Widerstand in Organisationen und Reaktanztheorie


Hausarbeit, 2005

18 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Begriffsklärungen (Melanie Monzel)
2.1 Organisation
2.2 Widerstand

3 Widerstand in Organisationen (Alexander Jochum)
3.1 Persönliche Hintergründe
3.1.1 Existentielle Gründe
3.1.2 Vorerfahrung mit Veränderung
3.1.3 Drohende Verluste
3.1.4 Infragestellung bisheriger Leistung
3.1.5 Neue Lernnotwendigkeiten
3.1.6 Soziale Entwurzelung
3.2 Reaktionen auf Veränderungen

4 Die Reaktanztheorie (melanie Monzel)
4.1 Die Theorie
4.1.1 Determinanten der Reaktanz
4.1.2 Die Reaktanzeffekte

5 Zusammenhänge zwischen der Reaktanztheorie und dem Widerstand in Organisationen (Alexander Jochum)

6 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Jeder kennt Situationen in denen er gezwungen wird, bestimmte Verhaltensfreiheiten aufzugeben und auch die zumeist heftigen Reaktionen darauf sind allgemein bekannt. Ausgehend von diesem Alttagswissen beschäftigt sich diese Arbeit mit der theoretischen Auseinandersetzung mit diesem Problem, der sogenannten Reaktanztheorie von Jack W. Brehm und wie diese Theorie mit dem Widerstand in Organisationen zusammenhängt. Nachdem wir die Begriffe Organisation und Widerstand kurz erläutern werden, setzen wir uns in Kapitel 3 ausführlich mit dem Phänomen des Widerstands in Organisationen auseinander. Es wird dargestellt welche Gründe es für Veränderungswiderstände gibt und wie die Reaktionen, der eigentliche Widerstand, aussehen. In Kapitel 4 wird dann die Reaktanztheorie von Brehm behandelt, um im letzen Kapitel die Fragestellung beantworten zu können und ein Fazit zu ziehen.

2 Begriffsklärungen

2.1 Organisation

Als Organisation bezeichnet man ein soziales Gebilde, das über eine bestimmbare Anzahl von Mitgliedern verfügt. Diesen Mitgliedern obliegt die arbeitsteilige und regelhafte Erfüllung bestimmter Aufgaben, welche den gesellschaftlichen Zweck der Organisation konkretisieren und die gesellschaftlich erwarteten Leistungen, die sich in spezifische Handlungsanforderungen und Handlungsziele ausdifferenzieren, formulieren.[1] Hierbei ist zu beachten, dass die Durchführung der Aufgaben personenunabhängig ist, d.h. es existieren innerhalb einer Organisation verschiedene Rollen, denen bestimmte Aufgabengebiete zugeteilt sind. Diese Rollen bleiben jedoch auch bestehen, wenn die sie besetzende Person durch eine andere ersetzt wird. Des weiteren verfügen Organisationen immer über bürokratische Strukturen und spezifische Hierarchien.

2.2 Widerstand

Widerstand meint eigentlich ein aktives oder passives Aufbegehren einzelner Bürger oder politischer Gruppen gegen Regierende, Staatsorgane und sonstige politisch-gesellschaftlichen Kräfte, die in verfassungswidriger Weise die ihnen übertragenen oder selbst angeeigneten Herrschaftsrechte missbrauchen und damit eine Situation entstehen lassen, in der die Grundordnung selbst gefährdet ist.[2]

Des weiteren wird Widerstand als die Verhaltenstendenz einer Person bezeichnet, sich Empfehlungen oder Befehlen anderer zu widersetzen.[3]

Im psychoanalytischen Kontext meint Widerstand alle bewussten und unbewussten Strebungen des Patienten, die der Aufdeckung verdrängter psychischer Inhalte entgegenstehen, wie z.B. Vergessen der Analysestunde, Verschweigen der Einfälle beim freien Assoziieren, Reden über Belanglosigkeiten, usw..[4] In dem für diese Arbeit besonders relevanten Kontext der Organisationslehre, spricht man von Widerständen in dem Sinne, dass sich Personen oder Gruppen gegen (geplante) Veränderungen in der Organisation zur Wehr setzen und sie zu boykottieren versuchen.[5]

