Parodie in den Esperpentos von Valle-Inclán


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

20 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Gliederung:

0. Einleitung

1. Die Parodie
1.1 Gattung oder Schreibweise
1.2 Merkmale der parodistischen Schreibweise
1.3 Zielsetzung
1.4 Der Rezipient

2. Der Esperpento
2.1 Gattung oder Schreibweise
2.2 Perspektive
2.3 Verfahren des Esperpento

3. Die Parodie als Schreibweise im Esperpento Los Cuernos de don Friolera
3.1 Vorlagen
3.1.1 Prolog
3.1.2 Hauptteil
4.1.3 Epilog
3.2 Intratextuelle Bezüge

5. Schluss

0. Einleitung

Viele Werke von Ramón del Valle-Inclán lassen parodistische Bezüge auf Vorlagen anderer Autoren erkennen: Hinter den Sonatas verbirgt sich zum Beispiel eine Parodie auf den Mythos des Don Juan. In Valle-Incláns Spätwerk verdichten sich die spottenden Anspielungen auf andere Werke oder Gattungen, da dies eine Möglichkeit bietet, die spanische Wirklichkeit am Anfang des 20. Jahrhunderts bloßzustellen und zu kritisieren. Ein eigenes alternatives Programm wird nicht angeboten, es geht vielmehr um die Darstellung der Lächerlichkeit der Menschen und ihrer Probleme. Verbunden damit ist ein ästhetisches Programm, das Valle-Inclán mit dem Begriff des „Esperpento“ benennt: „...el género literario que yo bautizo con el nombre de ↔esperpentos≈“1. Die Taufe macht deutlich, dass die Esperpentos Programm sind und einem theoretischen Konzept folgen sollen. Für die Forschung stellt sich daher die Schwierigkeit der Begriffseingrenzung, insbesondere deshalb, weil die von Valle-Inclán als Esperpentos bezeichneten Stücke nicht immer die von ihm selbst aufgestellten Prämissen erfüllen. Die Untersuchung des Verhältnisses zwischen Parodie und Esperpento wird zusätzlich dadurch erschwert, dass auch der Begriff der Parodie schwer einzugrenzen ist. In vielen Beiträgen fehlt eine Definition der Parodie, von der ausgegangen werden müsste. Antonio Risco oder Alonso Zamora Vicente2 z.B. begnügen sich mit der Aufzählung von Vorlagen, ohne den Esperpento in genügender Weise von der Parodie abzugrenzen und ohne die parodistischen Bezüge von den nicht-parodistischen zu trennen. Vicente Zamora stellt die Esperpentos in den Zusammenhang mit dem zu ihrer Entstehungszeit herrschenden Klima in der spanischen Theaterwelt. Während an den großen Theatern große Werke gefeiert wurden, konnte das Publikum gleichzeitig in den Volkstheatern die Parodien dazu sehen. Hier sind auch Ansätze zu erkennen, methodische Übereinstimmungen zwischen Parodie und Esperpento zu untersuchen, jedoch überwiegt eine unkritische Gegenüberstellung von realen Personen oder Figuren aus Werken anderer Autoren mit denen von Luces de Bohemia.3 Auch Phyllis Zatlin Boring4 beschränkt sich auf eine Aufzählung der möglichen Vorlagen, erweitert allerdings das Blickfeld auf die englische Literatur: Der von Valle-Inclán oft zitierte Shakespeare wird hier auch zu den Vorlagen gezählt. Ob diese tatsächlich parodiert werden wird jedoch nicht geklärt. Erst in den achtziger Jahren, als der von Kristeva geprägte Begriff der Intertextualität und damit auch intertextuelle Formen größere Beachtung fanden, kristallisiert sich eine Parodieforschung zum Werk Valle- Incláns heraus, welche viele der Mängel behebt. Neben den Esperpentos werden auch frühere Werke Valle-Incláns im Hinblick auf die Parodie untersucht.5 Einen besonders ausführlichen Beitrag liefert Wilfried Floeck, der den Esperpento als Gattung linear aus der Parodie ableitet.6 Jedoch untersucht er nur Los cuernos de don Friolera, beschränkt seine Schlussfolgerungen aber nicht auf das eine Werk und verallgemeinert voreilig. Er zählt La hija del capit á n zu den Parodien, obwohl „in diesen Fällen [...] die Parodie in zeitgenössische Gesellschaftssatire“7 umschlägt. Der dabei sehr weit gefasste Parodiebegriff umschließt die Satire, und läßt sich somit schwer von Gattungen wie dieser abgrenzen. Den Schritt von der Parodie zum Esperpento macht Floeck nur an der Zielsetzung fest, die beim Esperpento in der Aufklärung über die Wirklichkeit bestehe. Da jedoch vorher die Parodie weder auf literarische Bezüge beschränkt noch ihre Zielsetzung deutlich gemacht wurde, bleibt diese Unterscheidung unscharf: Eine Parodie auf die Wirklichkeit macht genauso auf deren Schwächen aufmerksam. Dennoch liefert Floeck einen brauchbaren Katalog an literarischen Vorlagen für Los cuernos de Friolera 8 und an „Techniken der parodistischen Verzerrung“9, die er mit den esperpentischen Techniken gleichsetzt. Schon 1988 wies Walter Bruno Berg darauf hin, dass die Funktion der esperpentischen Ästhetik nicht „auf die bekannten Schemata von Satire und Parodie“ beschränkt werden können, und betont die „in den Stücken enthaltene[n] ›immanente[n]‹ ästhetische[n] Selbstreflexion“10. Für Pere Ballart ist die Parodie nur ein geringer Aspekt des Esperpento11, während Wadda Ríos-Font noch den parodistischen Aspekt in den Vordergrund stellte.12

Mit Sicherheit ist die Parodie ein wichtiges Stilmittel einiger Esperpentos, wenn auch nicht aller. Deshalb beschränke ich mich hier auf Los cuernos de don Friolera um zu zeigen, dass die Parodie zwar die Grundlage der Esperpentos bildet, nicht aber das alleinige Grundmuster darstellt. Dazu ist eine Begriffsbestimmung der Parodie und des Esperpento nötig, bevor auf den Text direkt eingegangen werden kann.

