Welche ideengeschichtlichen Verbindungslinien bestehen zwischen Machiavelli und Hobbes und dem neuzeitlichen klassischen bzw. strukturellen Realismus?


Essay, 2004

13 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Niccolò Machiavelli (1469 - 1527) und Thomas Hobbes (1588 - 1679) gelten gemeinhin als ideengeschichtliche Vorreiter des neuzeitlichen klassischen bzw. strukturellen Realismus[1] – bei der folgenden Betrachtung sollen daher die Werke ‚Leviathan‘ von Hobbes und ‚Il Principe[2] ‘ von Machiavelli im Mittelpunkt stehen[3]. Durch die Untersuchung der genannten Schriften können dann konkrete ideengeschichtliche Verbindungslinien zwischen Machiavelli und Hobbes und dem neuzeitlichen klassischen bzw. strukturellen Realismus nachgezeichnet werden.

Zu den neuzeitlich klassischen Realisten zählt Hans J. Morgenthau, dessen Werk ‚Politics among nations‘ aus dem Jahre 1948 als zentrale Publikation des Realismus gilt[4]. Dieses Werk kann als Gründungsbeitrag der Lehre der Internationalen Beziehungen bezeichnet werden. Die Neubegründung des Realismus in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts ist vor allem auf konkrete Zeitumstände und Krisenerfahrungen (Drittes Reich, Zweiter Weltkrieg, Nachkriegswirren) zurückzuführen (Jacobs 2003: 35). Der Realismus wird daher auch als Antwort auf politisches Denken verstanden, das das Streben nach Macht zum Sinn aller Politik erklärte. Als weitere Realisten der 30er und 50er Jahre des 20. Jahrhunderts sind z.B. John H. Herz, Reinhold Niebuhr und Edward H.Carr zu nennen.

Kenneth N. Waltz (*1924), der mit seiner systemtheoretischorientierten Analyse ‚Theory of international politics’ aus dem Jahr 1979 als Mitbegründer des Neo – Realismus gilt (Zürn 1993: 313)[5], kann hier als einer der Hauptvertreter des strukturellen Realismus genannt werden – verlagert doch der Neo – Realismus, also der strukturelle Realismus, den Fokus der Analyse auf die Ebene des internationalen Systems, genauer auf die Struktur des internationalen Systems und deren Auswirkung auf das Verhalten von Staaten. Der strukturelle Realismus[6] entstand Mitte der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts und vereinigt die Thesen des Realismus mit Innovationen, die in den Geschehnissen der Zeit begründet liegen, d.h. die Theorie ist vor dem Hintergrund des bipolaren Systems zu betrachten.

Hier zeigt sich eine erstaunliche Parallelität zwischen den klassischen und neuzeitlichen Denkern des Realismus: Hobbes und Machiavelli ebenso wie z.B. Morgenthau und Waltz haben die Grunderfahrung einer Krisensituation gemacht, aus der heraus sie ihre Werke schrieben. Konkrete Zeitumstände wirkten somit auf die Schriften ein.

Machiavellis Lebenszeit fällt in eine Epoche tiefer Umbrüche in Florenz und in ganz Italien – eine Welt, die aus den Fugen geraten war. Die Ära der Stadtrepubliken ging unter dem Druck institutionell verfaßter Flächenstaaten dem Ende entgegen[7]. Machiavellis politische Überlegungen sind vor der Konstellation eines Konfliktes zwischen den Häusern Valois und Habsburg entstanden – Machiavelli wollte den Konflikt durch seine politischen Ratschläge bewältigt und überwunden sehen.

Thomas Hobbes verknüpft im ‚Leviathan‘ die beiden Grunderfahrungen seines Lebens – die Wirren des konfessionellen Bürgerkriegs in England[8] und die aufstrebende profane Naturwissenschaft – derart, dass im Bürgerkrieg aller Schrecken und alle Existenzangst und in der Wissenschaft alle Rettung und alle Hoffnung begründet liegt. Hobbes sah den Frieden durch den Kampf der Interessen, Meinungen und Positionen bedroht. Daher sucht Hobbes nach einer Methode, d.h. einer Wissenschaft, die diesen Antagonismen enthoben ist und statt parteilicher Perspektiven Sachlichkeit, Objektivität und beweiskräftige Wahrheit verspricht. Mit dem ‚Leviathan‘ verarbeitet Hobbes die neue wissenschaftliche Methode in der Theorie eines absoluten Staates.