3 Widerstand in Organisationen

Bei geplanten Veränderungen innerhalb einer Organisation stoßen die Verantwortlichen oft auf massive Widerstände der von der Veränderung betroffenen Mitarbeiter, die auf den ersten Blick als Motivationsmangel oder Unfähigkeit gedeutet werden könnten. Betrachtet man sich jedoch die Situation der Mitarbeiter etwas genauer, wird man feststellen, dass es die verschiedensten Gründe für den Widerstand gegen die geplanten Veränderungen gibt:

3.1 Persönliche Hintergründe

3.1.1 Existentielle Gründe

Vor allem betriebliche Rationalisierungsmaßnahmen stoßen immer auf einen erheblichen Widerstand der Organisationsmitglieder. Diese fühlen sich in ihrer beruflichen Existenz bedroht und fürchten möglicherweise ihren Job, und damit die finanzielle Sicherheit, zu verlieren. Jedoch kann auch bereits die drohende Versetzung zu starken Widerständen führen, geht damit natürlich die Angst einher, der neue Arbeitsplatz könnte schlechter, schwieriger oder geringer bezahlt sein. Sind solche existentiellen Ängste Grund für Veränderungswiderstände, ist es sehr schwer, diese abzubauen, da eine logische und rationale Argumentation nicht zu zählen scheint.[6]

3.1.2 Vorerfahrung mit Veränderung

Vor allem für ältere und berufserfahrene Mitarbeiter ist es von großer Bedeutung welche Erfahrungen sie in ihrem bisherigen Leben mit Veränderungen gemacht haben. Die gesammelten Eindrücke werden generalisiert und gemeinsam mit der Einschätzung der eigenen Fähigkeiten entweder zu einer positiven oder negativen Einstellung gegenüber Veränderungen. Mögliche Betrachtungsweisen sind z.B.: Bedrohung, Verschlechterung gegenüber dem bisherigen Zustand oder willkommene Herausforderung. Letzteres trifft eher auf jüngere Menschen zu, da sie ihre eigenen Fähigkeiten als relativ hoch einschätzen und meist in einer Veränderung die Chance für einen Aufstieg und beruflichen Erfolg sehen, während ältere Arbeitnehmer die Grenzen der eigenen Fähigkeiten erkannt haben und eine weitere Karriere für nahezu ausgeschlossen halten.[7]

3.1.3 Drohende Verluste

Durch Veränderungen kann es zu Verlusten unterschiedlichster Form kommen, die oftmals auch vom Initiator der Veränderung bewusst hervorgerufen werden. Die dadurch entstehenden Verlustängste, vor allem gegenüber dem Verlust von Macht, Freiheitsspielräumen in der Gestaltung des Arbeitsalltags oder besonderer Privilegien, gleich welcher Art, führen zu einem massiven Widerstand der Betroffenen gegenüber der Veränderung. Psychologisch ist hier bedeutsam, dass bei drohendem Verlust, dem entsprechenden Objekt (Spielräume, Einflussmöglichkeiten, Privilegien) eine wesentlich höhere Bedeutung und Wichtigkeit zugeschrieben wird, als dies bisher der Fall war, einfach auf Grund des drohenden Verlusts. Besonders deutlich wird dies am Beispiel von persönlichen Gegenständen, die zur Gestaltung des Arbeitsplatzes gedacht waren (z. B. Zimmerpflanzen, Bilder, etc). Wurden diese Dinge früher kaum bemerkt, so kommt ihnen nun auf Grund des drohenden Entzugs eine besondere Wichtigkeit zu.[8]

3.1.4 Infragestellung bisheriger Leistung

Die meisten Veränderungen kommen zu Stande um etwas zu verbessern oder bestehende Mängel zu beseitigen. Demzufolge ist es leicht nachzuvollziehen, dass die von der Veränderung Betroffenen, diese als eine indirekte Kritik an ihrer eigenen Person und ihrer bisherigen Leistung ansehen. Da durch eine Kritik immer das Selbstwertgefühl berührt ist, wird der Betroffene versuchen die drohende Kritik in Form der Veränderung abzuwehren, indem er sie in Frage stellt. Eine solche Argumentation, die meist recht hilflos erscheinen mag und meist mit einem einzigen Argument: „Das war schon immer so...“ auskommt, ist somit der Versuch, die Kritik an der eigenen Arbeitshaltung und der eigenen Person zu entkräften. Diese Argumentationshaltung resultiert aus der Vorstellung, dass das faktisch Vorhandene (z.B. das bisherige Arbeitsverhalten) gegenüber dem, was noch nicht vorhanden ist und erst durch die Veränderung hergestellt werden soll, immer die größere Glaubhaftigkeit hat.[9]

