Sprache und Körper: Phraseogesten und Kinegramme


Seminararbeit, 2002

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Körper und Sprache: Phraseogesten
2.1 Definition
2.2 Kopplung von Körper und Sprache
2.3 Semantische Struktur: Die Rezipientenperspektive
2.4 Einsatz von Phraseogesten: Die Produzentenperspektive
2.4.1 Phraseogesten und starke Emotionen
2.4.2 Diaphasische und diastratische Einordnung
2.5 Zusammenfassung

3. Sprache und Körper: Kinegramme
3.1 Definition
3.2 Semantische Strukturen
3.2.1 Einschichtiger Aufbau
3.2.2 Zweischichtiger Aufbau
3.2.3 Formale Eigenschaften
3.3 Verwendung von Kinegrammen
3.4 Zusammenfassung

4. Schluss

Bibliographie

1. Einleitung

Besonders in den Süden reisende Nordeuropäer stellen beim Gespräch mit den dor- tigen Einheimischen immer wieder aufs Neue fest, dass nicht nur gesprochene Sprachen unterschiedlich sind, sondern dass auch bei der redebegleitenden Gestik Unterschiede auftreten. Gerade im Kontrast mit anderen Kulturen werden sich die Sprecher einem Aspekt der Kommunikation bewusst, der buchstäblich „nebenher“ läuft: Die Körper- Sprache. Zu ihr gehören die Sprache der Arme und Hände (Gestik), die des Gesichts (Mimik), die des Oberkörpers (Gebärden) und des gesamten Körpers (Proxemik, Raumverhalten). Seit langer Zeit haben verschiedene Wissenschaften ihr Augenmerk auf die nonverbale Kommunikation gerichtet, angefangen von der antiken Rhetorik, die den Körper zur Unterstützung der Überzeugungskraft einzusetzen lehrte, bis hin zu den modernen Kommunikationswissenschaften, die den Körper als wichtiges Mittel zur Regulierung sozialer Verhältnisse entdeckt haben (vgl. Hübler 2001: 11). Nach der iso- lierten Erforschung der verbalen und der nonverbalen Kommunikation ist natürlich in einem nächsten Schritt die Analyse des Zusammenspiels von Sprache und Körper interessant. In der vorliegenden Arbeit werden zwei Komplexe aus diesem großen Be- reich untersucht; Es handelt sich dabei einerseits um die Kopplung von Körper und Sprache in den sogenannten Phraseogesten, andererseits um die Versprachlichung non- verbalen Verhaltens in Kinegrammen.

In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass sich die Forschung weitaus mehr und ausführlicher mit Kinegrammen als mit Phraseogestik befasst, was wohl vor Allem mit dem größeren Bestand an Kinegrammen ein der Sprache zurückzuführen ist. Da aber die Arbeit an ein Referat zum Thema „Phraseogesten“ anschließt, soll dieses Gebiet etwas stärker beleuchtet werden.

2. Körper und Sprache: Phraseogesten

2.1 Definition

Bei „Phraseogesten“ handelt es sich um eine besondere Kombination aus verbalem und nonverbalem Verhalten; Für sie charakteristisch ist die synchrone Realisierung ei- ner sprachlichen Routine und einer Geste oder Gebärde. Zur Gattung der „sprachlichen Routine“ zählen nach Baur/Baur/Chlosta (1998: 2) in diesem Zusammenhang jegliche festgefügte Formulierungen wie Grußformeln, Sprichwörter oder Phraseologismen. Ent- scheidend ist nur, dass eine gleichzeitige Ausführung dieser Routine mit einer Geste konventionalisiert ist. Auch der Grad der Stärke der Kopplung, d.h. wie obligatorisch die gemeinsame Realisierung der Komponenten ist, erweist sich als unterschiedlich: Die Skala reicht von absoluter Notwendigkeit beider Bestandteile bis zur problemlosen Ver- ständlichkeit der Phraseogeste bei der Realisierung nur eines Bestandteils.

Aus der Konventionalität der Phraseogesten ergibt sich auch deren Kulturspezifik; Diese ist besonders leicht am Beispiel der in unterschiedlichen Kulturen gebräuchlichen Grußformeln zu erkennen. Man muss nicht lange überlegen, um eine Vielzahl unterschiedlicher Grußrituale zu isolieren. In vielen Teilen der Erde hat sich das gemeinsame Händeschütteln durchgesetzt, das von sprach- und kulturabhängigen sprachlichen Routinen begleitet wird. Häufig existieren auch mehrere Begrüßungsvarianten nebeneinander innerhalb ein und der selben Kultur, dort ist der Gebrauch dann abhängig vom sozialen und situativen Kontext. Die Funktion und der Gebrauch von Phraseogesten können sich somit auch zwischen Subkulturen unterscheiden.

Es ist wahrscheinlich, dass der insgesamt doch recht beschränkte Anteil der echten Phraseogesten an der alltäglichen kommunikativen Aktivität dazu geführt hat, dass diese besondere Form der Kopplung verbalen und nonverbalen Verhaltens in der Sprachwissenschaft wenig Beachtung erfahren hat. In der Forschung wird vorwiegend die eine oder die andere Komponente fokussiert, das Zusammenwirken aber außer Acht gelassen (vgl. ebd.: 3f.). Für die vorliegende Untersuchung sind Phraseogesten beson- ders interessant, da sie sich als eine Art Schnittstelle zwischen „reinem“ nonverbalem und „reinem“ verbalem Verhalten, zwischen Emblem und Phraseologismus präsentie- ren.