Die Grundeinheit der modernen Weltpolitik ist nach Ansicht der neuzeitlichen Realisten der Staat. Der Realismus anerkennt als einzige Einheit und als einzigen bedeutsamen Akteur den Staat. Der Staat ist zentraler Akteur in den Internationalen Beziehungen. Staaten vertreten die naturgegebenen und immer geltenden menschlichen Bedürfnisse (Rosamond 2000: 131). Staaten sind nicht nur Gebilde, die maßgebende Wertzuweisungen vornehmen, sondern Staaten befriedigen auch das Verlangen nach Identität und Zugehörigkeit der Menschen, die in ihnen leben.

Hier zeigt sich bereits eine zentrale Verbindungslinie zwischen dem neuzeitlich klassischen Realismus und dem klassischen Denker Thomas Hobbes. Der von Hobbes im ‚Leviathan‘ beschriebene Krieg aller gegen alle macht die freie Entfaltung des einzelnen Menschen unmöglich, da der Mensch ständig nur damit beschäftigt ist, sein Leben zu sichern. Notwendige Folge dieses Kriegszustandes ist die Todesfurcht. Aus dieser Furcht heraus wird der Staat geboren – denn, wo viele Verschiedenes wollen, herrscht Zwietracht, wo nur ein Wille herrscht, herrscht Frieden. Das Wollen der vielen zu koordinieren, wird zum ersten Ziel auf dem Weg zum Frieden. Diese Koordination kann nur durch einen einzigartigen Akt geschehen: die Individuen unterwerfen ihren Willen dem Willen eines Einzelnen oder einer Versammlung, und dieser Wille gilt dann als der Wille aller Individuen. Diese Vereinigung und Unterwerfung erfolgt durch einen Vertrag. Im Interesse ihrer Selbsterhaltung verzichten die Menschen auf die Freiheit – nicht auf das Naturrecht[9] – und errichten vertraglich eine Herrschaft über sich. Der Staat ist demnach ein Kunstprodukt zum Zweck kollektiver Sicherheit. Es übertragen alle einzelnen ihre gesamte Macht auf eine Person (oder mehrere Personen[10]) und sehen diese als ihre Verkörperung an, so dass alles, was von dieser Vertretung in bezug auf Gemeinwohl und Sicherheit unternommen wird, als von ihnen selbst getan gilt und sie das eigene Wollen und Urteil diesem Wollen und Urteil unterwerfen. Dieser Urvertrag ist also nicht nur Herrschaftsvertrag, sondern zugleich auch Gesellschaftsvertrag. Die Menschen haben also gemäß den Naturgesetzen – unter allen Umständen den Frieden zu suchen und Konflikte zu vermeiden – ihr Recht auf Gewaltanwendung auf den Souverän übertragen. Durch den Vertrag kommt der Staat zustande und zugleich auch der Souverän. Der Souverän erhält durch diesen Vertrag allumfassende Rechte und herrscht absolut. Der Staat vertritt damit die naturgegebenen und immer geltenden menschlichen Bedürfnisse nach Sicherheit und Identität.

[...]


[1] Im Folgenden werden unter dem Begriff ‚neuzeitlicher Realismus‘ beide Schulen (neuzeitlich klassischer und struktureller Realismus) gefaßt.

[2] ‚Il Principe‘ (der eigentliche Titel lautet: ‚De principatibus‘) wurde von Machiavelli quasi nur nebenbei geschrieben. Sein eigentliches Interesse galt dem Werk ‚Discorsi‘. Allerdings gilt ‚Il Principe‘ als berühmt-berüchtigt und somit haben sich in den letzten Jahrhunderten Politikwissenschaftler nachhaltig mit dem Werk beschäftigt (Nitschke 2000: 41). Diesem Werk verdankt Machiavelli seinen Ruhm.

[3] Die Ideen der beiden klassischen Theoretiker werden auch als ‚klassischer Realismus‘ in dieser Arbeit bezeichnet.

[4] Im Folgenden soll auf die deutsche Übersetzung des Werkes, das 1963 unter dem Titel ‚Macht und Frieden‘ erschien, Bezug genommen werden.