1. Die Parodie

Im Metzler Literatur Lexikon definiert Helmut Weidhase die Parodie als ein „literarisches Werk, das in satir., krit. oder polem. Absicht ein vorhandenes, bei den Adressaten der P. als bekannt vorausgesetztes Werk unter Beibehaltung kennzeichnender Formmittel, aber mit gegenteiliger Intention nachahmt“13. Um einen Parodiebegriff zu entwickeln, der als Arbeitsgrundlage dienen kann, werde ich mich ausgehend von dieser Definition dem Begriff der Parodie annähern, mich aber auf die Darstellung der wichtigsten Merkmale und Mittel der Parodie, ihre Zielsetzung und die Bedeutung der Rezeption beschränken. Da zu zeigen sein wird, dass Valle-Inclán nicht eigentlich Parodien schreibt, sondern in seinen Werken parodistische Methoden einsetzt, erscheint mir zunächst die Frage wichtig, inwieweit die Parodie Schreibweise oder Gattung ist.

1.1 Gattung oder Schreibweise

14 Das Problem, ob die Parodie Schreibweise oder eine eigene Gattung ist, stellt sich schon deshalb, weil sie in den meisten Fällen der gleichen Gattung wie ihre Vorlage angehört, da sie sich laut Definition an deren Form orientiert. Somit kann die Parodie verschiedenen Gattungen angehören, es gibt Sonett-, Balladen-, Tragödienparodien etc. Dennoch realisiert die Parodie eine spezifische Schreibweise, die bei großer Häufung und einem hohen Grad an Aktualisierung die Parodie zu einer eigenen Gattung machen.15 Die parodistische Schreibweise findet sich auch in anderen Texten, die nicht der Gattung Parodie zugehören. Die späten Texte Valle-Incláns zum Beispiel zeichnen sich durch ein hohes Maß an parodistischen Merkmalen aus. Da sie jedoch „Esperpentos“ genannt werden, ist fraglich, ob sie reine Parodien sind. Im folgenden sollen die Merkmale und Techniken der Parodie dargestellt werden.

1.2 Merkmale der parodistischen Schreibweise

Eines der konstituierenden Merkmale der Parodie ist die bewußte Bezugnahme auf andere Texte. Dafür „gibt es ein sehr breites Spektrum von Möglichkeiten [...]: Die Bandbreite reicht von der rein reproduktiven Wiedergabe von Elementen des Prätextes über die variierende Imitation zur freien Anspielung“16. Zitat und Anspielung sind in der Parodie die wichtigsten Formen der Nachahmung, wenngleich sie meist modifiziert werden, da eine antithematische Behandlung des Prätextes Voraussetzung ist.17 Der Grad und die Art der Verfremdung hängt zum großen Teil von der Vorlage ab, und inwiefern sie Möglichkeiten zur Verfremdung bietet.18 Die Modifikationen und Analogien können auf verschiedenen Textebenen realisiert werden, beziehen sich aber hauptsächlich auf die semantische und syntaktische Ebene. Besonders werden die stilistischen Charakteristika des parodierten Textes herausgestellt und pointiert.

1.3 Zielsetzung

Mit der bewussten Inszenierung intertextueller Bezüge verfolgt die Parodie einen bestimmten Zweck, der nicht wertfrei ist. Da die Zielsetzung der Parodie immer die gleiche ist, muss sie wie die Merkmale der parodistischen Schreibweise zur Beschreibung herangezogen werden.

Schon in der oben genannten Definition spielt die „Intention“ eine große Rolle. Ich möchte hier jedoch lieber von ‚Zielsetzung‘ sprechen, da ‚Intention‘ nur den Autor in Betracht zieht, den Leser aber außer Acht läßt. ‚Zielsetzung‘ schließt auf der anderen Seite den Rezipienten mit ein. Die Parodie tritt ihrem Prätext oder dessen ganzer Gattung/Schreibweise in abschätziger Einstellung entgegen und will das Modell und meist auch dessen Ideologie bloß stellen und kritisieren19. Besondere Bedeutung erlangt in diesem Zusammenhang die Komik, die einerseits Mittel zum Zweck der erläuterten Absicht ist, gleichzeitig jedoch auch selbst zur Zielsetzung gehört. Karrer zählt Lachen, Satire, Kritik und Verlachen zu den Zielen20, und stellt dar, dass und wie sie jeweils kombiniert werden können.

Ich denke jedoch, dass er verschiedene Ebenen vermischt, da z.B. das Verlachen eine Unterform des Lachens ist und eine Satire durchaus Lachen hervorrufen kann, in diesem Fall also Ursache für das Gelächter ist.

In der Parodie wird die Komik hauptsächlich durch Inkongruenz und Verzerrung erzeugt, d.h.:

Komische Effekte entstehen auf der Basis einer potentiellen Ambiguität, und zwar dergestalt, daß der zunächst aufgebaute, wahrscheinlichere Kontext plötzlich durch den unwahrscheinlicheren abgelöst und somit eine neue Bedeutungsebene überraschend eingeführt wird, die eine Reinterpretation des zuvor geäußerten verlangt (Dissoziation)

- oder aber es werden zwei Dinge, die eigentlich gar nichts miteinander zu tun haben, zueinander in Beziehung gesetzt (Konsoziation).21

Die Inkongruenzen können auf verschiedenen Ebenen erzeugt werde, auf der Ebene der Sprache, der Personen und der Handlung.

1.4 Der Rezipient

So wie der parodierte Text einer gewissen „Markiertheit“22 nicht entbehren darf, die ihn zu einer geeigneten Vorlage macht, so muss die Parodie für den Leser markiert sein, damit er sie als solche erkennt. Der ideale Leser ist mit der/den Vorlage(n) vertraut und kann bei ausreichender Markierung im Text, z.B. Nennung des Titels, Zitat, Anspielung oder ähnlichem, die parodistische Absicht erkennen. Bei gut markierten Texten ist es nicht einmal nötig, die Vorlage(n) zu kennen, da die intertextuellen Bezüge und die Komik von selbst hervortreten. So kennt zum Beispiel kaum jemand mehr die Ritterromane, die im Don Quijote parodiert werden. Dennoch ist der parodistische Ansatz eindeutig.

2. Der Esperpento

Im folgenden sollen die wichtigsten Merkmale des Esperpento dargestellt werden. Bedeutender als bei der Parodie ist hier die Perspektive. Viele der Esperpentoverfahren entsprechen der Verzerrung, welche die Parodie vornimmt. Bevor jedoch inhaltliche und ästhetische Merkmale untersucht werden, möchte ich wie bei der Parodie die Frage nach der Gattung des Esperpento stellen.

