Im Namen Gottes? Religion und Politik in der islamischen Welt


Essai Scientifique, 2007

22 Pages


Extrait


Inhalt

A. Zwei Vorbemerkungen
1. Die wiedererwachten Religionen als Akteure der Politik
2. „Die islamische Welt“ gibt es nicht!

B. Rückblick auf die Geschichte: Expansions- und Religionspolitik
1. Jesus und Muhammad im Vergleich
2. Christliche und islamische Expansion und Geschichte im Vergleich

C. Zeitgenössische politische Konzepte in den islamischen Welten
1. Die neuzeitliche Umkehr der Bilanz im Vergleich zwischen „dem“ Westen und „der“ islamischen Welt
2. Skizze diverser politischer Konzepte in der islamischen Welt mit Länder- und Institutionenbeispielen
a. „Im Namen des Volkes“: Säkular-nationalistische Politik
b. „Im Namen der Gerechtigkeit“: Politik des islamischen Sozialismus
c. „Im Namen des Islams“: Internationale Politik (Panislamismus)
d. „Im Namen Gottes“: Theokratische Politik

D. Das aktuelle Phänomen des Islamismus
1. Der Wahhabismus als vormoderner Islamismus
2. Gründer- und Schlüsseljahre des modernen Islamismus
3. Der Islamismus heute
4. Merkmale des Islamismus
a. Das Freund-Feind-Denken
b. Die Politisierung der Religion

E. Schluß: Friedenspolitik

„Im Namen Gottes”?

Religion und Politik in der islamischen Welt

A. Zwei Vorbemerkungen

Beginnen möchte und muß ich mit zwei ausführlichen Vorbemerkungen.

1. Die wiedererwachten Religionen als Akteure der Politik

Die Rolle der Religionen in Politik und Gesellschaft ist ambivalent. Religionen sind so ambivalent wie die Menschen es sind, die sich zu ihnen bekennen. In jedes Menschen Brust gibt es diese beiden Seelen, gibt es Licht und Schatten. Entsprechend lichtvoll können Religionen sein als Quellen des Friedens, des Dialogs und des sozialen Engagements. Auf der anderen Seite gibt es diese grauenvolle, abgründige Seite in den Religionen, wie wir sie vor allen Dingen durch die täglichen Fernseh- und Zeitungsberichte vor Augen geführt bekommen: Religionen als Motoren des Fanatismus und als Motivatoren der Aggression. Das gilt am meisten für Judentum, Christentum und Islam, die im Mittelpunkt dieser Vortragsreihe stehen. Gerade diese „prophetischen Religionen“ haben im Laufe ihrer Geschichte eine besondere Neigung zur Unduldsamkeit, zu allein selig machenden Absolutheits­ansprüchen, ja sogar zu Haß und Gewalt erkennen lassen. Als solche waren Religionen – genauer: religiöse Menschen und Institutionen – schon immer mächtige Akteure der Politik: sei es im Vordergrund als Kriege führende Päpste, Kalifen und Kolonialherren, sei es im Hintergrund als Berater, die Kriege religiös legitimieren, Waffen segnen und Soldaten ein gutes Gewissen sowie das himmlische Paradies versprechen (wie etwa Martin Luther angesichts der sog. „Türkenkriege“ im 16. Jahrhundert), sei es im Untergrund als religiös motivierte Terrorkämpfer: von der Hagana und der „Sternbande“ über die IRA bis hin zur HAMAS und al-Qaida.

Ich betone: diese Ambivalenz der Religionen in der Politik ist kein Merkmal der Religionen allein. Das Oszillieren zwischen Kriegs- und Friedenspolitik, zwischen Kampf und Dialog der Kulturen, zwischen Versöhnungs- und Dämonisierungsstrategien gilt auch für andere Akteure: für Staaten und ihre Regierungen, für Wirtschaftsunternehmen, für zivilgesellschaftliche Organisationen. Überall finden wir dieselbe Ambivalenz, denselben Menschen mit den beiden widerstreitenden Seelen in der Brust. Und es gab und gibt genügend Diktatoren, die als Atheisten auch ganz ohne Religion die Gewalt als wichtigstes Instrument ihrer Herrschaft einsetzen.

