Sexismus als Folge sozial konstruierter Weiblichkeit


Academic Paper, 2017

12 Pages, Grade: 1,7

Anonymous


Excerpt


Inhalt:

1. Einleitung

2. von #metoo zu #OhneMich

3. Der Geschlechterkörper und die Konstruktion von Weiblichkeit und Männlichkeit

4. Hypersexualisierung als Standard

5. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Der Name Harvey Weinstein hat in diesem Jahr große Bekanntheit erlangt, leider auf keine gute Weise. Nach Bill Cosby ist er nun das nächste Hollywood-Urgestein, welches sich mit schwerwiegenden Vorwürfen bezüglich sexuellen Übergriffen konfrontiert sieht und damit zahlreichen Frauenorganisationen und Feministinnen als ein weiterer Beweis dient für die frauenfeindliche Männerkultur in der die Frauen als Opfer leben müssen.

Ich möchte die Taten von Harvey Weinstein, Bill Cosby und viele anderer Täter in dieser Arbeit auf keinen Fall verharmlosen, noch will ich den Opfern dieser Täter in irgendeiner Weise Schuld unterstellen. Die Schuld trägt ausnahmslos der Täter. Diese Prämisse steht hier überhaupt nicht zur Debatte. Was ich jedoch tun möchte ist, mich kritisch mit dem gesellschaftlichen schwarz-weiß Denken über Sexismus und dessen Konstitution auseinandersetzen und in Frage stellen. Das heißt, die Arbeit soll ein Versuch sein einmal laut nachzudenken über den IST-Zustand und wie es vielleicht anders sein könnte. Zu diesem Zweck stelle ich kurz die #metoo Kampagne rund um Herrn Weinstein vor und exemplarisch eine Reaktion der Bielefelder Soziologin Barbara Kuchler darauf, die unter dem Titel #OhneMich in der ZEIT ONLINE am 12. November 2017 veröffentlicht wurde. Daran Anschließend sollen ein paar Leserkommentare diskutiert werden mit dem Zweck einer Überleitung zu der Frage herzustellen, inwieweit die Frau selbst gesellschaftliche Verhältnisse nicht nur mitträgt sondern vielmehr auch aktiv herstellt; hierbei soll besonderes Augenmerk auf die salonfähige Hypersexualisierung unserer Gesellschaft gelegt werden und der Frage nachgegangen werden, ob die sexuelle Befreiung der Frau in den 1970er Jahren wirklich das gemeint hat, was die heutige Frau daraus gemacht hat. Vorab will ich aber noch einen Begriff klarstellen. Der in dieser Arbeit verwendete Begriff “Verantwortung“ steht nicht synonym zu >Schuld haben< oder >schuldig sein<. Diese Unterscheidung ist in den Meisten Sexismus-Debatten nicht existent, obwohl gerade sie einen sehr wertvollen Beitrag leisten könnte, denn anders als allgemeinhin angenommen kommen Frauen nicht von der Venus und die Männer nicht vom Mars, die sich plötzlich und unerwartet nun auf der Erde gegenüber stehen. Frauen wie Männer sind von Anfang an Teil dieser Gesellschaft. Sie leben aber nicht nur in ihr, sondern reproduzieren sie und ihre Strukturen GEMEINSAM immer wieder neu; und in diesem Zusammenhang ist es nur legitim und fair von Verantwortung zu sprechen.

2. Von #metoo zu #OhneMich

Harvey Weinstein ist ein US-Amerikanischer Filmproduzent, der seit Oktober 2017 als Synonym für sexuelle Belästigung/Nötigung steht. Zahlreiche Schauspielerinnen bezichtigten ihn der sexuellen Belästigung und manche sogar der Vergewaltigung. Die Schauspielerin Alyssa Milano hat in diesem Zusammenhang den Hashtag metoo erdacht. Frauen, die Belästigung, Nötigung und ähnliches erlebt hatten, nutzten und nutzen den Hashtag, um persönliche Erfahrung zu diesem Thema zu teilen. Verschiedene Berichterstattung nennt unterschiedliche Zahlen, aber die Beteiligung soll in den ersten Tagen im sieben stelligen Bereich gewesen sein.1