2.1 Gattung oder Schreibweise

Das Konzept des Esperpento wurde von Valle-Inclán entwickelt und auch nur von ihm verwendet. Insofern ist die Frage, ob Gattung oder nicht, schwer zu beantworten. Am treffendsten ist sicher die Bezeichnung „Privatgattung [...] da Valles Modell ohne unmittelbare gattungsbildende Wirkung geblieben ist“23, und wenn man davon ausgeht, dass die Akkumulation einer bestimmten Schreibweise und die Definition des Autors selbst für die Gattungsbildung ausreichen. Die esperpentische Schreibweise ist auch in Werken Valle- Incláns zu beobachten, die keine Esperpentos sind. In Luces de Bohemia zum Beispiel wird schon ein Teil der Theorie des Esperpento gebildet und einige der Verfahren finden Verwendung, obwohl man noch nicht von einem Esperpento sprechen kann. Es bliebe zu untersuchen, inwieweit schon in früheren Werken Valle-Incláns, z.B. in den Sonatas, eine esperpentische Schreibweise verwendet wird. Zum anderen ist der Esperpento wie die Parodie gattungsübergreifend: Neben den drei Theaterstücken in Martes de Carnaval werden auch Tirano Banderas, El Ruedo Ib é rico und ein Teil des lyrischen Werks zu den Esperpentos gezählt.

2.2 Perspektive

Die Theorie des Esperpento wird im Allgemeinen an drei Äußerungen Valle-Incláns, bzw. seiner Figuren, festgemacht: Die 12. Szene von Luces de Bohemia, der Prolog von Los cuernos de don Friolera und ein Interview Valle-Incláns in der Zeitung ABC vom 7.12.1928 mit G. Martínez Sierra sind dafür ausschlaggebend.24 Im Interview stellt Valle-Inclán die Perspektive der Esperpentos in den Mittelpunkt. Er sagt: „...hay tres modos de ver el mundo, artística o estéticamente: de rodillas, en pie o levantado en el aire“25. Die erste Position schreibt er der Antike zu, die ihre Helden, Götter und Halbgötter verehrt. Auf gleicher Höhe mit seinen Protagonisten sei Shakespeare, der die Realität, also die Wahrheit eins zu eins darstellt. Die von Valle-Inclán angestrebte Position ist jedoch die des Demiurgen, der über seiner Schöpfung schwebt und sie mit Ironie betrachtet. Hier bezieht sich der Autor vor allem auf Goya aber auch auf Cervantes und Quevedo - die demiurgische Perspektive sei eine sehr spanische Art.26 Die Sichtweise des Weltschöpfers ermöglicht eine Vergrößerung der Distanz zwischen Geschehen und Erzähler bzw. Rezipienten ins Extreme und verdeutlicht dadurch die Lächerlichkeit der Personen und ihrer Handlungs- und Denkweisen. Denn die Perspektive ist die eines Marionettenspielers, der von oben sein Werk betrachtet und dessen Marionetten ein Spiel spielen, das nicht wirklich ernsthafte Probleme darstellt. Die Marionetten wirken in ihrem Leid absurd und komisch, da sie nicht fähig zu sein scheinen, zu leiden.

Es bleibt fraglich, ob auch der Rezipient der Esperpentos die Perspektive des Schaffenden einnimmt. Idealerweise soll auch er das Geschehen „von oben“ betrachten und sich nicht von den Gefühlen der Figuren mitreißen lassen. Die Ansätze zur Identifikation sind jedoch nicht völlig getilgt, obwohl sich Don Estrafalario in Los cuernos de don Friolera für eine „superación del dolor y de la risa como deben ser las conversaciónes de los muertos, al contarse historias de los vivos“ (Prolog, S.126) ausspricht. Seine favorisierte Perspektive ist die „de la otra ribera“ (S.126), er proklamiert also eine Distanz, welche die größtmögliche ist und die Nichtigkeit der Menschen offenbart. Durch die vermittelte Absurdität der Handlungen entsteht eine Komik, die ganz im Sinne der Inkongruenz erklärt werden kann: Der eigentliche Kontext wird aufgelöst und durch eine verschobene Perspektive ein neuer Bedeutungszusammenhang geschaffen, der durch die Abweichung vom Normalen komisch wirkt.

2.3 Verfahren des Esperpento

Um die Distanz zu schaffen, werden verschiedene Mittel eingesetzt, wobei die Personen, ihre Sprache und Handlungsweise vorrangige Angriffspunkte bieten. Zum einen wirkt das Äußere der Figuren abstoßend: Pachequín hinkt zum Beispiel, ist langbeinig und zieht Grimassen27. Doña Loreta hält sich selbst für dick: „peso mucho, Pachequín“ (2.Szene, S.140), und wird als „tarasca“ (z.B. 4.Szene, S.151) und „jamona, repollada y gachona“ (11.Szene, S.191) bezeichnet. Don Rovirosa hat ein Glasauge, das ihm immer wieder herausspringt, da er zu sehr grimassiert (8.Szene, S.169 ff.).

Die Sprache, welche die Figuren des Esperpento sprechen, trägt zu einer weiteren Distanzierung bei, da es sich um die Sprache der Straße, der Gauner handelt. Gegenseitige Beschimpfungen sind an der Tagesordnung, die Grenze zwischen diesen und Koseworten sind fließend:

PACHEQUÍN. - ¡Doña Loreta, es usted más rica que una ciruela! DOÑA LORETA. - Y usted un vivales. (2.Szene, S.138)

Die verwendete Sprache passt oft nicht zu der sozialen Stellung der Personen. Die vorgesetzten Leutnants von Don Friolera sind weniger eloquent als dieser und rutschen trotz einiger Versuche das Sprachniveau zu heben doch immer wieder in die sehr einfache Umgangssprache ab (vgl. 8.Szene, S.169 ff.).

Zum Anderen werden die Menschen entweder verdinglicht und als Haufen, Schatten, Marionetten und Hampelmänner oder animalisiert und (vor allem in den Regieanweisungen) als Hunde, Krähen, Eulen oder andere Tiere bezeichnet. Umgekehrt bekommen Dinge Züge von Lebewesen verliehen (z.B.: „Tras de la puerta, la capa y la gorra colgadas con la guitarra, fingen un bulto viviente.“, 5.Szene, S.152) und Tiere werden humanisiert: In Los Cuernos de don Friolera schreit der Sittich „¡Olé! ¡Viva tu madre!“ (2.Szene, S.137) und Merlín, das Schoßhündchen des Protagonisten gebärdet sich wie ein Arzt: „como si se consultase de sus males“ (10.Szene, S.181). Auf diese Weise wird die Realität verdreht und wie in einem Zerrspiegel deformiert wiedergegeben. Die Verzerrung ist Teil des esperpentischen Programms, das von Maximo Estrella in Luces de Bohemia formuliert wird: „Los héroes clásicos reflejados en los espejos cóncavos dan el Esperpento“ (12.Szene, S.162). Aber nicht nur die klassischen Helden („klassisch“ ist hier im Sinn von „echt“, „traditionell“ zu verstehen), sondern auch die ganze spanische Gesellschaft wird vor den Zerrspiegel gestellt: „El sentido trágico de la vida española sólo puede darse con una estética sistematicamente deformada“ (ebd.). Als eben diesen Spiegel bietet sich unter anderem die Parodie auf die traditionellen und zeitgenössischen Theaterstücke an, welche Träger der überkommenen Werte der spanischen Gesellschaft sind.

