiert nachgehen zu können, werden im folgenden Kapitel die klassischen Migrations- theorien dargestellt.

Bevor die Auswirkungen der Migration auf die Arbeitsmarktverhältnisse analysiert wer- den, wird der Ursprung der Migration in die Bundesrepublik Deutschland durch die Gast- arbeit der 1960er Jahre erörtert. Die Nachfolgegenrationen der Gastarbeiter stellen auch heute in einem Umfang von 6,6 Millionen Menschen eine bedeutsame Gruppe in der Be- völkerung mit einem Migrationshintergrund dar (Bundeszentrale für politische Bildung 2018: 28). Die Einbeziehung dieser Teilpopulation begründet sich nicht nur durch ihre quantitative Größe. Während die Gastarbeiter die Arbeitsmarktintegration ihrer Nachfol- gegenerationen maßgeblich beeinflusst haben, prägten sie die Migrationsdynamiken in die Bundesrepublik Deutschland langfristig.

Die anschließende Analyse erfolgt entlang einer notwendigen Differenzierung: Da die in Deutschland lebenden Migranten aufgrund ihrer differenzierten Migrationsmotive unter- schiedlichen Ausgangssituationen für eine Arbeitsmarktintegration unterliegen, erfolgt die Analyse der Auswirkungen auf die Arbeitsmarktverhältnisse unter der Berücksichti- gung der jeweiligen Herkunftsregionen. Diese stellen die Zuwanderer aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union (67%) und Geflüchtete aus Drittstaaten dar (Bundeszentrale für politische Bildung 2018: 28).

Anschließend werden die Migranten hinsichtlich ihrer Einflussnahme auf den demogra- fischen Wandel analysiert, der die Arbeitsmarktverhältnisse unmittelbar beeinflusst. Im nächsten Schritt werden die in Deutschland lebenden Migranten hinsichtlich ihrer Bil- dungsstruktur analysiert, die einen elementaren Indikator für die Integration in den deut- schen Arbeitsmarkt darstellt.

Anschließend erfolgt die Analyse der Auswirkungen der Migration auf die Arbeitsmarkt- verhältnisse in Deutschland. Diese Analyse wird in zwei Abschnitte unterteilt. Zunächst wird der quantitative Arbeitskräftebedarf und das Arbeitskräfteangebot bis zum Jahr 2060 unter der Berücksichtigung des Einflusses der Migration auf das zukünftige Arbeitskräf- tepersonenpotenzial analysiert. In diesem Kontext wird auch der Frage nachgegangen, wie viel Migration aus Drittstaaten nötig ist, um den Arbeitskräftebedarf zukünftig quan- titativ befriedigen zu können.

Im zweiten Teil dieses Kapitels erfolgt eine Analyse des qualitativen Arbeitskräftebedar- fes bis zum Jahr 2060 mit Blick auf das angebotene, qualitative Arbeitskräftepotenzial. Hier werden die Ergebnisse aus der Analyse der Bildungsstruktur von Migranten berück- sichtigt. Die Ergebnisse werden anschließend in einem Fazit zusammengefasst.

Die im Rahmen dieser Arbeit genutzten Quellen entstammen unter anderem dem Bun- desinstitut für Berufsbildung, dem Statistischen Bundesamt sowie der Bundesagentur für Arbeit. Diese elementare Fachliteratur stellt neben einer Vielzahl weiterer Quellen den zentralen literarischen Hintergrund für die Beantwortung der Frage nach den Auswirkun- gen der Migration auf die Arbeitsmarktverhältnisse in Deutschland dar.

2. Die klassischen Migrationstheorien im Überblick

Die Theorien der internationalen Migration haben den Anspruch, eine systematische und strukturell fundierte Antwort auf die Frage zu geben, warum Menschen migrieren (Meier- Braun/ Weber 2017: 35). Neben den Ursachen sollen ebenso die Verläufe und die Folgen der Migrationsbewegungen typologisiert werden. Dabei gibt es unterschiedliche Kon- zepte, Wanderungen wissenschaftlich zu erklären. Die daraus entstehenden „Regeln der Migration“ sind in verschiedener Hinsicht für die bevorstehende Analyse relevant. In die- sem Kapitel werden verschiedene Konzepte berücksichtigt, die durch ihre jeweiligen Blickwinkel relevante Informationen für unterschiedliche Aspekte dieser Arbeit beinhal- ten. Die Komplexität von Wanderungsbewegungen begründen diese Notwendigkeit, ver- schiedene Blickwinkel der Migrationsforschung zu berücksichtigen.

Die Wanderungsbewegungen werden folglich durch klassische Migrationstheorien ver- schiedener Betrachtungs-Ebenen erörtert. Die verschiedenen Blickwinkel gewährleisten eine umfangreiche Erklärungsbreite.

Die Ansätze der klassischen Theorien gliedern sich grundsätzlich in die Mikro-, Makro-, und Meso-Ebene.