Es folgten natürlich viele verschieden Reaktionen auf diesen Hashtag, viele zustimmende aber auch ein paar kritische. Eine kritische Reaktion soll hier nun exemplarisch vorgestellt werden. Die Soziologin Barbara Kuchler (2017) verfasste den Artikel #OhneMich, in dem Sie den metoo-Hashtag als oberflächlich bezeichnet, weil er das Phänomen eben nur an der Oberfläche berührt, indem er einfach Opfer aufzählt, aber die Ursachen des Problems gänzlich unberücksichtigt lässt. Eine Ursache sieht Frau Kuchler in der Reduzierung der Frau – nicht etwas bloß durch den Mann – sondern durch die Frau selbst, auf ihr bloßes Äußeres.

„Solange sich Frauen als das schöne Geschlecht gerieren, bleibt die #MeToo-Debatte oberflächlich. […] Darunter liegt die sozial verfestigte Asymmetrie, dass es bei Frauen mehr aufs Aussehen ankommt als bei Männern. […] Bei der Partnerwahl und auch sonst im Leben gilt: Die Frau muss in erster Linie schön sein; beim Mann schadet Schönheit nicht, […], entscheidend sind aber letztlich Status oder Leistung. Die Frau ist mehr als Körper präsent“ (2017: 1).

Frau Kuchler kritisiert die aktive Teilnahme der Frau an der Herstellung dieser bestehenden Verhältnisse, denn

„solange es nicht zu Grapschereien oder verbalen Übergriffen kommt, solange es nur darum geht, sich täglich hübsch zu machen, in Sachen Kleidung und Make-up eine perfekte Performance hinzulegen, scheinen die meisten Frauen keine Einwände gegen ein gesellschaftliches Rollenschema zu haben, dass ihnen die Zuständigkeit fürs Gutaussehen zuweist“ (2017:2).

Als Lösung bietet sie die Überlegung an, dass, um diese Asymmetrie abzuschaffen, die Frau ihrer Reduktion auf Aussehen und Körper aktiv zuwiderhandeln muss und ruft die Frauen dazu auf, es den Männern gleich zu tun und ihre Energie in andere Dinge zu investieren als schminken und schmücken. „Sie [die Frauen] müssen aufhören, […] sich selbst permanent als Körper zu präsentieren“ (2017:2). Frau Kuchler formuliert einen Aufruf, die Schminktasche und die Stöckelschuhe wegzuwerfen und sich die Freiheit zu nehmen genauso >unscheinbar< wie die Männer auszusehen – quasi eine optische Gleichberechtigung (2017:3). Sie adressiert mit ihrem Aufruf nicht nur die Frauen, sondern genauso Modemacher, Arbeitsgerichte, Schulen und Filmemacher die Reduktion der Frau auf bloßes Aussehen aktiv zu unterlassen und nicht mit doppelten Standards zu jonglieren. Sie betont, dass ihr Artikel nicht ein Burka-Aufruf sein soll, sondern sich lediglich gegen die etablierte Asymmetrie richtet, das Frauenkörper und -kleidung in hohem Maße sexualisiert werden und von Männern eben nicht.

„Wer so denkt, hat das Problem nicht verstanden. Der Punkt ist nicht, dass Frauen sich mehr bedecken sollen, […]. Der Punkt ist, dass Freizügigkeit und Blickoffenheit symmetrisch verteilt werden sollen“ (2017:10).

In der Kommentarsektion folgte darauf auf 155 Seiten prompt ein >shitstorm<, in dem Frau Kuchler diktatorische Tendenzen unterstellt oder ihr persönliche Attraktivität abgesprochen wurde, sonst würde sie hübschen Frauen das Hübsch-Sein nicht verbieten wollen. Das Argument, Frau schminkten sich für sich selbst, tauchte ebenfalls zu genüge auf und outete damit zugleich seine Autorinnen, dass sie sich nicht die Mühe gemacht haben, den Artikel zu Ende zu lesen, den gerade auf den Punkt geht Frau Kuchler explizit ein:

„“Gut aussehen“ ist per Definition etwas, das man für andere oder anderen gegenüber macht. “Aussehen“ heißt “Gesehenwerden“ – die aktivische Verbform tarnt hier einen tatsächlich passivischen Sachverhalt. Gesehen wird man durch andere. Wer gut aussehen will, will für andere gut aussehen, er will von anderen gesehen und in seinem Aussehen goutiert werden. “Für sich selbst gut aussehen“ zu wollen, ist daher ein Widerspruch in sich. […] Die Wörter “schick“ und “sexy“ haben keinen Sinn außer in der sozialen Beziehung zu anderen, in einer Robinson-Welt hätten sie keine Bedeutung“ (2017: 5).