3. Die Parodie als Schreibweise im Esperpento Los Cuernos de don Friolera

Los Cuernos de don Friolera ist eines der drei Theaterstücke aus Martes de Carnaval. In den drei Teilen Prolog, Haupttext und Epilog wird jeweils auf andere Weise die Geschichte des Leutnants Don Friolera dargestellt, der von seiner Frau betrogen wurde und sie seiner Ehre wegen umbringen will. Im Prolog führt ein bulul ú, ein Puppenspieler, die Geschichte in grobschlächtiger Farce-Manier28 auf und wird gleichzeitig von Don Estrafalario, einem ehemaligen Mönch, und seinem Freund Don Manolito kommentiert. Don Estrafalario lobt das Spiel und misst ihm mehr Wert bei als der spanischen Theatertradition, weil sich der bulul ú nur amüsieren will „a costa de Don Friolera“ (Prolog, S.131) und nicht die Darstellung eines bestimmten Ehr- oder Rachegefühls zum Ziel hat. In der Posse des Puppenspielers ist Don Friolera nicht mit der treulosen Frau verheiratet. Es ist nicht ersichtlich, ob sie tatsächlich untreu war, und nach dem Mord an ihr steht die Puppe natürlich wieder auf, um sich zu verbeugen und Geld für das Spiel einzusammeln. Der Haupttext modifiziert und erweitert die Geschichte: Don Frioleras Frau Doña Loreta läßt sich von Pachequín, einem mit Don Friolera befreundeten Barbier, umwerben. Jedoch weiß sie, wozu sie als Ehefrau eines Leutnants und ihrer Tochter Manolita gegenüber verpflichtet ist und hält der Versuchung stand. Eine benachbarte Klatschbase, Doña Tadea, berichtet Don Friolera von den Werbungsversuchen Pachequíns, woraufhin er beschließt, seine Ehre mit dem Blut der Ehebrecher rein zu waschen. Der Versuch schlägt allerdings fehl und Don Friolera tötet aus Versehen seine Tochter.

Im Epilog schließlich trägt ein blinder Bänkelsänger die Romanze über Don Friolera vor, in der dieser, nachdem er die Tochter erschossen hat, die beiden Ehebrecher köpft und daraufhin zum Helden wird. Die Romanze wird wieder von Don Estrafalario und Don Manolito, die inzwischen wegen Verdacht, dass sie Anarchisten seien, im Gefängnis sitzen, kommentiert und als Schund bezeichnet, der keinem Vergleich mit dem Stück des bulul ú standhält.

Los Cuernos de don Friolera eignet sich besonders gut für die Analyse parodistischer Elemente des Esperpento, da die intertextuellen Bezüge zu verschiedenen Vorlagen sehr deutlich sind. Von zusätzlichem Interesse ist die intratextuelle Parodie, das heißt die zwischen Haupttext und Nebentexten, die gegenseitig aufeinander Bezug nehmen.

3.1 Vorlagen

Die literarischen Vorlagen von Los cuernos de don Friolera sind sehr vielfältiger Art und wurden von der Sekundärliteratur auf verschiedene Weise bewertet. Im Vordergrund der Betrachtung stehen meist die Ehrendramen Calderóns und deren Aktualisierung in den neoromantischen Dramen Echegarays und seiner Schüler. Nur wenige haben auch die Bezüge zu Shakespeares Dramen untersucht.

3.1.1 Prolog

Schon im Prolog kritisiert Don Estrafalario explizit das calderón’sche Theater, da es brutal und dogmatisch an seinem Ehrenkodex festhält. Dagegen setzt er die Brutalität Shakespeares, denn diese sei „magnífica, porque es ciega, con la grandeza de las fuerzas naturales.

Shakespeare es violento, pero no dogmático. La crueldad española [...] es fría y antipática. [...] nuestro teatro [...] tiene toda la antipatía de los códigos“ (S.131). Dennoch ist Don Estrafalario auch mit Shakespeare nicht zufrieden, da das Handeln seiner Figuren von ihren Gefühlen bestimmt wird (bei Jago ist die Rache, bei Othello die Eifersucht das Movens). Der bulul ú Fidel habe eine höhere Stufe erreicht, weil er sich in keinem Moment mit seinen Figuren identifiziert, ihnen von Natur aus überlegen und ihm „una dignidad demiúrgica“ (S.132) zu eigen ist. Es muss jedoch unterschieden werden zwischen der offen ausgesprochenen Kritik und der Parodie bzw. der parodistischen Schreibweise. Die Kritik übernimmt keine wichtigen Formmerkmale der Vorlage, sondern spricht den Spott explizit aus und ist nicht selbst komisch. Andererseits wird in dem Ausspruch der spöttische Bezug der trigedia29 des bulul ú auf die romantischen Ehrendramen deutlich gemacht und reflektiert. Denn „las otras regiones [aus denen auch Calderón stammt], literariamente no saben nada de estas burlas de cornudos“ (S.130).

Bei genauerer Betrachtung des Puppenspiels kann jedoch festgestellt werden, dass hier die Grenzen zwischen Travestie30 und Parodie fließend sind. Der Inhalt und das Beziehungsgeflecht werden beibehalten: Der gehörnte Ehemann wäscht seine Ehre mit dem Blut der untreuen Frau und dem des Liebhabers rein. Einziger Unterschied ist der, dass die Frau nicht Ehefrau und der Liebhaber nicht in erreichbarer Nähe ist, um auch getötet zu werden. Die Form, bei Calderón ein Drama in drei Akten und in strenger Versform verfasst, wird beim bulul ú zum Puppentheater, das gar nicht in Akte eingeteilt ist. Zwar trägt auch der Gaukler sein Stück in Reimform vor, im Text macht jedoch kein Zeilenumbruch die Verse deutlich, auch entbehrt die Posse der strengen Form, die bei Calderón noch in Romanzen, Zehnsilbern, Redondillas etc. ihren Höhepunkt fand.