Mikro-Ansätze berücksichtigen eine Kosten-Nutzen-Analyse, um Wanderungsentschei- dungen von Individuen unter bestimmten Bedingungskonstellationen zu begründen. Makroökonomische Ansätze erklären die Ursachen und Effekte der aggregierten Migra- tionsströme hingegen durch ökonomische Disparitäten, die zwischen Regionen auftreten (Delhaes-Günther 2012: 45).

Die neue ökonomische Theorie wird durch mesoökonomische Kollektiventscheidungen erweitert (Delhaes-Günther 2012: 45).

Die klassischen Theorien beinhalten überwiegend Konzepte, welche die Ursachen für Wanderungsbewegungen durch eine Arbeitskräftewanderung zwischen Arbeitsmärkten begründen. Den Ursprung findet die klassische Migrationsforschung in dem bevölke- rungsgeografischen Ansatz von Georg Ravenstein. Dieser unternahm den ersten Versuch, Wanderungsbewegungen durch demografische und ökonomische Kriterien zu erklären (Delhaes-Günther 2012: 46). Nachdem Modernisierungen und Industrialisierungen am Ende des 19. Jahrhunderts zu ersten, zunehmenden Wanderungsbewegungen führten, stellte Ravenstein fest, dass Wanderungen nicht regellos verlaufen (Meier-Braun; Weber 2017: 35). Ravenstein löste eine Reihe weiterer Ursachenforschungen von Migrationsbe- wegungen aus. Die im Folgenden vorgestellten, klassischen Migrationstheorien stehen in dem Kontext des sogenannten Pull- und Push Paradigmas (Meier-Braun; Weber 2017:35). Antriebskräfte dieser Pull- und Push-Faktoren können ökologischer, demografischer, sozialer, politischer, ökonomischer, ethnischer oder religiöser Natur sein und dabei in einem zwanghaften oder freiwilligen Kontext stattfinden (Delhaes-Günther 2012: 44).

2.1 Die Makro-Ebene: Die Segmentationstheorie und die Makroökonomie

Die Theorie der Makroökonomie und die Segmentationstheorie stellen zwei elementare Konzepte auf der Makro-Ebene dar (Haug 2000: 1).

Makroökonomische Ansätze orientieren sich an ökonomischen Merkmalen im Aggregat. Auf der einen Seite sind sie daher gut operationalisierbar, neigen auf der anderen Seite jedoch zu Verallgemeinerungen. Sie sehen in den Ungleichheiten zwischen den Arbeits- märkten die zentrale Ursache von Wanderungsbewegungen (Meier-Braun/Weber 2017:35). Aus diesem Grund werden die Arbeitslosenquote und das Bruttoinlandsprodukt als Pull- und Push- Faktoren berücksichtigt, um Migrationsentscheidungen zu begründen (Haug 2000:3). Der Makroökonomische Ansatz besagt, dass Menschen dorthin migrie- ren, wo sie sich einen im Vergleich zu ihrem Herkunftsland leichteren Zugang zum Ar- beitsmarkt sowie bessere Verdienstmöglichkeiten versprechen (Meier-Braun/Weber 2017: 35).

Neoklassisch - makroökonomische Ansätze entwickeln die Gravitationsmodelle weiter und begründen Wanderungsentscheidungen durch Unterschiede in den jeweiligen Lohn- niveaus (Meier-Braun/Weber 2017: 35). Diese ergeben sich aus unterschiedlichen Ange- bots-, uns Nachfragesituationen der Arbeitskräfte zwischen den Herkunftsländern und den Zielländern, die im Verhältnis zwischen Arbeitskraft und Kapital steigen oder sinken. Zudem entsteht ein größerer Anreiz zur Migration, wenn die Berufschancen unabhängig von der Qualifikationsstruktur der Migranten bestehen (Han 2012: 174).

Bereits im Zielland lebende Migranten mindern die emotionalen und sozialen Kosten des Wanderungsindividuums und wirken sich daher positiv auf die Migrationsentscheidung aus (Petersen 2008: 977).

Die Segmentationstheorie (Piore 1979) begründet Wanderungsentscheidungen im Gegen- satz zum makroökonomischen Ansatz nicht durch Einkommensunterschiede, sondern durch die Segmentierung des Arbeitsmarktes in einen primären und einen sekundären Sektor (Haug 2000:3).

Eine konstante Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen für den primären Markt lässt einen Einsatz von kapitalintensiven Technologien zu. Folglich werden weniger Arbeits- kräfte benötigt, während gleichzeitig höhere Qualifikationen vorausgesetzt und sichere und besser bezahlte Arbeitsplätze angeboten werden (Han 2012: 176). Der primäre Ar- beitsmarkt bleibt oft den einheimischen Arbeitskräften vorbehalten.