2.2 Kopplung von Körper und Sprache

Die Phreseogeste bildet - nach dem ausschließlich nonverbalen Verhalten in Geste und Gebärde - die erste Stufe der Versprachlichung von Körper. Dabei wird deutlich, dass auf Grund der laut Definition großen Bandbreite von Varianten für die verbale Komponente auch starke Unterschiede bei der Motivation ihres Bezuges auf die körper- liche Komponente auftreten; Beispielsweise lässt sich bei der Phraseogeste so einen Bart haben, ausgeführt mit der Geste <Andeuten der Länge des Bartes>, eine weitaus stärkere Verschränkung erkennen als beim Grußritual Guten Tag mit der Geste <Hände- schütteln>. Zur Erklärung dieser Differenz bietet sich beim zweiten Beispiel eine kulturgeschichtliche Analyse an: Die Geste des Händeschüttelns entstand aus dem Ri- tus, mündlich geschlossene Verträge durch Händedruck zu bekräftigen (vgl. Kresse/Feldmann 1999: 254f.). Erst die Geste verlieh dem Vertrag seine Rechtsgültig- keit. Außerdem konnten sich beide Personen durch gemeinsames Schütteln der rechten, stärkeren Hand vergewissern, dass der andere in der Phase körperlicher Nähe keinen Angriff mit einer Hieb- oder Stichwaffe starten kann.

Die Geste ergänzte aller Wahrscheinlichkeit nach im Laufe der Zeit die bereits existierenden Grußformeln und ersetzte möglicherweise auch andere Gesten, die aus oben genanntem Grund Nachteile boten. Der Bezug zwischen verbalem und nonverbalem Verhalten ist hier wenig bis gar nicht gegeben.

Anders verhält es sich mit dem ersten Beispiel, so einen Bart haben. Bereits auf den ersten Blick lässt sich ein starker Bezug erkennen: Der Sprecher deutet mit der flachen Hand unter dem Kinn die Länge des imaginären Bartes an, von dem er spricht. Dabei präzisiert die Geste das deiktische so des Phraseologismus. Des Weiteren gibt auch der Ort der Geste dem Hörer einen Anhaltspunkt: der Sprecher gibt die Länge nicht abstrakt an, z.B. mit beiden Händen vor den Oberkörper gehalten, sondern direkt dort, wo der Bart wächst, und zwar am Unterkiefer (vgl. ebd.: 6ff.). Deixis als Kontaktstelle zwi- schen Geste und Phraseologismus ist bei Phraseogesten ein häufiges Phänomen; Wei- tere Beispiele hierfür sind so einen Kopf haben mit gestischer Andeutung der Größe des Kopfes und, aus dem französischen Sprachraum, en avoir jusque l à, wobei l à durch Halten der flachen Hand in Stirnhöhe konkretisiert wird (vgl. ebd.: 14).

2.3 Semantische Struktur: Die Rezipientenperspektive

Man kann davon ausgehen, dass seit längerer Zeit existierende Phraseogesten ihre semantische Struktur mehrere Male geändert haben. Um nicht kulturhistorische Speku- lationen anstellen zu müssen, soll an dieser Stelle vorwiegend die synchrone Struktur von ausgewählten Phraseogesten behandelt werden; Außerdem kann man sich nur so auf das eigene Sprachgefühl als Instrument zur semantischen Entschlüsselung verlassen.

Phraseogesten sind konventionalisierte Kommunikationsmittel. Für sie gilt, wie auch für idiomatische Wendungen, dass sie nicht aus den einzelnen Bedeutungen ihrer Bausteine erschlossen werden können: Beispielsweise bedeutet das französische mon œ uil, kombiniert mit dem Herunterziehen des Augenlids, soviel wie „ich glaube dir nicht“ (vgl. ebd.: 28f.). Einer Person, die die Bedeutung von mon œ uil nicht kennt, wird es ohne Rückgriff auf den Kontext gewiss nicht gelingen, diese herauszuarbeiten. Doch wie auch bei Phraseologismen finden sich bei Phraseogesten Anspielungen auf „wörtlich Mitgemeintes“ (vgl. Gréciano 1988: 49f.). Diese Zusammenhänge eröffnen sich allerdings erst beim Wissen um die Bedeutung.

Die semantische Strukturierung der Phraseogeste ist insofern besonders interessant, als die Bedeutungssysteme der verbalen und der nonverbalen Komponente ineinander greifen können. Die Verschränkung soll im Folgenden an einem Beispiel verdeutlicht werden. Als Untersuchungsobjekt wird die Phraseogeste ras le bol aus dem Französi- schen gewählt, da sie zwar in Deutschland nicht bekannt ist, dort allerdings eine ähnli- che Entsprechung hat: Mir steht ’ s bis hier. Verwendung und Bedeutung sind mit „ras le bol“ nahezu identisch. Zu ras le bol existiert eine Vielzahl von phraseologischen Alter- nativen: En avoir par-dessus la t ê te, en avoir jusque l à usw. Durch die Phraseogeste werden Ungeduld und Ärger ausgedrückt (vgl. Baur/Baur/Chlosta 1998: 12ff.).