Die Anspielung auf Othello „EL FANTOCHE reparte tajos y cuchilladas con la cimitarra de Otelo“ (S.129) kann in parodistischer Absicht gelesen werden, da die nachfolgenden Erklärungen Don Estrafalarios das Theater Shakespeares abwerten und der Spott gegen den Inhalt und die Perspektive gerichtet ist. Die Marionette wird nicht wie Shakespeares Held vom starken Gefühl der Eifersucht regiert, sondern tötet allein aus Tradition, welche die Behandlung von Ehebruch genau vorschreibt. Insofern dissoziiert die handelnde Person mit der ihr entgegengebrachten Erwartung an Gefühle etc.

3.1.2 Hauptteil

Der Hauptteil weist intertextuelle Bezüge auf, die eindeutig der Parodie zuzuordnen sind. Er behält die grundlegenden Eigenschaften des Dramas bei und ist allein schon wegen der Länge mit dem Drama Calderóns und seiner Nachfolger zu vergleichen. Einige formale Abweichungen gibt es dennoch: Der Hauptteil hat 12 Szenen, die nicht zu Akten gebündelt sind. Die Dialoge sind nicht in Reimform geschrieben und die Regieanweisungen haben poetischen Charakter. Sie ragen über den bloßen Zweck der üblichen Regieanweisung hinaus und interpretieren selbst das Geschehen.

Eine direkte Bezugnahme auf Calderón liegt in der Namengebung der cotillona Doña Tadea: Sie wird in zwei Regieanweisungen „Doña Tadea Calderón“ (2.Szene, S.140; 9.Szene, S.178) genannt. Sie ist es, welche die moralische Instanz bildet und über Ehe und Ehre ihrer Nachbarn wacht. Sie macht Don Friolera erstmals auf den angeblichen Ehebruch aufmerksam, indem sie ihm einen Stein mit einem anonymen Briefchen zuwirft. Es ist also die calderón’sche Ehrvorstellung, die den Stein ins Rollen bringt und zu den dramatischen Entwicklungen führt. Schon allein durch die Diskrepanz zwischen dem Äußeren der geschwätzigen Alten und der hehren Vorstellung von Ehre, die sie verkörpern soll, wird jedoch diese Ehrvorstellung ins Lächerliche gezogen: Doña Tadea ist alt und häßlich, lauert wie eine Eule an ihrem Fenster um ihre Umgebung zu belauern und setzt Gerüchte in die Welt, die einer fundierten Basis entbehren.

Die Hauptvorlage von Los cuernos de Don Friolera liegt jedoch in El gran galeoto von Echegaray. An dieses Drama ist auch der grobe Verlauf der Geschichte angelehnt. Pachequín bezieht sich direkt darauf: „¡El mundo me la da, pues yo la tomo, como dice el eminente Echegaray!“ (4.Szene, S.151). In Echegarays Werk ist die Gesellschaft die große Kupplerin, macht aus einer unschuldigen Freundschaft ein Liebesverhältnis und bringt durch Intrigen die vermeintlichen Ehebrecher erst zusammen. Der Vergleich, den Pachequín hier anstrebt ist insofern nicht ganz gültig, als der Barbier selber nicht völlig unschuldig ist und er Doña Loreta in seinem Haus aufnimmt, als sie von ihrem Gatten bedroht wird und noch bevor es zum expliziten Bruch kommt. In El gran galeoto geht dem ein Kampf zwischen dem Ehemann Don Julián und dem verleumdeten Ernesto voraus, aus dem Teodora als Witwe hervorgeht. Ernesto bietet ihr Schutz vor den folgenden Schmähungen der Gesellschaft, nicht aber vor ihrem Ehemann.31 Durch die esperpentische Verzerrung der Personen und die Verlagerung in ein niedriges Milieu wirken die großen Ambitionen, die sie zur Schau tragen, lächerlich. Die Ehrvorstellung passt nicht zu Personen, die sich wie Hampelmänner gebärden. Dadurch dass Pachequín nicht satisfaktionsfähig ist, kann die Ehre nicht in Form eines Duells reingewaschen werden, Don Friolera bleibt als Ausweg nur noch der Mord. Der Akt der Wiederherstellung der Ehre wird vollends dadurch ad absurdum geführt, dass er fehl schlägt und ihm nicht die vermeintlichen Ehebrecher sondern die kleine Tochter Manolita zum Opfer fällt. Insofern kann Los cuernos de don Friolera nicht nur als Parodie auf El gran galeoto sondern auf das Genre des Ehrendramas im Allgemeinen gelesen werden.

Wie im Prolog finden sich auch im Hauptteil Bezüge zu Shakespeare. Pere Ballart32 sieht in der 3.Szene, die auf dem Friedhof spielt, eine Anspielung auf Hamlet und zeigt andernorts Bezüge zu Othello auf: Don Frioleras Ruf nach Beweisen in der 6.Szene (S.156) entspricht der Forderung Othellos (III.3). Allerdings übersieht Ballart, dass Don Friolera Beweise für die Unschuld, während Othello von Jago Beweise für die Schuld seiner Frau fordert. Der Frage von Don Friolera „Pachequín, dudo si eres un cínico o el primer caballero de España“ (6.Szene, S.157) spiegelt den Ausruf Othellos wider: „Ich denk, mein Weib ist treu, und ist es nicht; ich denke, du [Jago] bist brav, und bist es nicht...“ (III, 3). Dennoch ist Don Friolera nicht zu den großen Gefühlen Othellos fähig, er ist „el fantoche de Otelo“ (11.Szene, S.192). Seine Handlung entbehrt der Tragik und ist die einer von aussen geleiteten Marionette. Auch die inneren Zweifel, die er gegen die Tradition erhebt führen nicht zu einer Auflehnung dagegen, sondern verlieren sich in der Unterwürfigkeit gegenüber seinen Vorgesetzten. Diese können von ihm die Einhaltung des Kodex fordern, obwohl sie selber sich in Sprache und Handlungsweise alles andere als ehrenhaft betragen. Während der Belagerung von Jolo und anderen Kolonien kauften sie sich Mädchen und gaben sich allen erdenklichen Freuden hin. Das Gespräch der achten Szene, das eigentlich ein Ehrengericht darstellen soll, hat gar nicht die Ehre Don Frioleras zum Hauptthema, die drei „Richter“ schweifen ab und erinnern sich an ihr Leben als Don Juan: „¡Aún de alegría me crispo al recordar su tesoro!“ (8.Szene, S.173), sagt der Teniente Cardona in Erinnerung an die Freudenmädchen auf Jolo. Das Zitat stammt zwar aus dem Don Juan Tenorio von Zorilla, jedoch aus einem völlig anderen Zusammenhang: „un par de octosílabos que dice Don Luis Mejía en su arrogante proclama del primer acto“33. Damit wird die Bildung der drei Herren zur Farce und sie machen sich auch auf dieser Ebene zum Gespött (des Publikums).