Nun aber sind in meinem Beitrag die Religionen gefragt. Daß sie überhaupt im Bereich von Politik und Gesellschaft gefragt sind, wäre für viele Beobachter noch vor zehn, fünfzehn Jahren eine Überraschung gewesen. Heute haben wir uns fast schon daran gewöhnt. Das Stichwort an dieser Stelle heißt: Renaissance der Religionen. Bis in die 80er Jahre lauteten die Prognosen der meisten Soziologen und Politologen: Religionen verschwinden in dem Maße, wie sich die Gesellschaften modernisieren. Es war dies fast ein allgemeines, unhinterfragtes Credo seit den Tagen Max Webers und dessen Rede von der „Entzauberung“ der Welt durch Wissenschaft und Technik der Moderne. Ein Prozeß der Säkularisierung und Rationalisierung finde statt, der die Reli­gionen ins Abseits dränge. Sie werde zunehmend marginalisiert, privatisiert, und irgendwann werde auch der Letzte begriffen haben, daß er ohne Religion genausogut – oder: in atheistischer Zuspitzung – sogar viel besser leben könne...

Doch der Gang der Geschichte war ein anderer – mal ganz abgesehen davon, daß die Säkularisierungstheorie Ausdruck einer eingeschränkten eurozentrischen Perspektive war. Ein Blick in die USA oder nach Afrika, nach Indien oder in die sog. „islamische Welt“ hätte sofort gezeigt, daß von Säkularisierung als globalem Trend keine Rede sein kann, im 20. Jahrhundert nicht, und heute erst recht nicht. In den vergangenen 20 bis 25 Jahren haben sich die Religionen auf der Bühne der Weltpolitik zurückgemeldet. Renaissance der Religionen – das bedeutet, daß die Säkularisierungsthese zu revidieren ist. Religionssoziologen sprechen seit einigen Jahren von „De-Säkularisation“.[1] Die Revision der Säkularisierungsthese in Deutschland hat im Herbst 2001 in Frankfurt bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels begonnen. Jürgen Habermas, unser „religiös unmusikalischer“ Vordenker, sprach von der „postsäkularen Gesellschaft“, auf die wir uns einzustellen hätten.[2] Religionen prägen einzelne Menschen und ganze Kulturen viel nachhaltiger, als das in Europa vorausgesehen wurde. Religionen sterben nicht allmählich aus. Säkularisierung ist kein globales Phänomen, sondern ein Sonderweg, eine Ausnahme, die auf bestimmte Regionen der Welt zutrifft, vor allem auf Teile der sog. „westlichen Welt“. Daß die Säkularisierungsthese nicht einmal generell für den „Westen“ zutrifft, zeigt besonders das Beispiel der USA. Sie sind Vorreiter der Moderne und nun auch Postmoderne, der technischen Innovation auf vielen Ebenen und zugleich eine schon immer sehr religiös geprägte Nation mit einem ausgeprägten Sendungsbewußtsein. Das wird in dem Beitrag von Geiko Müller-Fahrenholz deutlich. Wie sieht es demgegenüber bei dem angeblichen Antipoden „des Westens“ aus, der islamischen Welt? Ehe ich darauf eingehen kann, ist eine zweite Vorbemerkung nötig.

2. „Die islamische Welt“ gibt es nicht!

Sowenig es „die westliche Welt“ oder „das Christentum“ gibt, gibt es „den Islam“ oder „die islamische Welt“! Die Wirklichkeit ist unübersichtlicher, sie ist vielfältiger, als es das Schubladen-Denken gerne hätte. Immerhin gibt es rund 1,3 Mrd. Muslime weltweit. Von ihnen sind knapp 90% Sunniten und gut 10% Schiiten. Groß sind die religiösen, die nationalen, die kulturellen Unterschiede zwischen den Muslimen. Der türkische Islam ist ein anderer als der arabische Islam, der iranische Islam ist ein anderer als der indische oder indonesische Islam, und die „Black Muslims“ in den USA sind wieder anders. Von den angedeuteten nationalen und kulturellen Differenzen abgesehen, muß man darüber hinaus auch noch verschiedene religiöse Milieus innerhalb all dieser Islame unterscheiden. Damit die faktische Vielfalt nicht zu unübersichtlich wird, möchte ich Ihnen eine kleine systematische Übersicht über die Hauptströmungen innerhalb des Islams geben.