3.1.5 Neue Lernnotwendigkeiten

Durch Veränderungen wird es notwendig, die bisherigen Wissensbestände anzupassen und vorhandene Fähigkeiten umzustellen, allerdings ist es manchmal auch erforderlich, neue Fertigkeiten und neues Wissen zu erwerben und sich somit weiterzubilden. Mit dieser Notwendigkeit geht dann bei den Betroffenen oft die Vorstellung einher, noch mal „die Schulbank drücken zu müssen“ und den damit verbundenen Assoziationen wie Leistungs- und Lerndruck, Bewertung der geleisteten Arbeit usw. ausgesetzt zu sein. Um dies zu vermeiden, werden sie versuchen, die Veränderung abzuwenden. Allerdings besteht in diesem Fall auch die Möglichkeit, ähnlich wie bereits in Kapitel 3.1.2 beschrieben, dass manche Mitarbeiter in einer Fort- und Weiterbildungsmaßnahme die Möglichkeit zu beruflichem Erfolg sehen und der Veränderung gegenüber demnach sehr positiv eingestellt sind.[10]

3.1.6 Soziale Entwurzelung

Ist es das Ziel einer Veränderung, mehr Einzelarbeitsplätze zu schaffen oder eine engere Bindung an maschinelle Abläufe zu erreichen, so werden die Verantwortlichen auf Widerstände bei den Mitarbeitern stoßen, die dadurch ihr soziales Umfeld und ihre Beziehungen am Arbeitsplatz gefährdet sehen und die diesen bisher einen sehr hohen Stellenwert eingeräumt haben. Sie hegen die Befürchtung, durch die Veränderung sozial isoliert zu sein. Insbesondere in Bereichen in denen die Arbeit selbst, sowie die Arbeitsumgebung eher als unattraktiv angesehen werden sind die sozialen Kontakte und Bindungen wesentlich enger und wichtiger als in freundlichen Arbeitsumgebungen mit attraktiver und interessanter Arbeit. Daher kann in diesen unattraktiven Arbeitsumwelten mit starkem Widerstand gegen eine geplante Veränderung mit o.g. Zielen gerechnet werden.[11]

3.2 Reaktionen auf Veränderungen

So unterschiedlich wie die Gründe für Veränderungswiderstände sein können, so unterschiedlich sind auch die Reaktionen, der eigentliche Widerstand. Es hängt von vielen Faktoren ab, wie intensiv und auf welche Art und Weise Menschen mit Widerstand reagieren, genauso wie auch der Zeitpunkt völlig unterschiedlich sein kann.

Es gibt verschiedene Formen von Widerstand, die man auf einer Aktiv-Passiv-Skala anordnen könnte:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten[12]

Konkreter bedeutet dies unter anderem:

- Die Veränderungsträger als Person werden verächtlich gemacht
- Man versucht einflussreiche Verbündete im gewerkschaftlichen oder politischen Raum zu gewinnen, die an der Erhaltung des Status quo interessiert sind

- Man holt Gegengutachten ein und involviert die Medien
- Man versucht die Mitarbeiter des Gremiums, welches für die Veränderung verantwortlich ist, so zu täuschen, dass auch sie den Status quo als die beste Lösung ansehen (z.B. wird die Arbeit so verlangsamt und gedehnt, dass die Streichung der Stelle nicht mehr erwogen wird)

- Man ruft gerichtliche Instanzen an
- „Dienst nach Vorschrift“
- man droht mit Kündigung, wenn man dringend gebraucht wird[13]

Die Intensität dieser Reaktionen hängt natürlich vom subjektiven Grad der Betroffenheit ab, wobei zu beachten ist, dass solche Reaktionen auch stellvertretend oder vorbeugend sein können und es somit möglich ist, dass nicht derjenige dessen Arbeitsplatz tatsächlich betroffen ist am heftigsten reagiert, sondern sein Kollege, der befürchtet, dass ihm bald das gleiche Schicksal droht.[14]