[5] Eine fundierte Analyse zur Theoriegeschichte des Realismus bietet Kleinschmidt 1999: 129 – 146.

[6] Neben dem strukturellen Realismus gibt es zudem eine Vielzahl weiterer theoretischer Varianten des Neo – Realismus.

[7] Niccolò Machiavelli wurde 1469 in Florenz geboren. Seine politische Laufbahn begann während der republikanischen Ära seiner Vaterstadt. In Florenz waren 1494 die Medici gestürzt und unter dem Einfluß Savonarolas, des Feindes der Renaissance-Kultur, Verhältnisse geschaffen worden, die weniger demokratisch als theokratisch waren. Nach der Hinrichtung Savonarolas (1498) wurde Machiavelli vom Rat der Stadt mit der Durchführung außenpolitischer und militärischer Angelegenheiten betraut. In dieser Funktion war er 14 Jahre lang tätig. Als die Medici 1512 zurückkehrten, verlor er seine Stellung und es dauerte Jahre, ehe er wieder politische Aufgaben übernehmen durfte. Inzwischen schrieb er literarische und historische Werke, darunter auch ‚Il Principe‘. Mit dem neuerlichen Sturz der Medici im Zusammenhang mit dem Sieg der kaiserlichen Truppen über Franz I. von Frankreich verlor Machiavelli erneut alle Ämter und verstarb noch im gleichen Jahr (Viroli 2000).

[8] Thomas Hobbes wurde 1588 in Malmesbury, England, geboren und studierte in Oxford Logik und Physik. Zwischen 1610 und 1635 unternahm er lange Bildungsreisen nach Frankreich und Italien, wo er die führenden Köpfe seiner Zeit kennen lernte. An der Frage der Religion und dem englischen Verhalten im 30 – jährigen Krieg entzündete sich zwischen den Führungskräften des Landes und dem König eine scharfe Auseinandersetzung, die schließlich zur Auflösung des Parlaments 1629 führte. Zu dieser Zeit musste Hobbes auf Grund seiner königsfreundlichen Haltung aus England fliehen. In seinem Pariser Exil wurde er Lehrer des späteren Königs Karl II. und verfaßte dort seine wichtigsten politischen und philosophischen Schriften, darunter auch den ‚Leviathan‘. 1641 brach in England der Aufstand der katholischen Iren aus. Das Parlament sah sich veranlaßt in die Prärogativrechte des Monarchen einzugreifen, indem man ihm den Oberbefehl über das Heer verwehrte. Dieser sog. Sicherheitsradikalismus führte viele Abgeordnete in das Lager des Königs. 1642 brach zwischen beiden Parteien ein Bürgerkrieg aus. 1649 wurde König Karl I. von oppositionellen Puritanern hingerichtet. Die puritanische Revolution fand in Oliver Cromwell ihren siegreichen Führer. Hobbes konnte 1651 infolge einer Amnestie Oliver Cromwells wieder nach London zurückkehren. Cromwells Protektorat dauerte von 1653 – 1658. 1660 wurde die Monarchie wiederhergestellt, aber der selbstverständliche Herrschaftsanspruch war durch die Revolution erschüttert (Mauer 1976).

[9] Hierin zeigt sich eine Eingrenzung des Staates, denn unter dem Naturrecht versteht Hobbes alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um das eigene Überleben im Krieg aller gegen alle zu sichern.

[10] Hobbes präferierte jedoch die Monarchie.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Welche ideengeschichtlichen Verbindungslinien bestehen zwischen Machiavelli und Hobbes und dem neuzeitlichen klassischen bzw. strukturellen Realismus?
Hochschule
Universität Hamburg  (Institut für Politische Wissenschaft)
Note
1,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
13
Katalognummer
V80712
ISBN (eBook)
9783638871686
Dateigröße
415 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Welche, Verbindungslinien, Machiavelli, Hobbes, Realismus
Arbeit zitieren
M.A. Melanie Carina Schmoll (Autor:in), 2004, Welche ideengeschichtlichen Verbindungslinien bestehen zwischen Machiavelli und Hobbes und dem neuzeitlichen klassischen bzw. strukturellen Realismus?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80712

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