Der sekundäre Arbeitsmarkt ist hingegen für eine saisonale Nachfrage vorgesehen. Dieser lässt folglich keine kontinuierliche und standardisierte Produktion zu, wodurch arbeitsin- tensive Arbeiten in unsicheren und weniger gut bezahlten Arbeitsplätzen entstehen. Die dadurch mit geringem Prestige ausgestatteten Arbeitsplätze werden schließlich temporär besetzt. In einer expandierenden Wirtschaft werden Arbeitskräfte für den sekundären Sek- tor fortlaufend nachgefragt (Delhaes-Günther 2012: 51).

Die Wanderungsentscheidung wird daher durch einen ständigen Bedarf (Pull) nach Ar- beitskräften für das sekundäre Segment begründet (Meier-Braun/Weber 2017: 35). Mo- derne Industrieländer rekrutieren für dieses sekundäre Segment Migranten, da die dorti- gen Arbeitsplätze von Einheimischen abgelehnt werden. Folglich kann die Nachfrage für diesen Sektor nicht durch Einheimische gedeckt werden (Han 2012: 176). Sogenannte „Target Earners“ arbeiten ausschließlich für ein selbst gesetztes, wirtschaftliches Ziel und sind eher bereit, diese Tätigkeiten im sekundären Segment auszuüben. Für sie ist die so- ziale Identität in der Sozialstruktur des Gastlandes nicht maßgebend (Han 2013: 184). Dabei entwickelt sich temporäre Migration oft zu einer permanenten Migration. Einmal in Gang gesetzt, ist bei dem selbsterhaltenden Prozess kein Unterschied mehr zwischen einer aktiven Rekrutierung und einem selbstversorgenden Informationsfluss unter Mig- ranten erkennbar (Han 2012: 179). Dieser Ansatz zeigt auf, dass sich die Dualität zwi- schen Kapital und Arbeit auf dem Arbeitsmarkt fortsetzt. Die dargestellten Konzepte der Aggregatebene reichen jedoch nicht aus, um Migrationsbewegungen umfangreich zu er- klären.

2.2 Die Mikro – Ebene: Der entscheidungstheoretische Ansatz von E. Lee

Neben den Makro-Ansätzen entwickelte sich ein Trend, Migrationsentscheidungen auf individueller Ebene zu begründen. Die Grundannahme des Pull- und Push- Paradigmas wird dabei auf Entscheidungen von individuellen Akteuren angewandt, die rationale Ent- scheidungen für die Maximierung ihres ökonomischen Nutzen treffen. Dabei werden wie in der Makroökonomie vor allem Lohnhöhen und Beschäftigungschancen für die Begrün- dung von Wanderungsentscheidungen berücksichtigt (Haug 2000:5). Im Unterschied zu den Makroansätzen stehen nicht die aggregierten Lohn-, und Beschäftigungsverhältnisse im Mittelpunkt, sondern das Individuum, seine individuellen Einkünfte und seine Aus- stattung mit Humankapital. Migrationsströme im Aggregat stellen zusammengefasst die Summe der Migration einzelner dar, die aufgrund einer individuellen Kosten-Nutzen Kal- kulation eine Wanderungsentscheidung treffen (Haug 2000: 6).

Der entscheidungstheoretische Ansatz von Everett S. Lee wird aufgrund dieser individu- ellen Beurteilung verschiedener Pull- und Push-Faktoren den Mikroansätzen zugeordnet. Diese Faktoren wirken sich interindividuell unterschiedlich auf die Wanderungsindivi- duen aus, sodass nicht die strukturellen Faktoren an sich, sondern dessen Perzeption maß- gebend für die Wanderungsentscheidung ist (Haug 2000:8). Die individuelle Abwägung der verschiedenen Faktoren steht daher im Mittelpunkt dieses Ansatzes. Dadurch lässt sich erklären, warum Menschen mit gleichen Bedingungen unterschiedliche Migrations- entscheidungen treffen (Meier-Braun/Weber 2017: 35).

Everett Lee nutzt eine individualistische Interpretation des Pull- und Push- Paradigmas der Makroökonomie und zeigt auf, dass eine Wanderungsentscheidung als Wirkkomplex von vier Faktoren abhängig ist. Von diesen Faktoren sind sowohl der individuelle Ent- schluss, als auch die Stärke und der Verlauf des Wanderungsstroms abhängig (Delhaes- Günther 2012:47). Die Faktoren beziehen sich auf das Herkunftsland (Push), das Zielge- biet (Pull), die Hindernisse entlang der Wanderungsstrecke und schließlich auf die indi- viduellen Charakteristika des Wanderungsindividuums (Kröhnert 2007:3).

Die beiden erstgenannten Faktoren erweitern das Lohnniveau und die Arbeitslosenquote um strukturelle Merkmale wie beispielsweise das Merkmal der öffentlichen Sicherheit (Kröhnert 2007:3). Der dritte Faktor erweitert das Kriterium der Distanz um die Hinder- nisse, welche entlang eines Wanderungsprozesses auftreten können (Kröhnert 2007:3). Dies betrifft beispielsweise bürokratische und institutionelle Hürden sowie Transportkos- ten (Delhaes-Günther 2012: 47).