Bezüglich des Zeitpunktes an dem Widerstand auftritt lässt sich feststellen, dass solange sich die „Bedrohung“ auf nahezu alle Aspekte des persönlichen Arbeitsplatzes bezieht (z.B. Vorphase von Veränderung in der sehr viele Gerüchte kursieren), die Reaktionen sehr unkoordiniert und auch recht heftig ausfallen. Ist dagegen klar, welche tatsächlichen Veränderungen es geben soll, wird auch die Reaktion entsprechend kontrollierter und spezifischer. Hierbei kann es auch passieren, dass die scheinbare anfängliche Zustimmung, lediglich ein Abwarten dargestellt hat und man nun plötzlich auf hartnäckigen und heftigen Widerstand stößt. Das gleiche gilt natürlich auch im Umkehrschluss. Hoefert schlägt hier vor, dass der Veränderungsträger, um ein möglichst zuverlässiges Bild von Reaktionen zu bekommen, frühzeitig mit den Betroffenen zu kooperieren beginnt, ihre Meinung und Vorschläge ernst nimmt und nicht bloß seine Ansichten „verkauft“ und ihnen nach der tatsächlichen Einführung als Ansprechpartner zur Verfügung steht.[15]

Im Kontext von einer Bewältigung und Vermeidung der Widerstände weisen Bosetzky und Heinrich auf die Organisationsentwicklung hin, die mit normativedukativen Strategien an der Überwindung von Widerständen in Organisationen arbeitet. Diese Strategien „beinhalten direkte, auf einer bewusst erarbeiteten Theorie der Veränderung und des Veränderns basierende Interventionen der Innovatoren in das Leben eines Klientensystems“ [16] und konzentrieren sich auf Partizipation, Sensibilisierung und Umänderung der Organisationsmitglieder im Hinblick auf ihre Einstellungen, Werte, Normen und wechselseitigen Beziehungen.[17]

4 Die Reaktanztheorie

Die Theorie der psychologischen Reaktanz, die 1966 von Jack W. Brehm entwickelt wurde, befasst sich mit menschlichen Reaktionen bezüglich einer Gefährdung ihrer individuellen Verhaltensfreiheiten. Bosetzky und Heinrich haben in Anlehnung an Gniech und Grabitz die wesentlichen Aspekte wie folgt zusammengefasst:

1. Individuen besitzen die Freiheit bestimmte Verhaltensweisen auszuführen

2. Wenn die Person merkt, dass eine dieser freien Verhaltensweisen bedroht oder gar unmöglich gemacht wird, entsteht Reaktanz. Dieses ist ein motivationaler Zustand, die verlorene oder bedrohte Freiheit wiederherzustellen.

3. Die Stärke der Reaktanz hängt von drei Bedingungen ab, nämlich erstens der Wichtigkeit der Freiheit für die Person, bestimmte Dinge zu tun, zweitens der Proportion der bedrohten oder eliminierten Freiheit zu den übrigen freien Verhaltensweisen, und drittens der Stärke der Freiheitseinengung.

4. Die Reaktanz-Motivation, die die verlorene oder bedrohte Freiheit wiederherzustellen anstrebt, äußert sich in unterschiedlichen Effekten[18].

Im folgenden sollen diese Hauptaussagen ausführlicher erläutert werden.

4.1 Die Theorie

Jack Brehm hat seiner Theorie der psychologischen Reaktanz folgende Grundannahme zugrunde gelegt:

„Es wird angenommen, dass für eine bestimmte Person zu einer bestimmten Zeit eine Reihe von Verhaltensweisen zur Verfügung steht, von denen sie jede einzelne im gegebenen Augenblick oder irgendwann in der Zukunft realisieren könnte. Diese Möglichkeiten können als die »freien Verhaltensweisen« des Individuums bezeichnet werden.“[19]

Hierbei kann es sich um jede Art spezifischer Verhaltensweisen handeln (z.B. Gedanken, Handlungen, Entscheidungen). Es ist jedoch nicht die Freiheit im Allgemeinen gemeint, sondern vielmehr bestimmte Verhaltensweisen, von denen der Einzelne nicht nur als Möglichkeit weiß, sondern zu denen er auch fähig ist.[20]

Diese Annahme wird nun zugrunde gelegt um zu der zentralen These der Reaktanztheorie zu gelangen, die besagt, dass ein Individuum, wenn eine seiner freien Verhaltensweisen bedroht ist oder eliminiert wird, psychologische Reaktanz erfährt.