4.1.3 Epilog

Im Epilog findet wieder Echegaray direkte Erwähnung: Ein Hündchen hebt an einer Plakatwand sein Bein, an der schon etwas ramponierte Poster von Theateraufführungen von Echegaray (El Gran Galeoto, La Desequilibrada), Leopoldo Cano (La Pasionara) und Eugenio Sellés (El Nudo Gordiano) hängen. Nach der romance del ciego beschwert sich Don Estrafalario wieder über die traditionelle Literatur Spaniens, in deren Kontext die Romanze steht: „El romance es el género más general, más constante y más característico de la literatura española.“34 Die Romanze fand ihren Höhepunkt im siglo de oro, besonders im Theater, wurde aber als eine der wichtigsten poetischen Formen bis heute tradiert. Noch bei den Modernisten „war die Romanze als Form lyrischer Dichtung [...] sehr beliebt“.35 Die romance del ciego behält die Form der Romanze (Assonanz in jedem geraden Vers, 8-Silber) und den Inhalt des Ehrendramas bei. Dennoch wird der Ernst gebrochen durch einige überflüssige Anmerkungen wie „un oficial con dos cruzes pensionadas“ (S.197) oder „un revolver de diez balas“ (S.198). In der Romanze bringt Don Friolera doch noch das ehebrecherische Paar um und präsentiert ihre Köpfe dem diensthabenden General. Der folgende gesellschaftliche Aufstieg Don Frioleras wirkt in seiner Übertreibung komisch. Eigentlich sollte der Mord bestraft werden, aber Don Friolera bekommt im Gegenteil noch ein „cruz pensionada“ (S.199), zieht in den Krieg und wird von König und Königin geehrt. Die Freisprechung des Rächers seiner Ehre im Ehrendrama durch eine höhere Instanz, die meist der König ist, findet hier ihren Niederschlag. Gleichzeitig wird diese Tradition aber parodiert, da die Königin Don Friolera nichts als „una banda“ und die Infantin „un alfiler de corbata“ (S.200) gibt, und er in den Illustrierten abgebildet ist. Seine Behandlung entspricht nicht der Vorstellung des Ehrendramas, in dem er nach der Wiederherstellung der Ehre möglichst nochmals heiratet und sich der Öffentlichkeit entzieht. Im Gegenteil, er wird zu einer öffentlichen Person. Die spärlichen parodistischen Andeutungen genügen Don Estrafalario jedoch nicht. Er sagt vielmehr, der Don Quijote hätte nichts genutzt, die spanische Literatur sei auf dem Stand von vor der berühmten Parodie auf die Ritterromane. Damit stellt er den Nutzen der Parodie an sich in Frage und impliziert die Forderung nach einer neuen Gattung, deren Wirkung größer ist.

3.2 Intratextuelle Bezüge

Die Wiederholung des Stoffs in den drei Teilen des Dramas legt die Vermutung nahe, dass innerhalb des Werks intratextuelle Bezüge zu finden sind. Zum Einen ist die Verknüpfung der Personen durch die Namengebung auffällig. Da Valle-Inclán den Personen im Allgemeinen sehr sprechende Namen verleiht, ist eine Untersuchung derselben mit Sicherheit angebracht. So verbindet die Namen Don Pascual Astete (der eigentliche Name Don Frioleras), Juanito Pachequo (der Liebhaber) und Oberst Don Pancho Lamela (der nach Aussage Don Frioleras auch von seiner Frau die Hörner aufgesetzt bekommt) eine Alliteration, die keinem der anderen Namen zu eigen ist. Eine weitere Verbindung ist zwischen den Namen der kleinen Tochter Manolita und dem des Begleiters Don Estrafalarios, Don Manolito zu finden. Manolita versucht ihren Vater von seinen Problemen abzulenken, die sie noch nicht oder nur halb verstehen kann. Manolito ist so etwas wie der Lehrling Don Estrafalarios, im fehlt jedoch teilweise das Verständnis und er bleibt der Fragende.

Die wichtigste Verbindung der Namen findet sich in „Estrafalario“ selbst: Es ist ein Anagramm aus „friolera“ und „asta“. „Asta“, das Horn, findet sich schon im Nachnamen Don Frioleras: Don Pascual Astete. Damit verbindet Don Estrafalario den Titel und den „Helden“ der Geschichte in seinem Namen. Er ist es, der die Geschichte kommentiert, der sie einrahmt - er hat das erste und das letzte Wort des Stücks -, der den Spott verdeutlicht und sich daran ergötzt. Dadurch nimmt er eine metapoetische Position ein.

Die drei verschiedenen Ausführungen des Stoffes in Prolog, Hauptteil und Epilog nehmen aufeinander Bezug. Die Romanze ist noch die am traditionellsten gebliebene Darstellung. Sie wird von der Aufführung des bulul ú parodiert, welcher die Problematik des Gehörnten nicht ernst nimmt, sondern sie dem Spott preis gibt. Die hohe Verskunst der Romanze wird zu einfachen Reimen, die keinen Schemata entsprechen. Dem Erfolg Don Frioleras in der Romanze steht der Hohn in der trigedia gegenüber, der seinen Höhepunkt darin findet, dass die untreue mo ñ a hämisch wieder aufsteht und nur nach dem ihr zugeworfenen Geld greift.

