Die Eingewöhnung von Krippenkindern im Alter von einem Jahr. Entwicklung eines individuellen Eingewöhnungsprogramms


Textbook, 2020

97 Pages


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Abstract

Abbildungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Ausgangslage und Hinführung zum Thema
1.2 Ziel der Arbeit und angewandte Methodik
1.3 Eingewöhnung – ein Thema im Bereich der Sozialen Arbeit
1.4 Struktur der Arbeit

2 Transitionen der frühen Kindheit

3 Bindungstheorie
3.1 Grundlagen
3.2 Bindung
3.3 Bindungsbeziehung und Bindungsperson
3.4 Entwicklung der Bindung nach Bowlby
3.5 Bindungstypen

4 Fachkraft-Kind-Bindung
4.1 Beziehungsdreieck Fachkraft-Kind-Bindungsperson
4.2 Aufbau der Fachkraft-Kind-Bindung
4.3 Bewertung der Fachkraft-Kind-Bindung

5 Eingewöhnung von Krippenkindern im Alter von einem Jahr

6 Eingewöhnungsmodelle
6.1 Berliner Eingewöhnungsmodell
6.2 Münchener Eingewöhnungsmodell
6.3 Empirische Evaluation der Eingewöhnung
6.4 Vergleich der Eingewöhnungsmodelle
6.5 Bedeutung der primären Bindungsperson während der Eingewöhnung

7 Aktueller Forschungsstand

8 Kritische Aspekte einer frühen Fremdbetreuung

9 Beantwortung der Forschungsfrage

10 Ableitung der Handlungsempfehlung

11 Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Impressum:

Copyright © Social Plus 2020

Ein Imprint der GRIN Publishing GmbH, München

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Covergestaltung: GRIN Publishing GmbH

Abstract

Die Eingewöhnung von Krippenkindern stellt an alle Beteiligten besonders hohe Anforderungen. Der Entwicklungsstand des Kindes im Alter von einem Jahr begünstigt diesen Übergang, weg von der primären Bindungsperson, verbunden mit dem Aufbau einer neuen Bindung zur Fachkraft, nicht. Das Kind befindet sich in einer kritischen Phase bezüglich eines neuen Bindungsaufbaus. Es ist noch nicht in der Lage eigenständig seine Gefühle zu verarbeiten und ist auf die Hilfe seiner Bindungsperson angewiesen. Die primäre Bindungsperson ist in der Fremdbetreuung nicht anwesend, deshalb ist es absolut notwendig, dass das Kind vor deren Fortgang eine tragfähige Bindung zur Fachkraft aufbaut. Fehlt diese, kann das Kind die schmerzlichen Gefühle, die Trennungsangst und die Trauer über den Weggang seiner primären Bindungsperson nicht verarbeiten. Dies führt zu Entwicklungsbeeinträchtigungen und macht krank. Die Bewältigung dieses Überganges hat Auswirkungen bis ins Erwachsenenalter. Kann der Übergang in die Fremdbetreuung in einem Alter von einem Jahr überhaupt gelingen, und wenn ja, wie muss dafür der Übergang gestaltet werden? Dieser Fragestellung widmet sich folgende Bachelorarbeit. Im Zuge der Bachelorarbeit kann festgestellt werden, dass dieser Übergang unter Beachtung der Bindungstheorie und eines individuellen, auf die Bedürfnisse des Kindes abgestimmten, Eingewöhnungsprogrammes gelingen kann. Da gerade der Übergang in diesem Alter noch nicht vollständig erforscht ist, dürfen die kritischen Stimmen nicht außer Acht gelassen werden.

Schlüsselworte: Eingewöhnung, Transitionen, Fremdbetreuung, Krippenkind, Eingewöhnungsmodell, Bindung, Bindungstheorie, Mutter-Kind-Bindung, Fachkraft-Kind-Bindung, U 3

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1 – Beziehungsdreieck, Grafik

1 Einleitung

1.1 Ausgangslage und Hinführung zum Thema

Gegenwärtig zeichnet sich durch den Ausbau der Betreuungsangebote ein Trend hin zur institutionellen Fremdbetreuung von unter Dreijährigen ab und rückt in die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit (Maywald, 2008, S. 11). Hierbei wird dem Wunsch nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf Rechnung getragen, aber auch der Selbstverwirklichung und Gleichstellung von Mann und Frau (Maywald, 2008, S. 15 f.). Aufgrund der Ergebnisse der PISA-Studie rückt die Diskussion über Bildungsmöglichkeiten im frühkindlichen Bereich in die Öffentlichkeit (Schäfer, 2003, S. 11 f.; Rossbach, 2005, S. 57; Scheerer, 2009, S. 196). Bei Kindern unter drei Jahren sind Bindung und Bildung eng miteinander verbunden, Lernen und Entwicklung hängen in diesem Alter eng von der sicheren Bindung an die Bezugsperson ab (Völkel & Viernickel, 2009, S. 5). Die Psychologin und Bindungsforscherin Liselotte Ahnert ist überzeugt, dass Betreuungs- und Bildungsangebote in Kinderkrippen nur erfolgreich sind, wenn Beziehungsstrukturen zwischen Fachkraft und Kind vorhanden sind und das Kind sich emotional sicher fühlt (Ahnert, 2003, S. 1). Beim rasanten quantitativen Ausbau der Betreuungsplätze ist die Qualität vernachlässigt wurden.

Krippen dürfen aber nicht - wie in ihren Anfängen - auf die reine Betreuungsfunktion reduziert werden, sondern sollen gleichermaßen Erziehungs- und Bildungsaufgaben erfüllen. Ob und wie das gelingen kann, welche Erfahrungen mit dem Besuch einer Krippe oder einer Tageseinrichtung verbunden sind und wie sich diese auf die kindliche Entwicklung auswirken, sind Fragen, auf die wir noch keine zufriedenstellenden Antworten haben. (Viernickel u. a., 2012, S. 11)

Kann hier die Qualität gesichert werden? Tietze und Viernickel haben daraufhin den nationalen Kriterienkatalog entwickelt, welcher einen Orientierungsrahmen für die pädagogische Qualität liefert (Tietze, 2008, S. 28 f.). Bei den Qualitätsstandards besitzt die Eingewöhnung einen sehr hohen Stellenwert (Ziesche, 1999, S. 67; Haug-Schnabel & Bensel, 2006, S. 30 ff.; Becker-Stoll, 2009, S. 162). Der Qualität der Betreuung wird in Zeiten des Personalmangels zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet, Wilfried Datler sagt:

Bisherige Ergebnisse zeigen einerseits, dass es nicht zulässig ist, eine frühe außerhäusliche Betreuung pauschal als "problematisch" zu brandmarken. Umgekehrt kann ein Krippenbesuch aber auch nicht uneingeschränkt empfohlen werden. Hier hat sich unser Blick in den letzten Jahren deutlich geschärft […]. Ein Krippenbesuch ist nicht in jedem Fall in Ordnung. Stimmt die Qualität nicht, wird es kritisch – zumindest für einen Teil der Kinder. (Ahne, 2013)

Der Übergang von der familiären in die institutionelle Betreuung ist verbunden mit der Trennung von der vertrauten Bindungsperson. Das Kind muss sich an fremde pädagogische Fachkräfte, eine neue Umgebung und fremde Kinder gewöhnen. Das Verlassen der gewohnten häuslichen Umgebung und des gewohnten Tagesablaufes stellen für das Kind eine beunruhigende und belastende Situation dar (Bailey, 2008, S. 159). Diese Verlusterfahrung muss vom Kind verarbeitet werden. Sind die Rahmenbedingungen der Eingewöhnung gut gestaltet, kann dies förderlich für die Entwicklung sein (Bailey, 2008, S. 160). Die Wiener Krippenstudie erforscht seit 2007 die Faktoren, welche im Hinblick auf die Eingewöhnung und die Bewältigung dieser Situation erforderlich sind. Besonders bedeutsam für diesen Übergang ist die pädagogische Fachkraft als neue Bindungsperson, diese ist erforderlich für die Bewältigung des Überganges. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich nur mit der Eingewöhnung im Alter von einem Jahr, ein Übergang mit drei Jahren kann aufgrund der rasanten Entwicklung des Kindes in den ersten Lebensjahren ganz anders gestaltet werden. Bei Kleinkindern sind aus bindungstheoretischer und entwicklungspsychologischer Sicht einige Besonderheiten zu beachten.