Der Sprecher führt bei ras le bol die flache Hand von der Stirn weg nach oben am Kopf vorbei; die Bewegung verläuft zeitgleich zur artikulatorisch hervorgehobenen Aussprache von ras (vgl. ebd.: 12). Im Bewegungsverlauf bildet die Geste ikonisch den Anstieg eines Flüssigkeitspegels nach, der gleichsam über den Kopf hinausgeht. Der imaginäre Wasserspiegel seinerseits steht metaphorisch für die lästige Angelegenheit, auf die sich der Sprecher bezieht, die ihm „zu viel“ geworden ist. Er ertrinkt gewissermaßen darin. Die Geste ist also doppelt kodiert: Im ersten Schritt illustriert sie einen physikalischen Vorgang - steigendes Wasser - der für Lebewesen meistens bedrohlich ist, wenn sie sich darin befinden. Der zweite Schritt besteht in der Metaphorisierung dieser Situation; Die Ähnlichkeitsbeziehung zwischen dem imaginären Ertrinken und dem realen Ärger der Person besteht in der hier psychischen und dort körperlichen Überbelastung und in der Konsequenz, die der Mensch in beiden Fällen zieht: er wird versuchen, aus der Situation herauszukommen, zu flüchten.1

Auch wenn die Phraseogeste ras le bol auf der verbalen Seite verschiedene Phraseologismen zulässt (s.o.), die hier jedoch nicht alle analysiert werden können, wird im Folgenden lediglich die Struktur der Variante en avoir jusque là nachvollzogen, auch aus dem Grund der oben erwähnten Parallele zum Deutschen.

Der Ausdruck enthält zwei deiktische Elemente, abgesehen von dem Personalpro- nomen, das sich gewöhnlich auf den Sprecher bezieht (denkbar wäre auch, dass es auf andere Personen als den Sprecher verweist; Ob dann jedoch der Einsatz der Phraseo- geste legitim ist, müsste empirisch nachgewiesen werden). Die erste Deixis findet sich im Adverbialpronomen en, das sich laut „Petit Robert“ (2000) im Allgemeinen auf eine Sache, eine Äußerung oder auch auf eine Person beziehen kann. Was en genau reprä- sentiert, ist nicht offensichtlich; Eine Möglichkeit ist, dass seine deiktische Funktion innerhalb des Phraseologismus aufgelöst wurde und es sich somit gar nicht auf ein Ele- ment aus der Situation bezieht, in der die Phraseogeste verwendet wird. Das Sprachge- fühl sagt aber zumindest beim deutschen mir steht ’ s bis hier, dass die zeigende Funktion nicht gänzlich verschwunden ist. Mit gewisser Wahrscheinlichkeit existiert sie ebenfalls bei der französischen Entsprechung. Somit wird sich en dem Anschein nach auf den Grund für die Verärgerung beziehen.

Deutlicher verhält es sich mit der Lokaldeixis , die durch die Geste präzisiert wird. Auf Grund des deiktischen Verweises in der verbalen Komponente ist die Ausführung der Geste obligatorisch, verbales und nonverbales Verhalten sind komplementär (vgl. Baur/Baur/Chlosta 1998: 14).

Für die Verschränkung der beiden Ebenen ist die Deixis verantwortlich: Sie rechtfertigt einerseits die Geste, andererseits stellt sie den Bezug zu dem evozierten Bild her. Mit Referenz auf das Bild lautet der Phraseologismus nach Aufschlüsselung der Deixis „[j’] ai [de l’eau] jusqu’ [au dessus de la tête]“. Im nächsten Schritt wird das Bild auf die reale Situation übertragen; So steht [de l’eau] für das Ärgernis, [la tête] kann etwa als Symbol für die Toleranzschwelle des Sprechers verstanden werden, die über- schritten wird.

2.4 Einsatz von Phraseogesten: Die Produzentenperspektive

2.4.1 Phraseogesten und starke Emotionen

Beim Blick auf den Bestand an Phraseogesten, den vor Allem Baur/Baur et al. (vgl. Chlosta/Baur/Baur 1997; Baur/Baur/Chlosta 1998; Baur/Baur 2000) für das Französi- sche gesammelt haben, lässt eine deutliche Gemeinsamkeit - auch sprachenübergreifend - erkennen: Sie dienen dazu, Gefühlen Ausdruck zu verleihen. In den von Baur usw. analysierten Phraseogesten kommen u.a. Langeweile, Ungeduld, Angst und Ablehnung zum Ausdruck. Dabei lässt sich hier generell im Vergleich zum rein verbalen Ausdruck von Gefühlen eine emphatische Konnotation feststellen (z.B. j ’ ai peur vs. j ’ ai les boules). Emphase kann mit mehreren Mitteln erzielt werden, im Falle der Phraseogesten sind sie bei der gestischen Komponente besonders auffällig.