Die weite Welt des Islams kann vierfach differenziert werden. Es gibt 1. eine Mehrheit der Konservativen bzw. Orthodoxen – gleichsam der offizielle, legalistische Islam, wie ihn die meisten Gelehrten gemäß der Tradition vorgeben. Es gibt 2. den Liberalismus (auch Reformismus oder Modernismus), der in unterschiedlicher Weise für eine Synthese von islamischer Tradition und Moderne, von Glaube und Vernunft, votiert. Reform-Muslime sind besonders in Europa, in Regionen des Nahen Ostens, aber etwa auch in Indien und Indonesien zu finden. Dann gibt es 3. eine Strömung des Säkularismus, der mehr oder minder jegliche, im Verlauf der Sozialisation erworbene Religiosität zugunsten eines Athe­ismus oder Materialismus aufgibt (sog. „Kulturmuslime“). Viel einflußreicher noch immer ist jedoch 4. der mehr oder weniger vom Sufismus geprägte Volks islam von Millionen einfacher Menschen, die auch andere (in den Augen der Orthodoxen „fremde“) Inhalte und Praktiken in ihren gelebten Islam aufnehmen (Musik, Tanz, Heiligenverehrung, usw.). Die von der Mystik geprägten muslimischen Eliten wie auch die Reform-Muslime repräsentieren zugleich die beiden Strömungen, die sich für den Dialog der Religionen am meisten enga­gieren.

B. Rückblick auf die Geschichte: Expansions- und Religionspolitik

1. Jesus und Muhammad im Vergleich

Zwischen beiden Religionsstiftern gibt es einen bedeutsamen Unterschied, der für die Entstehungsbedingungen wie für das (anfängliche) Selbstverständnis beider Religionen ausschlaggebend wurde. Jesus wirkte als Wanderprediger und Heiler nur eine recht kurze Zeit (ca. ein bis drei Jahre), ehe er von den Römern hingerichtet wurde – immerhin als „Volksaufrührer“ und Messias-Prätendent, was zeigt, daß die Botschaft des Propheten aus Nazareth in der galiläischen Unruheprovinz nicht ganz so unpolitisch war, wie das häufig angenommen wird. Anders jedoch Muhammad: zunächst gleicht seine Verkündigung in der zwölfjährigen Wirksamkeit in Mekka sehr dem, was uns von Jesus und vielen jüdischen Propheten bekannt ist. Auch war seine äußere Situation wie die seiner Anhänger der Situation des Urchristentums vergleichbar: geprägt von Ohnmacht, Ausgrenzung, Verfolgung und drohendem Tod. Doch Muhammad kam mit dem Leben davon, er und die Seinen emigrierten nach Medina (arab. hidjra), wo er noch einmal zehn Jahre wirkte: nun auch als Kommunalpolitiker und Schiedsrichter in Stammeskonflikten, als Heerführer und zugleich als Anführer eines sozialen und religiösen Gemeinwesens – der islamischen Gemeinde (arab. umma) –, in der es auch viele (zivil- und straf-) rechtliche Angelegenheiten zu organisieren galt. Allesamt Herausforderungen, vor die Jesus selbst nie gestellt war. Das hohe Ethos der Bergpredigt mußte Jesus nie in der politischen oder einer kirchengemeindlichen Praxis etablieren und bewähren. Anders Muhammad, der seine Botschaft in die von vielen christlichen Theologen gerne als „schmutziges Geschäft“ gescholtenen Politik umsetzen mußte.

2. Christliche und islamische Expansion und Geschichte im Vergleich

Die Ausbreitung des Christentums war in den ersten Jahrhunderten primär dem Missionsbefehl (Mat 28,18-20) verpflichtet. Sie verstand sich als religiöse Expansion mit dem Ziel, Andersgläubige – verstanden als „Heiden“ – zum allein selig machenden Christentum zu bekehren und durch die Taufe in die jeweilige Kirche aufzunehmen. Erst seit Konstantin, als das Christentum zur neuen Reichs- und Staatsreligion wurde, verband sich die religiöse Mission auch mit (staats-) politischen und militärischen Interessen. Anders hingegen verstand sich die Ausbreitung des Islams. Sie war nicht primär als religiöse, sondern als politische Expansion definiert. Die im siebten Jahrhundert nach Norden, Osten und Westen ausschwärmenden muslimischen Truppen – zum Teil unterstützt von christlichen Araberstämmen – verwandelten im Laufe weniger Jahrzehnte das Mittelmeer fast vollständig in einen Binnensee der islamischen Welt. Schon 100 Jahre nach Muhammads Tod war das Islamische Reich flächenmäßig größer als jedes Imperium der bisherigen Menschheitsgeschichte. Das Christentum hatte seine historischen Kerngebiete – Palästina, Syrien, Kleinasien, Nordafrika – verloren. Wie war das möglich? Das wohl hartnäckigste Vorurteil gegenüber dem Islam ist, dieser habe sich „mit Feuer und Schwert“ die Welt untertan gemacht. Ich erinnere an die TV-Serie „Das Schwert des Islam“ (1991) von Peter Scholl-Latour. Die historischen Tatsachen sind jedoch viel differenzierter. Folgende Aspekte der islamischen Expansionspolitik sind zu berücksichtigen:

