Teufelskreis der Angst. Wie Angststörungen entstehen


Hausarbeit, 2008

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


1 Einleitung

Angst ist wahrscheinlich das grundlegenste Gefühl des Menschen. Ängste vor lebensbedrohlichen Situationen scheinen logisch, aber wie entstehen Ängste vor so scheinbar harmlosen Dingen wie Aufzügen oder Supermärkten? Was steckt hinter einer Angst, die zu einer Krankheit geworden ist? Im deutschsprachigen Raum gibt es grob geschätzt rund 17 Millionen Menschen mit einer Angsterkrankung. Wann aber spricht man nicht mehr von einer ängstlichen Persönlichkeit, sondern von einer ernsthaften psychischen Störung?

In meiner Hausarbeit richte ich den Fokus auf die Hintergründe und Ursachen der verschiedenen Angststörungen, so wie auf sozialwissenschaftliche und religionswissenschaftliche Aspekte der Angst. Diese interdisziplinären Betrachtungen sind gerade im Bereich der Sozialpädagogik/Sozialarbeit ein wesentliches Element, um Angststörungen nicht nur psychologisch oder biologisch Erklären zu können, sondern auch um zahlreiche soziologische Aspekte mit aufnehmen zu können.

Im Anschluss an die Ätiologie einiger Angststörungen werde ich kurz auf die unterschiedlichen Therapieformen, wie die Verhaltenstherapie aber auch die medikamentöse Behandlung eingehen.

2 Begriffsklärung

Der Angstbegriff wird im alltäglichen Sprachgebrauch häufig als Synonym für eine Vielzahl von verschiedenen Gemütszuständen verwendet.

Das Wort Angst leitet sich aus den Begriffen „anchein“, dem griechischen „würgen“ und aus dem lateinischen „angustus“, zu deutsch „eng“ ab. Unter Berücksichtigung des kognitiven Aspektes ist Angst eine „… kognitive, emotionale und körperliche Reaktion auf eine Gefahrensituation bzw. auf die Erwartung einer Gefahren- oder Bedrohungssituation.“[1] Angst ist also ein eher ungerichtetes Gefühl. Es beschreibt einen akuten Gefühlszustand, in dem nicht erkennbar sein muss, wovor man genau Angst hat. Der Begriff „Furcht“ hingegen definiert eine situationsbezogene Angst. Die Quelle der Angst kann genau definiert und benannt werden.

Das Gefühl der natürlichen Angst in einer Stresssituation und das Kampf- Fluchtverhalten als Angstreaktion sicherte den Menschen in Urzeiten das Überleben. Von dieser Angst, die eine Warnung vor gefährlichen Situationen darstellt und das fundamentalste der menschlichen Gefühle ist, muss die Angst als unangepasste Verhaltensweise unterschieden werden.

Ein pathologisches Ausmaß nimmt Angst dann ein, wenn Dauer und Umfang der Angstreaktion als unverhältnismäßig stark und unbegründet eingestuft werden. In der Regel ist mit der pathologischen Angst ein hoher subjektiver Leidensdruck und eine Einschränkung der Lebensqualität verbunden.

Die Übergänge von kleinen alltäglichen Ängsten und behandlungsbedürftigen Angsterkrankungen sind fließend. Etwa die Hälfte aller Menschen, die unter einer Angsterkrankung leiden, sind nicht in therapeutischer Behandlung.[2]

Um Angst für diagnostische Zwecke objektiv beurteilen zu können, werden bestimmte Indikatoren herangezogen. Diese sind Veränderungen der physiologischen, der kognitiven und der motorischen Komponente des Körpers. Auf die Verfahren der Angstmessung wird im Punkt 5 genauer eingegangen.

3 Sozialwissenschaftliche Aspekte

Um das komplexe Phänomen Angst vollständig zu verstehen sind interdisziplinäre Betrachtungsweisen unumgänglich. Längst ist Angst kein individuelles Leiden mehr. Die Auswirkungen sind in allen Bereichen des Lebens zu spüren. Volkswirtschaftliche Schäden und Kosten durch Arbeitsausfall werden auf rund 100 Milliarden Euro geschätzt. Nach aktuellen Schätzungen leidet rund 10% der Gesamtbevölkerung unter Angststörungen.[3]