Nach der Klassifikation von Ekman/Friesen kann nonverbales Verhalten in die Klassen Embleme, Illustratoren, Regulatoren, Emotionsausdrücke und Adaptatoren ein- geordnet werden (nach Hübler 2001: 22ff.); Bei den meisten Phraseogesten kommen gleich zwei Klassen zum Tragen. Auf der einen Seite die illustrierende gestische Kom- ponente, teils in ergänzender, teils in verstärkender Funktion. Auf der anderen Seite findet sich allerdings auch Mimik zur zusätzlichen Verstärkung des Ausdrucks. Zwar ist die mimische Komponente weitaus weniger normiert als die gestische, dennoch existie- ren anscheinend relativ feste usuelle Fügungen, beispielsweise bei les boules, wo die Gestik - die geballten Fäuste unter dem Kiefer - „in der Regel durch Mimik unter- stützt“ wird (Baur/Baur/Chlosta 1998: 19). Die Mimik ist ihrerseits der typische Kanal für Emotionsausdrücke (vgl. Hübler 2001: 24). In der Phraseogeste ist sie konventionell kombiniert mit einer expressiven Gestik und eventuellen intonatorischen Modifikationen auf der verbalen Ebene. Jeder der drei Bestandteile kann nun einzeln abgeschwächt oder verstärkt; Im Fall des oben genannten Beispiels ras le bol wären auf der gestischen Ebene ein rasches, ruckartiges Vorbeiziehen der Hand denkbar, auf verbaler Ebene die besonders emphatische Betonung des Lexems ras und eine Erhöhung der Lautstärke. Die ohnehin schon zur Verstärkung eingesetzte Mimik - weit geöffnete Augen und verzerrter Mund - kann ebenfalls abgestuft werden.

Der Gefühlsausdruck, der auf dem visuellen und auditiven Weg transportiert wird, findet seine Entsprechung auf der Bedeutungsebene. Der Umweg über die Metapher erlaubt dem Sprecher, sein Gefühl nicht gänzlich explizit zu machen und überlässt so die Vervollständigung dem Hörer. Dabei greift dieser auf seine eigenen Gefühlserfahrungen zurück; Das Ergebnis ist eine intensivere, sozusagen subjektivere Vorstellung von der Emotion des Sprechers. Gemeinsam mit dem Eindruck, den das nonverbale Verhalten übermittelt, induziert der Sprecher ein intensives Bild seiner Emotion. Der Empfänger hört und sieht dem Sprecher die Erregung an und „versteht“ sie, d.h. er vollzieht sie anhand eigener Gefühlserlebnisse nach.

2.4.2 Diaphasische und diastratische Einordnung

Phraseogesten treten primär in oraler Kommunikation auf, bedingt durch das Feh- len ökonomischer Mittel zur Darstellung von Körpereinsatz in Printmedien. Es existie- ren allerdings lexikalisierte Ableger einzelner Phraseogesten, wie Baur/Baur/Chlosta am Beispiel von le ras le bol gezeigt haben (1998: 15). Diese lexikalisierte Variante ist, wie ihre Verwendung z.B. zur Unmutsbekundung auf Demonstrationsplakaten nahe legt, einem niederen sprachlichen Register zuzuordnen. Es ist unwahrscheinlich, dass die orale Form in einem signifikant höheren Register Anwendung findet. Hierfür gibt es weitere Hinweise: Die diachrone Betrachtung von ras le bol fördert die alte argotische Bedeutung von bol zu Tage, der „Arsch“. Den heutigen Sprachbenutzern ist die fäkale Bedeutung offensichtlich nicht mehr geläufig (vgl. ebd.:13ff.); Laut „Petit Robert“ (2000) existiert sogar ein Phraseologismus, bei dem die Fäkalkomponente aktualisiert worden ist: ras le cul. Offensichtlich besteht Bedarf an einer Möglichkeit, den Phrase- ologismus zu verstärken, was durch Verwendung von Vulgärwörtern erzielt wird.

Bei einer anderen Phraseogeste stellten Baur/Baur/Chlosta geschlechtsspezifisches Distanzverhalten fest: In avoir les boules ist der obszöne Verweis auf die anschwellenden Hoden noch lebendig; Die in der Studie befragten französischen Stu- dentinnen zeigten sich bei der Ausführung der Geste verlegen. (vgl. ebd. 19ff.). Das Vermeiden einer allzu derben Ausdrucksweise durch weibliche Sprecher könnte der Abgrenzung vom Sprachgebrauch sozial niederer Schichten dienen (und damit von den Schichten selbst); Dabei ist natürlich zu beachten, dass der Effekt in der Studie an Per- sonen beobachtet wurde, die aus der sozialen Mittel- bis Oberschicht stammen dürften. Avoir les boules ist also folglich eine Phraseogeste, die in familiären Gesprächssituatio- nen tendenziell der unteren Gesellschaftsschichten zum Einsatz kommt.

Ohne Zweifel sind Phraseogesten, in denen obszöne Anspielungen oder Fäkalwort- schatz vorkommen, diastratisch im unteren Bereich anzusiedeln und nur in der Nähe- sprache anzutreffen; Obszönitäten finden sich bereits in den von Baur/Baur/Chlosta erhobenen Daten, die fünf relativ bekannte Phraseogesten umfassen, bei ras le bol, avoir les boules und bei la p é toche. Letztere wird von der gestischen Imitation des „Zusammenziehen[s] des Anus … bei Angstemotion“ (1998: 24) begleitet.

Durch Abänderungen der Phraseologismen hat der Sprecher jedoch die Möglichkeit, auch noch innerhalb dieser Grenzen seinen Ausdruck zu variieren, wie man am Beispiel ras le bol/le cul sehen kann.