Diese Bedrohungen können unterschiedlicher Art sein und von unpersönlichen (z.B. schlechtes Wetter bei geplantem Ausflug), über persönliche (z.B. Gehorsam) bis hin zu selbstverschuldeten (z.B. gehen einer Person alternative Verhaltensfreiheiten verloren, wenn sie eine Entscheidung trifft) Bedrohungen oder Eliminationen von Freiheiten reichen.[21]

4.1.1 Determinanten der Reaktanz

Das Ausmaß der Reaktanz ist nach Brehm von drei Faktoren abhängig, die als Determinanten der Reaktanz bezeichnet werden. Diese drei Faktoren werden nun im Folgenden erläutert:

1. Bedeutung der Freiheit

2. Proportion eliminierter oder von Elimination bedrohter Freiheiten

3. Grad der Bedrohung

Zu.1.: Um die Bedeutung der Freiheit zu erläutern betrachtet Brehm die seiner Meinung nach wichtigen Aspekte „einmaliger instrumenteller Wert“ und „tatsächliches oder potentielles Höchstausmaß der Bedürfnisse“ und multipliziert diese miteinander. Mit „einmaliger instrumenteller Wert“ ist gemeint, dass das Ausmaß der Reaktanz stark davon abhängt wie viele mögliche Verhaltensweisen das Individuum zur Befriedigung eines Bedürfnisses zur Verfügung hat. Stehen ihm sehr viele Alternativen zur Verfügung, wird der Verlust einer Alternative natürlich weniger stark ins Gewicht fallen, als wenn ihm die einzige Alternative genommen wurde um ein Bedürfnis zu befriedigen. Den zweiten Aspekt bezeichnet Sharon S. Brehm als einen „psychologischen Truismus“: Wenn ein Bedürfnis nur oberflächlich, also nicht sehr wichtig für die Person, so ist auch die Verhaltensweise, die dieses Bedürfnis befriedigt von geringer Wichtigkeit. Das gleiche gilt für den Umkehrschluss, wonach der Verhaltensweise, die ein wichtiges Bedürfnis befriedigt, eine hohe Bedeutung zukommt.[22]

Bei der Elimination einer Verhaltensweise, die ein bedeutsames Bedürfnis befriedigt und einen einmaligen instrumentellen Wert hat, ist die Reaktanz also sehr hoch.

Das Verhältnis einer Verhaltensfreiheit zu anderen Freiheiten ist im Hinblick auf die Bedeutung dieser Freiheit ebenfalls von großer Wichtigkeit. Setzt man eine Freiheit in Relation zu anderen Freiheiten, so erhöht sich die Bedeutung der einen Freiheit, während die absolute Bedeutung der anderen Freiheiten abnimmt.[23]

Zu 2.: Der zweite Faktor, betrifft die Proportion eliminierter oder von Elimination bedrohter Freiheiten. Das heißt, dass je größer die Proportion eliminierter Freiheiten ist, desto größer wird auch die Reaktanz sein. Hat eine Person beispielsweise acht mögliche Alternativen und eine dieser Alternativen ist bedroht oder eliminiert, so fällt die Reaktanz in diesem Fall geringer aus, als wenn von den acht möglichen Alternativen sechs bedroht sind. Das gilt auch, wenn die Zahl der Alternativen verringert wird: Hat eine Person die Möglichkeit eine von acht Alternativen auszuwählen, so ist ihre Reaktanz geringer, als wenn sie nur aus vier Alternativen eine auswählen kann.[24]

Zu 3.: Der dritte Faktor, der das Ausmaß von Reaktanz determiniert bezieht sich auf Fälle, in denen die Freiheit lediglich bedroht, aber noch nicht eliminiert ist. Hier hängt das Ausmaß der Reaktanz vom Grad der Bedrohung ab, das heißt je größer die Bedrohung ist, desto größer ist auch die Reaktanz. Es ist zu beachten, dass die größte Reaktanz durch Elimination einer Freiheit ausgelöst wird. Bis zu diesem Punkt spielt diese dritte Determinante eine große Rolle. Sharon S. Brehm geht in ihren Ausführungen darauf ein, dass dieses Verhältnis von Bedrohung Reaktanz zunächst sehr einfach erscheint, es jedoch zwei Ableitungen davon gibt, welche die Effekte der Reaktanz, zumindest im wirklichen Leben, verkomplizieren[25]. Diese Ableitungen basieren auf der Annahme, dass Menschen „Kontinuität in ihrem Leben perzipieren und von Situation zu Situation generalisieren.[26] “ Daher ist es möglich, dass sich die Bedrohung, die sich gegen eine Freiheit richtet, implizit auch andere Freiheiten bedroht. Nach Brehm können diese Implikation durch Ähnlichkeit der Verhaltensfreiheiten (z.B. wird mein Recht zu rauchen bedroht, darf ich bald auch nicht mehr trinken), Ähnlichkeit der Situation (z. B. meine Freiheit X war hier beim letzen Mal bedroht, wenn ich das nächste Mal komme ist vielleicht dann Freiheit Y bedroht) oder durch Ähnlichkeit des Drohmittels hervorgerufen werden[27]. Daher hängt das Ausmaß der Reaktanz davon ab, wie viele Freiheiten durch eine einzige Bedrohung betroffen sind. Auch wenn einem Beobachter die tatsächlich bedrohte Freiheit als relativ unwichtig erscheint, so kann die Bedrohung für den Betroffenen als sehr groß erscheinen, da er impliziert, dass auch andere Freiheiten mit betroffen sein können.