Individuelle Charakteristika berücksichtigen persönliche Merkmale wie das Alter, den Familienstand, die berufliche Qualifikation oder die Risikobereitschaft des Wanderungs- individuums. Dieser individuelle Charakter eines jeden Wanderungsindividuums verdeut- licht, dass nicht nur strukturelle Faktoren an sich, sondern auch deren individuelle Wahr- nehmung zu unterschiedlichen Wanderungsentscheidungen führen. Oft liegt dabei, vor allem mit Blick auf Informationen über mögliche Hindernisse entlang der Wanderungs- prozesses, ein hoher Grad an Ungewissheit vor (Delhaes-Günther 2012: 47). Aus diesem Grund nehmen nur bestimmte Teilpopulationen mit bestimmten Wesensmerkmalen das Wanderungsrisiko auf sich. Grundsätzlich begründet Lee mit seiner Theorie die Wande- rungsentscheidungen durch eine Gegenüberstellung der genannten Faktoren (Kröhnert: 2007:3).

2.3 Die Meso-Ebene: Der Ansatz der Migrationssysteme

Die Theorien der Meso-Ebene begründen Wanderungsentscheidungen durch die Bedeu- tung von sozialen Netzwerken und von Familien (Meier-Braun/Weber 2017: 37). Dem- nach versucht jede Familie in Ländern der Dritten Welt, ihre wirtschaftlichen Risiken durch eine strategische Verteilung ihrer Arbeitskräfte zu minimieren. Dadurch soll das wirtschaftliche Wohlergehen der Familien in den Herkunftsländern gesichert werden. Diese Strategie sieht eine Migration ausgewählter Familienmitglieder vor (Han 2012:175). Den Untersuchungsgegenstand stellen also nicht mehr einzelne Wanderungssub- jekte, sondern gesamte Haushalte dar (Delhaes-Günther 2012: 54). Wie sich die Wande- rungsdynamiken zukünftig entwickeln werden, ist unter anderem vom Informationsstand, den Entscheidungsbedingungen und den migrationspolitischen Interessen der betroffenen Länder abhängig (Delhaes-Günther 2012: 63). Dem Informationsstand wird auf der Meso-Ebene im Ansatz der Migrationssysteme eine bedeutsame Funktion zugeteilt. Dieser weist auf einen intensiven Austausch von Informationen, Gütern und Kapital zwi- schen Ländern hin. Es entsteht ein Migrationssystem, das Herkunfts- und Zielländer mit- einander verbindet (Haug 2000: 17). Die Migration wird dabei als ein dynamischer Pro- zess betrachtet. Soziale Netzwerke stellen nicht nur die Verbindung zwischen strukturel- len Bedingungen (Makro) und individuellen Akteuren (Mikro) her, sondern verbinden auch die Länder des Migrationssystems. Die Individuen sind in diese Migrationsnetz- werke eingebettet und lenken den Migrationsprozess (Haug 2000: 18). Der Bildung sozi- aler Netzwerke einerseits und der Bedeutung von existierenden Netzwerken für Migrati- onsentscheidungen andererseits werden in diesem Ansatz besondere Aufmerksamkeit ge- schenkt (Meier-Braun/Weber 2017: 37). Der Ansatz geht davon aus, dass die persönlichen Beziehungen der Migranten zu einer erhöhten Wahrscheinlichkeit der Kettenmigration führen und bereits existierende Netzwerke eine Migrationsentscheidung zusätzlich för- dern (Meier-Braun/Weber 2017: 37).

3. Die Gastarbeit als Ursprung der Migration nach Deutschland

Dieses Kapitel handelt von der Anwerbung ausländischer Arbeitnehmer in die Bundes- republik Deutschland ab dem Jahr 1961. Sogenannte Gastarbeiter bezeichnen ursprüng- lich Menschen, die im Rahmen von Anwerbeabkommen für einen zeitlich befristeten Zeitraum in Deutschland arbeiten sollten. In der Folge eines unkontrollierten Familien- nachzuges und weiterer in diesem Kapitel vorgestellten Dynamiken stellen die Nachfol- gegenerationen der Gastarbeiter noch heute in einem Umfang von 6,6 Millionen Men- schen eine bedeutende Gruppe der Personen mit einem Migrationshintergrund dar (Bun- deszentrale für politische Bildung 2018: 28).

Nachdem zunächst der Hergang dieser Anwerbung erörtert wird, geht der anschließende Abschnitt auf das Scheitern des Konzeptes der Gastarbeit ein. Im Anschluss werden die Folgen der Gastarbeiteranwerbung in Form von unkontrollierten Familiennachzügen und Niederlassungen beleuchtet.