Im Hauptteil treten die Figuren auf, welche die Grundlage für die Geschichte und damit für das Puppenspiel und die Romanze bilden. Es sind nun „richtige“ Menschen, die handeln und dies scheinbar aus freiem Willen und in Eigenregie. Dieser Schein wird jedoch bald aufgehoben, wenn die Personen in den Regieanweisungen als „fantoches“ oder „muñecas“ bezeichnet werden (4.Szene, S.146, S.148, 9.Szene, S.176, 11.Szene, S.192 etc.). Somit werden die Figuren selbst zu Marionetten, die in der Hand ihres Schöpfers ein Spiel spielen, um ihn zu belustigen (das wäre zumindest Don Estrafalarios „Wunsch“). Sie sind kaum zu unterscheiden von der Vogelscheuche, die auf einem Baum im Garten vom Wind geschaukelt wird (5.Szene, S.152). Die Bedeutung der Menschen nimmt ab, dafür treten Kleinigkeiten in den Fokus, die eigentlich völlig unwichtig wären. Sie dienen jedoch dazu den Figuren ihren Rang abzusprechen. „Los cuatro pelos de su [Don Frioleras] calva bailan un baile fatuo“ (1.Szene, S.136): Dieser Einschub hat nur zum Ziel, Don Friolera als Witzfigur hinzustellen. Er wird also doch wieder zum Spielzeug eines bulul ú, der die Figuren tanzen lässt. Dennoch ist sein Leid nicht ganz verdrängt und ein Mitgefühl mit Don Friolera ist nicht zu vermeiden. Der Prolog kann also in seiner trigedia Don Friolera um so tiefer fallenlassen, als er im eigentlichen Stück Angriffspunkte liefert. Wie Don Estrafalario es ausdrückt, scheint das Theater des bulul ú die Geschichte Don Frioleras „vom anderen Ufer“ aus betrachten. Als existiere eine Grenze zwischen Leben und Tod zwischen Hauptteil und Prolog. In der Tat sind die Puppen keine lebenden Personen, sie können in der Hand des Spielers die Tragik Don Frioleras ins Gegenteil verkehren.

Im Hauptteil fehlt, anders als in den anderen beiden Teilen, der Kommentator Don Estrafalario. In gewisser Weise übernehmen die Leutnants dessen Funktion, aber nur insofern als sie sich mit dem Betragen Don Frioleras beschäftigen. Sie sprechen sich jedoch selbst durch ihr immerwährendes Abschweifen und ihr Dasein als Traditionsträger die Kompetenz ab. Ihnen fehlt die Fähigkeit, das Handeln oder Denken auf eine Metaebene zu stellen. Auch sind sie Figuren des Stücks selbst und sind somit Teil der Verzerrung.

Die Romanze wirkt nach dem Hauptteil als Witz, weil sie die Person des Don Friolera zu ungeahnten Würden erhebt. Der „wahre“ Don Friolera, der nicht aus innerem Streben handelt, sondern durch gesellschaftliche Zwänge und Normen gesteuert wird, ist nun schon bekannt. Wenn er in der Romanze in den Krieg zieht und den Helden mimt passt das weder zur Marionette des bulul ú, noch zum Don Pascual Astete des Hauptteils. Eine besondere Steigerung der Komik liegt in der Tatsache, dass die Rechtfertigung des Mords in der Romanze vom König gewährt wird. Im Hauptteil hatte jedoch Oberst Don Pancho Lamela diese Aufgabe inne, der jedoch nach Aussage Don Frioleras selbst Opfer des Ehebruchs ist.

Die intratextuellen Beziehungen sind offensichtlich sehr vielfältiger Art. Meist ist die kritische oder spottende Absicht, die Komik hervorruft, deutlich erkennbar. Der Rezipient erkennt damit auch die parodistischen Züge, die der Text birgt.

5. Schluss

Das parodistische Verfahren ist also eines der Grundelemente des Esperpento Los cuernos de don Friolera. Es wäre jedoch falsch, die Parodie als Grundmuster für alle Esperpentos anzunehmen, da sie unterschiedliche Bezugspunkte haben und sich nicht in dem Maße wie Los cuernos de don Friolera der parodistischen Schreibweise bedienen. Auch ist die Parodie nicht die einzig realisierte Schreibweise, da Anklänge an Farce, Groteske, Travestie, Satire etc. zu finden sind. Durch die Vermischung der verschiedenen Schreibweisen und deren Verzerrung wird der Esperpento zum Esperpento.

Dennoch macht gerade in Los cuernos de don Friolera die parodistische Schreibweise den wichtigsten Teil des Esperpento aus, da sich die Bezüge auf andere Werke, die zum Ziel haben, die Prätexte zu verspotten und kritisieren, häufen. Die Verfahren der Verzerrung, die der Esperpento anwendet, richten sich in weiten Teilen gegen literarische Vorlagen.

Ein wichtiger Unterschied zwischen Esperpento und Parodie bleibt jedoch der Bezug zur Wirklichkeit, der in der Parodie nur über den Umweg der Literatur festgemacht werden kann. Im Esperpento findet sich jedoch neben den intertextuellen parodistischen Ansätzen auch direkte Kritik an der spanischen Realität. Wenn z.B. Don Estrafalario die spanische Literatur und das Theater kritisiert, erkannte der zeitgenössische Leser eine Kritik an der eigenen Rezeption ähnlicher Werke. Die 8.Szene nimmt direkt Bezug auf die Politik der Kolonialmacht Spanien und die Art, die Macht in den Kolonien zu festigen. Die Kritik wendet sich gegen das Verhalten der dort stationierten Leutnants, nicht aber gegen eine literarische Vorlage. Ebenso soll die Nichtigkeit des Menschen an sich gezeigt werden. Er ist das hauptsächliche Opfer der Verzerrung, sei er nun eine Figur aus einem anderen Werk oder von Valle-Inclán selbst geschaffen.

Kritik und Spott sollen aber, ginge es nach Don Estrafalario, im besten Sinne gar keine Reaktion hervorrufen. Der Teufel, der seinen Spaß an dem armen Sünder hat, lacht nicht aus Verachtung, sondern aus reiner Belustigung (Prolog, S.125). Dagegen lacht der Puppenspieler nicht: Er hat die Würde des Demiurgen (S.132). Der Teufel ist also nicht der Schaffende, sondern bleibt der verneinende Gegenpart. Die Frage bleibt, ob der Rezipient lachen kann oder nicht, und in wie weit dies ein Erkennungsmerkmal des Esperpento wäre.

Bibliographie Textausgaben:

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Valle-Inclán, Ramón del: Luces de Bohemia. Madrid 1996

Valle-Inclán, Ramón del: Entrevistas, Conferencias y cartas. Hrsg.:Joaquín y Javier del

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Sekundärliteratur:

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[...]


1 Valle-Inclán (1995), S.395.

2 Risco (1966); Zamora Vicente (1974).

3 Unkritisch ist die Gegeüberstellung deshalb, weil auch hier nicht unterschieden wird zwischen Parodie, Satire oder relativ intentionsloser Anspielung. Außerdem stellt sich in diesem Fall die Frage, ob „Luces de Bohemia“ ein Esperpento ist oder nicht.

4 Zatlin Boring (1973).

5 González-del-Valle: La Parodia del Honor castizo en „ La generala “ . Un caso de prolepsis ideol ó gica (1986); Rodriguez: Un posible modela par ó dico de Divinas Palabras (1985/86).