Die wenigen Männerstimmen in dem Forum argumentieren, das ihre hübschen “doofen“ Freunde immer mehr Erfolg bei Frauen haben und sehen damit die Asymmetrie-Annahmen widerlegt oder postulieren: „Die Meta-Studien rund um die Geschlechterforschung zeigen ja auch “Woman love people, Men love things“, es bleibt allerdings offen welche Meta-Studien gemeint sind. Eine Userin sieht in der Vorliebe ihrer 13-jährigen Tochter für High Heels, wo doch die Männer der Familie das gar nicht forcieren, den Beweis dafür, dass männerdominierende Fremdherrschaft nicht existiert und solch ein Verhalten den Frauen doch angeboren ist. Eine andere schreibt, sie lasse sich von einer Feministin nicht vorschreiben, was sie tragen soll.

Alles in allem kann man die Kommentare leider wie folgt zusammenfassen: Die zentrale Aussage, dass Frauen durch ihr Schaulaufen aktiv an ihrer eigenen Objektivierung mitarbeiten und selbst nachteilige Geschlechterunterschiede herstellen, wurde gänzlich missverstanden oder einfach ignoriert. Das Alltagswissen wird mit Überzeugung hochgehalten und sehr rigoros verteidigt, was die Anzahl der durch die Redaktion entfernten unangebrachten Kommentare deutlich macht.

Der Fehler, den Frau Kuchler gemacht hat – und den wohl fast jeder Wissenschaftler macht, wenn er zum Laien spricht – ist, sie setzt den eigenen Wissensstand voraus und übersieht, dass der Laie keine Ahnung hat von: soziologischer Theorie, feministischer Theorien oder der geschichtlichen Entwicklung von Zweigeschlechtlichkeit; im Alltagswissen sind Überzeugungen nach dem Venus-Mars-Schema und darwinistischer Logik tief verankert und sehr resistent gegen jede Art von Argumentation. Außerhalb des universitären Kontextes wissen nur wenige was Sozialisation tatsächlich ist oder was Milieu- und Gruppenzugehörigkeiten bewirken können; nur wenn man Konzepte kennt, die beschreiben wie Handlungen sozialer Wesen nur durch die Anwesenheit anderer ihre Bedeutung erhalten, versteht man warum Sätze wie „ich schminke mich für mich“ überhaupt keinen Sinn machen. Erkenntnis, welcher Art auch immer, ist die Summe vorheriger (Lern-)Erfahrungen. Hat man diese Erfahrungen nicht gemacht klafft zwischen dem aktuellen Wissensstand und der besagten Erkenntnis eine große Lücke, die mit auch noch so gut gemeinten Reden niemals überbrückt werden wird. Daher müssen solche Artikel wie der von Frau Kuchler zwangläufig in einem >Shitstorm< enden. Auch Experten anderer Disziplinen sind soziologische Laien und sie betrachten die Dinge mit dem Tunnelblick ihres eigenen Faches und vergessen zu gerne dabei, dass jeder Fachmann in allen anderen Fächern, die es gibt, selbst Laie ist und sich auch lediglich seines Alltagswissens bedient und in dem sind leider Stereotype und Vorurteile das bevorzugte Erkenntniswerkzeug.

Auch wenn der Duktus von Frau Kuchler sich etwas provokant und polemisch gestaltet, so habe ich sie als Beispiel gewählt, weil der Artikel meinen Überlegungen in dieser Arbeit zuträglich ist. Der Punkt ist, das Frauen beim Herstellen des IST-Zustandes beteiligt sind, ihre Beteiligung aber abstreiten, weil sie (und damit meine ich die soziologisch nicht geschulte Frau) ihre gesellschaftliche konstruierten Weiblichkeitsattribute für “naturgegebene“ Weiblichkeit hält und sich, wenn diese angegriffen werden, in ihrer Identität als Frau bedroht fühlt. Nachfolgend soll die Konstruktion von Weiblichkeit etwas näher erklärt werden.