Eingewöhnung im Alter von einem Jahr kann gelingen, wenn eine hohe Qualität in der Person der Fachkraft und in den Rahmenbedingungen vorhanden ist, dennoch stellt sie für alle Beteiligten eine große Aufgabe und Herausforderung dar. Der Aufbau einer sicheren Bindung ist Voraussetzung für die Gestaltung des Überganges und somit wird dies zum Qualitätsmerkmal einer Kindertageseinrichtung. Elternbegleitende Eingewöhnungsmodelle bieten eine gute Grundlage für einen gelungenen Übergang, welcher wichtig für die weitere Entwicklung des Kindes bis ins Erwachsenenalter ist. Eingewöhnungen, bei denen das Kind keine Bindung und Beziehung zur pädagogischen Fachkraft aufbaut und Stress über einen längeren Zeitraum ertragen muss, können gravierende Spätfolgen haben. Deshalb ist eine intensive Beschäftigung mit dem Thema Eingewöhnung wichtig. Die kognitive Entwicklung im Alter von einem Jahr macht es dem Kind unmöglich Emotionen und Gefühle selbst zu regulieren, es ist auf Hilfe, Unterstützung und Begleitung seiner Bezugsperson angewiesen (Glüer, 2017, S. 76). Zu Hause lässt sich das in der 1:1 Betreuung leisten, aber ist dies in der Gruppe immer möglich? Erschwerend kommt hinzu, dass der Betreuungsschlüssel aufgrund des enormen Personalmangels oft überschritten werden muss. Die Sprachentwicklung des Kindes mit einem Jahr ist auf dem Stand der Lallmonologe, es spricht seine ersten Worte. Die Bedeutung dieser kennt es noch nicht (Wendlandt, 2000, S. 25). Kinder im Alter von einem Jahr können ihre Bedürfnisse und Gefühle noch nicht sprachlich ausdrücken, dies erschwert den Übergang in die Fremdbetreuung. 2019 werden laut Statistischem Bundesamt 43 Prozent der unter Dreijährigen fremdbetreut, in westdeutschen Bundesländern 30,3 Prozent und in Ostdeutschland (einschließlich Berlin) 52,1 Prozent (Textor & Bostelmann, 2019).

1.2 Ziel der Arbeit und angewandte Methodik

Die zentrale Forschungsfrage der Arbeit lautet: Wie kann die Eingewöhnung von Kindern im Alter von einem Jahr aus bindungstheoretischer Sicht gestaltet werden? Um diese Fragestellung zu beantworten, werden in folgender Arbeit die Transitionen der frühen Kindheit, die Bindungstheorie, die Fachkraft-Kind-Bindung, die Eingewöhnung von Krippenkindern im Alter von einem Jahr und die gängigen Eingewöhnungsmodelle betrachtet. Es wird auf den aktuellen Forschungsstand eingegangen und mit Beantwortung der Forschungsfrage eine Handlungsempfehlung für die Praxis ausgesprochen. Aber auch die kritischen Aspekte einer frühen Fremdbetreuung werden aufgegriffen. Zur Beantwortung der Forschungsfrage wird die Methode der Literaturrecherche verwendet. Die Erhebung wird deduktiv durchgeführt: die allgemeine Forschungsliteratur gibt einen Überblick über das Thema nach den oben genannten Schlüsselwörtern, welches im Anschluss durch spezielle Fachbücher, Studien, Forschungsberichte und Fachartikel vertieft wird. Durchsucht wurden die Bibliothekskataloge der Staats- und Universitätsbibliothek, die Online-Bibliothek und die Internetsuchmaschine Google Scholar. Schlagwörter waren: Eingewöhnung, Fremdbetreuung, Transitionen, Krippenkind, Eingewöhnungsmodell, Bindung, Bindungstheorie, Mutter-Kind-Bindung und Fachkraft-Kind-Bindung. Der Fokus der Arbeit liegt auf der Eingewöhnung von einjährigen Kindern. Aus der einschlägigen Fachliteratur werden z. B. Fachbücher, Lehrbücher, Fachzeitschriften, Studien, statistische Veröffentlichungen und Fachartikel herangezogen. Aktuelle Publikationen, wissenschaftliche Journale und Studienberichte geben den aktuellen Stand der Forschung zur Thematik Eingewöhnung von Kindern im Alter von einem Jahr wieder. Die daraus entstandene Literaturliste diente als Grundlage der Erstellung der Bachelorarbeit. Die Literaturrecherche wird systematisch durchgeführt, die Bibliotheken werden nach relevanten Suchbegriffen durchsucht (Fiedel, o. J.). Parallel wird die Schneeballmethode durchgeführt, d. h. das Literatur, welche in einem Werk zitiert wird, ebenfalls gelesen wird (Franke et. al, 2014, S. 7). Zur Beantwortung der Forschungsfrage ist dieses Vorgehen der Sekundärforschung zielführender als die empirische Arbeit, da die empirische Arbeit im Umfang einer Bachelorarbeit begrenzt ist und es hier vor allem auf die Bindungstheorie und die Modelle zur Eingewöhnung mit ihren Randthemen, wie z. B. Bindungstypen, Fachkraft-Kind-Bindung und Mutter-Kind-Bindung ankommt. Als Nachteil der Literaturrecherche kann angesehen werden, dass weniger neue Erkenntnisse generiert werden und der Untersuchungsgegenstand sich auf die bestehende Literatur beschränkt (Pfeiffer, 2019). Die Eingewöhnung ist ein Forschungsfeld, welches viel und lang erforscht ist, damit hält sich der Nachteil in Grenzen. Außerdem wird davon ausgegangen, dass aus einzelnen Eingewöhnungen kein repräsentatives Ergebnis erzielt werden kann, da diese stark individuell verlaufen und nicht einfach auf die Allgemeinheit übertragbar sind. Die Literaturrecherche beinhaltet die Literatursuche, die Auswertung dieser und die Analyse und Interpretation in Bezug auf die Forschungsfrage, eventuelle Forschungslücken werden benannt und die Befunde kritisch betrachtet. Aktuelle Theorien und Modelle werden analysiert und bewertet. Damit wird die Forschungsfrage beantwortet und eine Handlungsempfehlung für die Praxis abgeleitet.

1.3 Eingewöhnung – ein Thema im Bereich der Sozialen Arbeit

Eingewöhnung ist mehr als die Aufgabe von Erziehern, sie betrifft die ganze Einrichtung und wird größtenteils durch die Leitung verantwortet und organisiert. Die Leitung einer Einrichtung stellt den Erstkontakt mit den Eltern her, ist verantwortlich für den Betreuungsvertrag, die Weitergabe der Konzeption und aller anderen Unterlagen im Rahmen des Eingewöhnungsprozesses. Die Leitung ist verantwortlich für die Schaffung der Rahmenbedingungen, damit die Eingewöhnung gelingen kann. Sie muss Dienstpläne so gestalten, dass die Fachkraft kontinuierlich in der Gruppe ist, keinen Urlaub in der Eingewöhnungszeit hat und eine zweite Kraft zur Unterstützung in der Gruppe vorhanden ist. Sie stellt sicher, dass immer nur eine Eingewöhnung stattfindet, außerdem trägt die Leitung die Verantwortung für die Entscheidung über das Eingewöhnungsmodell und die angemessene Umsetzung in der Einrichtung. Ebenso liegt das Qualitätsmanagement im Verantwortungsbereich der Leitung, die Eingewöhnung ist ein wesentliches Qualitätskriterium und beschrieben in der Konzeption der Einrichtung. Des Weiteren ist die Leitung verantwortlich für die Qualifikation und Weiterbildung der Fachkräfte in Bezug auf die Eingewöhnung. Die Leitungsstellen von Kindertagesstätten über 70 Betreuungsplätzen werden in Sachsen aufgrund der Sächsischen Qualifikationsverordnung Paragraf 21 ausschließlich von Sozialpädagogen und Personen mit ähnlichen fachlichen Qualifikationen besetzt. In Kindertageseinrichtungen arbeiten Sozialpädagogen aber auch im Gruppendienst und der Studiengang Soziale Arbeit. bestätigt mit der Anerkennung von Vorleistungen für Erzieher mit 70 ECTS, dass Sozialpädagogen in Kindergärten keine Seltenheit sind und dies die Qualifikation für Erzieher auf Hochschulniveau darstellt. Aus diesen Gründen erachtet die Autorin die Eingewöhnung als ein wichtiges Thema der Sozialen Arbeit. Da im Rahmen der Studiengänge der Sozialen Arbeit das Thema Eingewöhnung nur angeschnitten werden kann, Leitungsstellen ausschließlich mit Sozialpädagogen besetzt werden, soll diese Arbeit dazu beitragen, einen Einblick in die Wichtigkeit und Tragweite der Eingewöhnung zu vermitteln. Deutschland braucht dringend qualitativ hochwertige Eingewöhnungen, diese können durch die Erzieher allein nicht verwirklicht werden, da die Entscheidungen auf Leitungsebene getroffen werden und die Organisation, Koordination und das Bereitstellen der Rahmenbedingungen allein durch die Leitung der Einrichtung erfolgt. Laut Bertelsmann Stiftung sind über 42 Prozent der Leitungskräfte Sozialpädagogen oder ähnlich Hochschulqualifizierte (Bertelsmann Stiftung, 2017). Aus Sicht der Autorin muss das Thema Eingewöhnung in der Sozialen Arbeit an Präsenz gewinnen. Diese Bachelorarbeit soll dazu einen Beitrag leisten.