Daher wird die erregte Reaktanz umso größer, je mehr Freiheiten (auch implizit) betroffen sind[28]. Die zweite Ableitung sieht Sharon Brehm darin, dass eine Person auch dann Reaktanz erfahren kann, wenn sie nicht direkt von der Bedrohung einer Freiheit betroffen ist, sondern die Bedrohung eines Dritten mit ansieht. Auch hier kommt wieder das Generalisierungsprinzip zur Anwendung und zwar insofern, als das die nicht von der Bedrohung betroffene Person davon ausgeht, dass ihr das gleiche wiederfahren könnte wie der tatsächlich von Eliminierung einer Freiheit bedrohten Person[29].

4.1.2 Die Reaktanzeffekte

Als Reaktanzeffekte bezeichnet man den Versuch einer Person ihre Freiheit wiederzuerlangen.[30] Sie stellen im Kern das Handeln einer Person im Zustand der Reaktanz dar. Da die Reaktanzerregung ein motivationaler Zustand ist, lässt sich die Motivation seine Freiheit wiederzuerlangen auf verschiedene Weise ausdrücken. Die wichtigsten Möglichkeiten werden im Folgenden erläutert:

1. direktes Vorgehen

Beispiel: Eine Person, welche die Wahl zwischen Möglichkeit A und Möglichkeit B hat, wird angewiesen sich für Möglichkeit B zu entscheiden. Indem sie, den Anwesungen zum Trotz, Möglichkeit A wählt hat sie ihre Freiheit direkt wiederhergestellt.

Dieser Reaktanzeffekt entfällt dann, wenn die Freiheit bereits eliminiert wurde.[31]

2. indirektes Vorgehen

Beispiel: Eine Person bekommt die Anweisung sich in einer bestimmten Situation auf eine bestimmte Art und Weise zu verhalten. Er befolgt diese Anweisung, überhört aber bei der nächsten Gelegenheit die Anweisung der befehlenden Person.

Somit hat sie ihre Freiheit auf indirekte Weise wiederhergestellt. Im Gegensatz zum direkten Vorgehen, besteht diese Möglichkeit auch dann noch wenn eine Freiheit bereits eliminiert worden ist. Das Implikationsprinzip spielt hier, wie auch bereits bei den Determinanten der Reaktanz eine große Rolle. Des weiteren weist Sharon Brehm in Anlehnung an Jack Brehm darauf hin, dass das Beobachten einer Person, die ihre Freiheit direkt oder indirekt wiederherstellt, implizit dazu dienen kann, die eigene Freiheit ebenfalls wiederherzustellen.[32]

3. aggressive Handlungen

Beispiel: Die einengende Person Y wird von Person X attackiert, um somit eine Rücknahme der Eliminierung von Freiheiten der Person X zu erzwingen.