Was des Weiteren eine „Verbannung“ der Phraseogesten aus dem Sprachgebrauch in offiziellen Situationen erklären könnte, ist die sozial negative Bewertung ausladender Gestik (vgl. Müller 1998: 25ff.). Diese Abwertung hat ihre Wurzeln bereits in der anti- ken Rhetorik, in der maßvolle und kontrollierte Körperbewegungen als „Kennzeichen des geschulten Redners“ (ebd.: 28) gelehrt wurden. In den höfischen Gesellschaften der Renaissance und des 17. und 18. Jahrhunderts waren Selbstbeherrschung und eine „mittlere, temperierte Gefühlslinie“ (Hübler 2001: 175) und damit auch die gemäßigte Gestik ein wichtiges Mittel zur Distinktion der oberen Sozialschichten von den unteren. Die Höherstellung der „gezähmten Geste“ (Müller 1998: 27) über das ungezügelte Gestikulieren setzt sich bis in die Gegenwart fort; Wir finden beispielsweise bei vielen expressive Gestik beschreibenden Verben negative Konnotationen: Fuchteln, fuhrwerken, (mit der Hand) fahren, fummeln, zappeln usw. wird mit Nervosität, Unsicherheit, Ungeschicklichkeit und Ähnlichem in Verbindung gebracht.

In Phraseogesten eingesetzte Hand- und Armbewegungen verstoßen in vielen Fällen gegen die Regel der Mäßigung von Geschwindigkeit, Aktionsradius und Intensität (vgl. ebd.: 29), wie das rasche Vorbeiziehen der Hand am Kopf bei ras le bol und die verkrampfte Fingerhaltung bei avoir les boules. U.A. führt dies dazu, dass der Einsatz von Phraseogesten auf familiäre Kommunikationssituationen beschränkt ist.

2.5 Zusammenfassung

In den vorangehenden Kapiteln wurde das Verhältnis von nonverbalem und verba- lem Verhalten in Phraseogesten, ihre Bedeutungsstruktur sowie der Einsatzbereich untersucht. Dabei wurde deutlich, dass in vielen Fällen auf der nonverbalen Ebene eine zweifache Kodierung stattfindet: Erstens die ikonische Nachbildung einer meist körper- lichen Erfahrung2, zweitens die metaphorische Übertragung der Erfahrung auf die momentane (Gefühls-)Situation. Der menschliche Körper ist bei diesem Prozess ein zentrales Element; Mit Bewegungen bildet er einen endogenen oder exogenen Vorgang nach, der seinerseits auf eine von außen nicht unmittelbar sichtbare Emotion hinweist.

Bei der Untersuchung von Funktion und Verwendungsbereich der Phraseogesten konnte festgestellt werden, dass sie dem Sprecher als mehrfach differenzierbares Mittel zum Ausdruck von Emotionen zur Verfügung stehen. Modifikationen können auf verbaler Ebene im lexikalischen Bereich sowie bei der Betonung vorgenommen werden, auf nonverbaler Ebene ist die Variation der Intensität und des Radius der Gestik, ggf. auch mimische Variation möglich.

Phraseogesten kommen in aller Regel in nicht-offiziellen, familiären Gesprächssi- tuationen zum Einsatz; Gründe für die Zuordnung zur Nähesprache finden sich in dem häufig fäkalen Wortschatz und/oder in der obszönen Symbolik, des Weiteren in der teilweise ausladenden Gestik, die von den Zuhörern sozial negativ bewertet wird.

3. Sprache und Körper: Kinegramme

3.1 Definition

Als „Kinegramme“ bezeichnet Harald Burger (1976: 313) allgemein Verbalisierungen von nonverbalem Verhalten; Dazu gehören konkrete Beschreibungen physischer Vorgänge wie sitzen, gehen, kratzen oder die Stirn runzeln, aber auch kine- tisch unscharfe Bilder wie mit glühendem Blick ansehen und traurig weggehen. Eine Klassifikation nimmt Burger auf formaler und auf semantischer Ebene vor. Dabei unterscheidet er unterscheidet er formal zwischen monolexematischen Ki- negrammen, phraseologischen Verbindungen und lexikalisch ungebundenen Beschrei- bungen von nonverbalem Verhalten. Unter semantischen Gesichtspunkten differenziert er zunächst zwischen einschichtig und zweischichtig kodierten Kinegrammen. Grob gesagt bedeutet einschichtige Kodierung die (selten vorkommende) reine Deskription körperlicher Bewegung; Zweischichtige Kodierung liegt vor, wenn der Bewegung ein kommunikativer Wert beigemessen wird, für gewöhnlich ein Verweis auf Emotionen oder Meinungen der agierenden Person(en) (vgl. ebd.: 316ff.; auch Rüegg 1991: 21). Auf die einschichtige bzw. zweischichtige Kodierung der Bedeutung in Kinegrammen und die Rolle des Körpers wird weiter unten noch näher eingegangen. Man kann Kinegramme als den Zugriff der verbalen Welt auf die nonverbale, kör- perliche Welt bezeichnen. Sie müssen somit die Leistung erbringen, die Informationen, die der menschliche Körper in einer eigenen komplexen Sprache übermittelt und die vom Empfänger über mehrere Sinne aufgenommen und interpretiert werden, in die enge Grammatik der verbalen Sprache zu gießen. Dabei stellt sich vor allem das Problem, die sehr oft notwendigen Verbalisierungen nonverbalen Verhaltens nicht in detailreichen und damit zeitaufwendigen (bzw. in der Schrift raumintensiven) Beschreibungen ab- handeln zu können. Um die Maxime der Quantität zu erfüllen, bedient sich die Sprache verschiedener Methoden3 ; Ein gängiges Verfahren ist das Herausgreifen eines Moments des Bewegungskomplexes („Bewegung“ meint hier nicht nur deutliche Bewegungen der Gliedmaßen, sondern schließt auch Mimik ein), wobei dann der verbalisierte Teil für den gesamten kinetischen Vorgang steht (vgl. Burger 1976: 312f.; Rüegg 1991: 12). Abschließend ist auf den stark konventionellen Charakter von Kinegrammen hinzuweisen, und zwar in zweifacher Hinsicht: Auf sprachlicher Ebene finden sich monolexematische Kinegramme und phraseologische Verbindungen, deren Bedeutung der Hörer kennen muss, um sich das gemeinte nonverbale Verhalten bildlich vorstellen zu können. Konventionell sind Phraseologismen insofern, als der Hörer die Gesamtbe- deutung nicht aus den Einzelbedeutungen der Komponenten erschließen kann (vgl. Burger 1976: 316). Des Weiteren kann man in vielen Fällen auf der semantischen Ebene eine zweite Kodierung finden. Diese liegt vor, wenn das verbalisierte nonverbale Ver- halten seinerseits konventionellen Charakter hat, wie bei die Hände schütteln: Hier muss dem Hörer zunächst bekannt sein, dass mit schütteln das gegenseitige Geben der rechten Hand gemeint ist, und zusätzlich muss er diese Geste als Grußritual einordnen können.