1.4 Struktur der Arbeit

Der Einstieg in das Thema unter Kapitel 2 bietet die Beschreibung der Transitionen der frühen Kindheit. In diesem Kapitel wird auf den Entwicklungsstand des Kindes im Alter von einem Jahr eingegangen und in Verbindung mit den Transitionen gebracht. Kapitel 3 geht auf die Bindungstheorie nach Bowlby, den Begriff der Bindung, die Bindungsbeziehung und die Bindungsperson ein. Einleitend wird die Bindungstheorie von Bowlby beschrieben. Er befasst sich intensiv mit den Bindungsbeziehungen und den Auswirkungen von Trennungssituationen auf Kleinkinder. Dargestellt werden die Entwicklung der Bindung in den einzelnen Phasen der frühen Kindheit bis zu einem Alter von drei Jahren, sowie mögliche Bindungstypen. Dieses Vorwissen ist notwendig, um die Eingewöhnung aus bindungstheoretischer Sicht beurteilen zu können. Kapitel 4 widmet sich der Fachkraft-Kind-Bindung, da dies die erste Bindung des Kindes in der institutionellen Betreuung darstellt. Es ist von besonderer Wichtigkeit, dass es zum Aufbau dieser Bindung kommt. Ohne diese neue Bindung kann keine erfolgreiche Eingewöhnung stattfinden. Kapitel 5 geht auf die spezifischen Besonderheiten einer Eingewöhnung im Alter von einem Jahr ein. Das Kind befindet sich in einer kritischen Phase, welche die Trennung von der primären Bindungsperson und den Aufbau einer neuen Bindung zur Fachkraft erschwert. Unter Kapitel 6 werden die beiden gängigen Eingewöhnungsmodelle, das Berliner und das Münchener, beschrieben. Es werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufgeführt, sowie die Eignung dieser Modelle für Kinder im Alter von einem Jahr beurteilt. Ebenso wird auf die besondere Bedeutung der primären Bindungsperson während der Eingewöhnung eingegangen. In diesem Zusammenhang werden die Gefahren und Auswirkungen einer Eingewöhnung ohne begleitenden Elternteil dargestellt. Kapitel 7 dient der Darstellung des aktuellen Forschungsstandes und ausgewählter Studien. Kapitel 8 führt die kritischen Aspekte einer frühen Fremdbetreuung auf, da eine Eingewöhnung in so jungen Jahren nicht ohne Risiko ist. Kapitel 9 dient dem Beantworten der Forschungsfrage, daraus ergibt sich die in Kapitel 10 dargestellte Handlungsempfehlung für die Praxis. Kapitel 11 schließt mit einem Fazit die Arbeit ab.

Aufgrund der Vielzahl der möglichen Familienformen werden Mutter, Vater und alle anderen primären Bindungspersonen als Bindungs- oder Bezugsperson bezeichnet. Dies können genauso gut Großeltern, gleichgeschlechtliche Paare oder Alleinerziehende sein. Wichtig ist, dass diese Person dauerhaft für das Kind da ist, mit ihm zusammen lebt und täglichen Umgang hat. In dieser Arbeit werden alle Mitarbeiter der Kindertagesstätte als pädagogische Fachkräfte bezeichnet. Die Eingewöhnung von entwicklungsgefährdeten, auffälligen und von Behinderung betroffenen Kindern wird in dieser Bachelorarbeit nicht dargestellt, da diese Kinder besondere Bedingungen für die Eingewöhnung benötigen. Unterschiede in der Eingewöhnung und Bindung von Mädchen und Jungen, sowie Kindern mit Migrationshintergrund oder anderen kulturellen Kontexten bleiben in vorliegender Arbeit unbeachtet.

2 Transitionen der frühen Kindheit

Ab dem sechsten Lebensmonat entwickeln Kinder eine Bindung an eine bestimmte Person. Wenn sie von dieser getrennt sind, führt dies zu seelischem Schmerz2 (Großmann & Großmann, 2018, S. 119). Stressreaktionen auf Trennungen können im Alter von zehn bis 18 Monaten besonders heftig sein. In dieser Entwicklungsspanne endet die Elternzeit und für das Kind beginnt die Fremdbetreuung. Bindungsforscher weisen darauf hin, dass der Aufbau neuer Beziehungen erschwert ist durch die bereits gemachten Bindungserfahrungen des Kindes in diesem Alter (Niesel & Griebel, 2015, S. 108). Die frühe Trennung des Kindes von seiner primären Bindungsperson stellt ein Risikofaktor für die weitere Entwicklung des Kindes dar, diese Erfahrung kann zu erhöhter Vulnerabilität3 beitragen und das Kind gegenüber späteren Rückschlägen verletzlicher machen (Wustmann, 2007, S. 130). Ab dem vierten Lebensjahr sind Kinder von kürzeren Trennungen weniger betroffen. Das kindliche Vermögen, das Getrennt-Sein zu bewältigen steht in einem engen Zusammenhang mit der altersspezifischen Entwicklung. Kinder vom ersten bis dritten Lebensjahr können nicht einordnen, wie lange die Bindungsperson abwesend ist. Verlässt sie den Raum, stellt dies für das Kind eine Trennung für immer dar (Bowlby4, 1976, S. 73). Für das Kind wirkt diese Trennung äußerst beängstigend und bedrohlich, ohne Bindungsperson ist es seiner Umwelt schutzlos ausgeliefert. Ab dem neunten bis zwölften Lebensmonat entwickelt das Kind die Fähigkeit der Objektpermanenz (Dornes, 2006, S. 90). Piaget macht diese Permanenz überwiegend an Objekten fest, zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass diese Permanenz auch für Personen gilt (Bowlby, 1983, S. 417). Diese Objekt- und Personenpermanenz ermöglicht es dem Kind an die Weiterexistenz der Bezugsperson zu glauben, wenn diese nicht anwesend ist. Erst ab dem 18. Lebensmonat kann sich das Kind vorstellen, dass die Bindungsperson wieder kommen wird (Dornes, 2006, S. 190). Trennungsversuche vor dem 18. bis 24. Monat sind äußerst bedrohlich. Für das Kind bedeutet die Trennung einen endgültigen Verlust (Wurstmann, 2007, S. 134).

Die neue Umgebung, fremde Personen, veränderte Tagesabläufe und die Trennung von der primären Bindungsperson erfordern eine erhöhte Lern- und Anpassungsleistung und sind mit Stress verbunden (Laewen, Andres & Hedervari-Heller, 2003, S. 16.). Die Höhe der Belastung hängt von den Unterschieden zwischen den Lebenswelten ab. Diese führen nicht zwangsläufig zu Problemen oder zu deren Bewältigung. Wichtig ist, ob das Kind Familie und Fremdbetreuung als widersprüchlich oder miteinander vereinbar erlebt (Berger, 1997, S. 21). Belastungsreaktionen sind altersabhängig: Kinder bis zum vollendeten dritten Lebensjahr erleben diese Belastung besonders intensiv.

Berger führt 1995 eine schriftliche Befragung von 60 pädagogischen Fachkräften durch, in welcher Verhaltensweisen der Kinder während der Eingewöhnung untersucht werden. Nach ihrer Häufigkeit sind diese sortiert in: Trennungsangst, Ängstlichkeit, Unsicherheit, Aggressivität, zurückhaltendes Verhalten und Heimweh, das Kind beobachtet nur aus der Ferne bis hin zu somatischen Störungen, wie Erbrechen, Kopfschmerzen und anderen (Berger, 1997, S. 30). Der Grund dieser Reaktionen ist in der starken Bindung zur primären Bezugsperson zu suchen. Diese bietet einen sicheren Hafen, in dem das Kind sein inneres Gleichgewicht wiederfindet, wenn es sich unsicher fühlt. Die Trennung von dieser primären Bindungsperson, die fremde pädagogische Fachkraft und die neue Umgebung empfindet das Kind als bedrohlich und reagiert mit verstärktem Bindungsverhalten. "Ist in einer solchen Situation keine Bindungsperson anwesend, kann das durch Irritation oder Angst ausgelöste Bindungsverhalten lange Zeit andauern, da fremde Personen es in den meisten Fällen nicht auffangen können" (Leawen, Anders & Hedervari-Heller, 2003, S. 37). Besonders Kinder in den ersten Lebensjahren können ihr inneres Gleichgewicht noch nicht allein aufrechterhalten, sie benötigen hierbei die Unterstützung ihrer primären Bezugsperson oder einer anderen Bindungsperson (Laewen, Anders & Hedervari-Heller, 2003, S. 37). Für das Kind besteht die Entwicklungsaufgabe darin, neue Beziehungen zu neuen Bindungspersonen, in diesem Fall der pädagogischen Fachkraft aufzubauen, erst dann kann die pädagogische Fachkraft die Funktion der Bindungsperson übernehmen und zur sicheren Basis werden. Das Kind wird sich von ihr trösten lassen und sich in belastenden Situationen ihr zuwenden (Ahnert, 2008b, S. 276). Veränderungen müssen in kleinen Schritten vollzogen werden, nur so kann ein Aufbau einer sicheren Bindungsbeziehung zwischen pädagogischer Fachkraft und Kind gelingen. Hat das Kind schon gute Erfahrungen mit Trennungssituationen im familiären Umfeld gemacht, kann es diese positiven Erfahrungen auf den Übergang zum Kindergarten übertragen (Merz, 1979, S. 42 f.).