Die moderne Gesellschaft trägt ihren Teil dazu bei, dass die Anzahl der betroffenen Menschen, die unter Angsterkrankungen leiden, weiter ansteigt. Am 11. September 2001 übertrugen sämtliche TV-Sender die Bilder der einstürzenden Türme des World Trade Centers in New York. Diese neue Form des Terrors und der Bedrohung des öffentlichen Lebens zerstörte sämtliche individuellen und kollektiven Orientierungsmöglichkeiten. Keiner wusste zu diesem Zeitpunkt, woher die Bedrohung kam, welche Ziele die Attentäter verfolgten und was noch passieren würde. Fest stand nur: es herrschte eine lebensbedrohliche Situation. Ein wesentliches Element der Angst ist genau diese Unbestimmtheit. Wer in einer Situation Angst hat weiß nur sehr wenig über die Ursache oder Hintergründe dieser Situation. Aus dem plötzlichen Schreck über die einstürzenden Türme wird ein Zustand der Ungewissheit und der Angst. Dieser Prozess wurde durch die Medien weltweit in Gang gesetzt. Die Wirkung der Bilder vom 11. September löste international eine bedrohliche Form der Angst aus. Kriegsangst.[4] Auch Viktor Emil von Gebsattel, der bekannte Würzburger Begründer einer medizinischen Anthropologie, schrieb 1951 Folgendes über Angst im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Entwicklung: „Die Angst hat aufgehört, eine private Angelegenheit des Einzelnen zu sein. Die abendländische Menschheit überhaupt liegt in Angst und Furcht, ein unbestimmtes Vorgefühl von ungeheuren Bedrohungen erschüttert die Seinsgewißheit der Menschen. Die Aufdringlichkeit des Angstphänomens, seit 100 Jahren stetig zunehmend, hat einen bisher nie erfahrenen Grad erreicht.“[5]

Aber auch der Sozialisationsprozess in der modernen Gesellschaft kann zur Angstentstehung beitragen. Norbert Elias untersuchte in seinem Werk „Über den Prozess der Zivilisation“ von 1939 unter anderem den Zusammenhang zwischen Zivilisierung und Angstentstehung. Nach der Theorie von Elias unterliegen die Umgangsformen der Menschen zunehmend mehr Formzwängen. Dies geschieht in Folge der Zentralisierung der Gesellschaft durch die Einrichtung staatlicher Gewalt- und Steuermonopole einerseits und durch den ständigen Konkurrenzkampf und die Differenzierung der Gesellschaft andererseits. Während des Prozesses der Zivilisation wird eine Zurückhaltung der Impulse des Körpers und der Gefühle vermittelt. Die Selbstdisziplin und Selbstkontrolle wird immer wichtiger. Dies gilt vor allem für den Umgang mit der Sexualität, mit der Aggressivität und mit der Nacktheit. In diesen Bereichen entstehen erst formelle Verhaltensvorschriften und später kommt es zu einer Verinnerlichung der neuen zivilisatorischen Standards. Werden diese verletzt, entsteht ein Schamgefühl, die Angst vor Liebesentzug und Strafe. Die treibende Kraft, diese Verhaltensregeln und Normen einzuhalten und zu verinnerlichen ist für Elias also die Angst. Allerdings verläuft dieser Zivilisationsprozess nicht überall auf der Welt gleich. Durch kulturelle Unterschiede in den Gesellschaften entstehen auch unterschiedliche Normen und Werte. Beispielsweise wurde die Gabel als Essenswerkzeug in der Renaissancezeit eingeführt. Sie brauchte aber über 400 Jahre um sich auch bei uns in Deutschland durchzusetzen. Natürlich kann man sich leicht vorstellen, wie viele Ängste über Jahrhunderte mit der Frage verbunden waren, wie man sich bei sozialen Anlässen und beim Essen richtig benimmt.[6] Dieses Beispiel zeigt sehr anschaulich, dass die kulturellen Entwicklungen und der Wandel der Sozialstruktur, einen Wandel der Persönlichkeitsstrukturen mit sich ziehen und die Entstehung von Ängsten auf Grund von Unsicherheiten und Angst vor Strafe miteinander verbunden sind.

