In der vorliegenden Arbeit wollen wir uns mit den Erkenntnissen der Resilienzforschung, der Forschung nach den Schutz- bzw. Risikofaktoren für die kindliche Entwicklung auseinandersetzen. Hauptaufgabe ist es dabei zu prüfen, ob die Ergebnisse dieser Forschungsrichtung einen positiven Einfluss auf den Umgang mit bindungsgestörten Kindern haben könnte, bzw. ob die Frage nach den „Ursprüngen der seelischen Gesundheit“ (GÖPPEL 1997) hilfreich bei der Arbeit mit seelisch kranken bzw. auffälligen Kindern ist.
Der Begriff Bindungsstörung ergibt sich aus der Bindungstheorie und Bindungsforschung, mit der wir in unseren Praktika unabhängig voneinander vertraut wurden. Das Interesse an der Bindungstheorie ergab sich zum einen aus der Beobachtung der Beziehungen und Interaktionen zwischen Müttern und ihren Kindern in einem Mutter-Kind-Erholungsheim, zum anderen aus der Beobachtung von Kindern in Trennungssituationen in einem Kinderheim.
Die bindungstheoretische Perspektive war dabei eine willkommene Ergänzung zur uns schon vertrauten psychoanalytischen und der von den jeweiligen Anleitern praktizierten systemischen familienorientierten Perspektive.
Ein weiteres Motiv waren die Erfahrungen aus unserem Projektseminar („Sucht und Psychotherapie“). Dieses haben wir z.T. wie eine Selbsterfahrungsgruppe gestaltet und dabei eigene Bindungserfahrungen zum Gegenstand der Diskussion gemacht. Zum anderen war es ein Ziel, die Ursachen für Suchterkrankungen zu erforschen, wobei wir Sucht immer auch als eine seelische Erkrankung betrachteten. Dabei sind wir meist psychoanalytisch orientiert herangegangen – auch hier ist die Bindungstheorie eine willkommene Ergänzung. Kurz: es gab auch ein Interesse, Sucht aus bindungstheoretischer Perspektive zu beleuchten. Deshalb beschreiben wir in den Beispielen für Bindungsstörungen auch eines, das sich auf Sucht bezieht.
Eine entscheidende These der Bindungsforschung ist die, dass eine sichere Bindung des Kleinkindes an seine Mutter (oder an eine andere wichtige Bezugsperson) die Wahrscheinlichkeit für psychische Erkrankung in der späteren Entwicklung senkt (vgl. BRISCH 1999, S.77). Nur eine sichere Bindung ermöglicht ein freies Explorationsverhalten und das spätere Eingehen neuer dauerhafter Beziehungen. Der Mutter als „secure base“ wird eine große Bedeutung zugeschrieben.
Die Bindungstheorie muss also der von unserer Gesellschaft geforderten und geförderten Entwicklung von bindungslosen Individuen kritisch gegenüberstehen.
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung
- I.1 Motive (C. Volkert und M. Leesch)
- I.2 Aufgabenstellung und Arbeitsplan (C. Volkert und M. Leesch)
- I.3 Informationsquellen (C. Volkert und M. Leesch)
- II. Eigene Erfahrungen mit Bindungsauffälligkeiten
- II.1 Erfahrungen mit behinderten Jugendlichen (C. Volkert)
- II.2 Erfahrungen mit Müttern und ihren Kindern während einer Mutter-Kind-Erholungskur (C. Volkert)
- II.3 Erfahrungen mit Heimkindern (M. Leesch)
- III. Darstellung und Analyse der Bindungsstörungen
- III.1 Phänomenologie der Bindungsstörungen
- 1.1 Definition und Operationalisierung bindungsrelevanter Begriffe (M. Leesch)
- 1.2 Klassifikationen in diagnostischen Manualen (C. Volkert)
- 1.3 Typologie der Bindungsstörungen (C. Volkert)
- 1.3.1 Keine Anzeichen von Bindungsverhalten
- 1.3.2 Undifferenziertes Bindungsverhalten
- 1.3.3 Gehemmtes Bindungsverhalten
- 1.3.4 Aggressives Bindungsverhalten
- 1.3.5 Bindungsverhalten mit Rollenumkehrung
- 1.3.6 Psychosomatische Symptomatik
- 1.4 Bindungsstörungen in verschiedenen Entwicklungsstufen anhand von Beispielen (M. Leesch)
- 1.4.1 Exzessives Klammern im Kleinkindalter
- 1.4.2 Schulangst im Schulalter
- 1.4.3 Suchtsymptomatik in der Adoleszenz
- 1.4.4 Depressive Symptomatik bei Erwachsenen
- III.2 Ursachen der Bindungsstörungen
- 2.1 Zusammenhang zwischen Bindung und Bindungsstörung (M. Leesch)
- 2.2 Bindungstheoretische Konzepte
- 2.2.1 Ergebnisse der Deprivationsforschung (M. Leesch)
- 2.2.2 Konzept der Feinfühligkeit (M. Leesch)
- 2.2.3 Konzept der Bindungsrepräsentanzen (M. Leesch)