Da die Arbeitsmarktintegration der Nachfolgegenerationen mit dem Niveau der Bildungs- situation der Gastarbeiter korreliert, wird im letzten Abschnitt dieses Kapitels abschlie- ßend die Qualifikationsstruktur der Gastarbeiter erörtert (Luft 2010: 244).

3.1 Der Ursprung der Gastarbeit

Als in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft ein wirtschaftlicher Aufschwung zu ei- ner steigenden Nachfrage nach Arbeitskräften führte, drängten betroffene Wirtschafts- zweige darauf, das Arbeitskräftepotenzial durch die Öffnung des Arbeitsmarktes auszu- weiten und ausländische Arbeitskräfte zu importieren (Luft 2009: 38). Der Wirtschafts- boom ließ die Arbeitslosenzahlen sinken und erhöhte gleichzeitig den Bedarf nach Ar- beitskräften für den sekundären Arbeitsmarkt (Vgl. Kapitel 2.1).

Als der Bau der Mauer am 13.9.1961 die Zuwanderung aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten unterbrach, befürchtete die westdeutsche Wirtschaft einen unerwünschten Verzicht auf ein Maximum an Wirtschaftswachstum (Luft 2009: 37). Dieser Arbeitskräf- temangel sollte jedoch kritisch hinterfragt werden. In Anbetracht der Tatsache, dass in bestimmten Branchen eine Arbeitskräfteknappheit gleichbedeutend mit einem Lohnan- stieg ist, kann die Anwerbung von Arbeitskräften aus dem Ausland auch als Versuch be- wertet werden, Lohnerhöhungen und Kapitalinvestitionen zu umgehen. Ein Nachfrage- überschuss würde bei einem konstanten Angebot auf dem Arbeitsmarkt steigende Preise bedeuten, die höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen als Konsequenz bewirken würden (Luft 2009: 37). Arbeitsplätze, die für einheimische Arbeitnehmer nicht mehr at- traktiv waren, konnten stattdessen durch Gastarbeiter besetzt werden (Vgl. Kapitel 2.1). Die Gastarbeiter sollten als flexible Arbeitsmarktreserve dienen, um einheimische Ar- beitskräfte in wirtschaftlichen Rezessionen als eine Art Konjunkturpuffer vor der Arbeits- losigkeit zu schützen (Luft 2009: 54). Bei einem sinkenden Bedarf nach Arbeitskräften sollten die Gastarbeiter in ihre Heimatländer zurückkehren.

Die Anwerbung wurde zunächst als primär ökonomisches Thema betrachtet. Wie sich herausstellen sollte, legte diese als befristet geplante Gastarbeit den Grundstein für die folgende, ungesteuerte Zuwanderung nach Deutschland. Diese fand ab den 1970er Jahren endgültig nicht mehr nach dem Arbeitsmarktbedarf statt (Luft 2009:35). Die Vorstellung eines Konjunkturpuffers, der bei einer sinkenden Arbeitskräftenachfrage der Wirtschaft in die Heimatländer zurückkehrt, sollte sich nicht bestätigen.

Das erste Anwerbeabkommen wurde im Jahr 1955 mit Italien vereinbart, obwohl zu die- sem Zeitpunkt noch knapp 1 Million Arbeitslose in Westdeutschland registriert waren (Luft 2009:39). Im Jahr 1960 überstieg die Zahl der offenen Stellen erstmals die Zahl der Arbeitslosen - eine politische Debatte hinsichtlich der Folgen und der Notwendigkeit ei- ner voranschreitenden Anwerbung von Gastarbeitern blieb jedoch aus (Luft 2009: 36). In der darauffolgenden Jahren wurden mit Spanien und Griechenland (1960), der Türkei (1961), Portugal (1964), Marokko (1963), Tunesien (1965) und Jugoslawien (1968) An- werbeabkommen vereinbart (Luft 2009: 39).

Da die Berufschancen unabhängig von der Qualifikationsstruktur der Migranten bestan- den, wurden die Migrationsentscheidungen im Rahmen dieser aktiven Rekrutierung für einen konjunkturanfälligen und schlecht bezahlten, sekundären Arbeitsmarkt zusätzlich bestärkt (Vgl. Kapitel 2.1).

3.2 Das gescheiterte Konzept des Rotationsprinzips

Wie im vorhergehenden Abschnitt erörtert wurde, sollten die Gastarbeiter als eine Art Konjunkturpuffer fungieren. Bei einer sinkenden Nachfrage nach Arbeitskräften sollten die Gastarbeiter in ihre Heimatländer zurückkehren und damit Einheimische vor der ein- tretenden Arbeitslosigkeit schützen.

Abbildung 1: Die Entwicklung ausländischer Arbeitnehmer zwischen 1960 und 1985

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Wehrmann, Martin 1989: 31).