1. Natürlich hatte die Expansion eine militärische Komponente. Aber die Araber fochten nur wenige große Schlachten, da sie dazu kaum in der Lage waren. Ihre Kriegskunst war nicht professionell. Es gab weder ausgebildete Soldaten noch Heerführer. Viele ihrer Feldherren waren ehemalige Kaufleute. Wesentlich brutaler und blutiger ging es in den diversen innerislamischen Bürger- und Bruderkriegen seit den Tagen Alis, des vierten Kalifen, zu.
2. Die Expansion war nur teilweise zentral von den Kalifen organisiert und gesteuert. Sie hatte anfangs vielfach den Charakter spontaner und autonomer Beutezüge (Razzien, von arab. ghazwa), wie sie in der nomadischen Gesellschaft Altarabiens gang und gäbe waren.
3. Viele Gebiete, vor allem große Städte wie Jerusalem oder Damaskus, wurden durch Verhandlungen und Verträge unblutig erobert. Nach koranischer Maßgabe mußte der Feind, der sich ergab, geschont werden.
4. Bei der Expansion ging es neben dem Beutemachen primär um die Ausbreitung des islamischen Herrschaftsgebietes. Organisierte religiöse Mission (arab. da’wa) gibt es im Islam – von einigen regionalen Ausnahmen abgesehen – eigentlich erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts: als Gegenoffensive gegen das missionarisch bedrängende Christentum in den Kolonialstaaten. Erst dessen früher sog. „Mohammedanermission“ hat dazu geführt, daß die Muslime eigene professionelle Missionsgesellschaften gegründet haben, um die Christen sozusagen mit ihren eigenen Waffen zu schlagen.[3]
5. Die islamische Religionspolitik war aufs Ganze gesehen und in Übereinstimmung mit den Vorgaben des Korans tolerant und pragmatisch: die Juden und Christen der eroberten Länder wurden grundsätzlich geduldet. Als Bürger zweiter Klasse durften alle monotheistischen „Schriftbesitzer“, wie der Koran sie häufig nennt, in relativ autonomen Parallelgesellschaften existieren. Sie sollten ja Juden und Christen bleiben und als solche Steuern bezahlen und so die Expansion finanzieren helfen. Zwangsbekehrungen oder die Verfolgung Andersgläubiger waren die Ausnahme, nicht die Regel.
6. Die Araber wurden von den in den Augen der Byzantinischen Reichskirche als häretisch geltenden und daher unterdrückten und verfolgten Christen des Ostens und Nordafrikas vielerorts regelrecht als Befreier empfangen. Auch für die Juden, die bisher von den Christen drangsaliert und z.B. aus Jerusalem vertrieben worden waren, war die Ablösung der christlichen durch die islamische Herrschaft eine Befreiung.

[...]


[1] Vgl. Peter L. Berger u. a. (Ed.), The Desecularization of the World. Resurgent Religion and World Politics, Washington D.C. 1999; Martin Riesebrodt, Rückkehr der Religionen. Zwischen Fundamentalismus und „Kampf der Kulturen“, München 2000; Friedrich W. Graf, Die Wiederkehr der Götter. Religion in der modernen Kultur, München 2004.

[2] Jürgen Habermas, Glauben und Wissen, Frankfurt/M. 2001.

[3] Vgl. Christine Schirrmacher, Mit den Waffen des Gegners. Christlich-Muslimische Kontroversen im 19. und 20. Jahrhundert, Berlin 1992. Zur Vielfalt der missionarischen Konzepte in der islamischen Welt vgl. die Studie von Henning Wrogemann: Missionarischer Islam und gesellschaftlicher Dialog. Eine Studie zur Begründung und Praxis des Aufrufs zum Islam, Frankfurt/M. 2006.

Fin de l'extrait de 22 pages

Résumé des informations

Titre
Im Namen Gottes? Religion und Politik in der islamischen Welt
Auteur
Année
2007
Pages
22
N° de catalogue
V74303
ISBN (ebook)
9783638742740
ISBN (Livre)
9783640860494
Taille d'un fichier
515 KB
Langue
allemand
Mots clés
Namen, Gottes, Religion, Politik, Welt
Citation du texte
Dr. Martin Bauschke (Auteur), 2007, Im Namen Gottes? Religion und Politik in der islamischen Welt, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/74303

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