Diese Attacke kann sowohl in Form von körperlicher Gewalt auftreten, als auch in Form einer Einschüchterung. Sharon Brehm erwähnt des weiteren in Anlehnung an ein Experiment von Worchel (1974), dass Reaktanz von aggressiven Tendenzen begleitet wird, auch wenn diese keinem Wiederherstellungszweck dienen. Sie stellt die Vermutung auf, dass die Bedrohung oder Elimination von Freiheiten eine Provokation darstellen, der die bedrohte Person Aggression als Vergeltungsmaßnahme entgegensetzt.[33]

4. Wiederherstellung der Freiheit ist nicht möglich

Ist die Wiederherstellung einer eliminierten Freiheit durch keinen der drei genannten Reaktanzeffekte möglich, bedeutet dies nicht, dass die Person keine Reaktanz erfährt, sondern sie „bleibt auf ihr sitzen“ und muss abwarten bis sie sich mit der Zeit verflüchtigt. Die Reaktanz bleibt jedoch nicht verborgen, sondern das Individuum hat den Wunsch seine Freiheit trotzdem wiederherzustellen und verbalisiert diesen.[34]

Beispiel: Eine Angestellte muss sich den Anweisungen ihres Vorgesetzten widerwillig fügen, geht jedoch im Anschluss zu einer Kollegin und sagt: „Am liebsten hätte ich ihm mal richtig die Meinung gesagt!“.

Eine weitere Möglichkeit die Reaktanz in solchen Fällen abzubauen, ist die der Attraktivitätsveränderung, bei der die Attraktivität der eliminierten Freiheit herabgesetzt wird[35].

5 Zusammenhänge zwischen der Reaktanztheorie und dem Widerstand in Organisationen

Nachdem die Thematik des Widerstandes in Organisationen und die Reaktanztheorie aufgegriffen worden sind, beschäftigt sich dieses Kapitel mit den Zusammenhängen die es zwischen der Theorie und dem Phänomen des Widerstands gibt um somit die o.g. Fragestellung zu beantworten.

Im Kern lässt sich die Fragestellung damit beantworten, dass Reaktanz, bzw. Reaktanzeffekte nichts anderes sind als Widerstände. Bezieht man sie auf eine Organisation und das dort auftretende „aufständische“ Verhalten der Mitarbeiter, so spricht man auch von innerorganisatorischem Widerstand. Die Mitglieder einer Organisation fühlen sich durch bestimmte Weisungen ihrer Vorgesetzten bedroht und reagieren mit Reaktanz darauf. Besonders deutlich wird dies bei geplanten Veränderungen innerhalb einer Organisation, wie in Kapitel 3 geschildert. Jedoch lässt sich mit Watson sagen, dass Widerstand aus folgenden Gründen zwangsläufig zu jedem Innovationsprozess dazugehört.[36]

- Der Mensch bevorzugt das Bekannte
- Ersterfahrungen haben Vorrang
- Die ursprüngliche Einstellung wird durch selektives Wahrnehmen ständig bestätigt
- Der Mensch ist tendenziell konservativ gestimmt und hält sich für „gut“, wenn er den Status quo akzeptiert
- Tendenz die Sicherheit in der Vergangenheit zu suchen
- Die meisten Innovationen werden von außen in die Organisation eingebracht und die Feindseligkeit gegenüber Außenstehenden ist universell

Die Reaktanztheorie hat das Problem des Widerstands theoretisch fundiert aufgeschlüsselt und die Prozesse während dieses motivationalen Zustandes ausführlich beschrieben. Sie ist daher von großer Bedeutung wenn man sich das Phänomen des Widerstands in Organisationen anschauen möchte. Sie bietet jedoch keine Lösungen an, wie man mit Widerstand umgehen muss, dies kann jedoch auch nicht ihr Anspruch sein. Diese Aufgabe fällt der Organisationsentwicklung zu, die mit verschiedenen Konzepten (z.B. Prozessberatung, survey-guided development, Managerial Grid, Kontingenztheorie) versucht Produktionsziele und menschliche Bedürfnisse gleichermaßen zu berücksichtigen und somit möglichen Widerstand entgegenzuwirken.[37] Inwieweit und wie dies gelingt kann jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht behandelt werden. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass das Widerstandspotential vor allem in Großorganisationen nach wie vor beträchtlich ist.[38]

6 Literaturverzeichnis

Bosetzky, H., Heinrich, P.(1994, 5. Auflage): Mensch und Organisation. In: Banner

G., Pappermann E. (Hrsg.): Schriftenreihe Verwaltung in Praxis und Wissenschaft. Köln: Deutscher Gemeinde Verlag, Kohlhammer

Brehm, Sharon S. (1980): Anwendung der Sozialpsychologie auf die klinische Praxis. Bern, Stuttgart, Wien: Huber.

Hillmann, K.-H. (1994, 4. Auflage): Wörterbuch der Soziologie. Stuttgart: Kröner.