Zwischen den Jahren 1960 bis 1966 stieg die Zahl der ausländischen Arbeitnehmer von ca. 300.000 auf 1,2 Millionen Beschäftigte an. Dieser Anstieg wurde erst durch eine Re- zession in den Jahren 1966 und 1967 unterbrochen, die aufgrund nachlassender Verdienst- möglichkeiten zu einem Rückgang von etwa 200.000 ausländischen Beschäftigten führte (Vgl. Abb. 1). Erstmals lag ein negativer Wanderungssaldo vor (Vgl. Anhang 1). Zu die- sem Zeitpunkt funktionierte die Idee des Konjunkturpuffers also; die Rückwanderungs- welle entlastete die veränderte Arbeitsmarktlage. Die deutsche Politik fühlte sich hin- sichtlich der geplanten Rotationsfunktion der Gastarbeiter bestätigt. Man ging davon aus, dass sich die Zuwanderung auch in der Zukunft nach dem Arbeitsmarktbedarf richten würde. Dass ein Teil der Gastarbeiter bei einer eintretenden Rezession in ihre Herkunfts- länder zurückkehrte, war vor allem der Tatsache geschuldet, dass die Gastarbeiter als un- gelernte Arbeiter in Helfertätigkeiten in konjunkturempfindlichen Branchen tätig waren (Luft 2009: 41). 80% der Gastarbeiter waren größtenteils als Helfer im produzierenden Gewerbe und in der Bauwirtschaft tätig (Vgl. Anhang 2).

Die anschließende Expansionsphase bewirkte Höchstwerte im Beschäftigungsgrad und ließ folglich auch die Anzahl der ausländischen Arbeitnehmer erneut ansteigen (Wehr- mann 1989: 33). Unterbrochen wurde dieser Anstieg erst durch den Anwerbestopp am 23.11.1973. Dass fortan eine im Vergleich zur Rezession aus den Jahren 1966/1967 ver- minderte Bereitschaft vorlag, die Bundesrepublik Deutschland bei eintretenden Beschäf- tigungskrisen zu verlassen, bestätigt die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen von Ausländern. Diese stiegen nach dem Anwerbestopp an und bestanden anschließend auf einem insgesamt hohen Niveau fort (Vgl. Abb. 2). Der Ausländeranteil an allen Arbeits- losen stieg nach dem Anwerbestopp enorm; trotz eines sinkenden Arbeitskräftebedarfes kehrten die Gastarbeiter nicht in ihre Heimatländer zurück.

Abbildung 2: Der Ausländeranteil an allen Arbeitslosen zwischen 1960 und 1980

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Wehrmann 1989: 35). Eigene Darstellung.

3.3 Die Folgen: Niederlassungen und Kettenmigration

Im Jahr 1965 versäumte der Gesetzgeber, die Migration in die Bundesrepublik Deutsch- land nach der Dauer des Aufenthalts, dem Familienstatus oder dem Aufenthaltszweck zu differenzieren (Luft 2009: 66). Da Grundrechte schon immer auch für ausländische Staatsangehörigkeiten galten, schlug sich die Aufenthaltsdauer zwangsläufig in Aufent- haltsrechten nieder. Trotz der Niederlassungstendenzen reagierte die Politik nicht. Es la- gen zu dieser Zeit gravierende Fehleinschätzungen hinsichtlich der Dynamik der Ketten- wanderung durch Familienangehörige vor (Luft 2009: 71). In den mittleren 1970er Jahren besaßen bereits 80% der ausländischen Arbeitnehmer einen verfestigten Aufenthaltsstatus (Luft 2009: 73). Die Vermittlung ausländischer Arbeitnehmer wurde erst als Folge der Ölkrise und einer sich abzeichnenden, schweren Rezession in den Jahren 1974 und 1975 am 23.11.1973 eingestellt (Luft 2009: 51). Zwischen den Jahren 1974 bis 1980 bestand der Anteil der Ausländer an der Gesamtbevölkerung bei rund 21% fort. Die Wanderungs- salden richteten sich nicht mehr nach dem Arbeitskräftebedarf des deutschen Arbeits- marktes (Vgl. Anhang 1). Die Idee, dass die Gastarbeiter bei einer zunehmenden Arbeitslosigkeit wieder in ihre Heimatländer zurückkehren und als Konjunkturpuffer die- nen, wurde bald als gescheitert betrachtet. Migranten ließen sich auch ohne eine Aussicht auf einen Arbeitsplatz in der Bundesrepublik nieder und lösten zudem eine Kettenmigra- tion ihrer Familienangehörigen aus. Häufig lag für die Gastarbeiter und ihre Angehörigen kein Anlass vor, die Lebensverhältnisse in Deutschland einzutauschen. Die zunehmende Vertrautheit mit den Vorteilen des deutschen Sozialsystems, das gleichgestellte Arbeits- und Sozialrecht und die politisch instabilen Verhältnisse in den Herkunftsländern sowie Unterschiede in Lohnniveaus verstärkten die Sogwirkung über Jahre hinweg (Luft 2009:84). Eine Konsequenz des Anwerbestopps und der zunehmenden Aufenthaltsdauer war der Nachzug von Familienangehörigen. Deren Anzahl stieg zwischen den Jahren 1961 und 1975 von 137.000 auf 2,1 Millionen Personen an (Luft 2009: 76).