3 Bindungstheorie

3.1 Grundlagen

Bindung ist ein Grundbedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit, welches angeboren ist, gleich nach Geburt beginnt und im Laufe der Zeit stärker wird. Mit ungefähr drei Jahren sinkt die Häufigkeit des Bindungsverhaltens. Die Qualität der Bindung ist maßgeblich für den Ablauf der Eingewöhnung und deren Erfolg (Bowlby, 2006, S. 252 f.). Grossmann u. a., 2003, S. 223 definieren Bindung als besondere Beziehung zwischen einem Kind und seiner Bindungsperson oder auch anderen Bezugspersonen, welche es ständig betreuen. Dieses Gefühl ist stark in uns verankert und verbindet diese beiden Menschen über Raum und Zeit hinweg. Bindung stellt ein imaginäres Band zwischen zwei Personen dar, wobei Gefühle eine äußerst wichtige Rolle spielen. Die Bindung zur pädagogischen Fachkraft stellt für das Kind während des Überganges eine große Bedeutung dar (Großmann & Großmann, 2004, S. 68 f.). Bowlby kommt mit der Bindungstheorie5 zur Erkenntnis, dass frühe Trennungserfahrungen Einfluss auf die kindliche Entwicklung nehmen und mit dem Verhalten in einem direkten Zusammenhang stehen (Bowlby, 2008, S. 16 f.). Er untersucht die Bindungsbeziehungen, die Bedeutung der Mutter-Kind-Bindung und erforscht, dass eine frühe Trennung von Bindungspersonen und andere Störungen im Familienleben die Ursache für auffälliges Verhalten sind (Bretherton, 2002, S. 27 f.). 1948 gründet Bowlby eine Forschergruppe zum Thema der Trennung von Bindungsperson und Kind. Das Ehepaar Robertson führt detaillierte Beobachtungen bei Kleinkindern durch. Zum ersten Mal werden die seelischen Folgen der Trennung eines Kindes von der Bindungsperson beschrieben (Großmann & Großmann, 2004, S. 66). Mary Ainsworth stößt zwei Jahre später zur Forschergruppe und erforscht die Auswirkungen einer frühen Mutter-Kind-Trennung und der Persönlichkeitsentwicklung (Bretherton, 2002, S. 31). Sie belegt, dass diese Trennungen vielfältige und altersabhängige Auswirkungen auf das Kind haben, welche als auffällig beschrieben werden.

3.2 Bindung

Mit circa sieben Monaten orientiert sich der Säugling an den nächsten, dauerhaft betreuenden Personen und wendet sich an diese, wenn ihn die Situation überfordert. Mit etwa anderthalb Jahren ist diese Struktur verfestigt. Beobachtbar ist diese in Form der Trennungsangst bei Abwesenheit der Bindungsperson (Laewen, Andres & Hedervari-Heller, 1994, S. 22 f.; Laewen, Andres & Hedervari-Heller, 2015, S. 27 f.). Hier wird deutlich, dass bei einer Eingewöhnung von Kindern mit einem Jahr eine besonders große Bedeutung der Qualität der Beziehung und Bindung an die pädagogische Fachkraft zukommt. Laewen, Andres & Hedervari-Heller bezeichnen den Prozess des Bindungsaufbaues ab dem siebten Monat als die kritische Phase. Situationen, welche das Kind ängstigen und überfordern, erfordern die Nähe der Bindungsperson. Erst ab dem 20. Monat verändert sich diese Situation wieder, ohne jedoch ganz zu verschwinden. Zwischen dem siebenten und 20. Monat sind stressauslösende Faktoren von besonderem Gewicht (Laewen, Andres & Hedervari-Heller, 2015, S. 29 f.). Wenn überhaupt die Fachkraft diese Rolle übernehmen kann, muss diese zur sicheren Basis und neuen Bindungsperson werden, bevor das Kind sich das erste Mal von der primären Bindungsperson trennt. Kindern ist es möglich, Bindungen zu mehreren Bezugspersonen aufzubauen, welche aber nicht einfach austauschbar sind. Die Bindungsperson gibt dem Kind Sicherheit, Schutz und Geborgenheit. Ist dies gegeben, zeigt das Kind Explorationsverhalten und ist in der Lage seine Umgebung zu erkunden. Im Gegensatz dazu wird das Explorationsverhalten eingestellt, wenn das Bindungsverhalten aktiviert ist (Becker-Stoll, 2012, S. 22 f.). Ist der sichere Hafen in Form der Bindungsperson für das Kind nicht verfügbar, bleibt das Bindungsverhalten aktiviert. Fremde Personen haben kaum eine Chance das Kind zu trösten. Nur wenn dieser sichere Hafen vorhanden ist, und für das Kind die Möglichkeit besteht, jederzeit zu diesem zurückzukehren, wird das Kind sein Interesse auf die Erkundung der Umgebung lenken können (Bowlby 2006, S. 176 ff.). Anhang N zeigt dies graphisch. Aufgabe der Eingewöhnung ist es diesen "sicheren Hafen" von der primären Bezugsperson auf die pädagogische Fachkraft zu übertragen (Karsten, 2005, S. 148). Das Kind sammelt in Interaktionen mit der Bindungsperson Erfahrungen, wie es seine Gefühle ausdrücken und organisieren kann. Hier wird die Fähigkeit erlernt sozial und sachlich, den Anforderungen angemessen zu reagieren (Grossmann & Grossmann, 2008b, 231 ff.). Das Kind lernt, sich auf seine Umwelt zu verlassen und seine Persönlichkeit zu entwickeln. Kinder, welche nach der Bindungstheorie angemessen reagieren, empfinden sich als wertvoll um Hilfe zu erhalten und äußern ihre Hilfsbedürftigkeit (Großmann, 2008, 21 ff.). Dies trägt wesentlich zu einem gelungenen Übergang bei. Das Kind wird sein Unwohlsein nach der Trennung von der Bindungsperson äußern und ist in der Lage sich angemessene Hilfe und Unterstützung zu holen. Somit wird es die Trennung von der primären Bezugsperson besser verarbeiten können. Durch die wiederholten Interaktionen mit der Bindungsperson entwickelt das Kind ein inneres Arbeitsmodell6, welches im Laufe der Zeit immer stabiler wird und dem Kind erfolgreiche Strategien zur Regulation von Gefühlen liefert (Ahnert, 2008a, S. 63 ff.; Glüer, 2017, S. 33 f.).

3.3 Bindungsbeziehung und Bindungsperson

An oberster Stelle der Hierarchie steht die Person, die die meiste Zeit mit dem Kind verbringt und mit der das Kind die häufigsten, aber nicht unbedingt die qualitativ besseren interaktiven Erfahrungen macht. Diese Person muss nicht unbedingt die leibliche Mutter sein, es kann auch der Vater oder eine andere erwachsene Person sein. (Hedervari-Heller, 2008, S. 72)

Bowlby weist nach, dass Kinder andere Bindungspersonen akzeptieren oder sogar bevorzugen, wenn das Erkundungssystem vorherrscht. Die Qualität der Bindung ist nicht an die Quantität, sondern an die Art und Qualität der interaktiven Erfahrung gebunden, das Kind weist verschiedene Bindungsqualitäten zu verschiedenen Bindungspersonen auf (Grossmann u. a., 2003, S. 64). Einfühlsames Verhalten und Feinfühligkeit 7 sind wesentliche Voraussetzungen, um qualitativ hochwertige Bindungen zu entwickeln. Mit großer Wahrscheinlichkeit führt eine feinfühlige Beachtung der Bedürfnisse des Kindes zu einer sicheren Bindung. Im Gegensatz dazu führt ein nicht einfühlsames und inkonstantes Verhalten zu einer unsicheren Bindung. Nach de Wolff und Van Ijzendoorn liegt die Chance einer sicheren Bindung bei bis zu 62 Prozent, wenn die Bindungsperson feinfühlig reagiert. Das Konzept der Feinfühligkeit wird heute noch erweitert in der „emotionalen Verfügbarkeit“. Dieses Konzept ist mehrdimensional und berücksichtigt neben der Feinfühligkeit weitere Faktoren: Wie gut gelingt es der Bindungsperson gegenüber dem Kind emotional verfügbar und ansprechbar zu sein. Es findet nicht nur das Verhalten der Bindungsperson, sondern auch das des Kindes Berücksichtigung (Kasten, 2005, S. 146 f.; Glüer, 2017, S. 40 f.). Die permanente Verfügbarkeit der Bindungsperson ist Voraussetzung für die Entwicklung einer sicheren Bindung. Mit der Eingewöhnung findet ein Wechsel der Betreuungsperson statt. Rottmann und Ziegenhain stellen 1988 fest, dass bei Kindern im Alter von einem Jahr die Bindung zur Bindungsperson beim Übergang in die Fremdbetreuung überwiegend stabil bleibt. Eine Veränderung war nur in Richtung Bindungssicherheit feststellbar (Rottmann & Ziegenhain, 1988, S. 300). Die Interaktion in der Familie hat eine große Bedeutung für die Entwicklung der Bindungsqualität. Kinder, welche vor dem ersten Lebensjahr außerfamiliär betreut werden, weisen häufig eine unsichere Bindung auf (Ahnert, 2000, S. 18). Es ist feststellbar, dass eine außerfamiliäre Betreuung vor Vollendung des ersten Lebensjahres durchaus negative Auswirkungen auf die Bindungsperson-Kind-Bindung hat. Studien von Ziegenhain & Wolff (2000) weisen nach, dass eine längere Eingewöhnungszeit sich positiv auf die Bindung zwischen Bindungsperson und Kind auswirkt (Glüer, 2017, S. 91).