Höfert, H.-W. (1985): Schriftenreihe „Der Organisator“, Band 4, Der Mensch in der Organisation. Gießen: Verlag Dr. Götz Schmidt.

Krüger, H.-H. & Helsper, W. (Hrsg.) (1996, 2. Auflage): Einführung in Grundbegriffe und Grundfragen der Erziehungswissenschaft. Opladen: Leske + Budrich.

[...]


[1] Vgl. Krüger, H.-H. & Helsper, W. (Hrsg.) (1996, 2. Auflage): Einführung in Grundbegriffe und Grundfragen der Erziehungswissenschaft. Opladen: Leske + Budrich.

[2] Vgl. Hillmann, K.-H. (1994, 4. Auflage): Wörterbuch der Soziologie. Stuttgart: Kröner.

[3] Vgl. Faktum Lexikoninstitut (Hrsg.)(1995, Autorisierte Sonderausgabe für Bassermann Verlag):Lexikon der Psychologie. Gütersloh, München: Bertelsmann Lexikon Verlag GmbH

[4] Vgl. ebd.

[5] Vgl. Höfert, H.-W. (1985): Schriftenreihe „Der Organisator“, Band 4, Der Mensch in der Organisation. Gießen: Verlag Dr. Götz Schmidt, S. 63.

[6] Vgl. Hoefert, a.a.O., S. 63-64.

[7] Vgl. ebd., S. 64.

[8] Vgl. Hoefert, a.a.O., S. 64.

[9] Vgl. ebd., S. 64-65

[10] Vgl. Hoefert, a.a.O., S. 65

[11] Vgl. ebd., S.65

[12] Vgl. Hoefert, a.a.O., S. 66

[13] Vgl. Bosetzky, H., Heinrich, P. (1994, 5. Auflage): Mensch und Organisation. In: Banner, G., Pappermann, E. (Hrsg.): Schriftenreihe Verwaltung in Praxis und Wissenschaft. Köln: Deutscher Gemeinde Verlag, Kohlhammer, S.247.

[14] Vgl. Hoefert, a.a.O., S. 66.

[15] Vgl. ebd., S. 66-67

[16] Chin & Benne (1977), S. 59 zitiert nach: Bosetzky & Heinrich, a.a.O., S. 247.

[17] Vgl. Bosetzky & Heinrich, a.a.O., S.247

[18] Vgl. Gniech & Grabitz (1978) nach Bosetzky & Heinrich, a.a.O., S.245

[19] Brehm, J. W. (1966), S. 3 zitiert nach Brehm, Sharon S. (1980): Anwendung der Sozialpsychologie auf die klinische Praxis. Bern, Stuttgart, Wien: Huber. S. 29.

[20] Vgl. Brehm,a.a.O., S. 29

[21] Vgl. ebd.

[22] Vgl. Brehm, a.a.O., S. 30-31

[23] Vgl. ebd., S. 31

[24] Vgl. Brehm, a.a.O., S. 31

[25] Vgl. ebd.

[26] Brehm, Sharon S. (1980): Anwendung der Sozialpsychologie auf die klinische Praxis. Bern, Stuttgart, Wien: Huber. S. 31

[27] Vgl. ebd., S. 32

[28] Vgl. Brehm, a.a.O., S.32.

[29] Vgl. ebd.

[30] Vgl. Bosetzky & Heinrich, a.a.O., S. 245

[31] Vgl. Brehm, a.a.O., S.32.

[32] Vgl. Brehm, a.a.O., S. 33

[33] Vgl. ebd., S. 34

[34] Vgl. ebd., S.33

[35] Vgl. Bosetzky & Heinrich, a.a.O., S. 246

[36] Vgl. Watson (1975), S.417ff, nach: Bosetzky & Heinrich, a.a.O., S. 246

[37] Vgl. Hoefert, a.a.O., S. 130-131

[38] Vgl. Bosetzky & Heinrich, a.a.O., S. 245

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Widerstand in Organisationen und Reaktanztheorie
Note
2,0
Autoren
Jahr
2005
Seiten
18
Katalognummer
V109463
ISBN (eBook)
9783640076444
Dateigröße
386 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Widerstand, Organisationen, Reaktanztheorie
Arbeit zitieren
Melanie Monzel (Autor:in)Alexander Jochum (Autor:in), 2005, Widerstand in Organisationen und Reaktanztheorie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/109463

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