Die dadurch entstandene Kettenmigration entwickelte sich zu einer Eigendynamik und bedeutete für die Zukunft, dass sich der Zuwanderungsprozess langfristig von dem Bedarf des Arbeitsmarktes lösen sollte (Vgl. Anhang 1). Entsprechende Integrationsmaßnahmen wurden dabei nie eingeleitet.

3.4 Die Sprach-, und Qualifikationsstruktur der Gastarbeiter

Der Erhalt der kulturellen Identität des Herkunftslandes war für viele Gastarbeiter sehr bedeutsam (Luft 2009: 226). Aus diesem Grund lernten sie nur selten die Sprache des Aufnahmelandes. Die Integration in ein außerbetriebliches Umfeld war von den Gastar- beitern zudem nicht vorgesehen, da sie wegen der ursprünglichen Absicht der Rückkehr in die Herkunftsländer kein Interesse an dem Erlernen der deutschen Sprache empfanden (Luft 2009: 233). Da Sprachkurse für Unternehmen oft zu kostenintensiv waren, vermit- telten die Arbeitgeber stattdessen rudimentäre Grundwortschätze für eine elementare Ver- ständigung im Betrieb. Eine Befragung der Bundesanstalt für Arbeit im Jahr 1972 ergab, dass 59% der Befragten ihre Deutschkenntnisse am Arbeitsplatz erworben zu haben; le- diglich 6 % nahmen an einem Sprachkurs teil (Luft 2009: 234). Der Fokus richtete sich ausschließlich auf das Generieren von Geld, wobei Sprachkurse eine entscheidende Rolle für die Möglichkeit einer Integration dargestellt hätten. Je schlechter die Sprache be- herrscht wird, desto weniger Kontakt herrscht zu Einheimischen und desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit hinsichtlich der Arbeitsmarktintegration. Gastarbeiter wiesen im Vergleich zur deutschen Gesellschaft ein niedriges, jedoch ein im Bezug auf die Herkunftsländer vergleichbar überdurchschnittliches Qualifikationsniveau auf (Luft 2009:82). Im Jahr 1972 konnten nur 12% der ausländischen Arbeitnehmer deutsche Sprachkenntnisse vorweisen. 10% der Gastarbeiter haben nie eine Schule besucht, wäh- rend 73% keine Berufsausbildung vorweisen konnten. Diese Qualifikationsstruktur wirkt sich problematisch auf die heutigen Arbeitsmarktverhältnisse aus, da die gegenwärtigen Arbeitsmarktprobleme von ca. 6,6 Millionen Migranten mit der Qualifikationsstruktur der Gastarbeiter-Generationen korrelieren (Luft 2010: 244).

4. Die Migration in Deutschland – Ein Überblick

Nachdem die Gastarbeit und ihre Bedeutung für die heutigen Arbeitsmarktverhältnisse einleitend erörtert wurden, greift dieses Kapitel die gegenwärtige Migrationsstruktur in der Bundesrepublik Deutschland auf.

Zunächst wird der Migrationsanteil in der deutschen Bevölkerung im Zeitverlauf beleuch- tet. Anschließend erfolgt eine Analyse der differenzierten Bevölkerungsentwicklungen von Personen mit und Personen ohne einen Migrationshintergrund. Anschließend wird diese Entwicklung in den Kontext der Zuwanderung von Geflüchteten aus Drittstaaten gesetzt. Da sich ein Asylstatus auf die Arbeitsmarktintegration auswirkt, wird im Kontext der Fluchtmigration auch der Umgang mit Asylanträgen im Zeitverlauf erörtert. Anschließend werden die Haupt-Herkunftsregionen der in Deutschland lebenden Mig- ranten ermittelt. Dies ermöglicht eine differenzierte Analyse der unterschiedlichen Her- kunftsregionen, zwischen denen verschiedene Migrationsmotive und damit auch ver- schiedene Zugangsvoraussetzungen hinsichtlich der Arbeitsmarktintegration vorliegen. Zuletzt wird die Zusammensetzung der Herkunftsländer der im Jahr 2018 in Deutschland lebenden Migranten dargestellt.

4.1 Die Entwicklung der Migration in der Bundesrepublik Deutschland

Der Anteil der Menschen mit einem Migrationshintergrund an der Gesamtbevölkerung stieg zwischen den Jahren 2005 und 2017 von 17,6% auf 23,6% (vgl. Abbildung 3). Die- ser Anstieg geht mit einem gleichzeitigen Rückgang der Bevölkerung ohne einen Migra- tionshintergrund einher. Während im gleichen Zeitraum die Zahl der Menschen ohne ei- nen Migrationshintergrund von 66,2 auf 62,5 Millionen Personen sank, stieg die Zahl der Menschen mit einem Migrationshintergrund im gleichen Zeitraum von 14,1 auf 19,3 Mil- lionen (Vgl. Anhang 3).