3.2 Semantische Strukturen

3.2.1 Einschichtiger Aufbau

Es wurde bereits auf die beiden Möglichkeiten der Bedeutungsstruktur von Kinegrammen hingewiesen; Dabei ist zu bemerken, dass einschichtige Kodierung eher selten vorliegt. Ein Grund hierfür ist die mangelnde Aussagekraft von „rein-physischen Körpervorgängen“ (ebd.: 318). Sie besitzen keinerlei kommunikative Funktion, der Körper agiert nicht, er reagiert vielmehr unwillkürlich auf Umweltreize oder Bedürfnisse. Ihnen fehlt die Intentionalität, die erst Rückschlüsse auf Ziele, Charakter, Vorgehensweisen, also auf alle interessanten Informationen über einen Menschen gestatten (vgl. ebd.: 317f.; Hübler 2001: 21). Der beste Weg zum Erreichen größtmöglicher Objektivität bei der Beschreibung einer Körperbewegung ist wohl die freie lexikalische Verbindung, bei der lediglich der Ablauf des Vorgangs verbalisiert wird4.

Einschichtige Beschreibungen nonverbalen Verhaltens kommen in realen Kommu- nikationssituationen kaum vor. Harald Burger (1976: 318) stellt fest, dass in den Fällen, wo sie auf den ersten Blick nur körperliche Vorgänge beschreiben, häufig konnotative Zusatzinformationen mitenthalten sind. Beispielsweise ist an den Fingernägeln kauen ein Signal für Nervosität oder Unsicherheit; Gegebenenfalls können solche Konnotatio- nen durch den Kontext oder erklärende Zusätze präzisiert werden (vgl. ebd.; Rüegg 1991: 23). Einschichtige Kinegramme, denen eine Nebenbedeutung gewissermaßen aufgesetzt wurde, stehen an der Übergangsschwelle zu den „echten“ zweischichtigen Kinegrammen. Im Hinblick auf die Versprachlichung von körperlichen Vorgängen und deren kommunikativen Wert ist die Untersuchung der letzteren Sorte ergiebiger.

3.2.2 Zweischichtiger Aufbau

Bevor auf formale Variationen von Kinegrammen und deren Zusammenhang mit der semantischen Struktur eingegangen wird, soll zunächst der allgemeine Aufbau zweischichtiger Kinegramme dargestellt werden.

Bei ihnen „ist zusammen mit dem kinetischen Prozess auch der kommunikative ‚Wert‘ mitkodiert“ (Burger 1976: 318), d.h. das Kinegramm beschreibt nicht nur den äußeren, körperlichen Vorgang, sondern es meint gleichzeitig die auslösende Emotion mit (vgl. Rüegg 1991: 10). Beispielsweise ist die Bedeutung von von einem Bein aufs andere treten sowohl die tatsächlich realisierte Gewichtsverlagerung als auch die zu Grunde liegende Nervosität. Die zweite Bedeutung ist in den meisten Fällen konventio- nell; Der Grad an „Natürlichkeit“ der Kopplung von Emotion und Körperverhalten, an unmittelbarer Abhängigkeit der beiden Komponenten, steigt in dem Maße an, wie die psychischen Steuerungsmöglichkeiten des nonverbalen Verhaltens abnehmen (vgl. ebd.: 17).

Zur Darstellung von Emotionen bewährt sich diese Kopplung insofern, als durch sie eine zusätzliche Verbalisierung der Gefühle unnötig ist. In einer Konstruktion vom Typ wütend mit der Faust auf den Tisch schlagen hat das Adverb wütend deshalb kaum prä- zisierende, allenfalls verstärkende Funktion, da die Bedeutung Wut bereits im Phraseo- logismus enthalten ist.