3.4 Entwicklung der Bindung nach Bowlby

Die Möglichkeit des angeborenen Potenziales, Bindungen zu Interaktionspartnern einzugehen, dient der Aufrechterhaltung von Schutz und Sicherheit und sorgt für das Überleben und die notwendige Fürsorge (Hedervari-Heller, 2008, S. 37). Bestimmte Verhaltensweisen des Bindungssystems sind von Geburt an vorhanden und können bei Belastung oder Stress aktiviert werden (Hedervari-Heller, 2008, S. 66). Das Kind zeigt laut, wenn es aus eigenen Fähigkeiten die Situation nicht beherrscht (Bowlby, 1969, S. 237 ff.). Diese werden Bindungsverhaltensweisen genannt, dazu zählen Rufen, Weinen, Protestieren, Klammern, Nachfolgen oder Suchen. Die Verhaltensweisen sind nicht nur bei Säuglingen und Kleinkindern zu beobachten, sondern lebenslang, wobei die Häufigkeit und Intensität im Laufe des Lebens abnimmt (Großmann, 2000, S. 55). Die Bindungsentwicklung in den ersten Lebensjahren erfolgt in vier Phasen:

1. Phase der unspezifischen sozialen Reaktion (0 bis 3 Monate): Dies ist die Phase vor der eigentlichen Bindung, angeborene Signale wie Greifen, Lächeln, Weinen oder Augenkontakt helfen dem Säugling Kontakt zu erwachsenen Personen herzustellen. Ist die Nähe gegeben, beruhigt sich der Säugling. In dieser Phase ist es egal, welche Person das Kind tröstet. Der Säugling reagiert auf alle Personen gleichermaßen, er sendet Signale an seine Umwelt ohne Unterschied. Die Bindungsperson erkennt er bereits an Stimme und Geruch (Dreyer, 2017, S. 14).
2. Phase der personenunterscheidenden Ansprechbarkeit (3 bis 6 Monate): Der Säugling bevorzugt vertraute Personen und reagiert auf diese schneller und besser. Er protestiert bei Trennung noch nicht, es entsteht langsam die Erwartungshaltung, dass die Bindungsperson auf die gesendeten Signale reagiert. Der Säugling kann zunehmend differenzierter und personenbezogener interagieren, er ist in der Lage Personen zu unterscheiden und richtet seine Signale an eine oder mehrere besondere Personen. Beobachtbar ist, dass er auf Hauptbezugspersonen schneller und differenzierter reagiert, diese eher anlächelt und sich eher von diesen trösten lässt. Der Säugling fokussiert sich zunehmend auf die primäre Bindungsperson, wobei auch andere Personen Ansprechpartner bleiben (Dreyer, 2017, S. 14).
3. Phase des zielkorrigierenden Bindungsverhaltens (7 Monate bis 3. Lebensjahr): Die Bindung an die Bezugsperson ist gut erkennbar, verlässt diese den Raum, beginnt das Kind mit heftigen Reaktionen und zeigt Trennungsängste. Es möchte der Bindungsperson folgen oder sich kenntlich machen. Die Bindungsperson wird als sichere Basis genutzt, um die Welt zu erkunden. Durch die Lokomotion8, dem kognitiven Entwicklungsschritt der Objekt- und Personenpermanenz, sowie einer differenzierteren Vokalisation ist es dem Kind möglich, aktiv die Nähe seiner Bezugsperson zu suchen und diese bei Abwesenheit zu vermissen (Oerter & Montada, 2008, S. 214). Das Kind lernt die Reaktion der Bezugsperson auf seine gesendeten Bedürfnisse vorherzusagen und sein Verhalten entsprechend anzupassen (Grossmann & Grossmann, 2012, S. 77). Es sind unterschiedliche Verhalten bei unterschiedlichen Personen beobachtbar. Die primäre Bezugsperson ist das Zentrum der Welt. Ihre Nähe bedeutet Wohlfühlen und Geborgenheit, nur so wird Exploration und das Erkunden der Umgebung möglich (Gartinger & Janssen, 2014, S. 165 f.). Im achten Monat setzt das sogenannte „Fremdeln“ ein. Der Säugling orientiert sich an bestimmten primären Bindungspersonen, wobei bei diesen eine Hierarchie zu erkennen ist. In belastenden Situationen, welche das Kind mit eigenen Fähigkeiten nicht kontrollieren kann, aktiviert es sein Bindungsverhalten und sucht die Nähe dieser. Das Kind zeigt deutliche Reaktionen, wie Trauer oder Stress bei Trennung von seiner Bezugsperson. Fremden gegenüber wird das Kind immer vorsichtiger. Treten Trennungen unvermittelt auf und bleiben länger bestehen, sind sogar körperliche Reaktionen und Stresssymptome in den Bereichen des Essens, Schlafens, innerer Unruhe oder Immunschwäche zu verzeichnen (Dreyer, 2017, S. 14 f.). Das Kind vergewissert sich dabei regelmäßig, ob die Bindungsperson noch anwesend ist und kehrt ab und zu zurück. Der Radius der Erkundung wird immer größer, geht die Bindungsperson jedoch außer Sichtweite oder verlässt den Raum, unterbricht das Kind sein Explorationsverhalten und sucht die Nähe. Die Anwesenheit der Bindungsperson ist ausschlaggebend für das Explorationsverhalten. Nach Bowlby´s Steuerungssystem-Modell gibt es zwei Verhaltenssysteme9 (siehe Anhang H) die im Gleichgewicht zueinander stehen: das Bindungsverhalten - hierbei sucht das Kind Nähe und Zuwendung zur Bezugsperson und das Explorationsverhalten - dies dient dem Erwerb von Wissen und dem Erkunden der Umwelt (Ainsworth & Bell, 1974, S. 232).
4. Phase der zielkorrigierten Partnerschaft (ab dem 3. Lebensjahr): Das Kind entwickelt die Sprache und es kann allmählich verstehen, wenn die Bindungsperson geht, dass sie zurückkommt. Das Kind ist nun in der Lage seine Wünsche zu äußern und mit der Bindungsperson in einer Art Verhandlung zu treten. Die Beziehung zu ihr bekommt eine komplexere Ebene. Es ist in der Lage zu unterscheiden, dass nicht alle Personen das gleiche Interesse haben, unterschiedlich denken und auf seine Bedürfnisse unterschiedlich reagieren (Dreyer, 2017, S. 15). Das Sprach- und kognitive Vermögen des Kindes ist so weit entwickelt, dass es in der Lage ist Absichten und Ziele der Bindungsperson in sein eigenes Handeln einzubeziehen. Möglich ist dies nur in einer stabilen Beziehung zur Bindungsperson. Um diese aufzubauen, muss das Kind wissen, wie die primäre Bindungsperson reagiert, ihr Verhalten muss für das Kind vorhersehbar sein (Großmann & Großmann, 1998, S. 71). Die entstandenen Bindungen sind nach Priorität geordnet und nicht beliebig austauschbar (Becker-Stoll, 2009, S. 154). Besonders wichtig ist dieser sichere Hafen, wenn das Kind müde, krank und unsicher ist oder sich bedroht fühlt. Es sucht Nähe und Geborgenheit. Fühlt das Kind sich emotional sicher, bleibt das Bindungsverhalten inaktiv und das Explorationsverhalten wird aktiviert. Die Bindungsperson fungiert als sichere Basis beim Erkunden der neuen Umgebung (Schölmerich & Lengning, 2018, S. 203).

3.5 Bindungstypen

Im folgenden Abschnitt werden die vier Bindungstypen nach Mary Ainsworth vorgestellt. Die Bindungsqualitäten haben Auswirkungen auf das Verhalten des Kindes und die Entwicklung des inneren Arbeitsmodelles. Die Qualität der Bindung ist in einem standardisierten Beobachtungsverfahren nach Ainsworth wissenschaftlich feststellbar, dies wird Fremde-Situations-Test 10 genannt und dient als Instrument für die Messung der Qualität der Bindung für Kinder im Alter zwischen 12 und 18 Monaten (Dreyer, 2017, S. 17). Anhang A beschreibt den Ablauf des Testes. Anhang B enthält einen Überblick über die Bindungsqualitäten der Kinder in diesem Test.