6 Floeck (1987).

7 Floeck (1987), S.283.

8 Leider wird die Vorlage von Shakespeares „Othello“ und „Hamlet“ nicht als möglicher Prätext für eine parodistische Bezugnahme diskutiert.

9 Floeck (1987), S.285.

10 Berg (1988), S.325.

11 Ballart (1994), bes. S.500 ff.

12 Ríos-Font (1993). Die Schwäche dieses Beitrags liegt darin, dass er vernachlässigt, dass die Parodie wesentliche Formelemente ihrer Vorlage übernimmt. Daher kann die Parodie, anders als Rios-Font es darstellt, z.B. „both melodrama and melodramatic parody“ (S.559) sein.

13 Metzler Literatur Lexikon, Stuttgart (1990), S.342.

14 Gattung wird hier im historischen Sinne verstanden. Vgl. Müller (1994): „Im deutschsprachigen Raum hat sich der Begriff „Schreibweise“ (engl. mode oder technique) für die Bezeichnung überzeitlicher Konstanten (das Ironische, das Narrative etc.) und der Ausdruck ‚‘Gattung’ (engl. genre, kind o.ä.) für deren konkrete Realisationen in literarhistorischen Formen durchgesetzt.“, S.32.

15 Ohne in die Systemtheorie einzusteigen, denke ich, dass dennoch das folgende Zitat diesen Gedankengang unterstützt: „die Gattung ist ein System und gleichzeitig die Aktualisierung abstrakterer Systeme wie der überhistorischen Schreibweise oder der Sprache“, Pfister in: Broich /Pfister (1985), S.19.

16 Müller (1994), S.219.

17 vgl. Verweyen/Wittig (1979), S.134 ff.

18 vgl. Müller (1994), zur Markiertheit des Parodierten im 3. Kapitel (S.51-144) und S.220: „Um die parodiespezifische Verfremdung adäquat beschreiben zu können, muß man untersuchen, auf welchen Ebenen des parodistischen Textes welche Formen intertextueller Relationen zum Parodierten vorzufinden sind und welche Funktionen sie haben. Hier gelangt die Parodievorlage als ‚Steinbruch‘ für intertextuelle Bezugnahmen ins Blickfeld.“

19 Hier überschneidet sich die Parodie mit der Satire, da die Ideologie, Moral oder andere Werte auch in der außerliterarischen Wirklichkeit existieren. Die Bezugnahme läuft jedoch immer über den Umweg der literarischen Vorlage(n).

20 vgl. Karrer (1977), S.34 ff.

21 Müller (1994), S.181.

22 vgl. Müller (1994), S.67ff.; Warum wird ein Text parodiert und ein anderer nicht? Wesentlich ist die „Markiertheit“ des Textes. Diese lässt sich auf drei Ebenen feststellen: der paradigmatischen, der semantischen und der syntaktischen. Die letzten beiden spielen die wichtigste Rolle bei der Parodie. Der parodierte Text muss meistens bekannt sein und bestimmte Eigentümlichkeiten vorweisen, um parodierbar zu sein. Z.B. eignen sich Texte mit einer äußerst strengen Form und „tiefgründigem“ Gehalt besonders gut, da die Form (wie bei Gedichten) übernommen werden und der Inhalt banalisiert werden kann.

23 Floeck (1987), S.298, Anm.3. Anfang des 20. Jahrhunderts war die Bildung von Privatgattungen ein häufiger auftretendes Phänomen, man denke nur an Unamunos „ nivolas “ oder Gómez de la Sernas „ greguer í as “.

24 Da diese „Definitionen“ und Beschreibungen des Esperpento vom Autor selbst und in seiner Fiktion gegeben werden, müssen sie mit der gebotenen Vorsicht behandelt werden. Besonders, wenn sie selbst schon innerhalb eines Ersperpentos vorkommen, eventuell der esperpentischen Verzerrung unterliegen und die sprechende Person betrunken ist (Max Estrella und Don Estrafalario in den entsprechenden Szenen). Jedoch werden die drei Zitate im allgemeinen als definierend anerkannt und die Sekundärliteratur nimmt sie als Ausgangspunkt. Auch ich werde im Folgenden auf sie Bezug nehmen.

25 Zitiert nach:Valle-Inclán, Entrevistas, Conferencias y Cartas (1995), S.394.

26 Inwieweit Valle-Inclán mit seinen Verweisen auf die anderen Schriftsteller Recht hat, sei hier ausser Acht gelassen.

27 vgl. Cuernos, 2.Szene, 11.Szene, und 2.Szene, S.137: „PACHEQUÌN canta con los ojos en blanco“.

28 Zur Farce bei Valle-Inclán siehe V. Roloff (1982).

29 Der bulul ú nennt seine Posse „ trigedia “. Inwieweit dies eine Anspielung auf die „ nivola “ Unamunos ist soll hier ausser Acht gelassen werden. Es ist denkbar, dass der Ausdruck trigedia auf die Dreiteilung des Stücks deutet.

30 Die Travestie ist eine „komisch-satir. literar. Gattung, die einen bekannten Stoff beibehält, aber seine Stillage oft grob verändert, eine Form der aktualisierten u. häufig nicht nur traditions-, sondern gleichzeitig gesellschaftskrit. Auseinandersetzung“.Günther Mahal, Metzler Literatur Lexikon (1990), S.472.

31 Die Gesellschaft als „große Kupplerin“ wird in Los cuernos de don Friolera von Doña Taldea vertreten, da sie es ist, welche die Verbindung von Pachequín und Loreta erst ermöglicht.

32 Ballart (1994), S.502.

33 Ballart (1994), S.502; Das Zitat stammt aus dem ersten Akt, 12.Szene, nicht wie die Anmerkung 108 im Don Friolera (S.173) vermuten lässt aus der 13.Szene.

34 M. de Riquer, Resumen de versificación española, Barcelona 1950, S.24, zitiert nach: Baehr, Spanische Verslehre (1962), S.141.

35 Baehr (1962), S.151.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Parodie in den Esperpentos von Valle-Inclán
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Veranstaltung
Valle-Inclán
Note
1
Autor
Jahr
2002
Seiten
20
Katalognummer
V106336
ISBN (eBook)
9783640046157
Dateigröße
489 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Parodie, Esperpentos, Valle-Inclán
Arbeit zitieren
Bettina Lang (Autor:in), 2002, Parodie in den Esperpentos von Valle-Inclán, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106336

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