Anders liegt der Fall, wenn das nonverbale Verhalten nicht eindeutig auf eine Emotion hindeutet5, sondern polyvalent ist. Burger (1976: 318f.) unterscheidet hierbei zwischen konventionell polysemem nonverbalen Verhalten, das durch die Verbalisie- rung im Kinegramm weiterhin polysem bleibt, und Verhalten, das auf Grund seiner vielschichtigen und variablen Struktur kaum exakt beschrieben werden kann. Dann muss die letztlich gewollte Bedeutung durch den Kontext oder präzisierende Erweiterungen eindeutig gemacht werden.

Eine dritte Variante der semantischen Struktur liegt bei sogenannten unechten oder Pseudokinegrammen vor; „Unecht“ deshalb, weil die Ausführung des nonverbalen Ver- haltens, das sie beschreiben, nicht oder nicht mehr gebräuchlich ist. Dazu gehören ver- altete Gebärden wie sich die Haare raufen, die im heutigen Sprachgebrauch nur noch symbolisch verstanden werden (vgl. ebd.: 315). Es existieren auch Kinegramme, bei denen die Frage gar nicht erst aufkommt, ob die Gebärde praktiziert wurde oder wird: Jemandem Honig ums Maul schmieren, sich aufs Ohr hauen usw. Solche Pseudoki- negramme sind idiomatische Wendungen, bei denen nur die symbolische Bedeutung Realitätsbezug aufweist. Innerhalb der Klasse der Kinegramme - wenn man die Pseudokinegramme dazu rechnet - sind sie die am stärksten konventionalisierte Katego- rie (vgl. ebd.: 320).

3.2.3 Formale Eigenschaften

Auf formaler Ebene lassen sich monolexematische und polylexematische Kinegramme unterscheiden, die polylexematischen wiederum können festgefügt (phraseologisch) oder ungebunden sein. Die Form des Lexikalisierungsproduktes ist dabei nicht gänzlich willkürlich; Burger stellt für monolexematische Verbindungen fest, „dass es hier nicht darum geht, einzelne Phasen oder einzelne Konstitiuenten des Prozesses herauszuheben“ (1976: 317). Demnach halten Einzelwörter eher den Gesamteindruck des nonverbalen Verhaltens fest, während polylexematische Verbindungen oft zusätzliche Informationen über kinetische Eigenschaften enthalten.

3.3 Verwendung von Kinegrammen

Kinegramme kommen in verschiedensten Kommunikationssituationen zum Einsatz, in denen Beschreibungen nonverbalen Verhaltens nötig sind. In der face-to-face- Kommunikation haben die Teilnehmer noch die Möglichkeit, Gestik, Mimik, Proxemik und Raumverhalten selbst nachzustellen und nutzen diese auch, was zur Folge hat, dass die verwendeten Kinegramme einen weitaus weniger präzisen Eindruck vermitteln müs- sen. Ein deiktischer Verweis vom Typ sie hat mich so angesehen, begleitet von entsprechender Mimik, ist wahrscheinlich effektiver als eine lange verbale Beschreibung. Bereits die Zeitersparnis ist beträchtlich, da zum auditiven Kanal auch der visuelle - der in diesem Fall wohl sogar wichtigere - mitverwendet wird.

Auch hier sind, wie bei Phraseogesten, diaphasische Unterschiede zu erwarten; In offiziellen Situationen bzw. beim Gespräch mit sozial höherstehenden Personen ist auf Grund der Negativbewertung ausladender Gestik und expressiver Mimik der Ersatz von Kinegrammen durch nonverbales Verhalten eine eher ungünstige Alternative.

In der schriftlichen Kommunikation hat der Sender diese Wahl nicht; Wenn er ver- standen werden will, so muss er sich auf Kinegramme mit konventionalisierter Bedeu- tung verlassen (was bei transkultureller Kommunikation durchaus problematisch sein kann6 ) oder selbst Metaphern finden, die, durch den Kontext unterstützt, für den Leser verständlich sind.

3.4 Zusammenfassung

In Kinegrammen wird nonverbales Verhalten verbalisiert; Dabei steht weniger die Information über den körperlichen Ablauf der Handlung im Vordergrund als vielmehr die dahinterstehende Emotion des Agierenden. Dadurch kommt der zweischichtige Aufbau ihrer semantischen Struktur zustande, der aus der litteralen (auf die Physis be- zogenen) und der symbolischen (auf die Psyche bezogenen) Bedeutung besteht (vgl. Burger 1976: 320). Die symbolische Bedeutung ist konventioneller Natur und damit kulturspezifisch; Sie hängt sehr stark von der Bedeutung der tatsächlich ausgeführten Geste ab7. Kinegramme existieren als einzelne Lexeme, phraseologische oder freie lexikalische Verbindungen, wobei Monolexikalität bei der Wiedergabe von Gesamtein- drücken vorherrscht und Polylexikalität auch das kinetische Moment erfasst.

Besonders in schriftlicher Kommunikation sind Kinegramme für die Darstellung von Affekten geeignet, in der oralen Kommunikation wirken Gestik, Mimik und Raumverhalten bedeutungsunterstützend.