Sichere Bindung: Das Kind mit einer sicheren Bindung hat eine feinfühlige Bindungsperson, welche angemessen, richtig und prompt auf die gesendeten Signale des Kindes reagiert und eine sichere Basis für das Erkunden der Umgebung liefert. Der sichere Hafen wird aufgesucht, wenn unerwartete Ereignisse eintreffen. Das Kind sucht aktiv Kontakt oder macht durch Rufen und Weinen auf sich aufmerksam. Das Kind vertraut seiner Bindungsperson und auf die angemessene Befriedigung seiner Bedürfnisse. Bei Körperkontakt beruhigt sich das Kind schnell und erkundet nach kurzer Zeit wieder seine Umwelt (Leawen & Andres, 1994, S. 23). Sicher gebundene Kinder zeigen eine ausgewogene Balance zwischen Bindungs- und Explorationsverhalten (Stegmaier, 2008). Eine fremde Person kann das Kind kaum trösten. Wird es von der Bezugsperson in den Arm genommen, entspannt es sich schnell (Gartinger & Janssen, 2014, S. 167). Sicher gebundene Kinder haben eine qualitativ hochwertige und eindeutige Beziehung zu ihrer Bindungsperson (Kasten, 2005, S. 145; Glüer, 2017, S. 27 f.). Im Fremde-Situations-Test zeigt das Kind bei Rückkehr der Bindungsperson Nähe und Körperkontakt, kann sich nach kurzer Beruhigungszeit von dieser lösen und dem Spielen nachgehen, ab und zu hält es Blickkontakt mit der Bindungsperson. Bei Rückkehr der Bezugsperson begrüßt das Kind diese freundlich und tritt aktiv mit dieser in Interaktion. Untersuchungen ergeben, dass das Stresshormon Cortisol11 bei diesen Kindern nicht erhöht ist, auch wenn ihr Verhalten und der starke emotionale Ausdruck deutliche Stresssymptome zeigen. Die Verhaltensstrategie, bei Belastung durch Körperkontakt mit der Bezugsperson Stress abzubauen und Gefühle offen und intensiv zu zeigen, trägt dazu bei, dass das Cortisol nicht ansteigt (Grossmann & Grossmann, 2012, S. 150). Sicher gebundene Kinder verfügen über ein inneres Arbeitsmodell, welches von Vertrauen in die Welt und in ihre Interaktionspartner geprägt ist, sie haben ein gesundes Selbstwertgefühl und eine hohe Frustrationstoleranz. Im Alter von zwei Jahren greift das Kind beim Lösen von Problemen auf soziale Netzwerke und Partner zurück, es besitzt gute soziale Kompetenzen, sowie vielfältige und differenzierte Kommunikationsmöglichkeiten. Das Kind ist weniger von der pädagogischen Fachkraft abhängig (Ainsworth & Bell, 1974, S. 49 ff.), das Spiel des Kindes ist konzentrierter und es verhält sich anderen Kindern gegenüber weniger aggressiv (Suess, Grossmann & Sroufe, 1992 zitiert nach Dreyer, 2017, S. 20 f.)12. Eine sichere Bindung korreliert ebenfalls mit hoher sozialer Kompetenz, angemessener Peer-Interaktion und guter Freundschaftsqualität, positiven Persönlichkeitsmerkmalen, einem positiven Selbstkonzept und einer guten Selbst- und Emotionsregulation (Glüer, 2017, S. 52 f.).

Unsicher-vermeidende Bindung: Die Bindungsperson zeigt kaum feinfühliges Verhalten gegenüber dem Kind. Das Kind erfährt, dass die Bindungsperson nicht verfügbar ist und nicht auf gesendete Signale reagiert. Die Bedürfnisse des Kindes bleiben unbefriedigt, in Stresssituationen versucht das Kind sich selbst zu regulieren und die Situation zu lösen. Es scheint sich selbst davor zu schützen, indem es die Beziehung zur Bindungsperson meidet (Neuss, 2012, S. 51). Das Kind sucht Nähe und Kontakt auch bei Fremden und reagiert auf diese und Bindungsperson gleich. Es zeigt sich sogar, dass das Kind gegenüber Fremden distanzlos ist und vertraulicher als bei der Bindungsperson (Dreyer, 2017, S. 19). Wenn das Kind von der Bindungsperson in den Arm genommen wird, kann es sich nicht entspannen, es widersetzt sich nicht, schmiegt sich aber auch nicht an (Gartinger & Janssen, 2014, S. 167; Glüer, 2017, S. 26 f.). In allen Situationen überwiegt das Explorationsverhalten und das Kind wirkt selbstständig und unabhängig. Zunächst wurde davon ausgegangen, dass diese Kinder Trennungssituationen leichter bewältigen und emotional weniger belastet sind. Spätere Studien belegen durch die Messung des Herzschlages und des Stresshormones Cortisol, dass diese Kinder unter massivem Stress leiden. Kinder mit sicherer Bindung zeigen ihre Belastung zu Beginn der Eingewöhnung, über die ersten vier Wochen nimmt diese Belastung deutlich ab, hingegen Kinder mit unsicherer Bindung wirken nach vier Wochen zunehmend erschöpft und verschlossen. Die Herzschlagfrequenz zeigt, dass das Kind hochbelastet ist (Glüer, 2017 S. 90). Längsschnittstudien zeigen auf, dass unsicher-vermeidend gebundene Kinder wenig Fürsorge erhalten und häufig zurückgewiesen werden. Dies führt zum eingeschränkten Zeigen der Bedürfnisse. In belastenden Situationen drückt das Kind seine Belastung nicht aus und sucht nicht die Hilfe seiner Bezugsperson, somit hat es keine Möglichkeit Entlastung zu finden. Das Kind wächst mit dem Gefühl auf, dass es sich auf niemanden verlassen kann und bildet dementsprechend sein inneres Arbeitsmodell: aufgrund dieser negativen Erfahrungen sucht es keine Hilfe und tendiert später zu einem negativen oder selbstidealisierenden Selbstbild. Das Kind hat Schwierigkeiten seine Emotionen angemessen zu zeigen und geht schwer mit Niederlagen und Frustrationen um (Main, Kaplan & Cassidy, 1985 zitiert nach Dreyer, 2017, S. 19)13.

Im Fremde-Situations-Test zeigen 30 Prozent der Kinder unsicher-vermeidendes Bindungsverhalten. Bei der Bielefelder Langzeitstudie weist die Hälfte aller Kinder unsicher-vermeidendes Bindungsverhalten auf (ebd., S. 19). Das Kind zeigt weniger oder gar keine aktiven Reaktionen auf Trennung und Wiedervereinigung mit der Bindungsperson. Es weint kaum und fremde Personen sind in der Lage es zu trösten. Der Weggang der Bindungsperson wird ignoriert, das Spiel wird ungestört fortgesetzt. Oft spielt das Kind mit Fremden sogar lebhafter, als mit der Bindungsperson. Anzeichen, wie Weinen sind nicht zu beobachten. Die Rückkehr der Bindungsperson wird ignoriert, es findet kein Blickkontakt und Begrüßung statt. Das Kind sucht nicht die Nähe, es zeigt sich neugierig und explorativ gegenüber Spielzeug und neuen Umgebungen (Kasten, 2005, S. 145). Dennoch leidet das Kind unter der Trennung, was sich an Gestik, Mimik und am Anstieg des Stresshormons Cortisol erkennen lässt (Stemmer-Lück, 2004, S. 115).

Unsicher-ambivalente Bindung: Das Kind hat die Erfahrung gemacht, dass die Bindungsperson einerseits sehr feinfühlig, andererseits sehr ablehnend reagiert, abhängig von ihrer Gefühlslage. Der Wechsel führt beim Kind zu großer Unsicherheit, da es kognitiv noch nicht in der Lage ist, die Stimmung der Bindungsperson festzustellen und entsprechend zu reagieren. Es versucht sich anzupassen und reduziert das Explorationsverhalten. Das Kind in unsicher-ambivalenter Bindung ist ängstlich und sehr gestresst (Maywald & Schön, 2008, S. 71). Es erlebt seine Bezugsperson als unberechenbar, ihr Verhalten ist nicht vorhersehbar, somit ist das Bindungssystem permanent aktiviert. Das Kind klammert und weint häufig, zeigt übertriebenen Kummer und Ärger und benötigt lange, um seine Gefühle zu regulieren. Selbst in vertrauter Umgebung fällt die Exploration schwer. Im Kontakt zur Bindungsperson verhält es sich ebenfalls ambivalent: einerseits sucht es die Nähe, andererseits lehnt es sie ab (Gartinger & Janssen, 2014, S. 167). Bindungsforscher bezeichnen dies als Angst-Bindung (Sroufe u. a., 2005 zitiert nach Dreyer, 2017, S. 2114 ; Glüer, 2017, S. 28 f.). Im Fremde-Situations-Test zeigen zehn bis 20 Prozent der Kinder eine unsicher-ambivalente Bindung. Zu Beginn der Fremden Situation zeigt das Kind ängstliches Verhalten, es kann sich kaum von der Bindungsperson lösen, auf die Annäherung von fremden Personen reagiert es empfindlich, lässt sich von diesen nicht trösten oder ablenken (Dreyer, 2017, S. 21). Verlässt die Bindungsperson den Raum reagiert das Kind unruhig und gestresst, fremden Personen gegenüber misstrauisch und ängstlich. Bei Trennung von der Bindungsperson zeigt es widersprüchliches Verhalten: einerseits zeigt es den Wunsch nach Nähe, andererseits ist es wütend über den Weggang und nur schwer zu beruhigen. Das Kind reagiert unverhältnismäßig stark auf Frustration (Maywald & Schön, 2008, S. 71). Kommt die Bindungsperson wieder, sucht das Kind sofortigen Kontakt zu ihr und wendet sich dann wieder von ihr ab (Grossmann & Grossmann, 2012, S. 154). Das Kind ist zwischen dem Wunsch nach der Nähe und seiner Verärgerung hin- und hergerissen (Stemmer-Lück, 2004, S. 116).