4 Philosophische und religionswissenschaftliche Aspekte

Ist Religion eine wesentliche Quelle der menschlichen Angst? Oder anders gefragt, lebt Religion von den Ängsten der Menschen? Fest steht, dass Anhänger verschiedenster Religionen ihre Ängste mit Mitteln zum Ausdruck bringen, die diese noch mehr verstärken und kanalisieren.[7] Ängste werden projiziert in Apokalyptik, Satanismus oder Hexenverfolgung. Warum beten Menschen, ziehen an die Klagemauer, bekreuzigen sich oder lassen sich segnen? Dahinter steht die Angst vor Veränderung der existenziellen Grundlagen des Lebens. Die Angst vor Krankheit, Tod, Epidemien oder Umweltkatastrophen. Viele Religionen glauben an einem Leben nach dem Tod. Dieser Glaube soll die Angst vor dem Tod lindern und die Hoffnung verbreiten, dass der Tod nicht das Ende ist. Dieser Gedanke stärkt die Menschen und nimmt ihnen eine wesentliche Angst.

Charles Y. Glock, ein Religionssoziologe, hat vier verschiedene Dimensionen der Religiosität aufgestellt. Der religiöse Ritus, also Gottesdienste oder kirchliche Feiertage, zählen ebenso zu einem christlichen Lebensstil wie die religiöse Lebensgestaltung. Auch religiöse Erfahrungen, wie Meditationsübungen, und religiöses Wissen, also die Kenntnis über Bibel, zählen zu den Dimensionen der Religiosität. Religion ist ein umfassendes, Lebens-, Denk-, und Deutungssystem. Es beeinflusst alltägliche Verhaltensweisen, die Wertschätzung anderer Menschen, die Wertevermittlung und begleitet uns bei Lebensübergängen, wie zum Beispiel Taufe, Konfirmation, Trauung und Beerdigung.[8] Diese Integration der Religion in den Alltag schafft Sicherheit und befriedigt den Wunsch nach Rückhalt und Schutz.

Religion hat die Macht, existenzielle Ängste radikal zu potenzieren. Nicht nur der Tod steht bevor, sondern ewige Höllenqualen erwarten uns. Die Strafe wird durch das Jüngste Gericht und ewige Verdammnis gesteigert. Umweltkatastrophen reichen nicht mehr aus und werden zu Weltuntergang und apokalyptischen Katastrophen erklärt.[9] „Das ist (weit gehend) kein Angst- ,Training‘ mehr, sondern ein Weg in die Verzweiflung.“[10] Da kommt die Frage auf, welchen Sinn die Formel „fürchte dich nicht“ hat, die sowohl in jüdischen und christlichen Schriften mit großer Regelmäßigkeit auftritt. Als Antwort passt die Redewendung „der Glaube versetzt Berge“. Vielleicht aber nicht nur die Berge, sondern auch die von der Kirche thematisierten Ängste vor Weltuntergang und ewiger Verdammnis.

5 Klassifikation und Diagnostik

Wie bereits erwähnt sind für die objektive Diagnostik von Angststörungen verschiedene Indikatoren notwendig. Hierzu zählen Veränderungen im Bereich der Verstandsfunktion, also Symptome, die sich auf der kognitiven Ebene abzeichnen, Veränderungen auf der physiologischen Ebene und Veränderungen der Motorik.

Durch Veränderungen auf diesen Ebenen wird in einer akuten Gefahrensituation das Überleben gewährleistet. Ein pathologisches Ausmaß nimmt Angst dann ein, wenn Angst in einer Situation empfunden wird, aus der keine reale Bedrohung hervorgeht, eine ausgeprägte Erwartungsangst vorliegt, wenn Angstreaktionen unverhältnismäßig lange andauern und wenn eine wesentliche Beeinträchtigung der Lebensqualität durch Einschränkungen und Vermeidungsverhalten zu verzeichnen ist.

[...]


[1] Hackfort/Schwenkmezger 1985, S. 19

[2] Vgl. Bandelow 2006, S. 41

[3] Vgl. Staemmler/Merten 2003, S. 10f

[4] Vgl. Dreitzel 2003, S. 18f

[5] Lang zit. n. Emil von Gebsattel 2000, S. 54

[6] Vgl. Dreitzel 2003, S.24-25

[7] Vgl Martin 2003, S. 152

[8] Vgl. a.a.O., S. 156

[9] Vgl. a.a.O. S. 159

[10] Ebd.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Teufelskreis der Angst. Wie Angststörungen entstehen
Hochschule
Fachhochschule Kiel
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
20
Katalognummer
V91668
ISBN (eBook)
9783638052214
ISBN (Buch)
9783638944946
Dateigröße
545 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Teufelskreis, Angst, Angststörungen, Phobien, Angstkreislauf
Arbeit zitieren
Felix Möller (Autor:in), 2008, Teufelskreis der Angst. Wie Angststörungen entstehen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91668

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