- 2.2.4 Gesellschaftshistorische Hintergründe der Bindungstheorie (M. Leesch)
- 2.2.5 Erkenntnistheoretische Einordnung und Bewertung der Bindungstheorie (M. Leesch)
- 2.3 Ursachen der Bindungsstörungen nach Brisch (C. Volkert)
- III.3 Reaktionen auf Bindungsstörungen
- 3.1 Herkömmliche Reaktionen auf Bindungsstörungen (C. Volkert und M. Leesch)
- 3.2 Bindungstherapie
- 3.2.1 Theoretische Grundlagen (M. Leesch)
- 3.2.2 Praktische Implikationen (C. Volkert)
- 3.2.2.1 Therapie von Erwachsenen
- 3.2.2.2 Therapie von Kindern
- 3.2.2.3 Praktische Beispiele
- IV. Inhalte und Ergebnisse der Resilienzforschung
- IV.1 Definition des Resilienzbegriffs (M. Leesch)
- IV.2 Themen und Methodik der Resilienzforschung (M. Leesch)
- IV.3 Ergebnisse der Resilienzforschung (C. Volkert)
- IV.4 Kritische Diskussion der Resilienzforschung (M. Leesch)
- V. Praktische Implikationen der Resilienzforschung
- V.1 Bedeutung der Resilienzforschung für bindungsgestörte Kinder (C. Volkert)
- V.2 Bedeutung der Resilienzforschung für das eigene Leben mit Kind (C. Volkert)
- V.3 Bedeutung der Resilienzforschung für die Sozialpädagogik (M. Leesch)
- V.4 Grenzen des Resilienzkonzepts (M. Leesch)
- VI. Zusammenfassung (C. Volkert und M. Leesch)
- Analyse der Phänomenologie von Bindungsstörungen
- Erforschung der Ursachen von Bindungsstörungen
- Präsentation der Ergebnisse der Resilienzforschung
- Bewertung der praktischen Implikationen der Resilienzforschung für bindungsgestörte Kinder und die Sozialpädagogik
- Diskussion der Grenzen des Resilienzkonzepts
- I. Einleitung: Diese Einleitung führt in die Thematik der Arbeit ein und erläutert die Motive, die Aufgabenstellung und den Arbeitsplan. Sie befasst sich mit den Erfahrungen der Autoren im Bereich der Bindungsstörungen und deren Interesse an der Bindungstheorie.
- II. Eigene Erfahrungen mit Bindungsauffälligkeiten: Dieses Kapitel schildert die persönlichen Erfahrungen der Autoren mit bindungsgestörten Kindern und Jugendlichen in verschiedenen Kontexten, wie z.B. Behinderteneinrichtungen, Mutter-Kind-Erholungskuren und Kinderheimen.
- III. Darstellung und Analyse der Bindungsstörungen: Dieses Kapitel analysiert das Phänomen der Bindungsstörungen. Es definiert und operationalisiert wichtige Begriffe, stellt verschiedene Klassifikationen und Typologien vor und betrachtet Bindungsstörungen in verschiedenen Entwicklungsstufen.
- III.2 Ursachen der Bindungsstörungen: Dieses Kapitel untersucht die Ursachen von Bindungsstörungen und beleuchtet verschiedene bindungstheoretische Konzepte, wie z.B. Deprivationsforschung, Feinfühligkeit und Bindungsrepräsentanzen.
- III.3 Reaktionen auf Bindungsstörungen: Dieses Kapitel befasst sich mit verschiedenen Reaktionen auf Bindungsstörungen, darunter herkömmliche Ansätze und die Bindungstherapie. Es beleuchtet theoretische Grundlagen und praktische Implikationen der Bindungstherapie.
- IV. Inhalte und Ergebnisse der Resilienzforschung: Dieses Kapitel definiert den Resilienzbegriff, beschreibt die Themen und die Methodik der Resilienzforschung und präsentiert wichtige Ergebnisse dieser Forschungsrichtung.
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Diplomarbeit befasst sich mit den Erkenntnissen der Resilienzforschung und deren Bedeutung für den Umgang mit bindungsgestörten Kindern. Sie untersucht, ob die Ergebnisse dieser Forschungsrichtung einen positiven Einfluss auf die Arbeit mit diesen Kindern haben könnten, indem sie die Frage nach den "Ursprüngen der seelischen Gesundheit" (GÖPPEL 1997) beleuchtet.
Zusammenfassung der Kapitel
Schlüsselwörter
Die wichtigsten Schlüsselwörter dieser Arbeit sind: Bindungsstörungen, Resilienzforschung, Schutzfaktoren, Risikofaktoren, kindliche Entwicklung, Bindungstheorie, Bindungsrepräsentanzen, Feinfühligkeit, Deprivationsforschung, Bindungstherapie, Sozialpädagogik.
- Arbeit zitieren
- Marc Leesch (Autor:in), Claudia Volkert (Autor:in), 2002, Die praktische Bedeutung der Resilienzforschung für den Umgang mit bindungsgestörten Kindern, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/6596