Unsicher-desorganisierte bzw. desorientierte Bindung: Kinder mit desorientierter oder desorganisierter Bindung sind nicht den zuvor aufgeführten Bindungstypen zuzuordnen, häufig zeigt sich dieses Bindungsmodell bei missbrauchten, vernach­lässigten oder misshandelten Kindern. Ebenso bei Kindern von traumatisierten Bindungspersonen, wenn die Bindungsperson ihr eigenes Trauma nicht überwinden kann. Die Bindungsperson reagiert nicht angemessen und ist oft überfordert. Sie zeigt ein sehr widersprüchliches, für das Kind nicht zuordenbares Verhalten (Maywald & Schön, 2018, S. 72; Glüer, 2017, S. 29 f.). Das Kind ist strategie- und organisationslos, es zeigt ein konfuses und widersprüchliches Verhalten und wirkt desorientiert. Es erstarrt plötzlich in seinen Bewegungen und die Mimik friert ein. Auffällig ist ein starker Wechsel zwischen Ruhe, Zufriedenheit und wütender Erregtheit (Kasten, 2005, S. 146). Die Bindungsperson ist keine sichere Basis und das Verhalten des Kindes ist bei ihrer Rückkehr nicht auf sie gerichtet (Stemmer-Lück, 2004, S. 116). Das Kind weist in emotional belastenden Situationen kein bestimmtes Verhaltensprogramm auf (Großmann & Großmann, 2008, S. 154). In Trennungssituationen kommt es zu einem Zusammenbruch der Verhaltens- und Aufmerksamkeitsstrategien, das Kind zeigt stereotypes Verhalten (Hin- und Herschaukeln), Bewegungserstarren und zielloses Umherwandern, verbunden mit Angst und tranceähnlichen Zuständen. Das Kind befindet sich in einem Konflikt zwischen Annäherung und Angst und zeigt kein Verhaltensprogramm, ebenso hat es Schwierigkeiten in der Verhaltensregulation. Im Fremde-Situations-Test zeigen 13 Prozent diesen Bindungstyp. Main und Solomon bezeichnen diesen Bindungstyp als hochunsichere Bindung (Glüer, 2017, S. 29 f.; Dreyer, 2017, S. 22). Diese Form kann vorübergehend sein oder Ausdruck eines besonders beeinträchtigtem Bindungsverhaltens. Das Kind ist hyperaktiv, trotzig, aggressiv oder ängstlich und depressiv (Gartinger & Janssen, 2014, S. 167) und im hohen Maße gestört, verängstigt, sein Verhalten scheint fast unerklärlich, richtungslos und merkwürdig (Zulauf-Logoz, 2008, S. 298). Über das innere Arbeitsmodell gibt es kaum Erkenntnisse, besonders gefährdet sind diese Kinder Verhaltensprobleme zu entwickeln (Rau, 2008, S. 217).

4 Fachkraft-Kind-Bindung

4.1 Beziehungsdreieck Fachkraft-Kind-Bindungsperson

Nach der primären Bindung an die Bindungsperson entwickelt das Kind mit Eintritt in die Kinderkrippe eine neue Beziehung und Bindung zur Fachkraft. „Das aus der Bindungstheorie abgeleitete pädagogische Handeln (Laewen, Andres & Hedervari-Heller, 2012, 2013) im „Berliner Eingewöhnungsmodell“ hat die Konstruktion eines Beziehungsdreieckes zum Ziel. In der Regel werden seine Ecken […] durch das Kind, seine Mutter und die Erzieherin gebildet“ (Nies-el & Griebel, 2015, S. 85). Die Bindungsperson gibt dem Kind das Gefühl, dass es in Ordnung ist, weitere Beziehungen aufzubauen. Unterstützt wird dies durch eine offene Kommunikation zwischen der Fachkraft und der Bindungsperson. Diese Beziehung ist geprägt durch gegenseitigen Respekt und Vertrauen, Wertschätzung und einer positiven Grundhaltung. Das ist Basis für die weitere Erziehungs- und Bildungspartnerschaft. Die Studie von Chung (2001, S. 2586) bestätigt, dass die Beziehung der Fachkraft zu der Bindungsperson stärker als die Qualifikation und die Berufserfahrung auf die neue Beziehungsgestaltung zum Kind einwirkt (Textor, 2007). Die primäre Bezugsperson muss eine positive Einstellung zur Betreuung von unter Dreijährigen haben oder entwickeln, denn ihre Ängste und Ablehnung übertragen sich auf das Kind (Bethke, Braukhane & Knobeloch, 2009, S. 34 f.). Unbewusst, aber sehr wichtig sind die eigenen Kindheitserfahrungen der Bindungsperson und deren Familientradition, deshalb soll sich die Bindungsperson folgende Reflektionsfragen stellen: Warum möchte ich mein Kind in der Kita anmelden? Kann die Kita meinem Kind etwas geben, was ich nicht kann? Kann ich es aushalten, wenn mein Kind eine Beziehung zur pädagogischen Fachkraft aufbaut? Wie sind meine eigenen Kindheitserfahrungen? Was glaubt mein familiäres Umfeld von mir, wenn ich mein Kind in die außerfamiliäre Betreuung gebe (Bethke, Braukhane & Knobeloch, 2009, S. 34)? Dieser, oft unbewusste Widerstand wird von der Fachkraft erkannt und in einem offenen Gespräch bearbeitet. Die primäre Bezugsperson ist lebensnotwendige Grundlage für das Kind, die Gefühle sind hier besonders intensiv und halten lebenslang. Die Fachkraft ist sekundäre Bezugsperson und wichtig für eine zeitlich begrenzte Phase am Tag mit einem professionellen Bezug (Ahnert, 2010, S. 219; Grossmann & Grossmann, 2012, S. 259; Hörmann, 2014, S. 6). Studien aus der USA machen deutlich, dass ein Kind die Bindungsperson immer vor der Fachkraft bevorzugt und verdeutlicht, dass die Bindungsperson immer Hauptbindungsperson bleiben wird (Laewen, Andres & Hedervari-Heller, 2015, S. 41; Dreyer, 2017, S. 62).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1 – Beziehungsdreieck, Grafik