Abbildung 3: Der Migrationsanteil in der Bundesrepublik Deutschland im Zeitverlauf

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Statistisches Bundesamt 2019a). Eigene Berechnungen. Eigene Darstellung.

Diese Entwicklungen führen zu einem steigenden Migrationsanteil in einer sich verklei- nernden Gesamtbevölkerung. Der Anstieg des Migrationsanteils in der Bundesrepublik Deutschland geht vor allem mit der Migration aus der EU-Osterweiterung, dem Zuzug aus den Euro-Krisenländern (Griechenland, Italien, Portugal, Spanien) und vor allem mit der Fluchtmigration seit dem Jahr 2013 einher (Vgl. Kapitel 4.3). Vor allem die steigen- den Wanderungssalden von Migranten aus Drittstaaten führten schließlich dazu, dass der Bevölkerungsrückgang seit dem Jahr 2012 gestoppt werden konnte (Vgl. Anhang 3).

4.2 Die Fluchtmigration in die Bundesrepublik Deutschland

Die im Rahmen der Fluchtmigration zugewanderten Schutzsuchenden aus Drittstaaten trugen maßgeblich zu dem Anstieg der Bevölkerung mit einem Migrationshintergrund und damit auch der ausländischen Bevölkerung bei (Vgl. Abb. 4).

Die Zuwanderung von Schutzsuchenden erhöhte die Anzahl der Asylanträge in der Folge erheblich. Diese Zunahme ging mit einem prozentualen Anstieg der akzeptierten Asylan- träge einher (Vgl. Anhang 4). Geflüchteten wird daher zunehmend die Erlaubnis für eine Arbeitsaufnahme erteilt. Diese Tendenz könnte sich positiv auf die Arbeitsmarktintegra- tion von Geflüchteten und damit von allen Personen mit einem Migrationshintergrund ausgewirkt haben. Dieser Zusammenhang wird im weiteren Verlauf der vorliegenden Ar- beit beleuchtet.

Abbildung 4: Anzahl von Ausländern und Schutzsuchenden in der BRD im Zeitverlauf

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Statistisches Bundesamt 2019b). Eigene Darstellung.

4.3 Die Wanderungssalden der Haupt-Herkunftsregionen

Die Abbildung 5 zeigt die höchsten zusammengefassten Wanderungssalden nach Her- kunftsregionen der letzten Jahre auf. Drittstaatsangehörige aus Asylherkunftsländern, Migranten aus den Osteuropäischen EU-Staaten und Zuwanderer aus den GIPS-Staaten (Griechenland, Italien, Portugal, Spanien) stellen die drei wesentlichen Migrationsgrup- pen in der Bundesrepublik Deutschland dar.

Beschäftigungszahlen und Arbeitslosenquoten wirkten dabei als Pull- und Push Faktoren zwischen Arbeitsmärkten aus (Vgl. Kapitel 2.1).

Vor allem die steigenden Erwerbslosenquoten in den GIPS-Staaten begründen die zuneh- mende Migration von Menschen in die Bundesrepublik Deutschland. Der deutsche Ar- beitsmarkt verzeichnete im Jahr 2015 mit einer Erwerbslosenquote von 4,6 % die nied- rigste Quote im europäischen Vergleich und stellte daher vor allem für Migranten aus den GIPS Staaten ein präferiertes Ziel dar (Hartmann 2016: 71).

Drittstaatsangehörige aus nichteuropäischen Asylherkunftsländern traten bis vor wenigen Jahren hingegen kaum in Erscheinung. Die Wanderungssalden der Drittstaatsangehörigen übertreffen erst dem Jahr 2014 die Salden der neuen osteuropäischen EU-Staaten und der GIPS-Staaten. Verstärkte Push-Faktoren wie eine zunehmende politische und religiöse Verfolgung oder Kriege ließen die Wanderungssalden aus den Asylherkunftsländern in den vergangenen Jahren steigen.

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Ende der Leseprobe aus 66 Seiten

Details

Titel
Die Auswirkungen der Migration auf die Arbeitsmarktverhältnisse in Deutschland
Hochschule
Universität Bremen
Autor
Jahr
2019
Seiten
66
Katalognummer
V506949
ISBN (eBook)
9783346071712
ISBN (Buch)
9783346071729
Sprache
Deutsch
Schlagworte
auswirkungen, migration, arbeitsmarktverhältnisse, deutschland, Demografischer Wandel, Arbeitsmarkt, Bildung, Einmündungsquoten, Sprachqualifikation, Gastarbeit, Schulausbildung im Vergleich, Berufsausbildung im Vergleich
Arbeit zitieren
Julian Okrongli (Autor:in), 2019, Die Auswirkungen der Migration auf die Arbeitsmarktverhältnisse in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/506949

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