4. Schluss

So entfernt zunächst die beiden Komplexe Phraseogeste und Kinegramm scheinen mögen, sind sie doch nur einzelne Punkte auf einer gedachten Linie, die vom Emblem zur idiomatischen Wendung, vom Körper zur Sprache führt8. In dem Maß, wie man sich auf dem Strahl der Sprache nähert, nehmen Konventionalisierung, bewusste Steuerung und der Gehalt an symbolischer Bedeutung zu. Auf der Achse können die beschriebe- nen Phänomene in etwa wie folgt situiert werden: Am Anfangspunkt steht nicht oder kaum steuerbares, rein physisches Verhalten wie rot werden oder vor Angst zittern. Be- reits steuerbarer sind im Affekt ausgeführte Gesten, z.B. vor Wut die Faust ballen. In der Phraseogeste kommt die verbale Komponente mit ins Spiel; Hier kann wiederum dreifach unterschieden werden, und zwar nach dem Grad der Obligatorik von Phraseo- logismus und Geste. Weiter auf der Skala stehen die echten Kinegramme. Auch hier ist wieder die dreifache Unterteilung in einschichtige, zweischichtige und Pseudoki- negramme möglich. Am Ende der Linie und damit am stärksten symbolisch sind idio- matische Wendungen wie Sprichwörter.

Insgesamt wird deutlich, dass Körperverhalten vor Allem Ausdrucksmittel für Emotionen ist. Dass der Körper in dieser Funktion unübertroffen ist spiegelt sich in Phraseogesten wider ebenso wie in vielen Kinegrammen; Beide Kommunikationsmittel bedienen sich direkt (durch Beschreibung) oder indirekt (durch Körpermetaphorik) die- ses Informationskanals.

Bibliographie

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Müller, Cornelia (1998): Redebegleitende Gesten. Kulturgeschichte - Theorie -

Sprachvergleich. Berlin.

Rüegg, Regula (1991): „ Im Abgehen ein Schnippchen schlagend. “ Zur Funktion von Kinegrammen in Volksstücken des 19. und 20. Jahrhunderts. Bern.

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1 Für die deutsche Phraseogeste mir reicht es arbeiteten Kresse/Feldmann eine ähnliche metaphorische Bedeutung heraus (1999: 128f.).

2 Hierbei kommt es zu einer Annäherung von signifiant und signifié: Der Körper stellt selbst bis zu einem gewissen Grad dar, was er selbst in einer (imaginären) Situation erlebt (vgl. auch Burger 1976: 313).

3 Dabei ist natürlich klar, dass nicht „die Sprache“ selbst die Notwendigkeit sieht, eine ökonomische Lösung zu finden; Man könnte sich vielmehr vorstellen, dass aus dem Ausdrucksbedürfnis eines oder mehrerer Sprecher heraus Kinegramme entstehen, die dann von der restlichen Sprechergruppe in den

Sprachusus aufgenommen und weiterverwendet oder aber abgelehnt werden. Effizienz und Wirtschaftlichkeit der Kinegramme spielen für die Wahrscheinlichkeit der Akzeptanz eine wichtige Rolle.

4 Dabei sollten lexikalische und syntaktische Parallelen zu eventuellen sinnähnlichen Phraseologismen vermieden werden, um keine unerwünschten Konnotationen wachzurufen.

5 Ob nonverbales Verhalten überhaupt völlig eindeutig auf eine Emotion zurückführbar ist, bleibt natürlich zu bezweifeln. Wut beispielsweise kann mit einer Mischung aus vielen anderen Emotionen wie Enttäuschung oder Angst einhergehen. So ist etwa das Schließen von dem körperlichen Verhalten mit der Faust auf den Tisch schlagen auf das Gefühl „Wut“ aus der Empfängerperspektive zu verstehen: Dieser kann von seiner Position aus nur sicher sein, dass der Sender wütend ist; Über die anderen Gefühlskomponenten kann er lediglich spekulieren.

6 Es existiert außerdem die Möglichkeit, auf Emotionen hinweisende Kinegramme durch äquivalente Kinegramme oder Idiome der anderen Sprache zu ersetzen; Dies ist natürlich nur machbar und sinnvoll, wenn die Zielsprache beherrscht wird und ein gutes Sprachgefühl entwickelt ist. Mögliche interkulturelle Missverständnisse im verwandten phraseogestischen Bereich haben Baur/Baur/Chlosta (1998) aufgezeigt.

7 Die symbolische Bedeutung des Kinegramms kann auch von der der ausgeführten Geste abweichen: Auf den Tisch hauen bedeutet soviel wie „ein Machtwort sprechen“, „für klare Verhältnisse sorgen“. Die Geste dagegen signalisiert Wut.

8 Mit diesem Bild soll keineswegs ein Naturgesetz suggeriert werden, das etwa eine unaufhaltsame allmähliche Verbalisierung jeglichen Körperverhaltens vorschreibt. Außerdem muss nicht bei jeder Verbalisierung jedes Stadium durchlaufen werden. Doch um die verschiedenen Stadien zu vergleichen, bietet sich die Metapher an.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Sprache und Körper: Phraseogesten und Kinegramme
Hochschule
Universität Bayreuth
Veranstaltung
Sprache und Körper
Note
1,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
18
Katalognummer
V107426
ISBN (eBook)
9783640056996
Dateigröße
432 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sprache, Körper, Phraseogesten, Kinegramme, Sprache, Körper
Arbeit zitieren
Simon Martin (Autor:in), 2002, Sprache und Körper: Phraseogesten und Kinegramme, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107426

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