4.2 Aufbau der Fachkraft-Kind-Bindung

Die Bindungstheorie besagt, dass Bindung entsteht, wenn die Bindungsperson feinfühlig, prompt und angemessen auf die Bedürfnisse des Kindes reagiert (siehe Anhang I). In Studien wie von Sagi u. a. (1995, S. 71 ff. zitiert nach Dreyer, 2017, S. 40 f.)15 wird festgestellt, dass bei Fachkräften ein ähnliches Bindungsmuster zu finden ist. Das Bindungskonzept ist auf die Fachkraft übertragbar . Die Studie von Cummings (1980, S. 31 ff.) zeigt, dass Kinder mehr positive Emotionen zeigen, wenn sie morgens von der Fachkraft begrüßt werden, welche diese stabil betreut. Sie weinen weniger und lassen sich schneller trösten (Dreyer, 2017, S. 39). Die Fachkraft wird zu einer Bindungsperson, welche dem Kind Nähe und Schutz bietet (Dreyer, 2017, S. 40). Die Studie von Barnes und Cummings (1994) weist nach, dass erst nach vier bis siebzehn Monaten Betreuungszeit die Fachkraft als sichere Basis genutzt wird. Nach einer Betreuungszeit von neun bis 12 Monaten weisen 67 Prozent der Kinder eine sichere Bindung zur Fachkraft auf, nach fünf bis acht Monaten nur 50 Prozent (Glüer, 2017, S. 76). Ahnert und Glüer weisen darauf hin, dass nicht jede Beziehung auch Bindungsfunktion erfüllt. Die bloße Beaufsichtigung führt zu keiner Bindung, das Fachkräfteverhalten und die Fachkraft-Kind-Interaktion bestimmen, ob sich eine Bindung zwischen Kind und Fachkraft aufbaut (Ahnert, 2008b, S. 265; Glüer, 2017, S. 74). Die Bindung an die Fachkraft kann als emotionale und soziale Ressource betrachtet werden, sie bietet Schutz gegenüber Entwicklungsrisiken und kann zu höheren sozial-emotionalen Kompetenzen des Kindes beitragen, sie wirkt direkt begünstigend auf die kindliche Entwicklung. In Kombination mit dem Fürsorgeverhalten der primären Bindungsperson stellt die Fachkraft-Kind-Bindung eine doppelte Ressource, eine Kompensation, einen doppelten Verlust oder eine verlorene Ressource dar (Glüer, 2017, S. 123 ff.). Anhang L verdeutlicht diesen Sachverhalt. Eine sichere Bindung zwischen Fachkraft und Kind trägt zu mehr Exploration, Neugier und Erkundung bei, ebenso zu einer erfolgreichen und komplexen Interaktion mit anderen Kindern. Sicher gebundene Kinder weisen fortgeschrittene soziale und wechselseitige Spielformen mit Gleichaltrigen auf, unsicher gebundene sind meist Zuschauer, nicht ins Spiel eingebunden und lassen sich nicht animieren. Eine konflikthafte Fachkraft-Kind-Bindung steht im Zusammenhang mit geringeren sozialen Kompetenzen und einer Erhöhung des aggressiven Verhaltens (Glüer, 2017, S. 127 f.). Anhang M zeigt den Zusammenhang der sozial-emotionalen Kompetenzen mit der sicheren oder unsicheren Fachkraft-Kind-Bindung. Im Gegensatz zur ungeteilten mütterlichen Aufmerksamkeit hat die Fachkraft-Kind-Bindung einige Besonderheiten, da die Fachkraft die ganze Gruppe im Überblick haben muss. Der Beziehung zwischen Kind und Fachkraft werden fünf Eigenschaften nach Ahnert, 2007, S. 33 zugeschrieben, welche von Bedeutung sind: Zuwendung, Sicherheit, Stressreduktion, Explorationsunterstützung und Assistenz. Die Zuwendung zeigt sich in einer liebevollen und emotional warmen Kommunikation. Die Fachkraft lässt das Kind spüren, dass sie Freude an gemeinsamen Interaktionen hat. Die Fachkraft gibt dem Kind die notwendige Sicherheit, welche das Kind braucht um die Umwelt zu erkunden. Wichtig ist, dass die Fachkraft als sichere Basis zur Verfügung steht. Bleibt in Belastungssituationen die Fachkraft zur Stressreduktion nicht erreichbar und bietet dem Kind keinen Trost und Unterstützung, kann das Kind seine negativen Gefühle und Ängste nicht regulieren, bewältigen und in eine positive Stimmungslage zurückkehren. Die Fachkraft unterstützt das Kind bei der Exploration, dem eigenständigen Erkunden seiner Umwelt. Wenn das Kind ängstlich oder unsicher ist, wird es zur Fachkraft zurückzukehren oder sich mit Blicken bei ihr rückversichern. Hierbei ermutigt die Fachkraft das Kind zu erneuten Erkundungen. Unter dem fünften Aspekt der Assistenz unterstützt sie das Kind, wenn dieses an die Grenzen seiner Handlungsfähigkeit stößt. Sie bietet die nötigen Informationen und Unterstützung, damit das Kind seine Umwelt erkunden kann (Ahnert, 2007, S. 33 f.). Für den Aufbau einer Bindung zur Fachkraft brauchen Kinder ein bis zwei Wochen, in manchen Fällen bis zu drei Wochen (Laewen, Andres & Hedervari-Heller, 2015, S. 35; Glüer, 2017, S. 95 ff.).

[...]


1 https://www.revosax.sachsen.de/vorschrift/11517-Saechsische-Qualifikations-und-Fortbildungsverordnung-paedagogischer-Fachkraefte

2 „Mit Transitionen sind bedeutende Übergänge im Leben gemeint, die Veränderungen und Erneuerungen mit sich bringen. Die Transition ist eine Übergangsbewältigung, die das Kind mit Hilfe von nahestehenden Menschen erfolgreich meistern kann. Dabei wird das Kind gestärkt und für zukünftige Übergänge gewappnet“ (Koep, 2019).

3 Durch soziale, psychische, organische, genetische u. a. Faktoren bedingte Anfälligkeit, auf Belastungen mit bestimmten Erkrankungen zu reagieren. (Stangl, 2019).

4 John Bowlby (1907 bis 1990) war Psychiater und Psychoanalytiker, und Begründer der Bindungstheorie.

5 Die Bindungstheorie wurde von John Bowlby, einem britischen Kinderpsychiater, und Mary Ainsworth, einer kanadischen Psychologin entwickelt. Sie besagt, dass Menschen ein Grundbedürfnis für den Aufbau von engen Beziehungen zu anderen Menschen haben. Das Modell der frühen Mutter-Kind-Bindung ist der Ursprung der Bindungstheorie.

6 Innere Arbeitsmodelle sind die Verdichtung gesammelter Erfahrungen. In den ersten Lebensjahren entwickelt das Kleinkind eine Vorstellung davon, wie die Bindungsperson verfügbar ist und auf seine gesendeten Signale reagiert. Anfänglich sind dies einfache Erwartungen, Ende des ersten Lebensjahres entwickelt sich eine generelle Erwartungshaltung, diese wird als inneres Arbeitsmodell bezeichnet (Dreyer, 2017, S. 15 f.). Grossmann & Grossmann, 2012, S. 82 beschreiben ein wünschenswertes inneres Arbeitsmodell: das Kind hat eine Vorstellung von seiner Bindungsperson, ihrer prinzipiellen Verfügbarkeit und Bereitschaft auf seine Signale zu reagieren und zu helfen. Das Kind hat eine Vorstellung von sich selbst, ob es eine liebenswerte, wertvolle Person ist, welche es verdient, dass ihr geholfen wird.

7 Feinfühligkeit ist Voraussetzung für die Ausprägung unterschiedlicher Bindungsqualitäten. Studien belegen einen Zusammenhang zwischen hoher elterlicher Sensitivität und sicherer Bindung. Feinfühligkeit hat vier Merkmale: die Wahrnehmung des Befindens des Kindes, die richtige Interpretation, die prompte und angemessene Reaktion (Grossmann & Grossmann, 2012, S. 164 f.).

8 Der menschliche Gang, Bewegung von einer Stelle zur anderen.

9 Die Funktion der Bindungsbeziehung zwischen Bindungsperson und Kind ist, die Balance zu schaffen zwischen Nähe und Exploration. Nur wenn das Kind sich sicher fühlt, ist es bereit seine Umwelt zu erkunden, in diesem Fall dominiert das Erkundungssystem. Kommt das Kind in eine Belastungssituation oder fühlt sich bedroht, wird das Bindungsverhaltenssystem aktiviert. Nur eines von beiden Systemen kann aktiv sein. Das zeigt, dass Bildung und Lernen nur möglich ist, wenn das Kind das Gefühl von Sicherheit hat (Dreyer, 2017, S .13).

10 Die Fremde-Situation ist eine standardisierte, unter Laborbedingungen durchgeführte Beobachtung, in welcher die Bindung zwischen Kind und Bindungsperson festgestellt wird. Es kommt zu zwei kurzen Trennungen und Wiedervereinigungen zwischen Bindungsperson und Kind. Die Reaktion des Kindes bei Wiederkehr der Bindungsperson dient als Indikator für die Bindungsqualität. Die Auswertung der Beobachtung führte zu drei verschiedenen Bindungstypen (sicher gebunden, unsicher-vermeidend gebunden und unsicher-ambivalent gebunden (Stemmer-Lück, 2004, S. 114 f.). Später kam ein weiterer Bindungstyp, der desorganisiert-desorientiert gebundene dazu (Laewen, Andres & Hedervari-Heller, 2015, S. 28).

11 Cortisol ist ein Hormon, welches unter Stress vermehrt ausgeschüttet wird. Fällt der Pegel wieder, ist alles in Ordnung, hält die Belastung an, macht dies krank (Ahne, 2013).

12 Dreyer, R. (2017). Eingewöhnung und Beziehungsaufbau in Krippe und Kita. Modelle und Rahmenbedingungen für einen gelungenen Start. Freiburg im Breisgau: Herder Verlag.

13 Dreyer, R. (2017). Eingewöhnung und Beziehungsaufbau in Krippe und Kita. Modelle und Rahmenbedingungen für einen gelungenen Start. Freiburg im Breisgau: Herder Verlag.

14 Dreyer, R. (2017). Eingewöhnung und Beziehungsaufbau in Krippe und Kita. Modelle und Rahmenbedingungen für einen gelungenen Start. Freiburg im Breisgau: Herder Verlag.

15 Dreyer, R. (2017). Eingewöhnung und Beziehungsaufbau in Krippe und Kita. Modelle und Rahmenbedingungen für einen gelungenen Start. Freiburg im Breisgau: Herder Verlag.

Excerpt out of 97 pages

Details

Title
Die Eingewöhnung von Krippenkindern im Alter von einem Jahr. Entwicklung eines individuellen Eingewöhnungsprogramms
Author
Year
2020
Pages
97
Catalog Number
V537752
ISBN (eBook)
9783963550683
ISBN (Book)
9783963550690
Language
German
Keywords
Eingewöhnung, Transitionen, Fremdbetreuung, Krippenkind, Eingewöhnungsmodell, Bindung, Bindungstheorie, Mutter-Kind-Bindung, Fachkraft-Kind-Bindung, U 3, Kinderkrippe, Erziehung, Sozialpädagogik
Quote paper
Katrin Tietz (Author), 2020, Die Eingewöhnung von Krippenkindern im Alter von einem Jahr. Entwicklung eines individuellen Eingewöhnungsprogramms, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/537752

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