3. Der Geschlechterkörper und die Konstruktion von Weiblichkeit und Männlichkeit

Die meisten Menschen hinterfragen ihr Alltagswissen nicht, sie sehen es täglich in der Interaktion mit anderen bestätigt und somit validiert. Wie und warum Verhältnisse sind wie sie sind wird häufig mit einem >wir haben das immer schon so gemacht< ausreichend beantwortet. Der Mensch sucht nach Stabilität, nicht nur im Leben, sondern auch in seiner Wahrnehmung. Einer dieser stabilen Wahrnehmungsmuster ist die Unterteilung der Menschen in Frauen und Männer. Man glaubt die Sichtbarkeit bestimmter äußerer Merkmale lässt keinen Zweifel an einer akkuraten Zuordnung zu. Man glaubt diese Merkmale seien naturgegeben und daher essentiell für die Zuordnung; entfernte man sie, zerstörte man eine naturgegebene oder Gottgewollte Ordnung.

„Eines der grundlegenden Merkmale sozialen Lebens besteht darin, dass sich Menschen wechselseitig typisieren und klassifizieren. Im Alltag tun wir das so selbstverständlich, dass uns die historische oder kulturelle Genese der sozialen Kategorien, mit denen wir tagein, tagaus zu tun haben, gar nicht bewusst wird. Stattdessen naturalisieren […] wir Menschen, soziale Beziehungen, Gruppen, Institutionen und Strukturen. Das heißt, wir gehen davon aus, dass etwa >natürlicherweise< oder >von Natur aus< so sei. […] Eine dieser fundamentalen Naturalisierungen […] betrifft das Geschlecht. So ist es vermutlich für die meisten Menschen eine unhinterfragte Selbstverständlichkeit, dass es genau zwei Geschlechter Gibt – Frauen und Männer“ (Gugutzer, 2013:124).

Somit schein es logisch kausale Zusammenhänge der Art: Frau = Mutter = Hausfrau= gehört in die Küche oder Karrierefrau ≠ Mutter = keine Frau oder schöne Frau = verheiratete Frau = gute Frau herzustellen – im Alltagswissen wohlgemerkt.

„Normal erscheint es offenbar vielen von uns auch (noch immer), dass mit dem körperlichen Geschlecht bestimmte soziale Rollen und Eigenschaften unmittelbar verknüpft sind“ (Gugutzer, 2013:125).

Es kommt niemanden in den Sinn, dass diese Zusammenhänge nicht von der Natur vorgegeben werden, sondern von der Gesellschaft in langwierigen Aushandlungsprozessen hergestellt werden und an diesen permanenten Aushandlungsprozessen sind die Frauen beteiligt. Indem sie Rollenvorstellungen wie hübsch-sein, höflich-sein, zurückhaltend-sein, sexy-sein, Heiratsmaterial-sein, Mutter-sein, Hausfrau-sein, uneigennützig-sein, warm-sein, weich-sein … internalisieren und das für natürliche Weiblichkeit halten, die es unter allen Umständen hochzuhalten gilt, zementieren sie den für sie selbst nachteiligen IST-Zustand unserer Gesellschaft, der alles andere als natürlich ist. „Man kommt nicht als Frau zur Welt, sondern wird es“ schrieb schon Simone de Beauvoir in ihrem Buch Das andere Geschlecht. Weiter schreibt sie:

[...]


1 Die Darstellung ist eine allgemeine Zusammenfassung unterschiedlicher Berichte zu diesem Thema, sie beruht nicht auf einer expliziten Quelle.

Excerpt out of 12 pages

Details

Title
Sexismus als Folge sozial konstruierter Weiblichkeit
College
Bielefeld University
Grade
1,7
Year
2017
Pages
12
Catalog Number
V534981
ISBN (eBook)
9783346127198
ISBN (Book)
9783346127204
Language
German
Keywords
Soziologie, Gender, metoo, Sexualität, Sexismus, konstruierte Weiblichkeit, Sexuelle Gewalt, Sozialpsychologie
Quote paper
Anonymous, 2017, Sexismus als Folge sozial konstruierter Weiblichkeit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/534981

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